25 Jahre LAG BW GLGL - ich möchte das, was mir dazu auf dem Herzen liegt, in drei Teile aufteilen: GESTERN - HEUTE und MORGEN
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- Nelly Armbruster
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1 Liebe Mitglieder, liebe Freunde, meine Damen und Herren, - hier zu stehen, an diesem schönen Ort, in diesem festlichen Rahmen, mit Ihnen allen und mit vielen unserer tollen Kinder - macht mich glücklich! Danke, dass ihr alle da seid! 25 Jahre LAG BW GLGL - ich möchte das, was mir dazu auf dem Herzen liegt, in drei Teile aufteilen: GESTERN - HEUTE und MORGEN Und ich möchte erzählen, was uns aufgefallen und eingefallen ist, als wir über diese drei Zeiträume nachgedacht haben: GESTERN Gestern fängt offiziell vor 25 Jahren, in Reutlingen, an und dann nach und nach in ganz Baden-Württemberg, wo sich Eltern nicht mehr damit zufrieden geben, mit ihren Kindern mit Behinderungen in eine Parallelwelt, in ein Sondersystem, abgedrängt zu werden. Manchmal denke ich: Unsere Frauen und Männer der ersten Stunde waren fast mutiger als wir heute. In einer der ersten Positionspapiere wurde sehr deutlich gesagt, um was es geht, wenn wir separieren, wenn wir einfach einige Menschen nicht in der Mitte unserer Gesellschaft haben wollen: Um eine Form von Apartheid. Heute zucken wir vielleicht zusammen, wenn wir dieses Wort hören, aber eigentlich trifft das Wort genau das, worum es im Kern geht. Dieses Sondersystem hatte sich schon damals gut eingerichtet, und tut es auch noch heute. Damals wie heute heißt es: Dicke Bretter bohren!
2 Und oft, leider zu oft, hatten diese Bretter in der Geschichte von Gemeinsam leben - gemeinsam lernen einen Eisenkern - da war kein Durchkommen! Deshalb ist die Geschichte der LAG GLGL auch eine Geschichte von Erfolgen und von Niederlagen - von glücklichen Kindern und Eltern und von Familien, die verzweifelt sind. Manchmal sind sie schlicht und einfach aus BW weggezogen: sogenannte Inklusion- Emigranten! Die Geschichte der LAG ist eine Geschichte von engagierten Menschen - zum Beispiel meinen Vorgängerinnen und Vorgängern als Vorsitzende der LAG GLGL Karin Zäh Paul Schiebel Barbara Weigle Wilfried Furian und natürlich all jener, die sich mit und ohne Amt in der LAG GLGL engagiert haben. Ihnen allen möchte ich heute danken! Alle haben das, was sie geben konnten, beigetragen - und ohne sie würden wir alle heute hier nicht stehen. Die Geschichte der LAG GLGL ist auch eine Geschichte der Ideen und Aktionen: da gab es z.b. den Laternenlauf, damit dem Minister auch endlich mal ein Licht aufgeht (ist dann leider nicht wirklich passiert...) Eine Anzeigenkampagne mit einigen hundert Namen eine außerparlamentarische Enquetekommission ein großes EU-Projekt Tagungen, Kongresse und Jahrestreffen - immer wieder auch
3 hier in der Evangelischen Akademie! und vieles vieles mehr. Was haben wir dadurch erreicht? Das ist eine Bilanz, in der das Wörtchen ABER eine wichtige Rolle spielt: Gemeinsam Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung ist nicht mehr exotisch oder völlig gaga, ABER noch immer nicht selbstverständlich. Integrative Schulentwicklungsprojekte ISEPs und Außenklassen waren für viele Kinder ein möglicher Weg in der Schule, ABER für viele eben dann doch nicht. Klassen mit gemeinsamem Unterricht gibt es heute in vielen Orten in Baden-Württemberg, ABER eben noch nicht überall, und nicht überall sind sie durchsetzbar. Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind mit Hilfe des Persönlichen Budgets entstanden, ABER werden in vielen Regionen noch immer verwehrt. Inklusive Wege insgesamt sind möglich, ABER immer noch mit so vielen Kämpfen verbunden, dass sie dann doch nicht für alle gangbar sind. Und trotzdem hat sich, das ist meine Überzeugung, JEDE Aktion, jeder Brief, jeder Protest gelohnt! HEUTE Unser Engagement heute, also 2014, ist für mich aus unterschiedlichen Punkten ganz besonders: 1. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention haben wir
4 starken Rückenwind bekommen - es geht nun amtlich nicht mehr um das Engagement einiger überengagierter Eltern, sondern um einen gesellschaftlichen Umbau insgesamt. 2. Wir haben erstmals in Baden-Württemberg eine Landesregierung, die zumindest von sich behauptet, Inklusion zu WOLLEN. Das ist ja schon einmal was! Und war im Inklusionsentwicklungsland BW nicht immer selbstverständlich, auch nicht, als man es aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung längst MUSSTE. Ob aus den Reden unserer grün-roten Landesregierung allerdings bald auch einmal Taten werden, das ist leider noch nicht sicher, dazu später mehr. Immerhin werden Briefe inzwischen beantwortet. Und manch einer in der Regierung findet uns dann doch irgendwie ganz kompetent, auch wenn er das lieber nicht all zu laut sagt! 3. Wir haben mit unserer Projektleiterin der Unabhängige Beratung eine hauptamtliche Kraft, mit deren Hilfe wir Eltern unterstützen, uns einmischen und nach außen auftreten. Das ist aus meiner Sicht ein Riesenschritt nach vorne und hat auch für die Außenwirkung von Gemeinsam leben - gemeinsam lernen viel gebracht: Ein Sitz im Landesbehindertenbeirat, viele Einladungen zu Vorträgen und Fachgesprächen, Präsenz in den Medien, Hintergrundgespräche mit Politikern, eine tolle Webseite und - last not least - die Festschrift, die Sie alle in der Händen halten. Liebe Kirsten, ohne Dich wäre all das nicht möglich. Du, deinem Mann und besonders Henri wollen wir für euer Engagement ganz herzlich danken. Ihr schafft mit eurem Mut Unglaubliches und ich bin sicher wir alle werden davon profitieren.
