Lerne ein Kind aus Ruanda und seine Familie kennen! 1
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- Julius Kramer
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1 1 Lerne ein Kind aus Ruanda 1 Hallo, ich heiße Nyirankurikiyeyezu Esther und ich bin 10 Jahre alt. Ich lebe in Ruanda, im Sektor Nyakabuye des Distrikts Rusizi. Heute erzähle ich Euch ein bisschen aus meinem Leben. Bestimmt wundert Ihr Euch erst einmal über meine Frisur, weil bei Euch die Mädchen lange Haare tragen. Ich würde mir auch lange Haare wünschen, aber das kann ich mir im Moment nicht aussuchen. In Ruanda müssen alle Schulkinder, egal ob Mädchen oder Junge, die Haare kurz geschoren haben und eine Schuluniform tragen. Man hat nämlich Angst, dass sich sonst Läuse oder andere Parasiten ausbreiten könnten. Viele arme Menschen auf dem Land wissen nicht, wie wichtig es ist, sich selbst und die Kleidung regelmäßig zu waschen und das Haus sauber zu halten. Gerade weil viele Häuser und Fußböden aus Lehm sind, und weil das Klima hier warm und feucht ist, haben Parasiten leichtes Spiel, wenn man nicht aufpasst. Unsere Familie weiß das dank Frau Adeline von STRIVE Foundation. Wir sind viel weniger krank seit sie uns erklärt hat, worauf man besonders bei der Hygiene achten muss. Meine Familie, das sind meine sechs älteren Geschwister und ich. Meine Eltern kenne ich kaum. Mein Vater starb als ich noch ein Baby war, und meine Mutter als ich drei Jahre alt war. Ich erinnere mich nur noch ein bisschen an meine Mutter, aber nicht viel. Eigentlich war meine älteste Schwester, Marie, immer wie meine Mutter. Sie hat die Familie seit dem Tod unserer Mutter vor sieben Jahren versorgt. Letztes Jahr hat sie geheiratet und ist ausgezogen. Einerseits gönnen wir ihr das natürlich, weil wir sie lieben und wissen, wie viel sie schon für uns getan hat. Andererseits ist das Leben für uns seitdem noch schwerer geworden. Meine zweitälteste Schwester, Gisèle, ist jetzt das Familienoberhaupt. Sie hatte die Schule schon aufgegeben als unsere Mutter starb, damit sie Marie bei der Feldarbeit und beim Geldverdienen für die Familie helfen konnte. Nun steht sie mit dieser Aufgabe allein da. Die Einzige, die ihr helfen kann, ist unsere Schwester Uwamahoro. Sie ist 17 Jahre alt und war nie in der Schule, weil sie taubstumm 1 Diese Beschreibung des Alltags einer Kinderfamilie in Ruanda wurde auf Basis von Interviews mit den Familienmitgliedern verfasst und mit Hintergrundinformationen ergänzt, um die Lebenssituation der Kinderfamilien in Ruanda für die Schülerinnen und Schüler in Deutschland verständlich darzustellen.
