AKTUELLES "Das Schlimmste, was ich gesehen habe" - 31.08.2011

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DAS KATHOLISCHE PORTAL FÜR DEN DEUTSCHEN SPRACHRAUM Die Woche im Überblick - jetzt auch als Newsletter! Hier anmelden: redaktion@explizit.net AKTUELLES "Das Schlimmste, was ich gesehen habe" - 31.08.2011 Sie verschwindet immer mehr aus dem Fokus der Medien und doch ist das Schlimmste längst nicht vorbei. Die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika dauert an. Angelika Mendes vom Jesuit Rescue Serviece (JRS) sprach mit Pater Frido Pflüger, der für die Jesuiten seit 2003 in Ostafrika am Aufbau eines Schulsystems arbeitet. P. Pflüger im Kakuma Camp in Kenia Herr Pater Pflüger, Sie sind soeben aus Dollo Ado in Äthiopien zurückgekehrt: Wie haben Sie die Situation vor Ort, das Ausmass der Dürre und ihre Auswirkungen für die Menschen erlebt? Pflüger: Es war das Schlimmste, was ich in meinem Leben gesehen habe. Tausende von Kindern leben in Lagern in einer wüstenähnlichen Umgebung, die heiss und staubig ist, die Zelte befinden sich zwischen dornigen Sträuchern und die Kinder schauen aus den Zelten und haben nichts zu tun. Die Lager sind wie kleine Städte, kleine Städte voller Kinder. Es gibt zu essen und es gibt etwas Wasser, aber sonst fast nichts. Die Region ist sehr windig, und wenn der Wind stark aufbraust, wirbelt er den Sand auf, und man kann kaum weiter als 10 Meter sehen. Und diese Menschen leben dort. In den Lagern sind fast keine Männer, die meisten Familien sind Familien von allein stehenden Müttern. Die Männer sind entweder tot oder verschwunden, oder sie sind in Somalia geblieben, um sich um ihre Viehherde zu kümmern, oder sie wurden von Al-Shabaab rekrutiert, oder ihnen ist die Ausreise aus dem Land verweigert worden. Frauen und Kindern dürfen das Land verlassen. Aber es ist herzzerreißend, all diese tausenden und abertausenden von Kindern zu sehen, die keine Beschäftigung haben. Wie sind die Bedingungen in den Flüchtlingslagern? Pflüger: Die Lage ist schwierig. In der Region von Dollo Ado gibt es jetzt vier Lager, die nacheinander errichtet wurden. Die ersten beiden Lager, Bokolmayo and Melkadida, wurden 2009 bzw. 2010 errichtet; sie sind daher ein wenig weiter entwickelt. Das dritte Lager, Kobe, wurde vor wenigen Monaten errichtet und das vierte, Helawen, wurde erst am 4. August 1 von 5 29.08.12 19:52

eröffnet. Derzeit leben etwa 120.000 Flüchtlinge in der Region Dollo Ado. Etwa 75% der Neuankoemmlinge sind unterernährt und zusätzlich durch Krankheiten wie Masern und Durchfall bedroht. Die meisten Hilfsorganisationen haben erst vor ein paar Wochen angefangen in Dollo Ado zu arbeiten und koennen bisher eine Grundversorgung an Nahrung und medizinischer Hilfe sicherstellen. Die Region, in der sich die Lager befinden, ist vollkommen trocken und wüstenähnlich. Glücklicherweise führt der Genale-Fluss genug Wasser, das aufbereitet wird und die vier Lager versorgt. Als wir vergangenen Dienstag das Durchgangslager besuchten, waren dort immer noch mehr als 12.000 Flüchtlinge untergebracht. Sie haben dort über Wochen ihr Zelte aufgeschlagen, und werden nun bald nach Helawen übergesiedelt. Das Durchgangslager wird daher bald leer sein, auch weil die Zahl der täglich ankommenden Flüchtlinge stark zurückgegangen ist, von 1,700 im Juni bis auf 100-140 im August. Uns wurde gesagt, dass die Somalis ihre Ältesten vorausgeschickt haben, um die Lage in Kenia und Äthiopien zu bewerten und sie