Beitrag: Skandalgewehr G36 Insider packen aus

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1 Manuskript Beitrag: Skandalgewehr G36 Insider packen aus Sendung vom 19. Mai 2015 von Arndt Ginzel, Andreas Halbach und Uli Stoll Anmoderation: So, das Sturmgewehr G36 ist also nicht treffsicher. Das ist ein Skandal und so haben wir es unsererseits treffsicher - auch schon 2012 berichtet. Noch skandalöser erscheint uns aber aus heutiger Sicht, wie die Verantwortlichen die Mängel leugneten. Jedes noch so miese Mittel war ihnen dabei recht. Da wurden Warnmeldungen aus der Truppe unterdrückt, Kritiker kaltgestellt, Journalisten ins Visier genommen. Die Bundeswehr-Bürokraten versagen bei der Beschaffung, vertuschen ihre Fehler und verspielen das Vertrauen der Soldaten, denn die bezahlen für die Fehler im System - vielleicht mit ihrem Leben. Jetzt packen Insider aus bei unseren Reportern Andreas Halbach, Arndt Ginzel und Ulrich Stoll. Text: Maschinenbauingenieur Dieter Jungbluth war viele Jahre Waffenund Munitionsexperte beim Beschaffungsamt der Bundeswehr sollte er Schäden an drei G36-Gewehren untersuchen. Ich hatte ein Vorkommnis aufzuklären und hab da nach Unterlagen gesucht. Dabei hab ich festgestellt, dass die Waffe schon nach 30 Schuss ein erhebliches Problem hat durch die Temperatur. Das Gewehr wird heiß und trifft nicht mehr. Jungbluth stieß schnell auf weitere Probleme: Das gesamte Kunststoffgehäuse nimmt nach vier Jahren Wasser auf, quillt und führt zu neuen Problemen bezüglich der Präzision und Treffpunktverlagerung der Waffe. Ich habe ein weiteres Problem beim G36 erkannt. Dieses Sicherheitsmanöverpatronengerät sitzt auf der Mündung und

2 bei verstopften Düsen entsteht so ein hoher Innendruck, dass es sich von der Mündung losreißt und auf die Kameraden zufliegt, sie verletzen kann, ja, sogar töten kann. Ein Gewehr, das nicht richtig funktioniert und den Schützen in Lebensgefahr bringt? Davon wollten seine Vorgesetzten nichts hören, erklärten ihn einfach für verrückt. Alle Berichte, die ich bis dahin zu den Waffen abgegeben hatte und Kritik geübt hatte, die wollte man damit vom Tisch fegen, nach dem Motto: Das hat ja ein Kranker geschrieben. Jungbluth wurde versetzt, recherchierte aber heimlich weiter - aus Sorge um die Sicherheit der Soldaten. Dem Waffeningenieur gelang es, eine Pannenserie am G36 aufzudecken. Die begann schon in den 90er Jahren. März Damals vergleichen Gebirgsjäger in Mittenwald zwei Gewehre von verschiedenen Herstellern: Im vertraulichen Testbericht, der Frontal 21 vorliegt, erhält das österreichische Gewehr Steyr AUG das Prädikat truppenverwendbar. Das andere Gewehr aber fällt durch: nicht truppenverwendbar. Es ist das G36 von Heckler & Koch. Der Hersteller behauptet heute, bei dem Testgewehr handelte es sich damals um ein Vor- Modell, das so nicht in Serie gegangen sei. Doch nur drei Monate nach dem negativen Test von 1994 bescheinigt die Bundeswehr dem G36 die technische Verwendungsreife und kauft beim Hersteller in Baden- Württemberg bis heute rund Gewehre. Das G36 wird Standardwaffe der Truppe. O-Ton Jan van Aken, DIE LINKE, MdB, Mitglied Aus der Truppe hat es damals schon Kritik gegeben. Wir sehen, dass innerhalb kürzester Zeit die Entscheidung für Heckler & Koch gefallen ist. Ich glaube, schon damals war im Ministerium eine Art Seilschaft am Werk. Bei der damals unterlegenen Firma Steyr-Mannlicher in Österreich wundert man sich bis heute. Denn schließlich ist ihr Sturmgewehr weltweit im Einsatz ohne Probleme. Die Bundeswehr aber erklärt gegenüber Frontal 21, das österreichische Gewehr sei letztlich nicht truppenverwendbar gewesen. Dem widerspricht der Steyr-Geschäftsführer: O-Ton Michael Engesser, Geschäftsführer Steyr-Mannlicher Österreich:

