Das Verwaltungsgebäude in Berlin. Ein historischer Streifzug rund um die Mosaikhalle

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1 Das Verwaltungsgebäude in Berlin Ein historischer Streifzug rund um die Mosaikhalle

2 1895 Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren Elektrounternehmen, den größten Elektrizitätswerken Europas und der ständig wachsenden Zahl mittlerer und kleinerer Betriebe hat sich die Stadt innerhalb weniger Jahre zur Elektropolis entwickelt. Berlin wird zu Elektropolis 1895 arbeitet ein Drittel aller Menschen, die in der deutschen Elektroindustrie tätig sind, in Berlin. Allein Siemens beschäftigt über Mitarbeiter und erwirtschaftet über 30 Mio. Mark; bis zur Jahrhundertwende werden sich Belegschaft und Umsatz mehr als verdoppelt. Südwestansicht des Verwaltungsgebäudes an der Nonnendammallee (1913) Wilhelm von Siemens ( ) Unternehmensentwicklung durch zukunftsorientierte Entscheidungen Wilhelm von Siemens ist seit 1890 gemeinsam mit seinem älteren Bruder Arnold und seinem Onkel Carl persönlich haftender Gesellschafter von Siemens & Halske. Schnell übernimmt er eine dominierende Rolle in der Unternehmensleitung. Wilhelm prägt die Unternehmensentwicklung durch zukunftsorientierte Entscheidungen: 1903 weiß er die Strukturkrise der deutschen Elektroindustrie zu nutzen und fusioniert die Starkstromabteilungen von Siemens & Halske mit der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vorm. Schuckert & Co. zur Siemens- Schuckertwerke GmbH. 2

3 Dadurch nimmt der Konzern sowohl im Stark- als auch im Schwachstrommarkt eine führende Position ein. Auch als die Telefunken- Gesellschaft auf Wunsch Kaiser Wilhelms II. gegründet wird, ist der Branchenkenner Wilhelm von Siemens maßgeblich beteiligt. Im Lauf seiner knapp 30-jährigen Amtszeit entwickelt Wilhelm von Siemens die Führungs- und Organisationsstruktur der expandierenden Firma zeitgemäß weiter. Mit dem Ziel, Technologieführerschaft und Innovationskraft des Elektrokonzerns langfristig abzusichern, treibt er die Zentralisierung von Forschung und Entwicklung voran und legt so den Grundstein für eine planmäßige und systematische Industrieforschung im Unternehmen. Das Verwaltungsgebäude am Rohrdamm nach seiner Fertigstellung, Ostflügel (1913) Da die Kapazitäten der Siemens-Standorte in Kreuzberg und Charlottenburg erschöpft sind, entsteht ab 1898 nordwestlich von Berlin ein völlig neuer Stadtteil, die spätere Siemensstadt. Unter Leitung der Architekten Karl Janisch und Hans Hertlein wird dieser Standort stufenweise zu einem Industrie- und Wohnkomplex ausgebaut, der bis heute seinesgleichen sucht. Entstehung eines Stadtteils Anders als in historisch gewachsenen Stadträumen befinden sich im Zentrum von Siemensstadt weder Kirche noch Rathaus, sondern nur die jedes Berliner Rathaus an Größe übertreffende, zwischen 1910 und 1913 errichtete Hauptverwaltung des Elektrokonzerns Siemens. 3