fanden die Lage in den kenianischen Lagern besser als in den äthiopischen; daher raten sie den Menschen, nach Dadaab (Nordost-Kenia) zu gehen, was eine enorme Belastung für Dadaab bedeutet. Und sie können nichts tun. Meinem Eindruck nach ist die Lage in Helawen am schlimmsten. Da das Lagwer erst letzten Freitag eröffnet wurde, gibt es noch überhaupt keine Infrastruktur. Dort sind reihenweise Zelte und in jedem Zelt viele Kinder. Mehr als 80 % der Flüchtlinge sind Kinder unter 18 Jahren. Es ist eine felsige Region mit einigen dornigen Büschen; es gibt keinen Schatten und keinen Platz, wo Kinder spielen könnten. Es ist sehr bedrückend, ihre Situation zu sehen. Sie haben viel gesehen: Was hat Sie persönlich am meisten bewegt? Pflüger: Am meisten hat mich beeindruckt - und es ist wirklich sehr traurig und berührend - wie riesig die Zahl der Kinder in den Lagern ist. Überall sind Kinder! Und was mich am meisten erstaunt hat: man grüßt die Kinder, und sie lächeln dich freundlich an, schauen dich mit offenen Augen an. Viele brauchen eine Spezialtherapie wegen ihrer Unterernährung. Einige Organisationen arbeiten sehr hart daran, sicherzustellen, dass die Kinder, besonders die unterernährten, ausreichend Nahrung bekommen. Es ist eine unglaubliche Situation, kaum zu beschreiben. Was war das Ziel Ihrer jüngsten Reise? Was haben die Treffen mit dem UNHCR und den Regierungen ergeben? Pflüger: Das Ziel meiner Reise war Dollo Ado in Südost - Äthiopien. Die Treffen mit der äthiopischen Regierung und dem UNHCR haben ergeben, dass JRS bald anfangen wird den somalischen Flüchtlingen in Dollo Ado zu helfen, und zwar durch Bildung, psycho-soziale Unterstützung und Beratung. Unser Einsatz dort wurde sehr willkommen geheißen. Als Aussenstehender fragt man sich: Warum verbessert sich die Situation trotz seit Wochen anlaufender Hilfe und Milliardenspenden nicht? Immerhin sind die Dürren am Horn von Afrika schon seit Jahrzehnten ein Thema. Was ist das Problem? Pflüger: Ein Problem ist natürlich die Überlappung zweier Ursachen: die Dürre und der Krieg in Somalia. Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar. Und das ist nicht die Schuld derer, die jetzt darunter leiden. Die Dürre in Äthiopien und Kenia ist aber größtenteils selbstverschuldet, weil die beiden Länder keine effektive Vorsorge treffen, obwohl es ja ein fast jährliches Ereignis ist. In manchen Gegenden Kenias verrotten zur Zeit die Nahrungsmittel auf den Feldern, weil es keine Transportmöglichkeiten gibt. Langfristige Planungen kennen diese Regierungen nicht, da es ja auch viel einfacher ist, um Geld zu betteln, wenn die Menschen schon am hungern sind. Manchmal werden ja sogar die 2 von 5 29.08.12 19:52

Hilfslieferungen von korrupten Beamten gestohlen. Das Problem sind letztlich die am Wohlergehen des Volkes desinteressierten Regierungen. Andererseits sind die Menschen aber jetzt da und leiden und sterben. Die jetzt ankommenden Hilfen zeigen ja auch schon positive Auswirkungen, z.b. erhalten die unterernährten Kinder in den Lagern Nahrung und medizinische Versorgung, die Menschen in den Lagern überleben zumindest. Wie engagiert sich der JRS vor Ort? Wo? In welchem Ausmaß? Pflüger: JRS ist seit vielen Jahren in der Region Ostafrika tätig. Wir haben Projekte in Kenia, Uganda, Äthiopien, im Südsudan und im Sudan. Unser Schwerpunkt liegt auf Bildung, Nothilfe für Flüchtlinge und Asylbewerber in der Städten, psycho-sozialer Hilfe und Friedensarbeit. In Äthiopien sind