Workshop 3: Leichte Sprache Projekt: Übersetzung von Verwaltungsakten in Leichte Sprache Inklusionskataster: Veranstaltung über das Inklusionsstärkungsgesetz NRW 22. Mai 2017 Annika Nietzio Agentur Barrierefrei NRW Tel: 02335 / 96 81-29 E-Mail: leichte-verwaltung@ftb-esv.de
Über mich... Annika Nietzio (Dipl. Mathematikerin und Sprachwissenschaftlerin) Forschungsinstitut Technologie und Behinderung Teil der Evangelischen Stiftung Volmarstein Forschung und Beratung über Barrierefreiheit, assistierende Technologie, universelles Design Büro für Leichte Sprache Volmarstein Übersetzung von Texten in Leichte Sprache Schulungen und Beratung Agentur Barrierefrei NRW Beratung für Städte und Gemeinden in NRW Informationsmaterialien und gute Beispiele Modellprojekt Übersetzung von Verwaltungsakten in Leichte Sprache (Nov 2015 bis Okt 2018)
Modellprojekt: Verwaltungsakte in Leichter Sprache Modellprojekt im Kontext der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Förderung der Verbreitung von Verwaltungsinformationen und Verwaltungsakten in Leichter Sprache in Nordrhein-Westfalen. Laufzeit: November 2015 bis Oktober 2018 gefördert von der Stifung Wohlfahrtspflege NRW Projektbeteiligte: Evangelische Stiftung Volmarstein Lebenshilfe Büro für Leichte Sprache Ruhrgebiet ggmbh Idema Gesellschaft für verständliche Sprache mbh Stadt Bochum Ennepe-Ruhr-Kreis Stadt Paderborn
Erfahrungen aus dem bisherigen Projektverlauf Projektdokumentation (März 2017): Briefe vom Amt in Leichter Sprache: Wie geht das? www.ftb-esv.de/newsbriefeleichtesprache.html
Projektziele Menschen mit Lernschwierigkeiten erhalten Verwaltungsakte in Leichter Sprache. Der komplette Verwaltungsakt wird in Leichter Sprache bereitgestellt: Informationen, Antrag und Bescheid. Menschen mit Lernschwierigkeiten arbeiten als Experten in eigener Sache im Projekt mit. Kommunalen Verwaltungen beziehen Leichte Sprache in Verwaltungsabläufe ein. Fortbildungen zur Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Arbeitsgruppen entwickeln Texte in Leichter Sprache.
Ablauf einer kommunalen Arbeits-Gruppe
Arbeitsgruppe 1 Thema: Fahrdienst für Menschen mit Behinderungen Vier Arbeitstreffen: Einführung Leichte Sprache und Sichtung der vorhandenen Texte Gemeinsame Arbeit an einem Info-Heft Treffen mit Prüfern und Prüferinnen für Leichte Sprache Vorstellung und Diskussion der Materialien in Leichter Sprache Ergebnis: Drei Texte in Leichter Sprache Info-Heft Antrag Textbausteine für Briefe und Bescheide Teilnehmende der AG: Stadt Bochum und EN-Kreis Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Beispiel: Antrag Fahrdienst Vorher Nachher Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Arbeitsgruppe 1 Was war besonders wichtig? Beteiligung von Menschen mit Lernschwierigkeiten: Aha-Effekt (Für wen sind die Texte in Leichter Sprache?) Austausch der Mitarbeitenden aus den verschiedenen Verwaltungen: Von einander lernen. Genug Zeit für die Klärung der Inhalte: Damit die Informationen in Leichter Sprache sachlich richtig sind. Vereinfachung des Verfahrens: Erkenntnis, das einige Fragen aus dem Antragsformular nicht benötigt werden.
Weitere Projektziele Die Anbieter von Leichte Sprache entwickeln Konzepte für großflächige Verbreitung von Leichter Sprache. Erfahrungen zu fachlichen Fragestellungen. Konzept für die Ausweitung auf ganz NRW Die Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts werden aufbereitet und landesweit präsentiert. Veranstaltungen und Webportal zur Präsentation der Projektergebnisse Rückmeldung an die Landesbehindertenbeauftragte, das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, sowie weitere zuständige Landesministerien und Gremien.
Textsorten Info-Heft Antragsformular Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Eine kleine Übung Für den Fall eines Antrags im Hinblick auf eine durch Unfall oder längere Krankheit bedingte Nicht-Teilnahme am Unterricht für eine Dauer von sechs Wochen oder mehr füge ich ein ärztliches Attest bei. Wie könnte man diese Abfrage in Leichter Sprache formulieren? Tipp: Relevante Regeln der Leichten Sprache Nominalisierungen vermeiden, Verben verwenden. Kurze Sätze verwenden. (Zeitliche) Reihenfolge beachten.
