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Transkript:

Bin ich traumatisiert? Früher dachte man, man klärt Traumafolgen und traumatischen Stress am besten dadurch, dass man so gründlich wie möglich fragt, was jemand in seinem Leben alles erlitten hat. Und das war, wie wir heute wissen, ein Irrweg. Das ist die problematischste Art, um etwas über Traumata zu erfahren. Wenn Sie irgendwo gehört oder gelesen haben, dass es immer gut ist, genauestens zu klären, ob es in Ihrem Leben belastende Erfahrungen gegeben hat und darüber dann ausführlich zu reden, dann sollten Sie dem keinen Glauben schenken. Diese Vorstellung beruht auf überholten Konzepten, wonach es grundsätzlich gut ist, Belastendes aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzuholen. Tatsächlich ist es so, dass es eine Menge innerer Stärke braucht, um sich an schlimme Dinge genau erinnern zu können, und daher sollten Sie das nicht ver- suchen, solange Sie sich nicht sehr stark fühlen. Sie können aber einiges an Klarheit gewinnen, wenn Sie sich selbst genau beobachten. Und wenn Sie sich einiges an Wissen über Traumafolgestörungen aneignen. Die Erkundung Ihrer Lebensgeschichte sollten Sie immer nur sehr behutsam vornehmen. Seien Sie skeptisch gegenüber allen Menschen, Bekannten, Freunden, Therapeuten, die Sie bedrängen wollen, sich mit Ihrer Lebensgeschichte zu befassen, wenn Sie selbst spüren, dass Sie das eigentlich gar nicht wollen. Anzeichen für traumatischen Stress Wie Sie selbst Zeichen erkennen können, die Sie dann mit einer fachkundigen Person auswerten können: Können Sie bemerken, dass Sie manchmal sehr stark riechen, ja vielleicht denken Sie sogar»stinken«, und haben Sie sich schon einmal gefragt, ob das mit Angstschweiß zu tun haben könnte, wenn Sie ein Gespräch führen wollen? Oder haben Sie sich schon einmal gewundert, dass es Ihnen sehr unangenehm ist, wenn Ihnen jemand die Hand geben möchte, sodass Sie, obwohl Sie es eigentlich anders möchten, einfach nicht die Hand geben können? Halten Sie sich eher für kontaktscheu? 32

Bin ich traumatisiert? Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Sie voller Angst sind, ohne dass Sie dafür eine rechte Erklärung haben? Vielleicht ist es Ihnen sogar schon einmal aufgefallen, wenn Sie in den Spiegel geschaut haben. Ist Ihnen schon einmal oder häufiger aufgefallen, dass Sie unbedingt immer alles unter Kontrolle haben möchten, und dass Sie sich deshalb z. B. in geschlossenen Räumen immer gern in die Nähe der Tür setzen, ja mehr noch, dass Sie es gar nicht aushalten können, wenn Sie nicht in der Nähe der Tür sind? Das sind noch keine Beweise, dass Sie unter traumatischem Stress leiden, aber die Vermutung könnte nahe liegen. Wie zeigt sich eine Traumafolgestörung? Übererregungssymptome. Bei einer Traumafolgestörung ist es typisch, dass Menschen unter Übererregungssymptomen leiden, z. B. dass sie sich ganz schnell aufregen, dass sie die Mücke an der Wand stört oder sie wie HB-Männchen schnell an die Decke gehen. Häufig ist auch, dass sie Schlafstörungen haben, dass das Herz eher schneller schlägt und der Puls bei geringer Aufregung sehr hoch geht und dass sie leicht in Streit geraten. Menschen mit einer Traumafolgestörung können sich auch schlecht an etwas leicht Erschreckendes gewöhnen. Zum Beispiel das unerwartete Klingeln des Telefons, während sie mit etwas anderem beschäftigt sind. Wenn einem so etwas das erste Mal passiert, schreckt man zusammen, wenn sich das aber wiederholt, dann gewöhnt man sich daran und schreckt infolgedessen auch nicht mehr zusammen. Anders ist das bei Menschen mit einer Traumafolgeerkrankung: Sie schrecken jedes Mal zusammen. Ihr Körper reagiert heftiger auf äußere Belastung, sogar wenn man eigentlich weiß, dass es keine ist. Vermeidungssymptome. Häufig sind auch Vermeidungssymptome: Ist es Ihnen schon aufgefallen, dass Sie ungern in Menschenansammlungen sind, dass