Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.v. Polizei und Sozialarbeit XI Wie geht Europa mit Jugendkriminalität um? Tagung vom 16. bis 18. Februar 2004 in Springe Die Texte unterliegen urheberrechtlichem Schutz Quellen-Nachweis: Hebeisen/Stübi: Das schweizerische Jugendstrafrecht, Hannover 2005, www.dvjj.de Veranstaltungen Dokumentationen Tagung: Wie geht Europa mit Jugendkriminalität um? Dieter Hebeisen Jugendgerichtspräsident Berner Oberland, Schweiz Roland Stübi Direktor Kantonale BEObachtungsstation in Bolligen, Kanton Bern, Schweiz Das Schweizerische Jugendstrafrecht 1 Geltendes und zukünftiges Recht in einer Kurzübersicht Das geltende schweizerische Jugendstrafrecht folgt dem Grundsatz der Spezialprävention und stellt dadurch ganz klar die Persönlichkeit des jugendlichen Täters und nicht primär die von ihm begangene Straftat in den Mittelpunkt. Ziel der Jugendrechtspflege ist daher wie in andern europäischen Ländern auch, durch geeignete erzieherische oder therapeutische Massnahmen den jugendlichen Delinquenten vor weiteren Straftaten abzuhalten und Einfluss auf Fehlentwicklungen in seiner Persönlichkeit zu nehmen. Das Gesetz sieht vor, nur dann eine Strafe auszusprechen, wenn der Jugendliche weder erziehungs- noch behandlungsbedürftig ist. Die Praxis sieht allerdings etwas anders aus: ca 95% aller Fälle werden mit einer Strafe abgeschlossen, und zwar aus folgenden Gründen: Die begangene Straftat ist nicht derart gravierend, dass darauf mit einschneidenden erzieherischen oder therapeutischen Massnahmen reagiert werden müsste Die personellen Kapazitäten eines Jugendgerichtes lassen es nicht zu, dass in jedem Fall ein aufwändiges Verfahren zur Persönlichkeitsabklärung durchgeführt werden könnte Der jugendliche Täter ist der deutschen Sprache nicht mächtig, weshalb pädagogische Massnahmen nicht erfolgversprechend sein können
Seite 2/8 Es gibt zunehmend Jugendliche, die zwar durchaus massnahme- bzw therapiebedürftig wären, aber als massnahme- bzw therapieunfähig bezeichnet werden müssen. Basierend auf dem Grundgedanken der Spezialprävention ist das schweizerische Jugendstrafrecht auch anders aufgebaut als das Erwachsenenstrafrecht. Der Jugendrichter ist in Personalunion Untersuchungs-, Urteils- und Vollzugsrichter für Kinder und Jugendliche, welche eine strafbare Handlung begangen haben und zum Tatzeitpunkt älter als 7 und jünger als 18 Jahre sind. Das im europäischen Vergleich sehr tiefe untere Strafmündigkeitsalter von 7 Jahren wird mit dem Inkrafttreten des neuen schweizerischen Jugendstrafrechts am 1.1.2006 auf 10 Jahre angehoben werden. Trotz der richtigen und wichtigen pädagogischen Grundmaxime Massnahme vor Strafe geht das schweizerische Jugendstrafrecht keineswegs etwa davon aus, der jugendliche Straftäter sei lediglich Opfer des sozialen Umfeldes oder der Gesellschaft und seine von ihm begangene Tat sei aufgrund dieser Umstände zu verharmlosen. Vielmehr stellt das Gesetz auf die Eigenverantwortlichkeit des Jugendlichen ab, weshalb zu Beginn der Ermittlungen klar die Sachverhaltsabklärungen im Vordergrund stehen. Dem Jugendrichter stehen dabei dieselben Mittel wie dem Erwachsenenrichter zur Verfügung (Beizug polizeilicher Spezialdienste wie z.b. Kriminaltechnik, Telefonüberwachung, Observation, Untersuchungshaft etc). Von diesen Mitteln musste in den letzten Jahren wesentlich mehr Gebrauch gemacht werden, einerseits, weil die Geständnisbereitschaft der Jugendlichen stark