HPSG und Performanzkompatibiltät

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Transkript:

HPSG und Performanzkompatibiltät Die Head-driven Phrase Structure Grammar Der Formalismus und die Einordnung bei Ivan A. Sag und Thomas Wasow Victor Roth & Ariane Sojka Inkrementelle Syntax, 27.11.2013

Übersicht HPSG: der Formalismus Performance-Compatible Competence Grammar Was bedeutet performanz-kompatibel? Warum ist die Transformationsgrammatik nicht performanz-kompatibel? Warum ist die HPSG performanz-kompatibel? Fazit

HPSG Erste Version 1987 von Carl Pollard und Ivan Sag vorgestellt. 1994 grundlegend überarbeitet. HPSG repräsentiert unterschiedliche linguistische Informationen (Syntax, Semantik, Pragmatik, ) in einer einheitlichen Schreibweise: Attribut-Wert-Matrizen (AVM)

AVM: Darstellung

AVM: Darstellung Vereinfachung:

AVM: Phrasenstrukturen Müller, S. 60

AVM: Phrasenstrukturen Als Baum: Müller, S. 55

HPSG-Komponenten Komponenten einer HPSG: Typen-Signatur (Festlegung der Merkmalsstruktur) Prinzipien (Einschränkung der Merkmalsstruktur) Lexikon

HPSG: Typenhierarchie Linguistische Einheiten (Wörter, Phrasen) sind Merkmalsstrukturen mit unterschiedlichem Typ, für die unterschiedliche Beschränkungen (Prinzipien) gelten: Müller, S.59

HPSG-Prinzipien Wortprinzip Kopfmerkmalsprinzip Subkategorisierungsprinzip

Wortprinzip Das Lexikon beschränkt den Typ word. word L 1 L n Müller, S. 58.

Kopfmerkmalsprinzip In einer Struktur mit Kopf sind die Kopfmerkmale der Mutter identisch (teilen die Struktur) mit den Kopfmerkmalen der Kopftochter. Müller, S. 59

Kopfmerkmalsprinzip Müller, S. 60

Kopfmerkmalsprinzip Müller, S. 60

Subkategorisierungsprinzip In Strukturen mit Kopf entspricht die SUBCAT-Liste des Mutterknotens der SUBCAT-Liste der Kopftochter minus den als Nicht-Kopftochter realisierten Argumenten. Müller, S. 59

Subkategorisierungsprinzip Müller, S. 60

Beispielanalyse Müller, S. 56

Beschreibung < > Modell Müller, S. 39

Der Artikel: Sag & Wasow (2011) Der Artikel argumentiert, dass Grammatikmodelle (=competence) mit den Erkenntnissen der Psycholinguistik (=performance) kompatibel sein sollten. Chomskys Transformationsgrammatik gehöre nicht dazu, jedoch Grammatiken mit den Merkmalen des Constraint- Based Lexicalism, darunter HPSG, LFG, CG (und evtl. Parser Is Grammar ). => Was bedeutet es für eine Kompetenzgrammatik, performanzkompatibel zu sein?

Competence und Performance Competence grammatisches Wissen eines Sprechers Transformationsgrammatik idealisiert dieses Wissen Performance tatsächlicher Sprachgebrauch und mentale Prozesse, die bei Verständnis und Produktion ablaufen. Beziehung: The relation between these two notions, as Chomsky (1965:10) emphasized, is that... investigation of performance will proceed only so far as understanding of underlying competence permits.

Derivational Theory of Complexity DTC soll für die Transformationsgrammatik gelten. (= Kriterium für Performanzkompatibiltät) Zentrale These dieser Theorie: Korrelation zwischen Anzahl der Transformationen und Komplexität der Sätze Diese These stellte sich aber als nicht richtig heraus.

Derivational Theory of Complexity (1) a. Pat swam faster than Chris swam. b. Pat swam faster than Chris did. c. Pat swam faster than Chris. Beispiele (1b) und (1c) wären der DTC nach aufwändiger zu verarbeiten, da sie eine zusätzliche Transformation enthalten. Dies ließ sich aber in Experimenten nicht bestätigen. => Transformationen sind nicht performanzkompatibel. Sag&Wasow, S. 2

Psycholinguistik: Stand der Forschung Modell der 80er: starke Modularität (Jerry Fodor) Sprachvermögen = a number of distinct modules that are informationally encapsulated, in the sense that they have access only to one another s outputs, not to their internal workings Ergebnisse seit den 90ern dank neuer Methoden Eye-tracking-Experimente/Visual-World-Experimente listeners use many types of linguistic and non-linguistic information as soon as it becomes available to them Sag&Wasow, S. 4, 5

Eye-Tracking-Experimente Evidenz für Real-Time-Einfluss unterschiedlicher Informationen: Silbenstruktur (Verlangsamung bei candle/candy) visuelle Information kontrastiver Akzent (the LARGE blue triangle) Disfluencies (um/uh) Weltwissen (3) After finding the book on the atom, Sandy went into class, confident that there would be no further obstacles to getting that term paper done. Sag&Wasow, S. 6

