SchiedsamtsZeitung 43. Jahrgang 1972, Heft 10 Online-Archiv Seite 145-149 -Organ des BDS



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Transkript:

Aus der Gesetzgebung Sind verlorene Schneidezähne durch eine Prothese ersetzt worden, so ist die Frage, ob der Verletzte in erheblicher Weise dauernd entstellt ist, nach seinem äußeren Erscheinungsbild beim Tragen der Prothese zu entscheiden (gegen BGHSt. 17, 161 = NJW 62, 1067). BGH, Urt. v. 29. 2. 1972 5 StR 400/71 (Ergangen auf Vorlegungsbeschluß des OLG Hamburg) Aus den Gründen: 1. Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt. Im zweiten Falle hatte er in einer Gaststätte einem anderen Gast, E., 4 Schneidezähne des Oberkiefers durch einen vorsätzlichen heftigen Hieb auf den Mund ausgeschlagen. Der Verletzte ließ sich eine aus 5 Zähnen bestehende, gut sitzende und gut aussehende Prothese anfertigen; seine ausgeschlagenen 4 Zähne hatten etwas auseinander gestanden. Das AG wendet nur 223 StGB an, weil E. durch die Körperverletzung nicht in erheblicher Weise dauernd entstellt worden sei. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG bei fast gleichen Feststellungen den Schuldspruch geändert und den Angeklagten im Falle E. wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung nach 224 StGB verurteilt. Die Urteile beider Tatgerichte setzen sich mit der Entscheidung des BGH (BGHSt. 17, 161 ff. = NJW 62, 1067) näher auseinander. Das OLG Hamburg will auf die Revision des Angeklagten von dieser Entscheidung des BGH abweichen, sich also der Rechtsauffassung des AG anschließen. Es hat daher die Sache nach 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob eine erhebliche Entstellung durch Verlust von Schneidezähnen nicht als dauernd i. S. von 224 StGB anzusehen ist, wenn sie durch eine Zahnprothese beseitigt oder verdeckt wird. II. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Hierfür braucht die Vorlegungsfrage nicht allgemein beantwortet zu werden (BGHSt. Bd. 17, S, 14 u. 17 = NJW 62, 598). 1. a)... b) Rechtserheblich ist nur der Einwand, dass im Falle E. lediglich der Tatbestand des 223 StGB und nicht der des 224 StGB erfüllt worden sei. Insoweit war auf die besonderen tatsächlichen Umstände des zu entscheidenden Falles abzuheben und nur in dem dadurch gegebenen Umfange über die vorgelegte Rechtsfrage zu befinden. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/5

Der Senat schließt sich für den Fall E. im Ergebnis und zum Teil auch in der Begründung dem OLG Hamburg an. Er gibt also im Wesentlichen die Rechtsmeinung auf, die seinen Entscheidungen 5 StR 205/57 v. 16. 7. 1957 und 5 StR Aus der Rechtsprechung 361/67 v. 12. 9. 1967 (GoltdA 1968, 120) zugrunde liegt. Der 4. StS hat auf Anfrage mitgeteilt, dass auch er an der Entscheidung BGHSt. 17, 161 = NJW 62, 1067 nicht festhält. aa) Nicht entschieden zu werden braucht hier, ob E. durch die ihm zugefügte Körperverletzung in erheblicher Weise entstellt worden ist. Insoweit meint übrigens der Generalbundesanwalt, die Art der in 224 StGB weiter angeführten Folgen der Körperverletzung Verlust eines wichtigen Körpergliedes, des Sehvermögens, des Gehörs, der Sprache oder der Zeugungsfähigkeit -- lasse erkennen, dass nur solche Entstellungen als schwere Körperverletzung und damit als Verbrechen gelten sollen, die in ihrer Bedeutung den oben genannten Folgen ungefähr gleichwertig sind ; das entspricht der Meinung eines Teils der OLGe