Thesen zum interkulturellen Lernen in der Schule Jürgen Bolten (Jena)



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Thesen zum interkulturellen Lernen in der Schule Jürgen Bolten (Jena) (aus: J.Bolten/ D.Schröter (Hg.), Interkulturelle Kommunikation. Sternenfels/ Berlin 2001) Interkulturelles Lernen ist bislang eine Domäne des tertiären Bildungsbereiches. Dies wird sich vor dem Hintergrund der Intensivierung von Angeboten zum lebensbegleitenden Lernen vermutlich auch in nächster Zukunft nicht ändern. Andererseits ist jedoch vor dem Hintergrund der immer dringlicher werdenden Migrations- und Globalisierungsprobleme offenkundig geworden, dass interkulturelles Lernen nicht auf autodidaktischen Schienen verlaufen darf, dass man qualifizierte Aus- und Weiterbildner benötigt, die gelernt haben, mit Problemen wie Fremdheit, Ausländerfeinlichkeit etc. umzugehen. Anderenfalls kann -in Analogie zur ärztlichen Tätigkeit ein unbedacht gewähltes Mittel sehr leicht zu kontraproduktiven Wirkungen führen: Ethnozentrismus, Stereotype und Fremdenfeindlichkeit werden verstärkt und keiner weiß warum, zumal jeder doch nur in guter Absicht zu handeln geglaubt hat. Über punktuelle Fort- und Weiterbildungsprogramme für Pädagogen, Entwicklungshelfer und Führungs- und Nachwuchskräfte der Wirtschaft hinaus bestehen umfassendere Bildungsangebote in Deutschland erst seit den späten achtziger bzw. den frühen neunziger Jahren. Entsprechende Impulse gingen von universitären Fächergründungen wie Interkultureller Pädagogik, Interkultureller Kommunikationswissenschaft, Interkultureller Germanistik, Interkultureller Wirtschaftskommunikation usw. aus. Auf diese Weise konnten sich Wissenschaftsdisziplinen etablieren, die inzwischen vielfach eigenständige Ausbildungsbildungsgänge entwickelt und zur Profilierung neuer Berufsbilder in der internationalen Zusammenarbeit beigetragen haben. Nicht unwichtig für die Einschätzung der gegenwärtigen Situation im Bereich interkultureller Lernangebote ist sicherlich die Tatsache, dass aufgrund dieser zeitlichen Entwicklung die ersten einschlägig ausgebildeten interkulturellen Trainer und Berater in Deutschland dem Arbeitsmarkt frühestens seit Mitte der neunziger Jahre zur Verfügung gestanden haben. Die Lehrerausbildung findet in den genannten Studienangeboten bislang unmittelbar keine Berücksichtigung, da es sich nicht um Lehramts- sondern um Magister- und Diplomstudiengänge handelt. In den jüngst von der Kultusministerkonferenz ausgesprochenen Empfehlun-

gen zur Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule 1 ist die Lehrerausbildung in einem entsprechend eigenständigen Lehramtsfach auch noch nicht vorgesehen. Gefordert wird vielmehr die Einbindung des interkulturellen Aspekts in die zweite Phase der Lehrerausbildung und in die Lehrerfortbildung, u.a. durch eine Verstärkung schulnaher und schulinterner Fortbildung. 2 Wie eine solche Einbindung organisatorisch und inhaltlich erfolgen kann, ist bislang allerdings noch nicht hinreichend geklärt. Gerade dort, wo politisch eine möglichst rasche Realisierung interkulturellen Lernens in der Schule angestrebt wird, stößt man dementsprechend zur Zeit auch auf erhebliche Probleme. Als Beispiel mag an dieser Stelle auf die schulpolitische Situation in Thüringen verwiesen sein, wo interkulturelles Lernen in den 10.Klassen von Regelschulen und Gymnasien zum Schuljahr 2000/2001 als obligatorischer Unterrichtsbestandteil im Rahmen des Ethikunterrichts eingeführt wurde. 