Panel Vorschlag für die 3. Jahrestagung der ÖAW Migrations und Integrationsforschung in Österreich, September 2014
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- Maria Lichtenberg
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1 Panel Vorschlag für die 3. Jahrestagung der ÖAW Migrations und Integrationsforschung in Österreich, September 2014 Eingereicht vom Zentrum für MigrantInnen in Tirol (ZeMiT) Ulrike Csisinko, Gerhard Hetfleisch, Christina Hollomey Gasser und Julia Tschuggnall Welche Unterschiede machen einen Unterschied? Feine Unterschiede in der Analyse von Bildungsungleichheiten bei Jugendlichen in der österreichischen Migrationsgesellschaft Unterschiedliche Bildungschancen und Bildungsungleichheiten bei Jugendlichen stellen ForscherInnen, PraktikerInnen und PolitikerInnen in der österreichischen Migrationsgesellschaft zunehmend vor die Frage: Welche Unterschiede machen einen Unterschied? Als Erklärung und Ursache für unterschiedlichen Bildungserfolg gerät dabei häufig die Kategorie Migrationshintergrund unter Generalverdacht. Jugendliche mit Migrationshintergrund werden so schnell zur Problemgruppe stilisiert. Aktuelle Studien halten dem entgegen, dass es vielmehr soziale Faktoren insbesondere der Bildungshintergrund der Eltern sind, die unterschiedliche Bildungsverläufe bedingen und Bildung folglich gleichsam vererbt wird. ForscherInnen verweisen zunehmend auf das System Schule, das, ausgerichtet auf das Ideal einer/eines Schülerin/Schülers aus der Mittelklasse, implizit Ausschlüsse und ungleiche Chancen fortschreibt. 1 Unklar blieb jedoch bisher, welche Faktoren genau den Bildungsungleichheiten zu Grunde liegen, wie diese soziale Vererbung im Detail funktioniert und wie sie im Feld Jugend und Bildung zum Ausdruck kommt. Die Frage nach den Ursachen von Bildungsungleichheiten ist jedoch zentral, um auch Maßnahmen zur Reduktion derselben ergreifen zu können. Die Frage nach den Ursachen von Bildungsungleichheiten von Jugendlichen stand im Zentrum des durch den Europäischen Sozialfonds und das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur geförderten dreijährigen Forschungsprojekts PerspektivenBildung Österreich (Februar 2012 Juni 2014). Der Fokus des Projekts lag auf Jugendlichen am Zweiten Bildungsweg in Österreich. Ziel war es, den Ursachen für Unterschiede im Bildungserfolg und Bildungsverlauf von Jugendlichen mit und ohne Migrationsgeschichte im Vergleich auf die Spur zu kommen. Das Projektteam entschied sich dezidiert dafür, Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte in den Blick zu nehmen, um schon im Forschungsdesign angelegten Ethnisierungen oder Kulturalisierungen zu entgehen. Das Projekt verfolgte einen interdisziplinären Ansatz und war an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis 1 Herzog Punzenberger, Barbara (o.a.) Jenseits individueller Charakteristiken. Welche Bedeutung haben gesellschaftliche Strukturen für den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund? URL: Crul, Maurice; Schneider, Jens; Lelie, Fran (2012) The European Second Generation Compared: Does the Integration Context Matter? TIES, IMISCOE Research Series. Amsterdam: Amsterdam University Press. 1
2 einerseits und qualitativen und quantitativen Methoden andererseits angesiedelt. 2 Eine Analyse des Mikrozensus lieferte statistische Daten über Ursachen von Bildungsunterschieden mit dem Ergebnis, dass soziale Faktoren und nicht etwa Migration ausschlaggebend für den Bildungserfolg sind (siehe dazu Vortrag von A. Gächter). Die qualitative Untersuchung (siehe Vortrag ZeMiT) kondensierte unterschiedliche Bildungstypen, die die Bildungspraxis von Jugendlichen im Zusammenspiel von habituellen Mustern und sozialer Lage darstellte. Die in Österreich noch wenig bekannte und erprobte Methode der Habitus Hermeneutik und der Gruppenwerkstätten 3 wurde hier als vielversprechender und innovativer Ansatz gewählt, der einen tieferen Blick auf die Bildungspraxis von Jugendlichen jenseits von Kulturalisierung und Ethnisierung erlaubt. Die Habitus Hermeneutik stellt eine wichtige Alternative zu den bekannteren Milieustudien des Sinus Instituts dar, welche stark auf Fragen des Lifestyles fokussieren und in Gefahr geraten, strukturelle Bedingungen von Bildungsungleichheiten zu vernachlässigen. 