Das Experiment. Wie Wissenschaft Wissen schafft. 13. Akademie für Oberstufenschüler Hamburg,
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1 Das Experiment Wie Wissenschaft Wissen schafft 13. Akademie für Oberstufenschüler Hamburg, Dr. Til Ole Bergmann Institut für Psychologie Cristian-Albrechts-Universität zu Kiel Olshausenstraße 62 (R 403) Kiel
2 Wozu Versuchsplanung? Versuchsplanung als Anwendung von Erkenntnis-/Wissenschaftstheorie um - Tatsachen festzustellen - Kausalzusammenhänge aufzudecken (Phänomene zu erklären) Versuchsplanung formalisiert, was der Mensch als Wissenschaftler des Alltags intuitiv ebenfalls versucht Alltagspsychologie Alltagspsychologie Wissenschaftliche Psychologie! Til Ole Bergmann 2
3 Naive Versuche der Erkenntnisgewinnung Untaugliche Quellen zur Erkenntnisgewinnung: passiv und unsystematisch gewonnene Alltagserfahrung anekdotische Evidenz Verallgemeinerung persönlich erlebter bzw. geschilderter Einzelfälle (induktives Vorgehen) praktische Bewährung Hörensagen, Medien, Literatur Autoritäten ( Experten, Familie, Kirche, ) Warum untauglich? Der menschliche Verstand ist darauf optimiert schnell und effizient Muster und Ordnung ins Chaos zu projizieren und schießt dabei leicht übers Ziel hinaus. Bestätigung falscher alltagspsychologischer Überzeugungen: 1. Vorhergesagtes Ergebnis tritt unabhängig von Verhalten auf Koinzidenz/Korrelation vs. Kausalität (Fehlschluss der gemeinsamen Ursache) 2. Durch falsche Überzeugung geleitetes Handeln führt unbewusst erwartetes Ergebnis herbei Selbsterfüllende Prophezeiung (Pygmalion-Effekt) 3. Wahrnehmung, Bewertung und Gedächtnis sind durch Erwartungen verzerrt Bestätigungsfehler, Rückschaufehler, Attributionsfehler, etc. 4. Nachträgliche (Schein-)Erklärung (post-hoc explanation) Til Ole Bergmann 3
4 Korrelation Korrelation ist ein Maß des linearen Zusammenhangs zwischen zwei Variablen. Gefahr: Fehlschluss der gemeinsamen Ursache (cum hoc ergo propter hoc = mit diesem, folglich wegen diesem ). Bei gemeinsamer Verursachung treten Ereignisse miteinander auf, obwohl kein direkter kausaler Zusammenhang besteht, sondern beide von einer gemeinsamen Ursache erzeugt werden ( Konfundierung). Beispiel: Korrelation zwischen Zahl der Geburten und Zahl der Störche in verschiedenen Regionen. Konfundierender Faktor: Je ländlicher die Region, desto höher ist Zahl der Geburten pro Kopf und desto größer die Zahl der Störche Til Ole Bergmann 4
5 Tatsachenwissen & Gesetzmäßigkeiten Sammlung von Tatsachenwissen (beschreibend) Fragen: Was ist der Fall? Wer? Wann? Wo? Wie oft? Wie lange? etc. Detaillierte und objektive Beschreibung eines Phänomens (z.b. einer Person) inkl. dessen Eigenschaften (z.b. deren Verhaltensweisen) Beschreibung von Einzelfällen oder auch großen Stichprobe schafft Fakten aber noch keine Erklärungen Erforschung von Gesetzmäßigkeiten (erklärend) Fragen: Wieso? Warum? Was ist der Zusammenhang? Wie genau funktioniert das? Einbettung des Phänomens in ein System von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten Beschreibung von Kausalzusammenhängen (Ursache und Wirkung): z.b. Wenn A dann B! Wenn nicht A dann nicht B! Ermöglicht Erklärungen und Vorhersagen Til Ole Bergmann 5
