Placentationsstörungen: eine interdisziplinäre Aufgabe Irene Hösli Häufigkeit: Die Inzidenz der Placentationsstörungen (Placenta accrete-percreta) hat sich im Verlauf der letzten 50 Jahre verzehnfacht. Die Prävalenz liegt bei 1:500 bis 1:1000 Geburten. Somit wird jeder Gynäkologe/Gynäkologin mit diesem Problem konfrontiert werden. Ätiologie: Die meisten Placentationstörungen weisen eine oder mehrere Risikofaktoren auf. Der wesentlichste Risikofaktor ist eine Placenta praevia besonders in Zusammenhang mit einer oder mehreren vorausgegangenen Sectiones. Die Kombination einer vorausgegangenen Sectio und Placenta praevia in der aktuellen Schwangerschaft hat ein Risiko für eine Placentationsstörung von 3%, 11%, 40%, 61%, und 67% nach einer, zwei, drei, vier oder fünf Sectiones. Weitere Risikofaktoren sind: vorausgegangene Myomektomie, Curettagen, Asherman Syndrom, thermale Endometriumablation und IVF Behandlungen. Vorausgegangene schwere postpartale Hämorrhagien im Zusammenhang mit einer erschwerten Placentalösung und evtl. histologisch nachgewiesener Placentationsstörung zählen ebenfalls zu den Risikofaktoren und haben ein Wiederholungsrisiko von 18-28%. Ein besonders hohes Risiko liegt bei einer ektopen Schwangerschaft in der Sectionarbe vor. Morbidität, Mortalität: Beim Versuch, die Placenta manuell zu lösen, kommt es zu einer massiven Hämorrhagie mit konsekutiver disseminierter Gerinnungsstörung und kann bis zum Multiorganversagen führen. Massive Ec Transfusionen und FFP Gaben können das Risiko für Lungenödem und das acute respiratory distress syndrome erhöhen. Intraoperativ sind bei einer Hysterektomie Blasen- oder Ureterverletzungen, Infektionen, aber auch thromboembolische Ereignisse deutlich häufiger. Placentationsstörungen sind heutzutage die häufigste Indikation für eine Sectiohysterektomie und haben damit die Indikation zur Hysterektomie auf Grund postpartaler Atonien abgelöst. (4) Die Mortalität beträgt bis zu 7%. Der hohe Blutverlust, Stress und eine Grenzerfahrung, die Geburt nicht zu überleben, können auch zu posttraumatischen Störungen führen und benötigen eine ausführliche Nachbesprechung. Die Placentationstörung ist somit weltweit im Rahmen Placenta assoziierter Erkrankungen zu einem neuen und noch nicht gelösten Problem in der Geburtshilfe geworden. Bei einer weiteren Zunahme der Sectiofrequenz ist mit einer Zunahme der Placentationsstörungen zu rechnen. Die neonatale Morbidität und Mortalität hängen vom Gestationsalter, einer vorher abgeschlossenen Lungenreifung und dem fetalen Blutverlust ante- bzw. intrapartal ab. Ultraschalldiagnose: Der Ultraschall ist neben der Anamnese das Schlüsselelement. Die wichtigsten Kennzeichen im Ultraschall sind: 1
Zum weiteren Risk assessment gehören: Vorausgegangene Schwangerschaften, Geburten, postpartaler Verlauf BMI BG, Antikörper Hb, Ferritin, Vitamin D Aktuelle medikamentöse Behandlung o Lungenreifung, Rescue dosis o Tokolyse o Antibiotika o Fe Infusion/Ec Gabe präoperativ Vaginaler Bakt.-Abstrich Klinisch relevante Blutungsstörungen (HELLP, etc.) Andere medizinische, chirurgische Risiken (Hämoglobinopathie, Voroperationen, Endometriose) Ablehnung von Blutprodukten (Zeugen Jehovas) Fertilitätswunsch Anästhesiologische Risiken 2
