Notizen aus dem Stadt-Archiv

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1 1 Notizen aus dem Stadt-Archiv Beiträge zur Rüdesheimer Stadtgeschichte, herausgegeben von Stadtarchivar Rolf Göttert Alle Veröffentlichungsrechte sind dem Stadt-Archiv Rüdesheim am Rhein vorbehalten 153. Der Niederwald bei Rüdesheim (Teil 2) Johann Franz Sebastian von Ostein wurde im Jahre 1705 der erste Privat-Besitzer des Niederwaldes, da er bei einer Versteigerung des Mainzer Domkapitels mit Gulden den höchsten Preis geboten hatte. Er war bereits seit 1671 Besitzer eines stattlichen Weinguts in der Rüdesheimer Oberstraße, das er von seiner Mutter geerbt hatte. (Weitere Informationen hierzu finden Sie in den Notizen aus dem Stadt-Archiv Nr. 94/95.) Er besaß nicht nur ein großes Vermögen, sondern hatte auch 18 Kinder, von denen seit 1743 Johann Friedrich Karl von Ostein als Kurfürst und Erzbischof in Mainz tätig war. Als dieser im Jahre 1763 starb, hinterließ er seiner Verwandschaft ein riesiges Vermögen von 1,5 Millionen Gulden. Davon profitierte auch sein Neffe Graf Johann Friedrich Karl Maximilian Amor Maria von Ostein, der seit 1763 Besitzer des Niederwald wurde, den er mit dem vielen ererbten Geld in den folgenden Jahrzehnten zu einem vielbewunderten Waldpark ausgestaltete. Bereits ließ er hier ein herrschaftliches Haus (das heutige Jagdschloß) nach den Plänen des Mainzer Steinmetzen Anton Süß errichten, das nach und nach von Künstlern, wie dem Mainzer Bildhauer Nikolaus Binderiem und dem Rüdesheimer Maler und Landmesser Andreas Trauttner ausgeschmückt wurde. Dazu gehörten ein eigener Kapellenbau, umfangreiche Wirtschaftsgebäude für Viehzucht, ein Diensthaus für den Förster und schließlich ein Wirtshaus für die zahlreichen Besucher. Auch der umliegende Wald wurde durch zahlreiche Projekte bereichert. So entstand eine große Allee, Sandallee genannt, wofür gewaltige Summen ausgegeben wurden. Man nahm später immer wieder an, daß diese Allee bis nach Geisenheim führen sollte, wo Ostein ebenfalls einen stattlichen Adelssitz erbaut hatte. Dieser Weg hätte aber mitten durch das Weindorf Eibingen und dessen Felder geführt, was aber die Bevölkerung niemals geduldet hätte. Eher wäre eine direkte Verbindung vom Jagdschloß bis zum Engerweg auf dem Ebental als Auffahrt von Rüdesheim her denkbar gewesen. Graf Ostein war sich bewußt, daß der Niederwald seit langem ein beliebtes Ziel von Rheinreisenden war. Vor allem am Pfingstfest strömten aus dem Umland große Besucherscharen zum Niederwald, wo ihnen Aulhauser Bürger in Buden Speis und Trank anboten und Eibinger Musikanten zum Tanz aufspielten. Bereits um 1650 vermerkten die