Empfehlungen für Antragsformulare Abfragen in Form eines Dialogs (Fragen verwenden). Nur ein Sachverhalt pro Frage. Zusätzliche Anweisungen zum Ausfüllen. Auf (rechtliche) Konsequenzen hinweisen. Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Textsorte: Bescheid Ein juristischer Text soll verständlich, zugleich aber auch unmissverständlich sein, zwei Eigenschaften, die leicht im Widerstreit stehen. Das haben wir uns angesehen: Rechtssprache und Verwaltungssprache Vorgehensweise der bürgernahen Verwaltungssprache Ansätze aus anderen Ländern bzw. Bundesländern bisherige Erfahrungen des Modellprojekts Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Rechtssprache Zielgruppe: Rechtsanweder (Juristen, Behörden, Fachleute) Form: fachsprachlich, abstrakt und manchmal vage Ziel: Entscheidungen der Rechtsanwender anleiten Abstrakte Normen beantworten nur abstrakte Rechtsfragen. Anhand des Wortlauts eines Gesetzes kann der Betroffene nicht unbedingt die Bedeutung für im Einzelfall verstehen. Verwaltungssprache Zielgruppe: Bürger, Empfänger eines Verwaltungsakts Form: fachsprachlich, sachbezogen, neutral Ziele: Stil signalisiert oft Distanz zwischen Behörde und Bürger (Obwohl das nicht nötig ist.) Sinnvoll sind verständnisfördernde Struktur und erläuternde Zusätze Sinnvermittlung an die Betroffenen gerichtsfeste Begründung der Entscheidung
Verwaltungssprache: Typische Merkmale und Verbesserungsmöglichkeiten komplexe Sachverhalte Leicht verständlich erklären situative Dimension Empfänger des Briefs ist bekannt. diskursive und funktionale Dimension Zusammenhang und Absicht des Briefes sind vorgegeben. fehlende inhaltliche Struktur und optische Gliederung Klar erkennbare Struktur verwenden, Gestaltung des Layouts schwer verständliche Formulierungen Überholte Ausdrücke durch bekannte ersetzen fernmündlich = telefonisch Ablichtung = Kopie Abkürzungen und Querverweise vermeiden i.v.m. = in Verbindung mit o.g. = oben genannte(r) Passivformulierungen vermeiden Eine Aussagepflicht in der Sache besteht nicht. Bilder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., llustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.
Verwaltungssprache: Typische Merkmale und Verbesserungsmöglichkeiten schwer verständliche Formulierungen Nominalstil vermeiden: Hinsichtlich der Abfalltrennung und Entsorgung der bei Ihnen anfallenden Abfälle haben Sie die Möglichkeit, die Getrennthaltung am Entstehungsort besser zu organisieren und umzusetzen. Sie haben unterschiedliche Möglichkeiten, die Abfälle, die bei Ihnen anfallen, zu trennen. Wiedergabe abstrakten Gesetzeswortlauts vermeiden: Nach 117 handelt jemand ordnungswidrig, der ohne berechtigten Anlass Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen. Wenn Sie als Halter es zulassen, dass andere Personen durch das Bellen Ihres Hundes erheblich belästigt werden, begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit ( 117 ). Quelle: Idema Gesellschaft für verständliche Sprache mbh
Fachsprache und Jargon Achtung: Juristische Fachbegriffe kommen aus der deutschen Sprache. Die Begriffe haben aber eine andere Bedeutung als im allgemeinen Sprachgebrauch. Beispiel (Fachsprache): Besitz Eigentum Unterschied von Jargon und Fachsprache: Wörter im Jargon sehen so aus wie Fachbegriffe, sind es aber nicht. Beispiel (Jargon): entrichten = bezahlen Beispiel (Fachsprache): Widerspruch einlegen widersprechen Wörter im Jargon können durch andere Wörter ersetzt werden. Fachbegriffe können nicht ersetzt werden. Die meisten schwer aussehenden Wörten sind Jargon und können durch einfache, bekannte Wörter ersetzt werden. Quelle: Idema Gesellschaft für verständliche Sprache mbh
Oberösterreich Landesgesetz betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen (2015) 24 (5) Bescheide sind jedenfalls in einer leicht verständlichen Form bzw. auf Wunsch des Menschen mit Beeinträchtigungen oder dessen Vertretung oder bei entsprechendem Bedarf in einer darüber hinaus besonders leicht lesbaren Form zu verfassen. Die dabei zu verwendenden Standards sind auf der Homepage des Landes Oberösterreich sowie bei jeder Bezirksverwaltungsbehörde zur Einsicht bereitzuhalten.
