EINE Welt Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden

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3 EINE Welt Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden Band 20 Die STIFTUNG ENTWICKLUNG UND FRIEDEN wurde 1986 auf Initiative von Willy Brandt unter Mitwirkung des damaligen Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau gegründet. Die überparteiliche und gemeinnützige Stiftung plädiert für eine politische Neuordnung in einer Welt, die zunehmend durch die Globalisierung geprägt ist. Die Arbeit der Stiftung beruht auf drei Prinzipien: globale Verantwortung, überparteilicher und interkultureller Dialog sowie interdisziplinäres Verstehen von Interdependenzen. Für diese Orientierung bürgen die führenden Persönlichkeiten der Stiftung. Dem Kuratorium stehen die Ministerpräsidenten der vier Stifterländer Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und Sachsen vor. Dem Vorstand gehören als Vorsitzender Staatssekretär a. D. Volker Kähne und seine Stellvertreter Staatssekretär a. D. Dr. Klaus Dieter Leister und Prof. em. Dr. Franz Nuscheler an. Vorsitzender des Beirates ist Prof. Dr. Dieter Senghaas. Geschäftsführerin der Stiftung ist Dr. Michèle Roth.

4 Franz Nuscheler / Michèle Roth (Hg.) Die Millennium- Entwicklungsziele Entwicklungspolitischer Königsweg oder ein Irrweg? Mit einem Vorwort von Minister Armin Laschet EINE Welt- Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden

5 EINE Welt. Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden. Lektorat: Dr. Thomas Siebold Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN-10: ISBN-13: Titelfoto: Make Poverty History-Marsch am 2. Juli 2005 in Edinburgh Picture Alliance/dpa/Chris Radburn Copyright 2006 by Stiftung Entwicklung und Frieden Gotenstraße 152, D Bonn, Alle Rechte: Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger GmbH Dreizehnmorgenweg 24, D Bonn Umschlaggestaltung: Groothuis & Consorten Druck und Verarbeitung: Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany 2006

6 Inhalt Vorwort 11 Einleitung FRANZ NUSCHELER, MICHÈLE ROTH 15 Die Millennium-Entwicklungsziele: ihr Potenzial und ihre Schwachstellen Eine kritische Zusammenfassung Kontroverse Debatte über die MDGs 16 Weichenstellungen zum UN-Millennium-Projekt 17 Make Poverty History: Mehr als alter Wein in neuen Schläuchen? 20 Ansatz- und Schwerpunkte der Kritik 23 Ist das Glas halb voll oder halb leer? 37 Zusammenfassung: Königsweg oder Irrweg? 39 Erster Teil: Was wurde bislang erreicht? THOMAS FUES 44 Ist das Glas halb voll oder halb leer? Die Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele in den einzelnen Weltregionen Umsetzungsstand bei den MDGs 46 Kritische Faktoren für die Erreichung der MDGs 53 Fazit und Ausblick 57 RICHARD BRAND 61 Mehr Worte als Taten? Der deutsche Beitrag zur Erfüllung der Millennium- Entwicklungsziele Das Aktionsprogramm Armutsbekämpfung, MDG- Orientierung und Wirkungsmonitoring 67 Geringe Ressour- 5

7 cenmobilisierung zur Entwicklungsfinanzierung 71 Entwicklungspolitische Kohärenz 76 Schlussbemerkung 78 JUTTA KRANZ-PLOTE 81 Chancen und Herausforderungen bei der operativen Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele Eine Innenperspektive Ein verbindlicher Referenzrahmen für die strategische Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit 81 Die deutsche EZ im Kontext der internationalen Prozesse zur Umsetzung der Millennium-Agenda 84 Eigenverantwortung der Entwicklungsländer und Partnerorientierung der Geber 85 Die deutsche EZ als Teil der internationalen Gebergemeinschaft 89 Die Wirksamkeit der EZ als entscheidendes Qualitätsmerkmal 90 Politikkohärenz als Voraussetzung für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit 95 Fazit 96 MICHÈLE ROTH 98 Armutsbekämpfung durch Massenmobilisierung? Die Kampagnen zu den Millennium-Entwicklungs zielen Zwischen Kooperation und Konkurrenz: die MDG-Kampagnen 99 Versuche einer Wirkungsanalyse 109»Cui bono außer Bono?«Zur Kritik an den Kampagnen 112 Fazit 114 Zweiter Teil: Nur kurieren an Symptomen? UWE HOLTZ 118 Die Zahl undemokratischer Länder halbieren! Armutsbekämpfung durch Demokratie, Menschenrechte und good governance Die MDGs: Fortschritt, aber fehlende politische Dimension 118 Was bedeuten Entwicklung und Demokratie? 122 Die»dritte Welle der Demokratisierung«124 Demokratie in der Mil- 6

