Mineralwasser aus dem Taunus Brunnen und Bäder zwischen Weilbach und Rosbach

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Transkript:

Mineralwasser aus dem Taunus Brunnen und Bäder zwischen Weilbach und Rosbach Begleitpublikation zur Ausstellung in der Taunus-Galerie im Kreishaus des Hochtaunuskreises, Bad Homburg v.d.h., 2010 und im Stadtmuseum Bad Soden, 2011 von Hanspeter Borsch, Gunther Krauskopf und Konrad Schneider

Mineralwasser aus dem Taunus Brunnen und Bäder zwischen Weilbach und Rosbach 1

2

Vorwort Das Quellenvorkommen vor dem Taunuskamm zwischen Weilbach und Nieder-Rosbach ist Teil eines besonders mineralwasserreichen Gebietes und verbindet die Quellen des Rheingaues mit denen des westlichen Taunus und der Wetterau. Schon in vorgeschichtlicher Zeit schätzten die Menschen das Wasser als erfrischendes Getränk und die heilsame Wirkung der zum Teil auch warmen Quellen. Ab dem 16. Jahrhundert verstärkte sich das Interesse an ihnen, nicht zuletzt durch eine umfangreiche Literatur, und führte zur Anlage von Bädern und zum Wasserversand. Alle diese Erscheinungen sind im Vortaunus festzustellen. Sie erlebten im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt und haben unübersehbare Spuren in den Orten ihres Geschehens hinterlassen. Die allermeisten Quellen sprudeln noch, sind fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert und werden gerne aufgesucht. Von den Abfüllbetrieben besteht nur noch der in Nieder-Rosbach. Die vorliegende Schrift und die begleitende Ausstellung sind in enger Zusammenarbeit der Autoren mit dem Kreisarchiv des Hochtaunuskreises und dem Stadtarchiv Bad Soden am Taunus entstanden. Sehr herzlich ist daher Herrn Landrat Ulrich Krebs (Hochtaunuskreis) und Herrn Bürgermeister Norbert Altenkamp (Bad Soden am Taunus) zu danken, die dafür gesorgt haben, dass dieses wichtige Kapitel der Geschichte des Vortaunusgebietes in so ansprechender Form dargeboten werden kann. Gunther Krauskopf aus Bad Soden-Neuenhain hat als guter Kenner der Sodener Saline und des Sodener Kurbetriebs die entsprechenden Kapitel übernommen. Der Beitrag über die Kur in Bad Soden steht exemplarisch für den Kurbetrieb in Weilbach, im Kronthal und in Bad Homburg. An dieser Stelle ist für vielfältige Unterstützung und das Überlassen von Leihgaben für die Ausstellung herzlich zu danken, dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, dem Staatsarchiv Darmstadt sowie den Stadtarchiven in Bad Homburg, Bad Soden, Friedrichsdorf und Kronberg, dem Museum im Gotischen Haus in Bad Homburg und der Hassia Mineralquellen GmbH & Co. KG in Bad Vilbel, Bernd Barfues (Köln- Frechen), Dr. Michael Bauer (Kronberg), Gerd Martin Forneck (Höhr-Grenzhausen), Irmgard Bettenbühl (Kronberg), Gertrud Hartmann (Mammolshain), Ronald Kaffiné (Höhr-Grenzhausen), Stefan Kunz (Bad Vilbel), Rainer Wehrheim (Karben), Rudolf Zimmer (Buch). 3

4

Karte des Taunus nach: Johann Isaak von Gerning, Die Heilquellen am Taunus, Leipzig, 1813 5

6 Geologische Voraussetzungen, technische und wirtschaftliche Entwicklung Der Taunus gehört zu den mineralwasserreichsten Regionen Mitteleuropas. Besonders bekannt sind die Quellen von Bad Schwalbach, Niederselters und Fachingen. Der Niederselterser Mineralbrunnen war vom 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts deutscher Marktführer im Mineralwassergeschäft und stand für den Begriff Selterswasser Pate. Gegenstand unserer Untersuchung sind die Mineralquellen, die vor dem aus vordevonischer Zeit stammenden Taunuskamm liegen: die Schwefelquelle und die Natrium-Lithium-Quelle in Weilbach und die mehr oder weniger kochsalz-, eisen- und kohlensäuregashaltigen Säuerlinge in Bad Soden, Neuenhain, im Kronthal zwischen Mammolshain und Kronberg sowie in Bad Homburg v.d.h., Burgholzhausen v.d.h. und Nieder- Rosbach v.d.h. In Bad Soden entspringen einige Thermalquellen. Dort und in Bad Homburg kam es zur Gründung von Salzwerken. Im Kronthal und in Rosbach entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts exportstarke Brunnenbetriebe, von denen nur noch der in Rosbach arbeitet. Dagegen lag der Schwerpunkt in Weilbach, Bad Soden und Bad Homburg auf der Kur und wurde von einem bescheidenen Wasserversand begleitet, der in Weilbach bis 1988 und im Kronthal bis Ende 2005 andauerte. Kleinere Brunnen wie die in Neuenhain und Burgholzhausen wurden und werden nur örtlich genutzt. Wasser ist ein gutes Lösungsmittel und nimmt als Grund- und Tiefenwasser in Spalten, Klüften und Gesteinsporen Mineralien der umgebenden Gesteine in sich auf. Sind Reste von Vulkanismus und von daher stammendes Kohlendioxid vorhanden, bildet sich eine schwache Säure, die Kohlensäure, die wiederum bestimmte Gesteine wie Kalk angreift, in Teilen löst und als Treibmittel den Aufstieg des Wassers nach oben durch die Spalten der Gesteinsschichten beschleunigt. Der Austritt des Mineralwassers aus Spalten konnte 2004/05 bei der Sanierung der Kronthaler Mineralquellen sehr schön beobachtet werden. Die unterschiedlichen Temperaturen des Mineralwassers hängen davon ab, aus welcher Tiefe es stammt. Im Durchschnitt beträgt der Temperaturunterschied 3 C je hundert Meter 1. Im Jahr 1911 definierte der Deutsche Mineralbrunnenverband durch seine Nauheimer Beschlüsse den Begriff natürliches Mineralwasser. Es durfte von nun an nur unverändert abgefüllt werden. Zugelassen waren nur ein Ausfällen von gebundenem Eisen sowie ein Versetzen mit Kohlensäuregas, nicht jedoch ein Zusatz von Salzen zur Verbesserung des Geschmacks. Natürliche Mineralwässer mussten mindestens 1.000 mg gelöster Mineralstoffe je Liter ent- Bei der Sanierung der Kronthaler Quellen 2004/05

