TEXTLARA WANTIA FOTOSBIRGIT HUPFELD & DOMINIK REINTJES
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- Hajo Knopp
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Transkript
1 FLÜCHTLINGSDR Beim Theaterprojekt Say it loud dürfen die Darsteller schreien und fluchen. Sie haben Krieg und Unterdrückung erlebt zuhause und auf der Flucht. Durch das Projekt arbeiten sie ihre Erlebnisse und die Schattenseiten der Zuwanderung auf. TEXTLARA WANTIA FOTOSBIRGIT HUPFELD & DOMINIK REINTJES
2 AMA
3 Der sieht aus wie ein Terrorist! Er kann uns töten. Geh nicht zum ihm. Mohammed sitzt allein auf einem Stuhl in der Mitte des Raumes. Gefesselt, den Blick zu Boden gerichtet. Er sagt kein Wort. Arme und Beine sind mit grauem Klebeband zusammengebunden und am Stuhl befestigt. Weit weg von ihm unterhalten sich eine Frau und zwei Männer. Sie schreien sich beinahe an, diskutieren. Auf Arabisch, mit nur ein paar deutschen Sätzen oder Wörtern. Hektisch zeigen sie immer wieder zu Mohammed, sehen vorsichtig, beinahe ängstlich zu ihm hinüber. Aehm, einer der Männer, will immer wieder auf ihn zugehen. Doch Sülem, die Frau, hält ihn zurück. Nein, ich habe Angst vor diesem Mann! Der sieht aus wie ein Terrorist! Er kann uns töten. Geh nicht zu ihm. Aehm reißt sich los, antwortet mit lauter Stimme, Deutsch und Arabisch vermischt: Ich will erst verstehen, wer er ist und was er möchte. Er ist unser Bruder. Kurz ist es still, während die beiden sich schweigend anstarren. Dann dreht Aehm sich langsam um und geht auf Mohammed zu. Er geht vor ihm in die Knie und beginnt, leise mit ihm zu reden. Auf Arabisch fordert Aehm ihn auf, seine Geschichte zu erzählen. Warum kann ich dir trauen?, fragt er. Alle warten auf eine Reaktion. Die Anspannung ist greifbar. Dann schlägt Mohammed die Augen auf, hebt den Kopf und redet. Zuerst langsam und leise, dann wird er schneller, mutiger. In seiner Muttersprache erzählt und erzählt er. Plötzlich ist er fertig und es ist wieder still, noch stiller als vorher. Selbst wer kein Arabisch spricht, weiß Bescheid, was hier passiert. Was Mohammed, Sülem und Aehm hier spielen, ist eine Szene aus dem Fall von Jaber Albakr. Das ist das Ziel der zweiten Probenzeit vom Theaterprojekt Say it loud im Kinder- und Jugendtheater Dortmund: Den Fall des Terrorverdächtigen aufarbeiten und auf die Bühne bringen. Albakr wurde im Oktober 2016 verdächtigt, Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Syrer hielten ihn nach einem Fahndungsaufruf fest und übergaben ihn in Leipzig der Polizei. Ihr seid alle scheiße Schimpfwörter als Hürde Die drei Jugendlichen sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Aehm ist seit über einem Jahr in Nordrhein- Westfalen, Sülem und Mohammed erst seit ein paar Monaten. Auch die anderen Darsteller sind geflüchtet, allein, ohne Familie und Freunde. Sie kommen aus Balkanländern und dem arabischen Raum und jetzt in Dortmund. Die meisten sprechen wenig bis gar kein Deutsch. Auch Theatererfahrung haben 22
4 Ich will erst verstehen, wer er ist und was er möchte. Er ist unser Bruder. die wenigsten. Deswegen gibt es am Anfang der Proben noch ein paar Aufwärm- Übungen. Bei den Übungen stehen sich die Schauspieler in zwei Gruppen im Probenraum gegenüber. Regisseur Andreas Wrosch fordert sie auf: Einer von euch geht jetzt nach vorne und sagt ganz laut ein Schimpfwort. Die Übung soll ihnen helfen, eine Rolle einzunehmen. Die Jugendlichen sind irritiert über diese Aufgabe und bleiben in ihren Reihen stehen. Gegenseitig sehen sie sich an, warten darauf, dass einer der anderen endlich geht. Was ist denn los? Traut ihr euch nicht?, fragt Wrosch. Komm, Sami, du kannst das