Medienart: Print Medientyp: Publikumszeitschriften Auflage: 140'736 Erscheinungsweise: 50x jährlich Fläche: 147'422 mm² Themen-Nr.: 377.

Transkript

1 Ausschnitt Seite: 1/5 SCHLAF, KINDLEIN, SCHLAF! Das kennen viele Eltern: Abends sind alle Gesänge und Geschichten vergeblich, das Kleine scheint nicht müde zu werden. Kinderarzt Oskar Jenni weiss, welche Rituale und Einschlafhilfen Erfolg versprechen. Text Anna Gielas Langsam kratzt es im Hals. Das ist nun das neunte Mal, dass die Mama «Schlaf, Kindlein, schlaf» singt. Und das Kindlein? Hellwach schaut es der Mama zu, klatscht vergnügt in die Hände: «Noch mal!» Schlafen will es nicht. Und die Mama weiss sich nicht zu helfen. Damit steht sie nicht allein da. Eines der ältesten uns bekannten Schlaflieder ist etwa 5000 Jahre alt und stammt aus Babylonien. So lange ringen Eltern also schon um den Schlaf ihrer Kinder? Vermutlich noch länger. «Dabei gehen die häufigsten Probleme mit dem Einschlafen des Kindes auf drei Ursachen zurück», sagt Oskar Jenni, Leitender Arzt der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich. «Die Kinder haben keinen regelmässigen Tagesrhythmus, ihr Schlafbedarf wird überschätzt, oder sie haben nicht gelernt, selbständig einzuschlafen.» Jenni forscht zum Schlafverhalten sowie zu Schlafstörungen im Kindesalter. Ratgeber und Informationen aus dem Internet können Eltern verunsichern. Etwa wenn es dort heisst, ein Vierjähriges solle zwölf oder gar dreizehn Stunden schlafen, der eigene Nachwuchs aber bereits nach acht, spätestens zehn Stunden putzmunter ist. «Das Schlafbedürfnis ist individuell und kann von Kind zu Kind durchaus stark variieren», sagt Oskar Jenni. Den Sohn oder die Tochter vorzeitig ins Bett zu legen oder länger liegen zu lassen, frustriert das Kleine. Es ist nicht müde, kann sich im Bettchen aber nicht selbst beschäftigen. In der unschönen Situation macht es sich bei seinen Eltern lautstark bemerkbar. Das Kind in diesem Fall ins Elternbett zu holen, ist allerdings keine gute Idee: So kann sich das Kleine an die Nähe der Eltern beim Einschlafen gewöhnen und wird nicht mehr ohne sie einschlummern können. Stattdessen sollten Mütter und Väter herausfinden, wie viel Nachtruhe ihr Kind tatsächlich braucht. Das können sie mit Hilfe eines Schlafprotokolls. Im Internet steht es beispielsweise auf der Website des Kinderspitals Zürich kostenlos zur Verfügung. Sieben Tage lang notieren die Eltern die genauen Einschlafund Aufwachzeiten ihrer Kleinen - und kommen so auf deren individuellen Ruhebedarf. Ein fester Tagesrhythmus ist ebenfalls wichtig für das Einschlafen. Er vermittelt dem Nachwuchs ein Gefühl dafür, wann Schlafen angemessen und an der Zeit ist. Gerade wenn der Familienalltag aufgrund des Berufs oder anderer Verpflichtungen immer wieder durcheinandergerät - und das Kind mal um 18 Uhr, mal zwei Stunden später ins Bettchen kommt.

2 Ausschnitt Seite: 2/5 Feste Abläufe Hier helfen kleine Alltagsrituale unmittelbar vor dem Zubettgehen. Zum Beispiel können die Eltern, eine halbe Stunde bevor es ins Bettchen gehen soll, gemeinsam mit dem Kind die Kleidung für den nächsten Tag herauslegen, ein Bilderbuch lesen und eine Tasse Milch trinken. Nach kurzer Zeit wird das Kleine bereits beim Herauslegen der Kleidung wissen: Nun geht es ab ins Bett. «Feste Abläufe machen die Situation für das Kind vorhersehbar und spenden ihm auf diese Weise auch Sicherheit», so Oskar Jenni. Das Kind wird ruhiger, entspannt sich - und stellt sich auf Schlaf ein. Beim Zubettbringen sollten Eltern auf die Wahl der Einschlafhilfen achten. Gewöhnt sich ein Kind beispielsweise an Mamas Hand, wird es ohne sie wahrscheinlich nicht wieder in den Schlaf fallen können, wenn es mitten in der Nacht aufwacht. «Deshalb sollten die Eltern von «Das Schlafbedürfnis ist individuell und kann von Kind zu Kind durchaus stark variieren.» Oskar Jenni, Leitender Arzt am Kinderspital in Zürich

