Schiltach vor 70 Jahren: Die letzten Kriegstage und der Beginn der Besatzungszeit April / Mai 1945
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- Teresa Lenz
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1 Schiltach vor 70 Jahren: Die letzten Kriegstage und der Beginn der Besatzungszeit April / Mai 1945 Von Dr. Hans Harter Teil I: Der Krieg kommt näher: Es herrscht die Gefahr eines Artillerie- oder Flugzeugbombardements. Es waren sonnige Frühlingstage, Mitte April Und doch ging in Schiltach die Angst um, versuchten die Menschen sich und ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen: im Wald, in den Bahntunnels, in alten Bier- und den Gewölbekellern der Häuser. Die Sirenen heulten, von Freudenstadt her hörte man Geschützdonner, am Himmel kreisten Jagdbomber, im Städtle herrschte Chaos: Kolonnen deutscher Soldaten; die hiesigen Männer bewaffnet und mit Armbinden als Volkssturm ausgewiesen; Betriebe und Geschäfte geschlossen; Funktionäre befahlen den Bau von Panzersperren an der Straße nach Schenkenzell; Pioniere bereiteten die Brücken und den Hohensteiner Felsen zur Sprengung vor; die Fremdarbeiter wurden zusammengetrieben und als gefährliche Elemente in einem Todesmarsch Richtung Villingen geschickt; an der Grenze zu Schenkenzell ging Infanterie mit leichten Geschützen in Stellung. Es war keine Frage: Schiltach sollte gegen den von Osten anrückenden Feind, die 1. französische Armee, verteidigt werden, mit dem Risiko seiner totalen Zerstörung ein Schicksal, wie es dem Städtchen zuletzt 300 Jahre zuvor, im 30jährigen Krieg, gedroht hatte. Verantwortung in dieser Lage trugen NSDAP-Ortsgruppenleiter August Vornfett, Ingenieur und Marineoffizier; Bürgermeister Eugen Groß, ein unpolitischer Verwaltungsmann, sowie die Führer der Volkssturmkompanie 322: Christian Joos, stellvertretender Ortsgruppenleiter, und Gottlieb Trautwein, Gerbereiteilhaber. Sie unterstanden Funktionären der Kreisleitung in Wolfach, die Durchhalte-Terror verbreiteten und schnell mit Standgericht und Erschießen drohten. Man sah Zerstörungstrupps, bereit, Hitlers Nero-Befehl der toten Erde umzusetzen. Nicht zu ignorieren waren auch Gestapoleute, die aus Straßburg nach Kaltbrunn geflüchtet waren, für deren Autos die Offenhaltung der Sperren befohlen war. Nachdem Freudenstadt am 17. April genommen und gebrandschatzt worden war, teilten sich die französischen Kolonnen: eine bewegte sich auf der württembergischen Hochebene in Richtung Schramberg, eine andere nahm Loßburg und rückte ins obere Kinzigtal ein. Im Westen drängten sie von Ortenberg herauf und besetzten am 18. April Gengenbach. So war auch in Schiltach mit baldiger Feindberührung zu rechnen, und dies von drei Seiten. 1
2 Die 1864 erbaute, eiserne Schiltacher Stadtbrücke wurde 1945 zur Sprengung vorbereitet. Foto um Vorlage: Harter Zugleich war die im Kinzigtal stehende Infanteriedivision 719 in Gefahr, eingeschlossen zu werden und setzte sich in Richtung Villingen ab. Auch die hier in Stellung gegangenen Einheiten zogen ab, nicht ohne mit ihren Geschützen noch nach Schenkenzell zu feuern, in das die Franzosen am Abend des 20. April eindrangen. Jetzt war Schiltach praktisch nur noch dem Volkssturm übergeben, wie dessen Vize-Kompanieführer G. Trautwein in einem dramatischen Erlebnisbericht schreibt. Der Ortsgruppenleiter hatte das Städtchen befehlsgemäß verlassen, der Bürgermeister hielt sich hauptsächlich im Koch-Keller neben dem Rathaus auf. Das Schiltacher Rathaus während einer NS-Kundgebung: Die Hakenkreuzflaggen und das Hitlerbild wurden in den letzten Kriegstagen zerstört und verbrannt Foto: Stadtarchiv Schiltach 2
