Zukunft durch globale Bildung: Neue wissenschaftliche Befunde

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Transkript:

Zukunft durch globale Bildung: Neue wissenschaftliche Befunde Festvortrag in der Feierlichen Sitzung der ÖAW am 11.5.2011 Wolfgang Lutz Sehr geehrter Herr Bundespräsident, hohe Festversammlung Zukunft durch globale Bildung. Dieser kurze Titel enthält drei gewichtige Begriffe. Zukunft ist das, was jetzt beginnt und die Gestaltung der Zukunft ist das, was uns bewegt und motiviert. Wir wollen, dass Zukunft gelingt, dass die Dinge für uns besser werden oder zumindest nicht schlechter. Dies ist auch die Triebfeder der wissenschaftlichen Zukunftsforschung. Ja, ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass alle Wissenschaften selbst die historischen Wissenschaften letztlich durch den Wunsch nach positiver Gestaltung der Zukunft motiviert sind. Davon wird ganz am Ende nochmals die Rede sein. Wenn man über die Zukunft spricht, ist es immer auch sinnvoll in die Vergangenheit zu blicken. Konkret in die Feierliche Sitzung der Akademie im Jahre 1973, als Gerhart Bruckmann mein späterer Lehrer in den Methoden der Statistik den Festvortrag zu Thema Die Zukunft der Zukunftsforschung hielt. Bruckmann hat es damals klar auf den Punkt gebracht: Die Kernfrage der Zukunftsforschung ist der in seiner Zukunft bedrohte Mensch. Das war ein Jahr nachdem der Club of Rome Die Grenzen des Wachstums publiziert hatte, eine Studie, die übrigens bis zum heutigen Tag das meistverkaufte wissenschaftliche Buch aller Zeiten ist. Die Bedrohungsszenarien haben sich seither von der Frage der Ressourcenknappheit hin zu den unabsehbaren Folgen des Klimawandels verschoben. Aber nicht nur die Frage nach unserem Überleben, sondern insbesondere die Frage nach einem guten Leben dieser und der zukünftigen Generationen ist nach wie vor Kernpunkt der wissenschaftlichen Analyse der Zukunft und auch dieses Vortrags. Das zweite gewichtige Wort im gewählten Titel ist der Begriff der Bildung, der ja derzeit viel diskutiert wird, nicht nur in unserem Land, sondern auch in vielen anderen. Hört man genauer hin, geht es dabei oft um sehr unterschiedliche Themen. Das reicht von Fragen der Schulorganisation und des Lehrerdienstrechts bis zur Frage der Inhalte und der Orientierung der Bildung. Gemeinsam ist diesen diskutierten Themen meistens, dass es dabei in erster Linie um den Prozess der Bildung geht, also um das, was in der Schule oder Hochschule passiert und weniger um das, was das Ergebnis der Ausbildung ist. Also das, was erwachsene Menschen können, wenn sie die Schule verlassen haben, oder noch wichtiger wie die unterschiedliche Länge und die Art der Ausbildung die Denk- und Lebensweise der Menschen, ihr Verhalten und nicht zuletzt auch ihre ökonomische Produktivität beeinflusst. In diesem Vortrag beschäftige ich mich nicht mit dem Prozess der Bildung, sondern mit dem Ergebnis, dem Output, wenn sie so wollen, dem was die Ökonomen Humankapital nennen oder was man auch allgemeiner als die menschlichen Ressourcen einer Gesellschaft bezeichnen kann.