und des Schrifttums. Auch ein Vergleich mit den anderen Merkmalen des 224 StGB könnte allerdings zu der Überlegung veranlassen, dass nach dem Zusammenhang dieser Vorschrift an den Begriff der schweren Entstellung besonders strenge Maßstäbe zu legen sind, dass unter Umständen also diejenigen Entstellungen diesen Tatbestand nicht erfüllen, die auch ohne Gewalteinwirkung häufig eintreten. Das bedurfte jedoch, wie gesagt, hier keiner abschließenden Entscheidung. bb) Denn jedenfalls ist im vorliegenden Falle der Verletzte durch den ihm zugefügten körperlichen Schaden nicht dauernd entstellt worden. Sein äußeres Erscheinungsbild hat sich sogar nachträglich verbessert, weil seine früheren verloren gegangenen 4 Zähne etwas auseinander standen und E. jetzt für einen Uneingeweihten nicht erkennbar eine gut sitzende und gut aussehende Prothese trägt. Nach Meinung des Senats kann unter solchen Umständen nicht mehr von einer dauernden schweren Entstellung gesprochen werden. Denn dazu gehört grundsätzlich eine unbestimmt langwierige Beeinträchtigung des Aussehens. Hieran fehlt es zumindest dann, wenn bereits im Zeitpunkt der Hauptverhandlung der Schaden äußerlich behoben worden ist. Für das Merkmal der dauernden schweren Entstellung ist nämlich allein das äußere Erscheinungsbild von Belang. Zwar mag im Allgemeinen eine Zahnprothese, von der Funktion her gesehen, weniger gute Dienste leisten als natürliche Zähne. Das ist aber aus Rechtsgründen nicht entscheidend. Denn das Gesetz hebt nur auf die Frage der Entstellung ab, also nur auf das Aussehen und nicht auf die Funktion. Entgegen der bisherigen Auffassung des BGH kann daher so wie hier geschehen ein künstlicher Zahnersatz die durch den Verlust von vier Schneidezähnen möglicherweise eingetretene schwere Entstellung beseitigen. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/5

Nur darauf kam es für den vorliegenden Fall an. Deshalb mussten alle darüber hinausgehenden Rechtsfragen unbeantwortet bleiben, insbesondere auch die, ob und unter welchen Umständen einem Verletzten zuzumuten ist, sich für die ausgeschlagenen Schneidezähne eine Prothese anfertigen zu lassen, um so eine etwaige sichere Entstellung zu beseitigen. 2. Der Senat hat von sich aus den Schuldspruch im Falle E. geändert. Anmerkung: Die in der vorstehenden höchstrichterlichen Entscheidung behandelte Frage, ob bei Verlust von Schneidezähnen infolge einer vorsätzlichen Körperverletzung SCHS-ZTG 43. Jg. 1972 H 10 eine einfache (leichte) Körperverletzung oder eine schwere Körperverletzung gegeben ist, interessiert auch alle Schr. Denn die Antwort auf diese Frage entscheidet, ob ein Schm. in solch einem Falle sachlich zuständig ist oder nicht. Nach 5 33 aller SchsGesetze ist der Schm. nämlich nur bei einer vorsätzlichen leichten Körperverletzung (5 223 StGB) zuständig für eine Sühneverhandlung, ja der Sühneversuch sogar nach 5 380 StPO zwingend vorgeschrieben. Bei vorsätzlichen schweren Körperverletzungen (5 224 StGB) ist dagegen ohne Sühneversuch die Strafverfolgung durch den Staatsanwalt möglich (Privatklage mit vorherigem Sühneversuch gibt es in Fällen des 224 StGB nur dann, wenn der Täter den Erfolg fahrlässig herbeigeführt hat). Der 5. Senat des BGH hat mit dem vorstehenden Urteil unter Berücksichtigung der besonderen tatsächlichen Umstände des zu entscheidenden Falles die bisher maßgebende Ansicht des 4. Senates des BGH revidiert und sich entschlossen, nur