7 Zeitschriftenrelaunch
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- Uwe Brauer
- vor 7 Jahren
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1 7 Zeitschriftenrelaunch Der Relaunch einer Zeitschrift sollte sich an drei Kriterien orientieren, die sowohl die Gestaltung als auch den journalistischen Inhalt bestimmen: Lesbarkeit, Struktur und Übersichtlichkeit, Spannung und Kontrast. Lesbarkeit bedeutet, dass die Zeitschrift für den Leser mühelos konsumierbar sein soll. Ausnahmen ergeben sich nur, wenn das Blatt einen sehr hohen grafischen Anspruch stellt und für eine kleine, elitäre und avantgardistische Zielgruppe gemacht wird. Meistens haben wir es jedoch mit Special-Interest- und Fachtiteln zu tun also mit H&M-Mode statt mit der Haute Couture. Wie bei der Bekleidung setzen sich Elemente aus der Haute Couture nur mit Verzögerung und in abgeschwächter Form in der Massenware durch. International führende Design-Zeitschriften wie WALL- PAPER haben in den letzen Jahren Trends gesetzt, die sich heute in vielen hochauflagigen Magazinen und im Corporate Publishing finden. Ein Beispiel dafür sind einspaltige Texte, die fast wie in einem Buch aussehen. Nach einem Aufmacherfoto (manchmal auch einer Illustration) auf einer ganzen (linken oder rechten) Seite wird in diesem Layout in vielen Fällen auf weitere Fotos verzichtet. Dadurch entsteht eine gediegene, ruhige Anmutung. Diese Gestaltung eignet sich besonders für Essays, also für längere, nachdenkliche, eher intellektuelle Artikel. Das avantgardistische Wirtschaftsmagazin BRAND EINS pflegt diese Gestaltung. Lesbarkeit bezieht die Darstellungsformen, den Schreibstil der Artikel, die Auswahl der Schrift, des Papiers, des Drucks, der Farben und die Anordnung der gestalterischen Elemente zueinander mit ein. Struktur und Übersichtlichkeit heißt, dass sich die Leser rasch in ihrer Zeitschrift zurechtfinden können sollen. Journalistisch sollte dabei auf die Qualität von Überschriften und Vorspännen Wert gelegt werden. Sie helfen den Lesern bei der Orientierung und Einordnung. Gute Kleintexte informieren den Leser und machen ihm gleichzeitig Appetit auf das Lesen des gesamten Artikels. Gestalterisch sollten die Regeln eingehalten werden, die für die 145
2 Leserführung gelten. So nimmt ein Leser zum Beispiel nahe beieinander Stehendes als zusammengehörig wahr. Ähnlich Gestaltetes wird als Einheit gesehen. Das Layout sollte dem Auge keine allzu großen Sprünge zumuten. Bilder und Bildunterschriften müssen gut zuzuordnen sein. Die Dramaturgie, das heißt die Abfolge der Artikel und Elemente in der Zeitschrift, muss von Ausgabe zu Ausgabe gleich bleiben, damit der Leser die Orientierung behält. All das trägt zur Übersichtlichkeit von Zeitschriften bei. Beim Relaunch ist nach unserer Erfahrung eine der ersten Aufgaben, das Heft aufzuräumen! In der Regel hat sich seit dem letzten Relaunch eine Menge Durcheinander ergeben. Neue Rubriken wurden geschaffen, Icons erfunden, grafische Notlösungen sind zur Regel geworden, die Artikelanordnung im Heft hat durch Umstellungen ein durchschaubares dramaturgisches Prinzip verloren all das gilt es bei einem Relaunch auszumisten. Spannung und Kontrast: Wer nur auf Lesbarkeit und Übersichtlichkeit achtet, wird eine hervorragende Bedienungsanleitung oder einen guten Beipackzettel gestalten aber keine interessante Zeitschrift. Zu den zwei Kriterien muss deshalb ein drittes hinzutreten: Spannung. Sie entsteht durch Kontraste. Das fängt bei der Schrift an. In der Regel wird man zwei Schriften kombinieren, die sich nicht zu nahe stehen, also einen gewissen Kontrast bilden. Ähnliches gilt für den Bildeinsatz. Auch inhaltlich lässt sich die Regel anwenden. Der Leser sollte in jeder Ausgabe etwas Spannendes, Unerwartetes finden