Zu Besuch beim letzten Seifensieder Deutschlands

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1 Zu Besuch beim letzten Seifensieder Deutschlands Manuel Fröhlich, IGB Magdeburg Seifen- und Kerzenherstellers aus. Diese Siederei ist die einzige in Deutschland, die sich noch weitgehend im Ursprungszustand erhalten hat. Heute besitzt dieser enge Hof mit seinen unverfälschten Räumen einen unschätzbaren Denkmalwert, denn wie zu Urgroßvaters Zeiten können praktisch noch immer Kernseife, Schmierseife, Waschpulver und als Nebenprodukte auch Talgkerzen und Glyzerin hergestellt werden. Die meisten Anlagen und einiges Zubehör stammen noch aus dem 19. Jh., so im Siederaum zwei in den Boden Im Ostthüringischen Neustadt/Orla, genau gegenüber dem leidgeprüften Marktstock- Viertel, im Herzen der Altstadt liegt die Ernst- Thälmann-Straße 63. Hier im Fachwerk-Hinterhaus gründete im April 1840 Traugott Wilhelm Goetze eine Seifensiederei mit Laden. Als Familienbetrieb übten in vierter Generation dessen Urenkel, der nun 79-jährige Fritz Wilhelm, und seine Frau bis vor wenigen Monaten das traditionsreiche Handwerk des 20 Um festzustellen, ob die Seife gut ist, braucht man Erfahrung. Fritz Wilhelm kann es schmecken. Ist die Seife fertig, darf sie nicht auf der Zunge brennen, sie muß transparent sein und sich zwischen den Fingern ziehen lassen. Foto: Archiv F. Wilhelm Neustadt/Orla in Ostthüringen. In diesem engen Hinterhof befindet sich seit beinahe 160 Jahren die Seifensiederei Wilhelm ein technisches Denkmal. Foto: Manuel Fröhlich

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3 eingelassene Sammelbehälter für die Laugen, der Brunnen und eine zerlegbare Kühlbütte aus Holz zum Abkühlen der kochenden Seife. Der größte Bottich ist ein Stahlkessel mit Lärchenholzverkleidung aus dem Jahre Er besitzt eine eigene gemauerte Feuerung und kann etwa eine Menge bis 2500 Liter aufnehmen. Darin erhitzte Fritz Wilhelm in traditioneller Weise Wasser mit Kalilauge, wenn er eine Schmierseife herstellte oder mit Natronlauge, wenn es Kernseife werden sollte. Länger als einen Tag lang mußte kontinuierlich geheizt werden. Die kochende Lösung versetzte er dann mit der entsprechenden Menge Fett und mit den nötigen Fettsäuren. So kommt es zu einer Verseifung, einer stabilen Bindung zwischen dem Öl und den Alkalibestandteilen. Die wichtigste Erfahrung und seine Kunst bestehen darin, eine Klumpenbildung der Zutaten gänzlich zu verhindern. Chemische Analysen mußte Meister Wilhelm nie durchführen. Allein mit seiner Fingerprobe und durch Schmecken mit der Zunge konnte er die Qualitäten feststellen. Die fertige gesottene Kernseife schöpfte er dann mit einem alten Stahlhelm mit Holzstiel in den auseinanderklappbaren Behälter oder in andere Holzbottiche um. Erst nach einer Woche Abkühlzeit war es ihm möglich, die wuchtigen Rohblöcke von einer Tonne Gesamtgewicht mit einem Stahldraht in 5000 Einzelstücke Seife zu zerschneiden. Jedes Stück wurde danach nochmals formgerecht per Hand gepreßt und erhielt mit einem Holzstempel eine Prägung Wilhelms Kernseife eingedrückt. Sie wurde im gesamten Thüringer Raum verkauft, auch an Brauereien und an Krankenhäuser. Selbst in der ältesten deutschen Porzellan-Manufaktur in Meißen schätzte man die hohe cremige Qualität aus der Seifensiederei Wilhelm für künstlerische Abformungen, wie ein Dankschreiben beweist. Seifensiedermeister Fritz Wilhelm kennt sich aber auch in vielen geschichtlichen Dingen aus und er berichtet: Noch im 19. Jh. stellte man Seife traditionell aus Talg und aus Pottasche her. Aber bereits die Sumerer und Babylonier dürften vor 5000 Jahren schon Seife hergestellt haben. Wann und wer tatsächlich die erste Seife überhaupt herstellte, war langezeit Streitfall. Einige meinten, daß die 22 Gallier und Germanen die Seife entdeckt hätten. Als Beweis wird der römische Schriftsteller Plinius d. Ä. zitiert, der im 1.Jh. n. Chr. eine aus Ziegentalg und Aschelauge hergestellte Seife der gegnerischen Krieger beschrieb. Mit dieser Art Seife schmückte man sich Haartracht und Bärte und gab rote Pflanzenextrakte hinzu. Beim Auswaschen wurde wohl die schmutzlösende Wirkung erkannt. Neuere Forschungen und Nachweise ergaben, daß dann die Mauren vor über 1000 Jahren die Kenntnisse der Seifenherstellung nach Spanien brachten. Von dort gelangten

