Rede Hans Klingelstein Bewährungshelfer am Landgericht Augsburg
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- Marcus Hartmann
- vor 6 Jahren
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1 - 1 - Rede Hans Klingelstein Bewährungshelfer am Landgericht Augsburg Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Moderne Zeiten in der Bewährungshilfe Mein Vortrag sollte mit anderen Worten beginnen. Aber ein aktuelles Ereignis hat hier den Vorrang: Wie sie wissen, wurde zu Beginn der vergangenen Woche in Paderborn ein 8jähriges Mädchen vermisst, das wenige Tage später tot aufgefunden wurde. Es war Opfer eines Sexualverbrechens geworden. Ich mache meine folgenden Ausführungen im Gedanken an dieses Mädchen. Für jeden von uns ist die Vorstellung eines Sexualverbrechens an einem Kind die Horrorvorstellung schlechthin. Für mich als Vater waren entsprechende Assoziationen früher der Grund, die Zusammenarbeit als Bewährungshelfer mit Sexualstraftätern abzulehnen. Ich erwähne das um deutlich zu machen, dass bei allem Einsatz für Täter, auch für Sexualstraftäter, sowohl die persönlichen Ressourcen einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers als auch das Verständnis für eine Straftat begrenzt sind.
2 - 2 - Moderne Zeiten in der Bewährungshilfe modern ist in der Bewährungshilfe, dass wir keine Zeit haben. Modern steht lt. Wikipedia als Synonym für das, was aktuell ist. Aktuell in der Bewährungshilfe sind zu allererst Probanden. Davon haben wir viele in Bayern. 18, 20, oder sind es ? Ist egal, irgendwann hört man auf zu zählen. Wofür immer wieder neue Statistiken erstellen? Die Zahlen steigen seit Jahren. Was Probanden so alles mitbringen? Jeder der kommt, hat eine oder mehrere Straftaten begangen, die er möglichst nicht wiederholen sollte % von ihnen sind mehr oder minder gefährliche Sexualstraftäter. über die Hälfte hat keinen vernünftigen Schulabschluss, vom Berufsabschluss ganz zu schweigen, mindestens genauso viele haben keine Arbeit und leben von Hartz IV, viele der anderen leben einen Monat lang von einem sog. Arbeitseinkommen, das wir mal schnell für ein Wellnesswochenende ausgeben, mehr als 80 % haben ein Problem mit Alkohol oder Drogen, knapp die Hälfte hat in irgend einer Form Migrationshintergrund, den allermeisten fehlt es an entscheidender Stelle an Lebenskompetenz. und in der Regel bekommen wir von den Probanden mehrere dieser Mitbringsel gleichzeitig präsentiert. Mit und an diesen Problemen arbeiten wir, ganz oft in dem Gefühl, nicht genug geholfen, genug kontrolliert, nicht genug netzgewerkelt zu haben oder nicht genug innovativ zu sein. Das ist auch im Jahr 2009 moderne Bewährungshilfe. Seit einigen Jahren nun versuchen wir, über Qualitätsentwicklung Wege aus diesem Dilemma zu finden.
3 - 3 - Moderne Zeiten bedeuten Qualitätssicherung: Leider, oder Gott sei Dank, muss sich heute jede Einrichtung mit Qualitätssicherung befassen, also der Frage, welche Qualitätskriterien für die eigene Arbeit, für den eigenen Berufsstand gelten sollen, und mit welchen berufständischen Standards diese Qualität erreichet werden kann. Auch wir. Ob wir das wollen oder nicht. Jeder von uns erwartet in ganz alltäglichen Situationen von allen möglichen Berufssparten die Einhaltung von Qualitätsstandards: Vom Monteur dass er an der richtigen Stelle die Schraube setzt, vom Energielieferanten, dass er nur Ökostrom liefert, vom Arzt dass er seine Diagnose auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut, dass eine Gerichtsverhandlung nach bestimmten Standards dokumentiert wird und der Richter sein Urteil nach gesetzlichen Bestimmungen, also Standards, nachvollziehbar verfasst. Qualitätssicherung durch Standards sichert im Wirtschaftsleben die Existenz vieler Unternehmen, und ich glaube auch, dass sie die Existenz der Bewährungshilfe sichert und eine sinnvolle Weiterentwicklung ermöglichen. Die Diskussion um Standards in der Bewährungshilfe geht ja weit in die Anfänge zurück. Meilensteine dazu waren sicher Überlegungen zu Berufsfeldbeschreibungen Anfang der 70er-Jahre oder die Verabschiedung der Standards für Bewährungshilfe durch die ADB / ABB zu Beginn der 90er. Auch die Diskussion um Übertragbarkeit von Qualitätsentwicklungsprozessen aus dem Wirtschaftsleben in die Bewährungshilfe, hat die ABB bereits auf der 5. Landestagung 1996 mit einer Arbeitgruppe Soziales Management aufgegriffen. Konsequent hat sich die ABB als Berufsverband dann natürlich an der Qualitätsentwicklung in der Bayerischen Bewährungshilfe seit 2004 beteiligt. Bis zum Ende vergangenen Jahres wurden Standards für die Einzelfallarbeit mit Probanden, für Gruppen- und Projektarbeit, Schwerpunktsetzung, Einbindung von Ehrenamtlichen Mitarbeitern und anderen methodischen Ansätzen entwickelt. Seit Beginn dieses Jahres werden die Standards verpflichtend in den Berufsalltag implementiert.
