Arbeitsgemeinschaft zum Schuldrecht, allgemeiner Teil im SS 2007 Beatrice Brunner Thomas Habbe Henry Posselt
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- Christoph Hochberg
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1 Fall 9: Powerball Der Hobbyalpinist Reinhold (M) findet beim Surfen im Internet am 03. März ein Angebot der Yeti-AG (A), welche auf ihrer Homepage einen Powerball (Trainingsgerät für Kletterer) zu supergünstigen Preisen (20 ) anbietet. Auf der Homepage wird der Käufer über sein Widerrufsrecht belehrt; diese Belehrung entspricht den Vorgaben der BGB-Informationsverordnung und kann ausgedruckt werden. Nachdem M diese Belehrungen gelesen hat, bestellt er per den Powerball. Die Firma Yeti schickt den Ball am 06. März von ihrem Lager ab. Er geht dem M am 08. März zu. Am gleichen Tag überweist M den Kaufpreis. Da sich M aber kurzfristig zu einem Trip in den Himalaja entschließt, kann er den Ball erst im April benutzen. Dabei fällt ihm auf, dass das Gerät völlig nutzlos ist. Zu allem Überfluss wird der Ball bei einer Kletterpartie beschädigt, als ein Gesteinsbrocken auf den an der Felswand liegenden Rucksack des M fällt. Selbst der sehr erfahrene M konnte das nicht voraussehen. Am Powerball entsteht ein Schaden von 15,-. Trotzdem erklärt M am 08. April der A gegenüber schriftlich den Widerruf des Kaufvertrages und fordert die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises. Den Ball schickt er jedoch nicht zurück, da er der Meinung ist, dass A sich den Ball abholen müsse. Die Yeti-AG ist mit der Rückzahlung nicht einverstanden. Hilfsweise rechnet sie mit Ansprüchen wegen der Beschädigung auf. Außerdem ist sie der Ansicht, M müsse zunächst den Ball zurücksenden. Kann M von A die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen? Bearbeiter: Henry Posselt 1
2 Lösungsvorschlag In Betracht kommt ein Anspruch M gegen A auf Rückzahlung des Kaufpreises aus 346 Abs. 1 BGB. A) Anspruch entstanden Zu einem Rückabwicklungsverhältnis gemäß 346 ff. BGB führt auch die Ausübung eines Widerrufsrechts, 357 Abs. 1 S. 1 BGB. I. Widerrufsrecht In Betracht kommt hier das Widerrufsrecht gemäß 312 d Abs. 1 S. 1 BGB; ein solches Widerrufsrecht setzt einen Fernabsatzvertrag gemäß 312 b BGB voraus. 1) Vertragsschluss a) Konsens, 145 ff. BGB Plus: In der des M liegt der Antrag, in der Ausführung der Bestellung gemäß 151 S. 1 Var. 1 BGB. b) Unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln Plus: Fernkommunikationsmittel sind gemäß 312 b Abs. 2 BGB Kommunikationsmittel, die ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien eingesetzt werden können, insbesondere u.a. s. c) Im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems Plus: Hier im Sachverhalt keine Angaben; wird aber vermutet. Entscheidend ist die Struktur des anbietenden Unternehmens, vgl. Bülow/Artz, NJW 2000, S (2053). Erforderlich ist, dass Fernkommunikationsmittel nicht nur gelegentlich oder ausnahmsweise, sondern regelmäßig und systematisch zur Vertragsanbahnung und -abwicklung eingesetzt werden; das Unternehmen muss nicht ausschließlich im Fernabsatz tätig sein. Diese Voraussetzung fehlt häufig bei Internetauktionen, wenn der Verkäufer nur gelegentlich Waren auf diese Weise verkauft. 2) Vertragsparteien Plus: Ein Fernabsatzvertrag setzt voraus, dass der Lieferant/Dienstleister gemäß 14 BGB Unternehmer und die andere Vertragspartei gemäß 13 BGB Verbraucher ist. 3) Vertragsinhalt Plus: Ein Fernabsatzvertrag setzt voraus, dass die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen vereinbart ist. Widerrufserklärung 1) Erklärung Plus: Entsprechend erklärt hat sich M; die Widerrufserklärung ist A insbesondere zugegangen. 2) Form Plus: Gemäß 355 Abs. 1 S. 2 BGB Textform; M widerruft hier schriftlich. 3) Frist a) Fristbeginn Die Widerrufsfrist beginnt grundsätzlich mit einer Belehrung, die den Anforderungen von 355 Abs. 2 S. 1 BGB genügt. Abweichend davon hängt bei Fernabsatzverträgen der Fristbeginn gemäß 312 d Abs. 2 BGB von einer Information des Verbrauchers ab, die den Anforderungen von 312 c Abs. 2 BGB genügt; im elektronischen Geschäftsverkehr Bearbeiter: Henry Posselt 2