wir schon seit 28 Jahren. Der Fokus liegt auf der Hilfsarbeit für Flüchtlinge aus Somalia: Warum hat es die Menschen dort besonders hart getroffen? Pflüger: Der Konflikt in Somalia trägt Schuld an der derzeitigen Situation. Somalia hat seit dem Sturz von Präsident Siad Barre 1991 keine funktionierende Regierung und die Wirtschaft liegt völlig brach. Hilfsorganisationen haben keinen Zugang zum Süden des Landes, der von Al-Shabab Milizen kontrolliert wird. Letztes Jahr zwang die Islamistengruppe westliche Hilfsorganisationen den Süden des Landes zu verlassen. Erst jetzt, wo 3,7 Millionen Somalis akut von Hunger bedroht sind, haben die Milizen externe Hilfe wieder zugelassen. Doch diese Bereitschaft muss erst erprobt werden. Viele Organisationen zögern, aufgrund der Komplikationen und Gefahren, die es mit sich bringt, mit einer brutalen und in Verbindung mit Al Qaeda stehenden militanten Gruppe zu verhandeln. Ich habe gelesen, dass der JRS sein Hilfsangebot ausbauen und neue Projekte beginnen will: Wie dürfen wir uns das vorstellen? Pflüger: Ja, JRS muss sehr schnell handeln, denn es ist unsere Verpflichtung, den Ärmsten der Armen zu helfen. Und sie haben wir in diesen Lagern gesehen. Da dort so viele Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind, denke ich, müssen wir Schulen errichten; das ist die beste Weise, eine förderliche Umgebung für sie zu schaffen. Wenn die Kinder in der Schule sind, haben sie etwas Sinnvolles zu tun und sind in Sicherheit. Die Ausbildung gibt ihnen zudem eine Perspektive für die Zukunft. Mein Eindruck ist, dass die Somalis lange in diesen Lagern bleiben werden, falls die Lage in Somalia sich nicht ändert. Und im Moment sieht es nicht danach aus, als würde sie sich schnell verbessern. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir in Ausbildung investieren. Die Grundschule wird von ARRA [Behörde für Flüchtlinge und Rückkehrer der äthiopischen Regierung] geleitet. Daher sollte JRS eine Mittelschule in einem der etwas besser etablierten Lager Bokolmayo oder Melkadida organisieren, wo die Zahl der Kinder ebenso hoch ist. Wir sollten so schnell wie möglich beginnen. In der Umgebung der Lager gibt es keine Mittelschule, außer in Dollo Ado. Bokolmayo und Melkadida sind etwa 100 bzw. 65 km von Dollo Ado entfernt. Um der Jugend zu helfen, sollten wir auch beginnen, weitere Aktivitäten zur psycho-sozialen Unterstützung anzubieten, etwa Sport und Theater, sodass sie während des Tages etwas Sinnvolles zu tun haben. Wir sollten auch eine Art psychologisches Beratungssystem einrichten, um Flüchtlinge als Berater auszubilden, die dann in die verschiedenen Gruppierungen im Lager hineinwirken können. Aufgrund all der Gewalt, die diese Menschen erlebt haben, wird es sehr wichtig für sie sein, diese Art von Unterstützung zu erhalten. ARRA betreibt schon eine Grundschule für die ersten fünf Jahrgänge mit mehr als 1.600 Schülern im Bokolmayo Lager. Etwa fünfzig Schüler, die das fünfte Jahr abgeschlossen haben, besuchen die örtliche Grundschule, um das sechste bis achte Jahr zu absolvieren. Aber für danach gibt es keine Perspektive. 3 von 5 29.08.12 19:52

