HISTORISCHEN SONDERZUG

Transkript

1 REISEN ES IST HÖCHSTE Eisenbahn Sachen gibts, die sollten nicht aufgeschoben werden. Eine Reise mit dem Swiss Alps Classic Express zum Beispiel. Im HISTORISCHEN SONDERZUG über die Alpen bummeln. Vorbei an Gletschern, Bergseen und schnee bedeckten Gipfeln. Text Marianne Siegenthaler Fotos Elisabeth Real Mit der Diesellok voran: Der Zug schnauft auf den Furka-Pass hinauf.

2 LESERREISE SWISS ALPS CLASSIC EXPRESS Seite 62/63 Leserreise auf Seite 80/81

3 REISEN Handorgelklänge auf dem Perron: In Brig gibts für die Reisenden ein Ständchen. Im Führerstand bei der Fahrt von Andermatt auf den Oberalppass: Lokführer Roland Valentin. Ein nicht ganz alltäglicher Dienst: Zugbegleiter Patrick Graven kontrolliert im Sonderzug die Billette. Zurücklehnen jetzt und das Alpenpanorama vorbeiziehen lassen. Nein, er habe sich nicht extra dafür beworben, im Swiss Alps Classic Express Dienst zu tun, erklärt Zugbegleiter Patrick Graven in breitem Walliser Dialekt. Aber es gefalle ihm schon, eine solche Fahrt sei halt auch für ihn etwas Spezielles. Und schon ist er wieder weg. In Brig wird nämlich der offene Panoramawagen angehängt. Und so führt Graven zahlreiche Fahrgäste, warm eingepackt, ans Zugende, wo sie in den Panoramawagen einsteigen, um wenig später die spektakuläre Fahrt unter freiem Himmel zu erleben. Ein kurzer Pfiff auf der Signalpfeife, und schon sind wir unterwegs flussaufwärts über Fiesch nach Oberwald. Ich lehne mich zurück, lasse das eindrückliche Walliser Alpenpanorama vorbeiziehen und staune über die Zugfans mit Kameras, die entlang der Strecke auf uns gewartet haben. Trainspotter nennt man sie, und sie sammeln nicht nur Fotos, sie wollen die Lokomotiven und Waggons mit eigenen Augen sehen. Sie sind aber nicht die einzigen Bewunderer: Wandergrüppchen, die uns zuwinken, Hausfrauen, die kurz beim Wäscheaufhängen innehalten, ein Lastwagenfahrer, der uns zuhupt und den Daumen hoch hält der Swiss Alps Classic Express, kurz SACE, ist nicht nur für die Passagiere etwas Besonderes. Besonders ist auch unsere Route: Die Fahrt von Zermatt über die Furka- Bergstrecke, den Oberalppass und die Albulastrecke nach St. Moritz ist eine der spektakulärsten Bahnstrecken Europas. Mit der Diesellok über die Furka Es war um halb acht Uhr morgens an einem Junitag im Jahr 1930, als der Glacier- Express erstmals 70 geladene Gäste ohne Umsteigen von Zermatt im Wallis nach St.Moritz ins Engadin führte. Fast 300 Kilometer lang ist die Strecke, rund 100 Tunnels mussten in den harten Fels gesprengt werden, und jede Menge Brücken waren nötig, um Spalten und Schluchten zu überwinden. Benannt ist der Glacier Express nach dem mächtigen Rhonegletscher, dessen Zunge einst weit ins Tal bis 56 Schweizer Familie 8/2015 Leserreise auf Seite 62/63

4 Auf der Furka-Bergstrecke: Aus dem halboffenen Zugfenster ein Bild von Gästebetreuer Thomas Schubiger schiessen. Unterwegs mit dem Bernina-Express ins Val Poschiavo: Der Morteratschgletscher gleisst im Sonnenlicht.

