Interpellation von Kantonsrat Hansjörg Lang, Mammern, vom 5. Januar 2000 betreffend Heroinprogramm im Kanton Thurgau
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1 Frauenfeld, den 23. Mai 2000 Interpellation von Kantonsrat Hansjörg Lang, Mammern, vom 5. Januar 2000 betreffend Heroinprogramm im Kanton Thurgau Beantwortung Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dem eingangs erwähnten Vorstoss stellen der Interpellant und 43 Mitunterzeichnende verschiedene Fragen zur Nichtbeteiligung des Kantons Thurgau an der ärztlichen Verschreibung von Heroin gemäss dem dringlich erklärten Bundesbeschluss vom 9. Oktober I. Vorbemerkung Im Zusammenhang mit der kantonalen Drogenpolitik ist vorab auf das im Februar 1992 verabschiedete Drogenkonzept hinzuweisen, von welchem der Grosse Rat anlässlich der Beantwortung einer Reihe parlamentarischer Vorstösse zustimmend Kenntnis genommen hat. Im Kanton Thurgau sind die konzeptionellen Überlegungen des Drogenkonzeptes 1992 weitgehend in die Praxis umgesetzt. Die regionalen Zweckverbände sind gegründet und haben ihre Arbeit aufgenommen, die Entzugs- und die Übergangsstationen haben eine sehr enge Zusammenarbeit im Beratungs- und Behandlungsnetz aufgebaut. In der Zwischenzeit haben aber die veränderte gesamtschweizerische drogenpolitische Situation und die Fortschritte in der Drogenarbeit im Kanton wiederum eine breite Standortbestimmung erforderlich gemacht, woraus sich neue Leitideen und Programmschwerpunkte ergeben haben. Die Ausrichtung der Drogen- und Suchtarbeit im Kanton Thurgau in den nächsten Jahren ergibt sich aus dem Anhang vom April 1999 zum Drogenkonzept. Dabei steht eine gezielte Abstimmung der Sucht- und Drogenpolitik des Kantons Thurgau auf die 4-Säulen-Politik des Bundes (Prävention / Beratung und Therapie / Schadensverminderung und Überlebenshilfe / Repression) im Vordergrund. Die Substitutionsprogramme im Kanton beschränken sich bis heute auf die Abgabe von Methadon. Notwendige Rahmenbedingungen dieser Programme sind medizinische Betreuung und soziale Begleitung der Patienten. II. Zu den einzelnen Fragen:
2 - 2 - Frage 1 Um die Zahl der schwerst abhängigen Drogensüchtigen mit Wohnsitz im Kanton Thurgau zu eruieren, wurde vom Kantonsarzt im Dezember 1998 eine umfassende Erhebung bei den freipraktizierenden Ärzten und Ärztinnen, den Drogenberatungsstellen, den psychiatrischen Kliniken, den Externen Psychiatrischen Diensten (EPD) und den Sozialämtern der grösseren Gemeinden durchgeführt. Insgesamt wurden 27 Schwerstsüchtige eruiert, welche die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Heroinprogramm erfüllen würden. Aufgrund von Erfahrungen in bestehenden Projekten ist davon aber höchstens die Hälfte bereit, sich einem strukturierten Programm zu unterziehen. Die dezentrale Besiedlungsstruktur des Kantons Thurgau erschwert ein zentrales Heroinabgabeprojekt, denn eine Abgabestelle muss 2-3 mal täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Wegen der zeitaufwendigen Erreichbarkeit der Abgabestelle dürfte für eine gewisse Anzahl von Schwerstsüchtigen eine Teilnahme am Projekt dahinfallen. Wenn sich diese trotzdem am Projekt beteiligen, erhöht dies ausserdem die Gefahr einer Szenenbildung um die Abgabestelle. Bei realistischer Betrachtungsweise kämen im Kanton Thurgau unter diesen Voraussetzungen voraussichtlich "lediglich" rund 10 Drogensüchtige für ein zentrales Programm in Frage. Ein tragbares Kosten/Nutzenverhältnis des Projekts kann bei dieser geringen Anzahl von Teilnehmern nicht erreicht werden. Der Kanton Solothurn führt zwei Heroinprojekte mit insgesamt 70 Teilnehmern durch. Laut Aussage des dortigen Projektleiters ist die Kostenstruktur beim Projekt Herol mit 30 Klienten deutlich schlechter als beim Projekt Gourrama mit durchschnittlich 40 Drogenabhängigen. Die Erfahrungen aus Solothurn werden durch andere Projektleiter bestätigt, dass nämlich für ein tragbares Kosten/Nutzenverhältnis offensichtlich eine Mindestzahl von 30 Teilnehmern notwendig ist. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass ein zentrales Heroinprogramm mit nur 10 Drogensüchtigen unverhältnismässig teuer ausfallen würde. Frage 2 Die Süchtigen erwerben ihre illegalen Drogen dort, wo sich ein grösserer Handel etablieren kann und die Preise vergleichsweise tief sind. Drogensüchtige aus dem Kanton Thurgau sind deshalb häufig in den umliegenden Städten (Winterthur, St. Gallen und Schaffhausen) anzutreffen.