abnahm, andererseits, weil die Sachverhalte stets komplexer und die Straftatbestände gravierender wurden. Strafuntersuchungen mit 50 und mehr Delikten gehören heute ebenso zum Alltag wie massenhaft begangene Entreissdiebstähle, Raubüberfälle, Drohungen, Erpressungen, Nötigungen, Sachbeschädigungen in Form von Verwüstungsstreifzügen etc. Die von den Jugendgerichten geführten Statistiken belegen, dass sich die Deliktsarten kaum mehr von denjenigen der erwachsenen Straftäter unterscheiden. Einzig bei den Tötungsdelikten und natürlich bei der Wirtschaftskriminalität und dem organisierten Verbrechen ergeben sich zum Glück noch Unterschiede. Bezüglich der rechtlichen Subsumption des Sachverhaltes unter die entsprechenden Straftatbestände bestehen ebenfalls keine Unterschiede zum Erwachsenenstrafrecht. Begeht z.b. ein Jugendlicher einen Überfall, bei welchem er eine Schusswaffe einsetzt, wird er selbstverständlich wegen eines in qualifizierter Form begangenen Raubes verurteilt. Eine Spezialität besteht insofern, als der Tatvorwurf unabhängig von der Verschuldensfrage ist, d.h., das Urteil stellt nicht auf die Schuldfähigkeit des jugendlichen Straftäters ab. Diese Spezialität wird im neuen Recht ab 2006 eine Präzisierung erfahren, indem Massnahmen wie bisher unabhängig vom Verschulden ausgesprochen werden können, zusätzlich dazu aber bei schuldhaft begangener Tat zwingend eine Strafe auszusprechen sein wird. Damit wird eine Abkehr vom bisherigen Monismus zum Dualismus stattfinden. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass die Dauer der Massnahme an den Freiheitsentzug anzurechnen ist, auch eine gescheiterte ambulante Betreuung!
Seite 3/8 Wenn bezüglich des Sachverhaltes zumindest weitgehend Klarheit besteht, gilt das Augenmerk der weiteren Abklärungen der Persönlichkeit des jungen Straftäters. Liegen Anzeichen vor, dass er in seiner Entwicklung oder in seinem Verhalten besondere Auffälligkeiten aufweist, wird er und sein soziales Umfeld einer genaueren Untersuchung unterzogen, sofern nicht einer der obgenannten Gründe vorliegt, darauf zu verzichten. Es zeigen sich dabei immer wieder folgende Problemkreise: nicht wahrgenommene Erziehungsverantwortung, Migrationsprobleme, Missbrauch von Suchtstoffen, psychische Auffälligkeiten, Depressionen, Orientierungslosigkeit, Dissozialität, Null-Bock-Stimmung, selbstverschuldete Arbeitslosigkeit etc. Nebst den Abklärungen durch das Gericht selber, welches über einen eigenen Sozialdienst verfügt, können bei Bedarf externe Fachkräfte beigezogen werden, z.b. Psychologen, Psychiater etc. Ob diese Abklärungen ambulant oder stationär gemacht werden, entscheidet sich einerseits aufgrund der Schwere der Persönlichkeitsstörung, andererseits auch aufgrund der erforderlichen Intensität. Wichtig ist dabei festzuhalten wie das Beispiel von Herrn Roland Stübi soeben gezeigt hat dass für diesen Entscheid nicht primär das Delikt massgebend ist, sondern die Täterpersönlichkeit. Es ist deshalb durchaus möglich, auch bei einem relativ geringfügigen Delikt eine stationäre Beobachtung oder psychiatrische Begutachtung anzuordnen. Bei einem schweren Delikt drängt sich grundsätzlich eine genaue Persönlichkeitsabklärung auf, da ein solches Delikt in aller Regel Ausdruck einer erheblichen Störung ist. Die Revision 2006 verlangt neu, dass vor jeder Unterbringung in einem geschlossenen Rahmen eine psychologische oder psychiatrische Begutachtung durchgeführt werden muss. Ob dafür eine genügend grosse