Diese Humanressourcen, die die Leistungsfähigkeit einer Bevölkerung beschreiben, haben im Wesentlichen zwei Dimensionen: (a) körperliche Leistungsfähigkeit, für die die Gesundheit entscheidend ist und (b) die mentale Leistungsfähigkeit, die in der Regel stark durch Bildung geprägt ist. Beide Dimensionen variieren mit dem Alter und oft auch nach dem Geschlecht. Aus diesem Grund sind sie ein ideales Anwendungsgebiet für demographische Methoden, die ja Veränderungen von Bevölkerungen nach Alter und Geschlecht mathematisch beschreiben. Bei dieser Anwendung von demographischen Methoden für die Rekonstruktion und Projektion der Bildungsstrukturen von Bevölkerungen nach Alter und Geschlecht für fast alle Länder der Welt haben wir in Wien in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet, was ich in der Folge kurz beschreiben werde. Zunächst aber noch zum dritten wichtigen Begriff: global ist ein Begriff, der ja mehrere Bedeutungen hat, die alle hier bewusst impliziert sind: Zum ersten geht es dabei um die ganze Welt, um alle Länder, um die Weltbevölkerung im Kontext der sich rasch globalisierenden Wirtschaft und der globalen Umweltveränderungen. Zum zweiten geht es beim Begriff globale Bildung um die Bildung der Gesamtbevölkerung eines jeden Landes und nicht nur der kleiner Eliten. Und zum dritten geht es dabei auch um den Inhalt der Bildung, um umfassende Bildung im Gegensatz zu Scheuklappen oder Tunnelblick. Sie sehen hier das neue Logo des Anfang diesen Jahres gegründeten Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital. Das Bild eines Menschen mit der Welt im Kopf soll die verschiedenen genannten Aspekte von global symbolisieren. Es handelt sich hierbei um eine gemeinsame Initiative der ÖAW, des IIASA in Laxenburg und der WU- Wien mit zusätzlicher Finanzierung durch den Wittgenstein Preis 2010 sowie auch bereits drei ERC Preisen im Bereich Demographie. Wir konnten in den letzten Jahren ein hochkarätiges sehr internationales Team hier in Wien aufbauen und haben den Ehrgeiz, in den nächsten Jahren zum weltweit führenden Forschungszentrum in diesem für die Zukunft der Menschheit so wichtigen Bereich zu werden.

Age Group Aber was ist das besondere, das Neue an unserem Ansatz? Die neue Idee ja man kann es durchaus auch ein neues sozialwissenschaftliches Paradigma nennen resultiert aus einem cross-over von Methoden der Demographie (der sogenannten multidimensional mathematical demography, kurz multi-state die übrigens in den 70er Jahren hier am IIASA von Nathan Keyfitz und anderen entwickelt wurde) und dem ökonomischen Humankapitalansatz von Gary Becker und anderen in Chicago. Bevor ich dies jetzt mit mathematischen Formeln oder mit vielen Worten zu erklären versuche, schauen wir uns lieber bewegte Alterspyramiden an. 100+ 95-99 90-94 85-89 80-84 75-79 70-74 65-69 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 10-14 5-9 0-4 Total Population: 46,429,319 MALES Republic of Korea-2000 FEMALES 2400 1600 800 0 800 1600 2400 Population in Thousands No Education Primary Secondary Tertiary Hier sehen sie die Alters- und Bildungs-Pyramide Südkoreas für das Jahr 2000. Alterspyramiden sind die Lieblingsgraphik der Demographen. Sie zeigen die Frauen rechts und die Männer links geordnet nach Altersgruppen mit den jüngsten unten und den älteren oben. In traditionellen Gesellschaften mit hohen Geburtenraten (wie bei uns um 1900 oder in vielen Entwicklungsländern heute) sieht dies tatsächlich noch wie eine Pyramide aus. Der Geburtenrückgang hat dann bei uns wie auch in Südkorea dazu geführt, dass das ganze eher wie ein Bevölkerungsdiamant aussieht, in dem die mittleren Altersgruppen die stärksten sind. Zusätzlich haben wir jetzt die Graphik durch Farbe um eine weitere Dimension bereichert, die die höchste abgeschlossene Schulbildung angibt. Rot steht für Männer und Frauen, die überhaupt nie in der Schule waren das gibt es in Korea heute nur noch bei älteren Frauen gelb steht für Personen, die zumindest eine gewisse Volksschulbildung haben, hellblau für Mittelschulbildung (zumindest junior secondary abgeschlossen) und dunkelblau für eine abgeschlossene erste tertiäre Ausbildung (also einen Bachelor). Bei den 25- bis 29-jährigen Frauen in Korea liegt der Anteil da schon deutlich über einem Drittel. Diese Graphik spiegelt somit eindrucksvoll die enorme Bildungsexpansion, die Südkorea in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Junge Frauen gehören dort heute zu den bestgebildeten auf der ganzen Welt während gleichzeitig in der Generation ihrer Mütter und ihrer Großmütter viele noch nie eine Schule von innen gesehen