4 1914 Ab 1914 beherbergt der schlossähnliche Gebäudekomplex an der Ecke Nonnendammallee/ Rohrdamm die Konzernzentrale: Unter Vorsitz von Wilhelm, ab 1919 von Carl Friedrich von Siemens beide sind Söhne des Firmengründers werden hier alle wichtigen finanz-, investitions- und unternehmenspolitischen Entscheidungen getroffen. Raum für Entscheidungen Außer den Arbeits- und Sitzungszimmern für Aufsichtsrat, Vorstand und Direktion der expandierenden Firma sind in dem Verwaltungsgebäude auch sämtliche zentralen Abteilungen untergebracht. An der Spitze eines der führenden Elektrounternehmen empfangen die Siemens-Chefs regelmäßig Kunden und Staatsgäste aus aller Welt. Das Sitzungszimmer des Vorstandes im Ostflügel der Eichensaal (1920) Carl Friedrich von Siemens ( ) Rückkehr auf den Weltmarkt und Einheit des Hauses Mit Carl Friedrich von Siemens tritt 1919 der dritte und jüngste Sohn des Firmengründers an die Spitze des Unternehmens. Die ersten Jahre seiner Amtszeit werden von den Folgen des Ersten Weltkriegs geprägt: Knapp 40% der Unternehmenssubstanz, darunter fast alle Patentrechte im Ausland, sind verloren. Dennoch hält der auslandserfahrene Geschäftsmann unbeirrt an der Internationalisierungsstrategie von Siemens fest. Seine Überzeugung basiert auf der Erkenntnis, dass das Potenzial des heimischen Elektromarkts nicht ausreicht, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. 4

5 Unter Führung Carl Friedrich von Siemens nimmt die Siemens & Halske AG verstärkt den Charakter einer technischen Holding - Gesellschaft an. Getreu seinem Leitbild von der Einheit und Vielfalt des Hauses Siemens fördert er die Dezentralisierung des Unternehmens, indem er einzelne Arbeitsgebiete in spezialisierte Tochter- und Beteiligungsgesellschaften ausgliedert. Die Ehrenhalle anlässlich des Besuchs von König Amanullah von Afghanistan (1928) Für diese Empfänge bietet die Ehrenhalle im Ostflügel des Gebäudes (heutige Mosaikhalle) den geeigneten Rahmen: Bewusst sind die Räumlichkeiten so gestaltet, dass sie potenziellen Kunden aus Wirtschaft und Politik einen Eindruck von der Größe und Leistungsfähigkeit des Hauses vermitteln. Architektonische Details wie die Glaskuppeln, der Mosaikboden oder die kassettierten Rundbögen unterstreichen den repräsentativen Charakter der Ehrenhalle. 5

6 1922 Ab 1922 werden in der Halle historische Maschinen, Apparate und Instrumente ausgestellt, die bei Investoren, Kunden und Lieferanten das Vertrauen in die Kompetenz von Siemens stärken sollen. Ort der Begegnung die Ehrenhalle Gleichzeitig fungiert die Ehrenhalle als Ort, der das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter und Führungskräfte des Hauses in dem stolzen Bewusstsein stärken soll, dass sie alle ein gemeinsames großes Ziel haben: weiterzubauen an dem Werk des großen Werner Siemens. Im Rahmen seiner Geschäftsstrategie achtet Carl Friedrich von Siemens konsequent darauf, dass die Aktivitäten der Einzelfirmen in direkter Beziehung zum traditionellen Kerngebiet Elektrotechnik stehen. Dank seiner Weitsicht gehört Siemens Mitte der 20er Jahre wieder zu den fünf weltweit führenden Elektrokonzernen. Als einziges Unternehmen der Branche ist Siemens mit Erfolg sowohl in der Schwach- als auch in der Starkstromtechnik nachhaltig vertreten. Ausstellung firmengeschichtlicher Schätze in der Ehrenhalle (1937) 6