4 - 4 - Unsere Standards zielen darauf, bei jedem Probanden möglichst genau hin zu schauen: was möchte er, was braucht er seiner Meinung nach. Aber auch, was braucht er unserer Meinung nach, was erwarten, ja was verlangen wir, was verlangt die Gesellschaft von ihm, auf was müssen wir besonders achten, damit das Ziel, eine straffreie Lebensführung, erreicht werden kann. Dazu werden verbindlich in sechs Lebensbereichen über jeden Probanden Daten erhoben, soweit sie mit Blick auf seine Straffälligkeit relevant sind. Zudem wird jeder Proband einem Sicherheitscheck und nichts anderes ist die sog. Risikoeinschätzung unterzogen, in dem er auf seine Rückfallgefährdung und hier insbesondere auf eine von ihm evtl. ausgehende Gefahr Straftaten gegen Leib und Leben Dritter zu begehen, überprüft wird. Mit den aus beiden Teilen gewonnenen Erkenntnissen werden individuelle Themen und Schwerpunkte für die Arbeit mit dem Probanden entwickelt und daraus folgende Ziele für Hilfe- und Kontrollmaßnahmen abgesteckt, die über sozialpädagogische Interventionen erreicht werden können. Dies alles geschieht in vordefinierten Ablauf- und Prozessschritten, die entsprechend dokumentiert werden und so eine transparente, nachvollziehbare, gleichbleibende und vergleichbare Dienstleistungsqualität sichern. Der Qualitätsprozess in den letzten 5 Jahren hat uns auch gezeigt, in welchen Bereichen wir dazu unsere Dienstleistung verbessern könnten. Eine Intensivierung der Schnittstellen- und Netzwerkarbeit, die stärkere Einbindung von Ehrenamtlichen Mitarbeitern, die Integration ergänzender oder alternativer Interventionsmodule bis hin zu einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit sind unbestritten Ziele, die anzustreben es sich lohnt. Auch mit der verbesserten Einbindung kriminologischer Erkenntnisse zu Ursachen und Bekämpfung von Kriminalität und einer auf wissenschaftlichen Kriterien basierende Einschätzung von Rückfallrisiken und Interventionsansätzen können wir die Entwicklung adäquater Hilfe-, Unterstützungs- und Kontrollformen erweitern.
5 - 5 - Letztlich geht es uns dabei immer darum, Qualität und Spektrum unserer sozialpädagogischen Leistungen zu verbessern, im Alltag zu verankern und für alle Probanden nutzbar zu machen. Die Standards erfüllen somit das, was zwar selbstverständlich klingt, aber nicht selbstverständlich ist, und m.e. bei der Betrachtung sehr oft zu kurz kommt: sie sichern Bayernweit erst mal jedem Probanden den gleichen Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit und unser Bemühen zu, und geben uns die grundsätzliche Möglichkeit, ja verpflichten uns sogar, uns jedem Probanden mit gleicher Aufmerksamkeit zu widmen. Und wir geben mit den Standards eine erste Antwort auf veränderte gesellschaftliche Anforderungen, die gefühlte Angst der Bevölkerung und das gestiegene Sicherheitsbedürfnis. Inzwischen finden wir dafür nicht mehr nur innerhalb der Bayerischen Justiz hohe Anerkennung, sondern erhalten bundesweit Beachtung und Aufmerksamkeit. Qualitätsentwicklung in der Bewährungshilfe ist inzwischen in allen deutschen Bundesländern in Gang gekommen. Wir haben hier sicher eine Vorreiterrolle übernommen.