8 lennium-erklärung, aber nicht in den MDGs 125 Demokratie, Menschenrechte und good governance als Voraussetzung und Ziel für die Realisierung der MDGs 127 Plädoyer für eine Ergänzung des MDG-Zielkatalogs 132 Schlussfolgerungen 135 KARIN KÜBLBÖCK 138 Schmerztherapie statt Ursachenbekämpfung? Eine strukturelle Kritik an den Millennium-Entwicklungszielen Entstehung der Ziele 138 Fortschritt oder Rückschritt? 140 Quick fixes für Armut? 142 Armut als technisches Problem Entpolitisierung der Armutsdebatte 143 Armut getrennt von Reichtum? 144 Ausblendung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen 146 Beschränkte Partnerschaft 149 Schlussfolgerungen 151 FRANZ NUSCHELER 155 Sinnentleerung des Prinzips Nachhaltigkeit Die Millennium-Entwicklungsziele haben eine ökologische Lücke Das Umweltproblem ist ein Kernproblem internationaler Entwicklung 156 Analyse der Problemlage, die dem MDG 7 zugrunde liegt 157 Statt gemeinsamer»globaler Verantwortung«ein Feilschen um Positionsvorteile 160 Die Millennium-Erklärung als Referenzdokument 161 Der diffuse Inhalt des MDG 7: Verflüchtigung des Leitbildes der globalen nachhaltigen Entwicklung 163 Vorschläge zur Verkoppelung von Umwelt- und Entwicklungspolitik 167 Fazit: Wider den Ungeist der ökologischen Bedenkenlosigkeit 169 VERONIKA WITTMANN 173 Gender und die Millennium-Entwicklungsziele Empowerment ohne Veränderung der Machtstrukturen? Die feministische Kritik an den MDGs 173 Gender in der Millennium-Erklärung: ein rudimentärer Bereich 177 Die Entmys- 7

9 tifizierung der MDGs durch den Gender-Blick 179 Fort- und Rückschritte bei der Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit 182 Ausblick auf 2015: Ohne Empowerment von Frauen wird kein MDG-Ziel erreicht werden 189 Dritter Teil: Herausforderungen STEPHAN KLINGEBIEL 194 Mit einem big push aus der Armutsfalle? Der Sachs-Bericht ist kein Patentrezept Afrika im Mittelpunkt der Debatte über eine neue Entwicklungspolitik 194 Die»Armutsfalle«: Ein Erklärungsansatz für Afrika südlich der Sahara? 197 Wie viel Hilfe hilft Afrika südlich der Sahara? 200 Wie wichtig ist Governance in Afrika südlich der Sahara? 202 Wirksamere Entwicklungspolitik 203 ROSS HERBERT 207 Wachstumsziele statt Entwicklungsziele Afrika braucht eine andere Reformagenda Die MDGs können Afrikas wirkliche Probleme nicht lösen 208 Kernpunkte für afrikanische Millennium-Wachstumsziele 212 Die politische Reformagenda 219 Afrika braucht eine andere Reformagenda 221 EVELINE HERFKENS, MANDEEP BAINS 223 Damit die Millennium-Entwicklungsziele nicht nur eine Vision bleiben Herausforderungen für den Norden Fortschritte bei der Umsetzung der MDGs 224 Mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit 229 Qualitativ bessere Entwicklungszusammenarbeit 231 Schuldenerlasse 234 Gerechtere Handelsregeln 235 Fazit 239 8

