Fördern in Schulen des Sekundarbereiches I am Beispiel der Lese-Rechtschreibförderung



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1 PÄD Forum Heft 2/2006 Themen: Fördern und was dazu gehört Urte Wehrhahn Hannover Fördern in Schulen des Sekundarbereiches I am Beispiel der Lese-Rechtschreibförderung Der Schulerfolg hängt von einer gesicherten Lese-Rechtschreibkompetenz ab. Was kann eine Schule im Sekundarbereich I tun, um den Schülerinnen und Schülern mehr Sicherheit im Lesen und Schreiben zu vermitteln? Wie wird diese Herausforderung zu einer Dimension der Unterrichts- und Schulentwicklungsarbeit? Welche Unterstützung benötigen die Lehrerinnen und Lehrer? Zur Förderung von Lese- und Rechtschreibkompetenz im Sekundarbereich I Die frühzeitige Förderung von leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern ist eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre, auch um den Zusammenhang zwischen dem Kompetenzniveau im Lesen und Schreiben und der sozialen Herkunft zu verringern. Bis die Wirkungen einer frühzeitigen Förderung in Schulen des Sekundarbereichs I erfahrbar werden, stehen Schulen vor der Aufgabe, Entwicklungsdefizite und Lern- und Leistungsdefizite bei Schülerinnen und Schülern mit Risikoprognose zu kompensieren und zugleich das vorgesehene Curriculum zu vermitteln. Dabei - so die Vorgaben der KMK und der verschiedenen Kultusminister der Länder - sollen künftig Bildungsstandards die Arbeit orientieren. An unserer Schule, einer Gesamtschule in Hannover in einem benachteiligten Quartier, litt die Qualität des Unterrichts in allen Fächern an der unzureichenden Lese-Rechtschreibkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Diese Schwächen konnten nicht durch extern bereit gestellten Förderunterricht kompensiert werden. Die Erkenntnis wuchs, dass in unserer Schule insgesamt anders gearbeitet werden muss. Wir gehen von der Annahme aus, dass durch die individuelle Förderplanung und einen systematischen Wissensaufbau im Schreiben und Lesen Leistungsrückstände aufgeholt werden können. Implementation diagnostischer Prozesse in die Arbeit der Lehrkräfte an unserer Schule Wir führten im Schuljahr 2003/04 das Konzept der individuellen Förderplanung ein. Es richtet sich sowohl an leistungsschwache, als auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, (zunächst) der 5. und 6. Schuljahrgänge. Das Konzept wird entfaltet für die Individuen, den Unterricht und die Institution und für verschiedene Bereiche konkretisiert wie den Übergang von der Grundschule zur SEK I, die unterrichtsbegleitende pädagogische Beobachtung und Förderung sowie für spezifische Aufgaben, z.b. Schwierigkeiten im Lernen (siehe Abb.1). Dabei geht die Schulleitung mit den Lehrkräften von dem Verständnis aus, dass die Professionalisierung der Lehrkräfte, Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung eng miteinander verknüpft werden müssen. Individuelle Förderung und Differenzierung wird zum Unterrichtsprinzip erklärt. Das bedeutet, dass alle Lehrkräfte, nicht nur einzelne Förderlehrkräfte oder die Deutschlehrer, die Verantwortung für die Förderung übernehmen. Zugleich beginnen die Lehrkräfte, ihr Vorgehen zu dokumentieren.

