Es war einmal eine Alte und ein Biest...

Transkript

1 Es war einmal eine Alte und ein Biest... Von der Mutter nicht akzeptiert und ins Wasser gestoßen, kurz vor dem Ertrinken gerettet, verschmelzen Mensch und Esel in einer Inszenierung mit Schauspiel, Tanz, Puppenspiel und Musik zu einem. Ilka Schönbein schlüpft in der Aufführung von Die Alte und das Biest in viele verschiedene Rollen. Tanz, Alter, der Wunsch nach einem Kind, Gott, der Tod und dessen Bezwingung werden dabei thematisiert und in eine vielseitige Handlung eingebettet: Die Alte erzählt die Geschichte von einer Königin, die einen Esel zur Welt bringt und diesen zu ertränken versucht, weil er für sie kein brauchbarer Erbe ist. Doch der Esel wird an Land gezerrt und verschmilzt mit seiner Retterin. Verzweifelt versucht die Alte mittels dieser Erzählungen das absehbare Ende ihres Lebens aufzuschieben und den Tod auszutricksen. Eine märchenhafte und lustige Darstellung beginnt, in der Ilka Schönbein vollen Körpereinsatz zeigt. Alexandra Lupidi, die hauptsächlich für Musik und Gesang verantwortlich ist, ergänzt Ilka Schönbein dabei immer wieder in ihren Erzählungen und Darstellungen. Ilka Schönbein und das Theater Meschugge Ilka Schönbein ist Figuren- und Maskenspielerin, Tänzerin und Schauspielerin. Seit den achtziger Jahren ist sie mit ihrem Theater Meschugge auf den Straßen unterwegs. Meschugge stammt aus dem Jiddischen und bedeutet so viel wie verrückt - und das sind Ilka Schönbein und ihre Gruppe in der Tat. Mit der etwas anderen Theaterform und Inszenierung bleibt die Begeisterung bei den Zuschauern nicht aus. In Frankreich spielt sie schon seit langem in den Theatern und auch in ihrem Heimatland Deutschland ist ihr bereits der Durchbruch gelungen.

2 Das Schauspiel wurde als La vieille et la bête im Dezember 2010 in Frankreich im Théâtre de la commune uraufgeführt. Das Theater präsentiert alle Aufführungen von Ilka Schönbein, die in Frankreich immer ausverkauft sind. Inspiration und Kreation Ilka Schönbein erfindet ihre Theaterstücke nach Geschichten, die ihr ihr Vater erzählt hat als sie noch klein war. Besonders sein Tod veranlasste sie dazu sich intensiv mit Leben, Tod und Vergänglichkeit auseinander zu setzen. So kombiniert sie auch in Die Alte und das Biest viele verschiedenartige Handlungen und erweitert, verändert und verknüpft diese: Es war einmal eine kleine Ballerina Ilka Schönbein erzählt eine Geschichte von dem Schicksal einer kleinen, talentierten Ballerina, die mit den Jahren zu einer Prima Ballerina wird und letztendlich als eine alte Balleruine endet. Alexandra Lebon

3 Ach nein Tod, nicht jetzt! Eine Alte namens Léna lädt Gott in ihr Haus ein und darf sich als Dank etwas wünschen. Sie wünscht sich, dass alle, die versuchen auf ihren Apfelbaum zu klettern, um Äpfel zu pflücken, daran kleben bleiben, bis sie selbst sie wieder herunter lässt. Folglich hat sie so viele Äpfel, dass sie mit ihnen nichts mehr anzufangen weiß und beginnt alle möglichen Nahrungsmittel und Getränke herzustellen. Als der Tod an ihre Tür klopft, bittet die Alte diesen um einen letzten Gefallen: Er soll ihr einen Apfel vom Baum holen für die Reise. Doch wie jeder andere, der sich daran versucht, bleibt auch der Tod kleben. Die Alte nutzt die Gelegenheit, um ihm eine Geschichte zu erzählen - die vom kleinen Eselein. Alexandra Lebon

