SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst. Das Schweigen der Vulkane - Wie gefährlich sind Ätna, Stromboli und Vesuv?

Transkript

1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst Das Schweigen der Vulkane - Wie gefährlich sind Ätna, Stromboli und Vesuv? Autorin und Sprecherin: Sonja Striegl Übersetzer: Till Harreis, Christoph König, Martin Ruthenberg Redaktion: Markus Bohn Sendung: Mittwoch, 1. Juli 2009, Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag, Uhr bis Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten unter Telefon: 07221/ ! Entdecken Sie den SWR2 RadioClub! Lernen Sie das Radioprogramm SWR2 und den SWR2 RadioClub näher kennen! Fordern Sie unverbindlich und kostenlos das aktuelle SWR2-Programmheft und das Magazin des SWR2 RadioClubs an. SWR2 RadioClub-Mitglieder profitieren u. a. von deutlichen Rabatten bei zahlreichen Kulturpartnern und allen SWR2-Veranstaltungen sowie beim Kauf von Musik- und Wort- CDs. Selbstverständlich erhalten Sie auch umfassende Programm- und Hintergrundinformationen zu SWR2. Per radioclub@swr2.de; per Telefon: 01803/ (9 ct/minute); per Post: SWR2 RadioClub, Baden-Baden (Stichwort: Gratisvorstellung) oder über das Internet: SWR2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter 1

2 ATMO: Vulkan Stromboli Massimo Orazi kauert an der Ostflanke des Vulkans Stromboli und wartet. Auf den nächsten kleinen Ausbruch. Er genießt die Stille davor. O-Ton 1a - Massimo Orazi (mit ATMO): It s a fantastic silence, ATMO: Vulkan Stromboli O-Ton 1b - Massimo Orazi (mit ATMO): The first time I was bring here by helicopter, after few minutes I heard a little explosion Als ich das erste Mal hier hoch gebracht worden bin, mit dem Hubschrauber, hab ich kurz darauf eine kleine Explosion gehört und ich hatte das Gefühl: ich bin eine winzige Ameise auf dem Rücken eines Elefanten. Der Stromboli ist eine Herausforderung, die Mechanismen hinter all dem zu verstehen, die Physik. Der Vesuv, na ja, er ist wie ein Mensch, der schläft. Schlafende Menschen kann man lieben, aber unterhalten kann man sich nicht mit ihnen. but you cannot interact with these people. ATMO: Vulkan Stromboli Das Schweigen der Vulkane - Wie gefährlich sind Ätna, Stromboli und Vesuv? Eine Sendung von Sonja Striegl. O-Ton 2 - Massimo Orazi (mit Explosion Stromboli): There is some rising gas, Im Schlot steigt immer etwas Gas auf und drückt gegen die darüber liegenden Flüssigkeiten. Irgendwann zerplatzen sie, das ist typisch für den Stromboli. Bumm! Bumm... (Hahn kräht, Asche fällt runter) this is a typical activity of Stromboli - Bumm! Was a lot... haha Massimo Orazi vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie, Sektion Neapel, ist nicht der Einzige, der fasziniert ist von dem kegelförmigen Inselvulkan nordöstlich von Sizilien. Die regelmäßigen kleinen Ausbrüche des Stromboli sind weltweit einmalig. Früher oder später überwindet jeder Vulkanliebhaber die 900 Höhenmeter, um in die Lava spuckenden Krater zu spähen. Dr. Boris Behncke etwa. Er erforscht im sizilianischen Catania den mächtigsten Vulkan Europas, den Ätna. Ihn hätte der 2