Anzahl geeigneter Fachkräfte zur Verfügung steht, wird sich allerdings erst weisen müssen. Es sollte auf jeden Fall nicht so sein, dass nicht ausgelastete Erwachsenenpsychiater sich einfach mal auf dem Gebiet der Jugendpsychiatrie versuchen werden. Ergeben die Untersuchungen zur Person und des sozialen Umfeldes, dass eine Massnahmebedürftigkeit besteht und die Massnahmefähigkeit ebenfalls zu bejahen ist, stehen folgende Möglichkeiten offen: Die ambulante pädagogische Massnahme der Erziehungshilfe Die Unterbringung in einer geeigneten Familie Die stationäre pädagogische Massnahme der Einweisung in ein Erziehungsheim Die ambulante oder stationäre therapeutische Massnahme der besonderen Behandlung Die ambulanten Massnahmen werden vom jugendgerichtlichen Sozialdienst begleitet und lassen relativ grosse Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen zu (z.b. betreffend Wohnsituation, Ausbildung, Arbeit, Taschengeld, Freizeitgestaltung etc). Unter stationärer Massnahme ist ein breites Spektrum von Möglichkeiten zu verstehen: von der geschlossenen Institution bis zur offenen Wohngemeinschaft, ja selbst ein Schiffsaufenthalt oder ein Trekking sind möglich. Es bedarf dabei nicht selten einiger Phantasie, um bei den chronischen Überbelegungen einen geeigneten Platz zu finden. Ziel dieser Aufenthalte ist es, den Jugendlichen in seiner Entwicklung zu fördern, ihm eine Ausbildung zu ermöglichen und
Seite 4/8 ihn wenn möglich von weiteren Straftaten abzuhalten. Dabei wird stark darauf geachtet, dass er lernt, Eigenverantwortung zu übernehmen und sein bisheriges Verhalten allgemein gültigen Normen anzupassen. Bei den zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten bis hin zur schwersten Dissozialität werden die diesbezüglichen Bemühungen immer aufwändiger und zeigen lange nicht immer Erfolg. Geht man allein von den enormen Kosten einer stationären Unterbringung aus in der Regel über Fr. 120'000. pro Jahr und Klient (das entspricht etwa 80'000 Euro) ist die Versuchung leider gross, zunehmend dem politischen Druck nachzugeben und nur noch Massnahmen dann anzuordnen, wenn von Vornherein berechtigte Aussicht auf Erfolg besteht. Diese Tendenz ist nicht nur falsch, sondern auch sehr gefährlich, fördert sie doch die Bildung von Gruppen herumhängender, perspektiveloser und dadurch oft zu grosser Gewalt neigender Jugendlicher. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu übernehmen. Es ist aber eine Staatspflicht, mit geeigneten pädagogischen Massnahmen einzugreifen auch mit stark freiheitsbeschränkenden! und delinquente, dissoziale Jugendliche ihre Eigenverantwortung bewusst zu machen, indem sie lernen, sich allgemein gültigen Normen anzupassen. Dabei sind die Eltern wenn immer möglich an ihre Erziehungspflichten zu erinnern und sie in den Prozess einzubinden. Gelingt dies nicht, sind die Erfolgsaussichten stark reduziert. Diese sinken gar auf Null, wenn Eltern die Bemühungen der Jugendstrafbehörden boykottieren. Wird keine Massnahme angeordnet, ist der Jugendliche zu bestrafen, wobei folgende Möglichkeiten zur Verfügung stehen: Verweis, d.h. eine richterliche Verwarnung, welche die Missbilligung der Tat ausdrücken soll (wird nur bei geringfügigen Delikten ausgesprochen) Arbeitsleistung; d.h. der Jugendliche muss durch eine Eigenleistung etwas für das von ihm begangene Unrecht tun Busse Einschliessungsstrafe Die beiden letzten Strafarten können aber erst bei über 15 Jahre alten Tätern angeordnet