Nützlichkeit und Akzeptanz einer automatischen Programmwahl in Hörgeräten

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Michael Büchler Nützlichkeit und Akzeptanz einer automatischen Programmwahl in Hörgeräten Studie zur Programmwahl-Automatik 1

Einführung Hörgeräteträger sind im Alltag den verschiedensten Geräuschsituationen ausgesetzt. Ruhige Umgebungen wechseln sich ab mit Lärm, und die Anforderungen des Schwerhörenden an seine Hörgeräte sind entsprechend vielfältig. Bei herkömmlichen Hörgeräten erfolgt die Anpassung an die individuelle Schwerhörigkeit aufgrund audiometrischer Daten wie des Audiogramms oder der Lautheitsskalierung. Die benötigte akustische Verstärkung im jeweiligen Frequenzbereich wird nach einer Formel berechnet (DSL, NAL usw.). Eine einzige Einstellung des Hörgerätes soll so allen Hörbedingungen genügen. Damit ist die resultierende Anpassung sicher ein Kompromiss, der nicht bei allen Geräuschumgebungen und Signalcharakteristiken optimal ist. Verschiedene Studien zeigen, dass die optimale Einstellung des Frequenzganges und der Kompressions- Parameter von der Geräuschumgebung und der Charakteristik des Nutzsignals abhängen und oft andere Einstellungen als die über die Anpassregel gefundenen bevorzugt werden (Byrne 1986; Fabry und Stypulkowski 1992; Punch et al. 1994; Kuk 1994; van Dijkhuizen et al. 1991). allen Situationen eine möglichst hohe Sprachverständlichkeit zu ermöglichen. Für ruhige Situationen ohne Hintergrundlärm wird von der Programmwahlautomatik das erste Programm und für Sprache im Störgeräusch das zweite Programm aktiviert. Das zweite Programm zielt durch den Einsatz adaptiver Richtmikrofontechnik, Störgeräuschunterdrückung und von geeigneten Frequenzgangs- und Kompressionsparametern auf eine Erhöhung der Sprachverständlichkeit in schwierigen Hörsituationen. Die im Test-Hörgerät realisierte automatische Programmumschaltung beruht auf einer ursprünglich von Kates (1995) vorgeschlagenen Analyse von vier unterschiedlichen Merkmalsdimensionen, die zu einer Charakterisierung des Eingangssignals beitragen: 1. Gesamteingangspegel 2. Fluktuation des Gesamtpegels 3.»Mittlere Frequenz«des Signals im Spektrum (spektraler Schwerpunkt) 4. Spektrale Fluktuation des Signals (Schwankungsstärke des spektralen Schwerpunktes). Ziel einer modernen Hörgeräteversorgung ist die Verbesserung des Sprachverstehens und des Hörkomforts in beliebigen akustischen Situationen. In ruhiger Umgebung beurteilen schwerhörige Menschen das Hören und Verstehen mit fast allen Hörgeräten überwiegend als gut (z. B. Kochkin 1996). In lärmbehafteten Situationen dagegen wird das Verstehen mit sehr vielen Hörgerätetypen eher negativ beurteilt (z. B. Killion 1997). Der Einsatz von Richtmikrofonen und Multi-Mikrofon-Technologie zur Verbesserung des Signal-Rausch-Abstands hat sich in Störgeräuschsituationen bisher als die erfolgreichste Strategie erwiesen (Kochkin 1996; Ricketts 2000; Pumford 2000). Zusätzlich können in digitalen Hörgeräten komplexe Störgeräuschreduktions-Algorithmen eingesetzt werden, um das Sprachverstehen in störgeräuschbehafteter Umgebung zu verbessern und/oder den Hörkomfort zu erhöhen (Weiss 1993; Marzinzik 2000; Dillion und Lovegrove 1993). In modernen Hörgeräten können verschiedene Hörprogramme implementiert werden, um eine der jeweiligen Situation angemessene Signalverarbeitung zu ermöglichen. Allerdings muss der Hörgeräteträger bei herkömmlichen Mehr-Programm-Hörgeräten selbstständig die akustische Hörsituation beurteilen und entscheiden, welches Programm für diese Situation optimal ist, um dann per Schalter am Hörgerät oder über eine Fernbedienung in das entsprechende Programm umzuschalten. Digitale Hörtechnologie ermöglicht eine laufende Analyse des Eingangssignals und eine entsprechende Anpassung der Verarbeitungsstrategie. Der so genannte AutoSelect-Modus des in dieser Studie untersuchten Hörgerätes bewirkt je nach akustischer Situation ein automatisches Umschalten zwischen zwei Programmen. Ziel dabei ist, in Dipl.