3 Stromboli fast umgebracht: O-Ton 3 - Boris Behncke: Da war ich eine ganze Menge Male. Ich habe sogar etliche Male dort oben übernachtet, bis ich irgendwann Fracksausen bekommen hab. Weil irgendwann fing ich an, Bilder zu sehen, besonders als Internet kam, wo die Stelle, wo ich in der Regel geschlafen habe, wo man dort die Reste von verbrannten Schlafsäcken und Matratzen sah und metergroße schwarze Bomben, die frisch gefallen waren. Irgendwann dachte ich mir, nee, das sollte ich doch bleiben lassen. Behnckes Kollege in Catania, der Seismologe Dr. Horst Langer, hat auch schon Bekanntschaft mit den Gewalten des Stromboli gemacht. Doch während es den Vulkanologen immer nah ran an den Krater, die Lava zieht, ist die Arbeit des Erdbebenforschers eine sichere Sache. Er analysiert auf Bildschirmen Kurven und Linien. Denn Erdbeben künden Vulkanausbrüche nicht nur an, sie charakterisieren sie auch. Für ein Abenteuer hält Horst Langer seine Erfahrungen im Kontrollzentrum auf Stromboli nicht: O-Ton 4 - Horst Langer: Und zwar deswegen, weil 2003 da war die Geschichte mit dem Erdrutsch und dem Tsunami, der sich entwickelt hat, und da war ich dreimal in der Woche verdonnert, Bereitschaftsdienst zu machen und entsprechend die Daten anzuschauen, kleine Auswertungen zu machen und 2007 war ich das letzte Mal da, da war auch eine kleine Krise, da musste ich auch antanzen. ATMO: COA Bildschirme an drei Seiten des Raumes, technisches Gerät, Kabel, heruntergelassene Rollläden gegen die Sonne. Spektakulär ist das Kontrollzentrum auf Stromboli tatsächlich nicht. Es besteht aus zwei Räumen, die der italienische Zivilschutz dem Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie, kurz INGV, zur Verfügung stellt. In einem altrosa Haus oberhalb des Hauptortes Stromboli. Hier laufen die Daten der 14 Messstationen auf, hier untersuchen Massimo Orazi und sein Kollege Rosario Peluso regelmäßig, ob alles funktioniert. Das ist ihr Job: dafür zu sorgen, dass die Geräte die wichtigen Daten liefern, die in Neapel und Catania, in Rom und Florenz von sorgsamen Augen überwacht werden: O-Ton 5 - Massimo Orazi (mit ATMO): Okay this is the first room. Here you can see infrared camera which is installed on Das ist der erste Raum. Hier können Sie die Infrarotkamera sehen, die oben am Gipfel installiert ist und diese Kamera hier schaut in Richtung Krateröffnungen. Und wenn Sie ein paar Minuten warten, dann können Sie auf diesem Bildschirm eine Explosion sehen. Schauen Sie. Das ist die normale Aktivität des Stromboli. Die ist so charakteristisch, dass sie allen Vulkanen dieser Welt ihren Namen gegeben hat, die diese Aktivität 3

4 zeigen: strombolianisch. - Der letzte Notfall war im Februar, März Auf diesem Monitor hier... The last emergency was in 2/ This is the monitor which show Piiiiiiiep. ATMO: Piiiep Wie auf ein Zeichen geht ein Alarm an, als Massimo vom Notfall spricht. Aus der Fassung gerät er deswegen nicht, die Bildschirme zeigen nur die normale Aktivität am Gipfel. Vermutlich ist es der Rauchmelder, der sich selbständig gemacht hat. Abgesehen von den größeren Ausbrüchen in den Jahren 2003 und und natürlich den herumfliegenden vulkanischen Bomben direkt am Kraterrand - beunruhigt der Stromboli die Vulkanologen nicht wirklich. Mehrmals pro Stunde schleudert er Asche, Schlacke oder Lava aus derzeit vier Krateröffnungen und verhindert so, dass der Schlot verstopft, sich extremer Druck aufbaut und der Stromboli irgendwann Amok läuft. Das wäre das Schlimmste, was den süditalienischen Forschern passieren könnte. Dass ihr Netz aus Hunderten Beobachtungspunkten und modernsten Messinstrumenten ein Detail übersieht. Und dass Vesuv oder Ätna oder auch der Stromboli mit einem gewaltigen explosiven Ausbruch alle überrascht. Die Geschichte der Vulkane zeigt, dass sie dazu in der Lage sind. ATMO: Observatorio (Schritte, Stimme Martini) Dr. Marcello Martini ist der Chef von Massimo. Er hat ihn und Rosario zum Stromboli geschickt. Martini ist Direktor des INGV in Neapel. In dem