2 Individuum Schüler, Schülerin Übergänge Übergabekonferenzen mit Grundschullehrkräften sowie ein Lehrer- als auch Elternfragebogen; Unterrichtsbegleitende pädagogische Beobachtung Lernfahrpläne der Schülerinnen und Schüler Lernkontrakte Spezifische Anlässe Kooperative Lernbegleitung Individuelle und ausführliche Förderplanerstellung Ressourcenlandkarte Unterricht Screeningverfahren : Überblick über Lernstände der Schüler und Schülerinnen verschaffen: HST, HSP, Beobachtungen Beobachtungen im Psychomotorikunterricht Institution Kooperation hinsichtlich Schule Fragestellung zur Professionalisierung von Lehrkräften für die Umsetzung von individueller Förderplanung Lernstandserhebungen, Fehleranalysen Kooperative Zusammenarbeit mit Eltern und Schüler/Schülerin Planungsarbeit unter Berücksichtigung der ökonomischen (finanzielle Ausstattung) und ökologischen Ressourcen der Institution Schule (Personelle, räumliche und materielle Bedingungen z.b. Förderstunden, Schulumfeldbedingungen, Klassensituationen): Horizontale sowie vertikale Kommunikationsstrukturen nutzen oder schaffen Transparenz im Kollegium schaffen; Zielvereinbarungen klären; Prozesssteuerung installieren Professionalisierungsbedarf: Fortbildung: Diagnostische Kompetenz; Förderplanungskompetenz; Teamfähigkeit, Beratungskompetenz Implementation von Förderplanung in den Unterricht Kooperation mit anderen Professionen: Lerntherapeuten, Sonderpädagogen, Schulpsychologen etc. Teamstruktur im Jahrgang; Beteiligung aller Lehrer des Jahrgangs Abb.1: Veränderte Tabelle nach Werning gemäß der Umsetzung an unserer Schule der Schule Die Stärke des Konzepts liegt darin, dass nicht die einzelne Lehrkraft das Instrument der individuellen Förderplanung und Lerndokumentation erprobt, sondern es in einem entwicklungsoffen angelegten Konzept zum Bestandteil der Schulentwicklungsarbeit an der Einzelschule wird. Sukzessive werden alle Lehrkräfte ab dem 5. Jahrgang durch passende Teamstrukturen beteiligt. Regelmäßige Evaluation belegt, was erreicht wurde und welche Verbesserungen vorgenommen werden müssen.

3 Schrittweises Vorgehen Die Entwicklung eines Konzepts zur Dokumentation der individuellen Förderplanung sollte zuerst auf der Schulleitungsebene gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe konzeptionell geplant werden. Die notwendigen Entwicklungsschritte sind auf den horizontalen und vertikalen Kommunikationsebenen in der Institution zu diskutieren, zu klären und zu modifizieren, bis die Rahmenbedingungen und die Zielsetzungen passend sind. Alle Lehrkräfte können ihre Ideen und Bedenken in die konzeptionelle Arbeit der Planungsgruppe einbringen. Dann delegiert die Schulleitung die Moderation oder die Steuerung des Vorhabens an eine Expertin oder einen Experten. Die Aufgabenbeschreibung, die Rolle und die Qualifikationen müssen stimmig und dem Kollegium transparent sein. Die Lehrkräfte jedes neuen 5. Jahrgangs sind bezogen auf die Prinzipien der individuellen Förderplanung fortzubilden. Im diesem Prozess sind Multiplikatoren auszubilden. Dafür entwickeln Schulleitung und Experten in einer weiteren Arbeitsgruppe die passenden Teamstrukturen. Das Konzept wird also von einer schulinternen Expertengruppe im Unterricht begleitet, beraten und gesteuert. Diagnostik und Förderplanung Am Beispiel der Lese-Rechtschreibförderung lassen sich die Prinzipien des Diagnostizierens und der individuellen Förderplanung erlernen. Zuerst wird die Lernausgangslage aller Schüler (Screeningverfahren), die in die fünfte Klasse eingeschult werden, untersucht. In dieser Erhebung kommt ein sorgfältig ausgewähltes umfängliches Instrumentarium zum Einsatz: ein Schulleistungstest (bei uns: HST (Mietzel/Willenberg 2000) mit den Kategorien: Sprachverständnis, Leseverständnis, Rechtschreibwissen, Informationsentnahme aus Karten und Diagrammen sowie Mathematik), die Hamburger Schreibprobe (HSP) (May 2002) und je ein Elternfragebogen und Lehrerfragebogen für die Kollegen aus den Grundschulen. Es können Entwicklungsprofile erstellt und mit den Beobachtungen der Grundschulkollegen als auch denen der neuen Lehrkräfte kritisch abgeglichen werden. Sie sind ggf. Grundlage für das weitere hypothesengeleitete Vorgehen bei der Förderplanung. Entscheidet sich eine Schule wie wir neben kriteriengeleiteten Beobachtungen für standardisierte Testinstrumentarien (z.b. Schulleistungstests), mit denen neben qualitativen auch quantitative 1 Aussagen getroffen werden, sollten sie sich der Gefahr bewusst sein, dass die Defizite deutlicher gesehen werden und Anknüpfungspunkte für eine Förderperspektive verstellt sein könnten. Deswegen haben wir unser Verständnis von Diagnostik untereinander geklärt. Wir gehen davon aus, dass kein Diagnoseverfahren hinreichend genau misst, um den künftigen Lernerfolg von Lernenden sicher vorherzusagen (Kretschmann 2004, 181). Nicht die möglichst genaue Beschreibung der Auffälligkeit kann als Anknüpfungspunkt für eine pädagogische Förderperspektive herangezogen werden (Werning/Lütje-Klose 2003, 75). Wir wollen also keine defizitorientierte Platzierungsdiagnostik, sondern wollen die Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler verstehen, um individuell passende Angebote zu entwickeln. So haben wir uns z.b. bei der Auswahl der Testinstrumente gegen den DRT entschieden, der laut der Rechtschreibdidaktikerin Valtin den prozessualen Charakter des Schreiben-

4 lernens außen vor lässt. Rechtschreibfehler werden nur als Teilleistungsdefizit gesehen und nicht als konstitutiv für den Lernprozess. Wir einigten uns auf eine ressourcen- und kompetenzorientierte Diagnostik aus systemischer Sicht, weil sie zielannähernde Tendenzen ermöglicht. Dabei werden die Stärken genauso wie die Schwierigkeiten des Schülers in den Blick genommen. Unter Nutzung der Stärken der Schülerin/des Schülers können Entwicklungsstörungen durch einen systematischen Wissensaufbau ausgeglichen werden. Lehrkräfte werden zu Lernbegleitern. Dabei ist der individuelle Förderplan als Reflexionsinstrument zu sehen (Willenbring 2004, 14). Der Unterricht muss so konzipiert sein, dass die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler und die Diagnose und Überprüfung dieser Lernprozesse (Monitoring) in den Mittelpunkt gestellt sind (Mischke 2003). Die Schülerinnen und Schüler sind an diesen Überlegungen zur Förderplanung beteiligt. Auch Tests dienen der kommunikativen Validierung. Sie werden Gegenstand zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern. So wird den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen. Damit soll ein veränderter Fehlerbegriff während der Übungsphase einhergehen, der zu einer veränderten Bedeutung von Leistungsmessungen im Sinne einer Lernprozessdiagnose mit Lernprozessbegleitung führt. Die Diagnoseinstrumente helfen uns einzuschätzen, was die Schule aus eigener Kraft schaffen kann und wo externe Experten hinzugezogen werden müssen. Diese außerschulische Förderung wird mit der schulischen Arbeit verzahnt. Kurswechsel in der Lese-Rechtschreibförderung Unsere Testauswahl wie auch das Fördermaterial folgen dem entwicklungspsychologischen Stufenmodell. Der HST gibt ergänzend dazu Auskunft über weitere leserechtschreibspezifische Parameter. Der HSP bildet das Entwicklungsprofil des einzelnen Schülers/Schülerin sowie deren Zugriffsweisen auf Schriftsprache durch die Analyse von strategiebezogenen Lupenstellen