5. Der Prozess gegen die Täter der Pogromnacht und die Regelung von Wiedergutmachungsansprüchen für die Synagoge

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Transkript:

68 5. Der Prozess gegen die Täter der Pogromnacht und die Regelung von Wiedergutmachungsansprüchen für die Synagoge a. Hinweise für den Lehrer Die letzte Station des Projekts thematisiert die juristische Aufarbeitung des Novemberpogroms nach dem Krieg, also die strafrechtliche Verfolgung der an den Zerstörungen in Bad Kissingen Beteiligten vor dem Schweinfurter Landgericht (Dezember 1949) sowie die Regelung von Wiedergutmachungsansprüchen für die Synagoge mit der JRSO 1951 (Jewish Restitution Successor Organisation). In beiden Fällen muss das Ergebnis dem heutigen Betrachter als unbefriedigend, ja zum Teil als beschämend erscheinen. Die juristische Terminologie der Prozessakten zum Urteil des Schweinfurter Landgerichts ist für Schüler der 9. Jahrgangsstufe nicht ohne weiteres verständlich, deshalb ist besonders für die Mitglieder dieser Gruppe ein genauer Blick auf das Infoblatt, auf dem vor allem die strafrechtlich relevanten Tatbestände erläutert werden, unerlässlich. Zunächst sollte auch in dieser Gruppe aus den Gerichtsakten (M17)der Ablauf des Novemberpogroms in Bad Kissingen, insbesondere die Zerstörung der Synagoge rekonstruiert werden. Das Hauptaugenmerk ist aber dann auf die (ausbleibende) Bestrafung der Täter zu richten. Nur der Hauptangeklagte E. O. Walter wird - unter Anrechnung seiner einjährigen Internierungshaft wegen Anstiftung zur Brandstiftung zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, aber bereits im November 1950 nach einer Begnadigung durch den bayerischen Justizminister wieder entlassen. Der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs ließ sich nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht nachweisen. Sämtliche 12 Mitangeklagten zum überwiegenden Teil örtliche Parteimitglieder (häufig SA-, z. T. auch SS-Mitglieder) aus den verschiedensten sozialen Schichten - wurden vom Gericht mangels Schuld oder mangels Beweises freigesprochen. Der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs lasse sich so die Urteilsbegründung - in keinem Fall nachweisen, da die Zerstörungen nicht von einer öffentlich zusammengerotteten Menschenmenge ausgingen, die mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten beging. Brandstiftung und Zerstörungen seine vielmehr heimlich und unbeobachtet erfolgt. Das Gericht sah es zwar als erwiesen an, dass der örtliche Drahtzieher E. O. Walter ausgewählten Kissinger SA- und SS-Leuten detaillierte Anweisungen für die Zerstörung von Gebäuden sowie der Synagoge erteilt hatte, sah sich aber nicht in der Lage, die an der Ausführung Beteiligten der Taten zu überführen, da diese ihre Beteiligung abstritten und sich gegenseitig durch mehr oder wenig fragwürdige Aussagen entlasteten. So hinterlässt das Urteil einen faden Nachgeschmack, die Verbrechen der Pogromnacht blieben, von einer Ausnahme abgesehen, ungeahndet, die Täter kamen ungeschoren davon.

69 Auch die Regelung der Rückerstattungsansprüche mit der JRSO (M28), die die Rechte der Überlebenden des Holocaust vertrat, zeigt, wie schwer man sich mit dem Erbe der braunen Diktatur tat. Immerhin rang sich der Kissinger Stadtrat nach langen Verhandlungen mit knapper Mehrheit (10:9) durch, seinen Verpflichtungen nachzukommen und 165000 DM an die JRSO zu zahlen, mit der Begründung, dass bei einer Ablehnung ein Rechtsstreit teuerer zu stehen komme als die im Vergleich geforderten Summen. Die beiden Beispiele können den Schülern bewusst machen, wie schwer sich die Nachkriegsgeneration im Umgang mit der NS-Vergangenheit tat und sollten zu einer Diskussion über dieses Thema innerhalb der Gruppe führen. Als Abschluss bietet sich an, die persönliche Bewertung in einem kurzen Leserbrief/Kommentar zu formulieren. b. Arbeitsaufträge für die Schüler