schlichten, rechteckigen Gebäudeklotz am Stadtrand erforschen 120 Mitarbeiter die süditalienischen Vulkane. Rund um die Uhr müssen zwei von ihnen im Kontrollzentrum quasi Wache schieben und die Nachrichten auf den Monitoren entschlüsseln. Für den Fall des Notfalls gibt es eine direkte Telefonverbindung zum Zivilschutz in Rom. Martini nennt die drei wichtigsten Vorboten für einen Vulkanausbruch: O-Ton 6 - Marcello Martini: We have a complex system that make it... Wir haben ein komplexes System, das es uns ermöglicht nicht nur die Erdbebenaktivität zu beobachten, sondern auch die Bodendeformation zu messen und dafür haben wir unterschiedliche Instrumente. Dazu kommen noch drittens die Gasemissionen wie am Gipfel des Vesuvs. Wir beobachten die Zusammensetzung des Gases und die Temperatur.... or physical parameters like temperature. In Echtzeit flimmern die Daten über die Bildschirme. Vor allem auf den Monitoren, die 4

5 die Aktivität am Vesuv wiedergeben, tut sich nichts. Während am Stromboli 250 mal am Tag kleinere Explosionen stattfinden, regen sich am Vesuv etwa 200 äußerst schwache Erdbeben. Im Jahr. Sie liegen unter 2 auf der Richterskala, für Menschen kaum spürbar. Ist der Vesuv also ein uninteressanter Vulkan? Martini wirkt empört, allerdings argumentiert er eher wie ein Tourismusminister: O-Ton 7 - Marcello Martini: No no, is a very interesting volcano! For tourism. Natürlich sei ein Ausbruch innerhalb der nächsten Wochen höchst unwahrscheinlich, gibt er zu, es völlig ausschließen will er aber nicht. Denn trotz aller Kontrolle wissen die Forscher nicht exakt, wie die zeitlichen Abläufe aussehen werden und wie lange z. B. die Vorboten den Ausbruch ankündigen: ATMO: Schritte Macedonio Und deshalb beschäftigt die Forscher des Instituts immer wieder der Evakuierungsplan für die Region Neapel. Aber darüber müssen Sie nachher mit Giovanni Macedonio sprechen, der rechnet mit solchen Modellen... (Martini) ATMO: (mit Macedonio sprechen) Martini geht in sein Büro. Er wäre lieber irgendwo draußen, bei den Vulkanen. Am Stromboli hat er als junger Wissenschaftler seinen ersten Ausbruch erlebt, dort hat er seine Liebe zu den Vulkanen entdeckt: O-Ton 8 - Marcello Martini: It was my first eruption, because I had never seen an eruption before, this was my first approach to the volcanoes and it was very strong! ATMO: Laptop Als Direktor des Instituts darf Martini mehr mit den Behörden sprechen als den Vulkanen zu lauschen. Er rückt den Laptop zurecht, zeigt Satellitenbilder. Die Vulkane werden längst auch aus dem Weltall beobachtet. Zentimeter genau wird gemessen, ob ein Vulkan sich ausdehnt. Das spricht dafür, dass er sich mit Magma füllt. Manchmal hebt sich auch der Boden. Das ist typisch für eine vulkanische Gegend westlich von Neapel: die Campi Flegrei, die Felder des Feuers. Beliebtes Ausflugsziel für Touristen ist der Solfatara Krater, aus dem heiße Dämpfe zischen, die Fumarolen. Martini zeigt auf das Satellitenfoto: O-Ton 9 - Marcello Martini (mit ATMO): Solfatara is this small white place here 5

