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2 142. BIKE 9/04

3 Feengarten Sie gehören eigentlich zusammen: Schwarzwald und Vogesen. Doch der Rhein trennte das ungleiche Geschwisterpaar. Dicht besiedelt und wohlbehütet der Schwarzwald. Wild und frei die Vogesen. Wir fuhren durch beide und fanden ein Biker-Paradies.

4 Freeride-Cowboys: In den Vogesen ist die Singletrail-Welt noch heil und für Biker offen. Hier surfen wir nahe am Abgrund, am Col du Herrenberg. Märchenhaft und verwunschen: Der Fernwanderweg GR. 5 durchschlängelt die Vogesen meist als Singletrail BIKE 9/04

5 X Lagebesprechung: Wer Abenteuer erleben will, muss selber navigieren. Am Tête des Faux gefallen uns die dicht liegenden Höhenlinien. text Dimitri Lehner. fotos Franz Faltermaier W Wohin geht s? Mongolei, Patagonien, Kaukasus? Schwarzwald. Kirschtorten-Bommelhut-Schwarzwald? Der Schwarzwald? Genau. Prof. Brinkmann, Kuckucksuhr, Jägerzaun. Der Schwarzwald. Was sollen wir denn da? Andis Stimme klingt enttäuscht. Abenteuer erleben natürlich. Wer hat denn festgelegt, dass man Abenteuer nur in fernen Ländern erlebt? Eine Erlebnis-Tour kann schon hinterm nächsten Tannenbaum beginnen. Pack einen leichten Schlafsack ein, dann bist du unabhängig. Sperr deine Sinne auf. Und vor allem: Plan nicht alles. Wer schon weiß, wo er wohnt, was er isst und was er wann sehen wird, kann auch zu Hause bleiben. Unser Plan ist mehr als wage: Start in Freiburg, durch den Schwarzwald nach Norden, durch Rheinebene und Vogesen zurück. Dafür nehmen wir uns sechs Tage Zeit, denn wir wollen entdecken, nicht hetzen. Schon als wir hinter dem Freiburger Münster den Schlossberg hinaufkurbeln, stellt sich ein befreites Gefühl ein: endlich unterwegs! Unter dem jungen Laub der Buchen am Rosskopf verpufft der Alltag. Die Anstrengung tut gut: Das Bike pendelt unterm Körper rhythmisch bergauf. Zuckende Lichtreflexe erwecken den Trail zum Leben. Tannenduft strömt würzig in die Nase. Riecht so die Freiheit? Ich schaue mich um: Alle haben ein Grinsen im Gesicht, selbst Andi, der so gerne durch die Mongolei gebikt wäre. Jetzt sind wir mitten in Deutschland und doch weit weg. Wir folgen einem der schönsten Trails, die der Schwarzwald zu bieten hat: dem Kandelhöhenweg. Die Orientierung fällt leicht, die rote Raute, die den Weg markiert, ist allgegenwärtig badische Gründlichkeit. Auf dem Kandelgipfel schauen wir in alle Himmelsrichtungen: An klaren Tagen könnten wir im Süden die Alpen sehen. Heute sind sie im Dunst nur zu ahnen. Im Westen erheben sich hinter der Rheinebene die Vogesen. Fast wie ein Spiegelbild. Das elsässische Pendant zum Schwarzwald ist ähnlich hoch und ebenso sanft gewellt. In ein, zwei Tagen werden wir dort drüben stehen und dann nach Osten schauen.