10 Anhang Die Millennium-Entwicklungsziele mit Zielvorgaben und Indikatoren 242 Autorinnen, Autoren und Herausgeber 249 9

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12 Vorwort Das Ereignis schrieb Geschichte nicht nur in Deutschland. Doch am Tag des Mauerfalls 1989 glaubten zunächst nur wenige daran, dass auch dem Ost-West-Konflikt ein rasches Ende beschieden sein würde. Umso größer war die Freude, als die globale Wende tatsächlich einsetzte nicht zuletzt deshalb, weil auch die Krisengebiete und armen Länder des Südens nach dem plötzlichen Ende des Kalten Krieges auf Frieden, Freiheit und wirtschaftliche Entwicklung hoffen konnten. Aber es kam anders. Ein weltweiter Entwicklungsschub, die»friedensdividende«, blieb aus. Kurz vor der Jahrtausendwende mussten die Vereinten Nationen eine bittere Bilanz ziehen: Mehr als eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut, immer mehr Menschen müssen hungern, und die Schere zwischen reichen und armen Staaten vergrößert sich zusehends. Gewiss, die 1990er Jahre waren geprägt von einer intensiven Debatte über nachhaltige Entwicklung. Sie schärfte etwa das Bewusstsein für die globalen Umweltveränderungen. Außerdem wurde das Phänomen der Globalisierung eingehend untersucht und auf Chancen und Risiken abgeklopft. Was jedoch am Ende dieses Jahrzehnts bei nüchterner Betrachtung übrig blieb, war kaum mehr als die Erkenntnis, dass alle bisherigen Entwicklungsanstrengungen die extreme Armut nur in Ansätzen lindern konnten. Politische Beschlüsse zur Bekämpfung der Armut blieben aber zunächst aus. Es mussten andere Faktoren hinzukommen, um den Handlungsdruck auf die Weltgemeinschaft zu erhöhen. Dazu gehörte die Aufbruchsstimmung, die vom Jahrtausendwechsel ausging. Nur so ist zu erklären, dass es gelang, am 8. September 2000 die»millennium-erklärung der Vereinten Nationen«und in ihrer Folge die acht Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) zu verabschieden ein Novum in der Geschichte der Entwicklungspolitik. 11

13 In jüngster Zeit werden die MDGs aber zunehmend kritisch diskutiert. Diese Auseinandersetzung ist wichtig, weil sie hilft, die Entwicklungsziele weiterzuentwickeln. Doch trotz berechtigter Kritik: Es sollte nicht vergessen werden, dass sich die Weltgemeinschaft auf ganz konkrete Ziele und einen verbindlichen Zeitrahmen zur Bekämpfung der Armut festlegt hat. Allein das war ein großer Schritt vorwärts weg von den zahlreichen wohl klingenden, aber unverbindlichen Erklärungen der Vergangenheit. Selbst die Gründungsmitglieder der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) wollten an globale Beschlüsse zunächst nicht so recht glauben. So heißt es in einer vom SEF-Vorstand in den 1980er Jahren formulierten Zielsetzung:»Uns eint die Vision einer Welt ohne Grenzen und Vorurteile, ohne Hunger und Angst vor Zerstörung. Wir sind uns bewusst, dass diese Vision weder heute noch morgen verwirklicht werden kann. Aber wir wollen uns dafür einsetzen, schrittweise jenem Ziel näher zu kommen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob wir uns als Weltbürger begreifen und in globaler Verantwortung handeln.«doch zurück in die Gegenwart: Mit der Millennium-Erklärung verfügen wir über einen konkreten Leitfaden für unser künftiges entwicklungspolitisches Handeln. Aber wir erreichen die MDGs nur, wenn sich alle entwicklungspolitischen Akteure bis 2015 gemeinsam auf die acht Entwicklungsziele konzentrieren. Die G8, die EU und die Bundesregierung schufen mit der Entscheidung, die Quote für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) bis 2015 stufenweise auf 0,7 % zu erhöhen und weit reichende Schuldenerlasse zu gewähren, auch einen finanziellen Grundstein für die armutsorientierte Entwicklungszusammenarbeit. Auch wenn die ODA-Quote zunächst vor allem durch die Schuldenerlasse stieg, werden die weiteren Steigerungen künftig doch frisches Geld bringen. Das freilich setzt voraus, dass die Regierungen im Norden ihre Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungs- 12