6 - 6 - Moderne Zeiten bedeuten Fokussierung Sozialpädagogischer Interventionen auf Kontrollaufgaben und Risikomanagement : Wir wissen, wie wichtig die Stabilisierung und Verbesserung von Lebenslagen und die Begleitung im Rahmen einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung durch die Bewährungszeit für alle Probanden ist. Ziel unserer Arbeit ist die Integration des Klienten in das gesellschaftliche Leben. Denn Integration, an deren Ende die Anerkennung und Einhaltung von Gesetzen und gesellschaftlichen Normen steht, ist nun mal der beste Schutz vor einem Rückfall in erneute Straffälligkeit. (Mehre Fragen lassen wir an dieser Stelle mal Außen vor, wie etwa die, ab wann oder unter welchen Bedingungen man von einer gelungenen Resozialisierung sprechen kann, oder auch, ob unsere Gesellschaft nicht auch abweichendes und zu bestrafendes Verhalten braucht, um gesellschaftliche Normen immer wieder reflektieren und definieren zu können, und ob überspitzt gesagt - Ganoven nicht gerade deshalb eigentlich auch Stützen der Gesellschaft sind Bänker und Steuerhinterzieher nehmen dieses Attribut ja für sich durchaus gerne in Anspruch, warum nicht auch Eierdiebe) Fundament für eine erfolgreiche Arbeit in der Bewährungshilfe ist auch im Zeichen der Standards zum einen das Ziel, den Probanden bei der Verbesserung seiner Lebenslagen zu unterstützen. Vom individuellen Lebensbereich bis hin zum gesellschaftlichen Umfeld. Von jemandem, der mit knurrendem Magen in einer kalten Wohnung sitzt, kann ich nicht erwarten, dass er sich auf die Bearbeitung seiner Konfliktlösungsstrategien konzentriert. Und es ist schwer, jemanden zu ehrlicher Arbeitssuche zu motivieren, wenn er für die ehrliche Antwort zu seinen Vorstrafen aufgrund gesellschaftlicher Vorurteile nur Absagen erhält. Das zweite Fundament für erfolgreiche Arbeit in der Bewährungshilfe ist die Schaffung einer vertrauensvollen professionellen Arbeitsbeziehung zwischen Bewährungshelfer und Proband die es dem Probanden ermöglicht, sich zu öffnen, sich auf Veränderungen einzulassen. Das ist der Schlüssel dafür, dass Verhaltensweisen überdacht und notwendige Kompetenzen erwoben werden, und durch eine Veränderung der inneren Einstellungen eine dauerhafte Veränderung der Lebensführung erfolgt. Dies gilt natürlich im Besonderen für die Auseinandersetzung mit der Straftat und den dafür zugrunde liegenden Motivationen.
7 - 7 - Bedingt durch die Kritik, der die Justiz nach spektakulären Gewaltverbrechen immer wieder ausgesetzt ist und durch die nach wie vor steigenden Probandenzahlen wird der Blick auf unsere Tätigkeit immer mehr auf sog. Risikoprobanden eingeengt. Ich drück s mal modern aus: Die Integrationsfunktion der Bewährungshilfe wird reduziert auf den Prozess der Kontrolle innerhalb des Risikomanagements durch standardisiertes Ressourcenmanagement. Natürlich stellen wir uns den Risiken, also den Probanden, von denen möglicherweise besondere Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, versuchen adäquate sozialpädagogische Interventionsmöglichkeiten weiter zu entwickeln. Dazu gehört jedoch, wie gesagt, immer und grundsätzlich gerade auch bei diesem Personenkreis eine professionelle Arbeitsbeziehung. Sie ist um das noch einmal zu verdeutlichen- ein, wenn nicht im Verlauf der Unterstellungszeit, das wesentliche Element, das ein Erkennen und Analysieren der realen Gefahren zulässt, die von diesem Menschen ausgehen, auf die es mit adäquaten Interventionen zu reagieren gilt. Kontrolle als Einblick in Motive und Einstellungen sind also zu einem großen Teil quasi ein Nebenprodukt unserer sozialpädagogischen Arbeit. Der Umgang mit diesem Personenkreis erfordert zugleich eine sehr gute Abstimmung und Zusammenarbeit aller mit der Person befassten Stellen, also Netzwerke, die schnelle und unbürokratische Reaktionen ermöglichen. Hierzu wurden in den letzten Jahren auch von anderen Seiten durchaus gangbare Formen entwickelt. Das läuft zwar noch nicht überall rund, aber zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass es nicht heißen kann wer bekommt den schwarzen Peter, sondern dass wir Risiken nur durch gemeinsame Anstrengung und unvoreingenommene Auswertung juristischer, polizeilicher, prognostischer und sozialpädagogischer Erkenntnisse minimieren können. Denn keiner von uns kann in die manchmal sehr schrägen Köpfe hineinsehen.