werden. Sowohl Busse wie Einschliessungsstrafe dürfen zudem auch bedingt ausgesprochen werden, d.h. der Vollzug wird aufgeschoben und der Täter während der Probezeit unter Schutzaufsicht gestellt. Bewährt er sich während dieser Zeit, entfällt der Vollzug endgültig. Nach geltendem Recht kann eine Einschliessungsstrafe längstens 1 Jahr dauern. Das neue Recht sieht nun einen vierjährigen Freiheitsentzug vor, allerdings nur für bestimmte Straftaten. So werden zum Beispiel auch in Zukunft eine nicht qualifiziert begangene Vergewaltigung oder Drogenhandel im Mehrkilogrammbereich mit höchstens 1 Jahr Freiheitsentzug bestraft werden können, was den Anwendungsrahmen stark schmälert. Gerade bei den Drogendealern wären die Rechtsanwender froh gewesen, einen höheren Strafrahmen zu haben. Das am 1.1.2006 in Kraft tretende neue Jugendstrafrecht wird neben den
Seite 5/8 bereits erwähnten Änderungen folgende Neuerungen bringen, die hier von Interesse sein könnten: Es wird ein eigenständiges Gesetz Der Erziehungsgedanke wird explizit festgehalten Einführung des Mediationsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen Massnahmeende zwingend spätestens mit dem zurückgelegten 22. Altersjahr Ausbau der Strafbefreiungsgründe Die persönliche Leistung kann bis 3 Monate dauern Einführung des sursis partiel, d.h. des Teilvollzugs Ausbau der Rechtsmittel und der Verteidigungsrechte etc Öffentlichkeit der gerichtlichen Verfahren Engere Zusammenarbeit der zivilrechtlichen und der strafrechtlichen Behörden Zum Schluss erlaube ich mir noch einen Hinweis auf folgende Aspekte: ob nun ein Jugendstrafrecht zu milde oder zu streng ist, wird stets zu kontroversen Diskussionen führen. Diese sind aber grundsätzlich überflüssig. Vielmehr ist entscheidend, ob all diejenigen, die sich mit dem Jugendstrafrecht befassen, über hohe Qualifikationen verfügen. Dies beginnt bei der Polizei, setzt sich fort bei den Justizbehörden inklusive der angegliederten Sozialdienste, den Psychologen und Psychiatern und endet bei den Vollzugsinstitutionen. Ebenso entscheidend ist, dass das Gesetz das breite Spektrum der jugendlichen Täterprofile abdeckt, so dass in jedem Einzelfall eine gerechte, aber auch richtige Sanktion ausgesprochen werden kann. Wie Ihnen Herr Stübi nun gleich in einem zweiten Beispiel zeigen wird, haben wir es auch in der Schweiz zunehmend mit jugendlichen Tätern zu tun, die aufgrund ihrer Dissozialität schwerste Straftaten begehen und für welche ein wirksames Interventionssystem zur Verfügung stehen muss. Die wesentlich höhere Gewaltbereitschaft, die zunehmenden Polyproblematiker, die vermehrt psychisch Auffälligen, die zahlenmässig zunehmenden, schwierigeren und ihren männlichen Kollegen in manchem Bereich nicht mehr nachstehenden Täterinnen machen es unerlässlich, dass den Rechtsanwendern ein griffiges Instrumentarium zur Verfügung steht. Es nützt nichts, wenn theoretisch klar ist, was zu tun wäre, die gesetzlichen Vorgaben aber fehlen, geeignete Sanktionen auch umzusetzen, um jugendliche Straftäter zu sozialisieren und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Blosses Schulterzucken nützt letztendlich den Jugendlichen am wenigsten. Denn auch für den jugendlichen Straftäter gilt, was schon Bertold Brecht festgestellt hat: die kleinste gesellschaftliche Einheit ist nicht der Mensch, sondern zwei Menschen. Eine Gesellschaft kann aber nur funktionieren, wenn jeder Einzelne sich so verhält, dass er Teil des Ganzen sein kann.
