Kirchengemeinde St. Martin Unteressendorf. Blessing-Orgel 1864 / 1906 / 2013

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1 Kirchengemeinde St. Martin Unteressendorf Blessing-Orgel 1864 / 1906 / 2013 Informationen zur Orgelweihe am Patrozinium St. Martin Sonntag, 17. November 2013 zusammengestellt von Dr. Ludwig Kibler, Unteressendorf

2 »Gehst du an einer Kirche vorbei und hörst Orgel darin spielen, so gehe hinein und höre zu. Wird es dir gar so wohl, dich selbst auf die Orgelbank setzen zu dürfen, so versuche deine kleinen Finger und staune vor der Allgewalt der Musik.«Robert Schumann 2

3 Feier der Orgelweihe Bei der Weihe der Orgel soll bewusst werden, dass der Mensch berufen ist, Gott zu loben. Dies geschieht im Gottesdienst Woche für Woche. Wir loben in unseren Gebeten, wir loben in unseren Gesängen. Ein Lied ist ein gesungenes Gebet, heißt es. Die Orgel begleitet dabei unser Lob. Ihre Klänge bringen uns noch tiefer hinein in unser Beten. Die Orgel hat daher einen festen Platz in unserer Liturgie. Wenn wir in diesem Gottesdienst die Orgel weihen, so bitten wir Gott in dieser Segenshandlung darum, dass der Dienst, den Orgel und Organisten tun, uns in unserem Glauben stärkt und uns heilt, damit wir Gott bis in Ewigkeit loben. Segensgebet Großer Gott, du willst, dass wir Menschen dir in der Freude des Herzens dienen. Deshalb lassen wir Musik und Instrumente zu deinem Lob erklingen. Du hast deinem Diener Mose den Auftrag gegeben, Posaunen anzufertigen, damit sie bei der Feier des Opfers erschallen. Mit Flötenund Harfenklang hat das auserwählte Volk dir seine Loblieder gesungen. Dein Sohn ist Mensch geworden und hat jenen Lobgesang auf diese Erde gebracht, der in den himmlischen Wohnungen durch alle Ewigkeit erklingt. Der Apostel mahnt uns, dir aus vollem Herzen zu singen und zu jubeln. In dieser festlichen Stunde bitten wir dich: Segne + diese Orgel, damit sie zu deiner Ehre ertöne und unsere Herzen emporhebe zu dir. Wie die vielen Pfeifen sich in einem Klang vereinen, so lass uns als Glieder deiner Kirche in gegenseitiger Liebe und Geschwisterlichkeit verbunden sein, damit wir einst mit allen Engeln und Heiligen in den ewigen Lobgesang deiner Herrlichkeit einstimmen dürfen. Das gewähre uns durch Christus, unseren Herrn. A: Amen. 3

4 Geschichte und Beschreibung der Orgel Die Pfarrkirche St. Martin in Unteressendorf war immer reich ausgestattet und besaß sicherlich schon recht früh eine Orgel. 1 Gute Orgel wird 1818 im Inventarium der Kirchengerätschaften neben Streich- und Blasinstrumenten aufgelistet. Auch 1836 und 1845 wird eine Orgel erwähnt. Organist und Kalkant (Balgtreter, Orgelzieher) wurden damals jährlich entlohnt. Die heutige Orgel in der Pfarrkirche St. Martin Unteressendorf wurde 1864 von Wilhelm Blessing ( ) aus Esslingen erbaut. Sie hatte ursprünglich 21 Register auf 2 Manualen und Pedal. Blessing baute mit mechanischen Kegelladen zum Preis von 3600 Gulden. Musikdirektor Jacob Adam Seitz ( ) aus Reutlingen beurteilt die Orgel in seinem Gutachten vom 2. Mai 1864 als vortrefflich klingend. Seitz spielte 1856 zusammen mit Johann Georg Frech, Friedrich Riegel und Kantor Dieffenbacher das erste öffentliche Konzert an der neuen Walcker-Orgel des Ulmer Münsters, damals die größte Orgel der Welt. 4