-Ing. Michael Büchler wurde 1967 in Zürich geboren. Er diplomierte 1994 als Elektroingenieur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, ETH Zürich. Von 1994 bis 1997 arbeitete er als Entwicklungsingenieur und Projektleiter für Microcontrollersysteme bei einem renommierten schweizerischen Unternehmen für Elektroinstallationstechnik. Darauf verbrachte er ein Jahr bei Phonak im Bereich Forschung und Entwicklung, wo er sich im Rahmen eines EU-Projektes mit Algorithmen für die Störgeräuschbefreiung befasste. Seit 1998 ist er im Labor für experimentelle Audiologie des Universitätsspitals Zürich tätig und schreibt dort eine Dissertation zum Thema»Gehörgerechte Geräuschklassifizierung«. 2

Diese vier Signaleigenschaften werden von der Programmwahlautomatik überwacht, und das Test-Hörgerät wechselt zwischen den Programmen, wenn alle vier Größen in einer akustischen Situation vordefinierte Kriterien erfüllen. Das Ziel der implementierten Geräusch- Klassifikation ist es, Sprache im Störgeräusch von allen anderen akustischen Hörsituationen zu unterscheiden. Da sowohl die Geräuschsituationen im Alltag als auch die individuellen Hörwünsche der Hörgeräteträger sehr vielfältig sein und letztere nicht vom Hörgerät»erahnt«werden können, ist nicht zu erwarten, dass der AutoSelect-Modus in jeder Situation»richtig«umschaltet. Aus diesem Grund kann zwischen den Programmen optional auch manuell über einen Schalter am Hörgerät oder mit einer Fernbedienung gewechselt werden. Mit Hilfe eines Fragebogens und anhand subjektiver Aussagen der Versuchsteilnehmer wurde in der vorliegenden Studie geprüft, ob der AutoSelect-Modus im Alltag wie gewünscht zwischen den Programmen umschaltet und ob er von den schwerhörigen Probanden als hilfreich empfunden wird. Methodik 22 Personen mit mittelgradigem Hörverlust (19 Männer und 3 Frauen) nahmen an der Studie teil. Sie wurden im Rahmen von Hörgeräteanpassungen bei verschiedenen Schweizer Hörgeräte-Akustikern mit Claro-Hörgeräten versorgt. Der Altersdurchschnitt lag bei 63 Jahren. Etwa die Hälfte der Versuchsteilnehmer war berufstätig, die andere Hälfte im Ruhestand. Sieben Personen wurden mit Claro 211 daz HdO-Geräten versorgt, 13 Personen mit Claro 21 daz IdO und 2 mit Claro 22 (im-kanal). Die Geräte verfügen über unterschiedliche Hörprogramme. Programm 1 ist abgestimmt für Sprachverstehen in Ruhe. In Programm 2 kommen eine adaptive Richtmikrofon-Technologie, eine Störgeräuschunterdrückung und modifizierte Frequenzgangs- und Kompressionsparameter zum Einsatz, um ein besseres Sprachverstehen in störgeräuschbehafteten Situationen zu erreichen. Während der Hörgeräteanpassung wurde den Versuchspersonen der Unterschied zwischen beiden Programmen und die Funktionsweise des AutoSelect-Modus erklärt. Zum Zeitpunkt der Anpassung war den Hörgeräte-Akustikern nicht bewusst, dass diese Personen an einer Studie teilnehmen werden. Aus diesem Grund wurden die Versuchsteilnehmer nicht systematisch anders behandelt und angewiesen als alle anderen Kunden. Die Teilnehmer der Studie hatten die freie Wahl, in ihrem Alltag den AutoSelect-Modus zu benutzen, der eine automatische Programmwahl der Hörgeräte bewirkt, oder das jeweils gewünschte Programm manuell zu wählen. Die Versuchspersonen testeten die Hörgeräte über einen Zeitraum von 2 bis 10 Wochen im Alltag. Im Anschluss wurden die Erfahrungen der Versuchsteilnehmer mit der automatischen Programmwahl mit Hilfe eines Fragebogens erfasst. Im