Und der Garden-path-Effekt? Wichtige Motivation für starke Modularität. (4) a. The horse raced past the barn fell. Aber: Der Garden-Path-Effekt kann abhängig von sonstigen Informationen (wie Semantik, Kontext, Weltwissen) verringert oder verhindert werden. (6) The horse that they raced around the track held up fine. The horse that was raced down the road faltered a bit. And the horse raced past the barn fell. (7) a. The evidence examined by the judge turned out to be unreliable. Sag&Wasow, S. 6, 7

Constraint-Based Lexicalism Eine performanz-kompatible Kompetenzgrammatik = kompatibel mit Constraint-Based Lexicalism (CBL) Eine solche Grammatik ist oberflächenorientiert ( surface oriented ) beschränkungsbasiert ( constraint-based ) stark lexikalistisch ( strongly lexicalist )

Oberflächenorientierung keine Trennung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur keine strukturzerstörende Transformation Grammatikstruktur ist direkt mit dem Inputstring verbunden Psycholinguistisch vorzuziehen, weil inkrementelle Verarbeitung gescheiterte DTC bei Transformationen Aber: nicht ausgeschlossen, dass man mit Transformationen inkrementell verarbeiten kann oder dass man mit oberflächenorientierten Grammatiken nicht inkrementell verarbeiten kann.

Oberflächenorientierung in HPSG Web-Trale

Einschränkungsbasierung Constraints müssen erfüllt sein, um wohlgeformte Repräsentationen zu erhalten (im Gegensatz zu Veränderungen der Repräsentation durch Transformationen): Reihenfolge der Anwendung unwichtig keine Löschung anderer Constraints Psycholinguistisch sinnvoll, weil nicht modular, sondern interaktiv neutral hinsichtlich Produktion und Verarbeitung

Einschränkungsbasierung: Beispiel (10) The sheep that was sleeping in the pen stood up. Die morphologische Information zu was (Numerus) wird hier vor der Entscheidung über die Bedeutung von pen verarbeitet. (11) The sheep in the pen had been sleeping and were about to wake up. Das nichtlinguistische Wissen zu pen wird hier vor der morphologischen Information zu were verarbeitet.

Beispiel Kim (AVM) Web-Trale

Beispiel walks (AVM) Web-Trale

Beispiel walk (AVM) Web-Trale

Starker Lexikalismus lexical encoding: Die meiste Information steckt im Lexikoneintrag. lexical autonomy: Wortbildungsregeln sind unabhängig von syntaktischen Regeln. lexical integrity: Einmal gebildete Wörter sind syntaktisch unanalysierbar. Psycholinguistisch sinnvoll, weil bei der inkrementellen Verarbeitung lexikalische Eigenschaften wichtig sind: grammatische Kategorie Valenz/thematische Rollen Zeit, Finitheit, Aktiv/Passiv, Numerus, Person, Geschlecht

Starker Lexikalismus: Beispiel Beispiel: Valenzeigenschaften (12) a. Lou forgot the umbrella... b. Lou forgot the umbrella was broken. c. Lou forgot the umbrella in the closet. (13) a. Lou hoped the umbrella was broken. b. *Lou hoped the umbrella in the closet. Sag&Wasow, S. 14

Beispiel give (AVM) Web-Trale

Eine minimalistische Alternative? Colin Phillips (1996) : Parser is Grammar (PIG) inkrementell trotz Transformationen? Dieses Konzept erfülle möglicherweise die drei CBL- Bedingungen: oberflächenorientiert ( surface oriented ) beschränkungsbasiert ( constraint-based ) stark lexikalistisch ( strongly lexicalist ) Dieses Konzept sei aber noch nicht umfassend dargestellt.

Fazit HPSG scheint mit den Erkenntnissen der Psycholinguistik bezüglich der Inkrementalität und Interaktivität der Sprachverarbeitung vereinbar zu sein. HPSG erfüllt die Bedingungen für einen Constraint-Based Lexicalism. Constraint-based bedeutet, dass dieses Grammatikmodell Konstruktionen nicht generiert, sondern nur die Menge der wohlgeformten Ausdrücke beschränkt.

Quellen Müller, Stefan (2013): Head-Driven Phrase Structure Grammar: Eine Einfu hrung. Tübingen. 3. Aufl. Richter, Frank (2006): A Web-based Course in Grammar Formalisms and Parsing. Universität Tübingen. S. 32-34. Richter, Frank. Web-TRALE. Universität Tübingen. http://www.sfs.unituebingen.de/~fr/teaching/ws13-14/hpsg/ (22. November 2013). Sag, Ivan A. & Wasow, Thomas (2011). Performance-Compatible Competence Grammar. Stanford University. http://www.researchgate.net/publication/228020187_performancecompatible_com petence_grammar (16. November 2013). Sternefeld, Wolfgang & Richter, Frank. (2012). Wo stehen wir in der Grammatiktheorie? Bemerkungen anla sslich eines Buchs von Stefan Mu ller. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 31 (2012), S. 263-291.