6 X Urwald in Deutschland: Nahe Kappel durchqueren wir die letzten Ausläufer des Taubergießen, einer mangrovenartigen Auwaldlandschaft, in der noch Flussotter, Sumpfschildkröten und Eisvögel leben. Geografisch gehörten die zwei Gebirge zusammen, bis der Rheingraben vor Millionen Jahren absackte und die Berge zu getrennten Geschwistern wurden. Noch schöner als der Ausblick ist die Freude auf das, was uns jetzt bevorsteht. Flori Wiesmann, Bike-Konstrukteur aus Freiburg, kürte den Downhill nach Waldkirch zu seinem liebsten Trail. Handtuchbreit, mit Spitzkehren, von Felsen durchsetzt und dennoch viel Flow. Stefan drückt die Kette aufs große Blatt und ist verschwunden, bevor ich ausgesprochen habe. Rangeln um die zweite Position und abwärts geht s! Bei Gscheit überfällt uns der Hunger, dann überrascht uns die Dunkelheit. Verdammt: zu lange im Gasthaus gesessen. Lasst uns doch einfach dort oben im Wald schlafen, der Boden ist weich. Sieht aber nach Regen aus. Keine Lust, mitten in der Nacht zu duschen. Duschen wäre jetzt nicht schecht Das war klar, Hannes, dass du Abenteurer jetzt nach Duschen und deinem Daunendeckchen winselst. Wir irren durch die Nacht, bis Stefan in der Ferne ein Lagerfeuer flackern sieht. Drei Typen staunen, als wir nacheinander in den Schein ihres Feuers treten. Wie es der Zufall so will: Auch sie sind Biker und bieten uns den Schuppen hinterm Bauernhof als Nachtquartier an. Bevor das Feuer zur Glut zusammensackt, schlüpfe ich in den Schlafsack und schlummere ein neben einer rostigen Sense mit abgebrochenem Stiel, einem grünen Skischuh und leeren Farbeimern. Die ersten Regentropfen klopfen aufs Scheunendach, als Dirk, einer der Locals, seinen Kopf noch mal reinstreckt. Nicht vergessen: Ihr müsst morgen früh los, sonst erschrickt meine Oma. Als wir bei Kappel den Rhein queren, verändert sich die Welt. Auf der anderen Seite ist plötzlich alles wilder, weniger geleckt als im Ländle. Über sandige Wege schlängeln wir uns durch den hohen Auwald nach Westen, wo die Vogesen bläulich am Horizont schimmern. Abends erreichen wir das Städtchen Séléstat. Auch nach Jahrhunderten ist das Mittelalter hier noch zu ahnen. Diesmal suchen wir vor der Dunkelheit einen Platz zum Schlafen und finden eine leer stehende Scheune am Waldrand. Das perfekte Nachtquartier. Satt gegessen und rotweinschläfrig schließen wir die Augen auf dem Bretterboden, während der Vollmond bleich durch hohe Pappeln schimmert und eine Nachtigall irgendwo in den Ästen ein Konzert für uns anstimmt. Mal ehrlich: Welches Luxus-Hotel kann so was bieten? 1908 wurde in den Vogesen der letzte Wolf erlegt und der deutsche Kaiser Wilhelm II. weihte die Hochkönigsburg ein, Nachbau einer mittelalterlichen Befestigung in den Hügeln westlich von Séléstat. Auch damals soll es geregnet haben. Wir winden uns über einen fast zugewachsenen Singletrail in die Höhe. Helle Laubbäume, dunkle Tannen der Wald ist gescheckt wie ein Leopardenfell. Farne streichen regennass über die Oberarme, während wir an dicken Felsbrocken vorbeibalancieren. Sie scheinen mit grüner Farbe übergossen, so moosbewachsen ragen sie aus dem Hang. Kein Mensch weit und breit. Erst oben auf der Burg quellen Jacks und Cindys aus Florida und Ohio aus klimatisierten Bussen und staunen: This must be real old!. Wir huschen wie scheue Trolle zurück in den Wald, biegen auf den einsamen Fernwanderweg GR. 5 ein, bis nur noch das Rauschen des Regens in den Blättern zu hören ist. Am Col du Calvaire erreichen wir das Dach der Vogesen, ein Hochplateau, das nach Osten hin steil abbricht. Von tief unten blitzt der Lac Blanc, der weiße See, wie ein Drachenauge zwischen den grünen Bergflanken. Da hier über die Jahrhunderte maßlos gerodet wurde, freuen wir uns über die freie Sicht und folgen dem GR. 5, der als Pfad durch gluckernde Hochmoorwiesen mäandert. Es ist kalt geworden, auf über Metern Höhe. Nebel hängt über dem Heidekraut, als würde es brennen. Wind peitscht Regen ins Gesicht und wir treten kräftig in die Pedale, um die Kälte zu ver BIKE 9/04

7 Rustikal und kultiviert: Im Biker-Paradies Schwarzwald hat immer alles seine Ordnung. Rider treffen Reiter: Mittagspause auf dem Sodhof, in den Schwarzwaldbergen über dem Schuttertal.

