Symposium "Wandel und Gesundheit" Hellerau, Dresden,
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- Margarete Schumacher
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1 Symposium "Wandel und Gesundheit" Hellerau, Dresden, Wie aus Kränkungen Krankheiten werden Anerkennungsverluste in modernen Organisationen und Krankheitsfolgen Johannes Siegrist Institut für Medizinische Soziologie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
2 Anerkennung Universelles Bedürfnis nach sozialer Wertschätzung, d.h. Wunsch, für die eigene Person und ihr Handeln durch signifikante Andere Bestätigung in Form positiver Rückmeldung zu erhalten Eigenschaften, Ressourcen und Leistungen bilden in der Regel die Voraussetzung für die Gewährung von Anerkennung Anerkennung folgt dem Reziprozitätsprinzip: Gleichwertigkeit von Gabe und Gegengabe
3 Stress Spektrum von Reaktionen auf eine bedrohliche Herausforderung (Stressor) 1. auf der Ebene der Wahrnehmung und Bewertung: Kontrollierbarkeit und Relevanz des Stressors; Erfolgschancen der Bewältigung 2. auf der Ebene der Emotionen: in Abhängigkeit von 1) u.a. Wut, Angst, Ärger, Hilflosigkeit 3. auf der Ebene physiologischer Reaktionen: Aktivierung von Stressachsen (SAM- / HPA-Achsen) 4. auf der Ebene motorischen Verhaltens: motorischen Verhaltens: Kampf oder Flucht; Unterwerfung, Passivität
4 Stress im Erwerbsleben: Toxische Komponenten? negative Emotionen stressassoziierte Erkrankungen Stressreaktionen
5 Aufgaben theoretischer Modelle (Erforschung krankheitswertiger psychosozialer Arbeitsbelastungen) heuristisch-analytisch: Identifizierung pathogener bzw. protektiver Komponenten generalisierend: Geltungsbereich der Aussagen für eine Vielzahl von Arbeitsplätzen erklärend: Gewinn neuer Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Krankheit praktisch: Handlungsanleitung für gezielte Interventionsmaßnahmen
6 Modell beruflicher Gratifikationskrisen (J. Siegrist, 1996) Extrinsische Komponente - Anforderungen - Verpflichtungen Erwartung ( übersteigerte Verausgabungsneigung ) - Lohn, Gehalt - Aufstiegsmöglichkeiten Arbeitsplatzsicherheit - Wertschätzung Verausgabung Belohnung Erwartung ( übersteigerte Verausgabungsneigung ) Intrinsische Komponente
7 Warum werden berufliche Gratifikationskrisen über einen längeren Zeitraum erfahren? Abhängigkeit Der Beschäftigte findet auf dem Arbeitsmarkt keine Alternative und zieht ein unfaires Beschäftigungsverhältnis dem Arbeitsplatzverlust vor. Strategische Entscheidung Der Beschäftigte akzeptiert ein Ungleichgewicht aus Verausgabung und Belohnung, um seine zukünftigen Karrierechancen zu verbessern ( antizipatorisches Investment ). Übersteigerte Verausgabungsneigung bersteigerte Verausgabungsneigung Der Beschäftigte weist ein motivationales Muster exzessiver Leistungsbereitschaft auf, wodurch die investierte Verausgabung die erhaltene Belohnung häufig übersteigt.
8 Globalisierung Ausbreitung von Marktwirtschaft und moderner Technologie des Westens auf Schwellen- und Entwicklungsländer Anstieg transnationaler Mobilität und globale Informationsausbreitung mit Folgen für soziokulturellen Wandel (incl. Urbanisierung, westlicher Lebensstil) Expansion des Welthandels: Grenzüberschreitender Transfer von Kapital, Waren und Arbeitskräften
9 Wirtschaftliche Globalisierung Folgen des globalen Arbeitsmarkts für Hochlohnländer Wachsender Rationalisierungsdruck (v.a. aufgrund internationaler Lohnkonkurrenz) Downsizing, Merging, Outsourcing Arbeits- Arbeitsplatz- Lohn/Gehaltsintensität unsicherheit einbußen
10 Erfassung von Globalisierungsfolgen durch das Modell beruflicher Gratifikationskrisen Erhöhte hte Verausgabung Intensität; Leistungsdichte; Termindruck Ausdehnung der Arbeitszeit; Kürzung von Erholungszeit Zunahme irregulärer Arbeitszeiten Rascher Wechsel von Arbeitsaufgaben, Arbeitskollegen und - umgebung Geringere Belohnung Zunahme von Arbeitsplatzunsicherheit Risiken von beruflichem Abstieg, Versetzung, unfreiwilliger Frühberentung Reduzierte Aufstiegschancen, Lohneinbussen, Wegfall von Vergünstigungen Verschlechterung von Betriebsklima, Fairness/ Verfahrensgerechtigkeit und Respekt in Organisationen
11 Epidemiologie Untersuchung des Gesundheitszustandes ganzer Bevölkerungsgruppen (Betrieb, Kommune etc.) Sozialepidemiologie: Studium gesellschaftlicher Einflüsse (Arbeit, Wohnen, soziale Netzwerke...) auf Gesundheit und Krankheit. Goldstandard: Längsschnittstudie bei initial gesunden Bevölkerungsgruppen (Ermittlung relativer Risiken bei Exponierten im Vergleich zu Nicht-Exponierten).