3 Immerhin gab er dem Ratsdiener den Auftrag, das von Eduard Trautwein geschaffene Hitler- Gemälde, das seit 1933 bei den Kundgebungen am Rathaus hing, zu zertrümmern und die NS-Fahnen der Stadtverwaltung zu verbrennen, auf dem Marktplatz, unter Protest unentwegter Nationalsozialisten. Mit Datum des 20. April, Führers Geburtstag, hing an der Tür des Bürgermeisterzimmers eine französisch geschriebene Mitteilung an le commandant des troupes francaises : Dass das Rathaus kurzzeitig wegen der Gefahr eines Artillerie- oder Flugzeugbombardements geschlossen ist, und der Bürgermeister, Monsieur Grande, gleich nach der Besetzung der Stadt Schiltach durch die alliierten Truppen zurückkehren wird. Teil II: Das Kriegsende: Dass Schiltach ohne einen Schuss besetzt wird. Die Befehle, die die Führer des hiesigen Volkssturms, Chr. Joos und G. Trautwein, Mitte April 1945 erreichten, ließen sie das Schlimmste befürchten: Von ihren 300 älteren Männern aus Schiltach, Lehengericht, Schenkenzell und Kaltbrunn sollten sie 57 nach Villingen schicken, zur Eingliederung in eine Infanteriedivision, was, so Trautwein, ihr sicheres Verderben bedeutet hätte. Zugleich ging es um die Panzersperren in Richtung Schenkenzell. Sobald eine Kolonne flüchtender NS-Funktionäre durch wäre, mussten sie geschlossen werden - für die Franzosen das Signal für Widerstand, was die Beschießung von Schiltach zur Folge haben musste. Joos, Alt-Nazi, und Trautwein, vor 1933 entschiedener Nazi-Gegner, waren sich einig: Angesichts der aussichtslosen Lage zu sorgen, dass alle Männer hier blieben und Schiltach ohne einen Schuss besetzt wird. Von G. Trautwein notiert: 13,30 Uhr Befehl von Vornfett. Panzersperren sind so lange offen zu halten, bis Fahrzeuge aus Kaltbrunn durch passiert haben. - 13,35 Uhr Fahrzeuge aus Kaltbrunn haben Sperren passiert, Schliessung der Sperren bei Bahnunterführung Schenkenzell & Obere Säge Schiltach. - Stadtarchiv Schiltach Während sie das Abrücken der Männer verzögerten, wofür der Kreisstab mit Standgericht drohte, kamen weitere Probleme: Ernst Lüder, Werkmeister bei Grohe, informierte, wo noch Sprengstoff zur Munitionsherstellung lagerte, der zum Sprengen taugte. Nachts zog Trautwein mit acht Männern und einem Wagen los. Sie luden die 114 Kisten auf, schoben sie in den Hunersbach und versenkten sie in einem Bergwerk. Dann wurde ein Sprengtrupp 3
4 beobachtet, der sich an der Stadtbrücke zu schaffen machte, die Joos und Trautwein nun bewachen ließen, mit Schießbefehl, um jede Zerstörung zu verhindern. In dramatischen Szenen wurden sie von Nachbarn, die um ihre Häuser fürchteten, unterstützt, auch von Offizieren, die die Sprengung als sinnlos ansahen. Der Trupp, der in Schenkenzell eine Bahnbrücke zerstört hatte, zog ab nach Wolfach, um dort die Stadtbrücke in die Luft zu jagen, während die hiesigen Brücken unversehrt blieben. Unterdessen kam der Befehl zur Schließung der Panzersperren, den G. Trautwein ignorierte, auch angesichts eines NS-Funktionärs und Jung-Nazis, die noch Werwolf spielen wollten und die er mit fertiggemachtem Gewehr vertrieb. In der Nacht des 20./21. April meldeten sich die Franzosen, mit Artilleriebeschuss aufs Städtchen, der die katholische Kirche und mehrere Häuser traf. Am frühen Morgen kam aus den Kellern eine Menschenmenge zum Rathaus, auf der Suche nach dem Bürgermeister und der Forderung, Schiltach zu übergeben. Er saß im Koch-Keller und wurde, unter Protest der Frau des Ortsgruppenleiters, dazu gebracht, einen Zettel mit der Übergabe zu schreiben. Damit fuhren Helmut Siebald und Ferdinand Wöhrle, einstiger Fremdenlegionär, auf Fahrrädern zum französischen Stab nach Rötenbach. Zuvor war Paul Wolber, Getränkehändler und baldiger neuer Bürgermeister, mit einer weißen Fahne bei den Franzosen in Schenkenzell und bat, Schiltach nicht mehr zu beschießen. G. Trautwein beobachtete, wie sie am Morgen des 21. April anrückten: Ein Motorrad, dann Panzer mit Infanterie. In einem Haus fanden sie eine Hakenkreuzfahne, die sie auf die Straße legten und überfuhren - eine symbolische Handlung der Vernichtung des Dritten Reichs auch hier! G. Trautwein aber wusste zu danken: Vielen Männern, die zusammengehalten haben. In der entscheidenden Stunde waren sie da und bildeten einen Widerstandsherd zum Schutze ihrer Heimat. Gottlieb Trautwein ( ) 1945 Volkssturmführer, Bürgermeister Foto: privat Nicht so glimpflich ging es in Lehengericht ab: Beim Hinterbauer lagen Schramberger Volkssturm und versprengte Soldaten. Als die anrückenden Franzosen beschossen wurden, erwiderten diese das Feuer, wodurch der Hof zerstört wurde. Auch in Vorderlehengericht gab es Widerstand, der drei deutschen Soldaten und vier Einwohnern das Leben kostete. Dort fuhr der Wolfacher NS-Kreisleiter Alfred Schweikhardt nachts sein Auto in den Höllgumpen und erschoss sich, als das Wasser über ihm zusammenschlug so den untergehenden Nationalsozialismus auch für sich physisch und symbolisch beendend. Er wurde erst Wochen später entdeckt und auf dem Schiltacher Friedhof begraben. 4