4 sie nach Südfrankreich. Marseille sei das erste Zentrum in Westeuropa gewesen. In Süddeutschland habe es im 14. Jh. in Augsburg, Nürnberg und Ulm die ersten deutschen Seifenkocherinnungen gegeben. Viele Feudalherren erließen danach für ihre Gebiete exakte Seifensiederordnungen, z.b. Kurfürst August von Sachsen Diese Gesetze forderten den Zusammenschluß der Sieder in Zünften und sie regulierten die Verteilung der teuren Rohstoffe. Die Seifensieder verarbeiten ständig recht große Mengen an Pflanzen- oder Tierfetten, Marseiller Seife wurde während des 17. Jahrhunderts erstmalig in Marseille hergestellt. An ihrer Rezeptur hat sich bis heute nichts geändert. Baumöle, vorwiegend Olivenöl, werden zum Sieden dieser Seife verwendet. Damit sie leichter löslich ist, wird sie genadelt. Ohne Zusatz von künstlichen Tensiden, Duftstoffen o. ä. ist Marseiller Seife vielseitig zu verwenden. Besonders hervorzuheben ist der außerordentlich sparsame Verbrauch dieser Seife. Anwendungsgebiete: 1.Reinigungsmittel für glatte Fußböden aller Art, insbesondere für Linoleum, gewachste Kork-, Holz-, und Fliesenbeläge, 2. Zum Reinigen von Pinseln, Malerrollen, Farbhänden u. ä. 3. Zum Verseifen von Fußböden. in einigen Gegenden ist es üblich, Nadelholzfußböden und Tische durch häufiges Schrubben mit Seife hell und sauber zu halten. 4. Für Allergiker zur Körperpflege. 5. Pflegemittel für das Babybad. 6. Wollwaschmittel und zum Waschen von Schlafsäcken. Zu beziehen ist Marseiller Seife bei fast allen bekannten Naturfarbenherstellern. Quelle: Kreidezeit In der Seifensiederei Wilhelm hat sich in den letzten 160 Jahren kaum etwas verändert. Hier bekommt man einen lebendigen Eindruck einer anderen Zeit. Foto: Manuel Fröhlich die sie in der Regel mit Pottaschen oder mit natürlichem Soda zusammen verkochten. Die Pottasche konnten sie selbst gewinnen. Sie wurde aber hauptsächlich zur Glasherstellung benötigt. Schon der Name weist auf seine Herstellungsmethode hin, nämlich Holzasche in eisernen Pötten umzuwandeln. Jedoch war dieser Aufwand noch ganz enorm groß. Für die Gewinnung von nur einem Kilogramm Pottasche mußte man etwa 600 kg Eichen- oder 1200 kg Pappelholz verbrennen. Natürliche Soda erhielten sie recht umständlich aus Ägypten. Aus der Geschichte ist uns bekannt: Wer sich diese Seife hätte leisten können, legte seinerzeit keinen Wert auf körperliche Sauberkeit, sondern man parfümierte sich. Auch regelmäßiges Baden galt zu feudalistischen Zeiten eher als gesundheitsschädigend oder als Sünde. Bis gegen 1800 erwirtschaftete man als Seifensieder vermutlich keine hohen Gewinne. Jene Seife war sehr teuer und nicht für jeden bezahlbar. Ihre Rohstoffe Talg und Pottasche, aber auch Soda, standen nur sehr begrenzt zur Verfügung. Ein höherer Seifenbedarf entstand wohl erst mit der verstärkten Baumwollverarbeitung. Textilien aus Baumwollfasern mußte man unbedingt mit Seife auswaschen, um sie wieder richtig sauber zu bekommen. Um 1789 soll es einem Franzosen Nicolas Leblanc erstmals gelungen sein, das Soda auf der Kochsalz-Grundlage künstlich herzustellen. Weil nun Palmfette ebenfalls verstärkt eingeholt werden konnten, herrschte fortan kein Rohstoffmangel mehr. Nach 1800 blühte das Seifensieder-Handwerk auf, sie kamen allmählich zu Wohlstand und zu gesellschaftlichem Ansehen. Ab 1840 etwa produzierte in Schönebeck/Elbe die erste deutsche Sodafabrik in größeren Mengen dieses Natriumcarbonat, das als Pulverstaub haut- und schleimhautreizend ist. Auch Urgroßvater Goetze nutzte als einer der ersten Seifensieder dieses künstliche Soda. In sein Sudbuch schrieb er z.b. am 6. Juni 1842: Das 40. Mal Weißgesotten, weil jedes künstliches Soda immer wieder nur weiße Seife ergibt. Dagegen sieht eine aus Pottasche hergestellte Seife grünlich aus. Allmählich überrollte die chemische Großindustrie immer mehr das manufakturmäßige Herstellen solcher Produkte, so daß dieser gesamte Prozeß heute nur noch den einen, 23

5 aber einen sehr wichtigen musealen Wert besitzt. Unter der Obhut von Familie Wilhelm blieben bis heute auch eine Zunftlade, die Innungskasse der Seifensieder des Herzogtums Weimar von 1683 (!) und die Zunftfahne aus dem Jahre 1729 erhalten. Diese Fahne beweist uns gleichzeitig einen wichtigen Hinweis auf den traditionellen Zweitberuf der Seifensieder, nämlich des Kerzenziehers. Man liest darauf den gestickten, verschnörkelten Vers Die Seife braucht man zur lieben Reinlichkeit, und Lichter leuchten uns bei jeder Dunkelheit. Möge dieser Hinterhof in Neustadt/Orla mit all seinen Details unverfälscht erhalten und bewahrt bleiben. Er zeigt uns noch die schwere körperliche Arbeit vergangener Generationen und daß eigentlich keine Stoffe verloren gehen. Heute geht diese Produktionsstätte nur vereinzelt zu besonderen Anlässen in Betrieb. Der Seiffensieder