doch, sagt er und schiebt den Jungen ein Stück in die Mitte. Verloren steht er für einen Moment da, umklammert seine Hände, wippt mit den Füßen auf und ab. Dann macht er einen Schritt auf die andere Gruppe zu: Du Arschloch! Sehr gut, lobt Wrosch. Jetzt ist der Nächste dran. Diesmal muss die andere Gruppe das Schimpfwort so laut wie möglich zurückrufen. Sülem soll weitermachen. Auch sie traut sich nicht wirklich. Sie steht zwar schon in der Mitte des Raumes, lacht aber immer wieder unsicher. Ich kann kein Schimpfwort, murmelt sie in sich hinein. Dann überwindet sie sich: Ihr seid alle scheiße. Die andere Gruppe erwidert die Beleidigung laut, dann geht es weiter. Ein Darsteller nach dem anderen. Traumata auf der Bühne verarbeiten Nun soll Mohammed ein Schimpfwort sagen. Die Aufgabe fällt ihm sichtlich schwer. Keine Reaktion. Leise sagt er: Ich kann es nicht. Ich kann es nicht, weil ich Respekt habe. Wrosch setzt erneut an: Komm schon, Mohammed. Was machst du denn, wenn dich jemand beleidigt? Du darfst ruhig zurück beleidigen. Dann mache ich so etwas, entgegnet er plötzlich laut, zieht den Gürtel aus der Hose und deutet an, damit zu schlagen. Nein, nein, das machst du hier nicht, entgegnet Wrosch, geht schnell auf ihn zu und nimmt ihm den Gürtel ab. Dann geht er zurück und erklärt: Zuhause bekomme ich gespiegelt, wer ich bin. Hier können wir auch jemand anders sein. Ich würde ja nie auf der Straße zu dir sagen:,du Arschloch. Aber hier kann ich das. Dann erzählt ihr eine Geschichte für den Zuschauer. Aber jetzt machen wir erstmal Pause. Zwei Minuten, aber keine arabischen zwei. Dann wäre es eine halbe Stunde, sagt der Regisseur und lacht. In der Pause sitzen die Darsteller in kleinen Gruppen auf dem Boden, reden und lachen. Und das, obwohl sich viele 23
5 bisher kaum kennen. Zwischendurch singt jemand in seiner Muttersprache. Auf den ersten Blick nichts Besonderes dabei haben alle in ihrer Heimat und auf der Flucht Schlimmes erlebt. Das ist auch häufig Thema der Proben, neben dem Inhalt des Theaterstücks, das sie planen. Das hier ist nicht nur Theaterarbeit, sondern auch sehr viel Sozialarbeit. Wir müssen hier die Katastrophen aufarbeiten, die da passiert sind. Wenn das Handy aus ist und die keine Verbindung in ihre Heimat und zu ihren Familien haben, dann werden die ganz nervös, sagt Wrosch. Werde in Syrien ein Haus zerbombt, sei ein Bild davon fünf Minuten später auf dem Handy. Elf von Mohammeds Freunden seien gestorben. Das erfahren sie alles über diesen Weg, erzählt der Regisseur, während er auf einem Tisch sitzt und mit seiner Mütze spielt. Dadurch verändere sich auch seine Sicht auf die Reaktion vieler Deutscher. Die Gleichgültigkeit empört mich. Ich werde dadurch selbst zum Betroffenen. Backpfeifen verteilen aber nur angedeutet Wrosch hat sich in der ersten Probenzeit des Projektes vor einem Jahr dafür entschieden, die persönlichen Geschichten der Schauspieler aufzuarbeiten und darzustellen. Geschichten von der alten Heimat, von Krieg, Flucht und dem Leben in Deutschland. Etwa die von Mohammed, der auf seiner Flucht am Checkpoint verprügelt wurde. Oder die von Iman, die in der Schule geschlagen und von Fremden unterdrückt wurde. Wrosch hat einige der Darsteller über eine Unterkunft in Dortmund kennengelernt, in der sie untergebracht sind. Sie haben dann Freunde zu den Proben mitgebracht. Eine Theaterpädagogin hilft ihnen bei dem Projekt. Im ersten Teil hat jeder seine Geschichte erzählt und sich selbst gespielt, sagt Wrosch. Dann hebt er den Kopf und spricht die Flüchtlinge direkt an: Da wart ihr alle noch ihr selbst. Es ging vor allem um zwei Themen: Wir sind hier angekommen und wie