Ein bewusster Umgang mit der Prana-Energie im Yoga

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1 Ein bewusster Umgang mit der Prana-Energie im Yoga Verfasst von Rita Egger Jeder Yoga-Praktizierende wird wohl früher oder später auf das Thema der Prana-Energie stoßen. Selbst wenn man von der Prana-Energie nichts wissen sollte, so verspürt man doch bei jeder Yogapraxis deren Wirkungen. Nach der Praxis von Körperübungen oder Pranayama-Übungen fühlt man sich in der Regel erfrischt, belebt und energetisiert. Dies sind Wirkungen der Prana-Energie. Wir sind es heute gewohnt, die Dinge nach den offensichtlichen Erscheinungen und sofort spürbaren Wirkungen zu beurteilen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Stimulierung der Prana-Energie auf der feineren Ebene, also auf der seelisch-geistigen Ebene auf den Menschen wirkt. Des weiteren stellt sich die Frage, wie sich die Energetisierung langfristig auf das soziale Leben des Yoga-Übenden auswirkt. Für eine Beantwortung dieser Fragen ist es sinnvoll, die Prana-Energie zunächst einmal näher zu charakterisieren. Die Prana-Energie und ihre Freisetzung über die körperliche Stimulation Die Prana-Energie könnte man auch bezeichnen als die feinstoffliche Energie, die den Körper mit Leben erfüllt. Sie sorgt insgesamt für die Gesunderhaltung des Körpers und auch für das psychische Wohlbefinden. Diese Lebensenergie kann nun in bestimmten Bereichen blockiert oder nicht mehr genügend im Fluss sein, dann entstehen zunächst einmal Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die sich bis hin zu manifesten körperlichen Krankheiten steigern können, wenn diese Situation anhält oder sich verstärkt. Auf die Prana-Energie kann über Körper- und über Atemübungen direkt eingegriffen werden, so dass das Prana wieder besser ins Fließen kommt. Die Körperübungen des Yoga haben allein durch die mechanischen Dehnbewegungen und Anspannungen verschiedener Muskeln und Körperbereiche eine anregende und harmonisierende Wirkung auf das Fließen der Lebensenergie. Kombiniert man die Ausführung der einzelnen Körperstellungen zusätzlich mit dem Atem, werden die Ströme der Prana-Energie vermehrt angeregt. Dies macht man sich heute vielfach zunutze, indem man Yogaübungen zur Verbesserung der Gesundheit oder zur Vitalisierung des Körpers, um wieder mehr Energie und Kraft zur Verfügung zu haben, einsetzt. Darüber hinaus gibt es eine noch intensivere Form der Anregung der Prana- Ströme: das sogenannte Pranayama. Es handelt sich hierbei um eine Technik, bei welcher der Atem willentlich gelenkt wird und in Länge, Intensität und Qualität deutlich verändert wird. Im klassischen Hatha-Yoga kommt der Prana-Energie zudem eine weitere große Bedeutung zu: über die direkte Beeinflussung und Lenkung des Prana wird versucht, ausgehend vom Körper auf das Bewusstsein einzuwirken und damit zur Spiritualität zu gelangen. 1

2 Die willentliche Ausführung einer Übung Mit einer einfachen Übung können Sie selbst einmal die Wirkung erleben, die mit einer willentlichen Atemführung entsteht: Stehen Sie aufrecht mit geschlossenen Beinen. Die Arme hängen entspannt nach unten. Sodann heben Sie die Arme seitlich nach oben bis über den Kopf und senken sie wieder. Beim Hochheben der Arme wird gleichzeitig willentlich mit etwas Druck die Luft in die Lungen gefüllt und beim Senken wieder ausgeatmet. Die Lunge wird eher mechanisch wie ein Blasebalg getätigt. Erleben des energetisierten Körpers Der Praktizierende erlebt bei dieser Übung seinen Körper als energetisiert und vitalisiert. Der Atem ist kräftig und geführt. Mit etwas Aufmerksamkeit ist zu bemerken, dass die Bewegung der Arme von einer gewissen Schwere und Anstrengung begleitet ist. Der Atem bleibt hier an den Körper gebunden und die Steigerung der Prana-Energie erfolgt ausgehend vom Körper. Deshalb erlebt sich auch das Bewusstsein innerhalb der damit entstehenden Körpergefühle. Auf den obigen Fotos erscheint der Körper sehr groß, so als ob er keinen Raum mehr für die Umgebung ließe. Er wirkt in sich selbst abgeschlossen und getrennt von der Außenwelt. Bei einer Yogapraxis, die generell auf diese mehr mechanische Weise vorgeht, ist voraussichtlich zu erwarten, dass sich der Praktizierende mit der Zeit immer mehr auf sich selbst zurückzieht und sich durch die starke Vitalisierung und Energetisierung seines Körpers auch immer getrennter von der Außenwelt erlebt. Er bleibt darüber hinaus passiv in seiner Bewusstseinshaltung. Man könnte sagen, er schwelgt mehr innerhalb der durch die Technik der Atemführung entstehenden Körpergefühle. Das Bewusstsein, das sich eigentlich immer weiterentwickeln, sich in einer beständigen Berührung zur Außenwelt erleben möchte und damit neue, feinere Empfindungen ausprägen möchte, wird hier auf passive Weise von den entstehenden Körpergefühlen stimuliert und damit auch in die begrenzende und trennende Welt des Körpers eingebunden. 2