3 Wir haben schlussendlich mit einer funktionsfähigen Waffe, vollfunktionsfähigen Waffe nach meinen Erfahrungen die Ausschreibung gewonnen und sind trotzdem aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten vermutlich nicht zum Zug gekommen. Seit Jahren beklagen Soldaten Probleme mit dem G36. Das Gewehr schieße im Kampfeinsatz bei Dauerfeuer unpräzise, wenn es heiß wird. Das ist lebensgefährlich für die Soldaten. Der Journalist und Waffensachverständige Lars Winkelsdorf recherchierte auch für Frontal 21 zum G36. Er hatte von Soldaten Hinweise auf Präzisionsprobleme beim Pannengewehr bekommen. O-Ton Lars Winkelsdorf, Mitarbeiter Frontal 21: Ich hatte bereits 2011 mit dem Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe Hintergrundgespräche geführt, in denen diese Probleme auch tatsächlich bestätigt worden sind. Dass nun anschließend diese Hintergrundgespräche vom Verteidigungsministerium verwendet worden sind, um offensichtlich mein journalistisches Umfeld auszuforschen, um hier aktiv tätig zu werden - auch gegen meine Quellen, das finde ich höchst dubios. In einem vertraulichen Vermerk der Bundeswehr heißt es: Nutzungsleiter Handwaffen (Oberstleutnant W.) wird MAD einschalten wegen Weitergabe amtsinterner Informationen an Herrn Winkelsdorf durch Unbekannt. Heute bestreitet das Verteidigungsministerium, dass der Militärische Abschirmdienst im Fall Winkelsdorf aktiv geworden ist. Die Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr in Meppen. Auch hier testete man schon seit 1994 das G36 immer wieder. Zuletzt hieß es 2012: Das Heckler & Koch-Gewehr schießt daneben. So fordern die Techniker: die vorgesehene Beschaffung G36...nicht zum Haushalt 2013 anzumelden. Doch der zuständige Beamte Gerhard C. in der Rüstungsabteilung des Ministeriums ignoriert die Warnungen seiner Wehrtechniker. Trotz der schlechten Testergebnisse ordnet er per an: die Beschaffungsplanung zum G36 weiterzuführen

4 Auftretende Verzögerungen kann ich aufgrund der klaren Weisungslage... nicht akzeptieren. Diese Anweisung hätten dem Beamten zum Verhängnis werden können. Denn die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelte gegen Gerhard C. wegen des Verdachts der Untreue. Doch der Beamte kam davon. Die Bundeswehr beauftragte das Fraunhofer-Institut Ernst-Mach in Freiburg, kurz EMI, mit einem Gutachten. Danach liege die mangelnde Treffsicherheit nicht am Gewehr, sondern nur an der Munition. Aufgrund dieser Gutachteraussage stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Gerhard C. ein. O-Ton Jan van Aken, DIE LINKE, MdB, Mitglied Plötzlich gab es ein Gutachten, das dem G36 wissenschaftlich bescheinigt: Es ist vollkommen in Ordnung. Damit kann es natürlich auch kein Fehlverhalten mehr geben, auf der oberen Ebene. Auftraggeber für das umstrittene Gutachten war die Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums. Hier war der Beamte Bernd G. verantwortlich. Als Bundestagsabgeordnete kürzlich G.s Schriftwechsel mit dem Ernst-Mach-Institut sehen wollen, erlebten sie eine böse Überraschung. Das Ministerium teilt mit: dass... Herr G.... zwischenzeitlich pensioniert und daher auch sein elektronischer Briefkasten gelöscht worden sei. Vertuschung und Tricksereien in der Rüstungsbeschaffung gehen also weiter auch unter Ministerin Ursula von der Leyen, kritisiert die Opposition. O-Ton Agnieszka Brugger, B 90/GRÜNE, MdB, Mitglied Frau von der Leyen hat ja auch angekündigt, dass sie im Beschaffungsbereich grundsätzlich aufräumen will und dafür sorgen will, dass solche Vorgänge nicht mehr vorkommen. Und das war der erste Ernstfall und da hat sie aus meiner Sicht versagt. Ursula von der Leyen will das Gewehr G36 jetzt aussortieren. Dem kaltgestellten Waffeningenieur Dieter Jungbluth reicht das nicht: O-Ton Dieter Jungbluth, Beamter i.r. Bundesamt für Beschaffung und Wehrtechnik: Ich erwarte, dass, nachdem die Schäden beim G36 anerkannt sind und korrekt eingestuft werden, dass meine

5 Rehabilitierung durch die Frau Ministerin korrekt erfolgt und damit mein Ansehen und meine Reputation wieder hergestellt wird. Das G36, es steht für jahrzehntelange Kungelei zwischen Beamten und Rüstungsindustrie - ohne Rücksicht auf die Soldaten. Abmoderation: Übrigens: Als Frontal bei Heckler & Koch wegen des G36 anfragte, schossen die scharf: Schon wer den Begriff Mangel für ihre Waffen verwende, werde juristisch belangt. Die wussten schon, warum. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.