70 5. STATION Der Prozess gegen die Täter der Pogromnacht und die Regelung von Wiedergutmachungsansprüchen für die Synagoge M17 Gerichtsakten zum Kissinger Pogromprozess vor dem Landgericht Schweinfurt 1949 Urteil der Großen Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt (Auszüge) Aufnahmeersuchen an die Strafanstalt St. Georgen in Bayreuth, 20. Juli 1950 Strafvollstreckung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt (Überstellung des Strafgefangenen E. O. Walter vom Gerichtsgefängnis Bad Kissingen in die Strafanstalt St. Georgen in Bayreuth, 21. Juli 1950) Begnadigung und vorzeitige Entlassung durch den bayerischen Justizminister, 4. November 1950 Entlassungsbestätigung, 9. November 1950 Informiere dich vorweg auf dem Infoblatt Erläuterungen über die strafrechtl i- chen Tatbestände Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch, schwere Bran d- stiftung und Anstiftung zur schweren Brandstiftung! Rekonstruiere den Ablauf des Novemberpogroms in Bad Kissingen, insbesondere die Zerstörung der Synagoge

71 Welche Vergehen (juristische Fachbegriffe!) wurden den Angeklagten zur Last gelegt? Wie lautete das Urteil für den Hauptangeklagten (Urteilsbegründung, Strafmaß)? Welche Vergehen sah das Gericht als erwiesen an, welche nicht? Wie lange war die tatsächliche verbüßte Haftzeit? Wie erklärst du dir die Tatsache, dass sämtliche 12 Mitangeklagten vom Gericht frei gesprochen wurden! Welche Strategie wendeten sie an, um eine Verurteilung zu verhindern? Wie lauten die Begründungen des Gerichts für die Freisprüche? Wie würdest du persönlich den Ausgang des Verfahrens bewerten?

72 M4 Saale-Zeitung, 13. Juni 1902 M28 Stadtratsbeschluss Nr. 129, Anerkennung von Wiedergutmachungsansprüchen, 25. Juni 1951 M29 Kauf des Synagogengrundstücks durch die Stadt, 29. Juni 1939 Wie reagiert der Stadtrat in den 50er Jahren auf die Rückerstattungsansprüche für die Synagoge von jüdischer Seite? (Lies dir den Stadtratsbeschluss Nr. 129 genau durch und analysiere Abstimmungsergebnis und Argumentation der Stad t- räte!) Stelle die Kosten der jüdischen Gemeinde für den Bau der Synagoge (einschlie ß- lich Grundstückskauf) den tatsächlich geleisteten finanziellen Leistungen der Stadt Bad Kissingen gege nüber!

73 Zusammenfassung Besprecht die Ergebnisse eurer Auswertungen gemeinsam in der Gruppe! Schreibt einen kritischen Leserbrief oder Zeitungskommentar zum Urteil im Kissinger Pogromprozess! Vielleicht formuliert ihr auch einen kurzen Leserbrief oder Kommentar zum Umgang des Stadtrats mit den Wiedergutmachungsansprüchen für die Synagoge!? Präsentiert anschließend eure Ergebnisse vor der Klasse! c. Anlagen

74 M17 Gerichtsakten zum Kissinger Pogromprozess vor dem Landgericht Schweinfurt 1949 Urteil der Großen Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt (Auszüge)

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Aufnahmeersuchen an die Strafanstalt St. Georgen in Bayreuth, 20. Juli 1950 80

81 Begnadigung und vorzeitige Entlassung durch den bayerischen Justizminister, 4. November 1950 Entlassungsbestätigung, 9. November 1950

82 M29 Kauf des Synagogengrundstücks durch die Stadt, 29. Juni 1939 M28 Stadtratsbeschluss Nr. 129, Anerkennung von Wiedergutmachungsansprüchen, 25. Juni 1951

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84 C: Ergänzende Hinweise Das vorliegende Unterrichtsmodell lässt je nach Gegebenheiten und Interessenlage unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, Vorgehensweisen, Kürzungen und Vertiefungen innerhalb des gestellten Rahmens zu. Wesentliches Ziel ist es, die Bereitschaft der Schüler zum entdeckenden Lernen und ihr Interesse für die Geschichte vor Ort zu fördern. Sämtliche Materialien, insbesondere alle Bild- und Textdokumente sind nur für schulische Zwecke bestimmt und dürfen anderweitig weder genutzt noch vervielfältigt werden. Mein besonderer Dank gilt dem Kissinger Stadtarchiv, seinem Leiter Peter Weidisch für die hilfreiche Beratung und großzügige Unterstützung sowie Frau Bartetzko für die geduldige und unermüdliche Hilfe bei der Bereitstellung und Auswahl der Materialien. Rudolf Walter