hatten. Als diese im Schulalter waren, war ja Korea noch ein bettelarmes Entwicklungsland offensichtlich ohne funktionierendes Schulsystem für die breiten Massen der Bevölkerung. Das Bildungsniveau von Menschen ist eine stabile Eigenschaft. Es wird in der Regel im jungen Alter erworben und zumindest der formale Bildungsabschluss bleibt uns dann für den Rest des Lebens erhalten. Ein einmal gewonnenes Doktorat wird uns in der Regel nicht mehr weggenommen. In der Demographie nennt man das einen Kohorten-Effekt. Und dieser Effekt ist auch die Basis für die Rekonstruktion und Projektion von früheren und zukünftigen Bildungsstrukturen nach Alter und Geschlecht. Wenn wir die Bildungsstruktur der 60-Jährigen heute kennen, wissen wir auch schon viel über die Bildung der 40-Jährigen vor 20 Jahren. Gehen wir also in 5-Jahres-Schritten zurück in der Zeit, dann verschiebt sich die gezeigte Bildungsstruktur nach unten. Allerdings ist eine solche Rekonstruktion, wie wir sie jetzt bereits für fast alle Länder der Welt durchgerechnet haben, nicht nur ein simples Verschieben der Altersstruktur. Man muss berücksichtigen, dass Personen mit mehr Bildung in der Regel höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten haben und auch die Migrationsbereitschaft abhängig vom Bildungsstatus variieren kann. Wie Sie sehen, hatten 1960 auch die jungen Erwachsenen und insbesondere die Frauen in Korea zum Großteil überhaupt keine formale Schulbildung. Da es für viele Länder der Welt keine zuverlässigen empirischen Daten für die Bildungsstrukturen der vergangenen Jahrzehnte gibt, bietet diese Rekonstruktion bisher ungeahnte Möglichkeiten zur Analyse der Auswirkungen von sich verändernden Bildungsstrukturen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Bevor wir uns dem zuwenden aber noch einige Worte zur Prognose. Dabei muss man zusätzlich zur bereits erwähnten Differenzierung von Mortalität und Migration nach Bildung auch noch die wichtige Tatsache berücksichtigen, dass in der Regel höher gebildete Frauen weniger Kinder haben.

