SwissDRG: Verbesserungen vor Einführung nötig



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Transkript:

Themendossier 3/10 Gesundheitspolitik Fakten zu gesundheitspolitischen Themen und die Position der Pharmaindustrie SPITALFINANZIERUNG SwissDRG: Verbesserungen vor Einführung nötig Die Spitäler in der Schweiz stehen vor einer grundlegenden Veränderung: Am 1. Januar 2012 wird der Wechsel hin zu diagnosebezogenen Fallpauschalen vorgenommen. Damit SwissDRG die vom Parlament gesteckten Ziele erreichen kann, braucht es allerdings noch vor der Einführung substanzielle Verbesserungen. Neue Spitalfinanzierung: Potenzial zur Effizienzsteigerung Das Parlament hat 2007 mit der KVG-Vorlage über die Spitalfinanzierung beschlossen, die Spitallandschaft mit einer Mischung aus Planungs- und Marktmechanismen zu steuern. Einerseits übernehmen die Kantone eine leistungsorientierte Spitalplanung mittels Spitallisten. Andererseits sollen die Leistungen in den Spitälern durch Fallpauschalen abgegolten werden. Letzteres ist eine grundlegende Weichenstellung. An die Stelle der Objektfinanzierung tritt eine Leistungsabgeltung. Damit sollen Transparenz hergestellt, Wirtschaftlichkeit gefördert und die im System mit Tagespauschalen und Defizitdeckung inhärenten Fehlanreize beseitigt werden. Die direkte Verknüpfung der erbrachten Leistung mit der Vergütung soll dazu beitragen, die Mittel bedarfsgerechter und effizienter einzusetzen. Die erfolgreiche Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung hängt jedoch davon ab, wie die Kantone das revidierte KVG umsetzen und wie das System der Fallkostenpauschale eingeführt wird. Vom System der All Patient DRG (APDRG) zu SwissDRG Erste DRG-Systeme wurden in den 1970er-Jahren an der USamerikanischen Universität Yale konzipiert. Diese Systeme sind seither weltweit weiterentwickelt worden. In der Schweiz gab es ab Mitte der 1980er-Jahre erste Untersuchungen zu DRG. Ende der 1990er-Jahre wurde beschlossen, das System APDRG (All Patient Diagnosis Related Groups) auf freiwilli ger Basis einzuführen. Das APDRG-System basiert auf einer Weiterentwicklung des amerikanischen DRG-Systems, das an die Daten der Schweiz angepasst wurde. Die SwissDRG sind in Anlehnung an das deutsche DRG-System (GDRG, German DRG) entwickelt worden, das seinerseits aus dem australischen System entstanden war. Ab 2012 soll Swiss- DRG gesamtschweizerisch das APDRG-System ablösen. Im Jahr 2004 wurde der Verein SwissDRG gegründet. Seine Aufgabe ist es, ein schweizweit einheitliches Leistungsabgeltungssystem für Spitalaufenthalte im stationären akutso matischen Bereich zu entwickeln und bereitzustellen. Der Verein SwissDRG ist Anfang 2008 von der gemeinnützigen SwissDRG Aktiengesellschaft abgelöst worden. Position der Industrie Die Pharmaindustrie begrüsst grundsätzlich die Einführung von leistungsbezogenen Fallpauschalen (DRG) in Spitälern. Fallpauschalen ermöglichen den Leistungswettbewerb der Spitäler und können zur notwendigen Effizienzsteigerung im schweizerischen Gesundheitswesen beitragen. Bei der Implementierung ist darauf zu achten, dass die Effizienzpotenziale effektiv ausgeschöpft werden. Flankierend sind Abgeltungen zur Korrektur ökonomischer Inhomogenität gewisser Fallgruppen und für innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vorzusehen. Damit wird ein allgemeiner und rascher Zugang zu Therapien gewährleistet.