sonst langweilt er sich. Andererseits greifen die meisten Menschen nicht nach einem Magazin, das ihnen nur Überraschendes und Ungewöhnliches bietet, denn dann fehlt dem Leser der Anknüpfungspunkt. Er möchte auch auf Bekanntes stoßen. Je nach Charakter der Zeitschrift und ihrer Leserschaft schwankt der Anteil des Erwartbaren und Bekannten in einer Zeitschrift zwischen einem Drittel und zwei Dritteln. Was für die Gestaltung gilt, sollte ebenso den Inhalt bestimmen. Leser, die nur überraschende, ungewöhnliche, exotische Themen in einer Zeitschrift finden, fühlen sich alsbald überfordert. Wer hingegen nur das hundert Mal gelesen aus der immergleichen Perspektive bietet, bringt den Leser zum Gähnen. Wir setzen ausschließlich auf das Bewährte, ist kein überzeugendes Konzept für eine gute Zeitschrift. Eine geeignete Mischung für jedes Heft hinzubekommen ist die Kunst einer guten Zeitschriftengestaltung und einer engagierten Zeitschriftenredaktion. 146
3 Struktur und Übersichtlichkeit sowie Spannung und Kontrast spielen auch eine große Rolle bei der Zeitschriftendramaturgie. Sie bezeichnet die Abfolge der Artikel in einer Zeitschrift. Eberhard Wolf und Peter Brielmaier haben in ihrem Buch Zeitungs- und Zeitschriftenlayout drei prototypische Modelle für eine mögliche Zeitschriftendramaturgie entworfen. Streckenmodell Das erste Modell wird von Wolf und Brielmaier als Streckenmodell bezeichnet. Alle Artikel sind dabei visuell und journalistisch gleichwertig. Die Redaktion traut sich nicht, einzelne Beiträge als wichtigere herauszuheben. Der Leser wird mehr oder weniger sich selbst überlassen. Man findet einen solchen Aufbau klassischerweise bei wissenschaftlichen Zeitschriften. Leider sind auch noch viele Fachmagazine nach diesem Muster aufgebaut ein Umstand, den es bei einem Relaunch sofort zu ändern gilt. Zeitschriften, die sich heute noch am Streckenmodell orientieren, präsentieren sich als mutwillige Journalismusverweigerer. Alle Studien zu diesem Thema belegen, dass die Leser Orientierung wollen. Das heißt nicht, dass alle den großzügig aufbereiteten Aufmacher lesen und den kleinen Einseiter verschmähen. Es stört den Leser nicht, wenn er die Einschätzung der Wichtigkeit von einzelnen Artikeln nicht mit der Redaktion teilt es stört ihn aber sehr wohl, wenn er überhaupt keine Einschätzung erhält. Die Möglichkeiten, durch Gestaltung Artikel herauszuheben, sind übrigens in Zeitschriften und Zeitungen sehr viel größer als im Internet. Dabei handelt es sich um eine der wichtigen Stärken der Printmedien gegenüber dem Internet, die es zu nutzen gilt. Am orientierungslosesten ist ein User im Internet auf Fachportalen, bei denen die einkommenden Meldungen einfach hintereinander eingespeist werden. So etwas erinnert an die Zeitungen aus dem 17. Jahrhundert, die oft Einkommende Nachrichten hießen, weil alle neuen Berichte aus drucktechnischen Gründen im einheitlichen Stil hintereinander gesetzt wurden. Typisch ist ein solches Vorgehen heute bei Blogs, was bei vielen Usern das Gefühl von einem Information-Overkill hervorruft. In einem Blog kann der Leser nicht entscheiden, ob der Autor einen Eintrag für wichtiger hält als einen anderen, ob er etwas hervorheben möchte oder nicht. Nachrichtenseiten wie die HUFFINGTON POST aus den 147
4 USA sind deshalb, obgleich sie aus der Blogtradition stammen, von dieser einheitlichen Gestaltung abgekommen. Selbst wissenschaftliche Fachzeitschriften haben sich vom Streckenmodell gelöst. Die DEUTSCHE LEBENSMITTEL-RUNDSCHAU (DLR) sah vorher durchgehend so aus: vorher Nach einem Relaunch gibt es einen klar herausgehobenen Aufmacher. Da 4c-Druck heute keinen überwältigenden Kostenfaktor mehr darstellt, hat man zugleich auf den Einsatz von Farbe gesetzt. Ein Vorspann gibt dem Leser zusätzlich Orientierung und erlaubt ihm, den Inhalt des Artikels in wenigen Sekunden einzuschätzen: 148