5 REISEN Das ist ein Service: Im historischen Speisewagen wird währschafte Kost aufgetischt. Gemächlich zieht die Diesellok den Zug über die Passhöhe. nach Gletsch im Bezirk Goms reichte. Inzwischen ist ein Teil davon abgeschmolzen imposant ist er aber immer noch. Und so drängen sich meine Mitpassagiere an den Fenstern und fotografieren fleissig. Zeit ist genug, denn beim letzten Zwischenhalt in Oberwald wurden die historische Elektro-Lok und der Nostalgie- Speise wagen abgehängt. Sie nehmen die Abkürzung durch den Furkabasistunnel, während eine Grossdiesellok unseren Zug gemächlich über die Passhöhe führt. Bis zu 80 Tonnen kann diese Lok ziehen, er- klärt Zugchef Thomas Schubiger stolz. Und bis sie angedockt ist, werden die Passagiere mit Alphornklängen von Paul Betschart unterhalten, der sein Instrument ebenso virtuos beherrscht wie seinen Beruf als Lokführer. Bald gelangen wir nach Gletsch, wo Grimsel- und Furkapassstrasse zusammentreffen. Das Dorf wird dominiert vom mächtigen Hotel Glacier du Rhône. Einst eine bescheidene Herberge mit gerade mal 12 Betten, wurde es durch die Hoteliersdynastie Seiler ständig erweitert. Noch heute gibt es Übernachtungsmöglichkeiten wie anno dazumal mit Nostalgie-Einrichtung und Etagenbad. Für einen Spaziergang durch den Ort ist die Zeit allerdings zu knapp, ausserdem treiben Regen und Wind die meisten Passagiere schnell wieder in die geheizten Waggons zurück. Nur ein paar Hartgesottene ziehen den offenen Panoramawagen vor. Steile Kehren und eine Klappbrücke Dank dem Furka-Basistunnel verbindet die Matterhorn Gotthard Bahn seit Schweizer Familie 8/2015

6 Auf dem Weg von St. Moritz nach Tirano: Zwischenhalt in Alp Grüm. Ein Sujet für die Daheimgebliebenen: Die Aussichten, die es auf der Furka-Bergstrecke zu sehen gibt. Ein Blick durchs Guckloch zeigt: Im Speisewagen sitzt man auf Plüsch. das ganze Jahr über den Kanton Wallis mit dem Kanton Uri. Zuvor musste der Betrieb im Winter eingestellt werden. Meterhohe Schneeberge und Lawinen machten eine Passage über den Furka unmöglich. Jetzt aber, im Spätsommer, klettert der Zug ungehindert in steilen Kehren durch die karge Landschaft. Schliesslich erreichen wir den schmalen Furka-Scheiteltunnel, der vom Wallis in den Kanton Uri führt. Nach einem Zwischenhalt beim 2160 Meter über Meer gelegenen Bahnhof Furka passieren wir die international bekannte Steffenbach-Klappbrücke. Diese wird im Winter einfach weggeklappt, um nicht von den Lawinen zerstört zu werden. In Realp warten Elektro-Lok und Speisewagen, die wieder angehängt werden. Schliesslich ist es inzwischen Mittag, und in der engen Küche steht alles bereit für die ersten Gäste. Im nostalgischen Speisewagen fühlen wir uns in längst vergangene Zeiten zurückversetzt, und es ist leicht nachvollziehbar, dass die verwöhnten Kurgäste von Zermatt und St. Moritz durchaus beeindruckt waren. Schliesslich war es auch für sie ein ganz besonderes Erlebnis, gemütlich zu speisen, während vor den Fenstern das Alpenpanorama vorbeizog. Viele Nationen, eine Passion Im Zug treffe ich nebst Schweizern auch Engländer, Holländer und Deutsche. So das Ehepaar Heide und Gert Niemann aus Hessen. Beide strahlen um die Wette: Sie, weil es ihr gelungen ist, ihren Mann zum 70. Geburtstag mit dieser Reise zu überraschen. Und er, weil er ein grosser Zugfan ist und eine Fahrt mit dem Swiss Alps Classic Express für ihn geradezu ein Muss ist. Ganz offensichtlich geniessen die beiden die Fahrt, die spektakuläre Aussicht und im nostalgischen Speisewagn das feine Geschnetzelte mit Butternudeln und dazu ein Glas Malanser Rotwein. Nach Andermatt folgt der zweite Pass, der Oberalp, der in stotzigen Serpentinen erklommen werden muss. Oben behindert Nebel die Sicht, doch nach einer steilen Talfahrt erreichen wir Disentis, das Leserreise auf Seite 62/63

