2 Menschen, die auf diese Weise gewürdigt werden, dürfen stolz auf ihre Lebensleistung und ihren großen Einsatz für das Gemeinwohl sein.
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- Silvia Schräder
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1 1 Laudatio von Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks zur Aushändigung der Medaille für Treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber an Dorothea Buck, 22. Februar Es gilt das gesprochene Wort - Liebe Frau Buck, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute bei Ihnen zu Gast sein darf. Wir sind heute zusammen gekommen, weil Sie die Medaille für Treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber für ihr Lebenswerk erhalten es ist die höchste Stufe dieses Hamburger Ordens. Dies ist eine Auszeichnung, die nur sehr wenige Menschen in Hamburg erhalten, und ich freue mich persönlich sehr, Ihnen, liebe Frau Buck, heute diese Medaille und die Verleihungsurkunde im Namen des Präsidenten des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, also des Ersten Bürgermeisters, auszuhändigen. Die Medaille mit der aus heutiger Sicht vielleicht etwas antiquiert anmutenden Bezeichnung, die vom Senat zuerst zur Zeit der Weimarer Republik gestiftet wurde, wird jeweils in einer Einzelverleihung überreicht. Sie ist zum einen eine Anerkennung für besonders hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl und sie würdigt zum anderen die Gesamtpersönlichkeit des oder der zu Ehrenden.
2 2 Menschen, die auf diese Weise gewürdigt werden, dürfen stolz auf ihre Lebensleistung und ihren großen Einsatz für das Gemeinwohl sein. Und ich möchte dabei nicht unerwähnt lassen, dass der Senat als Ganzes darüber entscheidet, ob einer vorgeschlagenen Person diese Auszeichnung verliehen wird. Liebe Frau Buck, die heutige Ordensverleihung ist in vieler Hinsicht auch für mich etwas ganz besonders. Da ist Ihr beeindruckendes Lebenswerk, auf das ich gleich noch näher eingehen werde. Aber ganz besonders ist diese Preisverleihung auch, weil sie mit einem ganz besonderen Geburtstag zusammen fällt, der demnächst ansteht. Für ihr wirklich umfassendes Lebenswerk haben Sie sich viel Zeit nehmen können in wenigen Wochen sind es 100 Jahre! Sie haben Ihr Leben der Reform der Psychiatrie und der Veränderung der Kultur im Umgang mit psychisch Kranken in unserer Gesellschaft gewidmet. Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen sind Sie als engagierte Streiterin für eine menschliche Psychiatrie eingetreten und haben mit unglaublicher Kraft sehr vieles bewegt und angestoßen.
3 3 Wie ich aus Ihren Lebenserzählungen weiß, waren Sie 19 Jahre alt, als Sie zum ersten Mal an einer Psychose erkrankten. Das war Man wies Sie mit der Diagnose Schizophrenie zur Behandlung in die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel ein. Sie stammen aus einem christlich geprägten Elternhaus, Bethel hatte einen Ruf als großes Werk christlicher Nächstenliebe. Doch was Sie dort erleiden mussten, hatte damit nichts gemein. Es waren die grausamen Praktiken einer vormedikamentösen Psychiatrie, die Sie dort kennenlernten: Dauerbäder, Kaltwasserkopfgüsse, Fesselungen in kalten, nassen Bettlaken alles mit dem Ziel der Disziplinierung. Noch viel schlimmer aber war die vollkommene Sprachlosigkeit, die Sie und die anderen Patientinnen und Patienten umgab. Gespräche untereinander wie auch mit dem Personal waren verboten. Menschen wurden zu sprachlosen Objekten degradiert einen unwürdigeren Umgang kann man sich kaum vorstellen. Hinzu kam der Einfluss der NS-Ideologie: Man stufte Sie wie hunderttausende andere kranke und behinderte Menschen auf Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als lebensunwert und minderwertig ein. Ohne Sie darüber zu informieren, wurden Sie zwangssterilisiert. Den Euthanasie-Morden der Nazis entgingen Sie nur knapp. In den folgenden Jahren erkrankten Sie noch einige Male an psychotischen Schüben und mussten jedes Mal Erfahrungen
4 4 mit neuen, jeweils aktuellen Methoden der Psychiatrie machen: Insulinschocks, Elektroschocks, Psychopharmaka. Überwunden haben Sie Ihre Erkrankung schließlich vor allem aus sich selbst heraus und es dabei vermocht, Ihr Schicksal zu wenden. Obwohl Ihre jugendlichen Lebensträume zerstört waren Sie wollten einmal Kindergärtnerin werden und eine Familie gründen haben Sie sich nicht damit abgefunden. Sie haben versucht, Ihre Erkrankung zu verstehen und sie so schließlich bewältigen können. Um geheilt zu werden, muss man verstehen und verarbeiten, was man erlebt hat, haben Sie einmal formuliert. Damit einher geht Ihr Werdegang als Künstlerin: Sie haben Ihren Weg in der künstlerischen Arbeit gefunden, lernten das Töpferhandwerk, machten eine Ausbildung zur Holzbildhauerin und nahmen ein Hochschulstudium der Künste auf. Sie arbeiteten als freie Bildhauerin, beteiligten sich an öffentlichen Ausschreibungen und Wettbewerben und unterrichteten viele Jahre als Lehrerin für Kunst und Werken. Zum Verhältnis Ihrer künstlerischen Arbeiten und Ihrer Erfahrungen in der Psychiatrie haben Sie am Beginn Ihres ersten Buches Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung (worin Sie erstmals Ihre Geschichte erzählt haben) gesagt: In meiner künstlerischen Arbeit ging es mir um die Beziehung der Formen und Gestalten zueinander, die Beziehungslosigkeit dieser