eine einfache Körperverletzung nach 5 223 StGB anzunehmen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles hat er darin gesehen, dass die 4 ausgeschlagenen Schneidezähne des Oberkiefers vorher etwas auseinander standen und der Verletzte nunmehr eine gut sitzende und gut aussehende Prothese habe; deshalb sei er nicht dauernd entstellt im Sinne von 5 224 StGB, ja sein äußeres Erscheinungsbild habe sich durch die gute Prothese sogar verbessert. Die dauernde Entstellung durch die Körperverletzung, d. h. die Bewertung der Körperverletzung im Zeitpunkt der Verhandlung soll also nicht nur entscheidend für das höhere Strafmaß (5 224 StGB) oder für das niedere (g 223 StGB) sein, sondern auch dafür, ob die Tat mit ihren sichtbaren Auswirkungen nur ein sühnepflichtiges Privatklagedelikt darstellen (wenn man von der unter Ermessen liegenden Möglichkeit der öffentlichen Klage nach 376 StPO absieht) oder ob (bei 5 224 StGB) die Strafverfolgung nur durch öffentliche Anklage möglich ist. Beides soll nach der neuen Auffassung des BGH aber davon abhängen, ob die im Zeitpunkt der Tat sicher eingetretene Entstellung (Verlust von 4 Schneidezähnen) nachträglich, d. h. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/5

bis zur Verhandlung vor dem Gericht beim Sühneverfahren bis zum Zeitpunkt der Stellung des Sühneantrages, vielleicht auch erst bis zum Zeitpunkt des letzten Sühnetermins (?) beseitigt ist oder nicht. Diese neue Auffassung des BGH überzeugt nicht. Das Gesetz (5 224 StGB) spricht von dauernder«entstellung. Die Bewertung, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Prothese gut sitzt und das Aussehen des vorher Verletzten sich sogar verbessert hatte, reicht m. E. nicht aus in zeitlicher Hinsicht. Es ist nämlich durchaus möglich und nach der Lebenserfahrung bekannt, dass anfänglich gut sitzende Prothese nach mehr oder minder langem Zeitablauf nicht mehr so gut sitzen, beim Sprechen und beim Essen wackeln und deshalb erneuert werden müssen. Das liegt daran, dass nach Ausfall der eigenen Zähne sich der Kiefer an diesen Stellen verändert, dass er sich zurückbildet und dadurch eine unansehnliche Entstellung wieder eintritt. Der Begriff dauernd im Sinne von 5 224 StGB kann also bei richtigem Verständnis für die Kausalität und für den Unrechtsgehalt der Tat nicht auf einen Zeitabschnitt nur bis zur mündlichen Verhandlung beschränkt sein, für das Sühneverfahren sogar noch mit der Rechtsfolge der von dein Schm. zu treffenden Entscheidung über seine gegebene oder nicht gegebene sachliche Zuständigkeit. Aus der Rechtsprechung Bedenklich ist auch, dass der Begriff der dauernden Entstellung bzw. die Entscheidung über die Zuständigkeit des Schs. von dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und ihrer technischen Hilfsmittel im allgemeinen bzw. von der zahntechnischen Kunst des jeweiligen Zahnarztes des Verletzten abhängen soll. Jedenfalls kann das oft zufällige Ergebnis einer guten zahn-ärztlichen Behandlung nicht dem Täter zugute kommen, der nun einmal ursprünglich jene erhebliche Entstellung vorsätzlich durch eine besonders starke Verletzung der körperlichen Unversehrtheit seines Opfers verursacht hat. Das war jedenfalls die in den letzten 10 Jahren herrschende Auffassung, wie sie in dem BGH-Urteil v. 2. 3. 