Starke gesellschaftliche Bündnisse für soziale und ökologische Gerechtigkeit
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- Stephanie Franke
- vor 6 Jahren
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1 Starke gesellschaftliche Bündnisse für soziale und ökologische Gerechtigkeit Abschlussrede von Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll- Stiftung, zum Kongress McPlanet.com Die Resonanz auf den Kongress war nicht nur zahlenmäßig überwältigend: Mit 1500 TeilnehmerInnen, 100 Einzelveranstaltungen und 130 JournalistInnen war es der größte Umweltkongress, der in den letzten 15 Jahren in der Bundesrepublik stattgefunden hat. Den Trägerkreis der Veranstalter Attac, BUND, Greenpeace, das Wuppertal-Institut und die Heinrich-Böll-Stiftung und alle ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beglückwünschte man dazu zu Recht mit standing ovations. Noch nie haben die globalisierungskritische und die Umweltbewegung sich in dieser Intensität ausgetauscht. McPlanet.com bestätigt einmal mehr, dass NGOs und soziale Bewegungen eigene soziale und politische Orte für den Wissensaustausch, die kontroverse Debatte und die Strategiebildung brauchen. Zu oft ziehen sie den Karawanen der UN-Konferenzen, der Weltbank- und WTO-Tagungen hinterher und lassen sich von deren Tagesordnungen bestimmen. Mit dem Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre hat die globalisierungskritische Bewegung bereits vor Jahren begonnen, unabhängig von den Themen der offiziellen Institutionen und deren Regierungen nach eigenen Antworten für das Ziel einer sozialen und ökologisch gerechten Zukunft zu suchen. McPlanet.com hatte sicherlich so etwas wie den Charakter eines deutschen Weltsozialforums. Vandana Shiva, eine unserer bekanntesten internationalen Gäste bei McPlanet.com, zeigte sich beeindruckt, dass ein so großes Spektrum der vielfältigen NGO-Welt nach Berlin gekommen war. Auch sie sieht, dass allzu oft nur noch in hochspezialisierten Zirkeln über 1
2 Detailfragen der internationalen Umwelt- und Nord-Süd-Politik diskutiert wird. Wir brauchen zwar spezialisiertes Wissen sonst hätte McPlanet.com den Wissenshunger nicht befriedigen können und sonst könnten NGOs und Bewegungen keine Ernst zu nehmende Medien- und Lobbyarbeit machen. Nur: Ab und an müssen wir uns Zeit nehmen, um den Kopf durchzulüften und den Blick auf das politisch Ganze zu nehmen. Globalisierungsprozesse sind komplex und multidimensional. Wer sich mit ihnen beschäftigt und wer sie politisch beeinflussen will, braucht viel Wissen um die ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Zusammenhänge, um die gesellschaftspolitischen Kontexte und um die Interessens- und Machtgefüge zwischen Regierungen und ihren Institutionen. Dieser Kongress war überfällig, denn die junge globalisierungskritische Bewegung und die schon etwas ältere Umweltbewegung gehören zusammen. Sie haben eine gemeinsame normative Bezugsgröße und das ist Gerechtigkeit. Die politische Kernfrage von beiden Bewegungen lautet mit etwas unterschiedlicher Intensität und Akzentsetzung wie Entwicklungsprozesse politisch gestaltet werden können, dass sie nicht zum sozialen Ausschluss großer Bevölkerungsmehrheiten führt und den Ressourcen verschwendenden Produktions- und Lebensstils des Nordens fortführt. Die Suche nach Alternativen eint beide Bewegungen ebenfalls. Differenzen gibt es also weniger in der normativen Orientierung, sondern häufiger sind die Instrumente und Wege für Eine andere Welt umstritten. So hat sich zum Beispiel Attac Deutschland im September 2002 kaum oder gar nicht für den UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg interessiert, sondern hat ihn schlicht ignoriert. Die deutschen und internationalen Umwelt-NGOs sind nach Johannesburg gefahren und haben die Weltöffentlichkeit genutzt, um auf ihre politischen Anliegen aufmerksam zu machen und haben versucht, den offiziellen Verhandlungsprozess zu beeinflussen. Soziale und ökologische Gerechtigkeit braucht mehr denn je starke gesellschaftliche Bündnisse, neue Kooperationsformen und viele soziale Trägerinnen und Träger. Es ist deshalb besonders bedauerlich und selbstkritisch anzumerken, dass der TrägerInnenkreis von 2