8 - 8 - Die Fokussierung der Bewährungshilfe auf Risikoprobanden und Kontrolle birgt nach meiner Ansicht aber zwei wesentliche Probleme: Zum Einen sind wir dabei, Beratungs- und Behandlungskonzepte oder auch therapeutische Angebote für (gefährliche) Straftäter, die ja ursprünglich als Methoden zur selbstgewollten Persönlichkeitsveränderung konzipiert wurden, in reine Kontrollinstrumente zu verwandeln bzw. sie ausschließlich als Kontrollinstrumente im Rahmen des sog. Risikomanagements einzusetzen. Zum anderen finden Probanden, von denen scheinbar weniger Gefährdung für die Sicherheit der Bevölkerung ausgeht, insgesamt weniger Beachtung. Dies führt zu einer 2-Klassen- Gesellschaft innerhalb der Probanden. Nicht nur, dass wir damit den Gleichheitsgrundsatz beim weitaus größten Teil unserer Klientel verletzen - wir können und dürfen es nicht hinnehmen, dass die Integration von weniger gemeingefährlichen Tätern als zweitrangig angesehen wird. Auch sie haben das gleiche Recht auf gesellschaftliche Integration und die dazu nötige Unterstützung bzw. Kontrolle im Rahmen der Bewährungshilfe. Auch potentielle Opfer von Dieben und Betrügern haben ein Recht darauf, vor Rückfalltätern geschützt zu werden.
9 - 9 - Moderne Zeiten bedeuten Standardisierte Dokumentationsformen Selbstverständlich nutzen wir heute alle mehr oder weniger EDV zur Dokumentation unserer Arbeit. Mit der Entwicklung von Qualitätsstandards gewinnt Dokumentation einen anderen Stellenwert. EDV nicht mehr nur, um Aktenvermerke und Berichte zu schreiben und ein paar dazu notwendige Daten aufzunehmen. Sondern Dokumentation auch dazu, ein verbindliches Leistungsspektrum zu sichern und Arbeitsabläufe zu fixieren. Das Gespräch mit dem Probanden, alles was wir tun, soll nun dokumentarisch zerschnitten, und die einzelnen Gesprächsteile den mit dem Probanden zu bearbeitenden Themen bzw. Prozessen zugeordnet werden. Das verlangt eine deutliche Änderung des persönlichen Arbeitsstils, genauer gesagt des persönlichen Dokumentationsstils und nährt die Befürchtung, dass der Dokumentations- Aufwand zukünftig nicht geringer wird. Dies führt zu Widerständen, die ernst genommen werden wollen zusammen mit der durchaus begründeten Angst, dass Prozesssteuerung durch EDV dazu führt, den Probanden nicht mehr als ganzheitliches Individuum zu sehen, sondern nur mehr Teile seiner Persönlichkeit zu betrachten. Wenn wir jedoch als Standard formulieren, dass wir an Themen bzw. in Prozessen mit unseren Probanden arbeiten, dann müssen wir m.e. auch die Dokumentation entsprechend gestalten. Der bisherige Dokumentationsanteil unserer Arbeit beträgt derzeit geschätzt ca %; das war schon mal mehr; die Technik hat hier sicher zu Verbesserungen beigetragen, so dass wir trotz gestiegener Zahlen das Schreibwerk einigermaßen erledigen konnten. Die Anwendung neuer Dokumentationsinhalte und formen braucht gerade in der Einführungsphase ausreichend Zeit für Schulung und Einarbeitung, und die Verbindlichkeit in der Dokumentation darf nicht dazu führen, dass Bewährungshelfer mehr mit ihrem Computer als mit ihren Probanden kommunizieren. Insofern ist die EDV sicher noch nicht ganz optimal gelöst, aber wie Sie wissen, arbeiten wir daran.