5 nachher nachher 149
6 modell Ein mögliches Modell für eine spannungsreiche Zeitschriftendramaturgie ist das modell. Es eignet sich besonders gut für Fachzeitschriften und für Special-Interest-Titel. Dabei wird eine Titelgeschichte eingerahmt von einem allgemeinen Teil vorne und einem spezielleren Teil hinten, in dem jeweils kürzere Geschichten von vielleicht ein, zwei oder drei Seiten ihren Platz finden. Der vordere und hintere wird mit Magazinelementen bestückt, das heißt mit Kleinteiligem, zum Beispiel kurzen, schnell zu lesenden Meldungen, Kurzkommentaren und Leserbriefen. Titel- Geschichte allgemeiner Teil spezieller Teil vorderer hinterer Wellenmodell Ein drittes Modell nennen die beiden Layouter Wellenmodell. Es bietet sich dann an, wenn es mehrere Aufmacherartikel vor allem in einem multithematischen Heft gibt. Häufig wird diese Dramaturgie bei Nachrichtenmagazinen wie der SPIEGEL und bei Illustrierten wie dem STERN eingesetzt. Nach einem vorderen, im SPIEGEL sind das die Hausmitteilungen, das Inhaltsverzeichnis und die Leserbriefe, kommt der erste Aufmacher, gefolgt von kürzeren Artikeln. Daran schließt sich ein Magazinteil mit Kleinteiligem an. Es folgt ein zweiter Aufmacher aus einem anderen Res- 150
7 sort, danach wieder kleinere Geschichten und so weiter. Nachrichtenmagazine imitieren so die Buchstruktur einer Tageszeitung. Einer der Aufmacher wird die Titelgeschichte sein, die nochmals umfangreicher präsentiert wird. Aufmacher 2. Welle Magazin 1.Welle mittlere Strecke 2. Welle Magazin 2.Welle eventuell weitere Wellen hinterer Bugmodell Wir würden diese Modelle von Wolf und Brielmeier um eine modifizierte Version ergänzen, um sie noch besser den Bedürfnissen von Fachzeitschriften und Special-Interest-Titeln anzupassen. Im Bugmodell folgt auf den allgemeinen Teil (Editorial, Inhaltsverzeichnis) und dem Magazinteil sogleich die Titelgeschichte, die sich durch eine großzügige Aufmachung auszeichnet. Sie umfasst mindestens vier bis fünf Seiten. Die Titelgeschichte kann bis zu zehn Seiten lang werden, in Ausnahmefällen noch länger, vorausgesetzt, sie ist üppig illustriert und durch Info-Kästen, Grafiken und kleinere Elemente ergänzt. Nach der Titelgeschichte folgen mehrere kürzere Beiträge, von wechselnder Länge zwischen einer und drei bis vier Seiten. Diese Strecke wird gegebenenfalls unterbrochen durch einen weiteren Magazinteil, zum Beispiel mit Produktmeldungen, wie sie in vielen Fachzeitschriften und Special- Interest-Blättern üblich sind. Gegen Ende findet sich noch Platz für einen längeren, schön bebilderten Beitrag. Dann schließen die Vorschau 151
8 und ein Rausschmeißer (zum Beispiel eine Glosse oder ein Was wurde aus ) das Heft ab. Titelgeschichte Story 2 vorderer Magazinteil Story 1 eventuell weitere Storys hinterer 7.1 Titelseite Die Neugestaltung der Titelseite ist eine der schwierigsten Aufgaben beim Relaunch einer Zeitschrift. Die Zeitschrift muss nämlich zum einen für den Leser auch nach der Neugestaltung wiedererkennbar bleiben außer bei einer radikalen (und gefährlichen) Repositionierung. Zum anderen muss deutlich werden, dass sich etwas getan hat. Eine Neugestaltung kann sich mehr in die eine, mehr in die andere Richtung bewegen. Oftmals wird der Grafiker zunächst zwei oder sogar drei Varianten entwickeln. Eine sollte sich eher an das Bestehende anlehnen, eine andere wird weiter gehende Veränderungen aufweisen. Bei wissenschaftlichen Zeitschriften reicht es oft, die Lesbarkeit und Übersichtlichkeit zu erhöhen. Hier nochmals das Beispiel der DEUTSCHEN LEBENSMITTEL-RUNDSCHAU mit der Titelseite vor und nach dem Relaunch: 152
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