gnosen, weitere Behandlungen, Art des Spitalaustritts und bei Neugeborenen das Geburtsgewicht. Die so entstehenden diagnosebezogenen Fallgruppen werden Diagnosis Related Groups (diagnosebezogene Fallgruppen) genannt. Für jede Fallgruppe kann so das Kostengewicht ermittelt werden. Das Kostengewicht gibt einen Hinweis auf den ökonomischen Aufwand zur Behandlung der Fallgruppen (siehe Begriffe Seite 3). Innovative Leistungen der personalisierten Medizin, die genetische Unterschiede der Menschen berücksichtigen, werden mit Fallpauschalen oftmals nicht abgedeckt. Fallpauschalen: Hintergrund Systeme mit Fallpauschalen klassifizieren stationär behandelte Patienten in Akutspitälern. Die Einteilung erfolgt in medizinisch und ökonomisch homogene Fallgruppen. Das wichtigste Selektionskriterium ist die Hauptdiagnose beim Spitalaustritt. Weitere Klassifikationsmerkmale sind Alter, Geschlecht, Nebendia- Fallpauschalen benötigen flankierende Massnahmen Ein pauschalisiertes Entgeltsystem hat seine natürlichen Grenzen. Das liegt zu m einen daran, dass die medizinische Behandlungsrealität auch bei einem optimal ausdifferenzierten Fallpauschalensystem nicht in allen Bereichen abgebildet werden kann. Ausserdem werden medizinische Innovation und Änderungen durch das DRG-System nicht synchron berücksichtigt. Die Übernahme des medizinischen Fortschritts würde ohne zusätzliche Abgeltungsmodelle nur mit grosser Verzögerung erfolgen. Es stellen sich folgende systemeigenen Herausforderungen: 1. Neu eingeführte Behandlungsmethoden Bis ein neu eingeführtes Medikament oder eine neu eingeführte Behandlungsmethode im SwissDRG-System berücksichtigt und abgegolten wird, vergehen nach Aussagen des Case Mix Office von SwissDRG rund 5 Jahre. Damit ist das System mit einer systematischen Finanzierungslücke für Innovationen konfrontiert, für die eine Finanzierungslösung benötigt wird. I Bildung medizinisch und ökonomisch homogener Gruppen Nebendiagnose n Nebenbehandlung n Nebendiagnose 3 Nebenbehandlung 3 Nebendiagnose 2 Nebenbehandlung 2 Alter Nebendiagnose 1 Nebenbehandlung 1 Geschlecht Austrittsart Hauptdiagnose + + Hauptbehandlung DRG Geburtsgewicht Quelle: «Der Case Mix Index ein Mass für den durchschnittlichen Schweregrad der Krankenhausfälle Methode und Auswertungen», StatSanté 3/2004, Bundesamt für Statistik. Interpharma 2

2. Spezialisierte Behandlungen für kleine Patientengruppen Behandlungen für kleine Gruppen von Patienten, die nur in wenigen, spezialisierten Kliniken durchgeführt werden können, verzerren die Fallgruppen und haben eine Unterfinanzierung in den spezialisierten Kliniken und eine Überfinanzierung in den übrigen Kliniken zur Folge. Der medizinische Fortschritt ermöglicht auf den einzelnen Patienten immer besser abgestimmte, massgeschneiderte Behandlungen (personalisierte Medizin). Damit geht eine Spezialisierung der Medizin einher. Spitäler werden nicht alle Behandlungsoptionen selber anbieten können, sondern konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen. Dieser an sich erwünschte Prozess kann zu sehr unterschiedlichen Kostenstrukturen innerhalb einer DRG führen. Spezialisierte Spitäler, die aus medizinischen Gründen wesentlich kostspieligere Medikamente anwenden, können die hoch wirksamen Behandlungen für grundversicherte Patienten jedoch nicht aus den DRG-Pauschalen finanzieren. Die Erfahrungen aus Deutschland haben dies für verschiedene Behandlungsbereiche gezeigt. II Haltung gegenüber Massnahmen zur Kostensenkung In % der Stimmberechtigten «Welche der folgenden Massnahmen wären Sie bereit, für sich in Kauf zunehmen, wenn dadurch die Kosten im Gesundheitswesen sinken würden?» 