3 Ausschnitt Seite: 3/5 Anfang an möglichst auf Einschlafhilfen verzichten, die das Kind an sie gewöhnen», sagt Oskar Jenni. Etwa indem die Mama das Kleine zunächst festhält, ihm dann aber einen Kuschelbären in den Arm legt und eine gute Nacht wünscht. So fällt es dem Kleinen beim nächtlichen Aufwachen leichter, alleine wieder einzuschlafen - schliesslich ist der Kuschelbär nach wie vor fest in seinem Arm. Damit das Kind selbständig einschlafen lernt, braucht es eine gute Absprache zwischen Mama und Papa. Denn es nützt nichts, wenn ein Elternteil den Nachwuchs allein einnicken lässt - der andere aber bei ihm bleibt. Auch ist Geduld gefragt: Bei einigen Kindern dauert es länger, bis sie selbständig einzuschlafen lernen. Trotz fester Rituale und guter Einschlafhilfen. Oskar Jenni beruhigt die Eltern: Das sei völlig normal. «Eltern sollten diesen Entwicklungsstand der Kinder akzeptieren und respektieren», so der Pädiater. Aber was tun, wenn Eltern und Kinder sich bereits an das gemeinsame Einschlafen gewöhnt haben? Nun wird der Nachwuchs immer älter und grösser - macht aber ohne die Mama nach wie vor kein Auge zu. «Die Eltern sollten das Kind graduell an das neue Schlafverhalten heranführen», rät Oskar Jenni. Bisherige Einschlafrituale werden nicht von heute auf morgen durch neue ersetzt - sondern Schritt um Schritt so verändert, dass das Kleine am Ende ohne Mamas und Papas Anwesenheit einschläft. Nähe und Distanz Schlief das Kind bisher im Bett der Eltern, schläft nun zunächst die Mama oder der Papa auf einer Matratze neben dem Bett des Kindes im Kinderzimmer. Erst nah am Bettchen, dann immer weiter weg. Bis die Eltern am Ende nur noch gute Nacht wünschen und das Kind in seinem Zimmer allein lassen. Jeder Schritt erfordert Feingefühl - keiner sollte überstürzt eingeführt und durch den nächsten ersetzt werden. Das ist nicht nur für die Kinder wichtig, sondern auch für Mutter und Vater. «Es ist bisweilen schwieriger für die Eltern als für den Nachwuchs, auf Rituale wie das gemeinsame Einschlafen zu verzichten - gerade wenn das Kind bei gradueller Umgewöhnung zunächst weint», weiss Oskar Jenni aus seinen Schlaf-Sprechstunden mit Eltern und Kindern. In diesem Fall müssen Mama und Papa die Tränen ihrer Kleinen aushalten. Aber wenn es für sie zu schwer wird? «Dann können sie statt im Schlafzimmer vorübergehend weiterhin im Kinderzimmer bei ihrem Nachwuchs schlafen», empfiehlt Oskar Jenni. Mit bedachter Nähe und Distanz tun Eltern ihrem Nachwuchs Gutes: Gerade so helfen sie der Entwicklung ihrer Kinder - und erlauben ihnen sichere Schritte in die Selbständigkeit zu setzen.

4 Ausschnitt Seite: 4/5 Wenn das Schlafengehen an feste Abläufe geknüpft ist, kommen auch Wildfänge zur Ruhe.

5 Ausschnitt Seite: 5/5 Ins Bett gehen finden kleine Abenteurer langweilig, draussen gäbe es so viel zu erleben. 4 «Es ist bisweilen schwieriger für Eltern als für Kinder, auf Rituale wie das gemeinsame Einschlafen zu verzichten.» Oskar Jenni, Leitender Arzt am Kinderspital in Zürich