10 Moderne Zeiten bedeuten dass es Qualität nicht zum Nulltarif gibt Wir sagen ausdrücklich ja zum Prozess der Qualitätsentwicklung. Mit den vorhandenen Ressourcen allerdings wird eine Umsetzung der Qualitätsstandards für Einzelfallhilfe nur unzureichend möglich sein. Von einer Umsetzung der Standards im Bereich ergänzender bzw. alternativer sozialpädagogischer Interventionsmodule ganz zu schweigen. Das liegt weder am Unwillen der Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer, auch wenn Beförderungsstau und extrem lange Wartezeiten nicht gerade motivationsfördernd sind. Landesweit immer wieder gezeigtes Engagement in Gruppen- und Projektarbeit mit Probanden oder der Einbindung und Schulung Ehrenamtlicher Kräfte und vieles mehr, für das sehr viel persönliche Freizeit geopfert wird, sind ein deutlicher Beleg für die Bereitschaft zu einer sehr intensivern Arbeit mit und für Probanden. Auch liegt es m.e. nicht am Unwillen des Dienstherren, der mit 15 neuen Planstellen (eine 5%ige Stellenmehrung - wo gibt s das heute noch?) respektable Anerkennung für unsere Arbeit ausdrückt und uns unterstützen will. Mir ist jedoch, abgesehen von den Sozialdiensten der JVAs, keine Einrichtung bekannt, in der mit nur annähernd entsprechend hohen Fallzahlen wie in der Bewährungshilfe gearbeitet werden muss. Wenn wir vergleichbare Arbeitsbereiche in anderen Behörden und Einrichtungen anschauen, wird deutlich, über welche Stellenpegel für die Bewährungshilfe wir uns m.e. unterhalten sollten. Die Betreuung gefährdeter Jugendlicher nach dem KJHG wird in meinem Zuständigkeitsbereich mit einem Schlüssel von 10 bis höchstens 20 Klienten je Mitarbeiter vergeben, und kann je nach Intensität und Notwendigkeit bis zu einer 1:1 Betreuung gehen. Von Maßnahmeträgern für Arbeitsmaßnahmen z.b. für schwer vermittelbare Jugendliche wird qua Ausschreibung als Qualitätskriterium ein Personalschlüssel von min. 1 : 25 verlangt. Im Vordergrund steht dabei das Bewusstsein und die Erfahrung, dass Ergebnisqualität sozialpädagogischer Arbeit in entscheidendem Maß vom Faktor Zeit abhängig ist; Zeit, die der einzelne Mitarbeiter für die Arbeit mit seinen Probanden zur Verfügung hat. Beim
11 gegenwärtigen Personalschlüssel wie wir ihn haben - mit 85 bis 95, oft sogar über 100 Probanden kann sich jeder ausrechnen, wie wenig Zeit uns für den einzelnen Probanden bleibt. Verschiedene Arbeitsgruppen der Landestagung geben Einblick und Anregung zu neuen, ergänzenden oder alternativen Interventionsformen. Dies zeigt, dass wir durchaus selbst nach Möglichkeiten suchen, unsere Kompetenzen und Ressourcen möglichst effektiv und effizient einzusetzen. Die Standards ermuntern uns ja dazu, solche Wege zu gehen. Aber das wird nicht ohne deutlichen Stellenzuwachs möglich sein. Realistisch betrachtet wird jedoch der dazu notwendige Ausbau der Bewährungshilfe nur Schritt für Schritt gehen können. Natürlich kostet das Geld. Aber selbst bei einer Verdoppelung des gegenwärtigen Personalschlüssels würde Bewährungshilfe immer noch nur einen Bruchteil der Kosten verursachen, die bestehende oder gar weitere Haftplätze dem Steuerzahler abverlangen. Und je schneller es gelingt, die Qualitätsstandards durch einen zügigen Ausbau in der Bewährungshilfe umzusetzen und zu verankern, desto besser sind die Integrationschancen und Kontrollmöglichkeiten für am Rande stehende Straftäter, und desto besser sind die Möglichkeiten, die Bevölkerung vor Straftaten zu schützen. Als Berufsverband ist die ABB aufgerufen, die Entwicklung der Bewährungshilfe auch weiterhin kritisch, zugleich konstruktiv und zuverlässig zu begleiten. Ich hoffe, dass es uns dabei gelingt, die Kompetenz jener Kolleginnen und Kollegen einzubinden, die diesen modernen Zeiten aus nachvollziehbaren Gründen kritisch gegenüber stehen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein Gutes Gelingen und eine erfolgreiche Landestagung.
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