Customer Care. Service Qualität Kundenzufriedenheit Kundenbindung Kundenrentabilität. Dr. Stefan Michel



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Transkript:

Service Qualität Kundenzufriedenheit Kundenbindung Kundenrentabilität Dr. Stefan Michel Oberer Chämletenweg 42e, CH-6330 Cham, Tel. 041 781 14 81, Fax 041 781 14 82, E-Mail stefan.michel@dplanet.ch

Inhaltsverzeichnis 1 Defensives Marketing als Erfolgsfaktor 3 2 Service Qualität und Kundenzufriedenheit 5 2.1 Gap-Modell 7 Kundenerwartung und Kundenerlebnis (Gap 5) 8 Erwartung der Kunden und Vorstellungen des Managements (Gap 1) 8 Vorstellung des Managements und Qualitätsnormen (Gap 2) 9 Qualitätsnormen und erbrachte Leistung (Gap 3) 10 Versprochene und erbrachte Leistung (Gap 4) 11 2.2 SERVQUAL-Ansatz 12 2.3 Modell der Toleranzzonen 15 2.4 Muss-, Soll- und Plus-Faktoren 16 2.5 Ereignisorientierte Qualität 18 2.6 Service Recovery 20 Service Recovery Paradox 22 Das Service Recovery Paradox und andere Befunde 22 Experiment zu Service Recovery 23 3 Kundenloyalität 29 3.1 Loyalitätsformen 29 3.2 Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität 30 Loyalität zwischen Aposteln und Terroristen 30 Loyalitätstypen 32 3.3 Ökonomie der Loyalität 33 4 Customer Lifetime Value 36 5 Dreieck des Dienstleistungsmarketing 40 5.1 Internes Marketing 41 5.2 Interaktives Marketing 41 Dr. S. Michel Seite 1

5.3 Externes Marketing 43 Product 43 Place 43 Price 44 Promotion 44 5.4 Service Kultur 44 6 Die 8 I s der Kundenbindung 46 Information 46 Investition 46 Individualisierung 47 Interaktion 48 Institutionalisierung 49 Integration 49 Informationstechnologie 50 Incentive 51 Checkliste52 Dr. S. Michel Seite 2

1 Defensives Marketing als Erfolgsfaktor Das traditionelle Paradigma des Marketing beinhaltet die Vermarktung der unternehmerischen Leistung (Produkt und Dienstleistung) an Abnehmer. Ausgehend von aktuellen und latenten Kundenbedürfnissen sollen die Leistungen sowie die Marktbearbeitungsmassnahmen (Marketing-Mix) so konzipiert sein, dass die Ziele der Unternehmung (Gewinn, Wachstum, Mitarbeiterzufriedenheit etc.) erreicht werden. Die Betonung im traditionellen Marketing lag auf Wachstum durch die Eroberung neuer Märkte, Teilmärkte und Kundensegmente. Das offensive Marketing hat zum Ziel, neue Kunden zu gewinnen. Das wirtschaftliche Umfeld hat durch Globalisierung, technischen Fortschritt, Unternehmenskooperationen und fusionen, zunehmende Unternehmensrisiken, verkürzte Produkt-Lebenszyklen ein Umfeld geschaffen, in welchem nicht Wachstums-, sondern Verdrängungs- und Behauptungsstrategien dominieren. In hart umkämpften, häufig auch gesättigten und margenschwachen Märkten, wird die Neukundengewinnung ein teures Unterfangen. Eine grossangelegte Studie, die 1979 und 1986 in den USA durchgeführt worden ist (TARP, 1979, 1986) hat ergeben, dass es in der Regel 5mal teurer ist, einen Kunden zu gewinnen als einen Kunden zu halten. Die Werte variieren, je nach Branche, Produkt etc., zwischen einem Faktor 2 und einem Faktor 30. Solche Ergebnisse führen zur Erkenntnis, dass es betriebswirtschaftlich viel mehr Sinn macht, bestehende Kundenbeziehung zu pflegen, anstatt die Kundenverluste durch Neukundenakquisition laufend zu egalisieren. Dadurch wird ein Umdenken im Marketing postuliert, das von einer offensiven Ausrichtung hin zu einer defensiven Orientierung führt. Nicht länger steht der Abverkauf im Zentrum, sondern der Wiederkauf. Die nachfolgende Tabelle vergleicht offensives und defensives Marketing. Dr. S. Michel Seite 3

Offensives Marketing Defensives Marketing Zeit vorherrschend bis Mitte 80er Jahre zunehmend seit Mitte 80er Jahre Marktumfeld Wachstumsmärkte in Mengen Verdrängungsmärkte und Preisen Marketingstrategien Wachstumsstrategien, Internationalisierung, Globalisierung, Kundenrentabilisierung Wettbewerbsdifferenzierung Fokussierung Kostenführerschaft Erfolgsfaktoren im Markt Marktanteil Bekanntheitsgrad Kundenzufriedenheit Kundenloyalität Image Marketing-Instrumente 4 P s (product, price, place, promotion), d.h. Leistungs-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik zusätzlich zu den 4 P s 5. P (people) Kundenbindungsmanagement Beziehungsmanagement Verkaufsziele Erstkauf, Abverkauf Wiederkauf, Cross-Selling Marktforschungs-Instrumente Bedürfnisabklärungen Zahlungsbereitschaft Images Kaufabsicht Qualitätsempfinden Kundenzufriedenheit Verbesserungsvorschläge Analyse von Kundenverlusten Kundenperspektive Kunde als Abnehmer Kunde als Partner Abb. 1 Vergleich offensives und defensives Marketing In Anlehnung an Zeithaml/Bitner (1996: 253) kann gezeigt werden, dass sich offensives und defensives Marketing nicht ausschliessen, sondern ergänzen und bis zu einem Grad sogar gegenseitig bedingen. Ein Unternehmen, das ausschliesslich offensives Marketing betreibt, wird jedes Jahr viele unzufriedene Kunden verlieren. Die Akquisitionskosten sind hoch, ein hoher Preis lässt sich gegen die Konkurrenten nicht durchsetzen. Als logische Folge ist die Marge tief, was sich negativ auf den Gewinn auswirkt. Auf der anderen Seite kann auch eine alleinige Ausrichtung auf defensives Marketing tödlich sein. Ein Unternehmen, das mit seinen Kunden alt wird, und es verpasst neue Kunden zu gewinnen, wird am Ende eines Produktlebenszyklus grosse Schwierigkeiten bekunden, ein innovatives Angebot glaubwürdig in einem innovativen Segment zu positionieren. Dr. S. Michel Seite 4