12 Koronare Herzkrankheit und Depression Bis zum Jahr 2020 werden Depression und Koronare Herzkrankheit weltweit die führenden Ursachen vorzeitigen Todes und durch Behinderung eingeschränkter Lebensjahre sein. (Murray and Lopez 1996)
13 Direkte und indirekte Effekte von chronischem beruflichen Distress auf die koronare Herzkrankheit beruflicher Distress KHK-Inzidenz somatische kardiovaskuläre Risikofaktoren* * z.b. Hypertonie Hyperlipidämie erhöhtes Fibrinogen gesundheitsschädigendes Verhalten metabolisches Syndrom C-reaktives Protein Homozystein
14 Berufliche Gratifikationskrisen / Kontrolle über Arbeitsaufgabe und Neuerkrankung an KHK, Whitehall II-Studie (N=9.095 Männer und Frauen) OR 3 2,5 2 * * OR 3 2,5 2 * * 1,5 1, ,5 keine Belastung hohe Verausg. oder geringe Belohn. hohe Verausg. + geringe Belohn. + Berufsstatus, koronare Risikofaktoren, negative Affektivität Quelle: J. Bosma et al. (1998), Am J Publ Health, 88: ,5 keine Belastung mittlere Kontrolle geringe Kontrolle adjustiert für Alter, Geschlecht, Zeitraum bis Nachuntersuchung + jeweils alternatives Arbeitsstressmodell
15 Mortalitätsrisiko (Herz-Kreislauf Kreislauf-Krankheiten) Krankheiten) in Abhängigkeit von psychosozialen Arbeitsbelastungen N max =812 (73 Todesfälle); Zeitraum: 25,6 Jahre Hazard ratio # 2,5 2 1,5 1 0,5 * Anforderungs-Kontroll- Modell * Modell beruflicher Gratifikationskrisen Terzile (Belastung): 1 = keine; 2 = mittlere; 3 = hohe # adj. für Alter, Geschlecht, Berufsgruppe, Rauchen, körperliche Aktivität, systol. Blutdruck, Cholesterin, BMI Quelle: M. Kivimäki et al. (2002), BMJ, 325: 857.
16 Mittlerer systolischer Blutdruck (mmhg( mmhg) ) bei Männern im Tagesverlauf nach beruflicher Verausgabungsneigung und sozialem Status hohe Verausgabungsneig. / niedrige berufl. Pos. mmhg hohe Verausgabungsneig. / hohe berufl. Pos. niedrige Verausgabungsneig. / niedrige berufl. Pos. morgens mittags nachmittags abends niedrige Verausgabungsneig. / hohe berufl. Pos. Quelle: Steptoe et al. (2004), Psychosomatic Medicine, 66: 323.