ab. Der HSP 4/5 für den Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe gibt insbesondere Hinweise zur Förderung im unteren Leistungsbereich. Bei T-Werten 2 zwischen 45 (PR 31) und 40 (PR 16) ist von einer allgemeinen Förderung auszugehen. Bei T-Werten <=40 (PR 16) ist eher eine basale Förderung erforderlich. Der Test liegt noch für die Klassen 5-9 B (=Basisanforderungen) mit Auswertungskriterien für verschiedene Schularten vor als auch als HSP 5-9 E (=Erweiterte Kompetenz). Als ausführliches Beispiel für den Einsatz des HSP wird der Artikel Kurswechsel in der Diagnostik der Rechtschreibkompetenz (Rüdell 2004) empfohlen, der den Erwerb von Rechtschreibstrategien in bestimmten Kompetenzstufen gut verständlich aufzeigt. Lese-Rechtschreibaufbau durch systematisches Üben Alle Schülerinnen und Schüler sollen täglich systematisch üben. Das Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne/Mathwig 2004) ist das von uns gewählte Grundlagenwerk für den systematischen Rechtschreibaufbau, wodurch gleichzeitig auch die Lesekompetenz verbessert wird. Mit dem Training wird außerdem die für die Aufgabenlösung nötige Metakognition im Sinne von Reflexion über den eigenen Lernprozess unter Nutzung strategischer Aktivitäten geschult. Allerdings müssen Zusatzmaterialien entwickelt und hinzugezogen werden. Dafür muss wieder professionelle Unterstützung durch Fortbildung eingeholt werden. Obwohl das Marburger Rechtschreibtraining ursprünglich für die Lerntherapie in Kleingruppen konzi-

5 piert, erforscht und als erfolgreich evaluiert wurde, sind wir davon ausgegangen, dass durch die Doppelsteckung von Lehrkräften und das tägliche Training auf die Woche gesehen jedes Kind die der Einzelförderung vergleichbare Übungszeit bekommt (plus/minus 20 Minuten). Dokumentation der individuellen Lernentwicklung Die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung setzt Diagnosekompetenz von Lehrkräften mit dem Ziel der Förderplanung voraus. Sie ergibt sich dann aus der hypothesengeleiteten Förderplanung, die tabellarisch skizziert wird (s. Tabelle 2 nächste Seite). Die Jahrgangsleiterin des ersten Durchlaufs des Konzepts meldet, dass die Pläne (IEP-Bogen) der Schülerinnen und Schüler von den Lehrerteams in bestimmten Zeitabständen durchgesprochen und ergänzt werden. Es sei eine praktikable Struktur für das Anlegen eines Klassenordners entstanden. Aktuelles würde zeitnah direkt im Lehrerzimmer eingeheftet. Auf diese Weise wird die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung nicht als zusätzlicher Aufwand, sondern als hilfreiche Vorgehensweise erlebt. Die hypothesengeleitete Förderplanung wird skizziert und wird so als ein hilfreiches Instrument angesehen. Die individuellen Entwicklungspläne (IEP) geben Orientierung. Lernprozesse können zurückverfolgt als auch nachgewiesen werden z.b. bei Übergabesituationen. Die IEPs sind z.b. auch Grundlage für Lehrer-Eltern-Schülergespräche oder Anfragen beim Beratungsgremium der Schule. Die Lehrkräfte erlangen durch die gemeinsamen Reflektionen und die daraus erwachsenden Veränderungen von Rahmenbedingungen einen erweiterten Handlungsspielraum und mit der Zeit eine erweiterte Beobachtungs- und Diagnosekompetenz. Der Organisationsrahmen Der Organisationsrahmen stellt sicher, dass alle Lehrer eines Jahrgangs am Lese-Rechtschreibtraining beteiligt werden, dass Stunden aus fremden" Fächern (nicht nur Deutsch) wechselweise in ein Förderband eingehen. dass die Lehrer zu Beginn des fünften Schuljahres sowie für die zweijährige Dauer des Konzepts in Diagnostik, Förderplanung und effektiver Förderung geschult werden. Die Lehrkräfte treffen sich einmal wöchentlich außerhalb des Unterrichts für eine Stunde, um