Kosten senkun Defensives Marketing Kunden zufriedenh Kunden bindung Kaufmeng Preisprämi Marge Sevice Qualität Mund- Mund Gewinn Offensives Marketing Image Werbung Marktantei Preisprämi Umsat Verkaufsförderung Abb. 2 Gewinn als Resultat von offensivem und defensivem Marketing 2 Service Qualität und Kundenzufriedenheit Zentrales Element jedes Dienstleistungsmarketing ist die Servicequalität. Servicequalität, bzw. der deutsche Begriff der Dienstleistungsqualität kann in Anlehnung an Zeithaml/Bitner (1996: 117) folgendermassen definiert werden: Servicequalität heisst, eine Dienstleistung zu erbringen, welche die Kundenerwartung erfüllt oder übertrifft. Entgegen den technisch orientierten und objektiv messbaren Qualitätsstandards, z.b. bei einer Million Wertschriftenabwicklungen dürfen max. 50 fehlerhaft sein, verstehen wir Servicequalität als eine Grösse, die im wesentlichen durch die Kunden und deren Erwartungen definiert wird. Sie wird bestimmt als Differenz zwischen der Kundenerwartung und den Kundenerlebnis. Die Messung und das Management der Qualität ist dabei ausserordentlich schwierig. Dies liegt an den Besonderheiten der Dienstleistung. Sie wird nicht wie ein Auto am Fliessband in gro- Dr. S. Michel Seite 5

ssen Auflagen produziert, wo sie in einer Qualitätskontrolle geprüft werden könnte, sondern findet in vielen Tausend Momenten der Wahrheit statt. Im Rahmen einer grossangelegten US-Untersuchung zur Messung der Einflussfaktoren von überdurchschnittlichen Rentabilitäten (profit impact of marketing strategies, PIMS) stellten die Autoren Buzzell/Gale (1989) fest, dass zwischen einer hohen Servicequalität und dem Umsatzwachstum, dem Preis, dem Gewinn und dem Marktanteil eine positive Beziehung besteht. Auswirkung der Qualität 20% Rendite Umsatzwachstum Preisindex Marktanteil 15% Veränderung p.a. 10% 5% Niedrige Qualität Hohe Qualität 0% -5% Abb. 3 Auswirkung der Servicequalität (Buzzell/Gale 1989) Die Unternehmung kann einerseits eine Kosten-/Nutzen-Analyse durchführen für Projekte und Initiativen, welche die Servicequalität steigern. Dabei darf sie andererseits nicht vergessen, dass bestehende Mängel, welche zu einer tiefen Servicequalität führen können, beträchtliche Kosten verursachen können. Eine mangelhafte Servicequalität führt beispielsweise: zur Abwanderung bestehender Kunden. zu negativer Mund-zu-Mund-Propaganda unzufriedener Kunden. Untersuchungen haben gezeigt (Reichheld 1996), dass Unzufriedene etwa 10 weiteren Personen ihr negatives Erlebnis mitteilen. Dies ist deshalb besonders kritisch, weil gerade bei schwer fassbaren Dienstleistungen die persönliche Empfehlung im Kaufprozess eine bedeutende Rolle spielt. Dr. S. Michel Seite 6

zu einer Erhöhung der Marketing-Kosten, da es gemäss einer Schätzung von Hart et al. (1990) fünfmal mehr kostet, einen Neukunden zu gewinnen als einen bestehenden Kunden zu halten. Für den Kunden ist bei der Servicequalität nicht nur das Resultat wichtig (z.b. gutes Essen im Restaurant), sondern auch der gesamte damit zusammenhängende Prozess (z.b. genügend Parkplätze, Nichtrauchertisch, freundliche Bedienung, angenehme Atmosphäre etc.). Bei der Beurteilung einer Dienstleistung unterscheiden die Kunden deshalb zwischen der Frage Was habe ich erhalten? und der Frage Wie habe ich es erhalten? (Grönroos 1990). 2.1 Gap-Modell In ihrem Modell gehen Parasuraman/Zeithaml/Berry (1985) davon aus, dass Service Qualität als Differenz zwischen der erwarteten Leistung aus Kundensicht und der erlebten Leistung durch den Kunden gemessen werden kann. Diese Lücke (engl. gap), die als Gap 5 bezeichnet wird, resultiert aus der Summe vier einzelner Gaps, wie die folgende Abbildung zeigt. Dr. S. Michel Seite 7

mündliche Empfehlungen persönliche Bedür fnisse bisherige Erfahrungen er wartete Leistung 5 Kunde erlebte Leistung Anbieter 1 erbrachte Leistung 3 4 externe Kommunikation Qualitätsnormen 2 Vorstellungen des Managements Legende 4 Lücke Abb. 4 Das Gap-Modell der Service Qualität Kundenerwartung und Kundenerlebnis (Gap 5) Das Gap-Modell besagt im wesentlichen, dass die Service Qualität besser ist, je kleiner die Lücke 5, also die Differenz zwischen erwarteter und erlebter Leistung ist. Diese Lücke 5 ist die Summe aller Lücken 1 bis 4 der Abbildung. Will eine Unternehmung also ihre Service Qualität verbessern, so gelingt ihr dies, wenn sie Lücke 1, 2,. 3 und 4 mit geeigneten Massnahmen zu schliessen versteht (Zeithaml/Bitner 1996: 49). Erwartung der Kunden und Vorstellungen des Managements (Gap 1) Diese Diskrepanz entsteht, wenn das Management die Erwartungen der Kunden nicht kennt, bzw. verzerrt wahrnimmt. Diese Lücke kann entstehen bei ungeeignetem oder fehlendem Einsatz von Marktforschung, bei ungenügender Kommunikation innerhalb des Dienstleistungsdreiecks, insbesondere von den Frontmitarbeitern zum Management. Dr. S. Michel Seite 8

Ungenügende Marktforschung Marktforschung ist mangelhaft oder fehlt. Marktforschung ist nicht auf Kundenzufriedenheit fokussiert. Marktforschungsstudien versanden. Mangelhafte vertikale innerbetriebliche Kommunikation Mangelhafte Kommunikation zwischen Management und Kunden Mangelhafte Kommunikation zwischen Frontmitarbeitern und Management Kommunikationswege durch Hierarchien verschüttet Ungenügende Berücksichtigung der Kundenbeziehung Fehlende Marktsegmentierung Transaktions- statt Beziehungsorientierung Fokus eher auf Kundenakquisition als auf Kundenbindung Vorstellung des Managements und Qualitätsnormen (Gap 2) Das Management setzt Normen, Regeln und Ziele für die Erreichung der gesetzten Servicequalitätsziele. Hier kann eine Lücke entstehen, wenn das Management nicht bereit ist, die erkannten Kundenbedürfnissen auch tatsächlich umzusetzen. Beispielsweise kann es sein, dass die Frontmitarbeiter auch unrentablen Kunden einen hohen Servicestandard bieten wollen, während das Management kostenorientiert denkt. Häufige Problemfelder entstehen auch durch widersprüchliche Anweisungen verschiedener Weisungsbefugter. Fehlende kundenorientierte Standards und Normen Kundenorientierte Standards und Normen wurden nie formuliert und festgehalten. Prozesse und Abläufe im Unternehmen sind nicht auf die Kunden ausgerichtet. Qualitäts- und Kundenzufriedenheitsziele werden nicht systematisch erarbeitet. Ungenügende Service Leadership Bedeutung der Kundenzufriedenheit und Loyalität wird unterschätzt. Das Management lebt nicht vor, was es selbst predigt. Die Kennzahlen fördern den Superservice nicht. Dr. S. Michel Seite 9