3 So positiv eine solche Entscheidung grundsätzlich auch bewertet werden kann, zeigt sie doch, dass ein (zweifellos gutgemeintes) übereiltes Vorgehen auch gegenteilige Wirkungen hervorrufen kann. So sind die Lehrkräfte, denen die Unterrichtsdurchführung übertragen wurde, in doppelter Hinsicht auf sich gestellt: Zum einen sind sie im Bereich interkulturellen Lernens nicht ausgebildet, und überdies mangelt es auch an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen. Darüber hinaus obliegt ihnen jedoch die Erstkonzeption von Stoffplänen und Curricula für interkulturelles Lernen in den 10.Klassen, was sie aus eigener Kraft folglich schlechtweg nicht leisten können. Letztlich ist auch die politische Entscheidung, interkulturelles Lernen in den Ethikunterricht einzubinden, als solche nicht unproblematisch; zumindest dann nicht, wenn es bei einer derartigen fachlichen Beschränkung bleibt. Aus gutem Grund heißt es in der zitierten Empfehlung der Kultusministerkonferenz unter Bezugnahme auf die Umsetzung interkultureller Lernprogramme: Der interkulturelle Aspekt ist dabei nicht in einzelnen Themen, Fächern oder Projekten zu isolieren, sondern eine Querschnittsaufgabe in der Schule. 4 1 Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Interkulturelles Lernen. Bonn 1998, S.310-316 2 ebd., S.316 3 vgl. u.a. Thüringer Kultusministerium, Lehrplan für das Gymnasium: Ethik, Klasse 10 ( Zusammenleben in einer mu ltikulturellen Gesellschaft ). Erfurt 1999 4 Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996. a.a.o., S.313

Wie interkulturelles Lernen in der Schule im Sinne einer solchen Querschnittsaufgabe realisiert werden kann und welche Konsequenzen dies für den Bereich der Lehreraus- und fortbildung haben wird, soll nachfolgend kurz skizziert werden. Da fertige oder erprobte Konzepte noch nicht oder nur ansatzweise existieren, erfolgt die Darstellung in pointierter thesenartiger Form, um so auch zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen: 1. Interkulturelle Kompetenz ist kein Schulfach Die zitierte Empfehlung der Kultusministerkonferenz, interkulturelles Lernen als Querschnittsaufgabe in der Schule zu verstehen, schließt die Einführung von Interkultureller Kommunikation zumindest als Schulfach aus. Gleiches gilt auch für eine Reduktion interkultureller Lerninhalte auf ein einzelnes, bereits bestehendes Fach wie etwa den Ethikunterricht. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass es sich bei interkultureller Kompetenz nicht um eine eigenständige Teilkompetenz neben üblicherweise genannten Handlungskompetenzen wie individueller, sozialer, fachlicher und strategischer Teilkompetenz handelt. Interkulturelle Kompetenz stellt vielmehr einen Bezugsrahmen für diese vier grundlegenden Handlungs(teil)kompetenzen dar. Als ein solcher Bezugsrahmen verleiht sie den Teilkompetenzen gleichsam ihre interkulturelle Hoffähigkeit. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Regel als Bestandteile interkultureller Kompetenz verstanden werden. Hierzu zählen vor allem Rollendistanz, Einfühlungsvermögen, Toleranz, (interkulturelle) Lernbereitschaft, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit. Betrachtet man Merkmale genauer, fällt auf, dass sie ausnahmeslos auch auf den Erfolg intrakulturellen Handelns Einfluß haben und insofern zumindest nicht als spezifisch interkulturelle Teilkompetenzen bezeichnet werden können. So sind beispielsweise Einfühlungsvermögen, Rollendistanz oder Flexibilität auch intrakulturell unabdingbare Voraussetzungen, um soziales Handeln erfolgreich bewältigen zu können. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, interkulturelle Kompetenz nicht als einen eigenständigen Kompetenzbereich zu verstehen, sondern vielmehr als Fähigkeit, individuelle, soziale, fachliche und strategische Teilkompetenzen in ihrer bestmöglichen Verknüpfung auf interkulturelle Handlungskontexte beziehen zu können.