Bohrturm für den Neuen Sprudel in Bad Soden 1937 halten, Säuerlinge den gleichen Anteil an Kohlensäuregas. Diese Bestimmungen gingen 1934 in die deutsche Tafelwasserverordnung ein, die 1984 durch die EU gelockert wurde und auch schwächer mineralisierten Wassern unter bestimmten Bedingungen den Mineralwassercharakter zuerkannte 2. Die Mineralquellen vor dem Taunuskamm enthalten einen unterschiedlichen Gehalt an Kochsalz. Zur Herkunft der daher so bezeichneten Salinarwässer am Taunusrand und in der Wetterau gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Während die ältere Lehrmeinung die Zechsteinlagerstätten im Osten und Südosten des Vogelsberges als Herkunftsgebiet des salzhaltigen Wassers annimmt, sehen die Hydrologen der Gegenwart einen Zufluss aus dem Oberrheingraben 3. Schon früh haben die Menschen den besonderen Charakter von Mineralquellen erkannt und dort ihre Spuren hinterlassen. Ab dem späten 16. Jahrhundert nahmen das Aufsuchen von Heilbädern, die literarische Beschäftigung mit ihnen und bald auch die häusliche Trinkkur zu 4. In Bad Soden und Bad Homburg wurden trotz des schwachen Salzgehaltes der Quellen Salzwerke eingerichtet. Schon in vorgeschichtlicher Zeit wurde durch Eindampfen Salz aus Sole gewonnen. Ein Grundproblem der Siedesalzherstellung ist der hohe Brennstoffverbrauch. Solen mit niedrigem Salzgehalt müssen vor dem Sieden der Sättigung (bei 25 C: 26,4%) nahe gebracht oder gradiert werden. Optimale Voraussetzungen liefern die Solen von Halle (Saale) mit 18 bis 22%, Lüneburg mit 20 bis 25% und Bad Reichenhall mit 24%. Um 1570 setzte sich die Strohgradierung durch, bei der man Sole zur Verdunstung über Strohbüschel laufen ließ. Der Salzgehalt stieg bei diesem Verfahren jedoch nur um wenige Prozent. Seitdem gehören Gradierwerke zum Erscheinungsbild von Salinen und dienen heute zur Behandlung von Atemwegserkrankungen. Im frühen 18. Jahrhundert ersetzten Packungen aus Schwarzdorn (Schlehe) die Strohbündel. Dem Gradieren folgte das Sieden in der Pfanne in zwei Schritten, dem Stören, bei dem Blut und Eiweiß zugesetzt wurden, um Verunreinigungen durch Schaumbildung auszufällen, und dem Soggen, bei dem das Salz auskristallisierte, in der Pfanne abtropfte und dann in Trockenräumen getrocknet wurde. Die früheren Salinen von Bad Soden und Bad Homburg sind die westlichsten in Hessen; die meisten liegen in der Wetterau. Sie alle hatten das gemeinsame Problem schwacher Solen um ein bis drei Prozent Salzgehalt und erforderten viel Brennstoff 5. Die einzelnen Quellenorte entwickelten sich zu Bädern, reinen Wasserversandorten oder in beide Richtungen. Nicht zuletzt spielte die territoriale Zugehörigkeit eine wichtige Rolle. Bad Homburg war von 1622 bis 1866 Residenz des Kleinstaats Hessen-Homburg, der sein finanzielles Fortkommen mit dem aufblühenden 7

8 Kur- und Badebetrieb des 19. Jahrhunderts und einen gewissen Glanz suchte, besonders durch die 1841 eingerichtete Spielbank der Brüder Blanc. Kurmainz nutzte die Erschließung der Schwefelquelle in Weilbach nach 1783 zur Gründung eines staatlichen Brunnenbetriebs. Nassau, zu dem Weilbach ab 1803 gehörte, förderte den Kur- und Badebetrieb um den Brunnen, der zu seinem Domänenbesitz gehörte, durch den Ausbau zum Bad ab 1838. Bad Soden, das vor 1803 als Reichsdorf unter der Oberhoheit von Kurmainz und der Reichsstadt Frankfurt stand, entwickelte seinen privaten Badebetrieb mit der Unterstützung des nassauischen Staates im 19. Jahrhundert zum gerne besuchten Kurort und zur Sommerfrische. Im Kronthal begann die Nutzung der Quellen mit einer Mischung von privatem Badebetrieb und Wasserversand und ging nach 1870 ausschließlich zum Versand über. Weilbach, Bad Soden, Neuenhain und das Kronthal gehörten von 1803 bis 1866 zu Nassau, das eine aktive und monopolistische Bade- und Wasserversandpolitik betrieb. Sie alle fielen 1866 ebenso wie Bad Homburg an Preußen, das private Kur- und Brunnenunternehmer förderte. Nieder-Rosbach gehörte schon lange zu Hessen-Darmstadt (ab 1806 Großherzogtum Hessen), das 1810 das ehemalige Reichsdorf (Burg-)Holzhausen erwarb und erst 1866 mit dem Erweb des kurhessischen Amtes Dorheim mit Bad Nauheim und Schwalheim in eine aktivere Phase seiner Brunnen- und Badepolitik eintrat 6. Mit einem zunehmenden Interesse an Mineralquellen entstand Ende des 16. Jahrhunderts eine balneologische Literatur, von der besonders das Werk des Tabernaemontanus ( New Wasserschatz ) neben dem des Johann Günther aus Andernach große Bedeutung erlangte. Neben diesen größeren Werken erschien eine Vielzahl von Schriften zu einzelnen Brunnen, die Badegäste anlocken und den häuslichen Konsum von Mineralwasser fördern sollten. Bis ins 19. Jahrhundert wurde Mineralwasser in erster Linie als Heilmittel angesehen, ehe es entzaubert und zum massenhaft konsumierten Erfrischungsgetränk wurde, wenn sein Geschmack es zuließ 7. Voraussetzungen für einen erfolgreichen Versand waren zunächst Quellfassungen, die den Zufluss von Süßwasser verhinderten und an die Betreiber stets neue Anforderungen stellten, ebenso wie geeignete Versandgefäße. In Deutschland nahm man in der Regel Flaschen aus salzglasiertem Steinzeug, das gasdicht und säurefest war. Diese bis um 1900 mit einem Henkel versehenen Flaschen, so die korrekte keramische Terminologie, wurden und werden umgangssprachlich Krüge genannt. Diese Bezeichnung ging auch in die Verwaltungssprache ein. Die heute noch sehr bekannten Quellen von Spa und Bru in den Ardennen füllten schon ab dem 16. Jahrhundert in Glasflaschen aus heimischer Produktion ab. Ab dem 17./18. Jahrhundert waren Glasflaschen auch in Pyrmont, Driburg und Wildungen üblich. Die im Taunus verwendeten Krüge, wie auch wir sie nennen wollen, stammten überwiegend aus dem Kannebäckerland. Zunächst waren sie bauchig und trugen vielfach ein P, dessen Bedeutung ungeklärt ist. Später streckte sich ihre Form bis zum Zylinder. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden sie mit Marken versehen. Bis zur Erfindung der Krugpresse im Kannebäcker- Steinzeugkrüge für den Wasserversand Glasflaschen für natürliches und künstliches Mineralwasser