6 Hypothese, Theorie, Modell Hypothese: Hypothesen sind aus präzise definierten Begriffen zusammengesetzte Behauptungen (Vorhersagen), die Erwartungen bezüglich bestimmter Ereignisse/Gegebenheiten in der Realität formulieren. Theorie: Zusammenhängendes System von allgemeinen wissenschaftlichen Aussagen welches einen Teilbereich der Realität beschreibt und erklärt. Oft wird schon eine einzelne Hypothese fälschlicherweise als Theorie bezeichnet. Modell: Formale Struktur, oftmals eine Analogie, welche den Kern einer Theorie veranschaulicht und Ableitungen von Hypothesen erleichtern soll Til Ole Bergmann 6
7 Deduktion vs. Induktion Deduktion Induktion Til Ole Bergmann 7
8 Deduktion vs. Induktion THEORIE allgemeiner Fall Deduktion Induktion EMPIRIE spezieller Fall Til Ole Bergmann 8
9 Logischer Empirismus Francis Bacon kann als erster Philosoph der neuzeitlichen Naturwissenschaften angesehen werden. Bacons Methodenlehre in drei Schritten: 1. Sammeln neuer Tatsachen durch vorurteilsfreie Beobachtungen unter Vermeidung verfälschender Vorstellungen oder Idole (= Trugbilder) 2. Sorgfältige, schrittweise Verallgemeinerung von Beobachtungen zu Gesetzmäßigkeiten unter Vermeidung voreiliger Schlüsse ( Induktion) 3. Anschließende Überprüfung der Verallgemeinerungen durch Ableitung und Untersuchung weiterer Sachverhalte ( Deduktion). Betonung des Experiments zur Entscheidung zwischen alternativen Vorhersagen. Francis Bacon ( ) Til Ole Bergmann 9
10 Logischer Empirismus THEORIE allgemeiner Fall Deduktion Fokus auf induktivem Prozess Induktion EMPIRIE spezieller Fall Til Ole Bergmann 10
11 Kritischer Empirismus / Falsifikationismus Aus formallogischen Gründen können aus besonderen Aussagen (Einzelfällen) keine allgemeinen Aussagen (Gesetzmäßigkeiten) abgeleitet werden. Induktionsproblem Theorien können nie endgültig bestätigt ( bewiesen ) werden, sie kann sich lediglich mehr und mehr bewähren. Aber: Es ist logisch möglich durch besondere Aussagen allgemeine Aussagen zu widerlegen ( Falsifikation). Sir Karl Raimund Popper ( ) Theorien dürfen willkürlich frei erfunden werden. Es werden dann Experimente angestellt um die aus den Theorien deduzierten Hypothesen zu überprüfen. Falsifizierbarkeit: Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können Til Ole Bergmann 11
12 Kritischer Empirismus THEORIE allgemeiner Fall Deduktion Fokus auf deduktivem Prozess. Es geht nur um die Geltung (Rechtfertigung) einer Hypothese nicht um deren Genese (Entdeckung). Induktion EMPIRIE spezieller Fall Til Ole Bergmann 12
13 Zyklus Empirischer Forschung THEORIE allgemeiner Fall Deduktion Induktion EMPIRIE spezieller Fall Til Ole Bergmann 13
14 Zyklus Empirischer Forschung Phänomene systematisch beobachten Beobachtungen strukturieren und analysieren Bezug zu Bekanntem herstellen (Modellbildung) Erklärungsversuch unternehmen (Theoriebildung) Spezifische Fragestellung entwickeln Inhaltliche Hypothese deduktiv ableiten Konkrete statistische Hypothese aufstellen Hypothesen systematisch und kontrolliert prüfen Ergebnisse bewerten und interpretieren Til Ole Bergmann 14
15 Variablen Theoretische Ebene: theoretisches, abstraktes Konzept/Konstrukt (z.b. Intelligenz) Empirische Ebene: konkrete Eigenschaft bzw. Messgröße, die Werte eines bestimmten Bereichs annehmen kann (z.b. IQ als Leistung in Hamburg- Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene, HAWIE) Theoretische Ebene Operationalisierung Empirische Ebene Til Ole Bergmann 15