4 Die qualitative Analyse zeigt, dass eine statistische Auflösung der Wirkmacht der Kategorie Migration in der Realität der Bildungspraxis von Jugendlichen nicht zutage tritt. Migration manifestiert sich im Feld der Bildung auf subtile Art und Weise und beeinflusst die Positionierung und Möglichkeitsräume der Jugendlichen. Es stellt sich die Frage, welchen Grenzen statistische Analysen unterliegen, um auch feine Unterschiede in der Bildungsbeteiligung von Jugendlichen klären zu können. Andererseits muss auch die Methodik und Theorie der Habitus Hermeneutik kritisch auf ihr Potenzial hin hinterfragt werden, wie sie mit den Komplexitäten der Migrationsgesellschaft adäquat umzugehen weiß. Vor diesem Hintergrund möchte das Panel innovative und vielversprechende Wege in der Forschung über Bildungsungleichheiten von Jugendlichen vorstellen und kritisch diskutieren. Anhand der Herangehensweise und Ergebnisse des Forschungsprojekts PerspektivenBildung wird eine Reflexion über innovative Potenziale, methodische und theoretische Dilemmata in der Bildungs und Jugendforschung angeregt. Erfahrene WissenschaftlerInnen kommentieren die Forschungsergebnisse und deren Bedeutung für die Praxis aus einer interdisziplinären und aus den eigenen Forschungsergebnissen gespeisten Perspektive. Folgende Fragen werden auf Basis der Erfahrungen der am Panel beteiligten FoscherInnen diskutiert: Wie manifestiert sich Migration, Klasse oder Geschlecht bei Jugendlichen, wenn es um Bildung und Ausbildung geht? Welche innovativen Potenziale kann der Ansatz der Habitus Hermeneutik hier entfalten? Wie müsste dieser weiterentwickelt werden, um eine Differenz sensible Forschung zu ermöglichen? Welche Arten von 2 Das Projektteam bestand aus ForscherInnen und PraktikerInnen des Zentrum für MigrantInnen in Tirol, des Zentrum für Soziale Innovation in Wien und der hafelekar Unternehmensberatung. Das Projektmangement oblag dem bfi Tirol. 3 Die Methode der Habitus Hermeneutik wurde ausgehend von Grundtheoremen Bourdieus im Umkreis der Universität Hannover von Michael Vester in den 90er Jahren entworfen und u.a. von Helmut Bremer und Andrea Lange Vester methodisch weiter entwickelt. Siehe dazu Bremer, Helmut/Teiwes Kügler, Christel: Zur Theorie und Praxis der Habitus Hermeneutik. IN: Brake, Anna; Bremer, Helmut; Lange Vester, Andrea (Hg.) (2013): Empirisch arbeiten mit Bourdieu. Theoretische und methodische Überlegungen, Konzeptionen und Erfahrungen. Weinheim und Basel: BELTZ Juventa. Bremer, Helmut/Lange Vester, Andrea (2006): Soziale Milieus und Wandel der Sozialstruktur: Die gesellschaftlichen Herausforderungen und die Strategien der sozialen Gruppen (Sozialstrukturanalyse). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bremer, Helmut (2004): Von der Gruppendiskussion zur Gruppenwerkstatt. Ein Beitrag zur Methodenentwicklung in der typenbildenden Mentalitäts, Habitus und Milieuanalyse, Münster: LIT. 4 Siehe z.b. Manche wollen mehr Sicherheit, manche mehr Erlebnis und Abenteuer aber alle Jugendlichen arrangieren sich mit einer komplexen Welt, Der Standard, April URL: _Apr_2013.pdf. [ ] 2