land wurde jeder Krug von Hand auf der Töpferscheibe gedreht. Weilbach Schwefel- und Natrium- Lithiumquelle, Wasserversand bis 1988 Die Entwicklung der Glasindustrie im 19. Jahrhundert, die im Einsatz von Flaschenblasmaschinen gipfelte, bedeutete eine tödliche Konkurrenz für die Westerwälder Krugbäcker, die bis 1866 den nassauischen Protektionismus genossen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zog die Industrie in die Brunnenwirtschaft ein. Mineralwasser wurde in Becken enteisent und beim Abfüllen in immer weiter entwickelten Füllmaschinen mit Kohlensäuregas versetzt ( imprägniert ), das ab 1878 verflüssigt und in Stahlflaschen abgefüllt werden konnte. Die zunehmende Kenntnis von Mikroorganismen ließ die Betriebe hygienischer werden. Auch dies förderte die Glasflasche, in der man nach der Füllung Verunreinigungen wie tote Mäuse erkennen konnte, die in den Krügen verborgen geblieben waren. Die Glasflasche verdrängte die Krüge, die nach 1900 kaum noch verwendet wurden. Das Verschließen geschah lange mit Korken, die zudem noch mit dünnem Leder überzogen, verschnürt, mit Pech gedichtet und zum Markenschutz meist noch gesiegelt wurden. Die Industrialisierung brachte normierte und damit zwischen Brunnenbetrieben austauschbare Flaschen. Mit dem Kronenkorken, dem Rileyverschluss aus Hartgummi und dem Patentverschluss aus Draht mit dem Porzellankopf wurden neue und praktischere Verschlüsse und für den Füllvorgang das Fließband bis zur vollständigen Automation der Gegenwart eingeführt. 1969 zog die einheitliche, von Siegfried Gronert entworfene Perlenflasche mit dem Schaubverschluss in die Brunnenindustrie ein. Um die gleiche Zeit begann die Entwicklung von Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET), die ab dem Ende des 20. Jahrhunderts die Glasflaschen in einem erheblichen Maße verdrängten 8. Nach 1780 stieg Kurmainz mit einem ab 1788 von der kurfürstlichen Bergwerks- und Mineralbrunnenkommission geleiteten Regiebetrieb ins Mineralwassergeschäft ein und brachte die Säuerlinge von Oberlahnstein und vom Werker Brunnen im Rheingaugebirge sowie den Schwefelbrunnen von Weilbach mit dem Mainzer Rad als Einheitsmarke in den Handel. Der Versand entwickelte sich bei allen drei Brunnen jedoch recht schwach und litt nach 1792 unter dem Krieg mit Frankreich. Das Weilbacher Schwefelwasser, das heute noch gerne als Badewasser für kleine Kinder verwendet wird, war stets eher ein Heil- als ein Tafelwasser. Bei der Suche nach Braunkohle rückte 1783 der schon lange bekannte, kalte schwefelwasserstoffhaltige Faulborn bei Weilbach ins Interesse der kurmainzischen Verwaltung. Sein Wasser weist kaum freies CO 2 und einen deutlich spürbaren Geruch nach Schwefelwasserstoff auf; es ist ein Natrium-Calcium-Magnesium-Hydrogencarbonat-Mineralwasser. Nach der Fassung der Quellen 1786 begannen Füllbetrieb und Werbung 9. Das Weilbacher Wasser war in doppelt mit Pech gedichteten und versiegelten Krügen mit dem Mainzer Rad zu haben, schon 1786 auf dem Frankfurter Mineralwassermarkt als Mainzer Schwefel. Die Krüge kamen aus Ransbach im Kannebäckerland und Kaltenborn im Kinzigtal 10. Nassau setzte den Abfüllbetrieb mit Vertretungen in Leipzig, Wetzlar und sogar Paris fort und bestellte 1807 in Ransbach Krüge mit dem nassauischen Wappen und der Umschrift 9 Oben: Krugscherbe mit dem Mainzer Rad

10 Der Schwefelbrunnen heute WEILBACHER SCHWEFELWASSER. Die mit einem gekrönten HN (Herzogtum Nassau) versehenen Krüge tragen bis zum Ende der nassauischen Zeit deutliche Stempel WS = Weilbacher Schwefel. Nassau unterdrückte Bestrebungen, die Schwefelquelle von Nied (Faulbrunnen) ähnlich zu nutzen, um im eigenen Land keine Konkurrenz entstehen zu lassen 11. 1810 verfasste der Frankfurter Arzt Dr. Caspar Crevé (1769 1853) eine ausführliche Schrift über den Brunnen und die möglichst viel Schwefelwasserstoff bewahrende Füllmethode durch Eintauchen der Krüge in den überdachten Brunnen. Dieser war von 1811 bis 1822 an Johann Conradi und einen Compagnon verpachtet und anschließend Regiebetrieb 12. Weilbacher Schwefelwasser wurde wie das der anderen nassauischen Domänenbrunnen von Johannes Horstmann aus Höchst vertrieben, der von 1822 bis 1828 den Mineralwasserverkauf von der nassauischen Generaldomänendirektion gepachtet hatte 13. Der Versand stieg von rund 30.000 Krügen im Jahr 1810 über 60.000 im Jahr 1822, 100.000 im Jahr 1842 bis auf 200.000 Krüge im Jahr 1857, die aus Arzbach, Baumbach, Hillscheid, Höhr und Nauort im Kannebäcker Land bezogen wurden. 1851 waren es insgesamt 44.873 Krüge (ganze, halbe und alte) und 1860: 63.418 14. Am Brunnen stand schon um 1800 ein Verwaltungsgebäude mit Wirtschaftstrakt und Krugmagazin 15. Nach 1859 wurde mit der Natrium-Lithium-Quelle ein weiteres Heilwasser mit eigener Marke auf den Markt gebracht und versandt, erreichte zunächst zwar nicht die Beliebtheit der Schwefelquelle, wurde aber bis 1988 abgefüllt 16. Beim Abfüllen von Schwefelwasser wurde auf den möglichen Erhalt des Schwefelwasserstoffs geachtet 17. Die Flaschen wurden ganz gefüllt und durch den Korken beim Verschließen ein Überlauf verursacht. Nach der Annexion Nassaus durch Preußen 1866 wurde das gekrönte HN (Herzogtum Nassau) durch ein N für Nassau und in der Folgezeit der Steinzeugkrug durch die Glasflasche ersetzt, die Organisationsform des Regiebetriebs jedoch beibehalten. Weilbach wurde im Gegensatz zu Niederselters und Fachingen 1894 nicht verpachtet. Um diese Zeit kamen nur 13.450 Flaschen Weilbacher Schwefelwasser und nur 300 der Natrium- Lithium-Quelle als Tafelwasser zum Versand. Der staatliche Kurbetrieb und der Wasserversand gingen deutlich zurück, bis sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingestellt wurden 18. Brunnenhaus in Weilbach, frühes 19. Jh.

einprozentigen Solequelle in gemeinsamem Besitz: durch mühsames Abkochen. Diese Quelle ist die Nummer VII nach heutiger Zählweise und liegt links neben dem ehemaligen Badehaus im Alten Kurpark, damals außerhalb des haingrabengeschützten Ortes. Die Quelle IV im Dorf Soden wird erst ab 1610 genutzt. Gemeinsam trafen beide Dörfer 1433 eine für die Zukunft verhängnisvolle Entscheidung, sie baten Frankfurt um Festlegung der Grenze zwischen den Orten. Der Rat erkannte die Wichtigkeit des Salzvorkommens so nahe bei der Stadt. 1434 verschafft sich die Reichsstadt beim Kaiser das Schutzrecht über die beiden Dörfer und die Erlaubnis, die Salzquellen auszubeuten. 11 Glas und Etikett von der Herzog-Adolf-Quelle Nur der Betrieb der Natrium-Lithium-Quelle lebte in bescheidenem und privatwirtschaftlich organisiertem Maße weiter. Im 20. Jahrhundert gehörte die Natrium-Lithium-Quelle einem privaten Füllbetrieb von einer eher geringen örtlichen Bedeutung, der sich von 1928 bis 1964 im Besitz der Rüsselsheimer Familie Cezanne befand. Die Weilbacher Bevölkerung wahrte ihr Haustrunkrecht, versorgte sich aus beiden Quellen selbst und geriet in Konflikt mit den Betreibern. 1964 übernahm ein Graf Oppersdorf den Betrieb, nahm eine Tiefenbohrung vor, um mehr Wasser zu fördern, erweiterte das Unternehmen und stellte Arbeiter ein. Er vertrieb sein Mineralwasser unter der Marke Herzog-Adolf- Quelle und seine Limonaden unter der Bezeichnung Nali (Natrium-Lithium) und nannte sein Unternehmen in der Parkstraße Mineral- und Heilquellen GmbH. Nach einem ungünstigen Testbericht in der Zeitschrift natur 1987 mit Hinweis auf hohe Natrium-, Nitrat- und Arsenwerte stellte er am 1. Juni 1988 den Füllbetrieb ein. Die Gebäude stehen noch und werden anderweitig gewerblich genutzt 19. Das Sodener Salzwerk Die reichsfreien Bauern der Dörfer Sulzbach und Soden bei Frankfurt deckten von alters her ihren Salzbedarf aus einer schwachen, etwa Es gab zwar schon 1423 eine kaiserliche Verleihung an Konrad III. von Dhaun, Erzbischof und Kurfürst von Mainz, der seine Rechte 1433 an zwei Privatleute weitergab. Von ihnen hörte man nach dem Tod Konrads III. 1434 nichts mehr. Frankfurt hatte sich durchgesetzt und versuchte nun selbst oder mit Hilfe Fremder, doch mit geringem Erfolg, Salz zu sieden. Den Bauern untersagte man 1450, ihr eigenes Salz herzustellen. Das änderte sich erst mit dem Auftauchen der Gebrüder Geiß 1605, von denen einer Frankfurter Bürger war, die anderen beiden aber offensichtlich Salinisten. Sie kannten die neue Methode der Gradierung über Lepper- oder Leckwerke mittels aufgehängter Strohscheiben, die Jahre später durch den haltbaren Schwarzdorn ersetzt wurden. Sie errichteten auf sumpfigem Gelände, heute der Alte Kurpark, das sogenannte Altwerk, das bereits 1606 das erste Salz lieferte. Die Gradierbauten begannen jenseits der heutigen Königsteiner Straße am Obertor Sodens, liefen geradewegs auf die Salzquelle VII zu und setzten sich auf dem Gelände des späteren Badehauses fort. Doch die Finanzkraft der drei Brüder reichte nicht aus, die Kosten überschritten die Erlöse. So nahmen sie schon 1607 den finanzstarken