7 Als überzeugter Demokrat und liberal gesinnter Unternehmer zieht sich Carl Friedrich von Siemens ab 1933 aus allen öffentlichen Ämtern zurück. Aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus macht er kein Hehl, weshalb keiner der damaligen Machthaber 1941 an seiner Beerdigung teilnimmt. Wer stolz darauf war, dass die eigene Arbeit einer Aufgabe gewidmet war, die danach strebte, dem Aufbau und Fortschritt der Menschheit zu dienen, der kann nur traurigen Herzens sehen, dass die Erfolge der Arbeit nun einzig und allein der Zerstörung zugute kommen. Carl Friedrich von Siemens (kurz vor seinem Tod) Trauerfeier für Carl Friedrich von Siemens in der Ehrenhalle (1941) Im Juli 1941 stirbt der langjährige Chef des Hauses Carl Friedrich von Siemens. Mitten im Zweiten Weltkrieg übernimmt mit Hermann von Siemens ein Vertreter der dritten Generation die unternehmerische Gesamtverantwortung. In dieser politischen Ausnahmesituation ordnen sich alle strategischen Entscheidungen dem Hauptziel unter, den Elektrokonzern möglichst gut auf die Nachkriegszeit vorzubereiten. 7

8 1945 Noch vor Kriegsende, im Februar 1945, verlagert Hermann von Siemens Teile der Unternehmensführung nach West- und Süddeutschland. Diese Gruppenleitungen werden später den Grundstein für die erfolgreiche Nachkriegsentwicklung des Unternehmens legen. Denn in Berlin werden am 20. April 1945 alle Siemenswerke geschlossen. Situation bei Kriegsende Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind vier Fünftel der Unternehmenssubstanz verloren. Im September 1945 wird die offizielle Wiedereröffnung der Siemens-Betriebe gestattet. Hermann von Siemens ( ) Krieg und Wiederaufbau Als Hermann von Siemens 1941 den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt, ist er mit der Herausforderung konfrontiert, das Traditionsunternehmen sicher durch den Zweiten Weltkrieg zu bringen. In dieser Ausnahmesituation sind seine Gestaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Mitarbeiter übernehmen Reparatur- und Aufräumarbeiten (1945) Um Handlungsfähigkeit und Überlebenschancen der Firma über das Kriegsende hinaus zu erhalten, verlagert er im Februar 1945 Teile der Unternehmensführung nach München, Mülheim a. d. Ruhr und Hof. Darüber hinaus betraut Hermann von Siemens seinen Neffen Ernst mit der treuhänderischen Leitung des Elektrokonzerns, falls er selbst dazu nicht in der Lage sein sollte. 8 Bei Kriegsende erweisen sich diese Entscheidungen als äußerst weitsichtig, da der Unternehmer wegen seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Deutschen Bank von den amerikanischen Alliierten interniert wird.

9 Ernst von Siemens ( ) Im Sommer 1948 kehrt Hermann von Siemens an die Spitze des Elektrounternehmens zurück. Zu diesem Zeitpunkt ist der Wiederaufbau dank der Arbeit der dezentralen Gruppenleitungen schon relativ weit fortgeschritten. Ein Team von Fachleuten beginnt bereits mit konkreten Planungen zur Wiedererlangung einer weltmarktfähigen Position für das Unternehmen. Doch die voneinander abweichenden Macht- und Politikinteressen der einzelnen Besatzungsmächte stellen auch die dezentrale Führungs- und Organisationsstruktur des Elektrokonzerns vor eine neue Herausforderung: Da die Berliner ungeachtet der politisch instabilen Situation der Stadt auf ihrem Führungsanspruch beharren, kommt es über die Standortfrage Berlin oder München? zu heftigen Diskussionen zwischen dem Stammhaus und den neuen Standorten in West- und Süddeutschland. Die zerstörte Siemensstadt (1945) Die Kriegsschäden und Demontagen hinterlassen auch in der Siemensstadt deutliche Spuren der Zerstörung und Verwüstung. Die Bausubstanz des Verwaltungsgebäudes ist jedoch trotz der schweren Luftangriffe weitgehend intakt geblieben. Gemeinsamer Wiederaufbau So wird schon bald nach Kriegsende mit dem Wiederaufbau der Gebäude und ihrer Umgebung begonnen. Nach und nach kehren immer mehr Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz zurück. Ende 1945 arbeiten bereits wieder Menschen in der Siemensstadt. Neuordnung 1949 Aufgrund der Teilung Deutschlands und der unsicheren politischen Lage Berlins münden die Bemühungen um die Reintegration der getrennten Firmenteile 1949 in der Entscheidung, den Firmensitz nach München und Erlangen zu verlagern; Berlin bleibt jeweils zweiter Firmensitz. 9

