Antrag der SPD-Fraktion zur Umbenennung der Hindenburgstraße - Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens

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Transkript:

BU Nr. 51 / 2012 Az. 656.04 Öffentliche Sitzung des Gemeinderats am 29.3.2012 TOP 5. Antrag der SPD-Fraktion zur Umbenennung der Hindenburgstraße - Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens Sachverhalt Stadtrat Rainer Bliesener hat in der Sitzung des Gemeinderats vom 27.10.2011 im Namen der SPD-Fraktion beantragt, die Hindenburgstraße in Strümpfelbach umzubenennen. Wie mit dem Gemeinderat vereinbart, wurde in einem ersten Schritt nun zunächst die Rolle Hindenburgs in der Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten vom städtischen Archivar Dr. Bernd Breyvogel als wesentliche Entscheidungsgrundlage für das Gremium ausführlich untersucht. Die Untersuchung befindet sich im Anhang zu dieser BU. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Paul von Hindenburg Adolf Hitler nicht aus Versehen oder durch Einflussnahme Dritter zum Reichskanzler ernannt hat, sondern aus vollster politischer Überzeugung. Bei der Benennung von Straßen und Plätzen geht es darum, bedeutenden Personen der Zeitgeschichte ein ehrendes Andenken zu bewahren und ihre Leistungen für die Gesellschaft im Bewusstsein zu halten. Aufgrund des Untersuchungsergebnisses hält es die Verwaltung für geboten, der Person Hindenburg künftig diese Ehre zu versagen und deshalb das Verfahren zur Umbenennung der Hindenburgstraße einzuleiten. Beim Verfahren zur Umbenennung einer Straße ist zu beachten, dass die Straßenanlieger ein Recht auf die Berücksichtigung ihrer Interessen und an einer Abwägung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Umbenennung haben (vgl. u.a. VGH BW, Urteil vom 12.05.1980, Az. I 3964/78, Urteil vom 22.07.1991, Az. 1 S 1258/90). Vor einer abschließenden Entscheidung über die Umbenennung der Hindenburgstraße durch den Gemeinderat empfiehlt die Verwaltung deshalb, den Anwohnern und den dort ansässigen Unternehmen die Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu bieten. Außerdem empfiehlt die Verwaltung, soweit möglich die Kosten einer Umbenennung sowohl für die Stadt als auch für die Anlieger zu ermitteln und dem Gemeinderat einen Vorschlag zur Kostenverteilung vorzulegen. Auf Grundlage der bereits vorgelegten historischen Untersuchung sowie der bis dahin eingegangenen Stellungnahmen und der ermittelten Kosten würde dem Gemeinderat dann in einer der kommenden Sitzungen die abschließende Entscheidung über die Umbenennung obliegen. Sollte sich der Gemeinderat in dieser späteren Sitzung für eine Umbenennung der Hindenburgstraße aussprechen, so stellt sich automatisch die Frage nach einem alternativen Straßennamen.

Die Verwaltung empfiehlt deshalb, sowohl den Anliegern der Hindenburgstraße als auch der breiten Bürgerschaft in den kommenden Wochen die Gelegenheit zu bieten, Vorschläge für einen neuen Straßennamen einzureichen und diese dem Gemeinderat ebenfalls in einer der kommenden Sitzungen zur Entscheidung vorzulegen. Beschlussvorschlag 1. Die Verwaltung wird beauftragt, das Verfahren zur Umbenennung der Hindenburgstraße einzuleiten und den Anwohnern und den in der Hindenburgstraße ansässigen Unternehmen eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten. Die Verwaltung wird außerdem beauftragt, soweit möglich die Kosten einer Umbenennung sowohl für die Stadt als auch für die Anlieger zu ermitteln und dem Gemeinderat einen Vorschlag zur Kostenverteilung zu unterbreiten. 2. Die Verwaltung wird des Weiteren beauftragt, sowohl von den Anliegern der Hindenburgstraße als auch von der gesamten Bürgerschaft Vorschläge für alternative Straßennamen einzuholen und dem Gemeinderat zu unterbreiten. 3. Die abschließende Entscheidung darüber, ob die Hindenburgstraße umbenannt und wenn ja welcher andere Straßenname vergeben wird, trifft der Gemeinderat unter Berücksichtigung der vorliegenden historischen Untersuchung, der bis dahin eingegangenen Stellungnahmen der Anlieger, den Kosten und den Namensvorschlägen in einer der kommenden Sitzungen. 15.02.2012/Dezernat I/Hauptamt/Beck Interne Bearbeitungsvermerke Dez./Amt OB EBM 10 11 12 14 20 23 32 50 60 65 66 SWW SEW STS X Federführung Kürzel Bk Mitzeichnung X X X X X X Erfolgt am 15.02. 15.02. 15.02. 15.02. 15.02. 15.02. Kürzel Os Be Ho Hei Schw Au