16 Fragestellung Hypothese Am Anfang steht immer eine (gute) Frage! Ist es wirklich so? (Was ist der Fall?) Warum ist das so? (Was ist der Kausalzusammenhang?) und eine (aus einer Theorie deduktiv abgeleitete) Hypothese welche diese Frage hypothetisch beantwortet und experimentell überprüft werden kann. Im Gegensatz zu Poppers extremer Formulierung wird eine das Phänomen erklärende Theorie jedoch i.d.r. nicht völlig willkürlich aufgestellt. Vorbedingungen für die Überprüfbarkeit einer Hypothese: Widerspruchsfreiheit Kritisierbarkeit (Falsifizierbarkeit) Operationalisierbarkeit Aufstellung der Hypothese vor der Überprüfung Til Ole Bergmann 16
17 Beispiel einer Hypothese Frage: Wie wirkt sich Stress auf die Leistungsfähigkeit von Menschen aus? Nullhypothese (H0): Unter Stress sind Menschen genauso leistungsfähig wie bei Entspannung. Alternativhypothese (H1): Ungerichtet: Unter Stress und bei Entspannung sind Menschen unterschiedlich leistungsfähig. Rechtsseitig: Unter Stress sind Menschen leistungsfähiger als bei Entspannung. Linksseitig: Unter Stress sind Menschen weniger leistungsfähig als bei Entspannung Til Ole Bergmann 17
18 Experimentelle vs. Nicht-experimentelle Forschung Experimentelle Forschung: Ein Experiment ist durch zwei Bedingungen charakterisiert: 1. Manipulation: Der Versuchsleiter variiert aktiv die Ausprägung mindestens einer Variable und registriert welchen Effekt diese aktive Veränderung auf andere interessierende Variablen hat. 2. Kontrolle: Gleichzeitig kontrolliert der Versuchsleiter die Wirkung von solchen Variablen, welche einen zusätzlichen Einfluss auf die interessierenden Variablen haben könnten. Nicht-experimentelle Forschung: z.b. in der Korrelationsforschung 1. Der Versuchsleiter registriert (gleichzeitig oder nacheinander) die Ausprägung mehrerer interessierender Variablen und untersucht ob sie spontan (also ohne experimentelle Manipulation) gemeinsam variieren, ob folglich ein Zusammenhang vorliegt (z.b. ein linearer Zusammenhang Korrelation). 2. Der Versuchsleiter kann gleichzeitig auch andere Variablen erheben, welche die interessierenden Variablen beeinflussen könnten, um solche Einflüsse ggf. zumindest erkennen zu können, wenn sie schon nicht aktiv kontrolliert werden können Til Ole Bergmann 18
19 Unabhängige Variable (UV) Abhängige Variable (AV) Störvariablen (SV) Typen von Variablen Til Ole Bergmann 19
20 Unabhängige und Abhängige Variablen Unabhängige Variable (UV): engl. independent variable (IV) Ursache im angenommenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang Wird vom Experimentator aktiv variiert/manipuliert/verändert Bei komplexen Eingriffen auch Intervention oder Behandlung (treatment) Auch Faktor mit mehreren (mindestens zwei) Stufen Es können in einem Experiment auch mehrere UVn variiert werden. Deren Kombinationen bilden dann die Versuchsbedingungen. Abhängige Variable (AV): engl. dependent variable (DV) Wirkung im angenommenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang Wird vom Experimentator registriert/gemessen (separat für die verschiedenen Stufen der UV) Til Ole Bergmann 20
21 UV und AV Stress Leistungs -fähigkeit UV Ursache Angenommener Kausalzusammenhang AV Wirkung Til Ole Bergmann 21