Age Group 100+ 95-99 90-94 85-89 80-84 75-79 70-74 65-69 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 10-14 5-9 0-4 Total Population: 49,155,233 MALES Republic of Korea-2030 FEMALES 2400 1600 800 0 800 1600 2400 Population in Thousands No Education Primary Secondary Tertiary Bei der Projektion bis 2030 fällt zunächst auf, dass die Pyramide an der Basis sehr schmal wird. Korea hat heute eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt, was daran liegt, dass die kulturellen Normen auch heute noch ein sehr traditionelles Familienbild vorschreiben und die jetzt gut gebildeten Frauen sich dem immer weniger fügen wollen. Was die wirtschaftlichen Folgen dieser enormen Alterung betrifft, gibt es aber doch begründete Hoffnung, dass die weitaus bessere Bildung der jungen Menschen durch höhere Produktivität ihre geringere Zahl kompensieren kann. Dies ist ein noch wenig erforschtes Thema, das auch für uns in Europa höchst relevant ist und dem wir uns an unserem Institut derzeit intensiv widmen. Aber nochmals zurück zum Wesen der Populationsdynamik: Dieser demographische Erneuerungsprozess, in dem ältere Geburtsjahrgänge mit bestimmten Eigenschaften durch jüngere mit anderen Eigenschaften ersetzt werden, gilt im Übrigen nicht nur für die Bildungsstruktur. Ich hatte zuvor etwas hochtrabend von einem neuen sozialwissenschaftlichen Paradigma gesprochen. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass sich dieser Ansatz für viele Analysen anderer wichtiger Eigenschaften von Personen verallgemeinern lässt. Wir hatten vor drei Jahren einen Artikel in Science, in dem wir diesen Ansatz auf die Frage der europäischen Identität zusätzlich zur nationalen mit Daten der Eurobarometer Surveys angewandt hatten und dann nach Kohorten in die Zukunft projizierten. Da die jüngeren Kohorten in höherem Ausmass eine europäische zusätzlich zu ihrer nationalen Identität hatten, konnten wir quantitativ abschätzen, wie die Prävalenz der europäischen Identität zunehmen wird. Die Grundidee ist nicht neu. Soziologen wie Karl Mannheim haben auch vom Wandel von Gesellschaften durch den Generationenwechsel gesprochen. Aber dies wurde bisher nie formalisiert und quantifiziert und war dadurch auch nicht prognostizierbar. Wir versuchen hier somit nichts Geringeres, als eine Theorie des sozialen Wandels mit Prognosefähigkeit zu entwickeln, wie sie etwa Karl Popper von den Sozialwissenschaften eingefordert hat, was aber in dieser Form bisher nicht geliefert werden konnte. Zurück zur Demographie und zu den Auswirkungen der Bildungsstruktur auf die Gesellschaft. Da die Zeit hier sehr begrenzt ist, werde ich jetzt nur stakkatoartig einige Schlaglichter auf fünf neue

Ergebnisse werfen, bei denen wir mit unseren neu rekonstruierten Daten zu den Bildungsstrukturen fast aller Länder der Welt zeigen konnten, was die positiven Auswirkungen von Bildung in den unterschiedlichsten Bereichen sind. 1. Thema: Bildung junger Frauen ist entscheidend für die Zukunft des Weltbevölkerungswachstums Sie sehen hier unsere neuesten Prognosen zum Wachstum der Weltbevölkerung. Es ist dies ein probabilistischer Ansatz, der von uns entwickelt und bereits dreimal in Nature publiziert wurde zuletzt 2008. Wir werden bald sieben Milliarden Erdenbürger sein. Das wird vermutlich in den nächsten 2-3 Jahren passieren. Einen genauen Zeitpunkt festzulegen ist unseriös, weil man von vielen Ländern zu wenig präzise Information hat. Wie stark die Weltbevölkerung dann bis zum Ende des Jahrhunderts weiter wächst, hängt in erster Linie von der weiteren Entwicklung der Geburtenrate ab. Wir halten es für wahrscheinlich, dass unsere Zahl weiter auf rund neun Milliarden Menschen wachsen wird und danach wieder leicht abnimmt. Diese zukünftige Entwicklung wird aber ganz entscheidend vom weiteren Erfolg bei der Bildung von Frauen insbesondere in Afrika abhängen.

