REISE CAREGA 138 BIKE 10/09

Transkript

1 REISE CAREGA 138 BIKE 10/09

2 DURST- STRECKE Das Carega-Massiv östlich des Gardasees gehört zu den Hausbergen Veronas. Die letzte Militär- Trail-Bastion vor der Po-Ebene. Für unseren Autor Marco Toniolo einer der härtesten Brocken. Nebel aus der Po-Ebene brandet an die Ostflanke des Carega. 10/09 BIKE 139

3 REISE CAREGA Letzte Verteidigungslinie nach dem Pasubio. Doch diese Militärstraßen haben kein Blut mehr gesehen. 140 BIKE 10/09

4 TEXT u. FOTOS MARCO TONIOLO E rst schleicht es sich als dumpfes Gefühl heran. Immer noch blitzt Hoffnung auf, dann wieder Unbehagen. Die Schritte werden langsamer. Und irgendwann fährt die Gewissheit in die Glieder: Wir haben uns verfahren. Mist. Wie konnte das passieren? Da war diese Kreuzung. Es gab zwei Möglichkeiten und unsere Karte weist diesen Weg ganz klar als die bessere Variante aus. Aber wir tragen unsere Bikes jetzt schon eine ganze Weile über diesen Trampelpfad und eine Besserung ist nicht in Sicht. Der Cima Carega übrigens auch nicht. Noch mal falte ich den klammen Kartenlappen aus. Der Schweiß tropft von meinem Kinn etwa auf den Punkt, an dem wir uns jetzt befinden müssten. Mensch, ist das schwül. Ich höre, wie Mauro wieder an seinem Trinkschlauch saugt und das Mundstück mit einem leisen Pfeifen wieder ausspuckt: immer noch leer. Schon eine ganze Weile sind wir ohne Wasser unterwegs. Keine Hütte, kein Bach ich bin mittlerweile so weit, dass ich sogar eine Pfütze austrinken würde. Aber nicht mal die gibt s hier. Wenn jetzt einer von uns umkippt, könnten wir auch keine Hilfe rufen. Die Handys haben schon lange keinen Empfang mehr. Also langsam weiter. Schweigend, wie Bergziegen. Irgendwann erreichen wir einen Kamm. Und jetzt sehen wir auch den Gipfel, den wir heute noch erreichen wollten. Doch keine Chance. Die Militärstraße zieht sich weit und weiter gen Horizont und verschwindet da hinten irgendwo zwischen den Felsen. Das schaffen wir heute nicht mehr. Ich lasse mich ins Gras fallen, Mauro saugt noch mal an seinem leeren Trinkrucksack und plumpst dann neben mich. Das letzte Mal habe ich mich so als kleiner Junge gefühlt, als mir die Schnur meines gasgefüllten Luftballons durch die Finger entwischt ist. Fupp, weg war er, der schöne, neue Ballon. So wie eben heute die Militärstraße einfach dahinzieht, mit dem Gipfelglück am Ende und der anschließenden Trail-Abfahrt. Wir stehen machtlos da und schauen ihr hinterher. Betreten streiche ich mit der Hand über die Edelweiße, die um uns herum wie Unkraut aus der Wiese sprießen. Das 2259 Meter hohe Carega-Massiv in den Monti Lessini gehört zu den Bergen, die ich aus meiner Kindheit noch kenne. Meine Mutter stammt aus Verona und von der venezianischen Seite her kann man diesen Berg mit dem Auto ziemlich weit hinauffahren. Genau richtig für einen Familienausflug am Sonntag. Doch von der nordwestlichen Seite im Trentino ist der Carega wild und verlassen, wie wir heute leidvoll feststellen. Keine Menschenseele unterwegs. Doch immerhin hatte man uns im Tal vor den gängigen Karten gewarnt. Zu ungenau seien die. Nur, die angeblich detaillierteste vom italienischen Alpenverein CAI war in Ala einfach nicht zu bekommen. Wir brechen für heute also ab. Ohne Wasser ist das Unternehmen ohnehin sinnlos. Wir wählen einen der vielen Militär-Trails, der uns zurück ins Tal bringt und stürzen uns sofort auf den ersten Dorfbrunnen in Brustolotti. Wasser, endlich! Wir trinken wie zwei Kamele nach einer Sahara-Durchquerung. Bis der Bauch weh tut. Wasser! Ein Gedanke, der auf dieser Tour öfter durch den Kopf schießt. kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nein, nicht da rauf! Hier auf der Militärstraße geht s natürlich weiter. Die führt zwar in ausladenden Kehren weiter bergauf, doch dafür ist sie weitgehend fahrbar. Bis sie dann doch immer verblockter wird und wir schieben müssen. Militärstraßen überziehen den Carega wie Spinnweben. Schließlich durfte man hier im Ersten Weltkrieg nichts dem Zufall überlassen. Die letzte Bastion vor der Po-Ebene. Wäre der Pasubio in die Hände der Österreicher gefallen, dann wäre der Carega als letzte Verteidigungslinie zum Einsatz gekommen. Aber so weit kam es ja Gott sei Dank nicht mehr. Heute ist es nicht mehr so heiß wie bei unserem ersten Versuch trotzdem neigen sich meine Wasservorräte dem Ende zu. Dabei hatte ich mir zur Sicherheit drei DA ZIEHT SIE DAHIN, DIE MILITÄRSTRASSE MIT UNSEREM GIPFEL- GLÜCK AM ENDE... Militär-Trail- Paradies Carega: bergab ein Genuss. Einen Monat später stehe ich exakt an der Kreuzung, die uns das letzte Mal vom Weg abgebracht hat. Diesmal begleitet mich Michele. Er kennt die Tour, er hat sie eigentlich entdeckt. Natürlich 10/09 10/08 BIKE