Ungenügendes Service Design Unter Service Design verstehen wir den eigentlichen Leistungsprozess mit allen tangiblen und intangiblen Elementen, wie er vom Management geplant und den Mitarbeitenden gelehrt wird. Die Entwicklung neuer Service Designs geschieht unsystematisch und nicht kundenorientiert. Die Service Designs sind vage und unklar. Die Mitarbeiterbeurteilung und belohnung ist nicht adäquat. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter (Empowerment) entspricht nicht den Aufgaben. Das Arbeiten in Teams wird nicht gefördert, Teams werden nicht nach kundenorientierten Gesichtspunkten gebildet. Qualitätsnormen und erbrachte Leistung (Gap 3) Diese Lücke bezeichnet die Differenz zwischen dem, was passieren sollte und dem, was tatsächlich passiert. Eine solche Differenz kann entstehen, wenn das Personal die geforderte Servicequalität nicht erbringen kann oder nicht erbringen will, d.h. wenn ihm Kompetenz, Know How oder Motivation fehlt. Ein weiterer Faktor dieser Lücke ist die Technik, die mit zunehmendem Automatisierungsgrad bestimmt, wie erfolgreich eine Dienstleistung erbracht, bzw. nicht erbracht werden kann. Defizite der Personalpolitik und -führung Die Rekrutierungspolitik berücksichtigt die Kundenzufriedenheit nicht. Der starke Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit wird ungenügend berücksichtigt. Die Rollenkonflikte der Frontmitarbeiter behindern die Service Qualität. Die technischen Systeme unterstützen die Mitarbeiter nicht optimal. Unkorrigierte Nachfrage-Angebotsschwankungen Die Kurve mit Spitzenzeiten mit einer zu grossen Nachfrage und flauen Zeiten mit einer zu geringen Nachfrage lässt sich nicht glätten. Die Steuerung der Nachfrage ist zu stark preisfixiert. Dr. S. Michel Seite 10

Der Kundenmix trägt nicht zur Glättung der Angebots-Nachfragekurve bei. Das Angebot kann nicht flexibel der Nachfrage angepasst werden. Fehlende oder fehlerhafte Kundenintegration Die Kunden wissen nicht, welche Tätigkeiten sie erbringen müssen. Die Kunden können die von ihnen erwarteten Tätigkeiten nicht erbringen. Die Kunden stören sich gegenseitig. Die Kunden sind mit ihrer eigenen Leistung unzufrieden. Versprochene und erbrachte Leistung (Gap 4) Die vierte Lücke bezeichnet den Unterschied zwischen dem, was die Unternehmung dem Kunden mittels externem Marketing kommuniziert und dem, was sie mittels interaktivem Marketing liefert. Dieser Punkt ist deshalb sehr bedeutend, weil Dienstleistungen im Gegensatz zu physischen Produkten oftmals als blosse Versprechen gekauft werden, zum Beispiel ein Ferienarrangement oder eine Versicherungspolice. Die Verkäufer dieser Dienstleistungen sind versucht, Versprechen zu machen, die nicht in jedem Fall eingelöst werden können. Weil sie in aller Regel über die besseren Kenntnisse der tatsächlichen Dienstleistung verfügen und die Konkurrenzangebote kennen, fällt es ihnen nicht leicht, durch die Weglassung von relevanten, negativen Informationen beim Kunden zu hohe Erwartungen zu wecken. Kundenerwartungen werden nicht gezielt beeinflusst Die Kommunikation erzeugt ein falsches, inkonsistentes Bild der Leistung. Die Kunden werden nicht entsprechend angeleitet oder vorbereitet. Unrealistische Versprechen In der Werbung wird zuviel versprochen. Im Verkaufsgespräch wird zuviel versprochen. Die äussere Erscheinung, der Auftritt verspricht zuviel. Dr. S. Michel Seite 11

Mangelhafte horizontale innerbetriebliche Kommunikation Die Kommunikation zwischen Verkauf (Front office) und Produktion (Back office) ist ungenügend. Die Kommunikation zwischen Werbung und Produktion ist ungenügend. Innerhalb des Unternehmens verändern einzelne Abteilungen und Personen die Leistungserstellung. 2.2 SERVQUAL-Ansatz Die Autoren Zeithaml/Parasuraman/Berry (1990) haben die Erkenntnisse des Gap-Modells zu einem Gesamtmodell integriert, das sich SERVQUAL (SERVice QUALity) nennt. Dieses Modell ist gleichermassen praktikabel wie theoretisch fundiert und wird weltweit mit grossem Erfolg eingesetzt. Aus 97 einzelnen Qualitätskriterien wurden mittels Faktoranalysen 22 Items eruiert, die in 5 Kategorien eingeteilt werden können. Dr. S. Michel Seite 12

Dimension und Definition Äusserliche Erscheinung Erscheinung der Gebäude, Einrichtungen, Mitarbeiter, Drucksachen Zuverlässigkeit Fähigkeit, die versprochene Leistung verlässlich, pünktlich und exakt zu liefern Reaktionsfähigkeit Hilfsbereitschaft und prompte Dienstleistung Kompetenz Vorhandensein der notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeit sowie des notwendigen Wissens Takt Höflichkeit, Respekt, Rücksicht, Freundlichkeit des Kontaktpersonals Vertrauenswürdig Integrität, Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit des Anbieters Sicherheit Anbieter ohne Risiken, Ängste, Zweifel Zugang Zugangsmöglichkeiten und Einfachheit der Kontaktnahme Kommunikation Kontinuierliche, leicht verständliche Information der Kundschaft Kundengespür Beispielhafte Fragen aus dem Banking Sind die Schalterräume attraktiv? Ist mein Bankberater korrekt gekleidet? Ist mein Kreditkartenauszug leicht verständlich? Machen die Computer einen modernen Eindruck? Wird zur versprochenen Zeit zurückgerufen? Werden die Wertschriftenaufträge genau nach meiner Anweisung ausgeführt? Ist mein Kontoauszug fehlerfrei? Wenn ich ein Problem habe mit meiner Bankkarte, wird mir rasch und unkompliziert geholfen? Wird auf meine Fragen eingegangen und werden sie freundlich beantwortet? Bleiben Zahlungsaufträge nicht liegen? Können die Ansprechpersonen klare Antworten auf meine Fragen geben? Sind die Anlageempfehlungen fundiert und werden sie kompetent kommuniziert? Macht die Person am Schalter den Eindruck, dass sie jederzeit weiss, was als nächstes zu tun ist? Werde ich freundlich begrüsst? Werden meine Fragen ernst genommen? Sind die Mitarbeiter geduldig? Hat die Bank einen guten Ruf? Werde ich nicht zum Kaufabschluss gedrängt? Stimmen die Belastungen mit den Tarifen überein? Ist es sicher, Bancomaten zu benützen? Ist die Bonität der Bank gut? Ist es für Dritte absolut unmöglich, etwas über meine Bankbeziehung zu erfahren? Werden Kreditverträge nach klaren Kriterien eingehalten, bzw. verlängert? Kann ich mich leicht an die vorgesetzte Stelle wenden, wenn ich nicht zufrieden bin? Ist 24-Stunden Gratistelefon für Kunden eingerichtet? Werde ich sofort richtig verbunden? Kann der Kundenberater verständlich aufzeigen, was die Vor- und Nachteile der einzelnen Anlageformen sind? Sind Kundeninformationen auf meine Bedürfnisse zugeschnitten? Wird auf unverständliche Fachbegriffe verzichtet? Werde ich als guter Kunde in der Bank erkannt? Will der Kundenberater meine ganz persönlichen finanziellen Ziele kennenlernen? Entspricht die Kreditlimite meiner Kreditkarte meinen finanziellen Möglichkeit (nicht zu tief, nicht zu hoch)? Abb. 5 Die 10 Dimensionen der Service Qualität (Zeithaml/Parasuram/Berry 1990:21) Bei der Entwicklung des Analysetools SERVQUAL haben die Autorin und die Autoren die Anzahl der Dimensionen reduziert und einen Fragebogen zur Messung geschaffen. Dr. S. Michel Seite 13

