1 Soziale Sicherungssysteme in Deutschland



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Transkript:

1 Soziale Sicherungssysteme in Deutschland 1 Soziale Sicherungssysteme in Deutschland Zum Sozialstaat gehört doch, dass man sich nicht verschulden muss, wenn man eine Krankenhausbehandlung braucht! Jeder soll für sich selbst sorgen. Warum sollen die Fleißigen für die Faulen mitbezahlen? Aber warum muss man zahlen, wenn man viele der Leistungen nie in Anspruch nehmen wird? Mein Vater war vor zwei Jahren für einige Monate arbeitslos. Da waren wir ganz schön froh, dass er Arbeitslosengeld erhalten hat und wir von diesem Geld leben konnten. Bild 1.1 Was ist sozial an unserem Staat? Aufgaben 1. Was versteht man alltagssprachlich unter sozial? 2. Welche weiteren Definitionen des Begriffs gibt es? Recherchieren Sie dazu im Internet. 3. Was ist sozial am deutschen Staat? 1.1 Deutschland als Sozialstaat Das Grundgesetz legt in Artikel 20, Abs. 1 fest: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Diese Sozialstaatlichkeit ist noch an einer weiteren Stelle im Grundgesetz verankert: im Art. 28 dort wird die Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat bezeichnet. Die Ausgestaltung dieses Anspruchs ist im Grundgesetz jedoch nicht konkret beschrieben. Sie wird vom Gesetzgeber vorgenommen, da sich nicht ein für alle Mal verbindlich festlegen lässt, wie soziale Gerechtigkeit definiert werden soll. Es handelt sich somit um ein dynamisches Prinzip, das abängt von der wirtschaftlichen Entwicklung den sozialen Entwicklungen dem gesellschaftlichen Bewusstsein Ein Ziel des Sozialstaats ist es, die wirtschaftliche Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und soziale Gegensätze innerhalb der Gesellschaft auszugleichen. Das bedeutet, dass Menschen geholfen wird, wenn sie in eine Notlage, z. B. durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit, geraten sind. Gleichzeitig soll aber möglichst vermieden werden, dass solche Notlagen überhaupt entstehen. Um dies zu steuern, greift der Staat in verschiedenen Bereichen ein: durch die eigentliche Sozialpolitik, aber auch über Steuerpolitik und Arbeitsmarkt- bzw. Bildungspolitik. 2

Deutschland als Sozialstaat 1 System der sozialen Sicherung Das System der sozialen Sicherung besteht aus unterschiedlichen Leistungen und Einrichtungen, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: Fürsorgeleistungen (Wohngeld, Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe) Versorgungsleistungen (Entschädigung für Hinterbliebene von Kriegsopfern, Kindergeld, Beamtenversorgung) Versicherungsleistungen (bei Einkommensausfall, z. B. durch Arbeitslosigkeit, Invalidität, Krankheit, Mutterschaft) Jeder Mensch nimmt mehr oder weniger regelmäßig Leistungen der Sozialversicherung, z. B. der Krankenversicherung, in Anspruch. Sie zahlt bereits im Säuglingsalter für die vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen ( 5.4.3). Im Laufe des Lebens werden dann weitere Sozialversicherungen ( 1.2) bedeutsam, die auf mehreren Prinzipien basieren. 1. Versicherungspflicht: Gegen bestimmte Risiken muss Der man deutsche versichert sein. Sozialstaat Die Beiträge werden bei Beispiele des Leistungsspektrums den meisten Versicherungen von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern gemeinsam getragen. Ausnahmen gibt es z. B. für Selbstständige, geringfügig Beschäftigte oder Beamte und Soldaten. Nicht pflichtversicherte Personen haben die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern. 2. Solidaritätsprinzip: Alle Versicherten zahlen in die Versicherung ein, wobei der Beitrag vom Einkommen abhängt, nicht jedoch von der Inanspruchnahme von Leistungen. Auf diese Weise unterstützen Mitglieder, die keine oder wenige Leistungen benötigen, solche Personen, die einen höheren Bedarf haben. Eine Ausnahme stellt die Rentenversicherung dar, hier gilt das Äquivalenzprinzip, bei dem die Leistungen von den eingezahlten Beiträgen abhängig sind. Die fünf wichtigsten Säulen der Sozialversicherung sind die Krankenversicherung ( 1.2.1), Unfallversicherung ( 1.2.2), Rentenversicherung ( 1.2.3), Arbeitslosenversicherung ( 1.2.4) und Pflegeversicherung ( 1.2.5). Beiträge Steuern Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (Art. 20 Abs. 1 GG) Bürger Fürsorgeleistungen Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.) öffentliche Hand weitere Arbeitslosengeld II Sozialhilfe Wohngeld Versorgungsleistungen weitere Pensionen rgeld rngeld Kranken- Versicherungsleistungen weitere versicherung Rentenzahlungen Arbeitslosengeld I Bundeszentrale für politische Bildung, 2009, www.bpb.de Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de Bild 1.2 Der deutsche Sozialstaat Beispiele des Leistungsspektrums. 3