Fachkom- Markt-, Rechts- und Kosten-, Ertrags- u. strategische petenz Betriebskenntnisse Risiokobewußtsein Kompetenz Fachkenntnisse im Aufgabenbereich Wissensmanagement (internat.) Berufserfahrung Organisationsfähigkeit Beschreibungs- und Kenntnisse des zielkul- Erklärungsfähigkeit in bezug Problemlöse- und turellen Technologie- auf eigen-, fremd- und inter- Entscheidungsfähigstandes keit; Synergiedenken interkulturelles Handeln Teamfähigkeit Eigenmotivation kulturelle Prozesse,Fremdsprachen- Assimilationsfähigkeit kenntnis; vorangegangene Rollendistanz interkulturelle Er- Initiativfähigkeit fahrungen Selbstorganisation, Fähigkeit zur Situationskontrolle (Meta-)kommunikationsfähigkeit optimistische Grundhaltung Empathie, Toleranz Lernbereitschaft, Selbstkritik soziale Führungsfähigkeit individuelle Kompetenz Polyzentrismus Kompetenz Abb. 1 Handlungskompetenz in interkulturellen Zusammenhängen In dieser Transferleistung, die eigen- und fremdkulturelles Wissen ebenso einbezieht wie beispielsweise vorangegangene interkulturelle Erfahrungen, besteht folglich auch der qualitative Unterschied zwischen sozialer Handlungskompetenz und interkultureller sozialer Handlungskompetenz. In gleicher Weise unterscheiden sich dann auch interkulturelle individuelle Kompetenz, interkulturelle fachliche Kompetenz und interkulturelle strategische Kompetenz von ihren intrakulturellen Entsprechungen dadurch, dass sie Transferleistungen auf interkulturelle Handlungskontexte beinhalten: Unterschiedlich gegenüber intrakulturellen Handlungszusammenhängen ist dementsprechend die Qualität der einzelnen Teilkompetenzen, die Teilkompetenzen als solche sind hingegen die gleichen. Würde die Vermittlung interkultureller Kompetenz auf ein eigenständiges Schulfach beschränkt, würde dieser übergreifende Charakter preisgegeben. Interkulturelles Lernen liefe Gefahr, als Bestandteil fachlicher Kompetenz mehr oder minder isoliert neben anderen

Fächern zu stehen und damit sein sowohl inter- als auch transdisziplinäres Potential zu verlieren. 2. Jedes Schulfach sollte interkulturelle Fragestellungen integrieren und sein eigenes inhaltliches Spektrum damit erweitern Wie jeder schulische Fachunterricht zumindest idealiter immer auch individuelle, soziale und strategische Kompetenzen fördert, so ist dies in gleicher Weise auch in Hinblick auf interkulturelle Handlungsfähigkeit erstrebenswert. Für die einzelnen Fächer ist damit ein Perspektivenwechsel verbunden, der nicht zuletzt auch eine Internationalisierung der Bildungsinhalte bewirkt. So kann der Mathematikunterricht die Zahlensymbolik aus Ausdruck bestimmter Weltsichten behandeln, im Deutschunterricht kann die Rezeptionsgeschichte deutscher Literatur im Ausland eine erhellende Rolle einnehmen, während sich im Fremdsprachenunterricht über alltagskulturelle und kulturhistorische Aspekte hinaus beispielsweise Fremdbilder in bezug auf Deutschland oder spezifische interkulturelle Erfahrungen mit Deutschen thematisieren ließen. Die Aufzählung ist um jedes beliebige Fach erweiterbar. Erste Zugänge zu entsprechenden interkulturellen Fachdidaktiken sind an der Wende zum neuen Jahrtausend eröffnet worden 5. Dies systematisch weiterzuführen, wird zu den wichtigsten curricularen Aufgaben der kommenden Jahre zählen. 3. Eine effektive Vermittlung interkultureller Handlungskompetenz in der Schule gelingt langfristig nur unter der Voraussetzung einer Überwindung von Fächergrenzen. Ein immer wieder vorgebrachter Einwand gegen die Erweiterung des Schulunterrichts um interkulturelle Lerninhalte besteht in dem Hinweis auf die ohnehin rasant anwachsende Fülle des zu vermittelnden Unterrichtsstoffs. Platz für noch mehr Inhalte sei beim besten Willen nicht vorhanden. Der Einwand ist insofern richtig, als derzeit tatsächlich eine inhaltliche Überfrachtung der einzelnen Fächer festzustellen ist. Hier liegt allerdings auch eine der wesentlichen Schwächen des gegenwärtigen Schulsystems, weil viele Synergiepotentiale sowohl des Lehrens als auch des Lernens aufgrund der mangelnden Kooperation der einzelnen Fächer verschenkt werden. Eine fächerübergreifende Zusammenarbeit würde nicht nur dazu führen, dass inhaltliche Doppelungen vermieden werden. Es würde auch die Lerneffizienz erhöhen, weil ein aus verschiedenen Perspektiven beleuchteter Sachverhalt besser verstanden