3 McPlanet.com kaum oder viel zu wenig die Geschlechterperspektive in die Programmgestaltung einbezogen hat. Das sollten wir uns in Zukunft in ähnlichen Bündniskonstellationen nicht mehr leisten. Denn nur gemeinsam und mit den verschiedensten NGOs, alten und neuen sozialen Bewegungen lässt sich der Reformdruck auf Regierungen für eine weltweite ökologische und soziale Gestaltung der Globalisierung erhöhen. Es stimmt wohl: Es sind insbesondere transnationale Unternehmen und der technologische Fortschritt, die die jüngste Globalisierungswelle der letzten 20 bis 30 Jahre ausgelöst und vorangetrieben haben. Für ihre Expansionsstrategie brauchen sie aber die massive Unterstützung der Politik. Sie hilft die (weltweiten) Regeln und Instrumente aufzustellen, die zum Beispiel die Liberalisierung der US-amerikanischen und europäischen Außenwirtschaftspolitik beschleunigt hat. Mit ihrer dominanten und privilegierten Rolle auf dem Weltmarkt sind es vor allem die nördlichen Industrieländer, die diesen umfassenden politischen Prozess gestalten. In den internationalen Institutionen, beim Internationalen Währungsfonds, bei der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO) spiegelt sich die formale und informelle Machtasymmetrie zwischen Nord und Süd wider. So erklärt sich beispielsweise auch, warum bei aller Predigt für den freien und ungehinderten Welthandel, handelsverzerrende Subventionen für USund EU-Agrargüter oder hohe Zölle für Zucker, Textilien und Stahl aufrecht erhalten werden, wenn es in das ökonomische Kalkül der Industrieländer passt. Es ist bereits das Verdienst der weltweiten sozialen Bewegungen, der NGOs, der Frauenorganisationen oder der Gewerkschaften den Mythos der Globalisierung durch Freihandel überall auf der Welt Wohlstand zu schaffen angeknackst zu haben. Die Zeiten des Hurraglobalismus scheinen zwar vorbei, aber die Leitbilder der Globalisierung, die Kommerzialisierung und Privatisierung globaler öffentlicher Güter und elementarer Daseinsvorsorge leben weiter. Die Freihandelslogik wird weiterhin und ungebrochen den Gesellschaften und Ökonomien des Globalen Südens verordnet; Standort- und Wettbewerbsinteressen bestimmen mehr und mehr die politischen Entscheidungen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. 3
4 Der politische Wille und an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit ausgerichtete Normen alleine reichen nicht aus, um dem deregulierten Kapitalismus soziale und ökologische Fesseln anzulegen, um Machtasymmetrien und neoliberale Paradigmen abzulösen. Wer eine Annäherung an soziale und ökologische Verteilungsgerechtigkeit anstrebt, muss erstens radikale Fragen an unser gesellschaftspolitisches Modell stellen und kann Verantwortung nicht alleine an die politischen Entscheidungsträger delegieren. Mit ihrem Konsumverhalten sind die Bürgerinnen und Bürger eines reichen Landes wie der Bundesrepublik Deutschland eng mit einem nicht zukunftsfähigen Produktions- und Lebensstil verwoben. Francisca Rodriguez aus Chile und Mitglied der unabhängigen Bauernbewegung Via Campesina hat uns beim Kongress daran erinnert, als sie sagte der Sommer in Chile dient als Obstgarten für den Winter im Norden. NGOs und soziale Bewegungen brauchen zweitens viele Verbündete. Dazu gehören, wo immer sie über demokratische und freie Wahlen über entsprechende politische Legitimation verfügen Parlamente und politische Parteien. Die globalisierungskritische Bewegung und NGOs haben es vermocht, Zweifel an der Wohlfahrtsorientierung der neoliberalen