8 Vielleicht der schönste Trail im Schwarzwald: der Kandelhöhenweg. Über Meter lichtet sich der Wald, die Sicht über die Rheinebene wird frei BIKE 9/04

9 scheuchen und schnell in den Schutz eines kleinen Wäldchens zu kommen. Wo sind wir? Patagonien, Mongolei wir könnten es nicht sagen, würden wir es nicht wissen. Ich schaue zu Andi. Er lacht. Wir denken dasselbe. Raus aus dem Wind, rein in den Wald. Gedrungene Steineichen verrenken ihre flechtengrünen Äste. Druiden und Feen. Wenn es sie gibt, dann hier. Der Nebel zieht durch den Wald, umschmeichelt die Bäume, huscht durch Äste und über kantige Felsen, die sich wie ein zu Stein gewordenes Schloss vor uns auftürmen. Die Abfahrt zum Tagesziel Col de la Schlucht wird zur Wettfahrt. Jeder will der Erste sein. Warum? Egal, auch ich gebe alles und suche die schnellste Linie durch die dicht stehenden Bäume, Felsbrocken und Rinnen. Stefan und Tom schwenken nach links, ich wähle falsch und stolpere durch Geröll. Andi und Hannes ziehen johlend rechts an mir vorbei, kippen die Räder von einem Turn in den nächsten. Schlammverspritzt, triefend nass, aber überglücklich, erreichen wir die Herberge Le Pied du Honneck, ein wuchtiger Bau an der Landstraße mit Parkplatz und Großküche. Uriger sind die so genannten Ferme-Auberges, Bergbauernhöfe, die sich wie trutzige Burgen weit oben in die Vogesenhänge ducken und bis vor wenigen Jahren nur zu Fuß erreichbar waren. Man bekommt deftiges Essen, Tafelwein und selbst gemachten Süßkäse. Am nächsten Abend stehen wir dann auf dem Grand Ballon, mit Metern der höchste Gipfel der Vogesen. Von dort drüben also sind wir gekommen. Ein giftiger Himmel braut sich zusammen, schwefelgelb blinzeln die letzten Sonnenstrahlen durch Gewitterwolken. Wir flüchten und surfen in weiten Wellen nach Osten, wo die Dämmerung schon über die Schwarzwaldhöhen kriecht. Der Hartmannswillerkopf ist unser letzter Vogesen-Gipfel. Ein seltsam trauriger Ort. Im 1. Weltkrieg starben hier deutsche und französische Soldaten. Kein Quadratzentimeter Erde, der auf dem kleinen Berg nicht von Granaten zerfetzt und Projektilen durchlöchert wurde. Teilweise lagen die feindlichen Gräben nur zehn Meter auseinander. Man sieht sie noch heute, an ihren Rändern rostet Stacheldraht. Wir schieben unsere Bikes durch einen Wald aus weißen Steinkreuzen. An unserem letzten Tag sind wir wieder zurück im Schwarzwald, cruisen entlang des Bachs im Münstertal. Alles hat wieder seine Ordnung. Das Tal gleicht einer Modell-Landschaft aus dem Märklin-Katalog. Hannes radelt neben mir und schmunzelt zufrieden. Hannes liebt seinen Schwarzwald, er ist hier geboren. He, Hannes, was ist schöner? Schwarzwald oder Vogesen? Der Schwarzwald ist schon toll. Ach, die Geranienkasten-Idylle ist doch nix, verglichen mit den wilden Vogesen. Mir gefällt beides gut. Oben auf dem Schauinsland merke ich, dass Hannes Recht hat. Freiburg ist nur noch einen Downhill entfernt. Ich will nicht nach Hause. Ich will weiterziehen, in Scheunen schlafen, in kalten Bächen baden, Berge erklimmen und spüren, dass der Tag 24 Stunden hat. 1 Drops und andere Süßigkeiten in den Felsen rund um die Hochkönigsburg: Endlich darf die Federgabel mal abtauchen. 2 Mit dem Schiffchen nach Frankreich: Die Motorfähre bei Kappel kuttert uns über den deutschen Schicksalsstrom. 3 Mach disch nackelisch. : Rein ins kühle Flusswasser und schon sind die schwitzigen Anstiege der letzten Etappe vergessen.