3 - 3 - Ausser im Tasch Schaffhausen wurden bisher in den niederschwelligen Strukturen der Nachbarkantone keine systematischen Statistiken über die Herkunft der Süchtigen erstellt. Im "Tasch" betrug der Anteil der Süchtigen aus dem Kanton Thurgau resp. dem Bezirk Diessenhofen 4-5,5%. Seit dem 1. Januar 1998 ist die Drogenanlaufstelle in Winterthur offiziell für Thurgauer geschlossen. Unter der Annahme, dass die Hälfte der 8 Personen, die durchschnittlich weggewiesen werden, aus dem Kanton Thurgau stammen, beträgt der Anteil der Drogensüchtigen aus dem Kanton Thurgau maximal 5 %. In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass die Wegweisung durch den Regierungsrat stets begrüsst worden ist. Das zuständige Departement hat auch angeboten, Süchtige abzuholen und die Rückführung in die Wohngemeinden zu organisieren. Die Probephase eines entsprechenden Projekts lief am 1. Januar 2000 an. Bis zum 13. April 2000 hat Winterthur aber nur einmal von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Frage 3 Wie bereits bei der Beantwortung der Frage 1 dargelegt, zeigen die Fakten, dass sich der Kanton Thurgau aufgrund seiner Besiedlungsstruktur nicht für eine zentrale Lösung der ärztlichen Heroinabgabe eignet. Zu den vom Interpellanten vorgeschlagenen dezentralen Varianten nehmen wir folgt Stellung: a) Abgabe durch Hausärzte Die heroingestützte Behandlung ist nur jenen Institutionen vorbehalten, die die Voraussetzungen gemäss Art. 9 der Verordnung über die ärztliche Verschreibung von Heroin erfüllen. In der Botschaft zum dringlichen Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin vom 18. Februar 1998 wird aufgrund der parlamentarischen Debatte präzisiert, dass Hausärzte nicht unter dem Begriff geeignete Institutionen subsumiert werden können. Ausser der gesetzlichen Grundlage erfordert ein solches Pilotprojekt aber auch ein flächendeckendes Netz von Ärzten und Ärztinnen, die sich für eine Heroinabgabe zur Verfügung stellen. Der Kantonsarzt hat im Januar 2000 bei der Thurgauer Ärzteschaft eine entsprechende Umfrage durchgeführt. Es wurden 272 Fragebogen versandt, davon wurden 181 (66,5%) retourniert. Der grösste Teil der Ärzte und Ärztinnen (168) lehnte eine Beteiligung ab. In der Region Hinterthurgau sowie im Bezirk Diessenhofen stellte sich keine Arztpraxis für die Heroinabgabe zur Verfügung. Im Raum Mittelthurgau stimmte gerade 1 Arzt einer Heroinabgabe zu. Gesamthaft nur 12 Ärzte und 1 Ärztin, letztere nur bedingt, sprachen sich für eine Heroinabgabe in ihrer Praxis aus. Von diesen Personen erfüllen aber nur etwa 8 die Qualifikation für die Betreuung, wie langjährige Erfahrung und Kompetenz in der Substitutionsbehandlung mit Methadon. 5 Ärzte glauben einen Service über 365 Tage garantieren zu können, dieser müsste aber an den Wochenenden, Feiertagen und Ferien von Kollegen und Kolleginnen im Notfallkreis