5 REISE CAREGA Liter kostbares Nass auf den Rücken geschnallt. Treibstoff, den man für diesen Anstieg von 2000 Höhenmetern eben braucht. Doch als die Bäume zurückweichen und der Blick auf die felsige Gipfelregion aufpoppt, beschleicht mich trotzdem wieder kurz das Gefühl des Nichtschaffens. Denn rein psychologisch ist dieser Berg wirklich gemein aufgebaut: Nach diesem ewig langen Aufstieg kann man plötzlich den weiteren Verlauf der Strecke einsehen und der scheint nach wie vor unendlich zu sein. Konzentrier dich aufs Panorama!, rät Michele. Stimmt: Ein Meer von weißen Kalksteinfelsen umgibt uns. Fast wie in den Dolomiten nur ohne Touristen. Doch irgendwann treffen wir doch noch auf Zivilisation, nämlich am höchsten Punkt unserer Tour, im Rifugio Fraccaroli. Wir sind zwar die einzigen Gäste, aber der Wirt ist natürlich da. Während er für uns in der Küche verschwindet, schnappen wir unser Gipfelbier und setzen uns auf die Sonnenterrasse. Gen Osten wickeln sich die Militärstraßen bergab und tauchen schließlich in den Nebel ab, der aus der Po-Ebene an den Fuß des Carega brandet. Auf der anderen Seite reicht der Blick bis ins Etschtal, in das wir heute noch zurück müssen. Auch von hier oben scheint Ala in unerreichbarer Ferne zu liegen. Doch LAGE UND ANREISE Das Carega-Massiv liegt zwischen Gardasee und Verona. Startpunkt der Tour ist das kleine Dorf Brustolotti, knapp oberhalb von Ala. Anreise: Brenner-Autobahn, Ausfahrt: Ala-Avio. Weiter Ri. Ala und im Valle dei Ronchi bis Brustolotti. KARTE 4land im Maßstab 1:25000, Nr. 118: Pasubio-Piccole Dolomiti ( auch in digitaler Version DIE TOUR 36 km/2250 hm Schwierigkeitsgrad: sehr schwer. Die Auffahrt ist sehr lang (kurze INFO CAREGA-MASSIV Schiebstrecken) und es gibt keine Wasserauffüllmöglichkeiten (viel Wasser mitnehmen!). Die Abfahrt vom Passo Pertica ist zu Beginn sehr verblockt. ROADBOOK Brustolotti links hoch über kleine Asphaltstraße Pozzo di Mezzo Pozzo Alto Malga di Val Gatto Markierung 114B (die rechte! 120 hm schieben, steil bergauf) Passo di Pra Bel weiter auf dem 114B, später 108 über die Pala di Cherle, Bocchetta della Neve bis zum Rifugio Fraccaroli (2238 m). Markierung 157 zur Bocchetta di Mosca, dann 192 bis zum Rifugio Scalorbi. Über die Militärstraße (Markierung 109) bis zum Rifugio Passo Pertica. Ab hier den Pfad 109 in Valle dei Ronchi nehmen, weiter auf Schotterweg (Markierung 110) bis zur Asphaltstraße und dann zurück nach Brustolotti. Kürzere Varianten (falls Wasser oder Kraft nicht reichen): 1) Sentiero 108 bei der Pala di Cherle bergab nehmen. Sehr schön zum Fahren, keine besonderen Schlüsselstellen. 2) Sentiero 114 nach Ronchi kurz nach dem Passo di Pra Bel. Schöner Trail, aber mit ausgesetzten Passagen. GPS-Daten zur Tour unter: Webcode: BIKE 10/09