12 Kupferstich nach der Natur aufgenommen im Sommer 1802 von Johann Friedrich Morgenstern (1777-1844) Jean du Fay, einen protestantischen Glaubensflüchtling aus den Spanischen Niederlanden und Frankfurter Bürger, als Gewerken auf. Von 1610 bis 1615 errichtete man nun das sogenannte Neuwerk auf einem anderen Teil der gemeinsamen Weide, das aus der Salzquelle IV im Dorf versorgt wurde und viermal mehr Salz lieferte als das Altwerk. Dieses neue Werk lag zwischen der heutigen Kronberger Straße, wo sich die Wirtschaftsgebäude befanden, und dem jetzigen Posthochhaus am Verkehrskreisel an der Königsteiner Straße. Bis hierhin gingen die U-förmig angelegten drei Gradierbauten. Das Gelände wird heute von den Schienen der 1847 eröffneten Bahnlinie durchschnitten. Im Jahre 1617 überließen die Brüder Geiß dem Jean du Fay den letzten Anteil und errichteten mit dem Erlös die Rote Mühle bei Altenhain. Von nun an war die Sodener Salzgewinnung in den Händen geschäftstüchtiger calvinistischer Glaubensflüchtlinge, den du Fays, Malaperts, Spinas und zuletzt den Malapert-Neufvilles, die alle miteinander verwandt waren und große Vermögen durch den monopolartigen Verkauf des Salzes in Franfurt erwerben konnten. Bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zeugte das barocke Salzhaus Ecke Kleiner Hirschgraben und Am Salzhaus davon. Die Dörfer Sulzbach und Soden erhielten jährlich an Martini (11. November) eine bescheidene Pacht von je 25 Gulden, was etwa dem Wert einer Kuh entsprach. Diese Diskrepanz rief ständigen Unmut und Spannungen zwischen den Dörfern einerseits und den Betreibern andererseits hervor. 1805 versuchte Friedrich Wilhelm von Neufville genannt Malapert ( 1818) vergeblich, den Salinenbesitz an das Herzogtum Nassau zu veräußern. Der Frankfurter Markt war weggebrochen, da Fürstprimas von Dalberg Salz aus seiner eigenen Saline in Orb nach Frankfurt brachte. Nassau ließ durch den hessendarmstädtischen Salinisten Johann Wilhelm Langsdorff 1805 ein Gutachten vor Ort erstellen, das so schlecht nicht ausfiel. Doch musste Nassau auf Druck Frankreichs ab 1808 französisches Salz einführen, so dass der Verkauf nicht zustande kam. 1812 wurde in Soden zum letzten Mal Salz gesotten. Der Besitz wurde nun bis zum Tode der Susanne von Neufville genannt Malapert 1831 als Gutshof geführt und dann versteigert. Nichts blieb an oberirdischen Resten erhalten. Auf dem gewonnenen Baugrund entstanden in den folgenden Jahren Hotels und Kurpensionen sowie die letzten Meter der Eisenbahnlinie von Höchst a. M. nach dem Bade Soden, samt Bahnhof. Nun konnte sich der kleine Ort zu einem Bad entwickeln, das allerdings erst ab 1922 den Zusatz Bad im Namen führen durfte 20. Kurleben im Bade Soden Neben den Salzquellen scheint man schon im 17. Jahrhundert auch das Heilwasser der Quellen I und III (Milch- und Warmbrunnen) genutzt zu haben, wenn auch nicht intensiv. Am Warmbrunnen wurde die im Holz der Quellfassung eingekerbte Jahreszahl von 1699 gefunden. Ein uhralter Mann erinnerte sich 1701, gehört zu haben, dass in den unglücklichen Kriegs-Zeiten, gemeint ist wohl der Dreißigjährige (1618 1648), der Milchbrunnen (Quelle I) abgedeckt worden sei, um heilungssuchende Söldner fernzuhalten.

Als Geburtsjahr der Sodener Kur wird gerne das Werkchen des Frankfurter Stadtarztes Johann Bernhard Gladbach zitiert, das 1701 erschien. Es ist etwa 13 x 8 cm groß und hat 48 Seiten. Unter dem barocken Titel Neue Untersuchung des Soder-Warmen Gesund-Brunnens befasst sich Gladbach in fünf Kapiteln mit dem Ursprung des Heilwassers, dessen Gehalt, den zu heilenden Krankheiten, der Anwendung beim Trinken und Baden sowie mit der zu beachtenden Diät. Bei seinen analytischen Untersuchungen zog er Rudolph Henrici, Apotheker zum güldenen Hirsch in Frankfurt, hinzu 21. 1725 ließ er die Wahrhafftige Nachricht folgen, den Bericht einer Ärztekommission, die 1724 die Quellen kurmäßig untersucht hatte. Er ließ es auch nicht an Beschreibungen von erfolgreichen Behandlungen fehlen, die teilweise als sensationell gelten müssen. So zitiert er Johann Hartmann Senckenberg (1655 1730), den Vater des Frankfurter Wohltäters Johann Christian Senckenberg (1707 1772), der ihm von der Heilung eines Pfarrherrn in selbiger Gegend berichtet, der wegen kurtzen Athems kaum vier Schritt fort gehen, vielweniger seine Cantzel besteigen und predigen können, durch Gebrauch dieses Brunnens von seiner Bangigkeit und kurtzen Athem befreyet worden. Ja, sogar der Verstand konnte damals mit dem Sodener warmen Gesundbrunnen wiedergewonnen werden; sicherlich ein Wunder, das sich bei eines Pfarr-Herrn Wittib, welche 12 Jahr lang contract [schief, verzogen] und ohne vollkommene Vernunfft gewesen, ereignet hat. Denn sie hat durch den Gebrauch des Soder-Wassers ihren Verstand wiederbekommen, ist aber wegen hohen Alters und geschwächter Natur lahm geblieben. Ein Stock-blinder Bauers-Jung gewann nach 14 Tage Trinken und Betupfen der Augen mit der auf dem Wasser schwimmenden Fettigkeit seine Sehkraft wieder. Einer gewissen Komik entbehrt allerdings der Heilerfolg einer Dienstmagd aus Frankfurt nicht, die im Fal- 13 Plan von Bad Soden, frühes 19. Jh.

