Menschenrechtsorganisationen gegenüber den Prozessen am Khmer Rouge-Tribunal in Phnom Penh wider:
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- Sabine Weiß
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3 B. I. Vor gut einem Jahr hat die Open Society Justice Initiative, eine in den USA residierende und weltweit operierende NGO, eine Pressemitteilung zum Kriegsverbrechertribunal in Kambodscha veröffentlicht. Der Text spiegelt die Haltung der meisten internationalen Menschenrechtsorganisationen gegenüber den Prozessen am Khmer Rouge-Tribunal in Phnom Penh wider: 21. März 2012 UN müssen Engagement beim Khmer RougeGerichtshof überdenken New York Nach dem jüngst erfolgten Rücktritt des internationalen CoErmittlungsrichters Laurent Kasper-Ansermet ruft die Open Society Justice Initiative die Vereinten Nationen dazu auf, ihr Engagement beim Khmer Rouge-Tribunal zu überdenken. Richter Kasper-Ansermet ist innerhalb von sechs Monaten der zweite internationale Richter, der sein Amt beim Gerichtshof niederlegt, aufgrund offenbarer Einmischung der kambodschanischen Regierung in den Verlauf der Untersuchungen gegen fünf Personen, die mutmaßlich eine wesentliche Rolle bei Anordnung von Greueltaten der Roten Khmer gespielt haben. Der Nachweis, daß es der Regierung Kambodschas an gutem Glauben fehlt (»absence of good faith«), umfaßt nunmehr: Den Rücktritt zweier internationaler Ermittlungsrichter wegen offenbarer Einmischung der kambodschanischen Regierung in den Gang ihrer Arbeit. Den Umstand, daß die Regierung Kambodschas im Januar 2012 den Vertrag, auf dessen Basis der Gerichtshof errichtet wurde, verletzt hat von den UN selbst als Vertragsbruch eingestuft, und zwar durch Verstoß gegen die ausdrücklichen Bestimmungen, die sie verpflichteten, nach dem Rücktritt von Richter Siegfried Blunk unverzüglich der Bestellung von Richter Kasper-Ansermet als Co-Ermittlungsrichter zuzustimmen. Wiederholte Erklärungen kambodschanischer Regierungsbeamter, einschließlich Premierminister, Außenminister und Regierungssprecher, daß der Gerichtshof nach Abschluß der Verfahren gegen die der- 32 David Cohen
4 zeit Angeklagten seine Arbeit beenden und in zwei weiteren Fällen, in denen ehemals Ermittlungen erwogen wurden, weder eine Untersuchung vornehmen noch ein Urteil fällen werde. Die Vereinten Nationen müssen nun entscheiden, ob ihre fortgesetzte Beteiligung an den ECCC [= Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia = Khmer Rouge-Tribunal] eine echte Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit ist oder nicht vielmehr die internationale Billigung eines von der kambodschanischen Regierung kontrollierten und politisch gelenkten Verfahrens bedeutet. Hierzu appelliert die Justice Initiative an die UN, öffentlich klarzustellen, daß die Regierung Kambodschas durch Behinderung der Ermittlungen in den Fällen 003 und 004 gegen den ECCC-Vertrag verstoßen hat. James A. Goldston, geschäftsführender Direktor der Open Society Justice Initiative, erklärte:»die UN müssen jetzt deutlich machen, daß, wie auch immer die aktuelle Krise gelöst wird, dies offen und ehrlich geschieht. Das schlimmste Resultat wäre, wenn die Parteien des ECCC-Vertrages eine juristische Fiktion gebrauchen würden, um politische und finanzielle Hindernisse für Gerechtigkeit in Kambodscha zu verschleiern.«diese Presseerklärung wirft Fragen auf: Was bedeutet»gerechtigkeit in Kambodscha«? Und wessen Gerechtigkeit ist gemeint? Alle sind sich einig, daß der Gerichtshof gebildet wurde, um den Kambodschanern Gerechtigkeit zu bringen. Doch wem soll die Entscheidung darüber zustehen, was die»gerechtigkeit«zugunsten des kambodschanischen Volkes gebietet? Wie lassen sich die Kriterien für das Urteil darüber fassen, ob die vor dem Gerichtshof gegenwärtig laufenden Verfahren den Anforderungen der»gerechtigkeit«genügen? Goldstons Antwort auf diese Fragen liegt klar auf der Hand. Nach Ansicht internationaler Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtsverfechter eignen sich die»internationale Gemeinschaft«oder, genauer gesagt, Organisationen, die sich selbst als das»gewissen«dieser Gemeinschaft betrachten, am besten dafür, hier die Entscheidung zu treffen und bei den UN und den Geberländern auf die Umsetzung ihrer Entscheidungen zu dringen. Und in der Tat, was spricht dagegen? Handelt es sich doch um Tribunale, die den Ansprüchen internationaler Maßgaben und guter Praxis, und, namentlich in diesem Fall, den Standards richterlicher Unabhängigkeit gerecht werden müssen? Sollten wir uns nicht weigern, an einem Gerichts- Vö l k e r s t r a f r e c h t 33
