Aktuelle Rechtslage hinsichtlich der Ausweisung straffälliger Ausländer
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- Irmela Hofmeister
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1 Aktuelle Rechtslage hinsichtlich der Ausweisung straffälliger Ausländer Nach geltender Rechtslage ist eine Ausweisung straffälliger Ausländer ohne rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung möglich, wenn ein gravierender Rechtsverstoß anhand der getroffenen Feststellungen sicher nachweisbar ist. Dabei muss jedoch in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob das Ausreiseinteresse des Staates das Bleibeinteresse des Betroffenen überwiegt. Die Ausländerbehörde hat dazu eigenständige Ermittlungen anzustellen. In den Fällen, in denen bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, bedarf es vor der Ausweisung des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft. 1. Ausweisung straffälliger Ausländer a) Gesetzesänderung zum 1. Januar 2016 Durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2016 die Regelungen zur Ausweisung grundlegend geändert. Anknüpfend an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK und die obergerichtliche Rechtsprechung in Deutschland wurde das Ausweisungsrecht von der schematischen Typisierung der Ausweisungsgründe hin zu einer ergebnisoffenen Abwägung des Einzelfalles umgestaltet. Dabei wird das öffentliche Interesse an der Ausreise mit dem Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet umfassend, d.h. unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, gegeneinander abgewogen ( 53 Abs. 1 AufenthG). Ein Ausländer ist demnach auszuweisen, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonst erhebliche Interessen der Bundesrepublik gefährdet und wenn sich im Ergebnis der Einzelfallabwägung ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise ergibt. 1
2 In welchen Fällen ein Ausweisungsinteresse vorliegt, regelt 54 AufenthG. Die 53 Abs. 2 und 55 AufenthG nehmen Bezug auf das Bleibeinteresse des Ausländers. b) Ausweisungsinteresse 54 Abs. 1 AufenthG konkretisiert und gewichtet die Ausweisungsinteressen, die in die Abwägung einzubeziehen sind. Als besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse i.s.d. 53 Abs. 1 AufenthG normiert 54 Abs. 1 AufenthG: die rechtskräftige Verurteilung wegen einer oder mehrerer Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren oder die Anordnung der Sicherungsverwahrung (Nr. 1), die Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik (Nr. 2; insb. Terrorismusunterstützung, Straftaten nach 89a Abs. 1, 2 StGB), die Leitungsfunktion in einem verbotenen Verein (Nr. 3), die Beteiligung an oder der Aufruf zur Gewaltanwendung (Nr. 4), der Aufruf zu Hass gegen Teile der Bevölkerung (Nr. 5). In Abs. 2 werden die schwer wiegenden Ausweisungsinteressen aufgelistet: die rechtskräftige Verurteilung wegen einer oder mehrerer Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (Nr. 1), die rechtskräftige Verurteilung wegen einer oder mehrerer Straftaten zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung (Nr. 2), die Verwirklichung oder der Versuch des 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG (Nr. 3), der Konsum von Heroin, Kokain oder anderer vergleichbar gefährlicher Betäubungsmittel und keine Bereitschaft zur Therapie (Nr. 4), die Störung der Integration in verwerflicher Weise (Nr. 5), 2
3 die Nötigung zur Eheschließung, auch bei Versuch (Nr. 6), Falschangaben, Verschweigen wesentlicher Informationen bei der Sicherheitsbefragung (Nr. 7), Falschangaben, Verschweigen wesentlicher Informationen bei der Ausländerbehörde oder im Visumverfahren (Nr. 8), nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen (Nr. 9). c) Unter welchen Voraussetzungen können straffällig gewordene Ausländer ausgewiesen werden? Straffällig gewordene Ausländer können nach der entsprechenden Einzelfallabwägung, s.o. nicht nur in den Fällen einer rechtskräftigen Verurteilung ( 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG) ausgewiesen werden. Vielmehr besteht nach dem AufenthG auch die Möglichkeit, straffällig gewordene Ausländer ohne eine vorherige rechtskräftige Verurteilung auszuweisen. Zunächst enthalten schon die Regelungen des 54 Abs. 1 Nr. 2 ( 89a StGB), Nr. 4 ( 125 StGB), Nr. 5 ( 130 StGB) sowie des 54 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 5 und 6 ( 240 StGB) zum Teil konkludent Straftatbestände, wobei die Ausweisung keine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn die Straftat aufgrund polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nach Maßgabe des Regelbeweises verlässlich feststeht. Ein bloßer Verdacht genügt in keinem Fall. Die Ausländerbehörde hat dazu eigene Ermittlungen anzustellen. Daneben enthält 54 Abs. 2 AufenthG unter Ziffer 9 eine Generalklausel für die Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Verstöße gegen die Rechtsordnung sowie gegen gerichtliche oder behördliche Entscheidungen, wobei der Anwendungsbereich über die Tatbestände des 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AufenthG hinausgeht. 3