1. Zur Beurteilung der historischen Bedeutung Paul von Hindenburgs Im Folgenden soll Hindenburgs Rolle als Reichspräsident bei und nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Vordergrund stehen, da sein Verhalten bei dieser weltgeschichtlichen Wendemarke bei einer historisch-politischen Gesamtbeurteilung seiner Lebensleistung zweifelsohne die entscheidende Rolle spielt. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich überwiegend auf das maßgebliche Standardwerk zu Hindenburg, das Wolfram Pyta 2007 unter dem Titel Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler vorgelegt hat. Dabei handelt es sich nicht nur um die neueste und mit Abstand ausführlichste Biographie zu Hindenburg, sondern Pyta setzte hier auch in der Bewertung Hindenburgs neue Maßstäbe, indem er etliche unausgewogene oder auch falsche Urteile in der bisherigen Literatur revidieren konnte. Vorneweg soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass Hindenburgs militärische und politische Rolle als Heerführer und Chef der Obersten Heeresleitung im I. Weltkrieg, insbesondere bei Kriegsende, heute ebenfalls kritisch gesehen wird. Dabei begründete sich darauf sein später politisch so ungemein wichtiger Mythos als Sieger von Tannenberg und nationale Rettergestalt. Hier nur ein Beispiel für eine solche Neubewertung: Abgesehen von einer mittlerweile völlig gewandelten Beurteilung militärischer Wertekategorien ist heute allgemein anerkannt, dass der Sieg von Tannenberg Ende August 1914 1. in seiner militärischen Bedeutung maßlos überhöht wurde, 2. der Anteil Hindenburgs am Sieg gegenüber anderen Militärführern, insbesondere General Ludendorffs, eher nachrangig war und 3. dass Hindenburg sein Heer noch im selben Jahr bei dem Versuch, bei Lodz ein zweites Tannenberg zu erreichen, fast ins Verderben geführt hätte und nur durch Entsatz von außen gerettet werden konnte. Dennoch schaffte es Hindenburg nicht zuletzt durch geschickten Umgang mit den Medien, den Tannenberg-Mythos vor allem auf seine Person zu beziehen, und auch am Ende des I. Weltkriegs agierte er taktisch klug, indem er Rücktritt und Flucht des Kaisers befürwortete, gleichzeitig aber bei der Auflösung des Heeres Ludendorff und dessen Nachfolger als Generalquartiermeister Groener den Vortritt ließ, so dass vor ihm andere Führungspersönlichkeiten mit der militärischen Niederlage und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs in Verbindung gebracht wurden. Er dagegen konnte sich, trotz aller militärischen Fehler, den Mythos des im Felde unbesiegten Heerführers bewahren und wirkte auch kräftig an der Verbreitung der Dolchstoßlegende mit. 1925 wurde Hindenburg zum ersten Mal vom Volk zum Reichspräsidenten gewählt, ein Amt, das nach der Weimarer Verfassung eine ungemeine Machtfülle auf sich vereinigte. So war es allein der Reichspräsident, der den Reichskanzler als Regierungschef ernannte, weder der Reichstag noch sonst ein parlamentarisches Gremium waren hier eingebunden. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler eines Kabinetts der nationalen Konzentration. Die direkten politischen Vorbereitungen hierzu unternahm zwar der frühere Reichskanzler und Vertraute Hindenburgs, Franz von Papen, aber die eigentliche Entscheidung traf Hindenburg völlig eigenständig und ohne Einflussnahme von außen. Hier konnte Pyta mit einem bis heute weit verbreiteten Irrtum aufräumen, wonach Hindenburg Hitlers Berufung von Dritten eingeredet worden sei oder er gar durch sein hohes Alter nicht mehr Herr über seine eigenen Entscheidungen gewesen sei. Tatsächlich war Hindenburg bis zu seinem Tode bei klarem Verstand und geistig rege! Nein, Hindenburg berief Hitler ganz bewusst, weil er unter ihm seine eigenen politischen Hauptziele, die nationale Einigung des politisch zerrissenen Deutschland und die Wiederbelebung des Geistes

