Predigt im Gottesdienst am Sonntag 3. September 2017 in der reformierte Kirche Birmensdorf Der grosse Verschwender
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- Joachim Dresdner
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1 Predigt im Gottesdienst am Sonntag 3. September 2017 in der reformierte Kirche Birmensdorf Der grosse Verschwender Lesung: Jes 55,10f Der Herr verspricht Heil Denn wie der Regen und der Schnee herabkommen vom Himmel und nicht dorthin zurückkehren, sondern die Erde tränken und sie fruchtbar machen und sie zum Spriessen bringen und Samen geben dem, der sät, und Brot dem, der isst, so ist mein Wort, das aus meinem Mund hervorgeht: Nicht ohne Erfolg kehrt es zu mir zurück, sondern es vollbringt, was mir gefällt, und lässt gelingen, wozu ich es gesandt habe. Evangelium: Lk 8,4-15 Das Gleichnis vom Acker und seiner Frucht Als nun viel Volk zusammenkam und Leute aus allen Städten ihm zuströmten, sprach Jesus in einem Gleichnis: Der Sämann ging aus, seinen Samen zu säen. Und beim Säen fiel etliches auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels frassen es auf. Anderes fiel auf Fels, ging auf und verdorrte, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Anderes fiel mitten unter die Dornen, und mit ihm wuchsen die Dornen und erstickten es. Wieder anderes fiel auf guten Boden, ging auf und brachte hundertfach Frucht. Als er dies gesagt hatte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Seine Jünger aber fragten ihn, was dieses Gleichnis bedeute. Er sprach: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, zu den anderen aber wird in Gleichnissen geredet, damit sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen. Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die auf dem Weg sind die, welche es hören. Dann kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht zum Glauben kommen und gerettet werden. Die auf dem Fels sind die, welche das Wort hören und freudig aufnehmen. Doch sie haben keine Wurzeln: Eine Zeit lang glauben sie, in der Zeit der Versuchung aber fallen sie ab. Das unter die Dornen Gefallene, das sind die, welche es gehört haben und dann hingehen und von Sorgen und Reichtum und Freuden des Lebens erstickt werden und die Frucht nicht zur Reife bringen. Das auf dem guten Boden, das sind die, welche das Wort mit rechtem und gutem Herzen gehört haben, es bewahren und Frucht bringen in Geduld.
2 Predigt Der deutsche Dichter Berthold Brecht hat einst ein Gedicht geschrieben mit der Überschrift»Vom Sprengen des Gartens«. In diesem Gedicht wird ein Gärtner angeredet, der mich an den Sämann in Jesu Gleichnis im Lukasevangelium erinnert. O Sprengen des Gartens, das Grün zu ermutigen! Wässern der durstigen Bäume! Gib mehr als genug. Und Vergiss nicht das Strauchwerk, auch Das beerenlose nicht, das ermattete Geizige! Und übersieh mir nicht Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch Durst hat. Noch giesse nur Den frischen Rasen oder den versengten nur: auch den nackten Boden erfrische du. Der Gärtner wird im Gedicht gerufen, nicht nur dem Achtung zu schenken, was Erfolg verspricht. Bliebe der Gärtner bloss ein gewiefter Kaufmann, der nur nach seinen Interessen handelt, so bliebe kein einziger Tropfen für das beerenlose, ermattete und geizige Strauchwerk. Brechts Gärtner aber zeichnet nicht Kalkül, sondern Grossmütigkeit aus. Er ist verschwenderisch. Auch das nichtsnutzige Unkraut,»das Durst hat«bekommt seinen Anteil. Sogar der nackte Boden wird mit kühlem Nass überschüttet. So pflegt dieser Gärtner auch das Fruchtlose mit nicht berechnender Anmut. Mir ist dieser verschwenderische Gärtner sehr lieb. Er lehrt mich, das Gleichnis vom Acker aus dem Lukasevangelium mit anderen Augen zu lesen. Und zwar gegen die Absicht des Gleichnisses. Es scheint auf den ersten Blick nur am»guten Boden«und am»rechten und guten Herzen«, das»frucht bringt in Geduld«, interessiert zu sein. Gelobt werden die, die Gottes Wort hören und reiche Frucht bringen. Aber für einmal soll nicht der Erfolg des Säens die Aufmerksamkeit bannen, sondern jener Sämann im Gleichnis, der mich an Brechts Gärtner erinnert. Ganz offensichtlich zeichnet auch ihn Grossmut und nicht Kalkül aus. So streut er die Saat nicht nur auf fruchtbaren Boden, sondern mit grossem Wurf auch auf den Weg, den Felsen und in die Dornen. Als hätte er ganze Scheunen von Samen zu verstreuen. Jedes Jahr wird dieses Gleichnis in unseren Gottesdiensten gelesen. In jedem Jahr kommt jener verschwenderische Sämann, der nichts dazulernt 2