14 len die Kniescheibe an dem einen Fuß [sic] verbrochen, welche durch den Chirurgum zwar wieder zusammen geheilet worden, aber das Knie steiff geblieben. Und doch konnte sie nach nur drei Wochen Baden im Jahre 1711 wieder zu Fuß nach Frankfurt in ihren Dienst gehen und befand sich noch 1725 bei guter Gesundheit! stellte 1722 der Salinenverwalter Johann Georg Wartenberg sowohl bei Kurmainz als auch bei der Reichsstadt Frankfurt, denn beide übten seit 1656 eine sogenannte gemeinsame Schutzherrschaft aus. Erst 1725 bemerkte Kurmainz, dass in Soden inzwischen ein fertiges Badehaus stand! Von Frankfurts Erkenntnisstand ist nichts bekannt 25. Altes Badehaus 1872 Ein Aufenthalt in Soden und Trinken des Wassers konnte auch für Nachwuchs sorgen: Einer Adelichen Dame hat es die Bleich-Sucht vertrieben und den Leib also gestärcket, daß, obgleich sie in sieben Jahren keine Kinder bekommen, gleichwohlen ein Jahr hernach einen jungen Sohn glücklich zur Welt gebracht. 22 Nach solchen überzeugenden Erfolgen blieb es nicht aus, dass sich die Zahl der Heilungssuchenden erhöhte. Im Dorf gab es aber nur Unterkunft in Bauernhäusern. Deshalb beschlossen einige Frankfurter Familien, die Salinenbesitzer de Spina über ihren Erben Friedrich Wilhelm von Malapert, die Bernus, die Passavants, die Zieglers und Kochs 23, ein schönes und kommodes Haus von drei Stockwerken, darinnen auch vier wohl aptierte Bäder, in denen das warme und kalte Badwasser aus besonderen Kranen kann ausgelassen werden, zu der Kurgäste Gebrauch 24 mit 27 Zimmern zu errichten. Den Bauantrag Sodener Wasser wurde schon 1722 zur Trinkkur nach Frankfurt gebracht. Henning, der Wirth zum Gulden Lamm, nächst am Nürnberger Hof gelegen, bot es frisch und aufrichtig an. Und 1723 warb der Wirt des neuen Hauses gleichfalls in den Frankfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten um Gäste. Zu Soden bey dem Kurbrunnen [gegen] über wohnenden Weinschenk ist guter Vier-, Sechs-, Acht- und Zehn-Batzen-Wein, wie auch anderes gutes Accomodement zu haben 26. Das erste Badehaus wurde vermutlich bei Aufgabe des Salinenbetriebs verkauft und erschien ab 1813 als Frankfurter Hof, wurde 1838/39 klassizistisch umgebaut und ab 1882 als Wohnhaus genutzt. 1990 wurde es in das Hundertwasserhaus einbezogen 27. Am 22. Juli 1755 zog ein schweres Gewitter über die Gegend, bei dem nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr der Sulzbacher Kuhhirt Göller auf dem Feld vom Blitz erschlagen wurde. Durch diesen tragischen Todesfall erfahren wir aus dem Sulzbacher Kirchenbuch, dass sich Landgräfin Christiane von Hessen-Homburg mit ihrem Leibarzt Dr. Müller und Gefolge zur Kur in Soden aufhielt, denn sie unterstützte die Witwe großzügig. Sie wird vermutlich im Badehaus von 1722 Unterkunft gefunden haben 28. 1767 erschien eine Neuauflage der Brunnenschrift von Gladbach aus dem Jahre 1701, herausgegeben von seinem Enkel Georg Jacob Gladbach, ebenfalls Arzt. Weitere Literatur zu Sodens Heilwässern gab es erst wieder im 19. Jahrhundert. Aber in den Frankfurter

Kurbetrieb dreißig steigt), auf guten oder schlechten Betten ruhen, und guten oder schlechten Wein trinken, je nachdem sie gute oder schlechte Betten, reinen oder geschwefelten Wein mitgebracht haben. Damit bezog sich Kirchner auf das Badehaus und den Nassauer Hof. Er schreibt dann weiter, ohne einen Namen zu nennen: Zu diesen Gast- und Badehäusern gesellte sich in neuerer Zeit ein Haus mit guteingerichteten Bädern, das von einem Frankfurter Privatmanne erbauet, für die Kurzeit an einzelne Gesellschaften oder Familien vermiethet wird. Das war der Neubau des Frankfurter Stadtarchivars Johann Konradin Beyerbach (1769 1831), bei dessen Errichtung 1808 die heutige Quelle II, der Winklerbrunnen, austrat. Beyerbach nutzte das unerwartete Angebot der Natur und richtete Badekabinen ein. Das Haus wurde bei der Anlage des Wilhelmsparks 1911 zusammen mit weiteren niedergelegt 30. 15 Frag- und Anzeigungs-Nachrichten finden sich immer wieder einmal Hinweise auf Soden und sein heilsames Wasser. So warb am 10. Juli 1767 ein Löw, Schutz-Jud von Soden in einer langatmigen barocken Anzeige um Gäste. Das überrascht in zweierlei Hinsicht, denn 1656 hatten Frankfurt und Kurmainz den Sodenern und Sulzbachern untersagt, Schutzjuden aufzunehmen. Sicherlich in der Absicht, den Gemeinden Schutzgelder vorzuenthalten und ihnen keine Gelegenheit zu geben, sich bei ansässigen Juden Geld zu leihen. Löw verwies auf viele hiergewesene Fürstl. und Adeliche Cur-Gäste, bot auch Unterkunft und Verpflegung an, bat aber die resp. Herrn Cur-Gäste wenigstens 14 Tage zuvor davon Meldung zu tun. Er war vermutlich der erste jüdische Kurhalter im Ort. Wo er seinen Gästen Unterkunft bot, ist nicht bekannt 29. Erst 1770 wurde ein weiteres Gasthaus neben dem Milchbrunnen errichtet, der Nassauer Hof, der zuletzt noch als evangelisches Pfarramt und Bürgermeisterei bis 1900 diente. Trotzdem konnte der Frankfurter Pfarrer Anton Kirchner noch 1818 spotten: Aber das Tempe [schöne Gegend, Lusthain] der Badelust, ist ein schmutziges Dorf, wo es fast an Allem fehlt, was die Zeit verkürzen, und zum Lebensgenusse beitragen kann. Es sind überhaupt nur zween Wirthe hier, unter deren Dache die Kurgäste (deren Zahl selten über Villa Nassovia, Königsteiner Straße 89 Quartier von Mendelssohn Bartholdy und der Familie Meyerbeer Bei der Auflösung des Alten Reiches kamen Soden und Sulzbach 1802 an Nassau. Das Herzogtum vollendete 1818 den Bau der Landstraße zwischen Höchst und Königstein und verbesserte dadurch die Verbindung mit Frankfurt über die Mainzer Landstraße wie auch die Nutzung des Mainzer Marktschiffes, das täglich den Main befuhr und mittags in Höchst Station machte. Johann Isaak von