7 42 50 1 Keine freie Spitalwahl 7 25 63 5 Kürzung des Leistungskatalogs 6 41 51 2 Keine freie Arztwahl 6 50 41 3 Keine Therapiefreiheit 4 24 65 7 Eingeschränkter Zugang zu neuen Medikamenten Negative Folgen bei Verzicht auf flankierende Massnahmen Wenn bei der Umsetzung keine flankierenden Massnahmen im Sinne einer Zusatzvergütung ergriffen werden, bleiben die ökonomische Inhomogenität gewisser Fallgruppen und die «Innovationslücke» bestehen. Die Folge ist ein verzögerter und auf jeden Fall je nach Höhe der Kostensenkung auf keinen Fall weiss nicht / keine Antwort Quelle: Forschungsinstitut gfs.bern, Gesundheitsmonitor 2010 (n = 1200). Interpharma Begriffe im DRG-System Kostengewicht Für jede Fallgruppe wird empirisch ein relatives Kostengewicht ermittelt. Dazu werden die durchschnittlichen Kosten einer Fallgruppe durch die durchschnittlichen Kosten aller Fallgruppen eines Spitals dividiert. Basisfallwert / Baserate Die Baserate bezeichnet den Basispreis, der für eine Fallgruppe bezahlt wird, dessen Kostengewicht 1,0 beträgt. Der Basispreis wird in Verhandlungen der Tarifpartner festgelegt. Die Baserate ist der Wirtschaftlichkeitsausweis eines Spitals: je tiefer die individuell pro Spital ermittelte Baserate, desto effizienter arbeitet das Spital. Case Mix Der Case Mix beschreibt den gesamten Schweregrad der Behandlungsfälle eines Spitals. Er ist die Summe der Kostengewichte der Fallgruppen. Case Mix Index Der Case Mix Index gibt den durchschnittlichen Schweregrad der Fälle eines Spitals an. Er wird durch die Division des Case Mix und der Anzahl Fallgruppen generiert. In einem DRG-System mit landesweit einheitlichen Baserates differenzieren sich Spitäler über den Case Mix Index. 3

regional unterschiedlicher Zugang zu neuen Therapien. Dies gefährdet wiederum die Akzeptanz der heute zunehmend umstrittenen Einführung von SwissDRG. Nachteile lokaler Tarifverhandlungen Pflichtleistungen, die nicht über das DRG-System abgerechnet werden können, müssen gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) tarifiert werden. Tarifverhandlungen über einzelne Leistungen zwischen einzelnen Spitälern und einzelnen Krankenkassen sind jedoch mit der freien Spitalwahl und dem landesweit garantierten Zugang zu einer qualitativ hoch stehenden Versorgung für Grundversicherte nicht vereinbar. Zudem hat sich in Deutschland gezeigt, dass lokale Verhandlungen bürokratisch, intransparent und langwierig sind. Patientinnen und Patienten, die im Spital ein kostspieliges Medikament benötigen, können nicht warten, bis sich die Tarifpartner zusammensetzen und sich allenfalls einigen. Eine national einheitlich geregelte Vergütung schafft hier Abhilfe. Qualität als gemeinsamer Nenner Das KVG ist der Qualität und dem allgemeinen Zugang zu innovativen Therapien verpflichtet. Abgeltungsverfahren wie Zusatzund Innovationsentgelte ermöglichen im DRG-System, systembedingte Mängel zu beheben und dem Gesetzesanspruch bezüglich der Qualität gerecht zu werden. Umfragen des Gfs-Forschungsi nstitutes und der Universität Zürich zeigen, dass die Schweizer Stimmbevölkerung einen ver- zögerten Zugang zu neuen Behandlungsmethoden oder Medikamenten deutlich ablehnt (siehe Grafik I). Würde deshalb das Verfahren für ein Innovationsgehalt zu Verzögerungen und lokal unterschiedlichem Zugang zur Innovation führen, würde die Kritik am bereits heute zunehmend umstrittenen Fallpauschalensystem weiter wachsen. Leistungserbringer wie die fünf Schweizer Universitätsspitäler und Ärztegesellschaften bezeichnen Separat- und Zusatzentgelte als wesentlichen Bestandteil des seit 2004 gültigen deutschen Fallpauschalensystems, die im schweizerischen DRG-System übernommen werden müssten. Ungelöst ist darüber hinaus nach Ansicht des Direktionspräsidenten des Inselspitals, Dr. Urs Birchler, das Problem medizinisch und wirtschaftlich inhomogener Fallkostenpauschalen. Spezialisierte Spitäler wie die Insel, die aus medizinischen