4 - 4 - übernommen werden. Es ist fraglich ist, ob Ärzte und Ärztinnen, die grundsätzlich gegen eine Heroinabgabe in ihrer Praxis sind, für eine Stellvertretung gewonnen werden könnten. Der Regierungsrat kommt zum Schluss, dass für ein dezentrales Pilotprojekt zur Abgabe von Heroin durch Hausärzte die Zahl der bereitwilligen Ärztinnen und Ärzte heute zu klein ist. Es finden sich nicht genügend freipraktizierende Ärztinnen und Ärzte im Kanton Thurgau, um flächendeckend eine dezentrale Heroinabgabe in den Arztpraxen durchzuführen. Zudem liesse sich die Forderung nach einem lückenlosen Service über 365 Tage kaum erfüllen, denn eine Delegation an den jeweiligen Notfallarzt erfordert auch dessen Zustimmung. Diese darf man jedoch bei der doch überwiegend negativen Haltung der Thurgauer Ärzteschaft nicht ohne weiteres voraussetzen. Ungelöst ist bei einem dezentralen Pilotprojekt neben der fehlenden gesetzlichen Grundlage in der bundesrätlichen Verordnung zur kontrollierten Verschreibung von Heroin schliesslich auch die Frage nach der Sicherheit und den damit verbundenen baulichen Massnahmen. b) Abgabe durch Externe Psychiatrische Dienste (EPD) Eine Abgabe durch die EPD erachten wir eher als praktikabel, denn diese würden ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen die Bedingungen an die Institution gemäss Art. 9 der Verordnung über die ärztliche Verschreibung von Heroin weitgehend erfüllen. Neben zusätzlichen personellen Ressourcen wären aber sicher gewisse bauliche Massnahmen für die Sicherheit notwendig. Der Vorstand der Thurgauer Ärztegesellschaft und 128 der befragten Ärztinnen und Ärzte erachten die Externen Psychiatrischen Dienste für die Heroinabgabe als geeignet. Doch selbst wenn alle Drogensüchtigen des Kantons Thurgau, die die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Heroinprogramm erfüllen, an einem solchen teilnehmen würden, kämen auf jeden EPD nur etwa 6 Drogensüchtige. In Bezug auf die Kosten kann dies kaum als ideal bezeichnet werden. Zumindest müssten die Kosten pro Teilnehmer noch im Detail kalkuliert werden. Auch ist abzuklären, ob die Gemeinden bereit sind, die Restfinanzierung zu übernehmen. Seit 1. Januar 2000 unterstehen im Übrigen die EPD nicht mehr dem Kanton. Der EPD in Sirnach wird von einer Stiftung geführt, die übrigen drei sind in die Spital Thurgau AG integriert. Die Übernahme dieser zusätzlichen Aufgabe durch sie müsste deshalb mit den entsprechenden Trägerschaften ausgehandelt und in der Folge die Finanzierung sichergestellt werden. III. Schlussbemerkungen Für den Kanton Thurgau steht fest, dass aufgrund seiner Besiedlungsstruktur nur eine dezentrale Herionabgabe in Frage kommen kann. Ausserkantonal wird
5 - 5 - eine Beteiligung am Heroinprogramm in der Stadt St. Gallen erwogen; die St. Galler Regierung hat auf eine Abgabe bereits positiv reagiert. Entsprechend sind Kontakte mit den Schaffhauser Behörden bezüglich der neuesten Absichtserklärung, ein Heroinprogramm zu schaffen, aufzunehmen. Im Kanton wäre eine Abwicklung des Heroinprogramms über die Externen Psychiatrischen Dienste am ehesten praktikabel. Gegenwärtig sind aber noch zu viele Fragen, insbesondere finanzieller Natur, mit Blick auf ein solches Pilotprojekt ungeklärt. Bevor sich der Kanton beim Bund für ein Pilotprojekt zur dezentralen Abgabe von Heroin anbietet, sind zunächst diese offenen Punkte im Detail zu klären. Der Präsident des Regierungsrates Der Staatsschreiber
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