Die Zuordnung der 10 Dimensionen der Service Qualität zu den 5 SERVQUAL-Dimensionen zeigt die folgende Abbildung. Zuverlässigkeit Reaktionsfähigkeit Leistungskompetenz Entgegenkommen Äusserliche Erscheinung Zuverlässigkeit Reaktionsfähigkeit Kompetenz Takt Vertrauenswürdigkeit Sicherheit Zugang Kommunikation Kundengespür Äusserliche Erscheinung Abb. 6 Zuordnung der 5 SERVQUAL-Dimension Erhoben wird die Servicequalität mit sogenannten Doppelskalen. Bei jedem der 22 Items wird gefragt, ob erstens das Item für die Servicequalität generell bedeutend ist und ob zweitens der zu untersuchende Anbieter bei diesem Item eine hohe Servicequalität erzielt. Als Fazit aus verschiedenen Untersuchungen kann festgehalten werden, dass SERVQUAL ein Instrument darstellt, das in vielen Branchen angewendet werden kann. Unter anderem berichtet Berry (1997), dass die Zuverlässigkeit in allen Untersuchungen als die wichtigste der fünf Dimensionen eingestuft wird. Nichtsdestotrotz ist es häufig notwendig, die Items auf die jeweilige Problemstellung anzupassen, da bei Banken sicherlich andere Dimensionen zu berücksichtigen sind als bei Autoreparaturwerkstätten. Dr. S. Michel Seite 14

2.3 Modell der Toleranzzonen Parasuraman et al. (1994) gehen davon aus, dass es bezüglich verschiedener Qualitätsdimensionen wie Zuverlässigkeit, physisches Umfeld, Reagibilität, Leistungskompetenz und Einfühlungsvermögen unterschiedliche Toleranzzonen gibt. Die untere Grenze der Zone wird bestimmt durch die Wird -Erwartung. Die Kundin hat eine Vorstellung davon, was passieren wird. Die obere Grenze bildet die Soll -Erwartung. Diese wird beeinflusst durch das Versprechen des Anbieters, was passieren sollte (Zeithaml/Bitner 1996: 156). Sie entspricht jedoch nicht unbedingt der Idealvorstellung einer Kundin (Bruhn 1997: 49). Liegt die Beurteilung der Servicequalität durch den Kunden innerhalb der Toleranzzone, so ist der Kunde nicht unzufrieden. Entscheidend für seine Gesamtbeurteilung sind Merkmale, bei welchen die wahrgenommene Qualität unter der Wird -Erwartung liegt, oder bei welchen die wahrgenommene Qualität über der Soll -Erwartung liegt. Dr. S. Michel Seite 15

Qualität 9 5 1 Zuverlässigkeit Reaktionsfähigkeit Leistungskompetenz Entgegenkommen Äusserliche Erscheinung Legende: Qualitätswahrnehmung Toleranzzone Abb. 7 Qualitäts-Toleranzzonen (Parasuraman et al. 1994) Der ereignisorientierte Ansatz, der im folgenden Abschnitt besprochen wird, geht davon aus, dass nicht Durchschnittszufriedenheiten, die irgendwo innerhalb der Toleranzzonen liegen, für die Zufriedenheit entscheidend sind, sondern aussergewöhnliche gute, bzw. schlechte Ereignisse. 2.4 Muss-, Soll- und Plus-Faktoren Dr. S. Michel Seite 16

Das Modell der Toleranzzonen impliziert bereits, dass zwischen der Service Qualität und der Kundenzufriedenheit keine lineare Beziehung bestehen muss. Eine weitere Betrachtung stützt diese These mit dem Argument, dass es für den Kunden in der Regel Faktoren gibt, die erfüllt sein müssen, andere Faktoren, die erfüllt sein sollen und eine dritte Kategorie von Faktoren, die seine Zufriedenheit zusätzlich steigern können. Diese Einteilung in Muss-, Soll- und Plus-Faktoren ist von hoher Relevanz für das Management, weil sie mithilft, die Prioritäten kundengerecht zu setzen. Die Faktoren lassen sich in einer Tabelle wie folgt unterscheiden. Muss-Faktor Soll-Faktor Plus-Faktor Eigenschaft Trägt zur Unzufriedenheit bei, Kann gleichermassen zur Zufriedenheit, wie Trägt zur Zufriedenheit bei, wenn erfüllt wenn nicht erfüllt zur Unzufriedenheit beitragen Beispiel Airline Pünktliche Ankunftszeit Mahlzeit an Bord Spezielle Betreuung Beispiel Post Brief geht nicht verloren Brief kommt trotz falscher Postleitzahl rechtzeitig an beim Check-In Hilfe beim Einpacken eines zerbrechlichen Gegenstandes Abb. 8 Muss-, Soll- und Plus-Faktoren im Vergleich Dr. S. Michel Seite 17

Die Wertigkeit der drei Faktoren kann auch grafisch illustriert werden (Stahl 1998: 153): hohe Kundenzufriedenheit Plus-Faktor tiefe Ser vice Qualität Soll-Faktor Muss-Faktor hohe Ser vice Qualität tiefe Kundenzufriedenheit Abb. 9 Wirkung von Plus-, Soll- und Muss-Faktoren auf die Kundenzufriedenheit 2.5 Ereignisorientierte Qualität Merkmalsorientierte Ansätze wie beispielsweise SERVQUAL versuchen, die Servicequalität aufgrund verschiedener Merkmale zu bestimmen. Ereignisorientierte Ansätze verfolgen demgegenüber einen anderen Weg. Bei ihnen steht nicht der Dienstleister und seine Merkmale im Vordergrund, sondern ein Dienstleistungsereignis (Hentschel 1991). Die Kundenbeziehung kann dann anhand dieser Ereignisse aufgezeichnet werden. Dr. S. Michel Seite 18

Kontoeröffnung Schaltertransaktion Hypothek Jahresabschluss Zinssatzänderung Beginn der Beziehung Neue Stelle Heirat Hauskauf Kinder Wechsel zu Bank B Abb. 10 Kundenbeziehungskorridor am Beispiel einer Bank (Reichheld 1996: 202) Erhoben werden solche Ereignisse mit dem Story-Telling Verfahren, bei welchem der Kunde ein Ereignis, eine Dienstleistungsepisode, aus seiner Sicht schildert. Dieses Ereignis kann dann in Form eines Ablaufdiagrammes (engl. blueprinting, Shostak 1982, 1984, 1987) dargestellt werden oder mit der Methode der kritischen Ereignisse (Critical Incident Technique, Bitner et al. 1990) erfasst werden. Dabei werden besonders erfreuliche und besonders unerfreuliche Ereignisse einander gegenübergestellt. Vereinfacht lässt sich deshalb festhalten, dass merkmalsorientierte Ansätze für die Mehrheit der durchschnittlichen Dienstleistungserstellung ausgerichtet ist, während die ereignisorientierten, insb. die Critical Incident Technique, sich auf aussergewöhnliche Schlüsselereignisse fokussiert. Analog zum Toleranzzonenmodell von Parasuraman et al. (1994) kann die Zufriedenheit während der Beziehung als Fieberkurve gemessen und aufgezeichnet werden. Das folgende Beispiel illustriert, wie ein Kunde nach der Sprechung eines Hypothekarkredites sehr zufrieden war. Bis zu diesem Zeitpunkt war er eigentlich indifferent. Die Schaltertransaktionen haben eher zu seiner Zufriedenheit beigetragen, während der Jahresabschluss ihn nicht zufrieden stellen konnte. Dr. S. Michel Seite 19