Oberösterreich: Umsetzung Beginn des Vorhabens Bescheide in LL : 2010 Bezeichnung in Österreich: LL = Leicht Lesen KI-I (Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen In Abstimmung mit der Landesverwaltung (Abteilung Soziales) Erstellung von Musterbescheiden Fragestellung: Welche Bestandteile eines Bescheids sind unabdingbar? Welche Bestandteile sind verzichtbar? Ergebnisse: Alle Bescheide werden in LL B1 erstellt. auf besonderen Wunsch in LL A2 Datenbank mit Textbausteinen
Handreichung aus Baden-Württemberg Empfehlung: Verfassen Sie zu rechtssicheren Dokumenten in Standardsprache jeweils Begleitschreiben in Einfacher und Leichter Sprache. Machen Sie kenntlich, dass es sich dabei um ein Begleitschreiben zur besseren Verständlichkeit handelt, das keine rechtliche Gültigkeit hat. In Zukunft: Die Übersetzung von rechtssicheren Dokumenten in Leichte Sprache stellt momentan eine große Herausforderung dar, welcher sich Leichte Sprache jedoch sukzessive stellen muss, um ein noch höheres Maß an Akzeptanz und Relevanz zu erfahren. https://sozialministeriu m.baden-wuerttemberg.de/ fileadmin/redaktion/m-sm /intern/downloads/publik ationen/handreichung_lei chte-sprache-in-der-verw altung_barrierefrei.pdf
Erfahrungen des Modellprojekts Probleme bei der Übertragung in Leichte Sprache: Umgang mit (Fach-)Wörtern zu ungenau a) Erhebt eine andere Person für Sie den Widerspruch? Dann muss die andere Person auch die Frist einhalten. b)sollte die Frist durch das Verschulden eines von Ihnen Bevollmächtigten versäumt werden, so würde dessen Verschulden Ihnen angerechnet werden. zu spezifisch a) einen Brief schreiben b) schriftlich Vorgehensweise: Fachwörter erkennen und erklären.
Textsorte: Beigefügte Erläuterungen in Standardsprache bereits eingesetzt, z.b. als Ausfüllhilfe für Antragsformulare. gesetzliche Vorgabe (BGG NRW und Bund) teilweise in der Fachliteratur zur Leichten Sprache empfohlen Beispiele: Auf den Blättern nach diesem Brief steht der Bescheid auch in schwerer Sprache. Das muss so sein. Wir müssen Regeln beachten, wenn wir jemandem Geld geben. Das ist Leichte Sprache. In Leichter Sprache erklären wir die wichtigsten Dinge. Aber nur das Original dokument ist gültig.
Erläuterungen in Leichter Sprache: Verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung Allgemeines Begleitschreiben (online abrufbar) Die Begleitschreiben können dem Originaldokument beigefügt oder online zur Verfügung gestellt werden. Ein niedrigschwelliger Zugang für Bürgerinnen und Bürger ist somit gewährleistet. (Handreichung Baden-Württemberg) [+] Allgemeine Erkläuterungen zum Inhalt. [+] Muss nur einmal erstellt werden. [+] Bürger entscheiden selbst, ob sie den Text in Leichter Sprache lesen möchten. [-] Bürger müssen sich den Text in Leichter Sprache selbst beschaffen. [-] Sie brauchen einen Internet-Zugang. [-] Nur bedingt zur Erläuterung individueller Bescheide geeignet.
Erläuterungen in Leichter Sprache: Verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung Wörterbuch zur Erklärung wichtiger Fachbegriffe Sie können Fachbegriffe in einem Glossar im Anhang des Dokuments ( ) erklären. Wenn Sie das tun, sollten Sie im Text jedoch auf das Glossar hinweisen. (Handreichung Baden-Württemberg) [+] Einfach wiederverwendbar. Das Wörterbuch muss nur einmal erstellt werden. [+] Bürger entscheiden selbst, ob sie eine Erklärung in Leichter Sprache lesen möchten. [-] Vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten ist der Umgang mit Wörterbüchern nicht vertraut. [-] Aus einzelnen Worterklärungen lässt sich noch nicht der Inhalt des gesamten Texts erschließen.
Erläuterungen in Leichter Sprache: Verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung Übersetzung des individuellen Bescheids in Leichte Sprache. Verfassen Sie zu rechtssicheren Dokumenten in Standardsprache jeweils Begleitschreiben in Leichter Sprache. Machen Sie kenntlich, dass es sich dabei um ein Begleitschreiben zur besseren Verständlichkeit handelt, das keine rechtliche Gültigkeit hat. (Handreichung Baden-Württemberg) [+] Begleitschreiben geht auf die Situation des Empfängers ein. Keine kognitive Transferleistung nötig! [-] Mehr Aufwand für die öffentliche Verwaltung. Dieser lässt sich reduzieren durch: Verwendung von Textbausteinen Entwicklung von rechtssicheren Formulierungen in Leichter Sprache [?] Wer entscheidet, ob ein Bescheid in Leichter Sprache versendet wird?
Ausblick und Diskussion Was wollen wir noch herausfinden? 1. Empfehlungen für Textsorte Bescheid 2. Rechtsverbindlichkeit der Texte in Leichter Sprache 3. Umgang mit beigefügten Erläuterungen 4. Bereitstellung von Dokumenten in Leichter Sprache 5. Übertragbarkeit
Vielen Dank fürs Zuhören Falls Sie noch Fragen haben... Annika Nietzio Agentur Barrierefrei NRW Tel: 02335 / 96 81-29 E-Mail: leichte-verwaltung@ftb-esv.de Die Bilder in dieser Präsentation sind von: Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.v., Illustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013.