8 Pflegebedürftigkeit und Pflege Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte Außerhäusliche Aktivitäten Haushaltsführung (nach: www.gkv-spitzenverband.de) Pflege Bild 8.2 Viele demenzkranke Menschen finden sich in der Gegenwart nicht mehr zurecht. Sie brauchen Hilfe im Alltag. Halt und Beruhigung finden sie in der Vergangenheit. Mit dem sogenannten Pflege-Neuausrichtungs- Gesetz besteht seit dem 1. Januar 2013 für diese Patientengruppe die Möglichkeit, Pflegegeld oder Pflegesachleistungen zu erhalten (Pflegestufe 0). Dieses Gesetz gilt bis zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Für die neue Definition von Pflegebedürftigkeit gibt es verschiedene Vorschläge, die in politischen Gremien diskutiert werden. Ein Vorschlag sieht vor, die bisherige Einteilung in drei Pflegestufen auf ein fünfstufiges System umzustellen. Dabei soll nicht mehr der Zeitaufwand für personelle Hilfe erfasst werden, sondern die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen einer Person in acht pflegerelevanten Lebensbereichen: Mobilität Kognitive Fähigkeiten Verhaltensweisen und psychische Problemlagen Selbstversorgung Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen Der Begriff Pflege ist vielschichtig. Es existiert eine Vielzahl Definitionen dazu, was Pflege, besonders berufliche (professionelle) Pflege, ausmacht. Dabei hängt die Erklärung immer auch von der jeweiligen Zeit ab, denn Pflege hat sich als Beruf in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Wurde Pflege früher als Akt christlicher Nächstenliebe verstanden, so ist heute mehr und mehr von Professionalisierung die Rede. Eine moderne Definition stammt vom International Council of Nursing (ICN) und lautet in der Übersetzung: Pflege [gemeint ist die professionelle Pflege durch ausgebildete Pflegefachkräfte] umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Bild 8.3 Pflege früher und heute 182