4 Léna lässt den Tod lange auf dem Baum sitzen und wird immer älter. Doch trotz körperlicher Schwäche, will sie nicht ins Altersheim. Als sie ihren 85. Geburtstag feiert, bricht sie sich ein Bein und muss ins Krankenhaus. Sie will nicht mehr essen und sie will auch ihr Bein nicht mehr. Erst dann gibt sie dem Tod die Erlaubnis vom Baum herunter zu klettern und stirbt. Ilka Schönbein orientiert sich in diesem Teil hauptsächlich an dem Märchen Der Tod auf dem Apfelbaum, in dem sich ein alter Mann in einer ähnlichen Situation wie Léna befindet. Das Eselein - nach Grimm Eine Königin bittet den Himmel ihren lang ersehnten Kinderwunsch zu erfüllen. Doch anstatt eines würdigen Erbens, bringt sie einen Esel zur Welt. Trotz seiner unansehnlichen Gestalt bekommt er eine königliche Erziehung und lernt sogar die Laute zu spielen. Er verliebt sich in eine Königstochter, heiratet sie und verwandelt sich in einen schönen Prinzen. Auch das Märchen Die Schöne und das Biest ist nicht nur im Titel wiederzufinden: Trotz der unansehnlichen Gestalt des Biests, verliebt sich eine Prinzessin in dieses und verwandelt es in einen Prinzen. Alexandra Lebon

5 Eine Frage des Körpers Ilka Schönbein legt bei ihren Inszenierungen Wert auf eine außergewöhnliche und abwechslungsreiche Darstellung. Fast allein, steht sie auf der schlichten Bühne, denn es geht um sie und ihren Körper. Dabei kennt die Schauspielerin keine Scham und setzt ihre magere Gestalt in Szene. Es geht ihr nicht darum besonders schön und ästhetisch auszusehen, sondern so überzeugend wie möglich darzustellen. Obwohl sie Gesichter verzerrt, ihren Körper entstellt und hemmungslos alles von diesem preisgibt und damit viele entsetzte Gesichter hervorruft, ist sie zur gleichen Zeit so authentisch und ausdrucksvoll, dass der Zuschauer schnell sein eigenes Schamgefühl vergisst und fasziniert jeder ihrer Bewegungen folgt. Um noch vielfältiger darstellen zu können, benutzt Ilka Schönbein selbst angefertigte Masken und Körpermarionetten, die mit ihrem Körper verschmelzen und sie noch wandelbarer machen. Innerhalb einer Aufführung schlüpft sie in mehrere verschiedene Rollen, die durch verschiedene Masken und Kostüme gekennzeichnet werden. So sitzt Ilka Schönbein zu Beginn von Die Alte und das Biest auf einem Stuhl auf einer kleinen schwarzen Bühne und hält ein rosafarbenes Ballerinakostüm vor ihren Körper. Ihr Kopf und ihre Füße vollenden das Kostüm zu der kleinen Ballerina, die an die Petite danseuse de 14 ans von dem französischen Künstler Edgar Degas erinnert. Es beginnt eine tragisch- komische Darstellung des Älter- Werdens der kleinen Ballerina in Form eines Tanzes. Dabei sind die einzelnen Bewegungen nicht exakt einstudiert, sondern improvisiert. Musikalisch begleitet und sprachlich ergänzt wird sie von Alexandra Lupidi. Eine perfekte Kombination. Aber damit nicht genug: Haben Sie schon mal eine Königin gesehen, die einen Esel zur Welt bringt? Oder eine Szene, in der sich ein Körper verwandelt und Mensch und Esel in einer Gestalt dargestellt werden? Ilka Schönbein tut genau das. Ohne Scham wälzt sie sich in Heu, gebärt einen Esel in Form einer Handpuppe und trägt eine struppige Fellhose mit einem langen Schwanz.