6 Bildband Zu den Wundern der Welt Die Nordseite des Carega ist einsam und wild, aber Wege gibt es noch. zurück haben wir ja die Schwerkraft im Rücken. Sie treibt uns über die Trails am Rifugio Scalorbi vorbei und schleust uns in die spektakuläre Militärstraße zum Rifugio Passo Pertica hinunter. Danach saugt uns schließlich wieder die totale Einsamkeit ein. Rein ins dicht bewaldete, fast bedrohlich wirkende Ronchi-Tal mit Ala ganz am Ende. Der Wald schnappt uns das Abendlicht weg. Es dauert eine Weile, bis sich meine Augen an die Dämmerung gewöhnt haben, dabei habe ich die ersten steilen Stufen aber schon genommen. Hoppla, ein ziemlich ruppiger Trail-Einstieg. Ich muss mich echt konzentrieren, um nicht über den Lenker zu gehen. Die Tour hat ganz schön Kraft gekostet. Dann entspannt sich der Pfad bald, wird flacher und sanfter und mündet schließlich in eine Schotterstraße. Sie bringt uns bis nach Ala. Normalerweise wäre ich von solch einer leichten Abfahrt enttäuscht. Aber ich muss zugeben: heute nicht! 34 Wanderungen zu den schönsten Flecken der Erde: Jon Sparks lockt zu den noch intakten Wundern der Natur auf allen Kontinenten, zeigt umfassenden sinnlichen Genuss des Unterwegsseins zu Fuß. Kompakt zusammengestellte Tipps informieren über die beste Reisezeit, über Einreisebedingungen, Start- und Zielort sowie über Dauer und Unterkünfte. Der Schwierigkeitsgrad der Touren reicht von leicht bis anspruchsvoll: Jotunheimen, Verdon-Schlucht, Ätna, namibische Wüste, Everest-Treck, Mount Ruapehu, Sierra Nevada, Grand Canyon, Patagonien und viele Ziele mehr. Jon Sparks Wander- und Trekkingtouren zu den Naturwundern der Welt 192 Seiten, 149 Farbfotos, 36 Karten, Format 21,5 x 26 cm, gebunden mit Schutzumschlag 26,- [D] ISBN Jetzt im Buch- und Fachhandel InfoLine: 0521 /

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