Gründen wesentlich kostspieligere Therapien anwenden, würden die hoch wirksamen Behandlungen für grundversicherte Patienten jedoch nicht aus den DRG-Pauschalen finanzieren können. Wenn eine Lösung über Verhandlungen gesucht werde (siehe Interview mit SwissDRG-Verwaltungsratspräsident Carlo Conti), müsste man sich als Folge mit regional unterschiedlichem Therapiezugang auseinandersetzen. Leistungsvergleich Wettbewerb der Spitäler Effizienzgewinne Elf Jahre nach der Einführung von DRG hat Deutschland beschlossen, über einen bundeseinheitlichen Basisfallwert (= Baserate, III Case Mix Index nach Krankenhaustyp und Anzahl Behandlungsfälle 1.2 Universitätsspitäler, Niveau 1 Case Mix Index Spezialkliniken Pädiatrie Spezialkliniken Chirurgie Grundversorgung, Niveau 5 Spezialkliniken Gynäkologie, Neonatologie Grundversorgung, Niveau 3 Grundversorgung, Niveau 4 Zentrumsversorgung, Niveau 2 0 50 000 100 000 150 000 200 000 250 000 300 000 350 000 400 000 450 000 Anzahl Behandlungsfälle Quelle: Medizinische Statistik der Krankenhäuser, BFS, 2008 Interpharma 4

siehe Begriffe Seite 3) einzuführen. Dieser soll es erlauben, die Spitalleistungen bundesweit zu vergleichen. Zwischen 2010 und 2014 sollen die heute unterschiedlichen Basisfallwerte der Bundesländer einem einheitlichen Basisfallwert-Korridor angenähert werden. Deutschland hatte das DRG-System 2003 eingeführt und berechnete den Basisfallwert in den beiden ersten Jahren für jedes Spital individuell. Zwischen 2005 und 2009 wurden die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Werte schrittweise in einen einheitlichen Basisfallwert überführt. Mit ihm schafft Deutschland in einem nächsten Schritt die Grundlage für Leistungswettbewerb, Effizienzgewinne und eine Ausdifferenzierung der Spitallandschaft. Mit der Revision der Spitalfinanzierung haben die eidgenössischen Räte den politischen Willen zum Ausdruck gebracht, dem Patienten in der Grundversicherung die freie Spitalwahl zu ermöglichen, die Leistungen der Spitäler zu vergleichen und die Ressourcen bedarfsgerechter und effizienter einzusetzen. Sollte sich bei der Implementierung von DRG in der Schweiz die Auf- fassung durchsetzen, dass kantonsweit einheitliche Baserates genügen, würde das wirtschaftliche Potenzial des DRG-Systems nicht genügend genutzt. Die für die nachhaltige Finanzierung des Schweizer Gesundheitswesens notwendigen Effizienzsteigerungen würden nicht ausgeschöpft. Der grösste Teil der Patientinnen und Patienten in Akutspitälern wird in allgemeinen Krankenhäusern behandelt. In Spezialkliniken für Chirurgie, Gynäkologie oder Pädiatrie wird nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung behandelt (siehe Grafik III). Mit einem durchschnittlichen Case Mix Index von 1,16 haben Universitätsspitäler 2008 die Behandlungsfälle mit dem höchsten Schweregrad versorgt, gefolgt von den allgemeinen Krankenhäusern und chirurgischen Spezialkliniken. In den Spezialkliniken für Gynäkologie und Neantologie hingegen wurden nicht nur weniger Fälle sondern auch weniger schwere Fälle versorgt. Aus der Grafik wird ersichtlich, dass Universitätsspitäler im Durchschnitt deutlich aufwendigere Fälle behandeln, obwohl auch sie einen Grundversorgungsauftrag haben. Interview Carlo Conti, Gesundheitsdirektor Basel-Stadt und Präsident des Verwaltungsrates SwissDRG Ist sich SwissDRG der Innovationsproblematik im DRG- System bewusst? Vom Antrag zur A bbildung einer neuen Leistung im Tarifsystem bis zu ihrer erstmaligen Vergütung können drei Jahre vergehen. Vor allem im Bereich der Innovationen entsteht somit eine Finanzierungslücke vom Zeitpunkt, in dem das innovative Produkt auf den Markt kommt, bis es in der Tarifstruktur von SwissDRG abgebildet und somit vergütet wird. Diese temporäre Finanzierungslücke gilt es zu überbrücken. Es kann nicht sein, dass Patientinnen und Patienten ein innovatives Produkt, das von Swissmedic zugelassen und auf der Spezialitätenliste figuriert, erst nach drei Jahren zugänglich ist. Ein solche Verzögerung würde von der Bevölkerung nicht akzeptiert. 