Grundlage beruflicher Pflege: Pflegetheorien und -modelle 8 Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung. (Übersetzung durch den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, DBfK) Eine weitere, umfassende Definition liefert die Weltgesundheitsorganisation (WHO): Der gesellschaftliche Auftrag der Pflege ist es, dem einzelnen Menschen, der Familie und ganzen Gruppen dabei zu helfen, ihr physisches, psychisches und soziales Potential zu bestimmen und zu verwirklichen, und zwar in dem für die Arbeit anspruchsvollen Kontext ihrer Lebens und Arbeitsumwelt. Deshalb müssen die Pflegenden Funktionen aufbauen und erfüllen, welche die Gesundheit fördern, erhalten und Krankheit verhindern. Zur Pflege gehört auch die Planung und Betreuung bei Krankheit und während der Rehabilitation, und sie umfasst zudem die physischen, psychischen und sozialen Aspekte des Lebens in ihrer Auswirkung auf Gesundheit, Krankheit, Behinderung und Sterben. Pflegende gewährleisten, dass der einzelne und die Familie, seine Freunde, die soziale Bezugsgruppe und die Gemeinschaft gegebenenfalls in alle Aspekte der Gesundheitsversorgung einbezogen werden, und unterstützen damit Selbstvertrauen und Selbstbestimmung. Pflegende arbeiten auch partnerschaftlich mit Angehörigen anderer, an der Erbringung gesundheitlicher und ähnlicher Dienstleistungen beteiligten Gruppen zusammen. (WHO, 1993, S. 15) Aufgaben 1. Pflegende Angehörige sind der größte ambulante Pflegedienst in Deutschland Diskutieren Sie diese Aussage in Kleingruppen. 2. Wie lassen sich professionelle Pflege und Laienpflege voneinander unterscheiden? Theorien sind ein System von Aussagen zur Erklärung von Sach verhalten. Die elementaren Bausteine einer Theorie sind theoretische Begriffe, die durch Aussagen über deren Beziehung zueinander ( ) miteinander verbunden sind. (nach: Bartholomeyczik Lexikon der Pflegeforschung) Theorien sind somit in der Lage, Phänomene, z. B. Angst, Schmerz, Ruhelosigkeit, zu beschreiben, Beziehungen zwischen Phänomenen zu erklären und aus diesen Erklärungen Handlungsanweisungen für die Praxis abzuleiten. Die Theorien, die in der Pflege verwendet werden, können direkt aus der Pflege stammen, z. B. von Pflegetheoretikern. Zudem werden in der Pflege auch Theorien aus anderen Wissenschaften verwandt, z. B. aus der Psychologie oder aus der Sozialwissenschaft. In diesen Fällen spricht man von Bezugswissenschaften. Die Theoriephase setzte in den USA in den 1950er Jahren und damit wesentlich früher ein als in Deutschland. Dementsprechend wurden Ergebnisse aus der Pflegeforschung in den USA ebenfalls schon erheblich länger in der Praxis berücksichtigt als es in Deutschland der Fall war. Dafür war es Pflegewissenschaftlern und -theoretikern außerhalb der USA möglich, aus den dort gemachten Erfahrungen zu lernen. Die Frage Was ist Pflege? spielte zu Beginn der Theoriephase die größte Rolle. Bei dem Versuch, die Aufgaben und Ziele von Pflege abzustecken, haben sich vier Schwerpunkte gebildet. Bedürfnistheorien Interaktionstheorien Humanistische Theorien Ergebnistheorien 8.1 Grundlage beruflicher Pflege: Pflegetheorien und -modelle Theorien und Modelle gibt es in jedem Bereich des Lebens: als Alltagstheorien über andere Menschen oder Kulturen oder als Modelle, die ein reduziertes Abbild der Wirklichkeit liefern. Auch in der Pflege gibt es diese Theorien und Modelle, man spricht von Pflegetheorien. So definiert Sabine Bartholomeyczik, eine deutsche Pflegewissenschaftlerin, den Begriff Theorie wie folgt: Bild 8.4 Modelle erleichtern das Verständis eines Sachverhaltes: der Aufbau eines Moleküls erleichtert das Verstehen dessen Funktion 183

12 Die Haut 12 Die Haut Bild 12.1 Wohl an keinem anderen Organ lässt sich das Alter eines Menschen so schnell ablesen wie an der Haut. Für Frau Kunkel, 85 Jahre alt, ist heute ein besonderer Tag: Sie hat Besuch von ihrem ersten Urenkel. Fünf Wochen ist der Kleine jetzt alt. Besonders fasziniert ist Frau Kunkel von seiner zarten und makellosen Haut und den dunklen weichen Haaren. Wie sehr sich die Haut eines Menschen doch im Laufe der Jahre verändert: Ihre Haare sind weiß, die Haut ist faltig und trocken, mit vielen Altersflecken. Aber was macht die Haut nicht alles mit, ein ganzes Leben lang. Aufgaben 1. Welchen Umwelteinflüssen ist Ihre Haut täglich ausgesetzt? 2. Beurteilen Sie die Haut Ihrer eigenen Hände und die anderer Personen aus Ihrem Umfeld hinsichtlich Beschaffenheit, Farbe, Spannungszustand. Protokollieren Sie Ihre Beobachtungen. 3. Recherchieren Sie Pflegegrundsätze gesunder Haut in verschiedenen Altersstufen. Die Haut ist die äußere Hülle des Menschen. Sie ist zwar sehr dünn, wiegt aber durch ihre große Fläche beim Erwachsenen mehrere Kilogramm (der Durchschnittsmann hat eine Körperoberfläche von gut 1,7 m 2 ). Die Haut besteht aus Ober- und Lederhaut, welche die Haut im engeren Sinne bilden, und der Unterhaut. Hinzu kommen die Hautdrüsen, Haare und Nägel als Hautanhangsgebilde. Die Haut schützt den Körper vor vielerlei Umwelteinflüssen, verhindert das Eindringen von Krankheitserregern und bewahrt den Körper vor dem Austrocknen und Auskühlen. Außerdem nimmt sie Tast-, Druck-, Schmerz-, Kälte- und Wärmereize auf. 12.1 Die Hautschichten 12.1.1 Die Oberhaut Äußerste Hautschicht ist die Oberhaut, auch Epidermis genannt. Sie ist 0,1 0,5 mm dick. Nur an den stark beanspruchten Fußsohlen und in den Handinnenflächen ist sie mit etwa 0,8 1,5 mm etwas dicker. Die Oberhaut besteht aus mehreren Schichten. Sie erneuert sich ständig. Die Zellen entstehen bei der Zellteilung in den untersten Zelllagen der Oberhaut, der Basalzellschicht. Die neuen Zellen drücken die älteren nach außen in Richtung Hautoberfläche. In der Basalzellschicht liegen außerdem Melanozyten, die den dunkelbraunen Farbstoff Melanin bilden. Er schützt vor intensiven Sonnenstrahlen, vor allem UV-Strahlen. Über wie viel Melanin ein Mensch verfügt, hängt vom Hauttyp ab sowie von der augenblicklichen Sonneneinstrahlung. Je dunkler die Haut ist, desto mehr Melanin ist vorhanden. Abwehrzellen schützen vor dem Eindringen von Krankheitserregern. Spezialisierte Zellen und freie Nervenendigungen nehmen Berührung, Druck, Juckreiz, Schmerz, Hitze und Kälte wahr. Nicht zuletzt kann in der Basalzellschicht bei genug Sonnenlicht eine Vorstufe des Vitamin D gebildet werden. Zur Oberfläche hin verhornen die Zellen, sterben ab und bilden an der Hautoberfläche die Hornschicht, eine mechanische Barriere zur Außenwelt. Die Oberhaut ist also ein mehrschichtiges verhorntes 254