Seite 6/8 2 Zwei Beispiele aus der Praxis Zur Veranschaulichung der Ausführungen zum Jugendstrafrecht skizziere ich zwei Beispiele aus der Praxis unserer Institution. Die Kant. BEObachtungsstation ist eine von mehreren Spezialinstitutionen der Heimerziehung in der Deutschschweiz. Ihr Hauptauftrag ist, verhaltensauffällige Jugendliche im Alter zwischen etwa 14 18 Jahren in einem teilstationären bis vollstationären Rahmen aufzunehmen und interdisziplinär und prozessorientiert abzuklären und zu betreuen. Dieses spezielle Angebot, das von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Behörden genutzt wird, kommt dann zum Einsatz, wenn die Klärung der notwendigen, weiteren Schritte und die Vorbereitung der behördlichen Entscheide nicht mit den üblichen, ambulanten Massnahmen erreicht werden kann. Am Schluss der meist halbjährigen oder längeren Abklärung verfassen wir einen interdisziplinären Bericht mit konkreten, oft schon über eine gewisse Zeit erprobten Empfehlungen für das weitere Vorgehen. 2.1 Beispiel 1: Marc, 17 jährig Frühjahr 2001: Mit 14 1/2 jährig bedrohliches Verhalten in der Schule. Gefährdungsmeldung an die Vormundschaftsbehörde und ein Jahr später eine erste, teilstationäre Abklärung. Herbst 2002: Abbruch der teilstationären Abklärung, vor allem wegen mangelnder Kooperation der Eltern und Widerstand von Marc. Scheitern einer versuchten Schulintegration. Eröffnung einer Strafuntersuchung durch das Jugendgericht nach vielen verschiedenen Delikten. Untersuchungshaft. Erneute Delikte. Untersuchungshaft. Januar 2003: Vorsorgliche Einweisung durch das Jugendgericht in eine stationäre Therapieeinrichtung. Februar 2003: Abbruch wegen Einbruch in die Wohnung der Leitung dieser Einrichtung, mit zwei anderen Jugendlichen zusammen. März 2003: Eintritt zur stationären Abklärung in die Kant. BEObachtungsstation. Mai 2003: Überfall auf eine Mitarbeiterin der Institution, mit einem andern Jugendlichen zusammen. Untersuchungshaft. Aus Platz- und Fremdgefährdungsgründen keine Platzierungsmöglichkeit bis zum 17. Altersjahr, im Dezember 2003. Februar 2004: Seit Dezember 03 in der geschlossenen Eintrittsabteilung einer Arbeitserziehungsanstalt. Er ist der Jüngste dort. Das Beispiel zeigt, dass es trotz den flexiblen Möglichkeiten des Jugendstrafrechtes sehr schwierig sein kann, einen dem Jugendlichen entsprechenden und seiner Entwicklung förderlichen Platz zu finden oder es müssen lange Wartezeiten in Kauf genommen werden. Beim konkreten Beispiel stellt sich für die schweizerischen Jugendstrafrechtsbehörden noch eine zusätzliche, äusserst heikle Frage: Was könnte von den rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen her getan werden, wenn die Fremdgefährlichkeit noch über mehrere Jahre hinweg bejaht werden müsste? Im Rahmen des