5 verfahren teilzunehmen, dem es an Unabhängigkeit fehlt und das an solch»politischer Einflußnahme«leidet wie von der Open Society Justice Initiative beschrieben? Vom Rockefeller Center aus und dem Institutsgebäude der Open Society in Manhattan kommt die Antwort hinreichend klar daher. Wie aber aus der Sicht von Phnom Penh? Ist die Antwort wirklich so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag? Derartige Fragen sind von allgemeinerem Interesse als nur für das Khmer Rouge-Tribunal in Phnom Penh. Zunächst sind damit Probleme angesprochen, die so oder so jeden internationalen Gerichtshof betreffen, ob hybrid organisiert (= semi-international wie in Kambodscha), ob ad hoc (zeitlich und räumlich begrenzt) gebildet oder ob es sich um den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag handelt (IStGH). Wie energisch auch immer man dieser unangenehmen Wahrheit ausweichen möchte: Internationales Gerichtswesen hat notwendig politische Dimensionen, und internationale Politik hat in der einen oder anderen Weise jedes Kriegsverbrechertribunal beeinflußt, von Nürnberg und Tokyo bis hin zum IStGH. Doch wichtiger noch ist, daß die von der Open Society Justice Initiative angesprochenen Themen vor allem auch für den IStGH und für sein Verhältnis zu nationalen Gerichtsverfahren in Ländern wie Libyen, Kenia oder Uganda von nachhaltiger Bedeutung sind: Bekanntlich verlangt es das Prinzip der Komplementarität, daß nationale Strafverfolgung Vorrang hat vor dem IStGH, es sei denn, die nationale Gerichtsbarkeit ist nicht willens oder nicht in der Lage, einen überzeugenden und rechtmäßigen Prozeß durchzuführen (Art. 17 I, lit.a IstGH-Statut). Da die nationalen Justizinstitutionen in praktisch jedem ehemaligen Konfliktgebiet erkennbar vor großen Herausforderungen stehen, ist die»komplementarität«zur»positiven Komplementarität«umgeformt worden, was die Unterstützung nationaler Justizbehörden bei Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen sowie bei der Realisierung von Gerichtsverfahren einschließt, die den elementaren internationalen Standards entsprechen. Derzeit allerdings ist dies eher Wunschdenken denn Wirklichkeit, und es ist noch lange nicht klar, wie diese Hoffnung erfüllt werden kann. Die offizielle Mission der UN bei den ECCC besteht darin, dem kambodschanischen Gerichtshof, wie im ECCC-Vertrag vorgesehen, bei Durchführung der Verfahren gegen die Führungsspitze der Roten Khmer und andere Hauptverantwortliche helfend zur Seite zu stehen. Anders gewendet: Man könnte das rechtliche Geschehen in 34 David Cohen
6 Kambodscha als eine Art Testfall ansehen für eine Analyse der Probleme, die im Rahmen der Frage auftreten können, ob den Komplementaritätsanforderungen entsprochen wurde. Sind die ECCC und die kambodschanische Regierung»nicht willens«oder»nicht in der Lage«, überzeugende Gerichtsverfahren durchzuführen? Wie und von wem sollte die Entscheidung hierüber getroffen werden? Kambodscha ist hierfür ein besonders guter Musterfall, da, wie wir sehen werden, kein anderes»hybrides«tribunal derart in das nationale Justizsystem des Landes, in dem die Verbrechen stattfanden, eingebettet wurde. Meine Darstellung wird also zwei Spuren folgen. Die erste geht möglichen Antworten auf die Fragen nach, die ich zu dem Aufruf der Open Society Justice Initiative an die UN gestellt habe, sich gegebenenfalls aus Kambodscha zurückzuziehen und damit die Verfahren bei den ECCC zum Stillstand zu bringen. Die zweite besteht aus Überlegungen dazu, was aus den Antworten auf die Fragen folgt, wie die Vertrauenswürdigkeit nationaler Gerichtsverfahren in Entwicklungsländern und ehemaligen Konfliktgebieten bewertet und wie die Entscheidungsfindung in puncto Komplementarität gestaltet werden könnte. Vor einer Auseinandersetzung mit diesen Fragen muß man jedoch verstanden haben, was das Wesen der ECCC des Khmer Rouge-Tribunals ausmacht, wie die eigentümliche Struktur dieses Gerichtshofs entstand und wie sich der Verfahrenshergang dort abgesehen von der aktuellen Kontroverse über die sogenannten Fälle 003 und 004 gestaltet hat. II. Die ECCC und die Fälle 001 und 002 Strukturelle Charakteristika Die ECCC sind ein Gerichtshof innerhalb der nationalen kambodschanischen Judikative. Die UN assistieren ihm in»beratender«eigenschaft. Die ECCC wurden mit einer geteilten Verwaltung unter der Regie eines kambodschanischen Director of Court Administration und eines von den UN eingesetzten Deputy Director geschaffen. Jeder von ihnen überwacht»seine«seite des Gerichtshofs und»sein«budget. Diese gespaltene Struktur ist aufgrund eines Kompromisses in der Verhandlungsphase entstanden und Vö l k e r s t r a f r e c h t 35
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