2 2 ist. Darüber ist Uwamahoro so traurig, dass sie darauf bestanden hat, wenigstens eine Schuluniform zu bekommen! Marie hat gespart und ihr eine gekauft, auch wenn Uwamahoro trotzdem nicht zur Schule gehen kann. Für Leute mit ihrem Problem gibt es hier in der Gegend keine Schulen. Wir Jüngeren, das heißt meine drei Brüder James, Manirareba, Elemias und ich, gehen alle zur Schule. Ich gehe in die zweite Klasse. Auf dem Foto stehe ich ganz links, in meiner Schuluniform. Auch die Jungs und Uwamahoro haben ihre Schuluniformen an. Die Farben sind typisch für die Grundschule: Jungs in khaki und Mädchen in blau. In armen Familien haben die Kinder oft keine schönen Anziehsachen. Sonntags, zur Kirche, oder zu anderen besonderen Anlässen, ziehen sie deshalb ihre Schuluniform an. Wenn ich morgens aufwache, ist es noch kühl und feucht. Ich weiß, dass es bei Euch manchmal viel kälter ist und es sogar Schnee gibt. Schnee habe ich noch nie gesehen. Aber ich friere auch manchmal nachts und früh am Morgen, gerade in der Regenzeit. In der Trockenzeit ist es wärmer und nicht so matschig, aber dafür ist alles voller rotem Staub. Als Erstes nach dem Aufstehen machen wir alle Fenster auf, um Licht und frische Luft ins Haus zu lassen. Strom gibt es bei uns im Haus nicht, das ist zu teuer. Die Jungs gehen zum Brunnen, um Wasser zu holen, damit wir uns alle waschen können. Im Hinterhof waschen wir uns mit kaltem Wasser aus einer Plastikschüssel und einem Stück Seife. Gisèle und Uwamahoro gehen an die Feldarbeit. Sie waschen sich immer abends, wenn sie voller Matsch oder Staub wieder vom Feld kommen. Gisèle arbeitet auch auf dem Feld der Nachbarn, um etwas Geld für die Familie zu verdienen. Außerdem sind sie und Uwamahoro dafür verantwortlich, dass das Haus sauber ist und die Wäsche gewaschen wird. Ich helfe ihnen so viel ich kann im Haushalt, weil ich weiß, wie viel sie auf dem Feld arbeiten müssen, damit unsere Familie überleben kann.
3 3 Manche von meinen Klassenkameraden laufen über eine Stunde zur Schule, jeden Tag! Ich wohne zum Glück nicht so weit weg und muss nur fünf Minuten laufen. Einen Tag gehe ich vormittags in die Schule, den nächsten nachmittags und so weiter. So ist bei uns die Grundschule, weil es nicht genug Klassenräume und nicht genug Lehrer gibt. In dem Klassenzimmer, in dem ich zum Beispiel nachmittags sitze, hat vormittags eine andere Klasse gesessen und ist von meinem Lehrer unterrichtet worden. Das geht so bis zur sechsten Klasse, dann ist die Grundschule vorbei. Ab der siebten Klasse hat man Ganztagsunterricht, bis zum Abschluss nach der zwölften. Ich liebe die Schule! Dass meine älteren Schwestern traurig sind, diese Chance nicht gehabt zu haben, verstehe ich sehr gut. Ich strenge mich auch immer an, gute Noten zu haben, damit sie stolz auf mich sind vor allem Gisèle. Sie war schon immer meine Lieblingsschwester. Ihr erzähle ich alles, auch wenn mal in der Schule etwas schief gelaufen ist, zum Beispiel ein Streit mit meiner besten Freundin, Uwayezu Florentine. Aber das passiert nur selten. Florentine und ich verstehen uns richtig gut, erzählen und lachen und spielen viel zusammen. Zum Beispiel lieben wir das Sing-und-Klatsch-Spiel Amabigibigi. Das ist sehr lustig! Und wir erzählen uns all unsere Geheimnisse. Besonders gerne spielen wir auch Ball. Weil wir uns nicht leisten können, Bälle zu kaufen, machen wir sie einfach selbst wie viele Kinder in Ruanda. Dazu werden die Blätter von der Bananenpflanze, die man bei uns überall findet, getrocknet und so lange um einander gewickelt bis man einen Ball hat. Dann kommt ein Netz aus Kordel drum und los