6 Solfatara ist dieser weiße Flecken hier. Weiß weil es Fumarolen gibt, heiße Dämpfe. Die können nach oben entkommen wegen der Risse im Gestein.... und ja, das ist privat. Es gibt einen Eigentümer (ha!). Alles hier ist Vulkan! But in any case everything is a volcano here. ATMO: Vögel und Dampf Unter der Erdoberfläche brodelt es. Das gesamte Gebiet ist tektonischen Bewegungen unterworfen, überall gibt es Risse, durch die Magma aus dem Erdmantel nach oben steigt. An mehreren Stellen im Krater schießt heißer Schwefeldampf aus dem Schlamm. Es stinkt erbärmlich: ATMO: Dampf und Vögel O-Ton 10 - Nicóla Fidele: Yes, I work here, I am here every day, but we know that we are here inside an active area known as the Flegrian Fields Nicóla Fidele ist einer der Führer. Heute hat er nichts zu tun. Die meisten Touristen steigen auf den Vesuv, wo es nur mäßig dampft. Dabei ist hier viel mehr zu erleben: O-Ton 11 - Nicóla Fidele: Solfatara is very very gorgeous Solfatara ist so eindrucksvoll! Hier können Sie den warmen Boden berühren, Sie können den Schwefel riechen, den Gasdruck hören. Es gibt einen Campingplatz innerhalb des Vulkans und ein paar Meter weiter ändert sich die Landschaft völlig. Wir sind es gewohnt hier zu leben. Solfatara hat das ganze Jahr über geöffnet, jeden Tag. Der Vulkan ist aktiv, Tag für Tag, jeden Moment.... and the volcano it s active every every day in each moment (ha!). Vor dieser ständigen vulkanischen Aktivität hat Nicóla aber keine Angst, er fühlt sich im Krater sicher, denn er weiß, dass die Vulkanologen alles überwachen: O-Ton 12 - Nicóla Fidele: So, here I hope we are very safe. Der Eigentümer des Vulkans denkt offenbar genauso. Er betreibt im alten Krater nicht nur einen Campingplatz, sondern auch ein Restaurant. Aber auch die Vulkanologen vom INGV fürchten sich nicht. Weder vor einem Ausbruch in den Flegreischen Feldern, noch 6

7 vor einem Ausbruch des Vesuvs. Zu viele von ihnen wohnen in dieser Gegend, besitzen Häuser und Wohnungen. Das wäre wohl der vierte Vorbote für einen Ausbruch, wenn ausgewiesene Experten schlagartig weg ziehen würden wie Marcello Martini oder sein Kollege Giovanni Macedonio: O-Ton 13 - Giovanni Macedonio: I know of many of my collegues that Viele meiner Kollegen wohnen am Vesuv oder in den Flegreischen Feldern. Wir müssen eben mit dem Vulkan leben und mit dem Risiko. Das wichtigste ist, exakte Informationen zu haben und das Risiko richtig einzuschätzen. and the right perception of the risk. Professor Giovanni Macedonio gehört zu denen, die die exakten Informationen haben. Während Direktor Martini die vulkanologischen Grundlagen vermittelt, erklärt Macedonio die Details. Er benötigt dazu keinen Ausflug ins Freie, keine Landkarten oder Computerbilder. Er erzählt. Mehr als alle Warnungen des Zivilschutzes sind es kleine Vorfälle wie diese, die klar machen, dass die gut beobachteten Vulkane immer wieder Rätsel aufgeben: O-Ton 14 - Giovanni Macedonio: Last month there was a small hmmmm Letzten Monat haben wir einen kleinen - wir können nicht von Ausbruch sprechen - aber es kam etwas Schlamm an die Oberfläche, in der Nähe des Solfatara. Das macht uns ein paar Sorgen, denn dieses Phänomen haben wir dort noch nie gesehen! was not seen before. Jeder Vulkan zeigt ein Ausbruchsmuster, an dem sich die Forscher bei ihren Vorhersagen orientieren. Nur leider halten sich die Vulkane nicht immer genau daran. Auch die Geschichte des Vesuvs zeigt das. Vor Jahren war er noch ein gutmütiger Vulkan. Sein Magma war basaltisch, sehr flüssig, aus dem Krater Mount Somma liefen Lavaströme. Diese berechenbare Aktivität ebbte vor Jahren ab. Nun veränderte sich das Magma, es wurde saurer - und es wurde immer mehr. Ein zweiter Krater brach auf: der Vesuv. Jetzt produzierte der Vulkan explosive Ausbrüche. Typisches Kennzeichen: die Kilometer hohe Eruptionssäule. Der bekannteste Ausbruch zerstörte im Jahr 79 nach Christus Herkulaneum und Pompeji brach er ein letztes Mal explosiv aus, danach folgten harmlosere Ausbrüche. Der letzte Ausbruch 1944 war eine Mischform: kleinere Explosionen und Lavaströme. Seither schweigt der Vesuv. Und jetzt fragen Neapolitaner, Lokalpolitiker, Zivilschützer, Touristen und Vulkanliebhaber auf der ganzen Welt: wie geht es weiter am Vesuv, Senor Macedonio? 7