3 Verknüpfung zwischen quantitativen und qualitativen Ansätzen sind hier gewinnbringend und umsetzbar? Ziel ist es, in einem Dialog der ForscherInnen innovative Möglichkeiten einer interdisziplinären Herangehensweise zu entwickeln, die in Folge für eine Reduktion von Bildungsungleichheiten unter Jugendlichen in der österreichischen Migrationsgesellschaft fruchtbar gemacht werden können. Vorträge: August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation in Wien: Quantifizierbare Ursachen von Bildungsungleichheiten in Österreich. Ergebnisse aus dem Projekt PerspektivenBildung. Zentrum für MigrantInnen in Tirol: Feine Unterschiede und Bildungstypen von Jugendlichen am Zweiten Bildungsweg in Österreich. Ergebnisse aus dem Projekt PerspektivenBildung. Erol Yildiz vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck: Zur Relevanz einer diversitätsbewussten Bildung in der Migrationsgesellschaft. Eine Kritische Diskussion der Projektergebnisse. DiskutantInnen: Barbara Herzog Punzenberger vom Bundesinstitut Bifie Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichsichen Schulwesens Annette Sprung vom Institut für Erziehungs und Bildungswissenschaft der Universität Graz 3
4 August Gächter (ZSI): Quantifizierbare Ursachen von Bildungsungleichheiten in Österreich Unter den 15 bis 19 Jährigen gibt es nach Ende der Schulpflicht je nach elterlichem Herkunftsstaat erhebliche Unterschiede in der Bildungsbeteiligung. Während nur etwa 70% der Jugendlichen mit Eltern aus der Türkei eine weiterführende Ausbildung besuchen, sind es bei jenen mit in Österreich geborenen Eltern rund 94%. Mit Eltern aus Bosnien Herzegowina sind es rund 88%, mit solchen aus Serbien rund 77% und mit Eltern von außerhalb Europas rund 80%. Jugendliche mit Eltern aus der Türkei sind dagegen ungewöhnlich häufig beschäftigt (8%) oder aktiv arbeitsuchend (8%). Die Frage ist, ob diese Unterschiede dem Herkunftsland geschuldet sind, den Eigenschaften der Betroffenen selbst oder den Lebensumständen in Österreich. Zu den Umständen zu zählen sind die Bildungssituation der Eltern, die Beschäftigungslage und qualität im Haushalt sowie die regionalen Bildungsangebote und ihre Alternativen. Die Analyse der Mikrozensusdaten 2008 bis 2013 im Rahmen des Projekts PerspektivenBildung Österreich zeigt nun, dass bei gleichen familiären Voraussetzungen und gleichen Lebensumständen die staatliche Herkunft der Familie keinen nennenswerten Einfluss auf die Ausbildungsbeteiligung der 15 bis 19 Jährigen hat. Es gibt aber Unterschiede bei der Art der Ausbildung: Jugendliche, deren Familien aus der Türkei zugezogen sind, besuchen häufiger als zu erwarten war die AHS und BHS. Jugendliche, deren Familien aus Serbien oder aus Bosnien zugezogen sind häufiger als erwartet eine Lehre bzw. Fachschule. Für beides, ob in Ausbildung und welche Ausbildung, ist vor allem die Bildungs und Berufssituation der Eltern von Bedeutung. Zu klären wird noch sein, ob das an der Reaktion der Eltern auf die Bildungsmöglichkeiten oder nicht vielmehr an der Reaktion des Bildungswesens auf die Eltern liegt. Für jede der beiden Fragen, ob in Ausbildung und in welcher Ausbildung, wurde eine logistische Regression gerechnet. Als erklärende Variablen wurden Merkmale der Jugendlichen (Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Aufenthaltsjahre in Österreich im Vorschulalter, Aufenthaltsjahre im Pflichtschulalter), der Eltern (berufliche Stellung, höchster Ausbildungsabschluss, Beschäftigungsdauer, Berufsfeld, Stellung im Betrieb, Lage der Arbeitszeiten, Aufenthaltsdauer, Bildungsungleichheit zwischen den Elternteilen, berufliche Ungleichheit zwischen den Elternteilen, Alter der Mutter bei der Geburt des Kindes), des Haushalts (wöchentliche Arbeitszeit, Häufigkeit von Beschäftigung und von Arbeitslosigkeit, Häufigkeit von Beschäftigung über bzw. unter der Qualifikation, Häufigkeit von beruflicher Inaktivität, Rechtsform des Wohnens, Anzahl Wohnräume relativ zur Anzahl Bewohner/innen, Haushaltszusammensetzung), sowie regionale Merkmale (Häufigkeit von Ausbildung bei Jugendlichen, Quotient Elterngeneration zu Jugendgeneration, Bevölkerungsgröße mit gleichem Herkunftsland, Anteil der Frauen am Erwerbseinkommen, Gemeindegröße und Agraranteil) und Zeitmarkierungen (Quartal des Jahres, Kalenderjahr) miteinbezogen. Vergleichsdaten aus Deutschland, gewonnen anhand des deutschen Mikrozensus 2009, werden ebenfalls präsentiert. 4