von 1914, vor dem Durchbruch sah! Deshalb hatte Hitler mit seinem Plan, so schnell wie möglich den Reichstag aufzulösen und nach Neuwahlen ein Ermächtigungsgesetz zu erlassen, das ihn in die Lage versetzen würde, ohne Reichstag und ohne präsidiale Unterstützung, eben aus eigener Machtvollkommenheit, zu regieren, die volle Zustimmung des Reichspräsidenten! Und dies nicht obwohl, sondern gerade weil Hindenburg damit eigene Kompetenzen an Hitler abgeben würde. Tatsächlich wollte sich Hindenburg nämlich nach den leidvollen Erfahrungen mit den vorangegangenen Präsidialkabinetten aus dem politischen Alltagsgeschäft zurückziehen aus freien Stücken wohlgemerkt um sich ganz der Pflege seines Mythos als überparteiliche Heils- und Retterfigur hinzugeben. Hatte er schon keine Bedenken, auf eigene, präsidiale Vollmachten zu verzichten, so gilt das erst recht für die von ihm mit betriebene Entmachtung des Parlaments, das für ihn geradezu zum Symbol des durch Parteiengezänk politisch geschwächten Deutschlands geworden war. Hindenburg setzte also große Hoffnungen auf Hitler, unter dessen Kanzlerschaft endlich alle zuvor zerstrittenen deutschnationalen Kräfte vereint waren. Persönlich blieb er allerdings vorerst auf Distanz der als ehemaliger Gefreiter in Hindenburgs von Militärhierarchien geprägtem Standesdünkel nicht sehr hoch angesiedelte Hitler hatte sich erst noch zu bewähren. Doch diese Bewährungsprobe sollte zu Hindenburgs vollster Zufriedenheit ausfallen! Gleich am 1. Februar löste Hindenburg den Reichstag auf, um die Neuwahlen am 5. März zu ermöglichen. Bis dahin unterschrieb er bereitwillig noch zwei Not- bzw. Sonderverordnungen Hitlers, die unmissverständlich die Presse- und Versammlungsfreiheit und überhaupt jegliche oppositionelle Tätigkeit einschränkten. Gerade die zweite, nach dem Reichstagsbrand erlassene Sonderverordnung zur Bekämpfung kommunistischer Gewaltakte übertrug Hitler geradezu diktatorische Vollmachten bis hin zur Suspendierung der Grundrechte und Gleichschaltung der Länder! Hindenburg hatte kein Problem damit! War er doch wie Hitler überzeugt davon, nur so einen kommunistischen Putsch verhindern zu können. Bei der Reichstagswahl am 5. März erhielt Hitlers Regierungskoalition die absolute Mehrheit. Die Stimmen für die Kommunisten eingerechnet, votierten rund zwei Drittel der Deutschen in der letzten mit Einschränkungen freien Wahl für antidemokratische Parteien! Dass Hindenburg, der sich schon auf Wahlplakaten gemeinsam mit Hitler gezeigt hatte, über dieses Ergebnis hocherfreut war, versteht sich von selbst. Sah er doch hierin die deutliche und endgültige Bestätigung des Volkes für die Richtigkeit seiner Entscheidung, Hitler als Reichskanzler zu berufen. Erleichtert stellte er fest, dass jetzt ein für allemal mit der Wählerei Schluß sei (Pyta, S. 819). Überhaupt fand er Hitlers Unterdrückung anderer Parteien vor dem Hintergrund der nationalen Einigung völlig in Ordnung. Hitler stieg beständig in seinem Ansehen bei Hindenburg, der immer mehr davon überzeugt war, in ihm seinen einzig würdigen Nachfolger und Vollender der eigenen politischen Visionen gefunden zu haben. Ein Schlüsselereignis hierbei war der sog. Tag von Potsdam am 21. März 1933, der für Hindenburg die Wiedergeburt des Geistes von 1914 symbolisierte. Hitlers Rede rührte ihn gar laut Augenzeugen zu Tränen. Zwei Tage später beschloss der - bereits massiv in seiner Tätigkeit eingeschränkte Reichstag das Ermächtigungsgesetz mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit und öffnete Hitler damit den Weg in die totale Diktatur. Obwohl Hindenburg von rechtskonservativer Seite auf den auch für ihn damit verbundenen Machtverlust bei der Gesetzgebung angesprochen wurde, unternahm er nichts. Warum auch? Die vorgesehene Aufgabenteilung zwischen Regierung und Reichspräsident entsprach ja seinen Wünschen. Er war sogar erleichtert, in Zukunft keine Gesetze mehr ausfertigen zu müssen.

