Gerald Quitterer Bayerns Ärztepräsident strebt nach Berlin
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1 Gesundheitsgespräch Gerald Quitterer Bayerns Ärztepräsident strebt nach Berlin Sendedatum: Autor: Nikolaus Nützel Die Ärztekammern regeln viele wichtige Fragen des deutschen Gesundheitswesens. Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Gerald Quitterer, will sich auch auf Bundesebene stärker einbringen: Er kandidiert für den Posten des Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK). Die Landesärztekammern und die Bundesärztekammer als ihr Dachverband regeln wesentliche Fragen, wenn es darum geht, wie Medizinerinnen und Mediziner in Deutschland ihren Beruf ausüben. Die Kammern nehmen aber auch darüber hinaus zur Gesundheitsversorgung Stellung. Bayerns Ärztepräsident Gerald Quitterer will sich künftig zu verschiedenen Themen mehr Gehör verschaffen. Dem Text liegt ein Interview mit Dr. med. Gerald Quitterer, zugrunde, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer und Hausarzt in Eggenfelden. Seite 1
2 Impfen Quitterer ist gegen Pflicht, für Vernunft Der Ärztepräsident schließt sich bei Thema Impfungen den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts an. Um möglichst hohe Impfquoten zu erreichen, hält er Zwangsmaßnahmen aber für kontraproduktiv. Nach Ansicht von Gerald Quitterer besteht kein Zweifel daran, dass die in Deutschland empfohlenen Impfungen große Vorteile für die Patienten bringen. Er hält beispielsweise Masern für eine Krankheit, die oft unterschätzt werde, und die deshalb ausgerottet werden sollte. Dieses Ziel hat sich auch die Weltgesundheitsorganisation gesetzt. Hohe Impfquoten notwendig Vielen Bürgern ist nach Ansicht des Ärztepräsidenten dabei nicht bewusst, dass es bei Impfungen nicht nur um ihren eigenen Schutz oder um den ihrer Kinder geht. Das Prinzip der "Herdenimmunität" werde von vielen noch nicht verstanden. Danach gilt: Wenn 95 Prozent der Einwohner einer Region gegen eine ansteckende Krankheit wie etwa Masern geimpft sind, können sich die Viren ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr verbreiten. Denn wenn es einen Ausbruch gibt, können die Viren nicht von Mensch zu Mensch springen, weil die Übertragungskette schnell durch Geimpfte durchbrochen wird, die sich nicht mit den Viren anstecken können. Aufklärung Gerald Quitterer will hohe Impfquoten durch Aufklärung erreichen, nicht durch eine Pflicht. Er habe es immer wieder erlebt, dass Patienten Impfungen ablehnen, wenn sie sich dazu gedrängt fühlen, erklärt er. Wenn eine Impfpflicht eingeführt würde, sei auch folgende Konstellation zu erwarten: Ein Patient, der eine Impfung ablehnt, fordert von seinem Arzt eine Bescheinigung, dass er oder auch sein Kind aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden darf. Konfliktsituation vermeiden Damit komme der Arzt in eine Konfliktsituation, sagt Quitterer: Entweder er stellt eine solche Bescheinigung aus, die dann mehr mit der Haltung des Patienten zum Impfen zu tun hat als mit dessen Gesundheitszustand. Oder er verweigert die Bescheinigung und begibt sich damit in eine Konfrontation zu seinem Patienten. Solche Konfliktsituationen müssten im Interesse der Patienten wie auch der Ärzte vermieden werden, findet Quitterer. Jugendliche zu Zweitimpfung motivieren Das Hauptproblem sieht er allerdings darin, Jugendliche und Erwachsene zu einer Zweitimpfung zu motivieren. Denn die Raten für eine Erst-Impfung etwa bei Masern seien durchaus positiv. Quitterer plädiert dafür, Gesundheits-Check- Seite 2