16 Gerning (1767 1837), der ab 1800 ein Zimmer im Frankfurter Badehaus dauergemietet hatte, machte davon Gebrauch. Zu den frühen Nutzern der Sodener Quellen zählten in erster Linie Frankfurter wie Marianne von Willemer (1784 1860) und ihr Mann Jakob (1760 1838) und Antonia von Birkenstock (1780 1869) verheiratete Brentano, die 1816 Gäste Gernings waren und zum Kreis der Frankfurter Verehrer Goethes zählten 31. Auch der Pädagoge W. F. Hufnagel, Gründer der Frankfurter Musterschule, war 1806 in Soden zur Kur 32. Ludwig Börne (1786 1837), der Vater des Feuilletons, hielt sich zweimal, 1829 und 1830, in Soden auf, um sein Rheuma zu lindern und seine Lungenkrankheit zu heilen. Am 9. Mai 1830 schrieb er in sein Tagebuch: Ich bin erst drei Tage hier und schon ist mir die Zeit über den Kopf gewachsen. Lang, lang, lang! Ich war der erste und bin noch der einzige Brunnengast; ich bin der Kurfürst von Soden. Er muss sich schrecklich gelangweilt haben im ländlichen Soden. Seine Freundin Jeanette Wohl versorgte ihn von Frankfurt aus mit Zeitungen und allen möglichen Dingen, die man nicht im Dorf erhielt. An einer Frankfurter Nascherei, dem Milzkuchen, war ihm besonders gelegen. Dem Boten, der von Höchst täglich kam, soll er immer entgegengelaufen sein. Hier erfuhr er auch von der Julirevolution in Paris, die Karl X. 1830 stürzte. Nichts hielt ihn mehr im kleinen Badeort. Er brach nach Paris auf, wo er schließlich am 12. Februar 1837 verstarb 33. Ähnlich gelangweilt war Heinrich Hoffmann, der Vater des Struwwelpeters, der im April 1848 von seiner Frau kurzerhand nach Soden geschickt wurde, weil er sich beim Paulskirchen-Vorparlament gesundheitlich verausgabt hatte. In seinen Lebenserinnerungen klagt er: bei schlechtem Wetter ganz einsam als einziger Kurgast in dem stillen langweiligen Soden, in einer hübschen Wohnung von fünf Zimmern, wo ich mit niemand ein Wort sprechen und nichts tun konnte, als an den verschiedenen Fensterscheiben zu trommeln, und sie auf ihre verschiedene Tonhöhe zu probieren. Das absolute Schweigen half, nach acht Tagen war mein Katarrh gründlich beseitigt. Schon 1815 war er mit seiner schwerkranken Mutter eine zeitlang am Ort gewesen und im hohen Alter hielt er sich regelmäßig ein paar Wochen in Soden auf 34. Mit der Herrschaft Nassaus kam System in das Kurleben. Kurgäste wurden nun mit handgeschriebenen Meldezetteln erfasst, die vom Kurhalter beim Schultheißen abgegeben werden mussten. Leider erhielten sich nur wenige davon. Von 1836 und 1837 gibt es noch ein paar gedruckte Kurlisten unter dem Titel Verzeichniß der im Bade Soden angekommenen Fremden. In den beiden Jahren wurden je 300 bis 400 Personen erfasst. Wenn die Angabe von Anton Kirchner aus 1818 stimmt, dass selten mehr als 30 Kurgäste im Jahr kamen, dann war ihre Zahl 1836/37 etwa dreizehn Mal so groß. Die Frankfurter Didaskalia berichtete nun mehrfach im Jahr über Soden, so auch 1838 über einen in Arbeit befindlichen ersten Ortsplan, der 1840 von dem Frankfurter Arzt Friedrich Stiebel in einer Quellenbeschreibung veröffentlicht wurde 35. 1841 kam Pauline, Herzogin von Nassau (1810 1856), seit 1839 Witwe, als Kurgast nach Soden und ließ sich 1845 einen bescheidenen Landsitz errichten, das heutige Paulinenschlösschen. Doch schon 1854 verkaufte sie es an Dr. Georg Thilenius. Im Jahr des Todes von Pauline sorgte eine Beinahe-Königin von Frankreich, die geborene Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin (1814 1858) für Aufwind im stillen Soden. Ihr Mann, Prinz Ferdinand von Orléans (1810 1842), der älteste Sohn des 1848 gestürzten französischen Königs Louis Philippe, wäre König geworden, wenn das Schicksal es gewollt hätte. In Soden ließ die tuberkulosekranke Helene ihren ältesten Sohn Louis Philippe Albert (1838 1894), Graf von Paris, unter dem Beifall zahlreich angereister Orléans-Anhänger für volljährig erklären und

Kronthaler Arzt Dr. Ferdinand Küster um die Sodener Kurgäste gekümmert. Otto Thilenius wohnte ab 1846 auch im Ort gegenüber dem Kurhaus (1849) und hat auf die Entwicklung des Bades einen entscheidenden Einfluss ausgeübt. Der wachsende Zuspruch machte es auch erforderlich, während der Kursaison eine Apotheke einzurichten. Bisher mussten Verschreibungen in Höchst zubereitet werden. So kam es zunächst zur Einrichtung der Sommerapotheke 1841 durch den Höchster Apotheker Kaysser, die dann durch einen Neubau 1857/58 abgelöst wurde. Als Marien-Apotheke besteht sie heute noch. Soden und Umgebung hatten damit eine ganzjährige Versorgung 37. 17 Aktie der Sodener Aktiengesellschaft zum Kronprinzen ausrufen. Von seinem Bruder Robert (1840 1910), Herzog von Chartres, ist durch Hedwig von Bismarck, einer Cousine des damaligen Bundestagsgesandten Otto von Bismarck, eine Geschichte überliefert, die auf die seit Anfang der 1840er Jahre eingeführte Beimischung von Ziegenmolke zum Brunnenwasser ein bezeichnendes Licht wirft. Als der Sohn der Oberhofmeisterin seinem Brunnenwasser Molke beimischte, sprach der Prinz sein Entsetzen aus: Alle Welt trinkt das Wasser pur, ich verstehe nicht, warum du diese Schweinerei da reinschüttest 36. Die nassauische Regierung überwachte die Entwicklung der Badeorte im Herzogtum und veranlasste, dass 1842 Dr. Otto Thilenius, Amtsarzt in Höchst, während der Kursaison in Soden Praxisstunden abzuhalten hatte. Bis dahin hatten sich Dr. Philipp Cretzschmar aus Sulzbach und der Auch die für die Kuranwendungen wichtigen Quellen wurden nun zwischen 1828 und 1860 mehrfach wissenschaftlich untersucht, wobei die Messungen von Justus Liebig 1839 die größte öffentliche Wirkung erzielten. Parallel dazu wurden die Quellfassungen erneuert. So zufällig wie 1808 der Winkler-Brunnen (Nr. II) angegraben wurde, so stieß man 1823 genauso unerwartet bei Bohrungen nach Braunkohle auf die Champagnerquelle (Nr. XIX) 38. Entlang der Königsteiner Straße, die am östlichen Dorfrand verlief, entstanden ab 1828 Hotels und Pensionen, die teilweise noch heute erhalten sind. Besonders prächtige Kurpensionen mit eisernen Schmuckbalkonen und freiem Blick über Äcker und Wiesen hin zum Odenwald wurden an der heutigen Alleestraße bis zur Ecke Brunnenstraße um 1855 errichtet. Sie prägen teilweise noch heute das Straßenbild. Die Einwohnerzahl stieg zwischen 1829/30 und 1864 von 624 auf 1008, also um rund 62% 39. Ein lang gehegter Wunsch sollte sich 1847 erfüllen. Soden wurde durch die vom Bankhaus Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M. 1846 ins Leben gerufene Sodener Actien-Gesellschaft (SAG) an die bestehende Bahnstrecke Frankfurt Wiesbaden der Taunusbahn ange-