in ihren Jahrgangsteams die Arbeit im Förderband abzustimmen, was heißt, dass alle Klassen eines Jahrgangs zur gleichen Zeit eine Förderstunde. So ist auch klassenübergreifender Unterricht möglich. Durch neu geplante Teamstrukturen kann in dieser Zeit auch Kollegiale Fallberatung stattfinden. (Reflektions- und Selbstreflektionskultur). Es findet ein Schüler-Eltern-Lehrersprechtag statt. Die Beteiligung aller Lehrkräfte an der Lese-Rechtschreibförderung und damit der moderierten Umsetzung des Konzepts der individuellen Förderplanung hat die Chance, dass alle Lehrenden die Schüler eines Jahrgangs kennen. Weiterhin haben die Prinzipien der individuellen Förderplanung, erfahren am Beispiel der Lese-Rechtschreibförderung, Auswirkungen auf die Konzeption jeden Unterrichts (vgl. das vollständige Konzept bei Wehrhahn 2005). Da täglich systematisches Üben gewährleistet sein soll, gibt es im fünften Schuljahr täglich eine mit zwei Lehrern besetzte Förderstunde pro Klasse - im sechsten Schuljahr reduziert sich das Angebot auf vier Tage. Im Laufe des Schuljahres erweitert sich das Förderangebot auch auf Anteile der Fächer Mathematik und Englisch. Nach einem Jahr wird mit dem weiter oben genannten Instrumentarium der Lernzuwachs für jeden Schüler diagnostiziert, um die indivi-

6 duelle Förderplanung zu präzisieren. Das entwicklungsoffen geführte Konzept ermöglicht die jeweils passenden Strukturen auf der Ebene der Institution einzurichten, wie z.b. klassenübergreifenden Unterricht und Teamstrukturen für die Kooperation von Lehrkräften. Das Konzept der Dokumentation der individuellen Lernentwicklung, erfahren am Beispiel der Lese-Rechtschreibförderung, schärft zum einen die Wahrnehmung für diagnostische Aufgaben auch in anderen Fächern. Zum anderen werden Interventionen unmittelbarer und rationeller eingesetzt, wovon die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkräfte profitieren. So haben sich nach unseren Ergebnissen die Leistungen der Schüler deutlich verbessert. Der übliche Fachunterricht profitierte von Anfang an, weil alle Lehrer um die Stärken und Schwächen der Schüler wissen. So können beispielsweise Arbeitsmaterialien anders als bisher lerngruppenorientiert konzipiert werden. Die Einarbeitung diagnostischer Prozesse in die Schulentwicklungsarbeit als entwicklungsoffen geführter Prozess hat eine Reflektionskultur unter den Lehrkräften entfacht, die Unterricht verändert. So wird stetig seitens der Lehrkräfte um ein Bewusstsein gerungen, Unterricht methodisch/didaktisch im Sinne von eigenverantwortlichem Lernen flächendeckend zu konzipieren. Zukünftig werden wir die Auseinandersetzung mit den Curricula mit der Frage der Förderung verbinden und uns um die Stärkung eigenverantwortlichen Lernens bemühen. Anmerkungen 1 Für unsere Schule, als Brennpunktschule ist es reizvoll zu benennen, ab wann wir die Verantwortung für den Lernprozess der Schülerinnen/Schüler übernehmen. 2 Die T-Wert-Skala ist die gebräuchlichste Standard-Äquivalent-Norm, d.h., dass verschiedene Messgrößen wie z.b. IQ-Werte bei Intelligenztests und Prozentränge bei Rechtschreibtests miteinander verglichen werden können, wenn sie in T-Werte transformiert wurden. Literatur: Kretschmann, R.: Pädagnostik Zur Förderung der Diagnose-Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern. In: Barnitzky, H./Speck-Hamdam, A. (Hg.): Leistungen von Kindern wahrnehmen- würdigen fördern. Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd. 118, des Grundschulverbands. Frankfurt/M., 2004, S. 180-217, S. 181 May, P. : HSP 1-9, Diagnose orthographischer Kompetenz zur Erfassung der grundlegenden Rechtschreibstrategien, Hamburg 2002 HSP 4/5, später HSP 5-9B und HSP 5-9EK. Mischke, W.: Modul 3: Lern- und Lernstrategien in heterogenen Gruppen, S.11. In: Kiper, H. Meyer, H., Mischke, W., Wester, F.: Qualitätsentwicklung in Unterricht und Schule. Das Oldenburger Konzept. Oldenburg: Didaktisches Zentrum 2003, S.130-170, S.15 Mietzel, G.; Willenberg, H. unter Mitarbeit von Poerschke, J. und Peek, R.: Hamburger Schulleistungstest für 4. und 5. Klassen. Göttingen: Hofgrefe 2000 Rüdell, E.: Kurswechsel in der Diagnostik der Rechtschreibkompetenz. In: Lernende Schule. Diagnostische Kompetenz. Heft 26, Seelze: Friedrich Verlag 2004, S. 35-39 Schulte-Körne, G., Mathwig, F.: Das Marburger Rechtschreibtraining, Bochum: Dr. Dieter Winkler Verlag 2001, 2004 Valtin, R.: LRS in den Klassen 1-10, Bd.2:Schulische Förderung und außerschulische Therapien, Weinheim: Beltz 2001, S. 16-35 Werning, R./Lütje-Klose, B.: Einführung in die Lernbehindertenpädagogik. München: Reinhardt Verlag 2003 S. 75 Werning, R.: Pädagogische Beobachtungskompetenz In: Lernende Schule, Diagnostische Kompetenz, Hft. 26, Jg.7. Seelze: Friedrich Verlag 2004, S. 4-8 Willenbring, M.: Ressourcen- und kompetenzorientierte Diagnostik aus systemischer Sicht, In: Lernende Schule, Diagnostische Kompetenz, Hft.26, Jg.7. Seelze: Friedrich Verlag 2004, S. 10-15 Wehrhahn, U.: Individuelle Förderplanung lernen. In: Lernchancen. Diagnose: Schüler beobachten. Jg. 8. Hft. 43, Seelze: Friedrich Verlag 2005, S. 18-21

Urte Wehrhahn Gothaerstr. 8 30179 Hannover wehrhahn@igsvs.de Sonderschullehrerin, Bereichsleitung für Förderung an der Integrierten Gesamtschule Vahrenheide/Sahlkamp Lehrbeauftragte am Institut für Sonderpädagogik an der Universität Hannover 7

8 IEP-Bogen Tim Mustermann, geb., Klasse: 5a; Lehrerteam: Entwicklungsprotokoll für Blatt Nr. Datum 3.9.04 22.6.05 LE (s. unten) 1/2 4 3 1/2 4 3 Ausgangslage, Annahmen, Lernziel Ausgangslage: HSP alphab. PR 4,5; insg. PR 10; HST Quartil 1; Unruhig, Klassenkasper Ziel: Anpassungsfähigkeit in die Gruppe ermöglichen; vermutetes Potential nutzen/leistungen verbessern, Kompetenzlücken schließen Selbstvertrauen in eigenes Lernvermögen gewinnen; Selbstorganisation erlernen Kopfrechenstrategien trainieren als Entlastung bei der Durchführung und Festigung schriftlicher Verfahren HSP alpbabet. Von PR 4,5 auf PR 54; von insg. PR 10 auf PR 42; HST auf Quartil 2 verbessert; Leseverstehen und Lesegeschwindigkeit haben sich verbessert Fördervorschlag Abklärung ob ADHS vorliegt; MRT im Förderband; Lerntherapie seit Mitte des Schuljahres; Arbeit am Selbstkonzept; Selbstinstruktionstraining Im Förderband Strategien im Mathetrainingsheft aufschreiben/ später Schüler- Lehrerdialog über Lösungsstrategien Fördermaßnahme (Organisation der Förderung) Tägliches Üben im Förderband, Verzahnung mit Lerntherapie; Lerntherapie macht Angebote auf der alphabetischen Stufe; Schulung metakognitiven Handelns, Wortschatzerweiterung, Oberbegriffe bilden; Verstehen und Lernzuwachs reflektieren, verstärken, Lernstrategien anwenden Präsentationssituationen schaffen Bemerkungen (Erfolg / Modifikation) Macht den Eindruck, dass er mehr Potential hat, als HST zeigt- -Mutter kooperiert, spricht aber nur polnisch (5)-braucht zunächst sonderpädagogische Beratung -Vater ruhender Pol im Hintergrund, spricht Deutsch, hält s. aus Schule raus; spielt mit seinem Sohn Gesellschaftsspiele (5) -Impulssteuerungsschwäche wurde diagnostiziert, wird therapiert Ist gut in die Klasse integriert Deutlicher Leistungssprung; Hohe Motivation auch in Mathematik; nutzt jede eigene Lernzeit im Unterricht, traut sich Ergebnisse zu präsentieren LE= Lern- und Entwicklungsbereiche: 1=Lesen / 2=Rechtschreiben / 3=Mathematik / 4=Arbeits-und Sozialverhalten / 5=Kind-Umfeld