Sie sehen hier die Unterschiede in der durchschnittlichen Zahl von Kindern pro Frau für drei afrikanische Länder. In praktisch allen Ländern der Welt haben Frauen mit höherer Bildung weniger Kinder. Besonders stark ist dieser Unterschied aber in Ländern, die sich noch in der Frühphase der demographischen Transition befinden. Sie sehen, dass z.b. in Äthiopien im Jahr 2005 Frauen ganz ohne Schulbildung im Durchschnitt sechs Kinder hatten, während Frauen, die zumindest bis zum Alter von 15 Jahren in der Schule waren, durchschnittlich nur zwei Kinder hatten. Die Zeitschrift Science wird im September eine Sondernummer zum Thema Weltbevölkerung herausbringen, die übrigens zeitgleich mit unserem Eröffnungssymposium des Wittgenstein Centres erscheinen soll. Dazu wurden wir eingeladen, den Review-Artikel zum Thema Global Human Capital zu erstellen und wir haben dafür einige neue Szenarien berechnet. Dabei zeigt sich, dass selbst unter der Annahme identischer bildungsspezifischer Fertilitätsraten unterschiedliche Szenarien zur zukünftigen Bildungsstruktur bereits bis zum Jahr 2050 Unterschiede in der resultierenden Weltbevölkerungszahl von über einer Milliarde Menschen ergeben. In anderen Worten, Investitionen in die Bildung von Frauen sind einer der Hauptfaktoren der zukünftigen Weltbevölkerungsentwicklung. 2. Thema: Bildung einer breiten Basis ist entscheidend für Wirtschaftswachstum Was von der ökonomischen Theorie schon lange postuliert, aber von Entwicklungsökonomen auf globaler Ebene bisher nicht schlüssig nachgewiesen werden konnte, konnten wir mit unseren neuen altersspezifischen Bildungsdaten nun auch statistisch belegen. Dabei untersuchten wir nicht nur das durchschnittliche Bildungsniveau, sondern die ganze Verteilung nach höchster abgeschlossener Bildung und fanden heraus, dass für arme Länder die Basisbildung der breiten Massen wichtiger ist als die Bildung von Eliten. Für Industrieländer wie Österreich ist jedoch eine weitere Verbesserung der Bildungsstruktur vor allem bei den höheren Bildungsabschlüssen entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt.

Sie sehen hier die Bildungsstruktur Österreichs 2011 mit österreichspezifischen Bildungskategorien. Rot bedeutet jetzt Pflichtschulabschluss und nicht ganz ohne Schulbildung. Die Zahl der Menschen in dieser untersten Bildungsgruppe ist über alle Alterskohorten betrachtet recht stabil. Es gab also hier in den letzten Jahren kaum Verbesserungen. Auch die Prognose bis 2031, unter Annahme konstanter heutiger Schulbesuchsquoten, zeigt hier ein Bild der Stagnation, während gleichzeitig viele Länder vor allem in Asien massive Verbesserungen in der Bildungsstruktur junger Menschen erleben. 3. Thema: Bildung als Schlüssel für gesundes Altern und Langlebigkeit Wir hatten gestern den ganzen Tag hier an der ÖAW ein großes Symposium zum Thema Altern ( Ageing Societies Mature People: Gesundes Altern als Chance? ) mit einigen der international führenden Experten. Es handelt sich um ein lebendiges und auch um ein sehr interdisziplinäres Forschungsfeld, das quer durch die Natur- und Sozialwissenschaften geht. Für diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, möchte ich nur zwei Österreich betreffende Abbildungen zeigen. Die Ergebnisse der österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/7 liefern Daten zur subjektiven Einschätzung der Gesundheit gemessen als Beeinträchtigungen in Tätigkeiten des täglichen Lebens und gegliedert nach Alter, Geschlecht und Bildung. 0.50 0.45 0.40 Pflichtschule 0.35 0.30 Lehre, BMS 0.25 0.20 AHS, BHS 0.15 0.10 0.05 Univ., FH, Hochschule 0.00 15-1920-2425-2930-3435-3940-4445-4950-5455-5960-6465-6970-7475-7980-84 85+