5 ZeMiT: Feine Unterschiede und Bildungstypen von Jugendlichen am Zweiten Bildungsweg in Österreich. Statistische Untersuchungen zeigen, dass es Unterschiede in der Bildungsbeteiligung und Bildungsentscheidungen von Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft gibt. Gleichzeitig weisen neuere Analysen darauf hin, dass diese Unterschiede nicht in der Herkunft, sondern in sozialen Faktoren begründet sind und man von einer sozialen Vererbung von Bildung in Österreich sprechen kann (siehe dazu Vortrag A. Gächter). Was sich quantitativ allerdings nicht klären lässt, ist die Art und Weise wie diese soziale Vererbung vonstatten geht und welche komplexen Wirkmechanismen im Zusammenhang mit Migration und Geschlecht ihr zugrunde liegen. Das Zentrum für MigrantInnen in Tirol (ZeMiT) entwickelte zur Klärung dieser Frage sogenannte Bildungstypen, die einen tieferen Blick auf die Bildungspraxis von Jugendlichen am Zweiten Bildungsweg in Österreich erlauben. Die Untersuchung war Teil des Projekts PerspektivenBildung Österreich. Dem Forschungsteam standen beratend und begleitend Helmut Bremer, Christine Riegel, Erol Yildiz, Maria A. Wolf zur Seite. Die Bildungstypen verstehen sich als Darstellung der Bildungspraxis der Jugendlichen im Zusammenspiel von Habitus und sozialer Lage. Der Dialektik zwischen Feld und Habitus kommt hier besondere Bedeutung zu: Welchen systemischen Spielregeln sehen sich die Jugendlichen gegenüber? Wie reagieren sie darauf? Wie reagiert das Feld auf den Habitus der jugendlichen AkteurInnen? Im Vortrag werden die vorliegenden Bildungstypen präsentiert und theoretische und methodische Überlegungen zur Weiterarbeit angesprochen. Im Laufe des Projekts wurden dreizehn sog. Gruppenwerkstätten mit insgesamt 90 Jugendlichen durchgeführt, die anschließend einer eingehenden habitus hermeneutischen Analyse unterzogen wurden. Das Projektteam wählte damit einen im österreichischen Kontext innovativen Ansatz, der neue Erkenntnisse im Feld Bildungsungleichheiten von Jugendlichen verspricht. Die Methode der Habitus Hermeneutik wurde ausgehend von Grundtheoremen Bourdieus im Umkreis der Universität Hannover von Michael Vester in den 90er Jahren entworfen und u.a. von Helmut Bremer und Andrea Lange Vester methodisch weiter entwickelt. Mit Gruppenwerkstätten wird die Bildungspraxis unterschiedlicher Gruppen im Zusammenspiel von habituellen Mustern und sozialer Lage zu ergründen versucht. Anhand dieser Methode können nicht nur manifeste, sondern auch latente Inhalte sichtbar gemacht werden. Schon in der Erhebung werden dabei in Ergänzung zur Gruppendiskussion projektive Verfahren eingesetzt. In die Analyse werden die latenten Inhalte ebenfalls einbezogen. Die Vortragenden werden zeigen, wie habituelle Muster der Jugendlichen erworben und geprägt durch ihre soziale Lage in der Gesellschaft im Feld der Bildung zum Ausdruck kommen und die Handlungsmöglichkeiten der Jugendlichen prägen. Nicht nur soziale Faktoren im Umfeld der Jugendlichen, sondern auch systemische Faktoren mit welchem Grundhabitus kann das österreichische Schulsystem umgehen, mit welchem nicht? sind hier von Bedeutung, um Bildungsungleichheiten und deren Fortschreibung zu erklären. Es zeigt sich, dass Migration auf den ersten Blick eine sekundäre Rolle in der Bildungspraxis von Jugendlichen in Österreich und ihren Selbstbildern spielt und doch über habituelle Grundmuster von Bedeutung ist. Den ForscherInnen ist wichtig, nicht von einer Determinierung der Jugendlichen rein aufgrund ihres Habitus zu sprechen. Habitus wird als prozesshaftes und zeitbezogenes Konzept verstanden, das sich in einer Dialektik von Struktur und Praxis bildet und verändert. Andererseits sollte man die Einschreibung von habituellen Mustern in Körper, Köpfe und Institutionen nicht unterschätzen. 5