18 schlossen. Nun war Soden auch für Kurgäste interessant, die von weiter her kamen. 1849 eröffnete das dazugehörige Kurhaus im sogenannten Schweizerstil mit Badekabinen im heutigen Alten Kurpark. Es war gleichzeitig Hotel und verfügte über einen Saal für Veranstaltungen. Der Wasserversand wurde schon 1846 von der SAG aufgenommen. Die Eisenbahnlinie brachte Verluste, denn sie fuhr nur in der Kursaison. Sie wurde deshalb von 1859 bis 1863 stillgelegt. Die beim Hersteller Emil Kessler in Karlsruhe zwischenzeitlich modernisierten zwei Lokomotiven nahmen ab 30.8.1863, nun im Besitz der Taunusbahn, ihren Dienst auf der Strecke wieder auf. Aber die Investoren erhielten 1864 von 200 Gulden nur noch 37 zurück. Den Wasserversand übernahm 1866 vertragsgemäß die Gemeinde. Das Kurhaus konnte erst 1874 an einen Privatmann verkauft werden. Es sollte noch oft den Besitzer wechseln 40. Mehr und mehr zog Soden auch Kurgäste mit bekannten Namen an. So kam Minna Meyerbeer, die Frau des berühmten Komponisten, 1843 in Begleitung ihrer Töchter nach Soden. Sie wohnte bei dem Sodener Volkschullehrer Christian Bautz, heute Königsteiner Straße 89. Dass Giacomo Meyerbeer nachkam, verdanken die Sodener nur der Erkrankung seiner ältesten Tochter, die dringend nach dem Vater verlangte 41. Ein Jahr später, 1844 und noch einmal 1845 wohnte Felix Mendelssohn Bartholdy jeweils drei Monate mit Familie im selben Haus. Seine Briefe an Freunde und Geschwister sind erhalten. Aus ihnen können wir ersehen, dass er sich hier glücklich und wohl fühlte 42. Allmählich kam Soden in den Ruf eines Lungenheilbads. So empfahl der russische Schriftsteller Iwan Turgeniew (1818 1883), der sich im Jahre 1860 vom 6. Juni bis zum 13. Juli im Europäischen Hof in Soden aufhielt, dringend den Brüdern Tolstoi nachzukommen. Nikolai Tolstoi war schwer lungenkrank: Weshalb kommt er nicht nach Soden? Man begegnet hier Dutzenden von Brustkranken. Die Wässer von Soden sind für solche Fälle am besten, wenn nicht die besten. So schrieb er an seine Freunde, die dann auch 1860 kamen. Sergei als Begleiter, Leo Wochen später als Beobachter. Turgeniew war begeistert von Soden, er hatte auch einen Kurschatten, wie Nikolai in einem Brief an Leo schrieb. Aber in seinem Roman Frühlingsfluten, der zwischen Frankfurt und Wiesbaden spielt, zeigt er, dass er nicht nur in größter Begeisterung für sein deutsches Mädchen war, sondern auch Soden interessant fand: Es liegt in einer entzückenden Gegend am Fuße des Taunus und ist bei uns in Russland sehr berühmt wegen seiner Mineralwasser, welche, wie man versichert, Kranken sehr zugänglich sein sollen. Die Frankfurter jedoch gehen hauptsächlich ihres Vergnügens wegen dorthin, denn Soden besitzt einen herrlichen Park und eine große Anzahl Wirtschaften, wo man im Schatten der Linden und Ahornbäume Bier und Kaffee trinken kann. Der Besuch Leo Tolstois floss in seinen berühmten Roman Anna Karenina ein: Die sauberen, freundlichen Häuser mit den Gärtchen davor, der Anblick der rotwangigen, rotarmigen, nach gründlichem Biergenuss fröhlich arbeitenden deutschen Dienstmädchen und der helle Sonnenschein erfreuten das Herz. Je näher sie aber dem Brunnen kamen, desto häufiger begegneten ihnen Kranke, deren Aussehen in dem üblichen Rahmen des wohlgeordneten deutschen Lebens noch trauriger wirkte. So sah Kittys Vater das Sodener Kurleben. Es gefiel ihm nicht so recht, denn er sagte auch: Ich habe dein hässliches Soden wirklich liebgewonnen, weil es dich wieder auf die Beine gebracht hat. Aber traurig, traurig sieht es hier aus. Nicht geheilt wurde der Bruder Nikolai. Leo fuhr mit ihm von Soden nach Hyères bei Marseille. Doch es war zu spät für Nikolai, der bald darauf dort starb 43.

Nur kurz war der Aufenthalt von Peter Tschaikowski mit seinem kranken Freund Volida Schilowsky 1870. Am 15. Juni 1870 wird er in der Kurliste als Gast im Kurhaus verzeichnet, als Edelmann aus Moskau. Eine Fehleinschätzung des Empfangschefs oder bewusste Irreführung durch den Komponisten? Er fand Soden eintönig und langweilig, aber jeden Morgen ging er zu den Drei Linden in Neuenhain, um zu komponieren oder zu lesen. An seinen Bruder schrieb er: Die Landschaft ist wunderschön und die Luft sehr gut, aber die Vielzahl von Leuten, die an Schwindsucht leiden, lässt alles etwas trostlos erscheinen. Sie waren kaum da, als der französisch-preußische Krieg ausbrach. Sie wichen daraufhin in die Glas zu trinken, nichts Fettes zu essen und nur täglich ½ Flasche leichten Rotwein, wenn möglich mit Selterswasser verdünnt, zu trinken. Auch Milch, kuhwarm beim Bauern getrunken, gehörte zur Behandlung. Alle Kurgäste schienen das zu tun, denn es bildeten sich ab 6 Uhr abends Schlangen vor den Kuhställen im Dorf. Bald darauf schreibt er von der Besserung seines Hustens, aber auch: Mein Körper ist ganz aus der Reihe. Die Kurmusik geht ihm allmählich auf die Nerven. Das Essen findet er teuer, die Qualität bemängelt er. Schließlich regelt sich alles, denn er findet nun einen Mittagstisch, bei dem das Leistungsverhältnis stimmt. Eines Tages schreibt er nach Hause: ich habe noch nie so guten Caffee getrunken wie hier in 19 Werbung für Sodener Mineralprodukte nach 1930 Schweiz aus 44. 1875 und 1876 hielt sich Wilhelm Stevecken, ein Kaufmann aus Langendreer, hier auf. Auch er war lungenkrank. Seine Briefe aus der Kur sind erhalten und geben einen ähnlichen Eindruck von Soden wieder. Er aber schildert seiner Frau auch den täglichen Ablauf, seine Unterkunft beim Tierarzt Haßler, dessen schönen Garten, die Kurgäste, unter denen er Bekannte aus seiner Heimat findet. Der Badearzt Dr. Bröcking untersuchte mich so genau, wie noch kein Arzt gethan, er verordnete mir hierauf, von einer Quelle 3 jeden Morgen zwei Soden. Er besichtigt Wiesbaden und Frankfurt und ist vom Palmengarten sehr beeindruckt. Als er nach Haus fahren kann, ist er ziemlich kurmüde. Doch im nächsten Jahr kommt er in Begleitung seines ebenfalls lungenkranken Bruders Adolf wieder. Wenn auch beide Besserung verspüren, so sind sie doch hoffnungslose Fälle für die damalige Medizin. Wilhelm stirbt noch im selben Jahr, sein Bruder folgt ihm 1877. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis Soden sich von dem Ruf befreien konnte, die letzte Hoffnung für Tuberkulosekranke zu sein 45.