Variante der Globalisierung zu säen. Diese Zweifel haben auch die Parlamente in vielen Ländern erreicht. Erstmals beginnen Parlamente Forderungen an die Verhandlungspositionen ihrer Regierungen bei der WTO, beim IWF oder der Weltbank zu formulieren. Bislang haben die Ministerialbürokratien ob in Brüssel oder Berlin weitgehend unkontrolliert von der Legislative ihre Liberalisierungsund Deregulierungspositionen in der internationalen Handels und Finanzpolitik verhandelt. Nun haben die Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag kurz vor der Ministerkonferenz der WTO im mexikanischen Cancun ihre Forderungen an die Bundesregierung formuliert. Immerhin wird ein massiver Agrarsubventionsabbau gefordert und in ein Investitionsabkommen soll die WTO erst dann einsteigen dürfen, wenn die Doha-Entwicklungsrunde zu einem wirklich für die Entwicklungsländer befriedigenden Ergebnis gelangt sei. 4
5 Dies alles bedeutet zwar kein Ausstieg aus der Freihandelsdoktrin durch den Bundestag, aber wenigstens wird der Wunsch nach Entschleunigung im Liberalisierungskarusell signalisiert. Darüber hinaus bleibt ziemlich offen, ob sich das deutsche Wirtschaftsministerium, dass für die Bundesregierung die Federführung für Verhandlungen in der WTO hat, überhaupt an Bundestagsentschließungen hält. Dennoch, es ist ein wichtiger Schritt eines Parlaments überhaupt Verhandlungsvorgaben zu formulieren. Organisatorinnen und Organisatoren von McPlanet.com eint die Überzeugung, dass das Marktkräfteszenario im neoliberalen Gewand soziale und ökologische Widersprüche und Probleme verschärft. Uns eint auch, dass die ökonomische Globalisierung soziale und ökologische Regeln und Standards sowie klare Grenzen braucht. Dafür brauchen wir neben einer Normen- und Wertediskussion die Auseinandersetzung darüber, welche Institutionen wir dafür brauchen und wollen. Die UNO hat einen großen Bedeutungsverlust erlitten. Das Konzept des Multilateralismus gerade in den 90er Jahren mit den zahlreichen UN-Konferenzen mit großen Hoffnungen belegt ist durch den US-amerikanischen Unilateralismus in eine große Krise geraten. Die UNO ist zum Reparaturbetrieb degradiert sei es in sozialen, friedenspolitischen oder ökologischen Fragen. Die globale Bekämpfung von Armut und gravierender Umweltzerstörung lässt sich jedoch nicht durch entwicklungspolitische Trostpflaster oder soziale und ökologische Abfederungspolitik der negativen Effekte ökonomischer Globalisierung erreichen. Im Lichte der Krise des Multilateralismus wird nun plötzlich die WTO, die formal wie die UNO dem Prinzip ein Land eine Stimme folgt als Ort multilateralen Konsenses gesehen. Welchen Zielen und Werten der Multilateralismus jeweils verpflichtet ist, sollte jedoch die Leitfrage für die Ausgestaltung und Beurteilung internationaler Institutionen und Organisationen sein. Soziale und ökologische Gerechtigkeit sind eng miteinander verwoben. Demokratie, Menschenrechte und Frieden sind ohne die politische Bearbeitung der sozialen und ökologischen Frage nicht zu haben. 5
6 Politik ist vor allem und auch ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Einmischung ist ihr Elixier. Potenziale der Einmischung und der Diskussion um Alternativen gibt es überall im Regionalen ebenso und mehr denn je auf der internationalen Ebene. Mit McPlanet.com wollten wir dazu ermutigen und Lust auf Einmischung und Gegenmacht machen. Wenn ich auf die letzen drei Tage zurückblicke und die vielseitig geäußerte positive Resonanz richtig interpretiere, ist dies den Organisatoren und Organisatorinnen der Konferenz wahrlich geglückt. Barbara Unmüßig Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung Juli 2003 Einige Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist lizensiert unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 2.0 Deutschland" 6
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