3 ups verstärkt zu nutzen, Menschen von Impfungen zu überzeugen. Auch Bonusprogramme der Krankenkassen könnten ein Weg sein, glaubt er, die Motivation zu erhöhen. Und nicht zuletzt ein Aufnahmeverbot für nicht geimpfte Kinder in Kindertagesstätten könnte Teil einer Strategie sein, um noch höhere Impfraten zu erzielen, sagt Quitterer. "Eine Impfpflicht führt immer auch zur Ablehnung." Dr. Gerald Quitterer Mehr Organspender nötig Quitterer für Entscheidungslösung bei Organspende Der Ärztepräsident hofft, dass sich die Zahl der Organspender vor allem auf eine Weise steigern lässt: wenn sich mehr Menschen entscheiden. Gerald Quitterer ist sicher, dass Menschenleben gerettet werden könnten, wenn es mehr Organspender gäbe. Doch eine Widerspruchslösung, wie sie in vielen Ländern gilt, lehnt er ab. Mehr müssten spenden Die Zahl der Organspender müsste nach Ansicht von Transplantationsmedizinern in Deutschland noch deutlich gesteigert werden. Viele Ärzte und auch Gesundheitspolitiker fordern deswegen auch für Deutschland eine Widerspruchslösung, wie sie etwa in Österreich, Belgien oder Spanien gilt. Dort müssen die Bürger für den Fall, dass bei ihnen der Hirntod eintritt, einer Organentnahme ausdrücklich widersprechen. Sonst gelten sie als mögliche Organspender. In Ländern mit Widerspruchslösung ist die Zahl der Organspender im Schnitt höher als in Deutschland. Dennoch hält Quitterer diesen Weg nicht für richtig. Eine Organspende müsse immer freiwillig sein, findet er. "Freiwilligkeit heißt für mich nicht, dass ich Widerspruch dagegen einlegen muss, dass mir ein Organ entnommen wird", erklärt er. Entscheidung statt Widerspruch Deswegen will der Ärztepräsident statt einer Widerspruchslösung die Entscheidungslösung stärker durchsetzen, die in Deutschland im Prinzip jetzt schon gilt: Die Bürger sollen zu Lebzeiten entscheiden, ob sie im Fall eines Hirntods Organe spenden möchten. Diese Entscheidung müsse noch intensiver eingefordert werden, als es jetzt der Fall ist, wünscht sich Quitterer etwa, wenn sich jemand einen Personalausweis oder eine neue Krankenversichertenkarte ausstellen lässt. "Wer Organe nicht spenden will, der muss dann eben Nein sagen. Aber ganz Seite 3
4 ohne Entscheidungen kommt man eben nicht durchs Leben. Organspende ist ein Geschenk, ein Geschenk muss freiwillig sein." Dr. Gerald Quitterer Altersmedizin Quitterer fordert menschliche Medizin in jedem Alter Der immer höhere Anteil älterer Patienten stellt die Medizin vor große Herausforderungen. Denn auch die alterstypischen Gesundheitsprobleme nehmen zu. Gerade die Frage, wie ältere Patienten im deutschen Gesundheitswesen eine gute Betreuung erhalten können, ist nach Ansicht von Gerald Quitterer ein wichtiges Thema für die Landesärztekammern. Er findet, dass sie schon einiges auf den Weg gebracht haben. Geriatrische Erkenntnisse in allen Fachrichtungen Ältere Patienten hören es oftmals nicht gerne, wenn sie als "geriatrische Fälle" bezeichnet werden diese Erfahrung macht Gerald Quitterer immer wieder. Aber die Geriatrie, also der Zweig der Medizin, der sich mit Gesundheitsproblemen befasst, die mit zunehmendem Alter besonders oft auftreten, kann seiner Ansicht nach in vielen Bereichen hilfreiche Erkenntnisse liefern. Allerdings hält der Ärztepräsident wenig davon, einen Facharzt für Geriatrie als Spezialgebiet zu etablieren. Für besser hält er es, Erkenntnisse der Altersmedizin in allen Fachgebieten stärker zu verankern. Das hätten die Landesärztekammern mit entsprechenden Änderungen ihrer Weiterbildungsordnungen bereits auf den Weg gebracht, erklärt Quitterer. Inzwischen seien Erkenntnisse der Geriatrie auch in den Weiterbildungsinhalten für Orthopäden, Hautärzte oder Hals-Nasen-Ohren-Ärzte festgeschrieben. Auf ältere Patienten achten Der Kammerpräsident warnt dabei davor, dass die Bedürfnisse gerade älterer Menschen in einem immer stärker technisierten Medizinbetrieb in den Hintergrund gedrängt werden. Es müsse bei der Personalausstattung etwa in Krankenhäusern dafür gesorgt werden, dass auch Ältere den sogenannten "Behandlungspfaden" folgen können. Gerade bei älteren Patienten müssten Ärzte seiner Ansicht nach erfragen und erspüren, welche Behandlung die jeweils richtige ist. Nicht alles, was an Hochleistungs-Medizin möglich ist, sei bei jedem Patienten sinnvoll, findet Quitterer. "Wir müssen verhindern, dass Über-Diagnostik und Über-Therapie betrieben wird." Dr. Gerald Quitterer Seite 4
