Internationales Zivilverfahrensrecht Arbeitspapier Begriff und Grundlagen des Internationalen Verfahrensrechts

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Transkript:

Prof. em. Martiny SS 2012 Internationales Zivilverfahrensrecht Arbeitspapier Begriff und Grundlagen des Internationalen Verfahrensrechts A. Schrifttum Lehrbücher: Geimer IZPR 6 Rn 1ff.; Hess 1-5; von Hoffmann/Thorn IPR 9 3 A; Junker IZPR 1, 2; Kegel/SchurigIPR 9 22; Kropholler IPR 6 56; Linke/Hau IZPR 5 1 ff.; Rauscher IPR 3 12; Schack, IZPR 5 1; Siehr IPR 54 II Zur Vertiefung: Geiger, Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung ( 917 Abs. 2 ZPO) und das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 6 EG-Vertrag), IPRax 1994, 415-416; Mankowski, Der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung und das Europäische Gemeinschaftsrecht, NJW 1995, 306-307; Gessner (Hrsg.), Foreign Courts - Civil Litigation in Foreign Legal Cultures (Aldershot 1996); Schlosser, Europarecht und Zivilprozeßrecht, Jura 1998, 65-70; Coester-Waltjen, Aktuelle Entwicklungen im europäischen internationales Familienverfahrensrecht, Jura 2004, 839 842; Rörig, Einfluss des Rechts der Europäischen Gemeinschaft auf das nationale Zivilprozessrecht, EuZW 2004, 18 20; Coester-Waltjen, Die Europäisierung des Zivilprozessrechts, Jura 2006, 914-921; Althammer, Verfahren mit Auslandsbezug nach dem neuen FamFG, IPRax 2009, 381-389; Hau, Das Internationale Zivilverfahrensrecht im FamFG, FamRZ 2009, 821-826; Schack, Die Entwicklung des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts - aktuelle Bestandsaufnahme und Kritik, Festschr. Leipold (2009) 317 324; Heinze, Zivilprozessrecht unter europäischem Einfluss, JZ 2011, 709-716; Wagner, Aktuelle Entwicklungen in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, NJW 2012, 1333-1338 B. Fälle Fall 1: Die Prozesskostensicherheit Der englische Testamentsvollstrecker Hubbard klagt vor dem Landgericht in Hamburg. Nach 110 ZPO a.f. verlangt man von ihm, dass er eine Prozesskostensicherheit stellt. (EuGH 1.7.1993 (Hubbard), Slg. 1993, I-3777 = NJW 1993,2431 = RIW 1993, 855). Fall 2: Unzulässiger dinglicher Arrest Die niederländische Hatrex Internationaal Transport transportierte Haselnüsse aus der Türkei nach Deutschland. Die Ladung wurde durch Nässe beschädigt. Zur Sicherung eines Schadensersatzanspruchs des Auftraggebers beantragte die deutsche Firma Mund & Fester einen dinglichen Arrest ( 917 II ZPO) bezüglich des sich noch in Hamburg befindlichen LKW. Die Sache wird dem EuGH vorgelegt, welcher entscheiden soll, ob die bloße Auslandsvollstreckung als Arrestgrund einen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV, damals Art. 7 EGV) bedeute. (EuGH 10.2.1994 - Mund & Fester/Hatrex -, Slg. 1994 I-467 = NJW 1994, 1271 = IPRax 1994, 439 m. Aufs. Geiger [415] = ZEuP 1995, 250 Anm. Schlosser) Fall 3: Die Anti-suit injunction Der britische Court of Appeal untersagte den Bekl. mit einem Prozessführungsverbot, ein Verfahren in einem anderen EuGVÜ- Vertragsstaat (hier: Spanien) einzuleiten oder weiterzubetreiben, da dieses dazu dienen sollte, den Kläger vom Aufrechterhalten seiner ursprünglichen Klage in England abzuhalten. Ist ein solches Prozessführungsverbot rechtmäßig? (EuGH 27.4.2004 Turner/Grovit -, Slg. 2004 I-3565 = EuZW 2004, 468 = IPRax 2005, 525 m. Aufs. Rauscher [405] = ZEuP 2005, 428 Anm. Dutta/Heinze) C. Zum Internationalen Verfahrensrecht I. Begriff des Internationalen Verfahrensrechts Das Internationale Verfahrensrecht ist derjenige Teil des Verfahrensrechts nationalen und staatsvertraglichen Ursprungs, der sich mit Verfahren mit Auslandsbezug beschäftigt (Definitionsversuche etwa bei Geimer IZPR Rn. 9; Schack, IZPR Rn. 2 ff.). Dieser Auslandsbezug kann vermittelt werden über - einen räumlichen Bezug des Streitgegenstandes (z.b. ausländischer