3 muss diese Information zudem gemäß 312 e Abs. 3 S. 2 BGB den Anforderungen von 312 c Abs. 1 BGB genügen. Hier sind elektronische Fernkommunikationsmittel zum Einsatz gekommen, so dass die Anforderungen kumulieren. aa) Ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung Hinsichtlich Inhalt und Gestaltung der Widerrufsbelehrung verweisen 312 c Abs. 2, 312 e Abs. 1 Ziff. 2 BGB auf die BGB-Informationsverordnung. Die Widerrufsbelehrung muss jedoch dem Verbraucher zudem gemäß 312 e Abs. 1 Ziff. 2 BGB rechtzeitig vor Bestellung und gemäß 312 c Abs. 2 Ziff. 2 BGB spätestens bei Lieferung in Textform mitgeteilt werden. Die Belehrung der A genügt nicht gemäß 126 b BGB der Textform, weil einer Internetseite die Dauerhaftigkeit fehlt. Zudem setzt eine Mitteilung in Textform voraus, dass ein Exemplar der Belehrung beim Verbraucher verbleibt; auch das trifft hier nicht zu. Ob es genügt, dass die Widerrufsbelehrung ausgedruckt werden kann, ist umstritten: Wie hier MünchKomm/Einsele (2001) 126 b BGB Rz. 4; a.a. bspw. Anwaltskommentar/Noack (2002) 126 b BGB Rz. 12. Zu den Anforderungen an die Mitteilung vgl. Anwaltskommentar/Ring (2002) 355 BGB Rz. 28 f.; Lorenz JuS 2000, S. 833 (837). bb) Weitergehende Information Gemäß 312 e Abs. 1 Ziffn. 1, 3 u. 4 BGB hängt der Fristbeginn zudem von einer weitergehenden Information des Verbrauchers ab; dass A diesen Informationspflichten nachgekommen ist, lässt sich dem Sachverhalt ebenfalls nicht entnehmen. 4) Fristende Die Widerrufsfrist beträgt im Falle ordnungsgemäßer Belehrung bei Vertragsschluss gemäß 355 Abs. 1 S. 2 BGB zwei Wochen; holt der Unternehmer die ordnungsgemäße Belehrung nach, beträgt die Widerrufsfrist gemäß 355 Abs. 2 S. 2 BGB vier Wochen. Zur Fristwahrung genügt gemäß 355 Abs. 1 S. 2 BGB das rechtzeitige Absenden der Widerrufserklärung. Hier spielt das Fristende keine Rolle, weil die Frist gar nicht läuft; in der Klausur bedürfte es daher keiner Ausführungen zum Fristende. Dass hier trotzdem darauf eingegangen wird, soll nur den Fortgang der Prüfung verdeutlichen, falls die Frist läuft. I Ausschluss des Widerrufs? 1) Nicht erfasste Verträge Minus: Die Ausnahmetatbestände 312 b Abs. 3, 312 d Abs. 4 BGB greifen nicht. 2) Verletzung weitergehender Informationspflichten Minus: A hat nicht gemäß 355 Abs. 3 BGB ordnungsgemäß belehrt. Hat der Unternehmer ordnungsgemäß belehrt, läuft die Widerrufsfrist aber wegen Verletzung weitergehender Informationspflichten nicht, erlischt das Widerrufsrecht gemäß 355 Abs. 3 BGB nach sechs Monaten. Solche Informationspflichten ergeben sich nur aus 312 c Abs. 1 Ziffn. 1, 3 u. 4 BGB (siehe oben) und 485 Abs. 2 BGB. IV. Ein Anspruch M gegen A auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 20 aus 346 Abs. 1 BGB ist entstanden. Bearbeiter: Henry Posselt 3
4 B) Anspruch untergegangen In Betracht kommt ein Erlöschen des Anspruchs gemäß 387, 389 BGB. I. Aufrechnungserklärung Wirksam erklärt hat A die Aufrechnung noch nicht; das kann sie aber jederzeit tun. Die Aufrechnungserklärung ist eine einseitige und rechtsgestaltende Willenserklärung und daher insbesondere bedingungsfeindlich; A erklärt die Aufrechnung aber hilfsweise, also unter der Bedingung, dass M zum Widerruf berechtigt ist, 133 BGB. Außerhalb eines Zivilprozesses bleibt eine solche Aufrechnungserklärung ohne Wirkung. Aufrechnungslage 1) Gegenanspruch In Betracht kommt ein Anspruch A gegen M auf Wertersatz wegen der Beschädigung des Powerballs aus 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 2 Ziff. 3 BGB. a) Wirksamer Widerruf Plus, siehe oben. b) Verschlechterung Plus: Der Powerball ist durch den Steinschlag beschädigt worden. c) Ausschluss des Wertersatzes? aa) bb) Bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme Minus: Der Powerball ist nicht gemäß 346 Abs. 2 Ziff. 3, 357 Abs. 3 S. 1 BGB durch die Ingebrauchnahme selbst entwertet worden. Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten Minus: M hat zwar gemäß 277 BGB die eigenübliche Sorgfalt beachtet; M wusste aber gemäß 357 Abs. 3 S. 3 Var. 2 BGB von seinem Widerrufsrecht, weil er die Widerrufsbelehrung gelesen hatte. 2) Gleichartigkeit Plus. 3) Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs (Aktivforderung) Plus: Der Wertersatzanspruch A gegen M ist gemäß 271 Abs. 1 BGB sofort fällig; Einreden des M sind nicht ersichtlich. Insbesondere besteht wegen der Gleichartigkeit kein Leistungsverweigerungsrecht gemäß 348, 320, 322 BGB. 4) Erfüllbarkeit des Anspruchs (Passivforderung) Plus: Der Rückzahlungsanspruch ist gemäß 271 Abs. 1 BGB sofort erfüllbar. I IV. Ausschluss der Aufrechnung? Minus. M muss damit rechnen, dass A die Aufrechnung erklärt und den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 15 zum erlöschen bringt. C) Anspruch durchsetzbar In Betracht kommt eine vereinfachte Durchsetzung im Wege der Aufrechnung gemäß 387, 389 BGB. A hat gegen M eine gleichartige Forderung. Bearbeiter: Henry Posselt 4
5 I. Durchsetzbarkeit des Anspruchs (Aktivforderung) Der Rückzahlungsanspruch M gegen A ist gemäß 271 Abs. 1 BGB fällig; in Betracht kommt jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht des A aus 348, 320, 322 BGB. 1) Gegenanspruch Plus: A hat gegen M einen Anspruch auf Rückgabe und Rückübereignung des Powerballs aus 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1 BGB, der gemäß 271 Abs. 1 BGB fällig und nicht einredebehaftet ist; insoweit relevant sind nur peremptorische Einreden, vgl. Fall Nr. 2a. 2) Synallagma Plus: Die erforderliche Verknüpfung ordnet 348 BGB an. 3) Kein Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts Plus. 4) Einrede erhoben Plus: Eine entsprechende Willensbetätigung des A liegt in dem Hinweis, M müsse den Ball zurücksenden, 133 BGB. A hat ihr Leistungsverweigerungsrecht aus 348, 320 BGB geltend gemacht; der Rückzahlungsanspruch M gegen A ist gemäß 322 BGB nur Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Powerballs und damit nicht im Wege der Aufrechnung durchsetzbar. D) Ergebnis M hat gegen A Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 20. M muss aber zum einen damit rechnen, dass A gegen ihren Anspruch auf Wertersatz wegen der Beschädigung des Powerballs in Höhe von 15 aufrechnet. Zum anderen ist der Anspruch nur Zug um Zug gegen Rückgabe des Powerballs durchsetzbar; das bedeutet, M muss zuvor das ihrerseits Erforderliche tun und gemäß 357 Abs. 2 S. 1 BGB den Powerball zurücksenden. Wiederholungs- und Vertiefungsfragen: 1. Warum stellt das Freischalten von Internetseiten kein Angebot dar? 2. Welche Voraussetzungen haben Gestaltungsrechte im Allgemeinen? 3. Nennen Sie vier Gestaltungsrechte! 4. Nennen Sie 4 Vorschriften, in denen ein gesetzliches Rücktrittsrecht geregelt ist! 5. Welche Rechtsfolgen hat ein wirksamer Rücktritt? 6. Nennen Sie vier Vorschriften, in denen ein gesetzliches Widerrufsrecht geregelt ist! 7. Welche Voraussetzungen hat ein Widerrufsrecht bei einem Fernabsatzvertrag? 8. Wann beginnt die Widerrufsfrist im Allgemeinen, und wann beginnt sie bei Fernabsatzverträgen? 9. Wo ist die Textform im BGB geregelt? 10. Welche unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Widerruf im Vergleich zum Rücktritt? Bearbeiter: Henry Posselt 5
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