6 Vorortungs- und Impulsreflexionsverfahren

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Transkript:

6 Vorortungs- und Impulsreflexionsverfahren 6.1 Einleitung Der punktgenauen Ermittlung der Fehlerposition, also der Nachortung, eines Kabelfehlers sollte eine möglichst genaue Vorortung vorausgehen, um die verschiedenen Nachortungsverfahren nur auf einem kurzen Bereich der Gesamtkabellänge anwenden zu müssen. Damit ist eine wesentliche Verkürzung der Gesamtfehlerortungszeit und damit auch eine Kabel schonende Vorgehensweise zu erreichen. Auf Grund der Impuls-Reflexionsgesetze müssen die vorzuortenden Fehler bestimmte Parameter aufweisen, um messbar zu sein. Durch eine Fehlerwandlung, z. B. dauerhaft durch Brennen oder temporär bei Kurzzeit-Hochspannungs-Messverfahren sind auch Grenzfälle vorortbar. Bei den Vorortungsmethoden wird unterschieden in: Impulsreflexionsbasierte Verfahren (TDR) Transiente Methoden (HV-Methoden) 6.2 Grundlagen Am Kabelanfang wird ein Messimpuls eingespeist, der mit der kabeltypischen Ausbreitungsgeschwindigkeit bis zur Fehlerstelle läuft und dort zum Kabelanfang reflektiert wird. Die Zeit, die dieser Impuls für den Hin- und Rückweg benötigt, wird gemessen und mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v/2 multipliziert. Dieses Resultat entspricht der einfachen Entfernung bis zur Fehlerstelle (Bild 6.1). 40

Bild 6.1 Reflexion am Fehler (negativ), Reflexion am Kabelende (positiv) 6.3 Ausbreitungsgeschwindigkeit des Impulses v/2 1 = t v x 2 v lg = 2 t l x = Fehlerentfernung l g = Gesamtlänge des Kabels l = Laufzeit in µs Die erreichbare Messgenauigkeit wird nur in geringem Maße durch die Genauigkeit des Reflektionsmessgerätes selbst, sondern hauptsächlich durch äußere Faktoren bestimmt. Dazu gehören die Kenntnisse über die Ausbreitungsgeschwindigkeit v/2, deren Wert vor allem durch das Isoliermaterial des Kabels bestimmt wird. 41

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit ändert sich mit: Impedanz Material des Dielektrikums, z. B. VPE, PVC, Öl-Papier (PILC), Farbe der Isolation Alter des Kabels Temperatur Feuchtigkeit (Wasser im Kabel bewirkt eine Reduzierung der v/2 auf ca. 65 m/µs) Lage der Adern im Kabel zueinander (Nachrichtenkabel) Kabelhersteller (Zusammensetzung des Isoliermaterials und Additive) Einschränkungen entstehen auch durch die Verwendung unterschiedlicher Kabeltypen im gleichen Streckenabschnitt. Dadurch ist nicht immer eine korrekte Erfassung aller beeinflussenden Parameter möglich. 6.4 Reflexionsfaktor Jede Änderung des homogenen Kabelaufbaus führt zu einer Änderung der Induktivität und/oder Kapazität aber auch in der Ableitung G an dieser Stelle und damit zu einer Änderung des Wellenwiderstandes Z (Bild 6.2). Diese so entstandene Stoßstelle mit der Wellenwiderstandsänderung reflektiert einen gewissen Anteil des ankommenden Messimpulses in Richtung zur einspeisenden Quelle. Falls nur ein Teil des Impulses reflektiert wird, läuft der Restimpuls weiter bis zur nächsten Reflexionsstelle, um von dort zum Kabelanfang zurückzulaufen. Die sichtbare Größe des reflektierten Impulses wird zum einen durch den Reflexionsfaktor [r] bestimmt, zum anderen auch von der Dämpfung des Kabels. Kabel mit geringem Querschnitt und großer Länge setzen deutlich akzentuierte Fehler sehr nieder- oder sehr hochohmige voraus, um sicher gemessen zu werden. 42

Bild 6.2 Ersatzschaltbild elektrische Leitung Keine Impedanzänderung im Kabel Große Impedanzänderung im Kabel Kurzschluss und Unterbrechung keine Reflexion große Reflexion Totalreflexion Impedanzänderungen kleiner dem 10-fachen der Impedanz lassen sich unter günstigen Bedingungen erkennen. Typische Impedanzen von verschieden Übertragungssystemen: Freileitung ca. 300 Ω Nachrichtenkabel ca. 135 Ω Koaxialkabel 50 Ω, 75 Ω Energiekabel ca. 20 Ω Straßenbahnkabel ca. 5 10 Ω Bei Kabelfehlern existieren oft Fehlerwiderstände, die weit jenseits von 2 kω liegen und auch fast unendliche Werte haben können. Diese Fehler sind daher mit einer normalen Reflexionsmessung nicht sichtbar. Hier kommt die Fehlerwandlung zum Tragen, d. h. der Fehler muss zumindest kurzzeitig so verändert werden, dass er mit dem Reflexionsmessgerät sichtbar wird. 43

6.5 Impulsbreite In Abhängigkeit von der Kabellänge (Fehlerentfernung) müssen Impulse mit unterschiedlichen Impulsbreiten verwendet werden. Schmale Impulse bedeuten kurze Reichweiten, aber eine sehr hohe und detaillierte Auflösung. Breite Impulse müssen an langen Kabeln verwendet werden, wobei die Auflösung abnimmt und die mögliche Totzone sich vergrößert. Bei den meisten Reflexionsmessgeräten ist die Impulsbreite automatisch an den Messbereich gekoppelt, kann aber auch manuell verändert werden. Typische Impulsbreiten: 1 ns 3 µs hochauflösende Reflektometer für Nachrichtenkabel 35 ns 5 µs Reflektometer für Energiekabel 50 ns 20 µs Sonderausführungen für lange Kabel, z. B. Seekabel und Freileitungen Totzonen entsprechend der Impulsbreite: 5 ns ca. 2 m 500 ns ca. 90 m 3 µs ca. 400 m Das bedeutet, dass der gesendete Messimpuls selbst einen Bereich dieser Länge abdeckt. Je nach Konstruktion des Reflektometers sind theoretisch innerhalb dieses Bereiches fast keine anderen Effekte, wie z. B. Fehler, sichtbar. Daher wird dieser Bereich auch Totzone genannt. Eine solche Totzone bedeutet aber nicht automatisch, dass in diesem Bereich überhaupt keine Details sichtbar sind. Zum einen sind auch innerhalb der Totzone Veränderungen durchaus noch sichtbar. Zum anderen wird durch spezielle Eingangsschaltungen, z. B. eine Gabelschaltung, der gesendete Impuls sofort unterdrückt (Kompensation) und dadurch alle anderen Änderungen weiterhin deutlich sichtbar dargestellt. 44

Tabelle 6.1 Pulsbreitentabelle Eine automatische Umschaltung der Impulsbreite sorgt immer für die beste Anpassung des Messimpulses an den Entfernungsbereich. Diese Anpassungen sind auch manuell veränderbar. Hier kann der Bediener über eine Reduzierung der Impulsbreite noch mehr Details erzeugen. Für eine höhere Messgenauigkeit und Detailtreue ist es wichtiger, die Impulsbreite zu reduzieren. Erst dadurch lassen sich auch kleinere Veränderungen gut erkennen. Grenzen sind durch die Dämpfung gegeben, d. h. eine unendliche Reduzierung der Impulsbreite ist nicht möglich und wird auch vom System nicht unterstützt. 45