17 Exposition gegenüber beruflicher Stressbelastung und metabolisches Syndrom (Whitehall II-Studie; N=7.034 Männer und Frauen) Odds ratio 2,5 * 2 1,5 1 0, oder 4 Zahl der Messzeitpunkte mit Exposition gegenüber beruflicher Stressbelastung (hohe Anforderungen, geringe Kontrolle, geringe soz. Unterstützung) Quelle: T. Chandola et al. (2006), BMJ, 332:
18 Berufliche Gratifikationskrise und Inzidenz von Typ 2 Diabetes (Whitehall II-Stud Studie, odds ratios # ; N=8067, Beobachtungszeitraum: : 12.5 Jahre) 2 Männer * * 2 Frauen 1,5 1, ,5 keine Belastung mittlere Belastung hohe Belastung 0,5 keine Belastung mittlere Belastung hohe Belastung # adjustiert für Alter, berufliche Position, ethnische Zugehörigkeit, EKG- Abnormalitäten, familiäre Disposition, BMI, Größe, SBP, Bewegung, Rauchen, kritische Lebensereignisse Quelle: A. Kumari et al. (2004), Arch Intern Med, 164:
19 Berufliche Gratifikationskrisen und Auftreten depressiver Störungen (GHQ): Whitehall II-Stud Studie (N=6110, Zeitraum: : 5.3 Jahre) OR # 3 2,5 2 Männer * * OR # 3 2,5 2 Frauen * 1,5 1, ,5 kein Stress hohe hohe Verausg. Verausg. UND ODER niedr. niedr. Bel. Bel. # adjustiert für Alter, Angestelltengrad, Wert GHQ bei Eingangsuntersuchung; Personen im affektiver Störung zu Studienbeginn nicht enthalten * p <.05 0,5 kein Stress Quelle: S.A. Stansfeld et al. (1999), OEM, 56: 302. hohe hohe Verausg. Verausg. UND ODER niedr. niedr. Bel. Bel.
20 Arbeitsstress (berufliche Gratifikationskrise) und ärztlich diagnostizierte Depression 2 prospektive Kohortenstudien, Finnland, 2-4 Jahre 10 Town-Study (N=18.066) Hospital Personnel-Study (N=4803) OR # OR # 2 2 1,75 1,75 * * 1,5 1,5 * 1,25 1 0,75 1,25 1 0,75 1 niedrig hoch niedrig Arbeitsstress (berufliche Gratifikationskrise) - Quartile 4 hoch # adj. für Alter, Geschl., berufl. Stellung Quelle: M. Kivimäki et al. (2007) Occup Environ Health. (Publ. Online) 2 3
21 Kumulativer Arbeitsstress und verminderte psychische Gesundheit (SCL-90): Somstress-Studie, Studie, Belgien (N=920 Frauen, follow-up: 12 Monate) % t1 nein - t2 nein t1 ja - t2 nein t1 nein - t2 ja t1 ja - t2 ja berufliche Gratifikationskrise Somatisierung Angststörung Depressivität Quelle: I. Godin et al. (2005), BMC Public Health, 5: 67.
22 Arbeitsstress und depressive Störungen bei japanischen Arbeitern mit Arbeitsplatzunsicherheit OR # 95 % KI p Hohe Anforderung 0, Niedrige Kontrolle Anf./-Kontrolle Gratifikationskrise Verausgabungsneigung # Kontrolliert für Alter, Geschlecht, berufliche Position, Berufsgruppe und Arbeitsplatzmerkmale Quelle: Tsutsumi et al., Scand J Work Environ Health 2001, 27:
23 Arbeitsstress*, soziale Schicht und depressive Symptome (HNR Studie, Basiserhebung, N=1811 Männer und Frauen; Jahre) Synergie Index [ ] * Odds ratio ERI- /SES+ ERI-/ SES- ERI+ /SES+ ERI+ /SES- * *Berufliche Gratifikationskrisen (ERI) Quelle: N. Wege, N. Dragano, J. Siegrist (2007), JECH (in press)
24 Speichelcortisolausscheidung während eines Arbeitstages bei Männern mit bzw. ohne berufliche Stressbelastung (ERI) estimated marginal means (mmol/l) low ERI high ERI N=28 Source: N. Hurwitz Eller et al. (2006), Biol Psychol, 73: 280.
25 Berufliche Gratifikationskrisen und Bereitschaft, den Pflegeberuf aufzugeben Europäische Studie (NEXT), N= Pflegekräfte fte 100% 80% 60% 40% Ich denke über einen Berufswechsel nach: nie selten gelegentlich oft täglich 20% 0% 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Quotient aus Verausgabung und Belohnung Quelle: H.W. Hasselhorn et al. (2003).
26 Wunsch nach Frühberentung in Abhängigkeit von beruflicher Stressbelastung (Gratifikationskrisen) SHARE-Projekt in 10 europäischen Ländern, N=6.244 Wunsch nach Frühberentung 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% ES FR IT AT GR DE SE DK CH NL hohe Stressbelastung geringe Stressbelastung mittlere Stressbelastung Quelle: A. Börsch-Supan et al. (2005). SHARE First Results Book. Mannheim.