Nachdem der Hypothekarkredit gesprochen und das neue Haus bezogen war, blieb die Zufriedenheit auf einem hohen Niveau. In dieser Zeit wären Empfehlungen an Freunde und Verwandte typisch. Die Lage ändert sich jedoch radikal, als die Bank entgegen der ursprünglichen Prognose die Belehnungsgrenze heruntersetzt und damit den Zinssatz für den Kredit erhöht. Der Kunde sucht aktiv nach Alternativen und als er eine Bank B findet, welche den Kredit abzulösen bereit ist, wechselt er. Kontoeröffnung Schaltertransaktion Jahresabschluss Hypothek Zinssatzänderung 10 Zufriedenheit 5 0 Beginn der Beziehung Neue Stelle Heirat Hauskauf Kinder Wechsel zu Bank B Abb. 11 Veränderung der Zufriedenheit über die Zeit der Beziehung 2.6 Service Recovery Weder Total Quality Management, noch Business Process Reengineering und auch nicht Kaizen konnten und können verhindern, dass in Unternehmen, und besonders in der Interaktion von Anbietern und Nachfragern, Fehler passieren. Dies ist umso kritischer, da Nachfrager von nichtmateriellen Leistungen häufig nicht wissen, was sie erhalten, bis sie es einmal nicht erhalten (Levitt 1981). Dr. S. Michel Seite 20

Wann immer Dienstleistungen erbracht werden, ist eine Vielzahl von Faktoren für ein zufriedenstellendes Ergebnis verantwortlich. Einige Faktoren sind extern gegeben, d.h. sie beziehen sich auf die äusseren Umstände und Bedingungen, unter welchen eine Leistung erbracht wird. Eine zweite Gruppe von Faktoren ist vom Anbieter, eine dritte Gruppe vom Nachfrager zu beeinflussen. Missverständnisse, Planungsfehler, Kapazitätsprobleme, Systemunterbrechungen etc. können zu Service Fehlern führen, die vom Kunden und vom Mitarbeiter negativ wahrgenommen werden. Im einfachsten Modell führen solche Fehler zu weniger Zufriedenheit, bzw. zu Unzufriedenheit des Kunden, was in schwerwiegenderen Fällen und bei vorhandenen Alternativen sogar zu einem Anbieterwechsel führen kann. Die unvermeidbaren Service Fehler werden im schlechtesten Fall nicht zur Kenntnis genommen, weil sowohl bei Frontmitarbeitern wie auch im Management eine Abneigung gegen schlechte Nachrichten herrscht. Wegen dieser Abneigung werden Fehler oftmals nicht korrigiert, sondern vertuscht oder negiert. Traditionelles, d.h. offensives, Marketing würde nun versuchen, diese unvermeidlichen Kundenabgänge mit Neuakquisitionen wettzumachen. Demgegenüber versucht das defensive Marketing, die Kundenloyalität zu erhöhen und nutzt Service Fehler als Chance für Service Recovery. Von den Harvard-Professoren Hart, Heskett und Sasser (1990) stammt das Zitat: Unvermeidbar sind Service Fehler. Vermeidbar sind hingegen unzufriedene Kunden. Hier setzt Service Recovery an. Service Recovery ist ein systematischer, geplanter Prozess, um Service Fehler wieder gutzumachen, und damit bei enttäuschten und unzufriedenen Kunden erneute Kundenzufriedenheit mit der Leistung und der Unternehmung zu erzielen (nach Lewis 1996: 4). Dabei gibt es zu berücksichtigen, dass gewisse Service Fehler nicht wieder gutzumachen sind, z.b. in folgenden Fällen (Berry 1995: 94): Der Fehler ist so gravierend, dass jeder Rettungsversuch scheitern muss (z.b. Betrugsversuch, Vorwurf eines Betrugsversuches oder persönliche Beleidigung). Das Service Problem entspricht einem Muster und wird nicht als isolierte Fehlleistung wahrgenommen. Service Recovery ist schwach und ineffizient und verstärkt die Unzufriedenheit des Kunden, anstatt sie zu beheben. Dr. S. Michel Seite 21

Diese oben erwähnte TARP-Studie (TARP 1979, 1986) und eine ganze Serie ähnlicher Untersuchungen (Andreasen/Best 1977, Oliver 1996, Resnik et al. 1977) haben gezeigt, dass im Durchschnitt mehr als die Hälfte der Service Fehler und der eingebrachten Reklamationen nicht zur Zufriedenheit der Kunden gelöst wird. Service Recovery Paradox Eine Untersuchung kritischer Ereignisse bei Dienstleistungen hat gezeigt, dass 43% aller negativer Ereignisse aus missglückten Service Recoveries bestanden (Bitner et al. 1990). Gleichzeitig wurde in verschiedenen Studien festgestellt, dass hervorragende Recoveries zu einem Grad von Zufriedenheit führen können, der bei den geretteten Kunden höher ist als bei Kunden, die überhaupt kein Problem hatten (Oliver 1996: 368). Dieses psychologisch interessante Phänomen wird als Recovery-Paradox bezeichnet ((McCollough/Bharadwaj 1992). Nach Zemke (1995) erwarten Kunden nach einem Service Fehler: eine aufrichtige Entschuldigung eine faire Lösung oder Wiedergutmachung des Problems eine Behandlung, die zeigt, dass sich die Unternehmung um das Problem und die Kunden kümmert eine Kompensation in der Höhe des entstandenen Schadens, bzw. eine Entschädigung für erlittene Unannehmlichkeiten dass die Versprechen zur Wiedergutmachung auch tatsächlich und prompt eingelöst werden. Das Service Recovery Paradox und andere Befunde Der ökonomische Wert einer solchen Kundenrettung durch Service Recovery berechnet sich aus sämtlichen künftigen Kundenumsätzen (Customer lifetime value), multipliziert mit dem positiven Effekt der Mund-zu-Mund-Werbung multipliziert mit dem Loyalitätsbonus, der sich aus der höheren Rentabilität bei langfristigen Kundenbeziehungen ergibt. Dabei ist insbesondere der Effekt der Mund-zu-Mund-Werbung nicht zu vernachlässigen. Die bereits erwähnten TARP-Studien zeigen, dass Kunden mit 9 bis 16 Personen über schlechte Ereignisse sprechen, jedoch nur mit 4 bis 5 Personen über erfreuliche Ereignisse. Dieselbe Stu- Dr. S. Michel Seite 22