Lebenserwartung im Alter 60 10 15 20 25 30 Wir sehen, dass natürlich für alle Menschen die Beeinträchtigungen im höheren Alter stark zunehmen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass in jeder Altersgruppe Frauen mit Hochschulabschluss nur halb so oft von Beeinträchtigungen betroffen sind wie Frauen mit Pflichtschulabschluss. 1850 1875 1900 1925 1950 1975 2000 Akademiemitglieder: Österr. Sterbetafel: wirkliche und korresp. Mitglieder Gesamtbevölkerung 95% Konfidenzintervall Tertiäre Bildung Dieses Bild zeigt die Ergebnisse einer Studie, die vor wenigen Jahren an unserem Institut erstellt wurde und die weitere Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren für die Mitglieder der ÖAW im Vergleich zur österreichischen Bevölkerung analysiert. Dies geht allerdings nur für Männer, da es ja in der ÖAW früher noch weniger Frauen gab. Auffällig ist, dass bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kaum ein Unterschied bestand. Infektionskrankheiten haben alle fast in gleicher Weise betroffen. Seit 1970 jedoch liegt der Vorteil der ÖAW-Mitglieder bei rund 6 Jahren. Interessant ist auch, dass die Lebenserwartung der Akademiemitglieder auch noch drei Jahre über der der sonstigen Akademiker in Österreich liegt, die hier für die letzten drei Volkszählungsjahre angeführt ist. Insofern können wir den soeben neu eingeführten Mitgliedern der ÖAW gratulieren, dass sie nicht nur eine Urkunde, sondern mit dem heutigen Tag auch drei Jahre zusätzliche Lebenserwartung bekommen haben. 4. Thema: Bildung ist Schlüssel zu lebendiger Demokratie Die neuen Daten erlauben es uns auch, zentrale politikwissenschaftliche Fragen wie den globalen Zusammenhang zwischen Bildung und Demokratie empirisch/statistisch zu analysieren. Hier zeigt sich ein deutliches Bild, in dem bessere Bildung der jüngeren Bevölkerungsschichten und interessanterweise besonders junger Frauen die Wahrscheinlichkeit des Übergangs von autoritären Regimen zu modernen Demokratien signifikant erhöht. Dies ist, wie gesagt, nicht deterministisch zu verstehen. Es gibt keine Garantie, dass dieser Übergang in bestimmten Ländern in naher Zukunft erfolgen wird. Die bessere Bildung der Jungen bringt doch eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit eines solchen Übergangs auf Basis des globalen Musters der vergangenen Jahrzehnte. Wir hatten diese Studie ( Demography, education and democracy: Global trends and the case of Iran ) letzten Sommer mit einem speziellen Fokus auf den Iran analysiert. Wir fanden aber auch für die Staaten Nordafrikas ein deutliches Demokratie-Defizit im Verhältnis zur Bildung der jungen Bevölkerung. Wir schrieben damals, dass diese Tatsache eine baldige Veränderung in Richtung Demokratie wahrscheinlich mache.

Dieses Thema halten wir für so wichtig, dass wir es auch als Thema für das Eröffnungssymposium des Wittgenstein Centre im September im Parlament in Wien gewählt haben. Demographie und Demokratie sind ja nicht nur sprachlich sondern auch inhaltlich verwandt. Die Demographie beschreibt den Demos das Volk und analysiert seine Veränderungen. Die Bildung befähigt den Demos. Und in der Demokratie übernimmt der so ermächtigte Demos dann auch die Herrschaft über sich selbst. 5. Thema: Bildung erhöht die Anpassungsfähigkeit an bereits unvermeidbaren Klimawandel In der ganzen komplexen Frage des Klimawandels ist die Frage nach der zukünftigen Fähigkeit von Gesellschaften, sich an bereits unvermeidbaren Wandel anzupassen, vermutlich die noch am wenigsten erforschte. Dies ist jedoch ein ganz zentraler Punkt für die Abschätzung wie gefährlich der Klimawandel letztlich für das Wohl der Menschen sein wird. Bei den Klimakonferenzen in Kopenhagen und Cancun konnte man sich nicht auf eine Eindämmung der Emissionen von Treibhausgasen einigen, aber man hat angekündigt, dass bis 2020 jährlich eine Million Dollar für die Adaption für die armen Länder bereit gestellt werden soll. Allerdings ist noch unklar, wofür genau dieses Geld verwendet werden soll. Unsere neueste Studie dazu kommt zum Ergebnis, dass Investitionen in die Basisbildung von Frauen die effektivsten und nachhaltigsten Investitionen sind, um die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen. Die Daten zeigen, dass auch heute schon Bildung dazu befähigt, sich besser gegen die Gefahr von Naturkatastrophen zu schützen. Gerade wenn man noch nicht weiß, welche Klimagefahren in bestimmten Regionen genau zu erwarten sind, ist Befähigung zur Selbsthilfe durch Basisbildung eine sichere und gute Investition. Noch allgemeiner können wir bei der Frage des globalen Klimawandels festhalten, dass wie in keiner anderen Frage der Menschheitsgeschichte zuvor das alleinige Verfolgen nationalstaatlicher Interessen nicht zum Ziel führen kann. Beim Klima sitzen wir alle im selben Boot und müssen deshalb auch global denken und handeln. Betrachten wir zum Abschluss nochmals die Zunahme der globalen Bildung in Form von drei Weltkarten, die den Anteil junger Frauen in jedem Land darstellen, die zumindest bis zum Alter von 15 Jahren eine Schule besucht haben.