Fragebogen konnten die Probanden den Umschaltvorgang, die Programmwahl sowie die generelle Nützlichkeit der Programmwahlautomatik beurteilen. Nachfolgend der Aufbau des Fragebogens. Fragebogen Umschaltvorgang Wird der Umschaltvorgang wahrgenommen? Wie ist die Umschalthäufigkeit? Schaltet das Gerät um, wenn man es von ihm erwartet? Programmwahl Ist die Programmwahl der Situation angepasst? Wann ist die Programmwahl eher falsch? Nützlichkeit Wie nützlich ist die automatische Programmwahl? Bei den Fragen wurden Skalen mit 5 bis 7 Kategorien als Antwortmöglichkeit verwendet, z. B. nicht nützlich wenig nützlich etwas nützlich ziemlich nützlich sehr nützlich. Bei der Frage nach Situationen, in denen die Programmwahl eher falsch ist, wurden 10 verschiedene Situationen vorgegeben. Zusätzlich konnten die Versuchspersonen individuelle Kommentare abgeben. Ergebnisse Die Auswertung der Befragung ergibt folgende Resultate: Abb. 1 Hören Sie den Umschaltvorgang? Nehmen Sie den Umschaltvorgang wahr? Der Umschaltvorgang wird von etwa zwei Dritteln der Probanden regelmäßig wahrgenommen, womit die Voraussetzung gegeben ist, dass von diesen Probanden die Umschalthäufigkeit und der Umschaltzeitpunkt beurteilt werden können. 3

Schaltet das Gerät um, wenn man es von ihm erwartet? Für mehr als die Hälfte der Probanden schaltet das Gerät oft, meistens oder immer um, wie erwartet. Für die übrigen wirkt der Umschaltzeitpunkt eher zufällig. Dies hängt einerseits mit der Trägheit des Systems zusammen (der Klassifikationsalgorithmus muss vor dem Umschalten mindestens 10 Sekunden lang eine akustische Situation identifizieren, um ein zu schnelles Hinund Herschalten zu vermeiden), andererseits mit den deutlichen individuellen Unterschieden der Erwartungen an die Programmwahl in bestimmten akustischen Situationen (siehe Abbildung 3). Ist die Programmwahl der Situation angepasst? Die große Mehrheit der Probanden empfindet, dass die automatisch getroffene Programmwahl oft, meistens oder immer der jeweiligen Situation angepasst ist. Abb. 2 Wie empfinden Sie die Umschalthäufigkeit? Wie empfinden Sie die Umschalthäufigkeit? Die Umschalthäufigkeit wird individuell sehr verschieden wahrgenommen. Für die Mehrheit der Versuchsteilnehmer liegt sie jedoch in einem annehmbaren Rahmen. 74 % aller Teilnehmer empfinden die Umschalthäufigkeit als»gerade recht«,»etwas oft«oder»etwas träge«. Für die restlichen 26 % war die Umschalthäufigkeit»zu selten«oder»zu häufig«. Die Möglichkeit einer Anpassung der Umschalthäufigkeit des Systems an die Wünsche der Nutzer wäre sicherlich sinnvoll, um ihren individuellen Vorlieben besser gerecht zu werden. Wann erscheint die Programmwahl eher falsch? Im Wesentlichen können drei Situationen identifiziert werden, in denen die automatische Programmwahl nicht immer den Wünschen der Versuchsteilnehmer entspricht: Dialog im Lärm In dieser Situation wird die Programmautomatik Programm 2 mit adaptivem Richtmikrofon und Störgeräuschunterdrückung wählen. Einige Versuchspersonen schätzen es, wenn nur die Sprache derjenigen Person verstärkt wird, die man anschaut. Andere sind damit unzufrieden, weil sie unter Umständen verpassen, was andere Sprecher sagen. In dieser Situation wird auch eine perfekte Klassifikation die jeweiligen Wünsche der Hörgeräteträger nicht»erahnen«können. Abb. 4 Ist die Programmwahl der Situation angepasst? Abb. 3 Schaltet das Gerät um, wenn man es von ihm erwartet? 4