Sie sich in Kaufhäusern unwohl fühlen und so schnell wie möglich wieder weggehen? Dass Sie überhaupt andere Menschen meiden, sich unwohl in der Nähe anderer fühlen und dass Sie eigentlich immer»mit dem Schlimmsten«rechnen und anderen nicht viel Gutes zutrauen? Deshalb gehen Sie anderen dann auch aus dem Weg? Kommt es bei Ihnen auch vor, dass Sie bestimmte Orte meiden, ohne dass Sie genau wissen, warum Sie das tun? Möglicherweise wissen Sie aber auch, da gehe ich nicht mehr vorbei, denn da hatte ich einen Unfall oder es ist sonst irgendetwas Unangenehmes dort passiert. Wichtig Machen Sie sich klar, dass Sie all diese seltsamen Dinge aus guten Gründen so tun, um sich, ohne es zu wissen, zu schützen. 33

Welche Folgen hat ein Trauma? Leider sind manche dieser Schutzbemühungen im erwachsenen Leben keine Hilfe, sondern machen einem Probleme. Dennoch sollten Sie wissen, dass es nicht günstig ist, wenn man diese Schutzmechanismen zerstört, ohne dass Sie etwas Neues, Besseres zur Verfügung haben. Seien Sie also achtsam mit sich selbst, auch indem Sie sich selbst mit allem, was Sie tun, erst einmal respektieren. Schwierigkeit, mit Ärger gekonnt umzugehen. Dieses Unvermögen ist eines der häufigsten Probleme von Menschen, die Opfer von traumatischen Erfahrungen wurden. Vielleicht, wenn Sie sich jetzt fragen:»was mache ich, wenn ich mich ärgere?«, kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie sich im Allgemeinen viel mehr aufregen, als Sie das bei anderen beobachten können. Möglicherweise haben Sie sich auch schon einmal gewundert, warum Ihnen das so viel schwerer fällt als anderen, Ärger loszulassen, sich»abzuregen«. Gefühle machen Ihnen Angst. Aber es ist nicht nur der Ärger, der Probleme macht, auch andere Gefühle könnten Sie als bedrohlich erleben und vielleicht haben Sie beobachtet, oder andere haben es Ihnen gesagt, dass Sie in Gefühlsdingen distanziert, ja sogar»kalt«wirken. Vielleicht können Sie sogar sagen, dass Ihnen alle Gefühle Angst machen. Sie können sich nicht»richtig«freuen, Sie können nicht so traurig sein wie andere. Alles, was mit Gefühlen zusammenhängt, ist Ihnen irgendwie ein»graus«. Vielleicht wünschen Sie sich manchmal, dass es anders wäre, aber Sie wissen nicht, wie Sie es anstellen sollen. Selbstzerstörerisches Verhalten. Menschen mit Traumafolgestörungen gehen oft schnell an die Decke, aber einige lassen sich nach außen nichts anmerken, sondern richten die ganze Spannung gegen sich selbst. Daraus kann dann ein Verhalten resultieren, das sich selbstdestruktiv, ja sogar als Selbsttötungswunsch äußert. Schneiden Sie sich oder verletzen Sie sich auf andere Art? Denken Sie oft an Selbstmord? Haben Sie schon einmal einen Selbsttötungsversuch unternommen? Werten Sie sich häufig ab? Flashbacks gehören zu den typischen Symptomen: Im Kopf taucht die traumatische Situation wieder auf und mit ihr die schrecklichen Bilder, die Angst, die Verzweiflung; es ist fast so, als ob man das Trauma noch einmal erlebt. 34

Welche Folgen hat ein Trauma? Wissen Woran Sie eine Traumatisierung erkennen Bei der entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung spielen folgende Faktoren eine wichtige Rolle: starke Angst bis zu Todesangst während des traumatischen ereignisses Gefühl von Hilflosigkeit während des traumatischen ereignisses oder kurz danach starke psychische Belastung, wenn sie etwas sehen oder hören, das sie an das ereignis erinnert Wellen von starken Gefühlen im Zusammenhang mit dem ereignis schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen, weil ihnen Bilder oder Gedanken über das ereignis in den sinn kommen plötzliches Wiedererleben des Traumas, als wären sie wieder in der traumatischen situation belastende Träume oder Albträume von dem ereignis Vermeiden von Gedanken an das ereignis eingeschränkte Gefühlswelt (z. B. nicht weinen können oder sich unfähig fühlen, liebevolle Gefühle zu