3 wieder und streut seine Saat in das»ermattete, geizige«dornengestrüpp der Menschenherzen. In jedem Herbst erlebt er dieselbe Enttäuschung: Es ist vieles verdorrt, erstickt und entwurzelt, worauf er seine Hoffnung gesetzt hat. Aber der geringe Erfolg seiner Arbeit erstickt seine Hoffnung nicht. Er kommt wieder und streut mit grossem Schwung seine Saat auf den felsigen Boden, ins Dornengestrüpp, auf den Weg und auf den fruchtbaren Acker. In diesem verschwenderischen Sämann sehe ich eine grenzenlose Güte. Die Güte erschöpft sich nicht messbaren Erfolg. Sie kalkuliert nicht. Sie schenkt auch dem Geringen Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie umarmt das Aussichtslose. Diese Güte des Sämanns ist mir lieb. Noch lieber als die Mitteilung vom Wort, das reiche Frucht bringt. Dem scheint ja das Augenmerk des Gleichnisses zu gelten. Auch die anderen Evangelisten, Matthäus und Markus, erzählen dieses Gleichnis. Dort wird aufgezählt, wie viel Frucht der gute Boden bringt: dreissigfach, sechzigfach, hundertfach. Gott sei Dank für diese reiche Frucht. Aber ich bin mir nicht mehr so sicher, dass das alles ist. Immer wieder tritt dieser Sämann vor meine Augen und überstrahlt mit seiner verschwenderischen Güte den Ertrag der Arbeit. Kann es sein, dass dieser Sämann eine noch tiefere Weisheit, ein noch tieferes Geheimnis über die Welt, uns Menschen und das Leben offenbart? Wie verschwenderisch ist doch auch die Natur. Wieviel Saat entsteht und vergeht, ohne das es zur Frucht kommt. Die Natur ist nicht so eingerichtet, dass jeder einzelne Same Erfolg bringt. Im Gegenteil. Nur der allerkleinste Teil bringt Frucht. Das Meiste bleibt unfruchtbar und vergeht. Von Effizienz keine Spur. Warum dieser verschwenderische Überfluss? Der grosszügige Sämann scheint die Welt mit anderen Augen zu sehen als der Kaufmann. Er berechnet nicht. Er wiegt nicht nur das Hundertfache und das Sechzigfache. Er bemerkt, dass das Korn auf dem felsigen Acker wenigstens gequollen ist; dass das Korn unter den Dornen zwar nicht zur Reife gekommen ist, aber sich wenigstens bemüht hat im lichtlosen Gestrüpp. Für den Sämann scheint das nicht unbedeutend zu sein. Er ist jedenfalls kein Vertreter einer Alles-oder-Nichts-Ideologie. Er schätzt die Anfänge, den kleinen guten Willen, das erste Aufblühen. Er verachtet es nicht. Er erkennt den Keim der Güte. Es ist ihm lieb. 3
4 Ich rege mich immer sehr auf, wenn Menschen die Anfänge nicht zu würdigen wissen oder böswillig zerstören. "Du hast doch keine Ahnung von all dem! Was willst du schon? Was verstehst du schon davon?" Solche Sätze hört man dann. Sie verraten die Stumpfheit und Dummheit der selbsternannten Lebensexperten, die solche Sätze von sich geben. Für sie zählt nur das Ganze, der Erfolg. Sie kennen das Glück des zaghaften Anfanges nicht. Für sie rechnet sich nur das Hundertfache in der Tat eine entmutigende Aussicht für den kleinen Menschen, wenn nur solche Erträge gelten. Darum ist mir der gütige Sämann lieber. Er schätzt auch die kümmerliche Ähre, die sich durch die Dornen winden muss. Dieser gütige Sämann ist letztlich Gott selbst. Gott ist der grosse Verschwender. Er rechnet nicht. Für ihn zählt nicht nur der Erfolg. Er sieht auch die kleinen Anfänge und würdigt sie. Grosszügig lässt er Schnee und Regen vom Himmel fallen, wie es beim Propheten Jesaja heisst. Die Erde wird getränkt. Es beginnt zu Spriessen. Unendlich viel Saat verteilt der Wind. Ein kleiner Teil davon bringt Frucht und wird zum Brot des Menschen. Und so ist es auch, wie Gott selber beim Propheten sagt, mit seinem Wort. Es wird verschwenderisch überall hin gesät wie der Wind die unendlichfache Saat verteilt. Ein Teil bringt Frucht, vieles verdorrt. Aber das tut der Güte Gottes keinen Abbruch. Im Gegenteil. Da ist noch etwas, das mich die Güte des verschwenderischen Sämanns lehrt. Etwas ganz Entscheidendes: Das Leben erschöpft sich nicht im irdischen Hier. Vielleicht ist ja die mannigfache Saat, die hier nur kümmerliche oder gar keine Frucht bringt, ein Anstoss zur Sehnsucht nach der Ewigkeit. Es gibt eine alte jüdische Überlieferung, die davon spricht, dass diese Saat, die so verschwenderisch auf die Erde gestreut wird, ein Zeichen dafür ist, dass es mehr gibt als nur diese Welt. Wenn die Saat hier nicht aufgeht, so doch gewiss in der Ewigkeit Gottes. Was hier nicht gelingt, wird dort gelingen. Gott hat Möglichkeiten, die unsere Vorstellungskraft unendlich übersteigt. So sind für mich der verschwenderische Sämann und Brechts Gärtner, nicht nur Gestalten, die mich die Güte lehren. Sie lehren mich dazu auch die Hoffnung. Diese Welt und dieses Leben sind nur ein kleiner Teil vom grossen Ganzen. Nicht unbedeutend. Im Gegenteil. Aber doch nicht alles. Unser Schicksal erschöpft sie nicht in dieser Weltzeit. Es ist nicht alles verloren, wenn die Saat hier verdorrt. Wir dürfen uns vielmehr über die zaghaften Anfänge und die wohlwollenden Versuche freuen. Weil wir im Blick der Güte des verschwenderischen Sämanns geborgen sind. Und weil 4
5 er verspricht, dass sich sein Wort erfüllen wird. Auch oder gerade in einer anderen Zeit, in Ewigkeit. Amen. Aesch, 27. Juli 2017 Marc Stillhard 5
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