Straßenlärm Im reinen Störgeräusch ohne Sprecher sollen adaptives Richtmikrofon und Störgeräuschunterdrückung nicht aktiviert werden. Dadurch wird gewährleistet, dass gerade im Straßenlärm wichtige Geräusche wie herannahende Fahrzeuge wahrgenommen werden. Der Nachteil ist, dass auch viele»unnötige«geräusche gehört werden, die von einigen Nutzern eher als störend empfunden werden. Ähnlich wie bei der Situation»Dialog im Lärm«sind auch hier die Bedürfnisse individuell unterschiedlich. Zusammenfassung und Diskussion Der Nutzen und die Akzeptanz einer automatischen Programmwahl in Hörgeräten aus der Sicht der Hörgeräteträger wurden untersucht. Insgesamt zeigte sich, dass der AutoSelect-Modus im Claro-Hörgerät von einer klaren Mehrheit der Versuchsteilnehmer als nützlich empfunden wird. Die jeweilige Programmwahl wird dabei überwiegend als angemessen beurteilt. Musik und Gesang Das System weist für diese Situationen eine noch mangelnde Robustheit auf. Musik wird teilweise als Sprache im Störgeräusch gewertet. Eine Aktivierung von adaptivem Richtmikrofon und Störgeräuschunterdrückung ist bei Musik nicht angebracht. Eine zuverlässigere Unterscheidung zwischen Sprache im Störgeräusch und Musik wäre wünschenswert. Wie nützlich ist die automatische Programmwahl? Zusammengenommen empfinden drei Viertel der Probanden die Automatik als ziemlich nützlich oder sehr nützlich, und nur zwanzig Prozent verzichten lieber darauf. Somit wird die automatische Programmwahl als eine wertvolle und geschätzte Funktion empfunden. Dieses Ergebnis ist im Einklang mit der Einschätzung der Versuchsteilnehmer, dass die automatische Programmauswahl mehrheitlich der jeweiligen Situation angepasst ist (siehe Abbildung 5). Abb. 6 Wie nützlich ist die automatische Programmwahl? Hinsichtlich der Umschalthäufigkeit des Systems waren die Beurteilungen der Versuchsteilnehmer individuell deutlich unterschiedlich. Einigen Teilnehmern schaltete die Programmautomatik zu häufig um, anderen zu selten. Eine Einstellbarkeit der Schwellenkriterien wäre an dieser Stelle sinnvoll, um den AutoSelect-Modus besser an den Geschmack des individuellen Hörgeräteträgers anzupassen. Abb. 5 Wann erscheint die Programmwahl eher falsch?»dialog im Störlärm«wurde relativ häufig als Situation genannt, in der das von AutoSelect gewählte Programm nicht mit dem Wunsch der Versuchsteilnehmer übereinstimmt. Durch eine genaue Analyse der akustischen Parameter in dieser Situation und eine nachfolgende Optimierung der Programmwahl-Automatik könnten möglicherweise Verbesserungen erzielt werden. Die Beschreibung»Dialog in Störlärm«trifft jedoch auf eine Vielzahl akustisch unterschiedlicher Situationen im Alltag zu, und die Übergänge zu anderen Situationen sind fließend. Entsprechend schwierig ist eine klare Abgrenzung. Aber selbst eine perfekte Klassifikation der akustischen Situation löst nicht das»problem«des individuellen Geschmacks oder Hörwunsches. Welches Programm jeweils bevorzugt wird, hängt auch davon ab, ob der Schwerhörende gerade aktiv zuhören muss und dabei eine möglichst hohe Sprachver- 5

ständlichkeit von vorne erforderlich ist oder ob beispielsweise auch Schall von der Seite und hinten gut wahrgenommen werden soll. Beispielhaft dazu der Kommentar eines Mannes, der ein Umschalten im Straßenlärm beim Gespräch mit einer Begleitperson nicht wünscht: Wenn beide Personen nebeneinander gehen, ist eine Unterdrückung des Seitenschalls nicht angebracht. Insbesondere in solchen Situationen ist eine manuelle Programmwahl weiterhin eine sinnvolle Ergänzung zur Programmwahl- Automatik. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie beruhen auf den Angaben von Personen, denen im Rahmen von normalen Hörgeräteversorgungen Claro-Hörgeräte angepasst wurden. Die Untersuchungen fanden weder unter speziellen Laborbedingungen statt, noch wurden die Teilnehmer in irgendeiner Weise gesondert trainiert oder angewiesen. Daher spiegeln die Resultate recht gut die tatsächlichen Erfahrungen mit der Programmwahl-Automatik im normalen Alltag wider. Andere Studien zum AutoSelect- Modus wurden unter klinischen Bedingungen durchgeführt (Gabriel 2001; Boretzki et al.; 2001). Die Versuchspersonen wurden speziell für diese Studien mit Claro Geräten versorgt und in einer zwei- bis dreiwöchigen Trainingsphase darauf sensibilisiert, die beiden Programme sicher zu unterscheiden. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen dennoch eine große Übereinstimmung mit den hier vorgestellten Resultaten, sowohl was die Angemessenheit der automatischen Programmwahl betrifft als auch die Beurteilung der allgemeinen Nützlichkeit der Programmwahl-Automatik. Im Durchschnitt gaben die Versuchspersonen an, dass sie in 70 bis 75 % der Zeit den AutoSelect-Modus aktiviert hatten und nur in der verbleibenden Zeit eine manuelle Programmwahl bevorzugten. Trotz der etwas mangelnden Robustheit in bestimmten akustischen Situationen (z. B. bei Musik) und der teilweisen Abweichung von individuellen Wünschen der Hörgeräteträger erweist sich die Programmautomatik in Claro-Hörgeräten als überaus nützliches Merkmal, das von der Mehrheit der Nutzer als Bereicherung empfunden und gerne verwendet wird. Michael Büchler Literatur Boretzki M, Kießling J, Margolf-Hackl S, Kühnel V und Volpert S (2001): Adaptive Richtcharakteristik eines Doppelmikrofons und automatische Programmwahl: Nutzen für den schwerhörigen Menschen. Proc. 4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie, Aachen, Germany (in press). Byrne D (1986): Effects of frequency response characteristics on speech discrimination and perceived intelligibility and pleasantness of speech for hearing-impaired listeners. J Acoust Soc Am 80, 494 504. Dillon H, und Lovegrove R (1993): Single-microphone noise reduction systems for hearing aids: A review and an evaluation. In: Studebaker G A und Hochberg I (Hrsg.) Acoustical Factors Affecting Hearing Aid Performance. Allyn and Bacon, 353 372. Fabry D A und Stypulkowski P (1992): Evaluation of fitting procedures for multiple-memory programmable hearing aids. Paper presented at the annual meeting of the American Academy of Audiology, Nashville, TN. Gabriel B (2001): Nutzen moderner Hörgeräte-Features für Hörgeräte-Träger am Beispiel eines speziellen Hörgeräte-Typs. Zeitschrift für Audiologie, 40 (1), 16 31. Kates J M (1995): Classification of background noises for hearing aid applications. J Acoust Soc Am 97, 461 70. Killion M (1997): The SIN report: Circuits haven t solved the hearingin-noise problem. Hearing Journal 50 (10), 28 32. Kochkin S (1996): Customer satisfaction and subjective benefit with high performance hearing aids. Hearing Review 3 (12), 16 26. Kuk F K (1994): A screening procedure for modified simplex in frequency-gain response selection. Ear Hear 15, 62 70. Marzinzik M (2001): Noise Reduction Schemes for Digital Hearing Aids and their Use for the Hearing Impaired. Shaker Verlag, ISBN 3-8265-8513-5. Pumford J M, Scollie S D und Jenstad L M (2000): Speech recognition with in-the-ear and behind-the-ear dual-microphone hearing instruments. J Am Acad Audiol 11 (1), 23 35. Punch J L, Robb R und Shovels A H (1994): Aided listener preferences in laboratory versus real-world environments. Ear Hear 15, 50 61. Ricketts T (2000): Impact of noise source configuration on directional hearing aid benefit and performance. Ear Hear 21 (3), 194 205. Van Dijkhuizen J N, Festen J M und Plom R (1991): The effect of frequency-selective attenuation on the speech-reception threshold of sentences in conditions of low-frequency noise. J Acoust Soc Am 90, 885 894. Weiss M und Neumann A C (1993): Noise reduction in hearing aids. In: Studebaker G A und Hochberg I (Hrsg.) Acoustical Factors Affecting Hearing Aid Performance. Allyn and Bacon, 337 52. 6