6 Der Vortrag wird zentrale Ergebnisse des Projekts präsentieren und insbesondere auf folgende Fragen und Herausforderungen eingehen: Welches Potenzial steckt im Ansatz der Habitus Hermeneutik zur Klärung von Bildungsungleichheiten bei Jugendlichen? Inwiefern wird dem Faktor Migration ausreichend Rechnung getragen? Wie kann diese qualitative Brille auch für quantitative Ansätze fruchtbar gemacht werden? 6
7 Erol Yildiz (Universität Innsbruck): Zur Relevanz einer diversitätsbewussten Bildung in der Migrationsgesellschaft Die Ergebnisse der vorliegenden Studie PerspektivenBildung Österreich belegen, wie unterschiedlich die Lebensentwürfe der Jugendlichen ausfallen, wie unterschiedlich sie das Bildungsfeld wahrnehmen und zu gestalten versuchen, wie differenziert sie ihre Bildungsziele formulieren, auf welche formellen wie informellen Ressourcen sie dabei zurückgreifen und wie unterschiedlich ihre Bildungsprozesse verlaufen. Der Vortrag greift die Forschungsergebnisse auf und diskutiert ihre Relevanz für zukünftige Forschungen und politische und institutionelle Neuerungen in der Bildungslandschaft. Es stellt sich die Frage, ob die Bildungsinstitutionen diese differenzierten Lebenswirklichkeiten und Bildungsvorstellungen von Jugendlichen als Lernanlass wahrnehmen und in die Gestaltung von formellen Lernprozessen einfließen lassen. Es gilt, so hier die These, die lebensweltliche Vielheit und insbesondere die migrationsbedingte Diversität als eine zentrale Ressource für die Organisation (schulischer) Bildungsnormalität anzuerkennen, um adäquat auf die global und migrationsgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit reagieren zu können. Um erfolgreich zu sein, müssen die Bildungsinstitutionen die komplexen Lebenswirklichkeiten, Bildungswege und die damit einhergehenden informellen Lernprozesse reflexiv in die Gestaltung von Bildung einbeziehen. Die vorliegenden Forschungsergebnisse sprechen für die Notwendigkeit einer radikalen Perspektivenumkehr in der Organisation institutioneller Bildung und für die Formulierung eines neuen Bildungsverständnisses. Nicht Migration und die Herkunft der Kinder und Jugendlichen sind die Ursache der Bildungsmisere, sondern das nationale Selbstverständnis der Bildungsinstitutionen ( methodologischer Nationalismus ) und die nicht reflektierten institutionellen Diskriminierungsformen. Die Erkenntnisse aus der Studie verweisen darüber hinaus auf die Relevanz einer ganzheitlich orientierten diversitätsbewussten Bildung, die Vielheit als Bildungsanlass betrachtet ( methodologischer Kosmopolitismus ). Angesichts des migrationsgesellschaftlichen und globalen Wandels ist ein solches Umdenken jedenfalls an der Zeit. Für die Gestaltung einer diversitätsbewussten Bildung bedarf es eines differenzierten institutionellen Milieus, das sich von Homogenisierungstendenzen verabschiedet und die Bildungswege von Kindern und Jugendlichen in ihrer jeweils spezifisch unterschiedlichen Lagerung anerkennt, aufnimmt und differenziert fördert. Die Erfassung von Lebenswirklichkeiten in ihrer Komplexität und Vielheit stellt andererseits auch für die Forschung eine zentrale Herausforderung dar und verlangt nach neuen methodischen und theoretischen Herangehensweisen, wie anhand des Projekts PerspektivenBildung aufgezeigt wird. Der Vortrag und die anschließenden Diskussionsbeiträge der Expertinnen Barbara Herzog Punzenberger und Annette Sprung diskutieren die Bedeutung der vorliegenden Forschungsergebnisse für die weitere Forschung, die Methodenentwicklung und Theoriebildung in der österreichischen Wissens und Migrationsgesellschaft. 7
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