3 So bewirkt die vielgepriesene Energetisierung, die durch das Freisetzen der im Körper gespeicherten Lebensenergie entsteht, zunächst einmal ein Hochgefühl und damit auch das subjektive Gefühl von mehr Gesundheit. Auf längere Sicht gesehen ist hiermit jedoch ein Widerspruch gegeben, denn der Mensch ist nicht zwangsläufig am gesündesten, wenn er möglichst viel Energie zur Verfügung hat, sondern er ist vielmehr dann gesund, wenn er sich verbunden fühlt mit seinen Mitmenschen und mit seinem gesamten Umfeld in Beziehung steht. Mit der mechanischen, vom Körper ausgehenden Prana-Energetisierung ist aber mehr ein Gefühl von Abgeschlossenheit und Trennung von der Außenwelt verbunden. Dies kann so weit führen, dass den Yoga-Übenden eine immer größer werdende Himmelssehnsucht mit Fluchttendenzen aus der irdischen Welt erfasst, was sich in einem zunehmenden Rückzug aus dem sozialen Leben und den natürlichen Beziehungsverhältnissen zeigt. Die bewusste schöpferische Vorstellungstätigkeit in der Übung Wie kann nun eine Übungs-Praxis aussehen, welche das In-Beziehung-Treten zu den Mitmenschen, zur Natur und auch zum Geistigen unterstützt und somit die seelische Gesundheit fördert? Kommen wir noch einmal zurück auf die vorherige Übung. Wir haben die Übung unter mechanischer Führung des Atems ausgeführt und so über die körperliche Ausführung Energie freigesetzt, wodurch eine Vitalisierung und Energetisierung entstanden ist. Gehen wir einmal nicht wie gewöhnlich von dem aus, was die Übung aus dem Körper freisetzen kann, sondern werden wir im Bewusstsein selbst aktiv, indem wir uns ausgehend von einem Gedanken, der der Übung zugrunde liegt, zunächst einmal eine Vorstellung schaffen. Wir haben bei der ausgeführten Übung den Atem willentlich in die Lungen gefüllt, so dass die Lungen eher mechanisch wie ein Blasebalg getätigt wurden. Die Atemtätigkeit wurde dabei mehr als mechanische, rein physische Tätigkeit erlebt. Der Atem ist jedoch eine höhere Kraft, die nicht primär aus dem Körper entsteht, sondern aus einer höheren, weisen Dimension auf wohlabgestimmte Weise an den Menschen herankommt, in die Lungen einströmt, ihn mit seiner lebensspendenden Kraft durchdringt und die Lungen wieder verlässt. Der Atem kommt nicht aus dem begrenzten Körper, sondern er kommt aus einer unendlichen, kosmischen Weite in einer feinen Berührung an den Menschen heran. So ist mit dem Erleben des Atems ein Erleben von Weite verbunden. Nun können wir ausgehend von dieser Vorstellung über den Atem die Übung noch einmal ausführen. Wir lassen die Arme seitlich nach oben steigen, ohne die Lungen willentlich zu füllen. Der Brustraum weitet sich und der Atem kann leicht und wie von selbst in die Lungen einströmen. Beim Senken der Arme zieht sich der Brustkorb zusammen und der Atem strömt wieder nach außen. Es entsteht ein deutliches Erleben des den Menschen umgebenden Luftraumes, über den er mit seiner Umgebung in Beziehung steht, und ein Empfinden von Weite, Frische und Klarheit stellt sich ein. Der Körper weicht angenehm zurück, und so kann sich mehr eine Wahrnehmung zur Weite des Atems entwickeln. Die Wahrnehmung ist jetzt nicht auf den eigenen Körper beschränkt, sondern tendenziell nach außen gerichtet. Gleichzeitig kann die Bewegung der Arme viel leichter und entspannter erfolgen. 3