27 Fazit Psychosoziale Arbeitsbelastungen tragen wesentlich zur Krankheitslast Beschäftigter bei Rein rechnerisch entspricht dieser Anteil ~ 20% aller Herzinfarktereignisse ~ 25% aller depressiven Störungen Theoretisch könnte somit eine konsequente betriebliche Gesundheitsförderung die Gesundheit und Leistungsfähigkeit Erwerbstätiger entscheidend verbessern
28 Branchen mit stark belasteten Beschäftigten Transport- und Verkehrsberufe Baugewerbe Montagetätigkeit Metallindustrie Alten- und Pflegebereich einfache Dienstleistungsberufe (Reinigung, Bedienung, Callcenter etc. ) Erziehungs- und Beratungsarbeit Land- und Forstwirtschaft Berufe in Wechselschicht mit Nachtarbeit Berufe mit starker Lärmexposition
29 Praktische Folgerungen: Stressabbau in der betrieblichen Gesundheitsförderung Die einzelne Person (intrapersonell( intrapersonell): Stressbewältigung als Stärkung individueller Problemlösungskompetenz; Entspannungsverfahren Die Gruppe (interpersonell): Kooperation und Umgang mit Konflikten; Führungsverhalten Die Organisation (strukturell): Die Organisation (strukturell): Änderungen auf der Ebene der Arbeitsorganisation einschließlich Arbeitszeit sowie der Personalentwicklung
30 Auswirkungen eines Führungstrainings F bei Managern auf Stresshormonausscheidung und Entscheidungsspielraum bei abhängig Beschäftigten Interventionsgruppe Baseline nach 1 Jahr Kontrollgruppe Baseline nach 1 Jahr mittl. Kortisolwert (nmol/l) * mittlerer Entscheidungsspielraum (range 2-8) ** Interaktion Gruppe X Zeit: *p =.05, **p =.02 Quelle: T. Theorell et al. (2001), Psychosom Med, 63:
31 Verbesserungen der Anerkennungs- und Gratifikationsstruktur Leistungsgerechte Gestaltung von Erwerbseinkommen (z.b. kompensatorische Lohndifferentiale; Tarifflexibilität) Ausbau von Bonussystemen und anderen Formen der Gewinnbeteiligung Gratifikationen in Form individualisierter Arbeitszeitgestaltung bzw. betriebsinterner Dienstleistungen Innerbetrieblicher Achtungsmarkt Honorierung von Betriebstreue / qualifikationsgerechter Aufstieg / Arbeitsplatzsicherheit
32 Arbeitstress und Gesundheitsprobleme: Ergebnisse einer Interventionsstudie in zwei kanadischen Krankenhäusern ( 12 Monate-Follow Follow-up) (ANCOVA) Mittelwerte nach 1 Jahr ( adj.) Variable Anforderung Kontrolle Rückhalt Vorges. Rückhalt Kollegen Gratifikationskrise Berufl. Burnout Interventions - Kontrollgruppe p Quelle: R. Bourbonnais et al. (2006), Occup Environ Med, 63: 335.
33 Sieben Praktiken ökonomisch erfolgreicher Betriebe (USA) 1. Arbeitsplatzsicherheit 2. Gezielte (sorgfältige) Personaleinstellungspolitik 3. Dezentrale Entscheidung, verstärkte Teamarbeit 4. Individuelle, leistungsorientierte Bezahlung 5. Systematische und extensive Schulung 6. Abbau von Statusunterschieden zwischen den innerbetrieblichen Positionsgruppen (z.b. Zimmergröße, Anrede etc.) 7. Offene Informationspolitik (Transparenz), v.a. bezüglich der Betriebsergebnisse Quelle: J. Pfeffer (1998): The Human Equation: Building Profits by Putting People First. Boston: Harvard Business School.
34 Schlussfolgerungen Soziale Anerkennung ist nicht nur ein regulatives Prinzip zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern auch eine wichtige Ressource individueller Gesundheit Fehlende oder mangelnde Anerkennung im Leistungszusammenhang moderner Gesellschaften verdoppelt das Risiko stress-assoziierter Erkrankungen (v.a. KHK, Depression) Im beruflichen wie im außerberuflichen Bereich besteht erhöhter gesellschaftlicher Gestaltungsbedarf, angemessene Anerkennungsleistungen zu fördern.
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