geht s! Zwar halten solche Bälle nicht lange, aber ein neuer ist ja auch schnell gebastelt. Meine Aufgaben im Haushalt erledige ich entweder morgens oder abends, je nachdem, wann ich Schule habe. Ich muss meinen Schwestern dabei helfen, das Haus und den Hof sauber zu halten. Dazu gehört vor allem Fegen und Abwaschen. Auf dem Foto seht Ihr mich mit einem typisch ruandischen Besen in der Hand. Manchmal muss ich auch Gras und Blätter für die Ziegen sammeln oder Feuerholz. Zum Glück übernehmen das Wasserholen meistens meine Brüder. Die können schließlich auch
4 4 mal was machen! Den vollen Wasserkanister mehrere Male am Tag vom Brunnen nach Hause zu schleppen würde mir bestimmt ganz schön schwer fallen. Mit sechs Leuten, die seit Maries Auszug noch zu Hause wohnen, brauchen wir immer noch recht viel Wasser, und das müssen wir nun mal aus dem Brunnen holen gehen. Ich bekomme immer Ärger, wenn ich beim Abwaschen zu verschwenderisch mit dem Wasser bin. Schließlich muss dann schneller wieder jemand gehen und neues Wasser holen. Das verstehe ich schon. Aber ich will auch, dass das Geschirr richtig sauber wird und wir nicht krank werden! Abends, wenn es dunkel wird, bin ich schon ziemlich müde von der ganzen Arbeit. Aber dann ist es noch lange nicht Zeit, ins Bett zu gehen. Mein Lehrer sagt, in Ruanda sind wir ganz nah am Äquator, und deshalb wird es früher dunkel als zum Beispiel in Europa. Für mich heißt das Dunkelwerden vor allem, dass es bald etwas zum Essen gibt. Wir essen nur einmal am Tag. Wenn meine großen Schwestern alle anderen Arbeiten erledigt haben und meine Brüder noch einmal Wasser geholt haben, fängt Gisèle endlich an zu kochen. Es raucht immer ziemlich stark, wenn sie am offenen Feuer kocht. Was wir so essen? Zum Beispiel Kochbananen in Tomatensoße. Oder rote Bohnen mit Brei aus Maniokwurzel. Wenn in unserem kleinen Gemüsegarten gerade etwas reif ist, gibt es auch schon mal Karotten oder Kohl. STRIVE Foundation hat uns Herrn Edmond geschickt, der uns gezeigt hat, wie man Gemüse anbaut. Außerdem hat er uns beigebracht, dass man das Gemüse nicht einfach verkaufen, sondern auch selber essen sollte, weil es gesund ist. Fleisch essen wir nur an Weihnachten, weil es so teuer ist. Nach dem Essen und dem Abwasch habe ich endlich Zeit für meine Schulaufgaben. Dafür mussten meine Brüder und ich früher Kerzen benutzen. Leider machen die nur wenig Licht und kosten Geld. Jetzt haben wir von Aktion Tagwerk eine Solar-Leselampe erhalten. Die macht viel mehr Licht und kostet gar nichts. Das hilft uns sehr. Nach den Hausaufgaben sitzen wir manchmal noch ein bisschen zusammen und reden, aber nicht mehr so lange. Wir sind dann alle schon sehr müde und gehen früh schlafen. Sobald es morgens hell ist, geht der Tag wieder los und bringt viel Arbeit mit sich.
5 5 Interview-Leitfaden Dieses Interview ist ein Beispiel dafür, wie ihr mit dem Text über Nyirankurikiyeyezu Esthers Leben arbeiten könnt. Ihr könnt gemeinsam in der Klasse die Antworten sammeln oder den Text aufteilen und euch in Gruppen gegenseitig interviewen. Ihr könnt auch eigene Fragen hinzufügen, ein Rollenspiel daraus machen Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt! Wie sieht Esthers zu Hause aus? Geht Esther in die Schule? Und ihre Geschwister? Was ist in Ruanda in der Schule anders? Was hat Esther für tägliche Aufgaben? Welche haben ihre Geschwister? Wie oft isst die Familie am Tag? Was isst die Familie meistens, und was eher selten? Was macht Esther abends? Wen oder was hat Esther besonders gern? Was hast Du mit Esther gemeinsam?
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