7 REISEN Hier lässt sich verweilen: Im Restaurant La Perla in Le Prese am Lago di Poschiavo. In Tirano geht die Reise ganz nah an der Kirche vorbei: Ein Zug der Berninabahn quert die Piazza Basilica. Fotos: Name

8 Ein Bahnhofbuffet auf 2253 Meter über Meer: Ospizio Bernina ist die höchstgelegene Station der Rhätischen Bahn. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst: Die Albulastrecke, die von Chur nach St. Moritz führt, ist die höchstgelegene der Alpen. Ein Gasthaus mit Brockenhaus-Charme: Das Caffè Merizzi im italienischen Tirano. In der Ferne glitzert der Lago di Poschiavo im Sonnenlicht. uns mit strahlendem Sonnenschein begrüsst. Hier übernimmt ein Regelzug der Rhätischen Bahn unsere Wagen, und entsprechend zügig geht es durch die wilde Vorderrheinschlucht nach Chur. Im Waggon ist es recht still geworden, die lange Reise und die vielen Eindrücke haben müde gemacht. Doch ein letzter Höhepunkt der Etappe steht noch bevor: Die Albulastrecke, die nach St. Moritz führt, sie ist ein Unesco-Weltkulturerbe. Herzstück des atemberaubenden Trassees ist das imposante Landwasserviadukt. 65 Meter ist es hoch und schon von weit her zu sehen. Für manche endet die Zugreise in St. Moritz, andere, wie ich auch, fahren am nächsten Tag weiter mit dem Bernina- Express Richtung Tirano. Ein ganz anderes Reisen ist das mit diesem modernen Zug. Fast geräuschlos geht es am Morteratsch-Gletscher vorbei hinauf zum Bernina Ospizio und von da in vielen Kehren und durch Tunnels das Puschlav hinab. Schon bald sehen wir in der Ferne den Lago di Poschiavo im Sonnenlicht glitzern. Wir passieren Le Prese, das am malerischen Ufer des Sees liegt, und dann ist es nicht mehr weit nach Tirano. Die Schienen verlaufen teils auf der Strasse, der Zugführer muss sich den Weg freihupen. Zugbegleiter Alessio, der hier aufgewachsen ist, lächelt: «Die Touristen rechnen einfach nicht damit, dass der Zug auf der Strasse fährt.» Gefährliche Situationen hat er bisher aber nie erlebt, der Zugführer sorgt mit lautem Pfeifen für die nötige Aufmerksamkeit. Italianità für Geniesser Tirano, Hauptort der gleichnamigen Gemeinde in der italienischen Provinz Sondrio, versprüht eine gehörige Portion Italianità mit den Palazzi und grosszügigen Plätzen, den Restaurants mit den hübsch gedeckten Tischen draussen unter den Sonnenschirmen. Ich mache mich auf einen gemütlichen Stadtbummel, erstehe frische Ravioli, nehme einen Imbiss zu mir und schon geht es wieder heimwärts. Durch Tunnels, Kehren, Kurven und über unzählige Brücken: Eine eindrückliche Zugfahrt geht zu Ende. Der Weg ist das Ziel, heisst es. Stimmt! Foto: i-stock Leserreise auf Seite 62/63