die hat auch ergeben, dass je nach Branche nur 4 bis 50% der unzufriedenen Kunden reklamieren, ihre Unzufriedenheit aber durchschnittlich 10 Freunden und Bekannten mitteilen (Tarp 1979, 1986). Experiment zu Service Recovery Die (Un)Zufriedenheit und Loyalität des Konsumenten nach Service Fehlern und Recovery Massnahmen ist u.a. abhängig von der Tragweite des Fehlers. Bei unbedeutenden Fehlern sind Kunden oft weniger verärgert als bei bedeutenden Fehlern und erwarten entsprechend geringere Recovery Massnahmen. Ein Experiment von Webster und Sundaram (1998) zu dieser Fragestellung hat den Befragten drei Fehlersituationen beschrieben. Zu jeder Situation wurden zwei Fälle konstruiert mit unterschiedlicher Tragweite (siehe Tabelle 1). Szenario Fehler mit geringer Tragweite Fehler mit grosser Tragweite Der Kunde fährt zur Garage. Dort wird ihm mitgeteilt, dass die Reparatur trotz Terminversprechen noch nicht erfolgt ist. Der Kunde fährt mit dem Zweitwagen in die Garage und ist deshalb nicht unbedingt auf das Auto angewiesen. Der Kunde fährt mit dem Taxi in die Garage, um das einzige Auto der Familie abzuholen. Sie braucht das Auto dringend, um damit zu einem wichtigen Ein Ehepaar reserviert einen Tisch in einem stadtbekannten Restaurant. Sie treffen pünktlich ein und können sofort am reservierten Tisch Platz nehmen. Die Kundin will ein Kleid bei der Reinigung abholen. Dort teilt man ihr mit, dass das Kleid noch nicht gereinigt ist. Nachdem das Ehepaar Platz genommen hat, dauert die Bedienung ungewöhnlich lange. Die Kundin ist nicht dringend auf dieses eine Kleid angewiesen und hätte es in den nächsten zwei Wochen nicht angezogen. Familienanlass zu fahren. Da es sich um den ersten Hochzeitstag des Paares handelt, hat der Ehemann als Überraschung zwei Karten für die Oper gekauft. Aufgrund der langsamen Bedienung befürchtet er nun, dass sie den Beginn der Oper verpassen werden. Die Kundin braucht das Kleid für einen wichtigen Anlass. Es ist ihr einziges Kleid für solche Anlässe. Abb. 12 Szenarien des Experimentes von Webster/Sundaram (1998) Im Experiment gemessen wurde erstens die Zufriedenheit und zweitens die Loyalität der Kunden in Abhängigkeit von vier verschiedenen Recovery Massnahmen. Diese vier Massnahmen blieben für alle Szenarien unverändert und umfassten: Eine Entschuldigung des Anbieters, ohne dass der Fehler sofort behoben werden kann; Dr. S. Michel Seite 23

Entschuldigung des Anbieters und 25% Preisnachlass Entschuldigung des Anbieters und 50% Preisnachlass Sofortige Behebung des Fehlers sowie Zusatzdienstleistung (z.b. das Auto wird nach Hause gebracht durch die Garage). Zufriedenheit mit Recovery 7 6 5 4.52 4.88 4.18 4 3 3.56 2.86 3.31 4.01 2 2.2 1 Entschuldigung 25% Rabatt 50% Rabatt Behebung geringe Tragweite grosse Tragweite Abb. 13 Fehlers Zufriedenheit mit Recovery Massnahme in Abhängigkeit der Tragweite des Dr. S. Michel Seite 24

Loyalität nach Recovery 7 6 5 4.61 4.92 4.5 Loyalität 4 3 3.97 3.3 3.32 3.67 4.27 2 1 Entschuldigung 25% Rabatt 50% Rabatt Behebung geringe Tragweite grosse Tragweite Abb. 14 Loyalität nach Recovery Massnahme in Abhängigkeit der Tragweite des Fehlers Das Experiment zeigt interessante Ergebnisse. Wie erwartet ist die Tragweite des Fehlers ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Zufriedenheit und der Loyalität. Allerdings ist es nun nicht so, dass ein zunehmender Recovery Aufwand immer zu höherer Zufriedenheit und Loyalität führt. Bei Fehlern mit geringer Tragweite ist der Kunde an einem Rabatt mehr interessiert als an einer sofortigen Behebung des Fehlers (siehe die obere, geknickte Kurve in den Abbildungen). Seine Zufriedenheit verläuft etwa parallel zur Loyalität. Ist der Fehler jedoch bedeutend, so ergibt sich ein anderes Bild. Während die Zufriedenheit mit dem Recovery Aufwand beinahe linear zunimmt, steigt die Loyalität erst bei einer sofortigen Behebung des Fehlers deutlich an. Das bedeutet, dass der Kunde nach einem Fehler mit grosser Tragweite zwar mit Entschuldigungen und Rabatten besänftigt werden kann, dass der Anbieter jedoch alles unternehmen muss, den Fehler wieder gut zu machen, um den Kunden langfristig an sich zu binden. Gelingt ihm dies, so erzielt er eine Zufriedenheit und Loyalität, die sogar höher sein kann als nach geringen Fehlern. McCollough/Bharadwaj (1991) sprechen in diesen Situationen von einem Recovery Paradox. Dr. S. Michel Seite 25

Kritische Ereignisse Im Rahmen eines grösseren Forschungsprojektes haben wir eine explorative Studie zu kritischen Ereignissen durchgeführt. Die Befragten rapportierten im Zeitraum von zwei Monaten insgesamt 264 selbstverfasste Ereignisse von besonders erfreulichen oder besonders unerfreulichen Dienstleistungsepisoden. Dabei wurde ihnen der Untersuchungszweck vorerst nicht mitgeteilt, um Verzerrungen zu vermeiden. Die verwendete Methode nennt sich Critical Incident Technique und versucht, die Vorteile von qualitativen Interviews mit der Praktikabilität von standartisierten Erhebungen zu verbinden. 36 Rapporte waren unvollständig oder doppelt vorhanden, 48 haben die Kriterien eines kritischen Ereignisses nicht erfüllt. Von den resultierenden 180 brauchbaren Ereignissen waren 35 (knapp 20%) Recovery Situationen. Von diesen 35 Recovery Situationen wiederum führten 28 (80%) zur Unzufriedenheit und nur 7 (20%) wurden zufriedenstellend gelöst. Hierzu zwei negative Beispiele und zwei positive Beispiele, die gekürzt wiedergegeben werden. {#74, 4.2.98, Möbelgeschäft) Vor ca. 6 Jahren habe ich bei einem Möbelgeschäft eine spezielle Lampe gekauft. Die Halogenbirne (150 Watt) ging kaputt und ich wollte sie ersetzen. Die Verkäuferin sagte mir, dass sie keine Ersatzbirnen verkaufen würden für dieses Modell. Der Witz dabei: Genau dieses Modell wurde immer noch ausgestellt, aber sie verkaufen die Birnen nicht dazu. Die Verkäuferin verwies mich an den Fachhandel, konnte mir aber keinen Fachhändler nennen. Notfalls sollte ich zurückkommen. Zufriedenheit: Ich bin sehr unzufrieden, weil das Möbelgeschäft ein Produkt ohne die dazugehörige Birne verkauft. Die Verkäuferin unternahm nichts, sie fragte nicht beim Hauptsitz nach. Es war ihr peinlich, aber egal. (#185, 27.2.98, 14.30 Uhr, Bank) Ich habe zwei Konten bei dieser Bank, ein Sparkonto mit einem Saldo von etwa Fr. 10 000 und ein Lohnkonto mit einem Minussaldo von Fr. 800.-. Ich, 24jähriger Student ohne regelmässiges Einkommen, bin einziger Befugter dieser Konten. Mein Vater, der ebenfalls Kunde dieser Bank ist, wurde von der Geschäftsführerin auf meinen Kontostand (Minussaldo beim Lohnkonto) angesprochen. Ich bin sehr unzufrieden, weil mein Vater nicht über meinen Kontostand informiert werden dürfte. Als mein Vater einen Ausgleich vom Sparkonto aufs Lohnkonto in Auftrag geben wollte, fragte die Geschäftsführerin: Haben Sie eine Vollmacht?. Ich bleibe vielleicht Kunde, aber nur, weil mein Vater meine finanziellen Verhältnisse sowieso kennt. (#89, 9.3.98, 16.15 Uhr, Kabelfernsehen) Ich bekomme das Programmheft nicht automatisch zugesandt. Abklärung beim Anbieter nach dem Warum. Zuerst Abklärung beim Hauptsitz in Zürich. Diese Mitarbeiterin fand meinen Namen nicht und musste intern via meiner Filiale abklären und zurückrufen. Ich bin trotzdem ziemlich zufrieden, weil es eine 0848-Gratisnummer für Direktverbindung mit Kundendienst gibt, weil der Rückruf innert 10 Minuten erfolgt ist und das Heft sofort mit A-Post nachgesandt wurde. Ich bleibe deshalb Kunde bei dieser Firma. (#247, 10.2.98, Kreditkarten) Ich entdeckte einen Fehler auf meiner Kreditkarten-Monatsabrechnung. Am Telefon zeigte der Mitarbeiter Verständnis, der Fehler wurde sofort behoben. Ich bin zufrieden, weil alles sehr schnell erledigt wurde und ich sogar Fr. 11.- geschenkt erhielt, bzw. der Betrag wurde nicht verrechnet. Meine Loyalität ist gestiegen. Dr. S. Michel Seite 26