1970 zeigte sich die klassische Zweiteilung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer ganz klar auch bei der Bildung. Bis heute haben auch weite Teile Asiens und Lateinamerikas enorme Fortschritte in der Bildung gemacht und unsere Prognosen für 2050 zeigen, dass dann vermutlich nur noch in Teilen Afrikas weniger als die Hälfte der jungen Frauen ohne junior secondary education sein werden. Hier ein Versuch der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit bisher: 1. Demographische Methoden eignen sich in bisher wenig beachteter Weise zur Beschreibung gesellschaftlicher Strukturveränderungen und sind darin sogar prognosefähig. 2. Die Bildungsstruktur einer Bevölkerung ist unter allen möglichen Einflussfaktoren vermutlich die entscheidendste Determinante der langfristigen Sicherung von Gesundheit, Wohlstand und demokratischer Freiheit und somit nachhaltiger Entwicklung. In anderen Worten ausgedrückt: Von all den Stellschräubchen, an denen

man bei der Riesenmaschine Gesellschaft und Wirtschaft drehen kann, ist die Verbesserung der Bildungsstruktur vermutlich aus langfristiger Sicht das wichtigste. 3. Entscheidend ist dabei die Bildung der breiten Bevölkerung und nicht nur der von Eliten. Hierzu eine Fußnote: Gerade für ein Thema, das uns als Akademie besonders unter den Nägeln brennt die staatliche Förderung von Spitzenforschung ist es wichtig, dass in breiten Schichten der Bevölkerung durch entsprechende Bildung auch eine Wertschätzung der zentralen Bedeutung von Forschung für unserer aller Zukunft gegeben ist. 4. Globale Zukunftsbewältigung (in Zeiten des Klimawandels) erfordert das Überwinden von Partikularinteressen durch die Bildung des globalen Demos. Hohe Festversammlung. Ich begann meinen Vortrag mit einem Hinweis auf die Feierliche Sitzung des Jahres 1973. Ich möchte schließen mit einem Zitat aus der Feierlichen Sitzung 1985, in der mein Vater der Historiker Heinrich Lutz den Festvortrag zum Thema Erasmus Machiavelli: Krieg und Frieden im Werden der neuzeitlichen Staaten hielt. Söhne wollen ja oft in ihrem Leben das genaue Gegenteil von ihrem Vater machen. Und ich dachte damals, das genaue Gegenteil der Geschichtswissenschaft sei die Zukunftsforschung. Allerdings komme ich immer mehr darauf, dass auch wenn Ansatz und Methodik sehr unterschiedlich sind bei den relevanten Ergebnissen doch eine starke Konvergenz erscheint. Mein Vater schrieb im letzten Absatz seines Vortrags: Die rücksichtslose Souveränität des Einzelstaates, sofern sie im Sinne Machiavellis den expensiven Staatsegoismus bedeutet, ist heute schon als unvereinbar mit dem bonum commune ommnium, also mit dem Überleben der Menschheit erkannt. Ja, das ist nahezu kongruent mit den hier dargelegten Ergebnissen der statistisch-demographischen Zukunftsforschung. Ich will daher meinen Vortrag mit demselben Zitat von Erasmus beschließen, mit dem dies mein Vater tat: Verschwört euch einmütig auf dieses Ziel des Friedens! Zeigt, wie viel die Eintracht der Menge Einschub meinerseits: befähigt durch globale Bildung gegen die Tyrannei der Mächtigen vermag! In diesem Sinne ist unser neues Logo eine Tochter des Erasmus 500 Jahre jünger aber vom gleichen Geiste beseelt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.