22 Störvariablen Störvariable: engl. confounding variable Möglicher störender Einfluss im Experiment, welcher auf irgendeine Weise unkontrolliert die Wirkung der UV auf die AV beeinflusst und damit die Aussagekraft des Experiments verringern könnte. Dies ist besonders problematisch wenn sich der Einfluss für die Stufen der UV unterscheidet! Denn für die Variation der UV in Experimenten gilt die Ceteris-paribus-Klausel (= unter sonst gleichen Bedingungen ), um eine beobachtete Wirkung (AV) auf die angenommene Ursache (UV) zurückführen zu können. Es gibt unendlich viele denkbare Störvariablen. Da praktisch nur eine begrenzte Anzahl von ihnen beachtet werden kann, ist hier das Vorwissen des Forschers gefragt, um relevante Störvariablen zu erkennen. Die Störvariable in einem Experiment kann die UV (oder AV) in einem anderen sein. Was gerade interessiert und was stört entscheidet der Forscher bzw. die Fragestellung Til Ole Bergmann 22
23 Störvariablen Störvariable Störvariable Störvariable UV Ursache Angenommener Kausalzusammenhang AV Wirkung Til Ole Bergmann 23
24 Beispiel Störvariablen Stressresistenz Persönlichkeits -faktoren Vorerfahrung mit Aufgabe Stress Ursache Angenommener Kausalzusammenhang Leistungs -fähigkeit Wirkung Til Ole Bergmann 24
25 Arten von Störvariablen 1. Variablen der Vp (Organismusvariablen ): Beispiele: Alter, Geschlecht, Extraversion, Intelligenz, Schulbildung, Vorerfahrungen mit psychologischen Untersuchungen oder mit verwendetem Testmaterial, etc. Unterschiedliche Ausprägungen dieser Variablen sind fest mit individuellen Versuchspersonen assoziiert sind Sie sind in einer Untersuchung nicht manipulierbar Til Ole Bergmann 25
26 Arten von Störvariablen 2. Variablen der Untersuchungssituation: Versuchsleiter (Vl): Geschlecht, Aussehen, Freundlichkeit, etc. Untersuchungsraum: Lichtverhältnisse, Lärmbelastung, Einrichtung, Größe, etc. Instruktionen: Sprache, sprachliches Niveau, spezielle Formulierungen, etc. Testaufgaben: bestimmte Eigenschaften Fragen: Reihenfolge, Formulierungen, etc. 3. Variablen der sozialen Untersuchungssituation: Versuchsleiter (Vl): Erwartungen Versuchsperson (Vp): Erwartungen Motivation Til Ole Bergmann 26
27 Konfundierung Konfundierung: Kovariieren die Stufen einer UV und die Ausprägungen einer Störvariable, so ist die UV mit der SV konfundiert. Die Wirkung der UV kann dann nicht mehr getrennt von der Wirkung der SV gemessen werden. Lässt sich eine Konfundierung nicht vermeiden, kann das Experiment nicht durchgeführt werden, bzw. hat eine reduzierte Aussagekraft (je nach Schwere der Konfundierung). Wird eine Konfundierung im nachhinein entdeckt, so ist das Experiment unbrauchbar, bzw. kann nicht mehr im ursprünglichen Sinne interpretiert werden. Konfundierungen sollten also unbedingt vermieden werden! Literaturstudium und Diskussion mit Fachkollegen um SV rechtzeitig zu entdecken Til Ole Bergmann 27
28 Kontrolle von Störvariablen 1.Systematische Variation zwischen Versuchsbedingungen Die Ausprägung der SV wird systematisch zwischen den verschiedenen Versuchsbedingungen variiert, so dass sie sich im Mittel unterscheidet und so von einer SV zur UV wird. 2.Konstanthalten Die Ausprägung der SV wird über alle Versuchsbedingungen konstant gehalten. Sie kann sich auf diese nicht unterschiedlich auswirken und bietet so keine Alternativerklärung. Wird die SV auf einem unproblematischen Extremwert konstant gehalten, spricht man von Elimination. 3.Zufällige Variation über Versuchsbedingungen Die Ausprägung der SV (z.b. Organismusvariable) wird zufällig über die Versuchsbedingungen variiert, so dass sie im Mittel konstant ist. Sie kann sich auf diese nicht unterschiedlich auswirken und bietet keine Alternativerklärung. Dieses Verfahren nennt man Randomisierung Til Ole Bergmann 28