8 O-Ton 15 - Giovanni Macedonio: We expect, when we look back to the history of Vesuvius Wenn wir uns die Geschichte des Vesuvs angucken, dann erwarten wir nach einer Ruhephase, jetzt haben wir 60 Jahre seit der letzten Eruption, wir erwarten eine Explosion. Denn das wäre typisch für ihn. because this is typical for Vesuvius. Allerdings kann die Ruhephase 100 Jahre dauern. Oder Und nicht jede Explosion muss so gewaltig sein, dass die herausgeschleuderte Asche die Dächer der Häuser einstürzen lässt und die Landwirtschaft für Jahre lahm legt. Es muss auch nicht jedes Mal ein pyroklastischer Strom die Flanke hinabschießen, eine heiße, schnelle und fast unsichtbare Glutwolke, die niemand überlebt. Alle drei Vorboten - Bodendeformation, Gasveränderungen und Erdbeben - zeigen heute, dass der gefährlichste Vulkan Europas ermattet in einen tiefen Schlaf gefallen ist: O-Ton 16a - Giovanni Macedonio: We know from our network Unser Datennetz zeigt, dass der Vesuv sich ein klein bisschen senkt, ein, zwei Zentimeter pro Jahr. Und wir sehen auch keine Veränderung im Gas, die Temperatur der Fumarolen liegt bei etwa 95 Grad, also unter dem Siedepunkt des Wassers, und wenn Sie bedenken, dass in den 60er, 70er Jahren die Temperatur bei 700 Grad lag, dann kann man sagen, der obere Teil des Vesuvs hat sich abgekühlt. Wir messen kein magmatisches Gas wie Schwefeldioxid und es gibt auch keine Risse.... so there are no fractures. O-Ton 16b - Giovanni Macedonio: The earthquakes of Vesuvio Und die 200 bis 300 Erdbeben, die wir jährlich am Vesuv messen, ereignen sich nicht etwa, weil sich Magma bewegt. Sondern einfach, weil wir hier in einem Erdbebengebiet liegen! Also, die Situation ist sicher und ruhig. safe and quiet. Trotzdem sah sich der Bischof von Neapel im vergangenen Herbst veranlasst, vorsichtshalber einen Segen in Richtung Vesuv zu spenden. Der Artikel eines internationalen Forscherteams im renommierten Fachmagazin Nature war in die Schlagzeilen der Presse geraten. Auch deutsche Medien berichteten über die Forschungsergebnisse und zogen teilweise die falschen Rückschlüsse. Nämlich, dass 8

9 sich eine Magmakammer in einer Tiefe gefüllt hätte, wie sie für einen explosiven Ausbruch typisch ist. Wahr ist daran nur eines: die Tiefe der Magmakammer hängt mit der Heftigkeit des Ausbruchs zusammen. Je tiefer die Kammer, desto heftiger der Ausbruch. O-Ton 17 - Giovanni Macedonio: When the magma chamber... Wenn die Magmakammer sehr tief liegt, liegen natürlich enorme Mengen Fels und Stein über ihr, also benötigt es einen Riesendruck. Das war das Charakteristische an den ersten Ausbrüchen des Vesuvs! Doch dann hat sich die Magmakammer in immer geringeren Tiefen gefüllt. Das Magma stieg von zehn Kilometer hoch auf drei bis vier Kilometer. Jetzt lag weniger Fels darüber, es kam schneller zum Ausbruch. Dafür nahm die Heftigkeit ab. Das erklärt, warum der Ausbruch 79 nach Christus verheerend war, der im Jahr 1944 schwach. Dank dieser Erkenntnisse sind Aussagen über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ausbrüche möglich: O-Ton 18 - Giovanni Macedonio: With the repose time of 100 years there is... Nehmen wir eine Ruhephase von 100 Jahren an, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines gewaltigen Ausbruchs wie der, der Pompeji zerstört hat, 1 Prozent. Also sehr gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen mittelstarken Ausbruch kriegen, wie der von 1631 liegt schon bei rund 30 Prozent. Und die Wahrscheinlichkeit für einen kleinen Ausbruch liegt bei rund 70 Prozent. to 70 % to have a very small eruption. Und deshalb haben die Forscher, dem Zivilschutz geraten, den Evakuierungsplan für die Region Neapel gründlich zu überarbeiten: O-Ton 19 - Giovanni Macedonio: This was very useful because it was the basis for preparing the new emergency plan of Vesuvius. Während der alte Plan aus dem Jahr 2001 noch von einem mittelschweren Ausbruch ausging, geht der erst vor einigen Wochen vorgelegte neue Plan von einem kleinen Ausbruch aus. In dem aktuellen Plan wurde auch die Zahl der bedrohten Menschen nach unten korrigiert: von knapp auf Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit sind viele Leute weggezogen, andere haben das Geld genommen, das die Verwaltung denen anbietet, die die gefährlichste Zone, die rote Zone verlassen. Sie 9

10 wäre im Fall des Ausbruchs von den alles vernichtenden pyroklastischen Strömen bedroht. Wer sich nicht vor dem Ausbruch in Sicherheit gebracht hat, wird sterben. Etwas mehr Zeit zur Flucht hat, wer in der gelben Zone lebt. Hier werden große Mengen Asche nieder gehen. Weil der Wind statistisch gesehen meistens von West nach Ost weht, liegt die gelbe Zone östlich des Vesuvs. Und dann wäre da noch ein kleines Detail. Die Vulkanologen können mit den heutigen technischen Möglichkeiten nur Magmakammern orten, die größer sind als ein Kubikkilometer. Ein Kubikkilometer Magma hat ausgereicht, um 79 nach Christus für einen der berühmtesten Vulkanausbrüche zu sorgen: O-Ton 20 - Giovanni Macedonio: One square kilometer. That is very hudge for a volcano, this is the magma that was erupted during the eruption of Pompeji. ATMO: Trecastagni Hunderte Kilometer weiter südlich geht für Dr. Boris Behncke ein anstrengender Tag zu Ende. Der deutsche Vulkanologe vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie, Sektion Catania auf Sizilien hat den ganzen Tag eine Touristengruppe über den Ätna geführt. Auf seinem Weg nach Hause ins Dörfchen Trecastagni hat Behncke in der Dämmerung die rote Lava leuchten sehen. Seit Mai letzten Jahres fließt sie aus der oberen Ostflanke. Behncke ist glücklich, den Ätna zu erforschen und nicht den Vesuv: O-Ton 21 - Boris Behncke: Am Vesuv passiert im Augenblick überhaupt nichts. In der Hinsicht, wenn man Ausbrüche sehen will, ist das ein bisschen langweilig. Behncke ist verwöhnt. Am Ätna ereignen sich seit einigen Jahren alle Facetten des vulkanischen Schauspiels: explosive Ausbrüche, die Bildung neuer Krater, Lavaströme und sogar pyroklastische Ströme am Gipfel - das gefährlichste, was ein Vulkan bieten kann: O-Ton 22 - Boris Behncke: 1999 und 2006 hatte ich das sehr zweifelhafte Vergnügen, aus nur wenigen hundert Metern Entfernung, diese pyroklastischen Ströme zu sehen. Das ist sicherlich ein aufregendes Ereignis, aber ich finde das zwei Mal zu oft. Boris Behncke ist ausgewiesener Ätna-Experte. Seine Welt ist der Vulkan. Doch auch ohne alles Fachwissen ist es leicht, sich vom mächtigsten Vulkan Europas bezaubern zu lassen. Noch liegt Schnee am über 3000 Meter hohen Gipfel und wenn der Himmel tagsüber blau strahlt, die Lava der jüngsten Ausbrüche tief schwarz glänzt, dann kann einen das Gefühl von Erhabenheit zu Tränen rühren. Doch die Schönheit ist trügerisch. Der Ätna ist längst nicht mehr der gutmütige Greis, für den ihn viele halten. Früher galt 10