Als vorläufiges Fazit der Studie kann festgehalten werden, dass ein Handlungsbedarf für Service Recovery in vielen Schweizer Unternehmen tatsächlich existiert. Weiter hat die Studie gezeigt, dass sich ein Ansatz der Critical Incident Technique mit halbstrukturiertem Fragebogen für die Erforschung von Service Recovery gut eignet. Service Recovery als Managementaufgabe Aus den genannten Untersuchungen können die folgenden Thesen für das Management abgeleitet werden. Null Fehler -Qualität ist ein Ziel, kein Zustand. Die Interaktionen zwischen Mitarbeiter, Kunden und technischen Systemen ist in praktisch allen Branchen derart komplex, dass Fehler, Missverständnisse, Verzögerungen etc., mit einer bestimmten Häufigkeit eintreten. Das Qualitätsmanagement muss deshalb einerseits versuchen, diese Fehlerhäufigkeit zu verringern, andererseits muss ein geeignetes Service Recovery Management die unzufriedenen Kunden retten können. Fehler führen nicht unbedingt zu unzufriedenen Kunden. Die meisten Kunden akzeptieren, dass Fehler passieren. Reagiert der Anbieter nach einem Service Fehler prompt und richtig, so kann die Zufriedenheit des Kunden trotz Fehler gehalten oder gar gesteigert werden. Kunden bewerten kritische Ereignisse. Die Zufriedenheit der Kunden widerspiegelt selten einen Durchschnittswert aus allen erlebten Service Episoden mit einem Anbieter. Vielmehr bilden Kunden ihre Meinung häufig aus wenigen Ereignissen, die entweder sehr gut oder sehr schlecht ausgefallen sind. Service Recovery hat zum Ziel, Kunden bei sehr schlechten Ereignissen zu retten und sie zufrieden zu stellen. Mitarbeiter prägen den Moment der Wahrheit. Die grösste und wichtigste Managementaufgabe beim Service Recovery ist die Motivation der Mitarbeiter. Sie müssen erkennen, was die Bedürfnisse des Kunden sind und müssen bestrebt sein, diese zu erfüllen. Mitarbeiter, die hier erfolgreich sind, müssen vom Management belohnt werden. Leider ist es jedoch so, dass Mitarbeiter, die auf Fehler und Missstände aufmerksam machen, oft mit Sanktionen zu rechnen haben. Flexibilität und Belastbarkeit ist eine Frage der Mitarbeiterschulung. Ob ein Service Recovery gelingt, hängt zu einem grossen Teil davon ab, ob der Mitarbeiter an der Front fähig ist, den Dr. S. Michel Seite 27

Fehler zu erkennen, dem Kunden geeignete Lösungen anzubieten und entsprechende Massnahmen einzuleiten. Situatives Recovery führt zum Ziel. Es gibt keinen besten Weg für jede Situation. Derselbe Fehler kann von verschiedenen Kunden sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Deshalb ist es wichtig, herauszufinden, mit welcher Lösung der Kunde sofort befriedigt werden kann. Manchmal ist es notwendig, dass sich das Management persönlich entschuldigt, manchmal erwartet der Kunde bloss eine Erklärung und ein andermal möchte er einen Rabatt oder ein Geschenk als Wiedergutmachung. Loyalität ist mehr als Bonuspunkte. Viele Unternehmen setzen Loyalitätsmanagement mit Bonuspunkten und Kundenkarten gleich. Loyalität hat jedoch nicht bloss ökonomische, sondern vor allem emotionale Komponenten. Loyalität kann man nicht kaufen, man muss sie sich verdienen. Defensives Marketing ist effizienter als offensives Marketing. Die TARP-Studie hat gezeigt, dass es zweimal bis dreissigmal teuerer ist, einen Kunden zu gewinnen als einen bestehenden Kunden zu halten. Da Service Fehler der häufigste Grund ist für einen Anbieterwechsel (Keaveney 1995), zählt Service Recovery zu den wichtigsten Instrumenten des defensiven Marketings. Service Recovery ermöglicht positive Mund-zu-Mund-Werbung. Die erwähnte TARP-Studie hat gezeigt, dass Kunden 9 bis 16 Mal über ein schlechtes Ereignis mit anderen Personen sprechen. Gute Ereignisse teilen sie im Durchschnitt nur vier bis fünf Personen mit. Da Mundzu-Mund-Werbung als sehr glaubwürdig wahrgenommen wird, sind unzufriedene Kunden Zeitbomben im Markt, zufriedene Kunden hingegen sind hervorragende Werbeträger. Kundenorientierung zeigt sich im Recovery Verhalten. Wenn Fehler passieren, richten viele Unternehmen den Blick zuerst nach innen. Die Suche nach dem Schuldigen, die Bestimmung des Verantwortlichen und das Zurechtlegen von Erklärungen und Ausreden steht im Vordergrund. Service Recovery dreht die Perspektive um und schaut zuerst nach aussen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen und Statistiken, sondern um Kunden, deren Bedürfnisse nicht optimal befriedigt werden. Die Zufriedenheit des Kunden steht an erster Stelle. Es gibt keinen besseren Moment, dem Kunden zu zeigen, wieviel er dem Unternehmen bedeutet, als nach einem Service Fehler. Für die Kundenorientierung eines Unternehmens stellt Service Recovery den Säuretest dar. Dr. S. Michel Seite 28

3 Kundenloyalität Das Konzept der Kundenloyalität steht mit der Kundenzufriedenheit in vielfältigem Zusammenhang. Auf der einen Seite ist Loyalität eine Folge der Zufriedenheit. Daraus jedoch ableiten zu wollen, dass nur loyale Kunden zufrieden sind, oder dass zufriedene Kunden immer loyal sind, wäre falsch. Auf der anderen Seite ist die Loyalität auch ein Einflussfaktor der Zufriedenheit, was die Messung der beiden Konstrukte erheblich erschwert. Mit anderen Worten ist ein Kunde, der sehr loyal zu einem Anbieter steht, viel eher bereit, kleinere Fehler zu entschuldigen, ohne dass seine Zufriedenheit darunter leidet. Ein Neukunde hingegen hat hingegen weniger Erfahrung mit der Bank, so dass er aus einem einzelnen Ereignis die Service Qualität der Bank als Ganzes ableitet. 3.1 Loyalitätsformen Kundenloyalität ist ein Konstrukt, das sehr unterschiedlich interpretiert und gemessen werden kann. Konsumgüterhersteller setzen beispielsweise die Wiederkaufrate, bzw. die Markentreue der Loyalität gleich. Versicherungsgesellschaften messen die Abwanderungsquote als Verhältnis von gekündigten zu ungekündigten Policen innerhalb einer Zeitspanne. Banken können einerseits die Anzahl saldierter Kundenbeziehungen, aber auch den Vermögensabgang von Kunden zu Rate ziehen, um festzustellen, wie hoch ihre Kundenbindung ist. All diesen Massstäben ist gemeinsam, dass sie sich auf ein tatsächliches Kundenverhalten beziehen. Das Konstrukt Loyalität kann aber auch über Einstellungen (kognitiv oder emotional), über Absichten oder über Empfehlungsverhalten (aktiv oder passiv) gemessen werden. Dr. S. Michel Seite 29