5 Es braucht daher eine Sondervergütung für Innovationen, welche die systembedingte Finanzierungslücke deckt. Dieser Prozess muss rasch und unbürokratisch durchgeführt werden können. Denkbar ist z.b. der Weg, den die Deutschen gewählt haben, also die Einführung von Zusatzentgelten (ein sogenanntes «Innovationsentgelt»), oder aber ein Innovationszuschlag auf der Baserate der Universitätsspitäler. Mit einer solchen Methode würde der Zugang der Patienten zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung mit Behandlung nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen sichergestellt und ein Innovationsstopp im Spital verhindert. «Spezielle Leistungen können über entsprechende Kostengewichte höher vergütet werden.» Das System der Fallkostenpauschale deckt nicht alle medizinischen Bereiche ab. Gerade bei den spezialisierten Uni-Kliniken stellt sich das Problem, dass die hoch wirksamen Behandlungen für grundversicherten Patienten nicht aus den DRG-Pauschalen finanziert werden können. Wie beurteilt SwissDRG diese Situation?

Fortsetzung von Seite 5 Die Fallkostenpauschale deckt alle medizinischen Leistungen auch diejenigen der hochspezialisierten Medizin ab. Wie das Wort «Pauschale» jedoch schon andeutet, bilden DRG nur die Durchschnittskosten ab. Es werden also nicht die effektiven Kosten des Einzelfalls vergütet, sondern die durchschnittlichen Aufwendungen der betreffenden Fallgruppe. Spezielle (Mehr-)Leistungen können jedoch über die entsprechenden Kostengewichte höher vergütet werden. Ferner werden die Preise der DRG zwischen den Tarifpartnern verhandelt also zwischen dem Spital und den Versicherern. Auch hier hat ein Universitätsspital die Möglichkeit, die Preise ihrem Angebot entsprechend auszuhandeln. «Es braucht eine Sondervergütung für Innovationen, welche die Finanzierungslücke deckt.» Das Parlament hat den Willen bekundet, Spitalleistungen schweizweit vergleichen zu wollen und entsprechende Effizienzgewinne zu erzielen. Wird diesem Willen in der Umsetzung Genüge getan? Die Einführung von Fallpauschalen und das Modell der DRGs, die Erkrankungen und Spitalleistungen kategorisieren, sind notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Die Transparenz, die man durch ein solches System erhält, ermöglicht Vergleiche in Bezug auf die Menge, den Preis und die Qualität von Gesundheitsdienstleistungen. Die Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber und die Gesundheitspartner schaffen, sind darauf ausgerichtet, effiziente und qualitativ hochstehende Leistungserbringer zu erkennen und zu fördern. So sollen auch komplexe Leistungen an schwer kranken Patienten sachgerecht vergütet werden. Zudem können die Kantone ihre Rolle als Aufsichtsorgan, z.b. durch gezielte Leistungsaufträge auf der Basis von SwissDRG, besser erfüllen als heute. Somit können komplexere Fälle höher entschädigt werden. Was für den Einzelfall medizinisch notwendig ist, wird vom behandelnden Arzt unter Anwendung des aktuellen Wissens entschieden. Selbstverständlich ist in der Gesamtbeurteilung der Anwendung neuer Verfahren (u.a. im Rahmen der Anerkennung der Leistung als OKP-Leistung und beim Einsatz am einzelnen Patienten) den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen. Erzielt ein Spital durch den Einsatz neuer respektive innovativer Verfahren Effizienzgewinne, gehen diese zugunsten des Spitals. Impressum Herausgeber: Interpharma, VIPS, SGCI Redaktion: Interpharma, Petersgraben 35, 4003 Basel Tel. 061 264 34 00 / Fax 061 264 34 01 www.interpharma.ch