11 er als Gegenteil des explosiven, schlafenden Vesuvs. Man dachte, der Ätna sei zwar aktiv, aber harmlos: O-Ton 23 - Boris Behncke: Der Haken an der Sache ist, der Ätna ist bereits ein explosiver Vulkan seit langer Zeit. Vor Jahren ist er beispielsweise nahezu explodiert, damals verlor er fast 1000 Meter Höhe. Sanft war der Ätna am Anfang seiner Geschichte vor einer halben Million Jahre. Aber seit Jahren wird er immer explosiver. Das liegt auch am speziellen Magma. O-Ton 24 - Boris Behncke: Es ist auch so, dass der Ätna für einen Vulkan seines Typs - wir sprechen von einem basaltischen Vulkan, d. h. das Magma ist eigentlich relativ dünnflüssig, es ähnelt dem von Hawaii - und solche Vulkane, denkt man immer, sind nicht explosiv. Nur hat der Ätna noch ein besonderes Detail in seinem Magma, es ist extrem gasreich. Und wir haben besonders viel Kohlendioxid und Wasserdampf im Magma. Das sehen wir, wenn das Magma sehr schnell aus großer Tiefe zur Oberfläche aufsteigt, dann ist es noch sehr gasreich und dann kriegen wir ziemlich explosive Ausbrüche. Wir haben viele, relativ kleine explosive Ausbrüche gesehen in den letzten 10, 15 Jahren. Wir hatten an die 200 Lavafontänen und einige Ausbrüche haben bis zu 10 km hohe Säulen aus Asche und Gas geschaffen, Lavafontänen bis auf 2000 Meter Höhe über dem Gipfel. Das ist ziemlich explosiv. Das sind Dinge, die sind bereits da. Und das, was es so explosiv macht, ist eben Kohlendioxid und Wasserdampf. Das alles muss für Menschen nicht lebensbedrohlich sein, wenn der Ätna am Gipfel ausbricht. Denn der ist über 3300 Meter hoch und damit weit weg von Dörfern und Städten. Lästig ist, dass Asche, Bims und Schlacken auf die Felder fallen. Aber der Ätna bricht nicht nur am Gipfel aus: O-Ton 25 - Boris Behncke: Wir haben auch Flankenausbrüche in 2002, 2003 gehabt, wo monatelang Asche ausgestoßen wurde, und das wird dann zu einem Problem für die Umgebung. Der Verkehr wird behindert, sowohl auf den Straßen als auch der Luftverkehr - das ist besonders kritisch, der Flughafen von Catania war ja damals auch wochenlang geschlossen. Solche Probleme mit Sicherheit werden wir immer wieder haben, auch weil solche aschenreichen Flankenausbrüche offensichtlich viel häufiger stattfinden, als man das bis zum Beginn dieses Jahrtausends gedacht hat. Glücklicherweise ist das Magma, das aus der Flanke läuft, abgestandenes, altes Magma. Es hat bereits sein Gas verloren und fließt ohne Explosion aus - so wie es der aktuelle Lavastrom seit Mai 2008 tut. Diese Flankenphänomene kommen daher, dass der Ätna ein strukturell instabiler Vulkan ist. Überall ziehen sich Risse, Störungen und Verwerfungen durch den Berg. Da kann das Magma schon mal den Weg durch den Hauptschlot verlassen und auf seitliche Abwege geraten. Aber nicht nur das: 11

12 O-Ton 26 - Boris Behncke: Und dann haben wir noch ein Phänomen, und das ist vielleicht das wichtigste von allen, das ist, dass der Ätna viel mehr Magma erhält, als er ausstößt. Der Ätna produziert ca. ein Drittel oder ein Viertel von dem Magma, welches er erhält, und der Rest bleibt unten. Das heißt nicht, dass wir jetzt immer mehr Magma zur Verfügung haben, dass es sich eines Tages in einem katastrophalen Ausbruch entladen wird, sondern er einfach immer mehr Material hat, immer mehr Volumen. Und wo wir mehr Volumen haben, brauchen wir mehr Platz. Die Vulkanologen streiten nun darüber, ob die Ostflanke eines Tages einfach abrutschen könnte, Richtung Catania, Richtung Meer. Oder ob der Berg von Innen quasi eine Schublade aufschiebt und wächst. Davon ist Behncke überzeugt. Im Moment jedenfalls wirkt der Ätna mit seinen insgesamt vier Gipfelkratern