4 Der Rechtsverstoß gegen eine straf- oder bußgeldbewerte Norm muss sich jedoch aus den getroffenen Feststellungen mit Gewissheit ergeben. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus. Ein Rechtsverstoß ist immer dann beachtlich im Sinne des 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist, wobei vorsätzlich begangene Straftaten in der Regel (Ausnahmen möglich!) nicht als geringfügig erachtet werden können. d) Bleibeinteresse Liegt ein Ausweisungsinteresse vor, so ist dieses in jedem Fall mit dem Bleibeinteresse des Ausländers abzuwägen. Entsprechende Regelungen hierzu finden sich in 53 Abs. 2 AufenthG (Dauer des Aufenthalts, persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner) und 55 AufenthG, der besonders schwer wiegende und schwer wiegende Gründe, die ein Bleibeinteresse rechtfertigen, anführt: Das Bleibeinteresse wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält ( 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren ist oder als Minderjähriger eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig aufhält (Nr. 2), eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und mit einem in Nr. 1 und 2 bezeichneten Ausländer verheiratet/verpartnert ist (Nr. 3), 4
5 in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen lebt bzw. die Personensorge oder das Umgangsrecht mit einem minderjährigen ledigen Deutschen ausübt (Nr. 4), subsidiär schutzberechtigt ist (Nr. 5), im Besitz eines humanitären Aufenthaltstitels ist (Nr. 6). Schwer wiegt das Bleibeinteresse beim Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach mindestens fünfjährigem Aufenthalt ( 55 Abs. 2 Nr. 2 und 6 AufenthG) und im Fall zu schützender Minderjähriger ( 55 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bis 5 AufenthG). 53 Abs. 3 AufenthG sieht darüber hinaus für drei Personengruppen (Asylberechtigte und Flüchtlinge, türkische Assoziationsberechtigte und Inhaber einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU) ein Verbot der Generalprävention vor. Eine Abschiebung ist in diesen Fällen nur aus spezialpräventiven Gründen möglich. Dies gilt gemäß 53 Abs. 4 AufenthG auch für Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben. 5
6 Häufig geäußerte kritische Bedenken An dieser Stelle sind einige widerkehrende Bedenken aus der aktuellen Diskussion aufgeführt und reflektiert. Warum beschäftigen diese Fragen den Ausländerbeauftragten? Ist er nicht einseitig Partei oder Sprachrohr nur für die Ausländer? Nach den verstörenden Ereignissen der Silvesternacht in Köln und anderswo wird neben der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass offensichtlich über Stunden ein rechtsfreier Raum entstand, auch breit diskutiert, wie man mit den ausländischen Straftätern umgehen soll, nachdem ihre Identität festgestellt wurde. Wenn wir die Akzeptanz in der Gesellschaft erhalten wollen, wenn wir den sehr hohen Prozentsatz der Flüchtlinge schützen wollen, die Schutz benötigen, dann müssen wir praxisnahe Lösungen gegen die Intensiv- und Mehrfachtäter anwenden, neu definieren und durchsetzen. Ich möchte Politik und Verwaltung antreiben, Lösungen zu generieren. Es erhält die Akzeptanz unseres Schutzsystems in der Bevölkerung, wenn wir ausländische Mehrfach- und Intensivtäter nach einem rechtsstaatlichen Verfahren ggf. zügig ausweisen. Ein solches Verfahren verletze allgemeine Menschenrechte, das Grundgesetz und stehe außerhalb der Rechtsordnung und stelle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht. Es gibt kein Menschenrecht, sich in einem bestimmten Staat aufzuhalten. Jeder Staat kann im Rahmen von rechtlichen Regeln darüber bestimmen, ob sich ein Ausländer in dem Staat aufhalten darf. Eine Ausweisung erfolgt nur, wenn die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschriften in unserer Rechtsordnung vorliegen. Dafür muss jeder Einzelfall sorgfältig geprüft werden Ohne Verurteilung durch einen Richter könne es keine Bestrafung geben. Die Ausweisung ist keine Bestrafung. Die Unschuldsvermutung gelte, bis die Schuld in einem öffentlichen Verfahren in dem man sich verteidigen kann, erwiesen wurde. Es geht in einem solchen Verfahren nicht um die Feststellung von Schuld im strafrechtlichen Sinn, sondern um eine Abwägung zwischen einem öffentlichen und einem individuellen Interesse. Die zuständigen Ausländerbehörden müssen aufgrund ihrer eigenen Ermittlungen und der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen zu der Überzeugung kommen, dass der Aufenthalt des Betroffenen in Deutschland die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung sein Interesse an einem weiteren Verbleib überwiegt. Die Entscheidung über die Ausweisung ist ein Verwaltungsakt, der vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden kann. Wer eine Ausweisung ohne Prozess fordere, verstehe den Rechtsstaat nicht. 6
7 Es ist unklar, was mit Prozess gemeint ist. Nach den vorgestellten Überlegungen ist jedenfalls eine Überprüfung in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten möglich. 7
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