20 Der ländliche Charakter des Badeortes Soden war gewollt. Schon der Antrag der Sodener Actien-Gesellschaft, hinter der ja die einflussreiche Bethmann-Bank stand, eine Spielbank einzurichten, scheiterte am Widerstand der nassauischen Regierung und der Ärzteschaft. Eine Spielbank hätte vielleicht den Untergang der Aktiengesellschaft verhindert und die Entwicklung des Badeorts in eine andere Richtung gewiesen. Der nassauische Staat, wie auch später der preußische, hat den Kurbetrieb in Soden mit Wohlwollen beobachtet, sich aber nicht in größerem Maße finanziell engagiert. Nassau finanzierte 1859 nur die Erbohrung des Großen Sprudels (Quelle XXIV), der dann 1898 von der Gemeinde dem Preußischen Fiskus abgekauft wurde 46. Auf Gemeindekosten wurde das Badehaus 1870/71 im heutigen Alten Kurpark errichtet, 1883 im Quellenpark die Trinkhalle. Das Kurhaus wurde 1884 aus Privathand angekauft. Das führte zur Überschuldung der Gemeinde. Mit Genehmigung der Preußischen Regierung wurden 1881 und 1884 Anleihen zur Abdeckung der Schulden begeben. Die Konsequenz: Bürgermeister und Gemeinderechner mussten gehen. Das Inhalatorium am Burgberg (heute Medico-Palais) wurde 1911/12 von der Ärzteschaft finanziert, ebenso sein bescheidener Vorgänger im Kurpark. Den lange ersehnten Zusatz Bad im Ortsnamen durfte Soden erst ab 1922 führen. Stadtrechte wurden Bad Soden 1947 verliehen. Der Erste und später der Zweite Weltkrieg verhinderten eine ruhige Weiterentwicklung. Hotels und Kurpensionen wurden als Erholungsheime und Lazarette für die Armee beschlagnahmt. Die französische Besatzungszeit vergrößerte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ab Ende 1918. Nach dem letzten Krieg schien sich die Kur doch noch zu entwickeln. Große Wohlfahrtsverbände bauten oder unterhielten Kurheime. Die Kurgastzahlen stiegen auf über Zehntausend im Jahr. Doch dann kam die Gesundheitsreform und die Wohlfahrtsverbände zogen sich nach und nach zurück. Man verstand nicht, dagegen zu halten. So kam es, dass am 30.6.2001 beschlossen wurde, die Kur-GmbH aufzulösen. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine bescheidene, doch interessante Vergangenheit. Tröstlich, dass die Natur den Lauf der Quellen bestimmt und die Parkanlagen den Ort noch immer schmücken. Bad Soden bescheidener Wasserversand Bad Soden verfügt über eine Reihe kohlensäuregashaltiger meist lauer und warmer Solquellen 47 mit einem Salzgehalt um 1%. Die seit 1829 römisch nummerierten Quellen verteilen sich über den Kurpark mit dem alten und neuen Sprudel (XXIV bzw. XXVII), dem Wilhelmsbrunnen (VI a) und dem Schwefelbrunnen (VI b) als wichtigsten Quellen, den Quellenpark mit dem Sauerbrunnen (V), dem Wiesenbrunnen (XVIII), dem Solbrunnen (IV), dem Milchbrunnen (I) und dem Warmbrunnen (III), den Wilhelmspark mit dem Winklerbrunnen (II), dem Glockenbrunnen (XII) und dem Champagnerbrunnen (XIX) und die Niederungen am Rand des Dachberges bis zum Anstieg zur Münsterer Höhe. Die zum Gebrauch gefassten Quellen sind wichtiger Teil des Ortsbildes 48. Der Salzgehalt der Sodener Mineralwässer ist zu hoch, als dass sie als Tafelwässer geeignet wären. Daher kam nur eine Verwendung als Bade- und Heilwasser und ab 1887 zur Herstellung von Mineralsalzpastillen in Betracht. Bad Soden entwickelte sich daher auch mehr als Kur- denn als Wasserversandort 49. Das deutsche Bäderbuch von 1907 nennt 24 Quellen im Eigentum der Gemeinde, von denen neun Heilzwecken dienten und deren Wasser in erster Linie für Bäder, zur Trinkkur und zur Herstellung von Pastillen verwendet wurden. Das Wasser wurde in natürlichem Oben: Petschaft zum Siegeln der Krugverschlüsse

Zustand versandt, also nicht mit Kohlensäuregas versetzt 50. Schon bald nach der Übernahme der Landeshoheit interessierte sich Nassau für die Eigentumsrechte an den Sodener Quellen, von denen im 19. Jahrhundert immer mehr erschlossen, gefasst oder neu gefasst wurden 51. Der Kuroder Milchbrunnen (I), den Frankfurt 1437 von Kaiser Sigismund erhalten hatte, war 1752 von Frankfurt und Kurmainz in Erbpacht ausgegeben worden und ging 1815 im Zuge der Aufhebung kleinerer Abgaben an den Betreiber über. 1811 wurde dessen Wasser in bescheidenem Umfang in Krüge ohne Marke abgefüllt und verkauft, bis sich die Pächter zerstritten. Zur gleichen Zeit untersuchte der Kronberger Amtsphysikus Cramer diese Quelle und fand sie besser als die weiteren Sodener Quellen, jedoch wegen des geringen CO 2 -Gehalts wesentlich qualitätsärmer als die Wässer von Fachingen und Niederselters, sah keinen besonderen Absatz des Sodener Wassers voraus und behielt damit Recht 52. Der Königsteiner Amtsarzt und Kronthaler Kurunternehmer Ferdinand Küster berichtete 1820 über den Bad Sodener Kurbetrieb und erwähnt auch den Versand des Milchbrunnens (I) in Krügen, obwohl er keinen besonderen Geschmack hatte. Er nannte auch den eisenhaltigen Sauerbrunnen gegenüber der evangelischen Kirche 53, der ihn an den Kronthaler erinnerte, und kritisierte, dass die Krüge nicht gasdicht verschlossen waren 54. An anderer Stelle ist die Rede von rund 15.000 Krügen, die jedes Jahr nach Frankfurt gingen 55. Der Topograph Demian spricht 1823 von der Trinkkur in Soden, nicht aber vom Wasserversand 56. 1825 wurde Sodener Wasser über einen nicht genannten Höchster Bürger vertrieben, wahrscheinlich den vielseitigen Unternehmer Johannes Horstmann 57. 1826 verpachtete die Gemeinde ihren eigenen Brunnen (Warmbrunnen, III) für 172 Gulden im Jahr. Der Pächter erreichte drei Jahre später eine deutliche Verringerung der Pacht. Dies lässt einen nur bescheidenen Füllbetrieb vermuten 58. In den ersten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden zunehmend mehr Brunnen erschlossen und mit den heute noch gebräuchlichen römischen Nummerierungen versehen. Die Krüge wurden ab den dreißiger Jahren durch die Gemeinde gesiegelt, vertrieben und erste Ansätze zur Werbung unternommen 59. Um 1830 waren der Milchbrunnen (I), der Winklerbrunnen (II), der Gemeindebrunnen (III), der Solbrunnen der ehemaligen Saline (IV), der Sauerbrunnen als kältester (V) und zwei schon für die Saline genützte Quellen am Fuß des Burgbergs (VI und VII, Major) in Betrieb 60. Nach der Anzeige eines Wiesbadener Kaufmanns von 1840 kosteten jeweils 100 ganze Krüge 12 Gulden, halbe 8 ½ und alte 5 Gulden sowie einzelne ganze 7 und halbe 6 Kreuzer 61. Im selben Jahr war die Rede von einem Wasserversand in eigens gefertigten und gut verschlossenen Krügen 62. Der Verkauf der Jahre 1839 bis 1841 war trotz einer Steigerung recht bescheiden, als 5.718, 10.817 und 14.532 ganze sowie 1.297, 1.648 und 5.080 halbe Krüge verkauft wurden, und entwickelte sich in den Jahren danach ähnlich 63. Nassau förderte die Kur und den Wasserversand in Bad Soden und entwickelte Vorstellungen von einem Absatz von 100.000 Krügen im Jahr 64. Sodener Wasser war eine Ergänzung zu den Wässern der Generaldomänendirektion und wurde in derart geringen Mengen auf den Markt gebracht, dass es keine Kon- 21 Krug für den Wilhelmsbrunnen (VI) Oben: Sodener Marke nach 1887