erleben) Befürchtung schlimmer Folgen für die Gesundheit Weitere mögliche Symptome Wie steht es mit Ihrer Hingabefähigkeit? Fällt es Ihnen schwer, sich anzuvertrauen, sich fallen zu lassen? Müssen Sie viel kontrollieren, überlassen nichts dem Zufall? Bemerken Sie, dass Sie im Vergleich zu anderen wenig spontan machen, alles planen und möglichst jedes kleine Detail im Voraus wissen müssen? Machen Sie sich häufig Selbstvorwürfe? Haben Sie das Gefühl, ohnehin nichts bewirken zu können? Leiden Sie an chronischen Schuldgefühlen? Würden Sie sagen, dass Sie eigentlich dauernd depressiv sind? Haben Sie bei sich bemerkt, dass Sie immer wieder zum Opfer werden? 36 Haben Sie eventuell auch eine Tendenz an sich beobachten können, andere zu Ihren Opfern zu machen? Falls Sie vergleichen können: Haben sich Ihre Lebensüberzeugungen vollkommen verändert und gilt nichts mehr, was früher für Sie galt, sodass sie heute viel pessimistischer sind als früher? In der Regel werden all diese Dinge unbewusst geschehen. Und so unangenehm sie sich auf Sie und andere auch auswirken, dienen sie Ihrem Schutz und nur, wenn Sie bessere, gesündere Möglichkeiten entdeckt und sich damit vertraut gemacht haben, können Sie die ungesunden Verhaltensweisen dauerhaft aufgeben. Das braucht Zeit. Misstrauen und Kontrolle sind so lange nötig, bis man aufgrund besserer Erfahrungen wieder Sicherheit und Vertrauen erfährt.

Gesunde Verarbeitung eines Traumas Kehren wir zu unserem konstruierten Beispiel Ihrem Verkehrsunfall auf der engen Bergstraße zurück. Der Tee wäre ausgetrunken, jemand bringt Sie nach Hause. Wie geht es weiter? Es wird nun einige Wochen, vielleicht sogar ein paar Monate dauern, bis Sie sich wieder ganz gesund fühlen. In der nächsten Zeit werden einige Ihnen seltsam erscheinende Dinge mit Ihnen geschehen Alle diese Dinge dienen dazu, Ihr Trauma zu verarbeiten. Es ist wichtig, dass Sie sich das immer wieder bewusst machen, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Genau durch diese seltsamen Verhaltensweisen sorgt Ihr Organismus dafür, dass Sie wieder ganz gesund werden. Ihre Kräfte der Heilung und Selbstheilung sind am Werk. Es kann sein, dass Sie alle beschriebenen Selbstheilungsmerkmale erleben oder nur einige davon. Ihr Organismus wird zwei Arten von Selbstheilung erproben, diese beiden sehr unterschiedlichen Arten werden sich vermutlich immer wieder abwechseln: Intrusion. Sie werden beobachten, dass Sie immer wieder ein Bedürfnis verspüren, sich mit dem Trauma auseinanderzusetzen, dann werden Sie darüber sprechen wollen; Sie werden möglicherweise auch von dem Ereignis träumen, manchmal werden Sie blitzartig an das Ge schehene erinnert werden, ohne dass Sie das bewusst wollten. Dieses Verhalten wird auch als Intrusion bezeichnet. Konstriktion. Auf der anderen Seite werden Sie das Bedürfnis verspüren, dichtzumachen. Man soll Sie in Ruhe lassen, bloß nicht darüber reden. Dinge, die Sie an den Unfall erinnern, z. B. Bilder, werden Sie meiden wollen. Dieses Verhalten nennen Fachleute Konstriktion. Innere Auseinandersetzung. Diese sich abwechselnden Phasen der Auseinandersetzung und des Vermeidens helfen Ihnen, dass Sie irgendwann sagen können, es ist vorbei. Solange die innere Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen ist, werden Sie vermutlich nicht das Gefühl haben, dass diese Sache vorbei ist. Jedes Mal, wenn Sie daran denken oder Sie irgendetwas erinnert, wird es sich schrecklich bedrohlich anfühlen und Sie werden wahrscheinlich fast so ein Gefühl haben, als geschehe Ihnen der Unfall noch einmal. Verwirrung. Es ist auch wahrscheinlich, dass Sie sich gelegentlich verwirrt fühlen und»nicht richtig da sind«. Wenn Sie wieder richtig da sind, wissen Sie viel- 37