Loyalitätsform gedankliche Loyalität emotionale Loyalität beabsichtigte Loyalität verhaltensrelevante Loyalität einflussrelevante Loyalität Beispielhafte Aussage Ich denke, dass Anbieter F meine Bedürfnisse zum besten Preis /Leistungsverhältnis befriedigt Ich fühle mich als Kunde bei Anbieter C willkommen Ich werde vermutlich weiterhin bei Anbieter B meine Geschäfte tätigen Ich bin Kunde von Anbieter L Ich empfehle Anbieter R weiter (aktiv) Wenn mich jemand fragt, würde ich Anbieter W weiterempfehlen (passiv) Abb. 15 Beispielhafte Aussagen zu verschiedenen Loyalitätsformen 3.2 Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität Mit dem Modell der Toleranzzonen wurde weiter oben gezeigt, dass die Globalzufriedenheit keine additive Verknüpfung der Service Qualität einzelner Merkmale darstellt. Analog dazu kann man feststellen, dass keine lineare Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität existiert. Loyalität zwischen Aposteln und Terroristen Viele Unternehmungen sind in den vergangenen Jahren mit grossem Optimismus daran gegangen, die Kundenzufriedenheit zu messen und zu verbessern. Nicht selten hat sich, gerade nach einigen Wiederholungen der Studien eine gewisse Ernüchterung breit gemacht. Einerseits ergeben Längsschnittstudien Resultate, die kaum zu erklären sind. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Kundenzufriedenheit sinkt, obwohl Service Qualitätsprogramme eingeführt wurden. Dabei wird häufig vergessen, dass mit der Messung und mit den Verbesserungsmassnahmen bei Kunden auch eine Erwartungshaltung erzeugt wird, die durch Taten bestätigt werden muss. Andererseits stellen Unternehmen auch fest, dass die Steigerung ihres Qualitätsindexes um einige Punkte keine Verbesserung der Kundenbindung und rentabilität erbracht hat. Dieser Sachverhalt lässt sich häufig damit erklären, dass die Steigerung in einem eher unelastischen und für die Kundenbindung unrelevanten Bereich geschehen ist. Die Kurve von Jones/Sasser (1995) in der folgenden Abbildung zeigt, dass die Loyalitätsraten von zufriede- Dr. S. Michel Seite 30

nen und von sehr zufriedenen Kunden weit auseinander liegen. Damit ein zufriedener Kunden ein Apostel wird, der den Anbieter C unter allen Umständen allen anderen Anbieter bevorzugt, reicht eine Zufriedenheit nicht aus. Um dies zu erreichen, braucht es Begeisterung. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Terroristen die derart unzufrieden sind, dass sie nicht nur nicht kaufen, sondern über ihre schlechten Erfahrungen berichten um andere negativ zu beeinflussen. United Airlines-Terroristen Eine Gruppe enttäuschter Kunden der United Airlines unterhält eine eigene Homepage (www.untied.com), auf welcher die schrecklichsten Service Episoden und andere konsumentenfeindliche Aktionen und Vorkommnisse gesammelt und veröffentlicht werden. Ein ehemaliger Pilot beklagt sich beispielsweise, dass er von United entlassen worden ist, weil er sich geweigert hat, bei den Sicherheitsmassnahmen Kompromisse einzugehen. Weiter findet sich eine Statistik, wonach von 312 eingesandten Reklamationen 301 an Denise Harvill, Director of Customer Relations, weitergeleitet worden sind. 251 sind von ihr an Jim Goodwin, President and CEO, weitergereicht worden. Genau eine einzige davon wurde von United beantwortet (www.united.com, 25.1.99 13:21 MEZ). An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Ereignisse nicht überprüft sind und die Betreiber der Site anonym sind. Als Konsequenz für das Management resultiert eine differenzierte Kundenbindungsstrategie, die sich nicht auf den Durchschnittskunden ausrichtet und die nicht eine Durchschnittszufriedenheit um x% erhöhen will[sm3]. Dr. S. Michel Seite 31

100% Apostel 80% Loyalität 60% 40% 20% Terroristen 1 sehr unzufrieden 2 unzufrieden 3 weder noch 4 zufrieden 5 sehr zufrieden Abb. 16 Apostel und Terroristen als Extrempunkte der Kundenzufriedenheit Loyalitätstypen Stauss/Neuhaus (1995) entwickelten eine Typologie mit drei Zufriedenheits- und zwei Unzufriedenheitstypen. Dr. S. Michel Seite 32

Typ Zufriedenheit Loyalität Fordernd Zufriedener hohe Zufriedenheit. Der Anspruch an den Anbieter wächst jedoch stetig, so dass dieser sich laufend bemühen muss, diesen zu befriedigen. Solange die Qualität mit den Anforderung mitwächst, ist dieser Typ loyal. Stabil Zufriedener hohe, stabile Zufriedenheit loyal Resignativ Zufriedener eher gleichgültig als zufrieden nicht besonders loyal, evtl. keine Alternative Stabil Unzufriedener nicht zufrieden wechselt nicht aus Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit oder mangels Alternativen Fordernd Unzufriedener nicht zufrieden bringt seine Unzufriedenheit zum Ausdruck und erwägt Wechsel des Anbieters Abb. 17 (Un-)Zufriedenheitstypen nach Stauss/Neuhaus (1995) Eine vom Autor 1998 durchgeführte Untersuchung bei einer Versicherungsgesellschaft hatte zum Ziel, Gründe von Kundenabwanderungen zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden 800 ehemalige Kunden, die innerhalb der vergangenen 12 Monaten eine Versicherungspolice gekündigt hatten, durch ein Marktforschungsinstitut telefonisch befragt. Ein Ergebnis der Studie war, dass die durchschnittliche Zufriedenheit der abgewanderten Kunden nur geringfügig tiefer lag als die Zufriedenheit der bestehenden Kunden. Übertrieben formuliert heisst das, die Versicherungsgesellschaft verliert zufriedene Kunden. Die Erklärung für dieses vermeintlich paradoxe Resultat liegt vorwiegend in der Definition und Messung der komplexen Konstrukte Zufriedenheit und Loyalität. Im Falle der Versicherung konnte gezeigt werden, dass die Kunden keine zwingenden Gründe zum Wechsel hatten. Die Versicherung bot ihnen jedoch zuwenig Anreize zu bleiben und verpasste es, eine emotionale Bindung zu schaffen. Die durch die Deregulierung entstandenen innovativen Produkte von Konkurrenten liessen den Kunden abwandern. 3.3 Ökonomie der Loyalität Defensives Marketing erhöht den Gewinn des Unternehmens, weil es weniger kostet, die bestehenden Kunden zu halten als neue zu gewinnen. Diese Argumentation geht von einer bestimmten Anzahl Kunden aus, welche den notwendigen Umsatz generieren. Der Loyaltitätseffekt verstärkt sich aber noch, wenn wir berücksichtigen, dass Kunden mit der Dauer ihrer Beziehung rentabler werden. Dies hat laut Reichheld (1996: 39) folgende Gründe: Der Ertrag steigt durch Zusatz- und Anschlussgeschäfte Die Kosten sinken dank Lernkurveneffekte Dr. S. Michel Seite 33