Informed consent (von allen beteiligten Disziplinen) Zeitpunkt der Operation: Der optimale Zeitpunkt für die Operation richtet sich nach dem klinischen Zustand. Die meisten Empfehlungen gehen von 34-35 SSW aus, da nach 35 SSW das Risiko für schwere antepartale Blutung signifikant zunimmt. Unkomplizierte Verläufe sind auch bis zu 36 SSW beschrieben, allerdings ist die maternale Morbidität bei einer ungeplanten Operation dann deutlich höher als bei einem geplanten Eingriff. Wahl der Operationsmethode: Die Operationsmethode richtet sich nach dem Ausmass der Placentationsstörung und der Familienplanung. Bei Verdacht auf Placenta percreta wird nach Hysterotomie, Kindsentwicklung, Verschluss der Uterotomie die Sectiohysterektomie erfolgen. Alternativ und kontrovers diskutiert, stehen je nach Ausprägung der Placentationsstörung nach Verschluss der Uterotomie 2 Varianten zur Verfügung: Das in situ belassen der Placenta und konservatives Abwarten oder eine Resektion der Placenta inclusive Uteruswand und anschliessende Rekonstruktion. Multidisziplinärer Approach: Es bestehen deutliche Vorteile, wenn ein interdisziplinäres Team anteund intrapartal involviert wird: signifikant geringerer Blutverlust, kürzerer Aufenthalt auf der Intensivstation, weniger Ureterverletzungen, weniger Reoperationen. Kein Unterschied zeigt sich in der Gesamthospitalisationszeit. Round table USB: Wir führen bei Patientinnen mit V. auf Placentationsstörung nach Abschluss der Diagnostik möglichst zeitnah ein round table durch, bei dem Vertreter folgender Disziplinen und Professionen anwesend sind: Geburtshelfer, Anästhesist, Urologe, Interventioneller Radiologe, Neonatologe, Hebamme, Operative Technische Assistentin. Ziel ist ein Austausch an Informationen sowie die optimale Planung der Operation unter Berücksichtigung aller Massnahmen. Gleichzeitig wird auch der Fall einer ungeplanten Operation bei Auftreten von unerwarteten Komplikationen vor dem Operationstermin besprochen. 3
Anästhesie Urologie Interventionelle Radiologie Geburtshilfe/Gyn. Urologe Neonatologie Hebammen OTA Operationsverfahren Debriefing Pathologie Lagerung (re Seitenlage) CSEA Arterielle Blutdruckmessung Cell-Saver Hb, ROTEM Beurteilung Ausscheidung, Kreislauf Verlauf Elektrolyte, Ca, K Postoperative Verlegung auf Intensivstation Cystoskopie, Blasenbeurteilung. Ureterschienung Ultraschall Einlagen Femoralisschleusen für ggf. Ballonokklusion Embolisation Lagerung (vag. Zugang) Ultraschall Management PPH Neo-Einheit Herztonkontrolle Betreuung Eltern Instrumente für Sectio ggf. Hysterektomie OP-Tisch Pfannenstiel/Längslaparotomie Uterotomie Primäre Hysterektomie Uteruserhaltende Operation Histologie 4
Teamwork ist bei Placentationsstörungen essentiell. Es ist von grossem Vorteil, ein konstantes und eingespieltes Team für diese Operation zur Verfügung zu haben, das sehr gut miteinander kommuniziert und Verständnis für die Situation hat. Besondere Bedeutung hat der Anästhesist, da er vorausschauend sein Kreislaufmanagement anpassen muss. Ausgewählte Literatur: Oyelese Y, Smulian JC. Placenta previa, placenta accreta, and vasa previa. Obstet Gynecol. 2006 Apr;107(4):927-41. Review Upson K, Silver RM, Greene R, Lutomski J, Holt VL. Placenta accreta and maternal morbidity in the Republic of Ireland, 2005-2010. J Matern Fetal Neonatal Med. 2014 Jan;27(1):24-9.) Silver RM, Fox KA, Barton JR, et al. Center of excellence for placenta accreta. Am J Obstet Gynecol 2015;212:561-8. D'Antonio F, Palacios-Jaraquemada J, Lim PS, Forlani F, Lanzone A, Timor-Tritsch I, Cali G.Obstet Gynecol Counseling in fetal medicine: evidence-based answers to clinical questions on morbidly adherent placenta. Ultrasound Obstet Gynecol. 2016 Mar;47(3):290-301 5