Die Hautschichten Plattenepithel. Schließlich lösen sich die Zellüberreste als weißliche Hornschuppen von der Haut oberfläche ab. Durchschnittlich 28 Tage dauert es, bis eine neu gebildete Zelle abgestoßen wird. 12.1.2 Die Lederhaut Unter der Oberhaut liegt die etwa 1 mm dicke Lederhaut (Korium). Sie ist durch zapfenartige Vorstülpungen, die Papillen, mit der Oberhaut verzahnt. Die Lederhaut enthält Blutgefäße (und damit Abwehrzellen), Talgdrüsen, Nerven und Tastkörperchen zur Wahrnehmung von Berührungen. Durch ihre Bindegewebsfasern ist die Lederhaut gleichzeitig reißfest und elastisch. Das Bindegewebe der Lederhaut ist ein guter Flüssigkeitsspeicher. Dadurch hat die Haut immer einen gewissen Spannungszustand. Bei Wassermangel nimmt die Hautspannung (Hautturgor) ab, die Haut wird faltig. Ober- und Lederhaut bilden zusammen die Haut (Kutis). Pore 12 12.1.3 Die Unterhaut Die Unterhaut (Subkutis) besteht vorwiegend aus Fettgewebe und lockerem Bindegewebe, das die Haut verschieblich macht. Darüber hinaus enthält sie Schweißdrüsen, Haarwurzeln und Tastkörperchen für Druck und Vibration. Das Unterhautfettgewebe dient vor allem als Speicherfett. An Bauch, Hüften und Gesäß können die Fettpolster bis zu 10 cm dick sein. Außerdem schützt das Unterhautfettgewebe aufgrund seiner schlechten Wärmeleitung als Isolationsfett den Körper vor dem Auskühlen. 12.1.4 Die Blut- und Nährstoffversorgung der Haut Zahlreiche Blutgefäße versorgen Leder- und Unterhaut. Die nicht durchblutete Oberhaut erhält ihre Nährstoffe aus den haarfeinen Kapillaren der Lederhaut durch Diffusion. feinste Blutgefäße (Kapillaren), dazwischen Lymphkapillaren Nervenendigungen Oberhaut Papillen Hornschicht Lederhaut Basalzellschicht Talgdrüse Haarfollikel Unterhaut Schweißdrüse Nervenfaser Vene Unterhautfettgewebe Arterie Lymphgefäß Bindegewebe Bild 12.2 Die Haut besteht aus Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut. Ober- und Lederhaut bilden dabei die Haut im engeren Sinne. Zur Haut gehören außerdem die Hautanhangsgebilde, also Drüsen, Haare und Nägel. HT4595.indb 255 255 21.05.2014 09:39:53