5 5 Psychiater zu ihren Patienten widersprach allem Menschlichen, ohne dass es für mich keine Kunst geben kann. In der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft herrschte ein bedrückendes Schweigen zu den Gräueltaten der NS-Zeit und insbesondere zu den beschönigend Euthanasie genannten Massenmorden. Viele an den Patientenmorden der NS-Zeit beteiligte Psychiater und Mediziner konnten nach dem Krieg unbehelligt weiter praktizieren. Das Verdrängen der Opfer und die Stigmatisierung und fehlende Anerkennung der Überlebenden, aber auch die weiter fortdauernden unmenschlichen Zustände im Umgang mit psychisch kranken Menschen ließen Sie nicht ruhen. Sie, liebe Frau Buck, erhoben ihre Stimme veröffentlichten als Schriftstellerin und Autorin zahlreiche Bücher und Buchbeiträge über Ihre Erfahrungen und Erlebnisse. Sie schrieben engagierte und pointierte Briefe an Politiker, Kirchenvertreter, Psychiater und Entscheidungsträger. Ihre Korrespondenz füllt viele Bände und nicht jeder, der kritische Post von Ihnen bekam, hatte auch den Mut, Ihnen zu antworten. In unzähligen Reden, Vorträgen, Lesungen und Veröffentlichungen haben Sie sich für eine menschliche Psychiatrie eingesetzt, für eine Psychiatrie, die die Erfahrungen und Bedürfnisse der Betroffenen ernst nimmt, für eine
6 6 Psychiatrie, die im Dialog auf Augenhöhe auf ein offenes Verstehen psychischer Krisen und Krankheiten setzt. Mit viel Kraft und bewundernswerter Ausdauer kämpfen Sie bis heute für diese Ziele. Sie sind maßgeblich in der Bewegung der Psychiatrie-Erfahrenen aktiv, die sich seit Ende der 80er Jahre formierte. Sie gründeten zusammen mit anderen Betroffenen den Bund der Euthanasie- Geschädigten und Zwangssterilisierten, waren 1992 Gründungs- Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Psychiatrie- Erfahrenen e.v. (BPE), dessen Ehrenvorsitzende Sie bis heute sind. Zusammen mit dem BPE waren Sie 1994 an der Ausrichtung des 14. Weltkongresses für Soziale Psychiatrie in Hamburg beteiligt und waren dort die erste psychiatrieerfahrene Rednerin. Gemeinsam mit Professor Thomas Bock entwickelten Sie 1989 die Idee der Psychose-Seminare, die auf den wechselseitigen Erfahrungsaustausch und die gegenseitige Fortbildung von Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und Therapeuten setzen. In diesen Seminaren gehen alle Beteiligten als Experten in eigener Sache aufeinander zu, um voneinander zu lernen. Daraus entwickelte sich der so genannte Trialog, der zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beiträgt. Trialogische Foren sind heute bundesweit etabliert es gibt weit über 140 von ihnen, inzwischen gibt es sie sich auch für andere
7 7 Krankheiten. Auch im trialogisch orientierten Hamburger Verein Irre menschlich e.v. wirken Sie mit, der sich für mehr Toleranz im Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen einsetzt. Die Dorothea-Buck-Stiftung, unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, gründeten Sie mit dem Ziel, ihr Engagement für eine menschlichere Psychiatrie über ihr eigenes Wirken hinaus fortzusetzen. Mit dieser Stiftung unterstützen Sie sie psychiatrieerfahrene Antragsteller und Antragstellerinnen finanziell, damit diese eine EX-IN-Ausbildung (Experienced Involvement) als Genesungsbegleiter machen können. Auf diese Weise können Psychiatrie-Erfahrene ihr Erfahrungswissen professionell in die psychiatrische Versorgung einbringen. Liebe Frau Buck, Ihre Lebensgeschichte, die eng mit der deutschen Psychiatriegeschichte verknüpft ist, hat sie zu einer Zeitzeugin der schlimmsten und dunkelsten Seiten der Psychiatrie-Entwicklung werden lassen. Sie haben vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen als außerordentlich mutige, streitbare und kämpferische Persönlichkeit wegweisende Veränderungen in der Psychiatrie angestoßen und durch Ihr Wirken zu einer Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen und zu einer menschlicheren Psychiatrie beigetragen. Die Psychiatrie muss
8 8 auf den Erfahrungen der Betroffenen beruhen; sonst ist sie keine empirische Wissenschaft, haben Sie einmal gesagt. Es ist Ihr Verdienst, dass sich Betroffene, Angehörige und Therapeuten heute auf Augenhöhe begegnen. Ihr großes Lebenswerk verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung sind Sie für ihren ehrenamtlichen Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet worden, 2008 erhielten Sie das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für Ihren Einsatz für eine bessere Psychiatrie. Heute kommt noch eine Auszeichnung hinzu: Im Namen des Präsidenten des Senats überreiche die Medaille für Treue Arbeit im Dienst des Volkes in Silber der Freien und Hansestadt Hamburg.
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