und behalten wird. Wichtig ist, dass diese multi- und interdisziplinäre Perspektivierung nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich koordiniert ist. Eine Realisationsmöglichkeit besteht in der fächerübergreifenden Durchführung von Projektunterricht zu bestimmten Themengebieten: Fremdheit wäre beispielsweise ein solches Projektthema, das aus unterschiedlichsten Fächerperspektiven beleuchtet werden kann und das gleichzeitig interkulturelle Lerninhalte einbezieht. Da die Motivation zur Realisierung fächerübergreifender Unterrichtsformen in den Schulen derzeit aus den verschiedensten Gründen nicht sonderlich hoch ist, könnte eine an diese Vermittlungsform gebundene Einführung interkultureller Lerninhalte vielleicht auch grundsätzlich die Bereitschaft erhöhen, auf anderen Themenfeldern eine Kooperation zu suchen. Gleichzeitig wäre damit ein wichtiger Schritt von der zunehmend reduktionistischen Spezialistenausbildung hin zu der bildungspolitisch immer stärker geforderten Generalistenausbildung vollzogen. 4. Eine effektive Vermittlung interkulturelle Kompetenz ist auch in der Schule ohne interkulturelle Praxis nicht denkbar. Über die Vermittlung von interkulturellen Lerninhalten hinaus muß interkulturelles Lehren immer auch Möglichkeiten bereitstellen, um interkulturelle Erfahrungen sammeln zu können. Was in Westdeutschland durch den teilweise nicht unerheblichen Ausländeranteil an Schulen ohnehin als Rahmenbedingung schulischen Lernens gegeben ist, muß in den Neuen Bundesländern größtenteils auf anderem Weg geschaffen werden. Fest steht in jedem Fall, dass die Vermittlung interkultureller Kompetenz gerade an Jugendliche nicht allein auf theoretischen Weg gelingt. Kulturelle Unterschiede, Fremdheitssituationen und interkulturelle Aushandlungsprozesse müssen selbst erfahren werden, um damit produktiv umgehen zu können. Möglichkeiten, derartige Kontakte herzustellen, werden traditionellerweise durch internationale Schulpartnerschaften geboten. Im Zeitalter der Internet-Kommunikation eröffnen sich allerdings auch ganz neue Möglichkeiten wie beispielsweise international organisierte Themenchats 6, die überdies den Vorteil einschließen, dass Fremdsprachen auch in fachlichen Kontexten eingesetzt werden müssen, womit nicht zuletzt auch die Akzeptanz des fremdsprachigen Fachunterrichts erhöht werden kann. 5 Vgl. die auf alle traditionellen Schulfächer bezogenen Überlegungen in dem von Hans H.Reich u.a. herausgegebenen Handbuch Fachdidaktik aktuell. Opladen 2000 6 Wertvolle Hilfestellungen zum schulbezogenen Internetlernen bietet die Initiative Schulen ans Netz : www.san-ev.de

5. Zum wichtigsten Medium der Lehrerfortbildung im Bereich des Interkulturellen Lernens wird künftig das Internet zählen. Wie bereits skizziert, ist nicht davon auszugehen, dass interkulturelles Lernen in naher Zukunft als eigenständiges Fach im Rahmen der Lehrerausbildung angeboten wird. Wahrscheinlicher sind entsprechende Schwerpunktsetzungen im Bereich der Fachdidaktiken, die damit nicht nur eine inhaltliche Neubestimmung, sondern einen insgesamt deutlichen Innovationsschub erfahren dürften. In Lehrerfortbildungsmaßnahmen sowohl während der zweiten Phase der Lehrerausbildung als auch während der Berufstätigkeit wird man zwangsläufig sehr selektiv vorgehen und sich auf einige wenige Teilaspekte eines äußert breit gefächerten inhaltlichen Spektrum beschränken müssen. Um sich dies vor Augen zu führen, braucht man nur daran zu denken, welche Unzahl von Möglichkeiten gleichberechtigt zur Auswahl stehen, wenn man beispielsweise den konventionellen Deutsch- oder