1962 4 StR 536/61 überzeugend dargelegt war (vgl. NJW 1962 S. 1067). Es heißt u. a. dort: Der künstliche Ersatz eines Organs..., auch von Zähnen, wird überdies mit Recht nicht als vollgültige Wiederherstellung der früheren körperlichen Unversehrtheit eines Menschen gewertet (aao. S. 1068). Es sind... auch die Vorderzähne eines Menschen Organteile, die regelmäßig sich den Blicken der Umwelt darbieten (aao. S. 1067). Der damals entscheidende 4. Senat des BGH schloss sich der Ansicht des früheren Reichsgerichtes in RGSt 14, 344 an, wonach ohne Rücksicht darauf, ob durch künstliche Mittel das Fehlen unkenntlich gemacht werden kann oder wird, eine dauernde erhebliche Entstellung zu Lasten des Angeklagten anzunehmen ist. Der jetzt entscheidende 5. Senat des BGH hatte 1957 (sicher mit anderen Richtern) hinsichtlich des Verlustes von 6 Schneidezähnen in einem Urteil festgestellt: Der Verlust von 6 Vorderzähnen Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/5

ist stets entstellend ; er hatte mit der Vorinstanz 224 StGB bejaht. Nunmehr wechselt der 5. Senat nicht nur diese Ansicht und bewertet mit einem zu kurzen Zeitabschnitt das Aussehen von künstlichen und natürlichen Zähnen im Verhältnis zueinander zum Nachteil des Verletzten und zum ungerechtfertigten Vorteil des brutalen Täters, ja er stellt sogar noch eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes deshalb fest, weil die natürlichen Zähne des Betroffenen vorher etwas auseinander standen. Es ist sicher eine reine Geschmacksauffassung, ob der Verletzte mit gleichmäßig aneinander schließenden Vorderzähnen besser aussieht als früher. Gerade die Gleichmäßigkeit von künstlichen Zähnen bedeutet nicht immer eine Verbesserung des Erscheinungsbildes in dem Urteil der Umwelt. Aber auch der formalrechtliche Hinweis, dass es bei der Frage der Entstellung nicht auf die Funktion einer Zahnprothese ankäme, befriedigt im Ergebnis des Urteils mit. Zwar mag er rechtlich in dieser Beziehung zutreffen, jedoch hätte man erwarten dürfen, dass dann wenigstens einige Ausführungen zu einem anderen Tatbestandsmerkmal des 224 StGB gefolgt wären, nämlich zu der Frage, ob eine Reihe von Zähnen, insbesondere Schneidezähnen, ein wichtiges Glied des Körpers darstellen können. Hierfür ist nämlich von Bedeutung, ob Eigenaufgaben im Gesamtorganismus gegeben sind (vgl. Schwarz-Dreher, Anm. 2 b zu 224 StGB). Solche Aufgaben können Schneidezähne haben, also eine bestimmte Funktion, die nun sicher beeinträchtigt ist, wie jeder Prothesenträger weiß. Die Frage der Funktion mit dem bloßen Hinweis abzutun, sie habe mit der Entstellung nichts zu tun, ist unbefriedigend und lässt den Vorhalt zu, dass das Urteil nicht erschöpfend ist. Der BGH hat sich im vorliegenden Fall für eine einfache Körperverletzung, also für 223 StGB entschieden. Das bedeutet ein Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dieser ist auch von Schrn. zu beachten. Sie sind nunmehr von Fall zu Fall vor die Aufgabe gestellt, schon bei der Antragstellung durch den Verletzten zu entscheiden, ob eine dauernde Entstellung nach dem Verlust von Zähnen und ihrem Ersatz durch eine Prothese vorliegt oder nicht, wonach sich dann ihre sachliche Zuständigkeit richtet. Schr., die in Fällen, die dem vorliegenden Urteilstatbestand entsprechen (Verlust von 4 Schneidezähnen und gut aussehende Prothese), eine einfache Körperverletzung (g 223 StGB) und deshalb ihre sachliche Zuständigkeit annehmen, handeln nach der neuen Rechtsprechung. Oberstadtdirektor Herbert Wach, Iserlohn Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/5