10 1976 Die letzten Kriegsschäden im Ostflügel des Verwaltungsgebäudes werden zwischen 1973 und 1976 beseitigt. Im Zuge der Instandsetzung und Erneuerung werden die noch vorhandenen, aber beschädigten Kuppeln der ehemaligen Ehrenhalle abgetragen und eine Etage tiefer durch eine Flachdecke ersetzt. Lediglich der große Mosaikfußboden und die eindrucksvollen toskanischen Kolonnaden in Travertin bleiben erhalten. Bis in die 80er Jahre beherbergt der Ostflügel des Verwaltungsgebäudes Einrichtungen für die interne Aus-, Fort- und Weiterbildung der Siemens- Mitarbeiter. Darüber hinaus werden die Räumlichkeiten an der Nonnendammallee vor allem von der Berliner Leitung sowie den Dienststellen der Zentralbereiche des Unternehmens genutzt. Aufbruch in ein neues Jahrhundert Im Laufe der 90er Jahre wird nachhaltig in die Gebäude und Standorte der Siemensstadt investiert. Hinter denkmalgeschützten Fassaden entstehen attraktive Büro- und Produktionsflächen mit modernster Infrastruktur. Heute ist die ehemalige Konzernzentrale der Siemens & Halske AG wieder der Sitz für die Geschäftsleitungen der Bahntechniksparte und der deutschlandweiten Vertriebs- und Serviceorganisation von Siemens in Deutschland. Auch die Leitung der Vertriebsregion Ost und die Niederlassung Berlin haben ihren Hauptsitz im Verwaltungsgebäude. Mit ihren zahlreichen Mitarbeitern betreuen sie die Kunden der Siemens AG im Wirtschaftsraum Berlin/Brandenburg vor Ort. Neben reinen Sachfragen spiegelt der Interessenkonflikt unterschwellig auch die Spannungen und Machtkämpfe zwischen zwei Führungsgenerationen wider: Während die Traditionalisten um Wolf-Dietrich von Witzleben den Firmensitz am angestammten Zentrum der deutschen Elektroindustrie bewahren wollen, kann der langfristige Unternehmenserfolg nach Einschätzung Ernst von Siemens nur durch die Verlegung des Firmensitzes in den Westen Deutschlands gesichert werden. Die Kontroversen um die Reintegration des Hauses Siemens münden schließlich in einer umfassenden Neuorganisation. 10

11 Die stark beschädigte Ehrenhalle/Mosaikhalle vor und nach dem Umbau (1972/1976) 2013 Das Verwaltungsgebäude wird 100 Jahre alt. Damals wie heute genügt es den höchsten Ansprüchen an einen repräsentativen Bürostandort des Konzerns. 100 Jahre Verwaltungsgebäude Mit dem umfassend renovierten Eichensaal befindet sich im Verwaltungsgebäude ein einzigartiger Sitzungssaal mit modernster Technik, in dem sich Tradition mit Moderne vereinigt. Am 1. April 1949 werden München und Erlangen die Haupt-Firmensitze der Stammgesellschaften. Der repräsentative Eichensaal (2013) Alle Tradition sprach für Berlin als Standort. Aber was ist Tradition? Sie wird nur zu gern mit Gewohnheit verwechselt. Hier hieß es, aus altem Geiste Neues zu schaffen [...] Die isolierte Lage Berlins schied als Standort für den Sitz der Führung des Unternehmens aus der Entschluß war hart, aber nach Lage der Dinge unvermeidlich. Ernst von Siemens (1978) 11

12 Siemens AG Corporate Communications and Government Affairs Head Office Berlin Berlin, August 2013 Mit freundlicher Unterstützung von Siemens Corporate Archives, München