Haut, Sonne und Hautkrebs 12 12.5 Internetadressen Link www.gbe-bund.de www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/weitere-tumorarten/hautkrebs.php www.ec.europa.eu/consumers/sectors/cosmetics/cosmetic-products/sunscreen-products/index_de.htm www.bfr.bund.de/de/das_bundesinstitut_fuer_risikobewertung bfr_-280.html Beschreibung Gesundheitsberichterstattung Themenhefte, November 2002: Informationen zur Schuppenflechte Deutsches Krebsforschungszentrum: Informationen zu den verschiedenen Hautkrebsarten Europäische Kommission: Gesundheit und Verbraucher Informationen zu Sonnenschutzmitteln Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Gesundheitliche Bewertung von kosmetischen Mitteln Aufgaben 1. Erklären Sie, welche Bedeutung Melanozyten für Hauttyp und Hautfarbe haben. 2. Erläutern Sie die Zusammensetzung sowie die Funktion des sog. Säureschutzmantels der Haut. 3. Mit einfachen Experimenten lassen sich die folgenden Aufgaben/Funktionen der Haut im wahren Sinne des Wortes sichtbar bzw. spürbar machen: Temperaturregulation, Schweißproduktion Talgproduktion Sinnesorgan Mit den folgenden Materialien können Sie den Nachweis der Funktionen erbringen: 1 durchsichtige Plastiktüte 1 Gummiband Alufolie Lupe Tuch zum Verbinden der Augen Schleifpapier unterschiedlicher Körnung Ihre Aufgaben: a) Probieren Sie die Materialien in Kleingruppen aus. Mit welchen Materialien lässt sich welche Funktion verdeutlichen? Entwickeln Sie selbst die entsprechenden Kurzanleitungen für die Experimente. b) Tauschen Sie diese in Ihrer Lerngruppe aus und bewerten Sie, welche Anleitung zu den eindrucksvollsten Ergebnissen führt. Achten Sie bei der Formulierung der Anleitungen auf aussagekräftige und unmissverständliche Formulierungen. 4. Sie sollen im Rahmen einer Informationsveranstaltung für pflegende Angehörige ein Kurzreferat (ca. 10 Min) halten. Ihr Thema lautet: Dekubitusprophylaxe die hohe Kunst der Pflege. a) Erarbeiten Sie eine Gliederung für die Umsetzung dieses Themas. Berücksichtigen Sie auch praktische Hinweise für die tägliche Pflegearbeit. b) Halten Sie Ihren Kurzvortrag im Anschluss vor Ihrer Lerngruppe. 5. Beschreiben Sie Krankheitsentstehung, Symptomatik und Hautpflege bei Neurodermitis. 6. Vielen fällt es schwer, den Zustand oder das Aussehen (des Körpers, der Haut etc.) aussagekräftig zu beschreiben. Dies ist in den Berufsfeldern der Medizin und Pflege allerdings eine wichtige Fähigkeit. Den Zustand der Haut beispielsweise kann man auch mit treffenderen Adjektiven als nur rot, komisch und anders als sonst beschreiben. Erstellen Sie in Ihren Unterlagen ein Wortfeld mit Adjektiven zum Zustand der Haut (S. 264). Nutzen Sie als Anregung die Beschreibungen von Hauterkrankungen in diesem Kapitel. 263

12 Die Haut blass gerötet gepflegt Zustand der Haut 7. Es gibt noch andere Hauterkrankungen, von denen Sie sicher schon gehört haben. a) Informieren Sie sich in geeigneter Fachliteratur zu den aufgelisteten Erkrankungen. b) Übertragen Sie die Tabelle in Ihre Unterlagen und vervollständigen Sie sie mit den fehlenden Informationen. Erkrankung Ursache, Erreger Aussehen, Beschreibung Besonderheiten Erysipel (Wundrose) Streptokokken in der Lederhaut Die Haut ist in einem scharf umgrenzten Gebiet leuchtend rot, oft druckschmerzhaft Ist oft mit Fieber, Schüttelfrost und Kopfschmerzen verbunden Abszess (Eitergeschwür) Follikulitis (eitrige Haarbalgentzündung) Furunkel (eitrige Entzündung von Haarfollikel und Talgdrüse) Nagelpilz Candidose (Soor) 264

Aufgaben 12 8. Informieren Sie sich über die Merkmale verschiedener Schweregrade von Verbrennungen sowie die Bedeutung der Neuner-Regel. 9. Die UV-Schutz-Verordnung dient dem Schutz der Nutzer von Solarien. Informieren Sie sich über die Einzelheiten der Verordnung und halten Sie Informationen zu folgenden Aspekten schriftlich fest: Altersbeschränkung der Solariennutzer Aufgaben, Pflichten und Qualifikation von Solarien-Fachpersonal Informationspflichten gegenüber den Nutzern Technische Ausstattung der Geräte Geltungsbereich der Verordnung Kontrolle der Einhaltung der UV-Schutz- Verordnung 10. Erklären bzw. übersetzen Sie die folgenden Fachbegriffe: Epidermis Dekubitus Dermatomykose Herpes zoster Psoriasis Basaliom Melanom 265