Seite 7/8 heutigen Jugendstrafrechtes ist keine mehrjährige, geschlossene Unterbringung vorgesehen. Das zweite Beispiel verdeutlicht das oft enge Zusammenwirken von zivilund strafrechtlichen Behörden in der Schweiz. Alle Interventionen erfolgten durch die Vormundschaftsbehörde, in engem Kontakt mit der Mutter. Es hätte aber durchaus sein können, dass nach den ersten Delikten des Jugendlichen die weiteren Interventionen durch das zuständige Jugendgericht beschlossen worden wären. 2.2 Beispiel 2: Jan, 16 jährig Januar März 2003: Erster Kontakt der Mutter zur Erziehungsberatung und danach zur Vormundschaftsbehörde der Gemeinde wegen Schulproblemen, Verweigerung, Bedrohung der Mutter Zuhause, Diebstahl und Cannabiskonsum. April 2003: Entscheid der Behörde mit den Eltern für eine Fremdplatzierung in einem Kleinprojekt. Nach zwei Monaten Abbruch wegen Verweigerung, erneuter Delinquenz und Bedrohungen. Juni / Juli 2003: Platzierungsversuch in Kinder- und Jugendpsychiatrischer Klinik nach Suiziddrohungen und zur stationären Abklärung. Zuerst Verweigerung, dann Eintritt. Antrag der Eltern auf Entziehung der Obhut über ihren Sohn. September 2003: Abbruch des Aufenthaltes in der Klinik wegen untragbarem Verhalten, Selbst- und Fremdgefährdung. Da die Eltern ihn nicht nach Hause nehmen wollen, Platzierung durch die Vormundschaftsbehörde im Regionalgefängnis (5 Tage), bis ein Platz in der geschlossenen Abteilung eines Jugendheimes frei ist. September 2003: Eintritt in die geschlossene Abteilung eines Jugendheimes für ca. 3 Monate, im ausdrücklichen Einverständnis der Eltern. Auftrag: Weiterführung der Abklärung, Beruhigung der Situation und Suchen nach Perspektiven für die Zeit nach dem Aufenthalt. Dezember 2003: Anfrage an die Kant. BEObachtungsstation zur Weiterführung der Integrationsschritte im offenen Rahmen und zur Uebernahme einer längerfristigen Betreuung während einer Ausbildung, sofern Jan sich bewähren kann. 20. Januar 2004: Eintritt in die BEO, platziert durch die Vormundschaftsbehörde. Schon nach kurzer Zeit ergeben sich erneut grosse Schwierigkeiten. Jan übernimmt sehr wenig Verantwortung für sein Verhalten. Bei Delikten ist er erneut dabei. Es erscheint sehr ungewiss, ob Jan sich in diesem offenen Rahmen wird bewähren können; ob er die notwendige Selbstverantwortung und -kontrolle innert nützlicher Zeit wird lernen können. Im Moment sind vor allem die Erwachsenen um ihn herum engagiert. Wir werden das Ziel und die Strategien überdenken müssen. Zum Glück kann festgehalten werden, dass für die meisten zuständigen Behörden Jugendliche mit ähnlicher Problematik und notwendigem Aufwand wie in den Beispielen dargestellt eher eine Ausnahme bilden. Für die Jugendheime sieht die Situation und Entwicklung etwas anders aus: Es ist
Seite 8/8 festzustellen, dass immer mehr nur noch Kinder und Jugendliche mit relativ hohem, ähnlichem und meist sehr komplexem Problempotential und ähnlich schwierigen Voraussetzungen aufgenommen werden müssen. Immer mehr Jugendliche werden in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Gewaltandrohung oder anwendung platziert. Damit wird dem Sicherheitsaspekt der MitarbeiterInnen vor allem auch in den offenen Institutionen eine immer grössere Bedeutung zukommen und sich direkt auf die Kosten auswirken. Weitere Informationen über das Jugendstrafrecht finden Sie über www.julex.ch oder www.jugendanwaltschaft.bl.ch