29 Operationalisierung von Konstrukten Operationalisierung: Definition der genauen Operationen (= Handlungen), durch welche ein theoretisches Konstrukt durch Beobachtung, Zählung, Messung, etc. erfasst werden soll. Ein theoretisches Konstrukt ist eine nicht direkt beobachtbare komplexe Variable, welche erst über beobachtbare Indikatoren operationalisiert und messbar gemacht werden muss. Notwendigkeit theoretischer Vorarbeit: Das theoretische Konstrukt muss zunächst inhaltlich eindeutig definiert werden, um mögliche Indikatoren zu identifizieren und zu begründen, welche dann stellvertretend für das theoretische Konstrukt gemessen werden können. Beispiele für theoretische Konstrukte: Intelligenz, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Extraversion, Neurotizismus, Konditionierung, Stress, kritisches Lebensereignis, Gruppendynamik, Projektion, Verdrängung, Entscheidung, Einstellungen, Toleranz, Vorurteil, etc Til Ole Bergmann 29
30 Operationalisierung Konstrukt UV UV angenommener Kausalzusammenhang THEORIE Operationalisierung EMPIRIE Konstrukt AV AV manipulierbare Variable messbare Variable Til Ole Bergmann 30
31 Operationalisierung von UV und AV Konstrukt von UV A Konstrukt von AV1 Stufe A1 Stufe A1 Stufe A2 Stufe A2 THEORIE EMPIRIE UV A AV 1a AV 1b AV 1c Til Ole Bergmann 31
32 z.b. Operationalisierung von Stress Stressor Stressreaktion schwach mit freundlichem Feedback stark ohne Feedback (still face) THEORIE EMPIRIE Sozialer Stress durch simuliertes Bewerbungsgespräch Erleben: z.b. Rating, Interview Verhalten: z.b. Zittern, nervöse Gesten Physiologie: z.b. Kortisol, Herzrate Til Ole Bergmann 32
33 Eine Operationalisierung ist nie perfekt THEORIE Konstrukt 1 Konstrukt 2 Konstrukt 3 Indikator EMPIRIE Til Ole Bergmann 33
34 Eine Operationalisierung ist nie perfekt THEORIE Aufmerksamkeit Intelligenz Geschicklichkeit Intelligenzquotient (IQ) EMPIRIE Til Ole Bergmann 34
35 Gütekriterien eines Experiments Validität gibt an, inwieweit ein Verfahren das Merkmal gültig misst, was es messen soll. Reliabilität bezeichnet die Verlässlichkeit von Datenerhebungen, das heißt die Genauigkeit der Messung. Sie wird i.d.r. durch Korrelationen zwischen mehrfachen Messungen berechnet. Objektivität bezeichnet die intersubjektive Nachprüfbarkeit. Sie macht Datenerhebungen nachvollziehbar und replizierbar durch Standardisierung und Transparenz Til Ole Bergmann 35
36 Gütekriterien: Validität Validität gibt an, inwieweit ein Verfahren das Merkmal gültig misst, was es messen soll. Konstruktvalidität: gibt an, inwieweit UVn und AVn so operationalisiert sind, dass sie die jeweiligen psychologischen Konstrukte möglichst zutreffend repräsentieren und mit bestehenden Konstruktdefinitionen und Theorien übereinstimmen. Interne Validität: gibt an, inwieweit die Veränderungen der AV auf die Manipulation der UVn zurückgeführt und mögliche Alternativerklärungen durch Störeinflüsse ausgeschlossen werden können. Externe Validität: gibt an, inwieweit die Untersuchungsergebnisse übertragbar (generalisierbar) sind 1. von der Stichprobe auf die Population 2. von der Laborsituation auf natürliche Situationen Til Ole Bergmann 36