Welche Folgen hat ein Trauma? leicht gar nicht, wo Sie in Gedanken waren. Vielleicht sind Sie auch für eine Weile vergesslicher. Das Leben rauscht an Ihnen vorbei, und Sie haben das Gefühl, dass das nicht Ihr Leben ist. Sie fühlen sich fremd auf der Welt, wie nicht zu Hause. Fremdheitsgefühle. Vielleicht verspüren Sie manchmal ein starkes Bedürfnis nach Nähe mit anderen Menschen und wenn das so ist, sollten Sie diesem Bedürfnis unbedingt nachgeben und dann wollen Sie wieder alleine sein. Das kann ganz abrupt wechseln. Plötzlich fühlen Sie sich so fremd, dass Sie nur noch allein sein wollen. Auch diesem Bedürfnis sollten Sie nachgeben. Manche Menschen fühlen sich nach einer traumatischen Erfahrung von allen anderen so wenig verstanden, dass sie die anderen regelrecht hassen. Auch das ist verständlich und geht vorüber. Reizbarkeit. Sie werden sich als dünnhäutiger und leichter reizbar erleben, als Sie das sonst von sich kennen. Sie werden vielleicht Schweißausbrüche haben, Schlafstörungen, vermehrtes Herzklopfen. Ihr Körper wird also viele Zeichen von Stress aufweisen, die Sie so vielleicht noch nicht kannten. Panik. Wenn Sie an das Ereignis denken, werden Sie vielleicht auch ganz heftige Gefühle wie Panik und Todesangst empfinden. Oder diese Gefühle überfallen Sie, sogar ohne dass Sie etwas gedacht haben. Wichtig Sie sind nicht krank oder gar verrückt, wenn Sie die beschriebenen Symptome und Verhaltensweisen erleben. All diese Erfahrungen mögen unangenehm sein, sie dienen aber dazu, dass Sie so schnell wie möglich mit dem Trauma fertig werden. Es wäre gut, wenn Sie das immer wieder bedenken würden, und wenn Ihre Umgebung auch darüber Bescheid weiß. Unser Organismus hat Möglichkeiten zur Verfügung, sich selbst zu heilen. Je weniger wir ihn dabei stören, das heißt, ihn machen lassen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder ganz gesund werden können. Fühlen Sie sich schuldig? Wenn es kein Verkehrsunfall war, den Sie erlitten haben, sondern etwas, was Ihnen ein anderer Mensch böswillig angetan hat, dann wird es schwerer sein, mit dem Trauma fertig zu werden. Es könnte sein, dass Sie sich dann fragen, ob es an Ihnen lag, dass Ihnen das passiert ist. Was haben Sie falsch gemacht? Viele Traumaopfer geben sich die Schuld. Dieses scheinbar absurde Verhalten hat aber auch einen gewissen Sinn. Wenn wir schuld sind, dann könnten wir ja etwas machen, das heißt, ohnmächtig wären wir dann nicht. So ist das Sich-die-Schuld-Geben also in 38

Gesunde Verarbeitung eines Traumas gewisser Weise ein Schutz, allerdings kein sehr gesunder. Es könnte sogar sein, dass Sie als Opfer des Verkehrsunfalls sich für eine Weile fragen, ob Sie nicht doch hätten langsamer fahren sollen obwohl Sie wissen, dass Sie ohnehin nur 20 Stundenkilometer gefahren sind. Auch Schamgefühle kommen häufig vor Traumaopfer schämen sich auch oft, so als hätten sie etwas falsch gemacht, sich schlecht benommen. Menschen, die traumatisiert wurden, äußern sich deshalb darüber häufig in Gesprächen mit professionellem Kontext nicht. Häufig eben aus Scham, insbesondere dann, wenn es sich um sexualisierte Gewalterfahrungen handelt. Auch Schuldgefühle können eine Rolle spielen, wenn man sich nicht traut, über traumatische Erfahrungen zu sprechen. Ein weiterer Grund kann sein, dass die traumatische Erfahrung für normal gehalten wird; so vor allem die Erfahrung von Gewalt, insbesondere unter Männern. Sie gilt in unserer Gesellschaft bei vielen noch als so selbstverständlich, dass sie nicht als traumatisierend verstanden wird. Viele wissen auch nicht, dass Gewalt gegen Kinder, insbesondere, wenn diese sehr klein sind, verheerende Folgen haben kann und dass Gewalt heute als eine Form der Traumatisierung verstanden wird. Nicht bagatellisieren Je mehr man denkt, dass das, was einem widerfährt,»normal«ist, desto eher wird man sich dafür schämen oder schuldig fühlen. Tatsächlich sind aber Traumata etwas, das niemals»normal«ist. So, wie ein Orkan auch nicht die Regel ist, sondern eine seltene Ausnahme. Und: Menschen können mit den Verwüstungen, die