2 2 Assmannshäuser Gemeindeakten, daß bei dieser Gelegenheit mit Böllern Freudenschüsse abgefeuert wurden. Und im Jahre 1832 wurden hier am Pfingstmontag politische Lieder gesungen, die der Landesregierung nicht gefielen (Näheres hierzu finden Sie in den Notizen aus dem Stadt-Archiv Nr. 5 - Pfingsten, das liebliche Fest ). Aber erst 1867, als der Niederwald unter den Preußen wieder Staatseigentum war, wurde dieses traditionelle Pfingstvergnügen von den Behörden verboten. Graf Ostein ließ also den Niederwald für die vielen Besucher mit reizvollen Attraktionen ausstatten. Der Wald selbst wurde nach englischem Vorbild mit zahlreichen Eichen und Buchen bepflanzt, zwischen denen bequeme Waldwege zu den schönsten Aussichtspunkten führten. Zwischen den Jahren und nochmals zwischen entstanden nach den Plänen des französischen Baumeisters Francois Ignace Mangin etliche Bauwerke aus Holz oder Stein, von denen einige heute noch erhalten sind. So finden wir am schönsten Aussichtspunkt hoch über dem Binger Loch die Rossel, eine Kunstruine, deren Fundament schon 1774 gelegt wurde. Wenige Meter weiter entstand auf der steilen Klippe der Rittersaal mit einem Kreuzgewölbe, das noch im Jahre 1818 von dem Maler Sauter mit einem Wappenfries geschmückt wurde. Leider wurde im Jahre 1876 dieser Rittersaal von der preußischen Domäneverwaltung bis auf die Grundmauern abgetragen. An diesen Rittersaal erinnerte sich als prominenter Besucher auch der Komponist Ludwig van Beethoven, der im Jahre 1791 als junger Bratschist mit der Hofkapelle des kölner Erzbischofs Max Franz auf der Fahrt von Bonn nach Bad Mergentheim von Assmannshausen über den Niederwald nach Rüdesheim pilgerte und sich bei einem Imbiß im Rittersaal stärkte. Bei diesem fröhlichen Gelage wurde er von seinen Kollegen scherzhaft zum Hofkoch befördert, woran er sich bis an sein Lebensende gerne erinnerte. An einen anderen Aussichtspunkt des Niederwalds, von dem man weithin über den Rheingau blickt, ließ Ostein 1788 als Monopteros einen Säulentempel im griechischen Stil erbauen. Hier bewunderte als prominentester Gast Johann Wolfgang von Goethe im Jahre 1814 die herrliche Aussicht, an die er in seinen Memoiren erinnerte. Später verlor dieser Tempel in der Nähe des Nationaldenkmals an Bedeutung, wurde 1944 durch Bomben zerstört, aber dank privater Initiative vor wenigen Jahren in alter Form wieder aufgebaut. Eine andere ostein sche Waldauszierung, die Zauberhöhle aus dem Jahre 1790 ist noch heute zu bewundern: durch einen 60 m langen, finsteren Gang, an dessen Wänden im Kerzenlicht Glaskristalle glitzerten, gelangte der Besucher in eine Rotunde, prächtig von den Mainzer Künstlern Johann Sebastian Pfaff und Kloß mit der Statue eines Zauberers ausgeschmückt, wo man noch heute durch drei Fenster weite Ausblicke in das Mittelrheintal bewundern kann. Damals besuchten die ostein schen Gäste noch etliche andere Holzbauten, wie z.b. die Eremitage, Unterkunft eines Einsiedlers, welcher aus lebensgroße Puppe in einer Kapelle saß, während in seinem Wohnraum zwei Tische mit 12 Stühlen zur Bewirtung der ostein schen Gäste bereitstanden. Weil das Holzwerk mit der Zeit morsch war, wurde die Eremitage nach 1946 durch eine schlichte Holzhütte ersetzt. Am gleichen Waldweg befand sich seit 1776 auch ein Kohlenhaufen, ein runder Bau in Gestalt eines Kohlenmeilers, in dem innen ein Tisch mit 8 Stühlen zu geselligem Treffen einlud. Mit einem Ofen konnte man Qualm erzeugen, als ob der Meiler tatsächlich in Betrieb sei. Weitere Holzbauten sind mit der Zeit verloren gegangen, wie z.b. in der Waldmitte ein strohgedecktes Bauernhaus aus dem Jahre 1787, in dem man ebenfalls 12 Gäste bewirten konnte; oder ein