37 Der Versuchsplan (Design) Versuchsplan (Design): standardisiertes, routinemäßig anwendbares Schema (Strukturschema), welches dem Aufbau, der Kontrolle und der methodologischen Bewertung einer empirischen Untersuchung von unabhängigen und abhängigen Variablen zugrunde liegt. Der Versuchsplan ist Schnittstelle zwischen Fragestellung, Hypothesen, Versuchsaufbau, Versuchsdurchführung und statistischer Auswertung. Er ist das Herzstück eines jeden Experiments und enthält Informationen über: den wesentlichen Ablauf einer Untersuchung Art, Anzahl und Stufen der unabhängigen Variablen (UVn) Art und Anzahl der abhängigen Variablen (AVn) vorgenommene Kontrolltechniken die Zuteilungsmethode der Versuchspersonen zu den Stufen Til Ole Bergmann 37
38 Grafische Darstellung des Versuchsplans Der Versuchsplan lässt sich grafisch als Tabelle bzw. Kontingenztafel oder Matrix darstellen. Überlegungen in Form standardisierter Kategorien und visualisierter Versuchspläne sind sehr hilfreich um Experimente effizient und korrekt planen, erfassen und bewerten zu können. Name der UV Stufe a1 AV1.a1 UV A Stufe a2 AV1.a2 Stufen der UV Zellen der Tabelle entsprechen den Einzelnen Versuchsbedingungen für welche die AV erhoben wird Til Ole Bergmann 38
39 Versuchspläne mit zwei UVn Zweifaktorieller Versuchsplan: UV A mit 2 Stufen x UV B mit 3 Stufen = 6 Versuchsbedingungen (Zellen) UV A UV B Stufe b1 Stufe b2 Stufe b3 Stufe a1 AV1.a1b1 AV1.a1b2 AV1.a1b3 Stufe a2 AV1.a2b1 AV1.a2b2 AV1.a2b Til Ole Bergmann 39
40 Beispiel UV A UV B Stufe b1 Stufe b2 Stufe b3 Stufe a1 AV1.a1b1 AV1.a1b2 AV1.a1b3 Stufe a2 AV1.a2b1 AV1.a2b2 AV1.a2b3 Beispiel Wirksamkeit eines Anti-Stress-Trainings Zweifaktorieller gemischter 2 x 3 Versuchsplan: Training (Gruppenfaktor) x Zeit (Messwiederholungsfaktor) AV = Leistung unter Stress Stressinduktion Anti-Stress-Training Vorher Nachher Folge viel Leistung Leistung Leistung wenig Leistung Leistung Leistung Til Ole Bergmann 40
41 Gruppen-UV UV: Gruppen-Faktor (between-subject factor) Randomisierung (randomizing): Zufällige Aufteilung der Vpn in 2 Gruppen. Jede Vp ist immer nur einer Gruppe zugeordnet. z.b.: Experimentalgruppe vs. Kontrollgruppe Vorteile: Unterschiedliche Ausprägungen von Störvariablen der Vp (Organismusvariablen) werden zufällig auf Versuchsbedingungen verteilt, (Randomisierung) ohne dass alle Störvariablen bekannt sein müssen Nachteile: erfordert eine ausreichend große Stichprobe um gleichmäßige Verteilung auf Versuchsbedingungen zu gewährleisten; Zufallsvarianz durch interindividuelle Datenvariabilität kann hoch sein Til Ole Bergmann 41
42 Messwiederholungs-UV UV: Messwiederholungs-Faktor (within-subject factor) Messwiederholung: Mehrfache Messung der selben Vpn in 2 Bedingungen. Jede Vp ist immer allen Bedingungen zugeordnet. Z.B. Vorhermessung, Nachhermessung, Folgemessung (relativ zu Intervention) Vorteile: Kontrolliert Störvariablen der VP durch mehrfache Messung innerhalb der selben Vp, ohne dass alle Störvariablen bekannt sein müssen; eliminiert Zufallsvarianz durch interindividuelle Datenvariabilität; kleinere Stichproben ausreichend; Ausmaß der Veränderung als Vorher-Nachher- Differenz möglich Nachteile: Mögliche Effekte der Reihenfolge, Testübung, Reaktivität, Ermüdung, etc.; höhere Kosten/Aufwand durch Mehrfachmessung; Vorhermessung nicht bei jeder Fragestellung möglich Til Ole Bergmann 42
43 Beispiel Zweifaktorieller Mischversuchsplan Auswirkung von Körperposition auf Stress UV 1 power pose (between, 2 Stufen): low vs. high UV 2 Messzeitpunkt (within, 2 Stufen): pre vs. post AV: Kortisol-Level Versuchsplan (Designmatrix) Kortisol post-pre power pose Messzeitpunkt Vorher Nachher low Kortisol Kortisol high Kortisol Kortisol Versuchsplan (Zeitlicher Ablauf) Kortisol pre post high pre post low pre treatment post Kortisol low Kortisol Kortisol high Kortisol Til Ole Bergmann 43