5 Teil III: Die französische Fahne wird aufgezogen Das Ende des Kriegs hat selbst den verstocktesten Nazi zum Erwachen gebracht. Am Mittag des 3. Mai 1945 bot sich dem Gerbereiteilhaber (und späteren Schiltacher Bürgermeister) Gottlieb Trautwein von seinem Fenster am Marktplatz ein seltsames Bild: Etwa 20 algerische und marokkanische Soldaten der französischen Armee, sog. Spahis, nahmen am Rathaus militärisch Aufstellung. Ihr Aussehen war zugleich malerisch wie martialisch: Über der feldgrünen Uniform trugen sie einen weinroten Wollumhang mit Kapuze, auf dem Kopf einen gelben Turban, in der Hand das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett, im Gürtel einen Dolch, über der Schulter Riemen für die Patronentaschen. Da erschienen französische Offiziere, aus dem Rathaus kamen weitere Spahis mit einem Fahnentuch. Als es blau-weiß-rot am Rathaus hochging, wurde salutiert - für den geschichtsbewussten G. Trautwein ein Bild, das ihm zeitlebens im Gedächtnis bleiben wird, markierte die Trikolore über Schiltach doch einen tiefen Einschnitt: Seit den Zeiten sind keine fremden Soldaten mit Waffen mehr auf hiesigem Boden gewesen. Dem Despoten Adolf Hitler war es beschieden, durch seine größenwahnsinnige Politik die ganze Welt gegen uns zu sammeln, um diese Tatsache Wirklichkeit werden zu lassen. Mit Tränen in den Augen wandte er sich von der Szene ab, die so recht unsere Sache kennzeichnete : die totale militärische Niederlage, das Ausgeliefertsein an die Gegner, über die Hitler-Deutschland zuvor nur Krieg und Elend gebracht hatte. Dazu passte die Nachricht, dass Hitler und Goebbels sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen und das deutsche Volk sich selber überließen, nachdem sie es ruiniert hatten. Für Trautwein umso bitterer, weil er als Demokrat die Nazis bis 1933 politisch bekämpft hatte. Doch: Verblendet durch Lug und Trug hat das Volk in seiner Mehrheit alle Warnungen in den Wind geschlagen, erst das Ende des Kriegs hat selbst den verstocktesten Nazi zum Erwachen gebracht. Die Marktplatz-Szene an jenem 3. Mai - an dem noch immer Krieg war - beobachtete auch der Maler Werner Leonhard in Freiburg ausgebombt, flüchtete er sich nach Schiltach, wo er bei der Familie Karlin unterkam. Spahis im Skizzenbuch von Werner Leonhard vom 3. Mai 1945 (Stadtarchiv Schiltach). Fotos: Harter 5
6 Als ihm der Historische Verein 2012 eine Ausstellung widmete, übergaben Verwandte seinen Nachlass, darunter ein Skizzenbuch. In ihm finden sich zum Zeichnungen von Spahis, wie auch Gottlieb Trautwein sie sah. Es sind die einzigen Bilddokumente des ihn so beeindruckenden Ereignisses, von dem es keine Fotos gibt, da Ferngläser, Radios und Fotoapparate an die Besatzung abgeliefert werden mussten. Während die französischen Soldaten in den Tagen der Besetzung feindselig auftraten, scheint es seitens der Marokkaner hier wenig Gewalt gegeben zu haben, doch starben viele Hühner eines raschen Todes, wie der Schenkenzeller Pfarrer Alois Siegel notierte. Den damaligen Kindern und heutigen Senioren haben sich nicht nur die orientalische Tracht und die kleinen Araberpferde der Spahis eingeprägt, sondern auch die Schokolade, die sie bekamen, sogar aus einem Panzerturm zum Kinderzimmer hochgereicht. Einem Zehnjährigen wurde von den ergatterten schwarzen Zigaretten so übel, dass er seitdem nie mehr rauchte. Daneben stehen Untaten, die gleichfalls in Erinnerung sind: Die Erschießung des NS- Ortsgruppenleiters und des Parteigeschäftsführers in Halbmeil, sowie der Tod eines Werkmeisters aus Hinterlehengericht, den die Besatzungsmacht verhaftet und im Ortsarrest eingesperrt hatte. Dieser Artikel erschien jeweils in drei Teilen im Frühjahr 2015 in der örtlichen Presse: Im Schwarzwälder Bote am , und , im Offenburger Tageblatt am , und
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