10 Info Schwarzwald-Vogesen-Runde 1. Tag: (40 km, 1300 hm) Start in Freiburg (287 m). Entlang des vorbildlich ausgeschilderten Kandelhöhenwegs (rote Raute) über den Rosskopf (737 m) und als Singletrail entlang des Höhenkamms zum Kandel (1242 Meter). Offiziell gilt im Schwarzwald die Zwei-Meter-Regel*. Ansonsten gilt: Auf schmaleren Wegen unbedingt Rücksicht auf Wanderer nehmen oder schieben. Singletrail-Downhill: vom Gipfel nach Waldkirch, Gscheit und Bildstein. 2. Tag: (105 km, 870 hm) Bildstein, Schillinger Berg, Kreuzmoos, Geisberg zum Sodhof. Hier biegt man auf den Querweg Lahr-Rottweil ein und folgt diesem nach Lahr. Über Feld- und Radwege quert man die Rheinebene nach Séléstat im Elsass (mit Motorfähre kostenlos über den Rhein). 3. Tag: (43,5 km, 1506 hm) Bei der Hochkönigsburg (708 m) beginnt der Wanderweg GR. 5 (rotes Rechteck). Vom Städtchen Ribeauviller (240 m) über Singletrail (gelbes Kreuz) nach Auburé (831 m). 4. Tag: (52 km, 1120 hm) Wieder auf dem GR. 5 zum Col du Bonhomme, Tête de Faux, Col du Calvaire entlang der Abbrüche am Lac Blanc zum spektakulären Col de la Schlucht mit seinen Hochmooren (1135 m) und dem alpinen Gelände am Le Hohneck. 5. Tag: (75 km, 1380 hm) entlang des Höhenrückens: le Kastelberg, le Rainkopf, Col du Herrenberg hinauf zu Elsass höchstem, dem Grand Ballon (1424 m). Über Singletrails ins Tal, le Sudelkopf, le Freundstein zum Hartmanswillerkopf (956 m). Wieder zurück über die Rheinebene nach Sulzburg-Laufen. 6. Tag: (35 km, 1100 hm) Über den Bettlerweg nach Staufen, durchs Münstertal hinauf zum Schauinsland (1284 m). Downhill durch den Kapplerwald nach Freiburg. Option für Freerider: Abstecher zum Bikepark Todtnau (www. mtbfun-park.de). Geführte Touren bietet z. B. Biketours an, Infos: Hartheim Bad Krozingen Schauinsland Staufen Dottingen Obermünstertal 1284 m Feldberg 1493 m Neuenburg Todtnau Sch Start A35 A5 F R A N K R E I C H D E U T S C H Tour Lahr Gipfel Rhinau Hochkönigsburg E l s a ß Diebolsheim Seelbach Kippenheimweiler Schutter- Sainte-Croix Sélestat Saint-Dié 708 m tal Himme Sainte-Marie Wittisheim Ettenheim 547 m Auburé Mussig Bie 10 km Tête des Faux Ribeauville Bildstein 1220 m Endingen Reichenbach E Elsenheim Lac Blanc Orbey Gescheid Kaysersberg Sasbach Emmendingen Gutach Le Valtin Lac Noir Colmar Vogtsburg Denzlingen Waldkirch Col de la Schlucht Kan Gérardmer 1159 m 124 le Hohneck Breisach Schauinsland Glotter- tal 1362 m Munster Eguisheim Gundelfingen am Rhein 1284 m San Roßkopf 737 Wildenstein Freiburg Kirchzarten Cornimont Linthal Rouffach Bussang Giromagny o V g e s e Masevaux n Grand Ballon 1424 m Guebwiller A36 Ensisheim Mulhouse A35 Vogesen Frankreich Blodelsheim Bantzenheim Rhein A5 Rhein H o c h Deutschland Kaiserstuhl Schwarzwald s c h w a r z w - a l Todtmoos d * Biken ist offiziell nur auf Wegen erlaubt, die zwei Meter oder breiter sind. Schwarzwald-Idylle: Blumenwiesen, Fachwerkhäuser und Kirschtorte die wurde übrigens gar nicht hier erfunden, sondern in Bad Godesberg bei Bonn BIKE 9/04

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