Geschichtsunterricht um fremdkulturelle Perspektiven ergänzt. An Kanonbildungen ist hier überhaupt nicht mehr zu denken, was erst recht gilt, wenn man sich um fächerübergreifendes Projektarbeiten bemüht. Vor diesem Hintergrund wird die Fähigkeit des Wissensmanagements genau so wichtig sein wie das Wissen selbst: Es geht vor allem darum, Inhalte zu finden, die eine hohe Paßfähigkeit in bezug auf das bei Projektarbeiten sehr flexible- Gesamtsystem des Unterrichtsprozesses aufweisen. Ohne Rückgriffsmöglichkeiten auf entsprechende Datenbanken oder Internetrecherchen werden derartige Zielsetzungen kaum zu verwirklichen sein. Hinzu kommt, dass die interkulturelle Lern- und Kommunikationsforschung als relativ junge Wissenschaften in kurzer Zeit viel weitgreifendere Entwicklungen vollziehen als dies bei angestammten Wissenschaftsdisziplinen der Fall ist. Lehrerfortbildung in diesem Bereich wird daher ohne Computer vermutlich nur schwer in zufriedenstellender Weise realisiert werden können. Dies bedeutet freilich nicht, dass interkulturelles Lernen auch in der Schule durch Internetlernen ersetzt wird. Gerade im Bereich der interkulturellen Erziehung spielen Klassen- und Projektunterricht als Sozialformen eine primäre Rolle, die allenfalls durch interkulturelle Medienkontakte (Emailkontakte, Themenchats etc.) ergänzt werden können. 6. Interkulturelle Handlungskompetenz ist im 21. Jahrhundert eine unerlässliche Voraussetzung für den Lehrerberuf Mag diese abschließende These auf den ersten Blick und aus der gegenwärtigen Situation heraus auch überzogen klingen, so spricht dennoch vieles dafür, dass sie in einigen Jahren

als selbstverständliche Erfahrungstatsache gewertet wird. Dies betrifft nicht nur die multikulturelle Lehr- und Lernsituation, die sich im übrigen nach und nach auch in den Neuen Bundesländern etablieren wird. Eine mindestens genauso wichtige Rolle dürfte die Veränderung der Legitimationsgrundlagen und allgemeinen Zielformulierungen des Unterrichts spielen: Es geht künftig nicht mehr nur darum, Kinder und Jugendliche auf Lebens- und Berufswirklichkeiten in ihrer Ethnie vorzubereiten, sondern darum, sie für das erfolgreiche Bewältigen von zunehmend interkulturellen Lebenszusammenhängen auszubilden. Die derzeit vehement forcierte Ausarbeitung interkultureller Didaktiken wird, da sie nach praktischer Umsetzung verlagt, das ihrige dazu beitragen. Diese Entwicklungen werden zweifellos auch durch ein gewisses Maß an Eigendynamik getragen, weil die durch den Globalisierungsprozeß geschaffenen Kontexte diesbezüglich eine Art Sogfunktion besitzen. Eine Lehrkraft, die selbst nicht über interkulturelle Handlungskompetenz verfügt, wird sie auch nicht vermitteln können. Damit würde sie allerdings konträr zu den Anforderungen stehen, die an sie gestellt werden. Literatur: Bolten, Jürgen: Interkulturelle Kompetenz. Erfurt 2001 (= Veröffentlichungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Interkulturelles Lernen. Bonn 1998 Flechsig, Karl-Heinz: Interkulturelle Didaktik. In: Leo Roth (Hg.): Pädagogik. Handbuch für Studium und Praxis. München 1991, 1073-1081 Holzbrecher, Alfred: Wahrnehmung des Anderen. Zur Didaktik interkulturellen Lernens. Opladen 1997 Keuffer, Josef/ Meyer, Meinert A. (Hg.): Didaktik und kultureller Wandel. Aktuelle Problemlagen und Veränderungsperspektiven. Weinheim 1997 Reich, Hans H. u.a. (Hg.): Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch. Opladen 2000 Reich, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik. Einführung in Grundlagen einer interaktionistisch-konstruktivistischen Pädagogik. Neuwied u.a. 1996 Roth, Hans-Joachim: Von er Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik. In: H.Macha und H.-J.Roth (Hg.): Erziehungs- und Bildungsgeschichte im 20.Jahrhundert. Frankfurt/M. u.a. 1992, 323-343 Thüringer Kultusministerium: Lehrplan für das Gymnasium: Ethik, Klasse 10 ( Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft ). Erfurt 1999