14 ländern einhalten was angesichts hoch verschuldeter öffentlicher Haushalte nicht einfach sein wird. Nordrhein-Westfalen, neben Berlin, Brandenburg und Sachsen Stifter der Stiftung Entwicklung und Frieden, konzentriert seine internationale Entwicklungszusammenarbeit ebenfalls auf die MDGs. So pflegen wir gute Beziehungen zu zahlreichen Entwicklungsländern und fördern die entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Nordrhein-Westfalen ist in diesem Bereich der größte Akteur unter den Bundesländern. Freilich müssen wir uns darauf konzentrieren, eine den Möglichkeiten unseres Landes angemessene Praxis der Entwicklungspolitik zu entwerfen und umzusetzen. Dies kann nur gelingen durch die Kooperation mit Partnern aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sowie durch die Nutzung landesspezifischer Standortpotenziale. Für Nordrhein-Westfalen steht das Millenniumziel 8, der Aufbau einer Internationalen Entwicklungspartnerschaft, im Mittelpunkt. Dabei legen wir den Schwerpunkt auf Afrika südlich der Sahara, eine Region, die in besonderem Maße unter Armut leidet. Die Konzentration auf ein Gebiet erlaubt es uns auch, unsere eigenen Förderprogramme zielgerichteter umzusetzen und die Aktivitäten unserer Partner aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft besser einzubinden. Eine wichtige Rolle werden dabei künftig die rund in unserem Land lebenden Menschen aus Afrika südlich der Sahara spielen. Ihre Potenziale als»brückenbauer«sind bislang noch weitgehend ungenutzt. Es geht nicht nur um die privaten Rücküberweisungen von hier lebenden Zuwanderern, die für viele arme Länder Afrikas eine wichtige Einnahmequelle darstellen und die öffentliche Entwicklungshilfe mittlerweile übertreffen, sondern vor allem darum, stabilere Kommunikationsbeziehungen zu afrikanischen Ländern herzustellen, kulturelle und sprachliche Barrieren zu verkleinern und die Rückkehr zu erleichtern. Es gibt aber noch weitere gute Gründe, die Kooperation mit Afrika auszubauen. Nordrhein-Westfalen ist das deutsche 13

15 Nord-Süd-Land. Fast alle wichtigen entwicklungspolitischen Einrichtungen sind bei uns zu Hause. Außerdem verfügen wir mit Bonn über den einzigen UN-Standort in Deutschland. Kurzum: Die Entwicklungspolitik und ihre Institutionen bereichern unser Land wie kaum ein anderes Politikfeld. Aber auch als Exportland ist es für Nordrhein-Westfalen wichtig, gute Beziehungen zu Afrika aufzubauen. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind vielfältig. Einen Schwerpunkt soll der Energiesektor bilden, in dem Nordrhein-Westfalen über besonders umfangreiche Erfahrungen verfügt. Im Bereich der erneuerbaren Energien zum Beispiel bieten sich eine Reihe von Kooperationen mit dem südlichen Afrika an. Und mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2010 in Südafrika werden wir unsere Partnerprovinz Mpumalanga bei ihren Vorbereitungen als Austragungsort unterstützen. Nordrhein-Westfalen wird sich aber nicht an den MDGs festklammern. Ziele wie Gute Regierungsführung, Frieden und Sicherheit sind für uns genauso wichtig. Gerade mit unseren Erfahrungen als Bundesland können wir Impulse für den Dezentralisierungs- und Demokratisierungsprozess in den Entwicklungsländern geben. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, den Blick über den Tellerrand zu richten. Deshalb engagiert sich Nordrhein-Westfalen in der Stiftung Entwicklung und Frieden. So entsteht wichtiges Know-how zu allen zentralen Fragen der globalen Entwicklung und Friedenssicherung. In diesem Sinne wird auch das vorliegende Buch den Blick auf die MDGs schärfen und einen Beitrag dazu leisten, dass die weltweite Armutsbekämpfung ihre Wirkung entfaltet. 14 Armin Laschet Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Mitglied im Kuratorium der Stiftung Entwicklung und Frieden