Tatort), - die beteiligten Parteien (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt), - den Auslandsbezug eines Verfahrensabschnitts (ausländische Beweismittel oder Rechtshilfe), - den Bezug zu einem ausländischen Verfahren (z.b. ausländische Rechtshängigkeit) oder einem ausländischen Verfahrensakt (z.b. ausländisches Urteil). Die Auslandsberührung kann von vornherein gegeben sein oder nachträglich eintreten (die Parteien ziehen bspw. nach Deutschland). II. Internationales Zivilprozessrecht Das Internationale Zivilprozessrecht (IZPR) ist der Teil des Internationalen (Zivil-)Verfahrensrechts, der sich mit dem Zivilprozessrecht (also streitigen Verfahren insbes. nach der ZPO) beschäftigt. Andere Gebiete sind etwa die internationale freiwillige Gerichtsbarkeit (also nichtstreitige Verfahren nach FamFG), z.b. Register- oder Adoptionsfragen. III. Rechtsquellen 1. Rang der Rechtsquellen Außer dem nationalen Recht sind wichtige Rechtsquellen EU-Verordnungen sowie multilaterale und bilaterale Staatsverträge. Wie in 97 FamFG ausdrücklich angeordnet, haben die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen und die Staatsverträge Vorrang vor dem nationalen Recht. Die Verordnungen und Staatsverträge stellen ihr Verhältnis zu den internationalen Konventionen regelmäßig in eigenen Bestimmungen klar (z.b. Art. 67 ff. EuGVO, Art. 59 ff. EheVO II; Art. 68 EuUnthVO). 2. EU-Verordnungen Aufgrund der EU-Kompetenz zur Regelung des Internationalen Verfahrensrechts sind immer mehr Verordnungen erlassen worden, die Vorrang vor dem nationalen Recht haben (Art. 288 AEUV, früher Art. 249 EG), aber im Verhältnis unter den

2 Mitgliedstaaten vielfach auch Vorrang vor den einschlägigen Staatsverträgen beanspruchen (vgl. Art. 81 AEUV, früher Art. 61 lit. c i.v.m. 65 EG), s. Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2010, 1, 24 f. Im Einzelnen handelt es sich um: - EU-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 22.12.2000 (ABl. EG 2001 L 12/1; EuGVO bzw. Brüssel I). Diese Verordnung hat das EuGVÜ zum 1.3.2002 abgelöst (Art. 68, 76 EuGVO). Im Verhältnis zu Dänemark findet die VO aufgrund eines Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Dänemark (ABl. EU 2005 L 299/62) seit 1.7.2007 Anwendung (ABl EU 2007 L 94). - EU-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27.11.2003 (VO Nr. 2001/2003, ABl. EG 2003 L 338/1). Diese Brüssel IIa -VO (auch EheVO II genannt) ist am 1.8.2004 in Kraft getreten, gilt aber für Verfahren erst ab 1.3.2005. Sie ersetzte die EU-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29.5.2000 (ABl. EG 2000 L 160/90; EheVO I bzw. Brüssel II). Diese Verordnung galt seit 1.3.2001 (Art. 46 Brüssel II). - Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU Nr. 2009 L 7/1 (EuUnthVO). - Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ( Zustellung von Schriftstücken ) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (EuZustellungsVO). - EU-Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen vom 28.5.2001 (EuBeweisVO). - Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21.4.2004 (EuVollstrTitelVO). - Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens vom 12. 12. 2006, ABl. EU 2006 L 399/1. - Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl.EU 2007 L 199/1. - Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, in Kraft getreten am 31. Mai 2002 (EuInsolvenzVO). Im Verhältnis zu Dänemark bestehen teilweise bilaterale Abkommen mit der EU, welche die Verordnungen für anwendbar erklären. 