5 vielen Dank an dieser Stelle! Was wir im Land erleben, seitdem ihr es gewagt haben, euren Sohn im Gymnasium anzumelden, haben wir hierzulande noch nie zuvor erlebt - und es sind sehr unterschiedliche Dinge: Zum einen haben wir sehr deutliche Beweise dafür erhalten, dass Inklusion in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dass es viele gibt, die verstehen, worum es geht. Tausende Kommentare in einer Online-Petition - ich kann sie Ihnen allen ans Herz legen, wenn Sie mal etwas Aufmunterung und seelischen Zuspruch brauchen! Auf der anderen Seite erleben wir auch eine Stunde der Wahrheit: Wahr ist, dass es in Deutschland immer noch - 5 Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention - viele gibt, die das hohe Lied der Sonderschulen singen, egal, ob die ganze Welt es anders macht. Und deutlich wird auch, und das ist besonders schmerzlich, dass wir Deutschen uns noch immer nicht vom Kästchen-Denken verabschieden können: Auch in der Inklusion wollen wir wieder verschiedene Kategorien bilden: A-Klasse und B-Klasse- Behinderte, Kluge und vermeintlich Dumme - das ist etwas, das mit uns nicht geht und gehen kann! Das aber leider eine lange Tradition hat, auch in Elternselbsthilfe - dass wir auseinanderdividiert werden und uns auseinanderdividieren lassen: Dass die einen willkommen sind, die anderen aber nicht - dass die einen Chancen in inklusiven Zusammenhängen erhalten, die anderen aber in Sondereinrichtungen gegen ihren Willen bleiben müssen: DAS können und dürfen wir nicht zulassen! Nicht jetzt und nicht in Zukunft! Kommen wir also zu
6 MORGEN - das ist die Zukunft von Gemeinsam leben - gemeinsam lernen und der Elternselbsthilfe allgemein. Was wünsche ich mir da? Ich wünsche mir, dass wir als Angehörige von Menschen mit Behinderungen endlich als das akzeptiert werden, was wir sind: Die Experten für unsere Kinder, dass andere aufhören, und das Wohl unserer Kinder definieren und uns vorschreiben, wie wir zu leben haben. Dass es eine pluralistische Gesellschaft auch endlich für unsere Familien gibt! Ich wünsche mir, dass wir alle mehr TUN und weniger reden. Wir drohen eine Gesellschaft von schwätzenden Gutmenschen zu werden, wie es unsere Projektleiterin oft sagt. Immer nur zu reden bringt keinen Schüler in die allgemeine Schule, keinen jungen Erwachsenen in einen Beruf - keinen Menschen mit Behinderung in eine Wohnung, in der er selbstbestimmt und in Würde leben kann. Ich wünsche mir, dass immer mehr Eltern von Kindern mit Behinderungserfahrung verstehen, dass es keinen Sinn hat, immer nur für sich allein zu kämpfen - mir geht es nur um mein Kind - diesen Satz höre ich oft, und genauso oft denke ich: Nein, das kann es nicht sein! Wenn wir ernsthaft eine inklusive Gesellschaft fordern, dann kann das nur eine Gesellschaft sein, in der einer für den anderen einsteht, - in der dem einen nicht egal ist, wie es dem anderen geht. Und in der das, was wir für uns und unsere Kinder erkämpft haben, für ALLE möglich wird. Und das wird es nur, wenn wir auch an andere denken und uns weiter engagieren! Und ich wünsche mir, dass sich dieses Engagement auf viele
7 Schultern verteilt, auf mehr als jetzt. Denn was niemandem nützt, ist, dass wir immer wieder an unsere physischen und psychischen Grenzen kommen. Wir brauchen alle ein Unterstützersystem um uns herum, das uns vor allem vor Überforderung und Selbstausbeutung schützt. In diesem Sinne richte ich meinen Appell an alle, die hier sind, zu überlegen, wo sie mehr tun können - wohl wissend, dass gerade heute auch viele hier sind, die gerne auch mal ein bisschen weniger tun könnten. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere 25 LAG Gemeinsam leben - gemeinsam lernen Jahre. Beim nächsten runden Jubiläum hoffe ich, dass dann Jüngere hier stehen und mit der gleichen Überzeugung sagen: Lasst uns für eine inklusive Gesellschaft eintreten für uns für unsere Kinder für alle! Vielen Dank.
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