ein Orkan anrichtet, fertig werden, doch dazu brauchen sie Zeit. Was wir Ihnen bis jetzt beschrieben haben, ist also eine normale Form der Verarbeitung. Sie sind nicht krank, wenn Sie die oben beschriebenen Anzeichen bei sich beobachten. Es sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse. Wie erklärt man es Kindern? Gerade Eltern beschäftigt die Frage, inwieweit sie Ängste, Misstrauen, Schuldgefühle oder Vermeidungsverhalten auf ihre Kinder übertragen. Hilfreich sind dabei eine gute Selbstwahrnehmung des eigenen Verhaltens und die Realitätsüberprüfung. Wenn Sie bei sich selbst etwas als Störung wahrnehmen, kann ein offener Umgang gegenüber vertrauten Menschen entlastend sein. In Abhängigkeit vom Alter des Kindes können Sie erklären, wie es Ihnen gerade geht, warum Sie sich zurückziehen möchten, was Sie gerade brauchen. Wichtig ist, die Verantwortung nicht auf das Kind zu übertragen. Wenn Sie z. B. merken, dass Sie reizbar oder gedrückt sind, sprechen Sie es aus. Machen Sie Ihrem Kind gleichzeitig klar, dass es für Ihren Zustand nicht verantwortlich ist und keine Schuld daran hat. Lernen Sie Ihre Bedürfnisse kennen, wenn es Ihnen schlecht geht, und teilen Sie diese mit. Damit ersparen Sie Ihren Angehörigen Gefühle von Schuld oder Hilflosigkeit, die deutlich belastender 39

Welche Folgen hat ein Trauma? sind, als Sie mit Ihren jeweiligen Gefühlen anzunehmen. Holen Sie sich therapeutische Unterstützung. Sie übernehmen damit Verantwortung für sich selbst, was für Ihre sozialen Beziehungen ein gutes Modell ist. Was tun bei akuten Traumafolgestörungen? Akute Belastungsreaktion. Eine akute Belastungsreaktion ist eine vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad, die sich als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung entwickelt und im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die Symptome können sehr verschieden sein. Typischerweise beginnen sie mit einer Art»Betäubung«, einer Art innerer Lähmung mit einer gewissen Bewusstseinseinengung (Konstriktion). Diesem Zustand kann ein weiterer Rückzug aus der aktuellen Situation folgen, aber auch ein Unruhezustand und Überaktivität. Meist treten Zeichen der vegetativen Übererregung wie panische Angst, Herzrasen, Schweißausbrüche und Zittern auf. Es kann eine teilweise oder vollständige Amnesie (Erinnerungsverlust) für das Ereignis vorliegen. Nach dem anfänglichen Zustand von Betäubung werden Depression, Angst, Verzweiflung, Überaktivität und Rückzug beobachtet. Das Risiko für die Entwicklung von Störungen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es ist erhöht bei gleichzeitiger körperlicher Erschöpfung und körperlichen Erkrankungen (v. a. im höheren Alter). Bewältigungsmechanismen. Schützend wirken Bewältigungsmechanismen (Coping-Strategien), wenn sie verfügbar sind. Dazu gehören soziale Unterstützung und persönliche Ressourcen, wie z. B. die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen. Zuerst muss gewährleistet sein, dass sich der Betroffene äußerlich in Sicherheit befindet, d. h. die reale Bedrohung nicht weiter besteht. Körperliche und seelische Stabilisierung. Nach dem akuten Ereignis geht es um die körperliche und seelische Stabilisierung. Körperliche Stabilisierung heißt, für genügend Schlaf und Entlastung zu sorgen, sich ausgewogen zu ernähren und schädliche Substanzen (z. B. Alkohol, Drogen, aber auch vermehrten Kaffee- und/ oder Nikotinkonsum) zu vermeiden. Unter Umständen kann auch eine medikamentöse Unterstützung sinnvoll sein, um eine anhaltende Stressreaktion zu verhindern. Seelische Stabilisierung beinhaltet die Möglichkeit, über das Erlebte zu sprechen und die Geschehnisse in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen (Was ist passiert? Was habe ich gefühlt? Was habe ich gedacht? Wie habe ich reagiert?). Ziel ist die Orientierung im Hier und Jetzt mit der Gewissheit, dass es vorbei ist. 40