Wenn JRS eine Mittelschule errichtet, werden wir auch Schüler der örtlichen Bevölkerung aufnehmen. Dies ist immer ein großer Vorteil, weil es die Beziehung zwischen den Flüchtlingen und der örtlichen Bevölkerung verbessert. Und es ermöglicht beiden Seiten, einander kennen zu lernen. Flüchtlinge und einheimische Schüler können miteinander sprechen; sie sprechen zwar unterschiedliche Dialekte der somalischen Sprache, aber sie können einander verstehen; und der Unterricht in der Mittelschule wird in jedem Fall auf Englisch gehalten. Wir werden auch in Betracht ziehen, Internatsplätze für Schüler vom Melkadida Lager zu schaffen, das etwa 30 km entfernt ist. Die dortige Grundschule ist noch im Bau, doch wir wurden informiert, dass im Lager auch Jugendliche sind, die die Grundschule in Somalia absolviert haben. Möglicherweise können wir auch ARRA helfen, weitere Grundschulen in den anderen beiden Lagern, Kobe und Helawen, zu bauen, denn es gibt dort so viele Kinder und noch überhaupt keine Schule. Warum pocht der JRS so sehr auf Bildung? Gibt es nicht vordringlichere Probleme wie Hygiene, fließend Wasser, usw. in den Auffanglagern? Pflüger: Ja, natürlich, die dringlichsten Probleme sind zunächst Ernährung, Gesundheit, Hygiene. Das muss als erstes gesichert werden, damit die Menschen überleben. Der JRS ist eine zu kleine Organisation, diese riesigen Probleme zu schultern. Daher fordern wir dazu auf, die großen Hilfsorganisationen zu unterstützen, die hier große Erfahrungen besitzen. Die Menschen leben aber auch ihr Leben in den Lagern, sie sind da mit unsäglichen Problemen und Erfahrungen belastet. Wer kümmert sich darum? Wir werden daher Beratungsmöglichkeiten aufbauen, psycho-soziale Betreuung. In Dollo sind über 80 % Kinder. Was können sie den ganzen Tag über tun, Wochen, Monate, Jahre lang? Das Sinnvollste, was man Kindern und Jugendlichen in solchen Extremsituationen anbieten kann, ist Bildung. Eine Schule strukturiert das Leben der Kinder, gibt ihnen Inhalt und sinnvolle Beschäftigung, fast eine Art Normalität. Schule eröffnet auch den Blick in die Zukunft. Und zugleich sind die Kinder in der Schule in einem geschützten Raum, den ein Lager insgesamt nicht bieten kann. Wie soll sich der industrialisierte Norden verhalten? Angesichts der seit Jahrzehnten ungelösten Probleme in Afrika: Was können wir über Spenden hinaus tun, das wirklich hilft? Pflüger: Ein großer Teil dieser Probleme ist natürlich vom Norden mitverschuldet. Seit Jahrzehnten unterstützen wir aus eigennützigem Interesse korrupte Regierungen und autoritäre Machthaber, die in ihre eigenen Taschen wirtschaften. Wir schicken Geld, ohne nach einer ordentlichen Abrechnung zu fragen, ohne gleichzeitig damit Forderungen in Richtung Demokratisierung und guter Regierungsförderung zu stellen und diese Forderungen auch zu überprüfen. Hier sind unsere Regierungen gefordert. Auch in diesen extremen Notsituationen sollten die westlichen Regierungen eher die bewährten nichtstaatlichen Hilfsorganisationen als die Regierungen dieser Länder unterstützen, weil sie nicht verlässlich sind. Jede jetzt notwendige Unterstützung muss begleitet sein von Kontrollmassnahmen und der Auflage, längerfristig zu planen. Solche Massnahmen sind: Einführung neuer Getreide- und Nahrungsmittel, die weniger Wasser brauchen und dürreresistent sind, Anleitung der Viehhüter, auch anzupflanzen statt nur Tiere zu halten, Anlegen von Wasserreservoiren und Irrigationssystemen, denn jetzt schon werden z.b. in Kenia Gebiete überschwemmt, die vorher unter langer Trockenheit litten. Das bedeutet natürlich, dass die Menschen angeleitet werden müssen, Ernährungstraditionen zu ändern und sich zu öffnen für neue Formen der Ernährung. Aschendorff Verlag, Münster 4 von 5 29.08.12 19:52

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