3. Staatsverträge Zu den multilateralen Staatsverträgen zählen u.a. europäische Staatsverträge (vgl. den inzwischen aufgehobenen Art. 293 EG, früher Art. 220 EGV). Dies war früher insbes. das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ). Es ist am 1.3.2002 von der EuGVO (Brüssel I) abgelöst worden. Ferner gilt das neue Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (ABl. EU 2009 L 147/5). Es ist am 1.1.2010 in Kraft getreten. Zuvor galt das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 (Vertragsstaat war bereits seit 1.2.2000 auch Polen; vgl. Martiny/Ernst IPRax 2001, 29 ff.; Wagner WiRO 2000, 47 ff.). Zu beachten sind ferner Haager Übereinkommen über die internationale Rechtshilfe (incl. Zustellung und Beweisaufnahme) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Völkergewohnheitsrecht ist nur für wenige Fragen wie für die Gerichtsbarkeit von Bedeutung. 4. Gesetzliche Regelung In der ZPO findet sich keine einheitliche Regelung des IZPR, vielmehr sind die Vorschriften je nach dem Zusammenhang (z.b. Zuständigkeit, Urteilswirkungen) in GVG und ZPO eingestellt worden. Neu ist das Buch 11 über die justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union ( 1067 ff. ZPO), in dem sich Ausführungsbestimmungen zu einzelnen europäischen Verordnungen (Zustellung, Beweisaufnahme, Europäischer Vollstreckungstitel, Europäisches Mahnverfahren, geringfügige Forderungen) und Richtlinien (Prozesskostenhilfe) finden. Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) regelt das Verfahren mit Auslandsbezug in Buch 1, Abschnitt 9 ( 97 110). Ferner besteht eine Reihe von Sondergesetzen (z.b. AVAG für die Urteilsanerkennung). Das Gesetz zum internationalen Familienrecht (IntFamRVG) enthält vor allem Ausführungsbestimmungen zur Brüssel IIa-VO. Viele Einzelfragen und Durchführungsbestimmungen finden sich auch im Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz AUG). Eine Reihe anderer Länder (z.b. Schweiz, Türkei, Ungarn) verfügt anders als Deutschland über Gesamtkodifikationen, die das IPR und das IZPR zusammenfassen. 5. Europäischer Rechtsraum Die Gerichte in Common Law-Staaten dürfen durch den Erlass von Untersagungsverfügungen (anti suit injunctions) einer Partei das Betreiben oder Weiterführen eines Verfahrens an einem anderen Gerichtsstand verbieten. Die Verhängung eines solchen Prozessführungsverbots durch ein nationales Gericht verstößt, wie der EuGH in Fall 3 entschieden hat, gegen das Brüsseler Übereinkommen (heute EuGVO). Das Übereinkommen beruht auf dem Vertrauen, das die Vertragsstaaten ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen. Ein Verbot, eine Klage bei einem ausländischen Gericht zu erheben oder weiter zu betreiben, beeinträchtigt dessen Zuständigkeit. Das Übereinkommen steht daher der Verhängung eines

3 solchen Prozessführungsverbots, mit dem das Gericht eines Vertragsstaats einer Partei eines bei ihm anhängigen Verfahrens untersagt, eine Klage bei einem Gericht eines anderen Vertragsstaats einzureichen oder ein dortiges Verfahren weiter zu betreiben, auch dann entgegen, wenn diese Partei wider Treu und Glauben zu dem Zweck handelt, das bereits anhängige Verfahren zu behindern. IV. Hauptthemen Die wichtigsten Fragenkomplexe des IZPR betreffen (vgl. die Zusammenstellung bei MünchKomm.(-Gottwald) III IZPR Rn. 1 ff.): - die Gerichtsbarkeit: dürfen deutsche Gerichte die Gerichtsgewalt etwa gegenüber Amtsträgern ausländischer Staaten ausüben (vgl. 18 ff. GVG)? - die (direkte) internationale Zuständigkeit: sind deutsche Gerichte für das Verfahren mit Auslandsberührung zuständig (vgl. 12 ff. ZPO analog, 98 ff. FamFG)? - die Rechtsstellung ausländischer Parteien: wann und wie können ausländische Parteien vor deutschen Gerichten auftreten (vgl. 50 ff. ZPO)? - die internationale Rechtshilfe, insbesondere die Zustellung ins Ausland: wie ist ins Ausland zuzustellen (vgl. 183 n.f. ZPO sowie die ZRHO)? Ferner die Beweisaufnahme im Ausland und die Beweisaufnahme zugunsten ausländischer Verfahren (vgl. 363, 364, 369 ZPO). - die Anwendung ausländischen Sachrechts im Verfahren: wann muss es der Richter anwenden und wie ermitteln (vgl. 293 ZPO)? - die Anerkennung ausländischer