16 FRANZ NUSCHELER, MICHÈLE ROTH Die Millennium-Entwicklungsziele: ihr Potenzial und ihre Schwachstellen Eine kritische Zusammenfassung In einer Flut von Reden und Publikationen, die bei Google schon Millionen Webseiten füllen, finden sich viele Wortschöpfungen, um die Bedeutung der Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) in der Geschichte der internationalen Entwicklungspolitik hervorzuheben. Da war gar die Rede von einem neuen»mantra«(martens 2005). Dieses geheimnisvolle Wort kommt aus dem Sanskrit und bedeutet laut Fremdwörter-Duden eine als»wirkungskräftig geltende religiöse Formel«. Die Betonung liegt auf»wirkungskräftig geltend«, also auf dem quasi-religiösen Glauben, dass die Formel auch praktische Wirkungskraft entfaltet. Christa Wichterich (2005) entdeckte in den MDGs einen»entwicklungspolitischen Katechismus«, der ebenfalls religiös untermauerte Ge- und Verbote enthält und bei Zuwiderhandeln Strafen androht. Die MDGs haben offensichtlich die Bedeutung einer Beschwörungsformel gewonnen, die sowohl den Glauben als auch die Hoffnung stärkt, dass die acht MDGs (vgl. Anhang) im geplanten Zeitraum erreicht werden können; dass also eine Halbierung der in extremer Armut lebenden Menschen in den noch verbleibenden zehn Jahren trotz einer wachsenden Weltbevölkerung möglich sein wird. Die auf dem Millennium+5- Gipfel vom September 2005 vorgelegten Zwischenbilanzen nährten allerdings die Zweifel, dass die Ziele auch dort erreicht werden können, wo die Statistiken internationaler Organisationen in den ersten fünf Jahren wenig Fortschritte oder gar Rückschritte registrierten. Wie der Beitrag von Thomas Fues 15

17 zeigt, ist das Glas in globaler Perspektive schon halb voll, aber bei einer regionalen Aufschlüsselung der Daten an manchen Orten nicht einmal halb leer. Die Mantra-Formel verlor ihre Geltung als»wirkungskräftig«, aber nicht ihre Funktion als Beschwörungsformel: Denn dies ist gewiss, dass eine Erfolge nachweisende Politik der Armutsbekämpfung für eine nationale und internationale Entwicklungspolitik, die nicht den letzten Rest ihrer ohnehin angeschlagenen Glaubwürdigkeit und Legitimation verlieren möchte, die Nagelprobe bildet. Umfragen haben immer wieder zutage gefördert, dass die Menschen prinzipiell immer noch obgleich angesichts wachsender Sozialprobleme im eigenen Land immer weniger auch eine höhere Entwicklungshilfe akzeptieren würden, sofern sie davon überzeugt werden können, dass sie wirklich bei den Armutsgruppen ankommt. Kontroverse Debatte über die MDGs Es geht in diesem Sammelband weder um eine Romantisierung noch um eine Entmystifizierung des MDG-Mantra, sondern um eine nüchterne Bestandsaufnahme und Antwort auf die Titelfrage, ob die MDGs einen entwicklungspolitischen Königsweg oder eher einen Irrweg beschritten haben. Anders formuliert: Erweist sich der programmatische große Wurf bei näherem Hinsehen als ein letztlich hilfloses Kurieren an Symptomen der Armut? Oder gleichen sie gar, wie Ross Herbert vom South African Institute of International Affairs bissig kommentiert, einer politischen Camouflage, die von den wirklichen Problemen ablenkt? Zwar kommen die Beiträge überwiegend zu einer kritischen Bewertung einzelner MDGs und des»gesamtkunstwerkes«des MDG-Kataloges, aber nicht deshalb, weil sie das Ziel der Armutsbekämpfung nicht teilen, sondern weil sie in den MDGs nicht den richtigen Weg zu diesem Ziel erkennen 16