6 Alexandra Lebon Doch auch das reicht der Marionettenkünstlerin nicht. Sie geht nicht nur an die Grenzen der Darstellung des Irdischen und Realen, sondern stellt sogar den Tod dar. Als dieser auf die Bitte von Léna auf den Baum klettert und dort kleben bleibt, stellt Ilka Schönbein den Tod fliegend dar, in dem sie mit außergewöhnlichen Mitteln arbeitet. Alexandra Lebon

7 Mit jeder Sekunde der Inszenierung wird deutlicher: Ilka Schönbein lebt ihre Vorführungen. Sie zieht das Publikum nicht nur in einen Bann der Faszination, sondern bezieht es auch in die Handlung mit ein. Die Aufführungen finden meist in kleineren Räumlichkeiten statt mit lediglich einer kleinen, schwarzen, quadratischen Bühne von der die Darstellerin oftmals herunterklettert, sich drum herum bewegt und sich mit den Zuschauern auf einer Augenhöhe befindet. Dabei umarmt sie das Publikum, teilt mit ihm Apfelstücke von Mund zu Mund, klettert durch die Sitzreihen, spricht immer wieder einzelne an und stößt sogar mit einigen auf ihre eigene Gesundheit an. Dabei reagiert sie spontan und professionell auf die Zuschauer, die freudig mitspielen. Ilka Schönbeins intensive Spielweise und ihre Energie, springt durch diese Nähe auf das Publikum über, begeistert und berührt es. Alexandra Lebon Am Ende der Vorführung lädt sie das Publikum zu Cidre und Apfelsaft ein, wo jeder die Möglichkeit hat, mit ihr und den Mitwirkenden ins Gespräch zu kommen.

8 Alexandra Lupidi und Ilka Schönbein - Ein geniales Duo Ganz schlicht hält Ilka Schönbein das Drumherum. Mitten im Raum steht ein kleines, schwarzes Podest- gerade mal einen Meter hoch und vier Quadratmeter groß- das ist ihre Bühne, die sie vielseitig nutzt. Unter, neben und hinter dem Podest sind einzelne Requisiten positioniert. Der Hintergrund besteht aus schwarzen Vorhängen. Links etwas abseits vom kleinen Podest befinden sich verschiedene Instrumente für dessen Einsatz Alexandra Lupidi zuständig ist. Die mit Frack und Zylinder bekleidete Französin leitet das Stück allerdings nicht nur musikalisch ein, sondern begrüßt die Zuschauer und übernimmt zum Teil eine Art Erzählerfigur. Sie begleitet, unterstreicht und ergänzt das Schauspiel musikalisch und wird für kleine verschiedene Rollen eingesetzt. Oftmals singt Alexandra Lupidi erzählungsbegleitend, zeitweise sogar mit der Marionettenkünstlerin zusammen: Als der Esel sich in die Prinzessin verliebt, singen die beiden zweistimmig das Lied Bei mir bist du scheen von den Andrews Sisters, allerdings auf ihre ganz eigene Art und Weise. Bevor Léna am Ende stirbt, stimmen Ilka Schönbein und Alexandra Lupidi einen Auszug aus dem französischen Lied Nous dormerions ensemble von Jean Ferrat an, welches die Alte in den Tod begleitet. Als der Zuschauer die Vorführung beendet vermutet, fordert Alexandra Lupidi das Publikum auf ZU- GA- BE zu rufen. Sobald das gesamte Publikum mit einstimmt, steht die Alte wieder auf und beendet die Aufführung mit den Worten: Es lebe das Leben, es lebe der Tod. In Die Alte und das Biest zeigt Ilka Schönbein, dass man wenig benötigt um viel auszudrücken. Zusammen mit ihrer Theatergruppe überrascht sie das Publikum immer wieder mit neuen und kreativen Ideen, die man in einer solchen Vielfalt und Kombination noch nie gesehen hat.

9 Für einige mag dieses auf den ersten Blick verrückt erscheinen, aber gerade ihre Verrücktheit macht die Vorführung zu etwas einzigartigem. Teilweise war es schwierig dem Handlungsverlauf zu folgen, da sich viele Handlungsstränge verknüpft haben und alle Figuren von der ein und selben Person dargestellt wurden. Dennoch hat sich das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute von der märchenhaften Erzählung mitreißen lassen, sodass kleine Unklarheiten nebensächlich wurden. Die Alte und das Biest bringt zum Lachen und regt zum Nachdenken an. Mit Musik, Tanz, Humor, Schauspiel und Marionetten liefert es eine perfekte Kombination. Die Alte und das Biest Mit: Ilka Schönbein und Alexandra Lupidi Musik: Alexandra Lupidi Licht: Sébastien Choriol und Anja Schimanski Regie: Ilka Schönbein und Simone Decloedt