geht es uns hier? Davon wollen wir jetzt wegkommen, eine Rolle spielen, eine Geschichte erzählen. Wenn wir jetzt weiter proben, denkt also daran: Im Moment seid ihr Charaktere. Ihr seid anders, als ihr selbst seid. Also, weiter geht s? Einer der Darsteller antwortet leise: Ja, aber nicht mehr scheiße sagen bitte, und lächelt dann. Okay, neue Aufgabe, beginnt der Regisseur, steht auf und geht in die Mitte. Die Darsteller stehen im Kreis um ihn herum. Ihr bildet Paare. Einer geht zu dem anderen und sagt Danke, und der andere will es nicht. Okay? Dann los. Die Schauspieler werden mutiger, selbstbewusster. Das Danke hallt wie ein Echo durch den Raum. Irgendwann beginnt der Gegenüber, sich zu wehren, er will das Danke nicht annehmen. Auch bei dieser Übung geht es darum, dass die Flüchtlinge lernen, eine Rolle zu spielen. Eine Rolle, deren Verhalten ihnen fremd ist. Sehr gut, unterbricht Wrosch nach ein paar Minuten. Jetzt entschuldigt sich einer beim anderen und will ihn umarmen. Der Partner will das nicht, aber es ist sehr wichtig, dass ihr das trotzdem schafft!, ruft er durch den Probenraum. Also geht wieder der Eine mit ausgebreiteten Armen auf seinen Partner zu. Der Gegenüber geht sofort auf Abstand, sträubt sich. Wieder unterbricht Wrosch nach einiger Zeit. Jetzt tut ihr so, als würdet ihr euren Partner ohrfeigen. Nur so tun, keine Angst, sagt er und macht eine kurze Pause. Dann sagt er noch: Derjenige, der geohrfeigt wurde, entschuldigt sich. Am Ende treffen sich beide in der Mitte. Die Gruppe reagiert zuerst verständnislos: Bitte? Warum sollen wir uns dann entschuldigen? Wir haben nichts gemacht! Dann setzen sie die Aufgabe trotzdem um, und scheinen dabei schon viel sicherer als bei der ersten Übung. Durch Proben entsteht Gemeinschaft Am Ende ruft Wrosch alle zum Abschlusskreis in die Mitte. Wer von euch etwas sagen möchte, kann das machen. Wie ihr die Proben bis jetzt fandet und was gut daran war, sagt er. Erst traut sich keiner, dann beginnt Sülem. Es gibt Leute, die sind ganz neu. Wir sprechen verschiedene Sprachen, wir kennen uns nicht, aber wir arbeiten zusammen. Wir machen Fehler, wir lernen zusammen aus unseren Fehlern. Wrosch ergänzt: Wir sind ganz unterschiedlich, aus verschiedenen Ländern. Vielleicht macht der eine was und denkt sich nichts dabei und der andere findet es schlimm. Aber wir können uns in den Arm nehmen, obwohl wir uns gar nicht kennen. In dieser Gruppe sollen wir uns das erlauben, dass wir gemeinsam lachen, weinen, schreien und danach gehen wir raus und es weiß keiner. Das ist unser privater Raum. Das scheinen auch die Darsteller verstanden zu haben, als Aehm sagt: Wenn wir draußen Probleme haben, hier haben wir kein Problem. Hier sind wir eine Gruppe und lösen es zusammen. ZUM PROJEKT Das Projekt Say it loud gibt es seit August Ein Stück hat die Gruppe bereits aufgeführt. Im Juni feierte Stories from the brave new world Premiere. Darin erzählten die Darsteller die Geschichte ihrer Flucht. Die Resonanz bei der Premiere war gut. Auch die folgenden Vorstellungen waren ausverkauft soll es erneut fünf bis sechs Aufführungen geben. Themen sollen der Fall Jaber Albakr und die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft sein. Regisseur Andreas Wrosch entwickelt die Themen auf Grundlage von Interviews mit den Darstellern. Die Stücke von Say it loud haben einen festen Platz im Spielplan des Dortmunder Kinder- und Jugendtheaters (KJT). Regisseur Andreas Wrosch und Andreas Gruhn, Leiter des Theaters, haben das Projekt initiiert. Über das KJT läuft auch die Finanzierung. Weitere Informationen gibt es auf: 24
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