Entscheidungen: wann und wie wirken ausländische Entscheidungen im Inland (vgl. 328 ZPO, 107 ff. FamFG)? - die Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile: wann und wie darf aus ausländischen Urteilen vollstreckt werden (vgl. 722, 723 ZPO, 110 FamFG)? - die internationale Schiedsgerichtsbarkeit: wann werden in Deutschland Schiedsgerichtsvereinbarungen und ausländische Schiedssprüche beachtet (vgl. 1032, 1051, 1061 ZPO)? V. Kollisions- und Sachrecht 1. Im Unterschied zum IPR enthält das IZPR nur wenige Normen, welche sich mit dem anzuwendenden Sachrecht beschäftigen (Kollisionsnormen). Auf ausländisches Recht kommt es etwa für die Partei- und Prozessfähigkeit sowie die Wirkungen ausländischer Entscheidungen an. 2. Regelmäßig unterliegt das gerichtliche Verfahren dem Recht des angerufenen Gerichts, der lex fori. Ein deutsches Gericht richtet sich also nach deutschem Verfahrensrecht. 3. Vielfach handelt es sich bei den Prozessvorschriften nur um auslandsbezogene Sachnormen, insbesondere prozessuales Fremdenrecht. Hier gilt von vornherein deutsches Verfahrensrecht. Dieses enthält jedoch eine Sonderregelung - regelmäßig eine Schlechterstellung - bezüglich des Ausländers (vgl. 110 ZPO zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten). Daher verstieß der frühere 110 ZPO a.f. gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56, 57 AEUV, zuvor Art. 49, 50 EG, früher 59,60 EGV) siehe Fall 1 (Hubbard). Beim Arrest ist die erleichterte Anerkennung nach den europäischen Regelungen zu berücksichtigen (Fall 2); siehe 917 II n.f. ZPO. IZPR-Pap/intverf 30.05.2012

4 Anlage 1 I. Internationale Zuständigkeit 1.Zivil- und Handelssachen 2. Ehescheidung 3. Minderjährigenschutz 4. Unterhalt ---- 5. Erwachsenenschutz 6. Schiedsgerichte 7. Sonstiges II. Verfahren und Rechtshilfe 1. Zustellung 2. Prozesskostensicherheit 3. Rechtshängigkeit 4. Beweis a) Tatsachen b) ausl. Recht 5. Sonstiges III. Anerkennung und Vollstreckung ausl. Entscheidg. 1. Zivil- und Handelssachen -- 2. Unterhalt -- 3. Ehescheidung -- 4. Minderjährigenschutz - 5. Erwachsenenschutz nationales Recht ZPO FamFG 1067 ff. ZPO ----------------- ZPO FamFG ZRHO AUG ------------------ 1072 ff. ZPO 293 ZPO 328 ZPO 107 ff. FamFG AVAG IntFamRG europäisches Gemeinschaftsrecht EuGVO Art. 2-31 ----- EheVO II Art. 3-7 ----- EheVO II Art. 8 15 EuUnthVO Art. 3 ff. ------ EuZustVO 2007 ----- ProzessKostHRiL 2003 ( 1076 ff. ZPO) ----- EuGVO Art. 27 EheVO II Art. 19 EuUnthVO Art. 12 ----------- EuBeweisVO 2001 ----- EuGVO Art. 25 58 ------ EuUnthVO Art. 16 ff. ----- EheVO II Art. 21-39 ----- EheVO II Art. 21-45 multilaterale Übereinkommen LugÜ Art. 2-31 KSÜ Art. 5-14 ErwSÜ Art. 5 ff. --- Genfer Protokoll 1923, Genfer Übereink. 1961 Haager Übk. 1965 Haager ZPÜbk. 1954 LugÜ Art. 27 Haager Übk. 1970 Londoner Übk. 1968 z.b. N.Y. Unterhaltsübereink 1956, HUÜ 2007 LugÜ Art. 25 58 ----- Haager Unterhaltsübereink. 1973 ---- ------ KSÜ Art. 23 Europ.SorgeRÜbk. 1980 Haager KindesEÜbk. 1980 ErwSÜ Art. 22 ff. bilaterale Abkommen Rechtshilfe-, Rechtsverkehr-, Freundschaftsund andere Abkommen 11 Abk. mit A (1959) B (1958) CH (1929) E (1983) GB (1960) GR (1961) I (1936) JL (1977) N (1977) NL (1962) TUN(1966) 6. Schiedssprüche --------------------- 7. Sonstiges ---- ----- EuVollstrTitelVO ( 1079 ff. ZPO) --- Genfer Übk. 1927 N.Y. UN-Übk. 1958 ---------- --

5 Anlage 2 Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen im Überblick - An das Gericht anknüpfend: * deutsche Gerichtsbarkeit * Zulässigkeit des Zivilrechtsweges * internationale, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts - An die Parteien anknüpfend: * Parteifähigkeit * Prozessfähigkeit * Prozessführungsbefugnis - Die Streitsache betreffend: * ordnungsgemäße Klageerhebung * keine anderweitige Rechtshängigkeit * keine rechtskräftige Entscheidung * Rechtsschutzbedürfnis