5 Ärztliche Versorgung Quitterer: Nachwuchsmangel bekämpfen Noch ist Deutschland und auch Bayern mit Ärzten gut versorgt. Doch der Ärztepräsident fordert politische Änderungen, um dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Die Zahl der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte steigt von Jahr zu Jahr, bundesweit wie auch in Bayern, und Medizin bleibt ein ausgesprochen beliebtes Studienfach. Dennoch wächst nach Einschätzung von Gerald Quitterer an etlichen Stellen der Behandlungsbedarf der Patienten schneller als der Umfang der Arbeitskraft, die Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stellen. Die Ärzteschaft verändert sich Die jüngeren Ärztegenerationen seien in mancher Hinsicht anders als seine eigene, stellt Gerald Quitterer fest. Als der heute 63-Järhige vor über 30 Jahren seine Arbeit als Hausarzt begonnen hat, war es selbstverständlich, dass Ärzte 50, 60 oder auch 70 Stunden in der Woche arbeiten. Und Männer stellten die klare Mehrheit. Inzwischen sind rund 70 Prozent der Studienanfänger im Fach Medizin junge Frauen. Auch unter denen, die den Arztberuf ausüben, bewegt sich der Anteil der Frauen auf eine Mehrheit zu. In vielen Fällen legten diese Frauen stärker als Männer Wert darauf, sowohl zu arbeiten als auch Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, stellt Quitterer fest. Mehr Köpfe werden gebraucht Aber auch unter männlichen Nachwuchs-Medizinern werde das Thema "Work- Life-Balance" größer geschrieben. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die in Teilzeit arbeiten, steige stetig auch weil die Belastung eines Vollzeit-Jobs oft als zu groß empfunden werde. Für zwei Mediziner, die aus dem Beruf aussteigen, müssten deshalb eigentlich drei Nachwuchskräfte gefunden werden, erklärt Quitterer. Zugangsregeln ändern Um die Zahl von Berufsanfängern so zu steigern, wie es dem Bedarf entspricht, müsste die Zahl der Studienplätze um mindestens ein Zehntel angehoben werden, fordert der Ärztepräsident. Vor allem, um die Versorgung auf dem Land sicherzustellen, müsse die Politik aber auch andere Maßnahmen ergreifen. Die Landarztquote, die unter anderem Bayern auf den Weg gebracht hat, sollte seiner Ansicht nach Möglichkeit weiter ausgebaut werden. Es sei wichtig, dass auch junge Leute, die kein 1,0-Abitur gemacht haben, die aber den festen Wunsch haben, etwa eine Landarztpraxis zu übernehmen, Medizin studieren können. Seite 5
6 "Mein Anliegen ist, dass wir wegkommen von der glatten Einser-Abiturnote." Dr. Gerald Quitterer Sterbehilfe Quitterer will sanfte Liberalisierung der Gesetze In der Diskussion über die Gesetzesregeln zur Beihilfe zum Suizid wünscht sich Gerald Quitterer vorsichtige Änderungen. Eine Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts hat wieder Bewegung in die Frage gebracht, wie Sterbehilfe in Deutschland geregelt sein soll. Kritiker der aktuellen Gesetzeslage, die vor das oberste deutsche Gericht gezogen sind, halten die Vorschriften für zu restriktiv und lebensfremd. Der Ärztepräsident Quitterer mahnt zu Behutsamkeit bei dieser Frage. Eine Frage der Definition Grundsätzlich hält Quitterer das gesetzliche Verbot einer "geschäftsmäßigen" Sterbehilfe für eine sinnvolle Regelung. Sie stellt seiner Ansicht nach klar, dass es kein kommerzielles Geschäftsmodell sein darf, Todkranken dabei zu helfen, dass sie ihr Leben beenden. Allerdings sieht er die Gefahr, dass auch Ärzte, die Patienten bis ans Ende einer ausweglosen Erkrankung begleiten, unter die Definition des "Geschäftsmäßigen" fallen. Eine Lösung könnte es sein, klarzustellen, dass Ärzte, die einen Todkranken betreuen, mit dem Verbot einer "geschäftsmäßigen" Beihilfe zur Selbsttötung nicht gemeint sind. Entscheidung nicht durch Algorithmen Herausforderungen sieht Quitterer aber auch in neuen technischen Entwicklungen. Auf Intensivstationen würden immer öfter Computerprogramme eingesetzt, die die Behandlung optimieren sollen. Der Ärztepräsident fürchtet allerdings, dass es zu dem Punkt kommen könnte, dass ein Algorithmus eine Behandlung beendet, weil sie mathematisch betrachtet als nicht mehr effektiv gilt. Deswegen muss seiner Ansicht nach immer sichergestellt sein, dass Ärzte bei medizinischen Maßnahmen mitdenken und abschließende Entscheidungen treffen. "Wir müssen bei jeder Behandlung mitfühlende Entscheidungen sicherstellen." Dr. Gerald Quitterer Seite 6
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