44 Carney et al., Psychological Science Carney, D. R., et al. (2010). "Power posing: brief nonverbal displays affect neuroendocrine levels and risk tolerance." Psychological Science, 21(10): Til Ole Bergmann 44
45 Inferenzstatistik Versuchsplanung vs. Statistik: Achtung: Fehler in der Versuchsplanung lassen sich nicht durch statistische Auswertungen entdecken oder kompensieren ( garbage in, garbage out )! Mit Hilfe der Inferenzstatistik werden auf Basis der Ergebnisse in der begrenzten Stichprobe Aussagen auf die Gesamtpopulation verallgemeinert. Hierbei werden i.d.r. sowohl die Mittelwertsunterschiede zwischen den Versuchsbedingungen als auch die Varianzen (vgl. die Streuung der Datenpunkte um den jeweiligen Mittelwert) berücksichtigt, um abzuschätzen wie vertrauenswürdig die Ergebnisse sind. Normalverteilung Häufigkeit Varianz Mittelwert AV Til Ole Bergmann 45
46 Grundprinzip einer Teststatistik Teststatistik = difference error difference error It s the difference on the top and the error on the bottom! statz rappers µ1 µ2 difference error µ1 µ2 difference error µ1 µ Til Ole Bergmann 46
47 Datenvarianz Y = bx + E Y = bx + E1 + E2 Gesamtvarianz Primärvarianz Fehlervarianz Sekundärvarianz Zufallsvarianz Variable AV UV Störvariablen Störvariablen Signalentdeckung Messwert Signal Rauschen Systematik gemischt systematische Variation systematischer Fehler unsystematischer Fehler Quelle zwischen (between) Versuchsbedingungen zwischen (between) Versuchsbedingungen innerhalb (within) Versuchsbedingungen Umgang * maximieren kontrollieren minimieren * Max-Kon-Min Prinzip: Experimentelle Varianz (Primärvarianz) maximieren, Sekundärvarianz (systematische Fehlervarianz) kontrollieren, Zufallsvarianz (unsystematische Fehlervarianz) minimieren! Til Ole Bergmann 47
48 Fazit Das Experiment ist die Königsdisziplin der empirischen Wissenschaften. Es ermöglicht Erkenntnisgewinn mit größtmöglicher Objektivität und schützt vor Wahrnehmungs-/Gedächtnis-/Urteilsverzerrungen und Fehlschlüssen. Es ist die aufgrund der Manipulation der UV und der Kontrolle der SV die einzige Möglichkeit Kausalzusammenhänge direkt nachzuweisen. Ist die experimentelle Forschung aus inhaltlichen, logistischen oder ethischen Gründen nicht möglich kann und muss auf andere Ansätze mit weniger Kontrolle (Quasiexperimente) oder ohne Manipulationsmöglichkeit (Korrelationsstudien) zurückgegriffen werden. Eine empirisch wissenschaftliche Denkweise und das objektive Überprüfen (die Evaluation) von Programmen, Maßnahmen etc. sollte auch in Wirtschaft und Politik eine deutlich größere Rolle spielen und dort die persönliche Einschätzung/Überzeugung von Einzelpersonen ersetzen! Zweifel ist unerlässlich und ermöglicht Fortschritt zur Wahrheit. Er ist notwendig um mit der Unsicherheit, dem Nichtwissen und der ständigen Vorläufigkeit und häufigen Widersprüchlichkeit von Befunden umzugehen Til Ole Bergmann 48
49 Das Prinzip des Zweifels We absolutely must leave room for doubt or there is no progress and no learning. There is no learning without having to pose a question. And a question requires doubt. Richard Feynman (Physiker und Nobelpreisträger) Til Ole Bergmann 49
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