4 Auf den nächsten beiden Bildern ist zu sehen, wie sich nun eine ganz andere Ausstrahlung entwickelt: Der Körper wirkt insgesamt gelöster, feiner und ausdifferenzierter und gewährt einen Raum für die Umgebung. Es zeigt sich ein lichthafter und verbindender Ausdruck. Erleben der Weite des Atems Der Weg von oben nach unten Wenn wir eine Yogaübung nicht nur willentlich oder körperlich-mechanisch ausführen, sondern eine bildhafte Vorstellung wie beispielsweise hier zum Atem entwickeln, werden wir im Bewusstsein aktiv. Das heißt wir greifen nicht auf die im Körper aufgespeicherten Energien und Gefühle zurück und setzen diese frei, sondern wir entwickeln ausgehend vom Gedanken ganz neue und meist noch unbekannte Empfindungen, die nun ganz unabhängig von unserem Körper entstehen. Diese Empfindungen entstehen direkt aus der bewussten gedanklichen Vorstellungsbildung. Der Körper wird dabei zu einem Instrument, auf dem die Empfindung ihren Ausdruck findet. Schematisch lässt sich dies folgendermaßen darstellen: Gedanke Empfindung Körper (Der Weg von oben nach unten) 4

5 Mit dieser schöpferischen Bewusstseinsaktivität entsteht zum einen eine größere Freiheit gegenüber dem Körper, was sich in einer leichten und ästhetischen Bewegung ausdrückt, und zum anderen löst sich auch der Atem mehr aus der Gebundenheit und wird freier, was sich in einem weichen und gelösten Atem zeigt. Da der Atem und die Prana-Energie in einer engen Verbindung stehen, entsteht damit auch eine Wirkung auf die letztere. Die Lebensenergie kommt wie auch bei der mechanischen Atemlenkung wieder mehr in ein Fließen, und sie wird durch die bewusste schöpferische Vorstellungstätigkeit zusätzlich in eine feine Durchgestaltung gebracht. Darüber hinaus wird durch die Bewusstseinsaktivität aus dem Gedanken sogar neue Energie geschaffen. Diese ist feiner als die sehr körpernahe Prana-Energie und findet ihre Bezeichnung als Ätherenergie. Der Ansatz der Yoga-Praxis erfolgt nun aus einem aktiven In-Beziehung-Treten zu einem Gedanken, woraus eine Empfindung von Weite und Verbundenheit entsteht, welche wiederum über die Formung des Körpers zum Ausdruck gebracht wird. Es werden hier der Rückzug auf sich selbst, Passivität und Konsumhaltung alles Tendenzen, die durch die heutigen Zeitumstände gefördert werden überwunden, und der Übende lernt darüber hinaus, die Umstände des Lebens aus der Beziehung heraus zu formen und zu gestalten. Er muss nun nicht mehr aus den Schwierigkeiten und auszehrenden Umständen in eine energetische Vitalität oder eine weltenferne Spiritualität flüchten, sondern er entwickelt die Fähigkeit, den Gedanken, das heißt das Geistige oder die Spiritualität, in eine Synthese mit der Welt zu bringen. Der Übende kann diese Fähigkeit zunehmend auch im sozialen Leben entwicklungsfördernd und aufbauend einsetzen. Er prägt damit allgemein im Leben eine mehr gebende Haltung aus, welche wiederum das menschliche Miteinander fördert. Anders als beim klassischen Hatha-Yoga, der ausgehend vom Manifesten, also dem Körper und der zwar nicht mehr direkt sichtbaren aber doch deutlich spürbaren Prana-Energie, auf das Bewusstsein wirkt, um so zum nichtmanifesten Geist zu gelangen (Grafik links), liegt hier nun eine umgekehrte Bewegungsrichtung vor: vom Geist auf das Bewusstsein und vom Bewusstsein auf die Prana-Ströme und den Körper (Grafik rechts). Man könnte auch sagen, es ist ein Weg von oben nach unten, vom Nicht-Manifesten zum Manifesten. Diese neue und zeitgemäße Form der Yogapraxis wurde in jahrzehntelanger Forschungsarbeit maßgeblich von Heinz Grill entwickelt und von ihm als ein Neuer Yogawille bezeichnet. Geist Geist Bewusstsein Bewusstsein Körper Körper (Der Weg von unten nach oben, wie er beispielsweise beim klassischen Hatha-Yoga verfolgt wird) (Der Weg von oben nach unten, wie er im Neuen Yogawillen praktiziert wird) 5