3 3 Viehstall, eine Jägerhütte und ein alter Weiher in der Art, wie sie noch in einem Plan von 1837 erwähnt wurden. Osteins Gastfreundschaft wurde leider bald gestört durch die französische Revolution, vor welcher seit 1789 Adlige und Militärs an den Rhein flohen und auch auf dem Niederwald Unfug trieben. Der verärgerte Graf Karl Maximilian von Ostein starb bereits 1809 als Letzter seines Stammes. Ihm folgte dann nach heftigem Erbstreit als Neffe Freiherr Friedrich Karl von Waldbott-Bassenheim, der 1830 den Niederwald seinem Sohn Hugo vermachte Die Bassenheims zeigten wenig Interesse für den Niederwald und seine Besucher, sondern führten stattdessen in München ein aufwendiges Privatleben war ihr Rheingauer Besitz mit Gulden Hypotheken so sehr verschuldet, daß sie ihn im Jahre 1853 an den nassauischen Domänenfiskus verkaufen mussten. Damit gelangte unser Niederwald wieder in staatlichen Besitz. - Zwar hielt sich der Herzog von Nassau sehr gerne mit seinen Gästen auf dem Niederwald auf und ließ die Anlage durch den Gartendirektor Thelemann weitgehend instand setzen, doch schon wenige Jahre später, 1866 ging mit dem gesamten Herzogtum auch Rüdesheim mit seinem Niederwald an das Königreich Preußen über. Trotz des mehrfachen Besitzerwechsels blieb der neue Hof, jetzt als Jagdschloß bezeichnet, der Mittelpunkt des Niederwalds. Waren es während der nassauischen Ära die angestellten Förster Johann Arens und seit 1853 der Förster Kleinheinz, welche die wachsende Schar der Besucher in einer Schankwirtschaft betreuten, so wurden von der preußischen Verwaltung hierfür nach Förster Feller als Pächter 1868 J.B. Schütz und nach dessen Pleite 1870 der Assmannshäuser Ankerwirt Johann A. Jung bestellt, welcher 1886 wegen der großen Zahl an Gästen das Jagdschloß um einen Saalbau und etliche Fremdenzimmer erweiterte. Als Preußen anlässlich der Ernennung des neuen deutschen Kaisers Wilhelm I. ein Nationaldenkmal mit dem Standbild der Germania errichten wollte, wurde als geeigneter Standort unser Niederwald ausgewählt und hier nach längerer Bauzeit im Jahre 1883 dieses Denkmal eingeweiht. Fortan strömten die Gäste in hellen Scharen zum Niederwald ( Besucher, an Pfingsten Besucher und 1933 zur Saarkundgebung Besucher). Deshalb lohnte sich schon 1884 der Bau zweier Zahnradbahnen von Rüdesheim und Assmannshausen, wenn auch später der erste Weltkrieg und die nachfolgende Wirtschaftskrise den örtlichen Fremdenverkehr stark einschränkten. Im Jahre 1925 brannte das Jagdschloß nieder und man plante stattdessen den Neubau einer Jugendherberge. Dies wurde jedoch abgelehnt und wieder ein stattliches Hotel errichtet, das seit 1926 von dem Assmannshäuser Gastronomen Hufnagel und danach von dem Landwirt Geiger betrieben wurde. Von den Bomben des 2. Weltkriegs verschont, diente das Jagdschloß im Juli 1949 einer ersten Tagung der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Im gleichen Jahr wurde anstelle der zerbombten Rüdesheimer Zahnradbahn zunächst eine Buslinie von Rüdesheim zum Niederwald installiert. Trotz heftiger Proteste seitens der Bevölkerung wurde eine Instandsetzung der Zahnradbahn abgelehnt und stattdessen am eine Kabinenseilbahn in Betrieb genommen, die sich bis heute bestens bewährt hat. - Der Besucherstrom nach Rüdesheim hat sich bis heute vervielfacht, aber das Land Hessen als heutiger Hausherr des Niederwalds hat in den letzten Jahrzehnten nur wenig für die Pflege des Areals investiert. Bleibt nur zu hoffen, daß neue Planungen zur Instandhaltung des Niederwalds als Teil des heutigen Weltkulturerbes gerecht werden. Rolf Göttert

4 4 Im Jahre 1828 schuf C. Rordorf für den Heidelberger Verlag I. Engelmann ein wunderschönes Panorama des Aussichtspunkts Rossel. Die Aussicht von der Rossel reichte über die Burgruine Ehrenfels und den Rochusberg bei Bingen weit über Rheinhessen bis zum Donnersberg:

5 5 Dicht bei der Rossel stand der Rittersaal, von dem man weit in das Mittelrheintal blickt: Die alte Holzhütte der Eremitage war um 1900 schon recht altersschwach:

6 6 Das Jagdschloß auf dem Niederwald wurde nach 1865 um ein stattliches Stallgebäude erweitert. Die Zahnradbahn bewältigte bis zum Niederwald eine extrem steile Steigung.

7 7 Der alte Säulentempel begeisterte von 1788 bis 1944 die Besucher mit dem weiten Ausblick über den Rheingau. Nach der Zerstörung durch Bomben wurde er jetzt wieder dank privater Initiative an gleicher Stelle wieder aufgebaut. Bereits im Jahre 1888 wurde unterhalb vom Säulentempel ein geräumiges Foto-Atelier eingerichtet. Heute befindet sich an dieser Stelle das Gasthaus zum Rebenhaus.