Auch die von Hitler im Zuge des sog. Röhm-Putsches angeordneten Massenmorde an der SA-Führung und (rechten) Oppositionellen bzw. Rivalen fand Hindenburgs zumindest stillschweigende Zustimmung. Die politische Ausschaltung der ihm verhassten SA Ernst Röhms entsprach sogar seinem ausdrücklichen Wunsch zu den Morden meinte er danach nur: Das ist richtig so, ohne Blutvergießen geht es nicht (Pyta, S. 849). Selbst die Ermordung seines früheren Reichskanzlers Kurt von Schleicher dessen Ehefrau gleich mit erschossen wurde bewirkte keinen Protest beim Reichspräsidenten. Er setzte sich lediglich für die sofortige Freilassung des inhaftierten Papen ein. Einmal intervenierte Hindenburg bei einem Gesetzesvorhaben der Hitler-Regierung: Beim Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das u. a. die Entlassung aller nach August 1914 verbeamteten Juden vorsah, erreichte er ein sog. Frontkämpferprivileg für die Veteranen des Weltkriegs und dessen Hinterbliebene. Dabei stellte er aber nicht die antisemitische Diskriminierung als solche in Frage wie hie und da (etwa im Lexikon des Nationalsozialismus) behauptet sondern es ging ihm einzig und allein um militärische Wertmaßstäbe. Nach all dem Gesagten kann es nicht überraschen, zu wessen Gunsten sein im Mai 1934 verfasstes politisches Testament ausfiel: Seine politische Vision der nationalen Einheit Deutschlands nach innen und außen sah er in Gestalt Adolf Hitlers auf dem besten Weg, seine Ernennung zum Reichskanzler nach den Wirren der Weimarer Republik, die er für eine Fehlkonstruktion hielt, wertete er dabei als entscheidenden Durchbruch. So sperrte er sich auch gegen immer wieder von rechtskonservativer Seite vorgetragene Versuche, die ihm unterstellte Reichswehr gegen Hitler zu instrumentalisieren er sah dafür politisch ja nicht den geringsten Grund! Und auch die Monarchisten enttäuschte er, obwohl er im Herzen wahrscheinlich kaisertreu blieb, ganz einfach deshalb, weil er die Zeit für eine Restauration noch lange nicht für reif hielt. Erst sollte Hitler als sein würdiger Nachfolger das Werk der nationalen Einigung vollenden, ihm überließ er letztlich auch die Wahl der endgültigen Staatsform. So schreibt Hindenburg: Ich scheide von meinem deutschen Volk in der festen Hoffnung, daß das, was ich im Jahre 1919 ersehnte und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird (Pyta, S. 863, 867). Fazit: 1. Paul von Hindenburg ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler nicht aus Versehen oder durch Einflussnahme Dritter zum Reichskanzler, sondern aus vollster politischer Überzeugung. 2. Er unternahm nichts gegen den sich gleich nach der Machtübernahme Hitlers etablierenden Terrorstaat, obwohl er durch sein enormes Ansehen in der Öffentlichkeit und kraft Amtes dazu in der Lage gewesen wäre im Gegenteil, alle wesentlichen Maßnahmen des Reichskanzlers fanden vor dem Hintergrund der über allem stehenden nationalen Einheit Hindenburgs stillschweigende oder ausdrückliche Zustimmung. 3. In seinem politischen Testament dokumentiert Hindenburg, dass er die jüngste Entwicklung Deutschlands für die Krönung seines Lebenswerks hielt, und lässt keine Zweifel daran, dass er Hitler, den er zum Schluss auch persönlich schätzte, für seinen einzig legitimen Nachfolger hielt.

2. Die Umbenennung der oberen Strümpfelbacher Hauptstraße in Hindenburgstraße Am 30. Dezember 1936 setzte Bürgermeister Willy Abel den Gemeinderat über die umfangreiche Umbenennung der Ortstraßen und -wege in Kenntnis, die er im Zuge der bevorstehenden Neueinschätzung der Gebäude durch die Gebäudebrandversicherung für notwendig hielt. Dabei sollte die untere Hauptstraße bis zum Rathaus Adolf-Hitlerstraße und ab dem Rathaus Hindenburgstraße heißen. Außerdem war eine neue Straße dem NS- Kulturfunktionär und Ehrenbürger Strümpfelbachs Georg Schmückle zugedacht. Die Gemeinderäte sollten so Zeit haben, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Am 18. Januar 1937 folgte dann die entsprechende Verfügung des Bürgermeisters im Einverständnis mit sämtlichen Gemeinderäten. Dabei muss aber betont werden, dass die Gemeinderäte keine wirklichen Mitbestimmungsrechte, sondern maximal beratende Funktion hatten. Denn mit der Gemeindeordnung von 1935 wurde das Führerprinzip auch auf die Kommunalverwaltungen übertragen, was mit einschließt, dass fortan weder Bürgermeister noch Gemeinderäte gewählt, sondern unter Mitwirkung des örtlichen Beauftragten der NSDAP ernannt wurden. So kam auch der erwähnte Beschluss zur Straßenumbenennung nicht durch den Gemeinderat, geschweige denn demokratisch zustande, sondern durch Verfügung des Bürgermeisters (StadtA Weinstadt 1/5, GRP 1935/38, 177, 186). Weinstadt, im Februar 2012 Dr. Bernd Breyvogel, Stadtarchivar