so, als hätten ihn die großen Ausbrüchen von 2001 und 2002/03 erschöpft. O-Ton 27 - Boris Behncke: Wahrscheinlich hat das wirklich damit zu tun, dass das gesamte Fördersystem auch teilweise unterbrochen worden ist. Es sind zwei von den Gipfelkratern, die vor zehn Jahren riesige Fontänen bis 2000 Meter Höhe gemacht haben, wo wirklich die Hölle los war, seit 2001 da passiert nichts mehr. Und das ist schon eine starke Änderung. D. h. irgendwas ist dazwischen gekommen. Und jetzt müssen wir nur verstehen, ob das auch normal ist in der Entwicklung des Vulkans, dass er ein bisschen überwältigt ist von seiner eigenen Kraft und dann erst mal eine zeitlang braucht, um wieder zurück zu kommen zu seiner Form, und dann geht es erst richtig los... Oder was anderes. ATMO: Kontrollzentrum INGV Catania Im Institut für Geophysik und Vulkanologie in Catania beginnt für den Seismologen Horst Langer die Abendschicht im Kontrollzentrum. Er wird die Daten von Ätna und Stromboli auf den Bildschirmen analysieren. Dort hatten sich auch die Anfänge des aktuellen Lavastroms am Ätna angekündigt. Warnungen auszusprechen ist aber heikel: O-Ton 28 - Horst Langer: Falsche Alarme dürfen wir uns nicht erlauben, das ist verboten. Wenn wir solche Warnungen aussprechen, dann muss das gut begründet sein und stichhaltig sein, dass da tatsächlich was passiert. Dass ein Kollege vor Monaten falschen Erdbebenalarm für die Abruzzen gegeben hat, hat alle Seismologen hier sehr verärgert. Langer kann darüber nur den Kopf schütteln. Er wendet sich den Monitoren zu, die den Stromboli überwachen: O-Ton 29 - Horst Langer: Die roten Farben, das ist der Stromboli, momentan ist ne ziemliche explosive Aktivität ist da, schöne Amplituden. Wobei man hier sagen muss, die Station ist schon weiter weg, da geht die Amplitude schon zurück. Aber es ist im Moment eine hübsche Aktivität am 12

13 Stromboli. ATMO: Stromboli (Schritte, Walkie Talkie) Am Stromboli ist die Nacht angebrochen. Rosario Peluso und Massimo Orazi, die beiden Physiker, die die Überwachungsinstrumente am Vulkan kontrollieren, haben sich einer Abendwanderung zum 900 Meter hohen Gipfel angeschlossen. Ihre Arbeit ist beendet, sie gönnen sich das touristische Vergnügen, die Lavafontänen in der Dunkelheit sprühen zu sehen. Rosario spürt die Anstrengung der vergangenen Tage in den Knochen. Hoch und runter ist er den Stromboli gelaufen, kreuz und quer durch Asche und Geröll, in der Mittagshitze ohne Schatten, bei Regen ohne Unterschlupf. Diese Arbeit schafft nicht jeder: O-Ton 30 - Rosario Peluso: The first thing that you need is Du musst deine Grenzen kennen. Du musst wissen, dass Du die Energie hast und die richtige Einstellung, um über den Vulkan zu klettern, stundenlang in der Sonne zu sein, an unangenehmen, steilen Stellen zu arbeiten mit Geröll, mit Insekten, mit allem. rocks, with insects, with everything. ATMO: Stromboli (Schritte, Stimmen, Vögel) Doch die Anstrengung lohnt sich. Erneut ist Massimo vom Blick in den Krater fasziniert und wartet auf den nächsten Ausbruch: O-Ton 31 - Massimo Orazi: We have to wait some minutes fort he voice of the volcano Wir müssen ein paar Minuten auf die Stimme des Vulkans warten... Das ist ein besonderer Ort! Man ist hoch über allem, ganz nah am Feuer und man kann die Erde berühren. Es ist unbeschreiblich schön. Das sollte jeder selbst erleben. Du musst nur hochsteigen, diese Stelle hier erreichen und Dich Deinen Gefühlen hingeben. you should reach this place and you should feel. ATMO: Explosionen / Bumm, Bumm, Bumm (ahhhh!) ******************** 13