Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer anlässlich der. Eröffnung der Ausstellung Das Neue Österreich am

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1 Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Das Neue Österreich am Donnerstag, 12. Mai 2005, im Oberen Belvedere Meine Damen und Herren! Das Neue Österreich heißt die Ausstellung, die sich mit der Geschichte unseres Landes im 20. Jahrhundert beschäftigt. Hier im Schloss Belvedere, wo dieses neue Österreich am 15. Mai 1955, also vor 50 Jahren, seine volle Souveränität durch den Abschluss des Staatsvertrages wieder erlangte, wird in einer großen Schau der Blick auf einen Zeitabschnitt gerichtet, der wie kaum ein anderer geprägt war von Widersprüchen: von Krieg, Leid, Gewalt, und Diktatur, einerseits aber auch von Wiederaufbau, demokratischen Erfolgen, friedlicher Entwicklung und neuen Chancen andererseits. Ein derartiges Unterfangen

2 ist riskant, denn es stellen sich unter Umständen mehr Fragen, als vielleicht beantwortet werden können. Der bedeutende Historiker Jacob Burckhard schrieb einmal, dass in der Geschichte aus Jubel und Jammer Erkenntnis wird. Wenn man diesen Befund ernst nimmt, dann ist das 20. Jahrhundert für uns noch nicht im vollen Sinn Geschichte geworden. Wir bemerken fast täglich, dass die damaligen Ereignisse in die Gegenwart hinein wirken und die Gegenwart auf unsere Sicht von der Vergangenheit Einfluss hat. Der Blick in die Vergangenheit ist auch heute noch von Jubel und Jammer durchwirkt. Erst vor wenigen Tagen gedachten wir der Befreiung des KZ Mauthausen, gedachten wir des Kriegsendes, gedachten wir der Gründung der Republik. Und wir mussten auch erkennen, dass der Ungeist, der in den schrecklichen Jahren von 1938 bis 1945 (aber auch schon vorher) in Österreich herrschte, seine Kraft nicht restlos verloren hat. Diese Vergangenheit ist keine versiegelte Kiste, die wir in eine

3 Ecke stellen können, sie ist mit ihren schmerzlichen und freudigen, negativen und positiven Seiten immer noch Teil der Gegenwart. Das Gedenkjahr 2005 dient in dieser Hinsicht dazu, dass wir uns des eigenen Standpunktes zu versichern versuchen, des Standpunktes, den ein neues Österreich im 21. Jahrhundert einnimmt und einnehmen wird. Auch das ist, soweit ich es verstehe, Thema der Ausstellung im Belvedere. Ein wichtiges Thema. Damit stellen sich verschiedene Fragen z.b.: Was ist das Neue am neuen Österreich? Und: Welches neue Österreich meinen wir? Die zweite Frage ist, meine ich, leichter zu beantworten. Das 20. Jahrhundert kannte ein altes Österreich, das 1918 mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie zu Ende ging. Das erste

4 neue Österreich war also jenes von 1918, das aber bereits an seiner Wiege mit Selbstzweifeln konfrontiert war. Sollte es sich nicht so rasch wie möglich an einen größeren Nachbarn anschließen? Was 20 Jahre später mit militärischer Gewalt und unter großem Jubel beträchtlicher Teile der Bevölkerung Wirklichkeit wurde nämlich der Anschluss an Deutschland hatte sehr viel mit dem mangelnden Bewusstsein einer eigenen österreichischen Identität, mit mangelndem Selbstvertrauen zu tun. Das Übrige taten die innenpolitischen Verwerfungen, die schließlich in der Ausschaltung des Parlaments von 1933 dem Bürgerkrieg von 1934, dem Ständestaat und zuletzt in der Umwandlung und Degradierung Österreichs zur Ostmark mündeten. Das zweite neue Österreich war jenes, das Karl Renner in den Apriltagen des Jahres 1945 gemeinsam mit den Parteigründern proklamierte, und dieses Österreich war nun tatsächlich neu und verstand sich auch so selbst wenn die Sprache der

5 Unabhängigkeitserklärung ihre Prägung durch die vorausgegangenen Jahrzehnte nicht verleugnen kann. In der ersten freien Zeitung, die eben dieses Neue programmatisch im Titel führte, im Neuen Österreich fand dies ebenfalls seinen Ausdruck. In jener Ausgabe, die die Unabhängigkeitserklärung Österreichs abdruckte zu einer Zeit, als in Graz noch der Völkische Beobachter erschien -, ist in einem ausführlichen Kommentar zu lesen: Österreich ist wieder erstanden. Es wird nun alles davon abhängen, dass das ganze Volk ohne Unterschied der Partei und Weltanschauung mit vereinten Kräften die Regierung in ihrem schweren Werk unterstützt, dass die schöpferische Initiative und das werktätige Vertrauen aller Volksschichten den Staat untermauert. Wir alle sind Österreich, wir alle sind dieser Staat. Das Neue des neuen Österreich war zunächst also der Wille, alle demokratischen Kräfte zusammen zu fassen