5 1906 wurde die Orgel in Unteressendorf im Stil der damaligen Zeit modernisiert. Die bis dahin mechanische Spiel- und Registertraktur wurde von der Firma Gebrüder Link aus Giengen an der Brenz pneumatisiert. Ein neuer Spieltisch mit Transponiervorrichtung sowie ein weiteres zartes Register Voix céleste 8 (dt. Himmelsstimme) wurden für 3284 Mark installiert. Im Lauf der Zeit sind die drei Zungenregister (Trompete 8', Clarinette 8' und Posaune 16') und die Prinzipalpfeifen verloren gegangen. Beispielsweise wurde 1972 anstelle der Clarinette 8' für 600,- DM ein Krummhorn 8' eingebaut. Die Prinzipalpfeifen mussten 1916/17 zu Kriegszwecken abgeliefert werden. Instandsetzung und Reinigung der Orgel erfolgten 1960 (Fa. Reiser, Biberach) und 1991 (Fa. Wiedenmann, Oberessendorf). Das denkmalgeschützte Instrument ist heute weitgehend original erhalten. Von 1864 (Blessing) stammen Gehäuse, Windladen und fast alle Pfeifen. Von 1906 (Link) stammen Spieltisch, pneumatische Traktur und das Register Voix céleste 8. Der sichtbar im Prospekt stehende Principal 8 und die Zungenregister Trompete 8, Clarinette 8 und Posaune 16 wurden 2013 rekonstruiert. Die Renovierungsarbeiten 2013 umfassen u.a. außerdem: Reinigung; Beseitigung klanglicher und technischer Mängel; Instandsetzung von Spieltisch, Traktur, Windversorgung und Pfeifenwerk; Stimmung und Intonation; Konservierung der historischen Substanz; Restauration des Orgelgehäuses durch Restauratorin Heidi Haller aus Bad Saulgau. Durch Aktivierung der vorher stillgelegten Transponiervorrichtung und Rekonstruktion der Prospektpfeifen und Zungenregister kann ein historisch gewachsener Zustand erhalten werden. Orgelbauer Wilhelm Blessing Der Orgelbauer Wilhelm Blessing ( ) stammt aus Esslingen und wurde vermutlich bei Johann Victor Gruol jun. in Bissingen ausgebildet, dessen Partner er um 1860 war. Mit einer eigenen Werkstatt machte er sich 1863 in Esslingen selbstständig. Blessing hatte sich wie Carl Gottlob Weigle ( ), dem Schüler und Neffen von Eberhard Friedrich Walcker ( ) dem Neubau von mechanischen Kegelladen verschrieben, wurde aber auch oft als tüchtiger Meister und geschätzter Restaurateur für die Wiederherstellung alter 5

6 Schleifladenorgeln hinzugezogen. So war er u.a. mehrmals in Wiblingen und Zwiefalten tätig erwägt man in Bad Schussenried einen Orgel-Neubau. Sowohl Blessing als auch Weigle sind im Gespräch, Weigle erhält schließlich den Auftrag. Nach Blessings Tod 1870 übernahm sein Mitarbeiter und Werkmeister Heinrich Conrad Branmann den Betrieb in Esslingen als Geschäftsführer. Aus der Werkstatt von Wilhelm Blessing sind nicht mehr alle Orgeln bekannt. Nur wenige (*) sind heute noch erhalten Tigerfeld (bei Zwiefalten) (*) 1864 Unteressendorf (*) 1865 Inneringen (bei Gammertingen) (*) 1865 Lomersheim (bei Pforzheim) 1866 Dettingen / Erms (bei Bad Urach) (*) 1869 Böhmenkirch (bei Geislingen) 1869 Rengershausen (bei Bad Mergentheim) 1869 Dürmentingen 1870 Deizisau (bei Plochingen) Organisten in Unteressendorf Die Orgeldienste wurden früher meist durch den Mesner oder den Dorfschullehrer ausgeübt. Zwischen den Jahren 1735 und 1901 waren dies in Unteressendorf Franz Anton Bleicher, Ferdinand Nusser sen. (Schulprovisor, auch Orgelsachverständiger), Ferdinand Nusser jun. und Johannes Evangelist Nusser. Später die Lehrer Setz, Reich, Johannes Herter und Eduard Roth, Veronika Zeh, Lehrer Hengge, Gertrud Strohmaier, Lehrer Otto Bischoff und Dieter Mattes, Siegmund Heckenberger und Ludwig Kibler. Vertretung und Aushilfen seit 1970 Reinhold Fritzenschaf, Wolfgang Miller, Josef Fleschhut, Isolde Wiest (geb. Fuchs), Herbert Sigg, Anke Hecht (geb. Zell), Norbert Borhauer, Artur Schupp, Eckard Müller, Sebastian Zanker, Gregor Simon, Volker Braig, Cosmas Mohr, Ulrike Hänle, Andreas Buck, Kurt Susak, Simon Föhr, Tanja Nünke (geb. Rundel), Verena Westhäußer, Johannes Tress, Roland Keinert. 6

7 Disposition der Blessing-Orgel 2013 I. Manual Hauptwerk C f 3 Bourdon 16 Principal 8 (rekonstruiert) Liebl. Gedeckt 8 Gambe 8 Oktave 4 Rohrflöte 4 Dolce 4 Oktave 2 Mixtur 2 2/3 Trompete 8 (rekonstruiert) II. Manual Oberwerk C f 3 Geigenprinzipal 8 Gedeckt 8 Salicional 8 Aeoline 8 Voix céleste 8 Flöte 4 Fugara 4 Clarinette 8 (rekonstruiert) Pedal C d 1 Subbaß 16 Violonbaß 16 Oktavbaß 8 Posaune 16 (rekonstruiert) Laden- und Traktursystem: Kegelladen; ursprünglich mit mechanischer Spiel- und Registertraktur, seit 1906 pneumatisch angesteuert. Windversorgung: Magazinbalg neben der Orgel, funktionstüchtige Treteinrichtung; zusätzliches Elektrogebläse Spieltisch: Freistehend mit Blick zum Altar (Link 1906) Spielhilfen: Superoctav Copplung I. Manual Copplung II/I, Copplung I/P, Copplung II/P Transponierapparat (1991 stillgelegt, 2013 reaktiviert) Feste Combinationen: piano, mezzoforte, Tutti Die Länge der Pfeife für den jeweils tiefsten Ton C eines Registers wird im Orgelbau nach wie vor mit dem Längenmaß Fuß angegeben. 1 Fuß entspricht ungefähr 32 cm. Ein Register in der Normallage bezeichnet man als 8 - Register. Bei halber Pfeifenlänge wird der Ton um eine Oktave höher. 7

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