6 Imaginative Gedanken als Grundlage der Vorstellungsentwicklung Bei der Ausführung des Übungsbeispiels im Sinne des Neuen Yogawillens haben wir uns eine bewusste Vorstellung zum Atem gebildet, daraus ist eine Empfindung entstanden und diese ist in der körperlichen Ausführung zum Ausdruck gekommen. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich hierbei nicht um eine beliebig gewählte Vorstellung handelt, sondern dass diese einen konkreten Wahrheitsgehalt aufweist. Dieser bildhaften Vorstellung liegt ein sogenannter imaginativer Gedanke zugrunde. Dies bedeutet, dass dieser Gedanke nicht ein gewöhnlicher, intellektueller, auf die sinnlich-sichtbare Welt beschränkter Gedanke ist, sondern wahre, seelisch-geistige Zusammenhänge offenbart. Würde man vom gewöhnlichen Denken ausgehen, wäre die Gefahr recht groß, dass man versehentlich doch wieder vom Körper also vom Sinnlich-Sichtbaren ausgehend zur Spiritualität zu gelangen versucht. Es erweist sich deshalb als hilfreich, sich zunächst auf spirituelle Schriften von geistigen Lehrern zu stützen, da der Praktizierende selbst in der Regel erst einmal nicht in der Lage ist, in die seelisch-geistigen Welten zu blicken. Heinz Grill gibt in seinem Werk Die Seelendimension des Yoga mit seinen Beschreibungen einer Vielzahl von Asanas im Hinblick auf ihre seelisch-geistige Bedeutung gerade für die Praxis von Körperübungen eine bedeutende Grundlage, die bei tieferer Auseinandersetzung dazu führt, dass der Übende zunehmend selbst in diese geheimnisvollen und verborgenen Bereiche jenseits des Sinnlich-Sichtbaren einzudringen lernt. Die bewusste schöpferische Gedankenaktivität wirkt gesundheitsfördernd auf den Menschen Zusammenfassend lässt sich sagen: Die heutigen Zeitumstände, die einhergehen mit starkem Leistungsdenken und Konsumorientierung, verstärken tendenziell die Vereinzelung und passive Haltung des Menschen. Mit der Vereinzelung entsteht ein Gefühl des Getrenntseins und Auf-sich-selbst-Zurückgeworfenseins, und mit der passiven Haltung ist das Bedürfnis nach Haben-Wollen verbunden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Möglichkeit der mechanisch-körperlichen Stimulierung der Prana-Energie mit Yoga-Übungen großen Anklang findet. Denn es wird durch die damit gegebene Vitalisierung und Energetisierung das Gefühl des Getrenntseins überdeckt und das Bedürfnis nach Haben-Wollen befriedigt. Darüber hinaus entsteht durch das Hochgefühl der Vitalisierung der Eindruck einer verbesserten Gesundheit. Diese Form der Gesundheitssicht ist jedoch, wie wir weiter oben gesehen haben, trügerisch, denn sie bezieht sich allein auf die im Körper vorhandene Energie und lässt den seelisch-geistigen Bereich des Menschen außer Acht. Bezieht man neben dem Körper auch Seele und Geist des Menschen in die Betrachtung mit ein, so kommt man zu ganz anderen Schlussfolgerungen. In der Seele lebt der Wunsch nach Verbindung und Beziehung. Dieser drückt sich darin aus, dass das Bewusstsein nicht passiv und auf sich selbst begrenzt bleiben möchte, sondern in einer beständigen Aktivität nach einer Ausdehnung und Weitung in der Berührung mit der Außenwelt strebt. Die Gesundheit 6

7 des Menschen wird dann tatsächlich gefördert, wenn wir diesem tiefen seelischen Wunsch nachgehen. In diesem Sinne kann die Übungsweise des Neuen Yogawillens mit ihrem Ansatz der bewussten schöpferischen Gedankenaktivität als gesundheitsfördernd gelten. Es wird damit die eigene Aktivität und Schöpferkraft gestärkt und die Beziehungsfähigkeit entwickelt. Zur Autorin: Rita Egger, Yogalehrerin und Heilpraktikerin, ist im Raum Rosenheim und München tätig. Mehr Info: Kontakt: 7