6 und gemeinsam das Fundament einer selbstständigen Republik zu legen. Das Neue am neuen Österreich war, dass es von der ersten Stunde an ein Staat war, den alle wollten um eine bekannte Formulierung über die erste Republik zu variieren. Das Neue am neuen Österreich war, dass es ein Wunschkind war, geboren aus dem Wunsch nach Freiheit, Eigenständigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das Neue am neuen Österreich war schließlich, dass es sich als Beginn, als Neubeginn und nicht als Überrest verstand, wie dies 1918 der Fall war, und dass es eine Zukunftsperspektive und Selbstvertrauen gab. Meine Damen und Herren! Zehn lange Jahre nach Kriegsende, mündete der unbedingte Wille der Österreicherinnen und Österreicher, zusammen zu leben, das Schicksal selbst zu gestalten und als souveräner

7 Staat in der Staatenfamilie zu bestehen im feierlichen Abschluss des Staatsvertrages. Vieles an der Entstehungsgeschichte dieses Staatsvertrages ist mittlerweile von Mythen umrankt und von Legenden umgeben. Historische Formulierungen, schwierige Verhandlungen, eindrucksvolle Biographien, die sprichwörtlichen Vier im Jeep, der Wiederaufbau, etc. das alles sind Bestandteile einer Geschichte, auf die wir zu Recht stolz sein können. Jedenfalls ist der Staatsvertrag ein auch heute noch gültiger bedeutsamer Vertrag zwischen souveränen Staaten, der für uns Rechte, aber auch Verpflichtungen enthält. Dass sein Original nunmehr erstmals in Österreich zu sehen ist, bedeutet für viele Österreicherinnen und Österreicher einen besonderen Kristallisationspunkt und Höhepunkt im Gedenkjahr Dieses Original des Staatsvertrages ist sicherlich der Fokus dieser Ausstellung. Aber nicht ohne guten Grund haben die

8 Kuratoren dieses historischen Rückblicks ein ganzes Jahrhundert als Zeitrahmen für ihre Ausstellung gewählt. Und verdienstvoller Weise haben sie auch das kulturelle Umfeld und den kulturgeschichtlichen Hintergrund entsprechend berücksichtigt. Damit werden die Voraussetzungen und die Folgen dieses besonderen Datums in umfassender Weise verständlich gemacht. Es werden jene Elemente der Geschichte deutlich, in denen sich das neue Österreich nicht mehr wieder finden kann und will, aber auch jene Elemente, die es uns möglich machen, mit Dankbarkeit auf die Vergangenheit zu blicken. Meine Damen und Herren! Es ist eine Binsenweisheit, dass das Neue von heute das Alte von morgen ist, so wie das Neue von gestern schon heute veraltet sein kann. Damit das Neue auch neu bleibt, muss es sich wandeln und weiterentwickeln.

9 Noch im Staatsvertragsjahr 1955 beschloss Österreich vereinbarungsgemäß seinen Status als neutrales Land, wurde Österreich Mitglied der Vereinten Nationen, in den 70er Jahren sogar 3. UNO-Sitz und seit 10 Jahren sind wir Mitglied der Europäischen Union. Diese exemplarischen Beispiele zeigen deutlich, dass die 2. Republik den Blick nach vorne gerichtet hatte und sich durch eine aktive Teilnahme den Herausforderungen in einer sich verändernden Welt gestellt hat. Und auch innenpolitisch ging es nicht nur darum, das Erreichte zu konservieren, sondern mit Ausdauer, Kraft und Geduld an einem modernen Österreich zu arbeiten. In welchem Ausmaß wir diesen Ansprüchen gerecht werden darüber werden die Meinungen vielleicht geteilt sein. Aber geteilte Meinungen, über die auf der Basis gemeinsamer Spielregeln diskutiert wird, gehören zum Wesen unserer Demokratie, die sich seit 1945 als dauerhaft und belastbar erwiesen hat.

10 Ich bedanke mich abschließend bei allen, die zum Zustandekommen dieser Ausstellung beigetragen haben und nenne stellvertretend für alle anderen Dr. Hannes Androsch, Prof. Herbert Krejci und Prof. Peter Weiser, die in entscheidender Weise den Anstoß zu diesem Projekt gegeben haben und auch an der Schaffung der Voraussetzungen für die Realisierung gearbeitet haben. Die Handschrift von Hofrat Dr. Günter Düriegl und von Hofrat Dr. Gerbert Frodl ist unverkennbar. Ich freue mich über erste positive Reaktionen, über das sich abzeichnende große Interesse und wünsche diesem Projekt einen großen Erfolg mit zahlreichen interessierten Besucherinnen und Besuchern aus dem In- und Ausland.