18 können. Die Kritik gilt also nicht dem Ziel, sondern dem vom MDG-Zielkatalog aufgestellten Wegweiser. Nach Einschätzung des Sachs-Reports (2005, 2) sind die MDGs»die am breitesten unterstützten, umfassendsten und konkretesten Vorgaben zur Verringerung der Armut, die die Welt je aufgestellt hat«. Breit unterstützt und konkret sind sie sicherlich, aber umfassend ist allenfalls die Millennium-Erklärung. Ein Hauptkritikpunkt dieses Bandes ist deshalb, dass sich von den vier in der Millennium-Erklärung formulierten grundlegenden, interdependenten Herausforderungen, denen sich die internationale Gemeinschaft stellen muss nämlich Frieden und Sicherheit, Entwicklung und Armutsbekämpfung, Schutz der Umwelt sowie Menschenrechte, Demokratie und good governance, drei in den MDGs nicht oder nicht angemessen wiederfinden. Auch andere, für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung höchst relevante, jedoch politisch brisante Themen wurden im MDG-Katalog ausgespart. Die Kritik zeigt, dass die allseitigen Bekenntnisse zu den MDGs keineswegs alle entwicklungspolitischen Kontroversen in einem allseitigen Konsens aufgehoben haben. Der vorliegende Sammelband zielt auf eine Rekonstruktion dieser Kontroversen und auf eine Überprüfung der Frage, welche Wirkungskraft die Mantra-Formel als»wirkungskräftig geltende religiöse Formel«in der praktischen Entwicklungspolitik entfalten konnte. Weichenstellungen zum UN-Millennium-Projekt Was die Staats- und Regierungschefs in der Millennium- Erklärung unterzeichneten, war schon vorher in vielen UN- Dokumenten und Berichten von internationalen Kommissionen enthalten. Es war also nicht neu, was plötzlich als Mantra der internationalen Entwicklungspolitik entdeckt wurde. Schon in den 1970er Jahren, als sich die Weltbank, damals unter 17

19 der Leitung von Robert McNamara, auf einen Kampf gegen die»absolute Armut«mittels einer Grundbedürfnisstrategie einschwor, überschlugen sich die UN-Organisationen und nationalen Entwicklungsbehörden mit den folgenden Ziel- und Willenserklärungen:»Nahrung für alle«(welternährungsorganisation),»gesundheit für alle«(weltgesundheitsorganisation),»bildung für alle«(unesco) oder sogar»arbeit für alle«(internationale Arbeitsorganisation). Diese hoch gesteckten Ziele sollten schon bis Ende des vergangenen Jahrhunderts erreicht werden. Auch die so genannten UN-Entwicklungsdekaden waren voll gepackt mit hohen Zielsetzungen, die am Ende der Dekaden jedes Mal unerfüllt blieben. Dann kam zu Beginn der 1980er Jahre, eingeleitet durch die Verschuldungskrise vieler Entwicklungsländer, die ordnungspolitisch vom Washington-Konsensus unterlegte»neo-liberale Wende«, die auch der als»armenpolitik«diskreditierten Grundbedürfnisstrategie den schnellen Garaus machte. Mit ihr kamen die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank mit dem Knüppel der Kreditverweigerung durchgesetzten Strukturanpassungsprogramme, die den zusätzlich von hohen Ölpreissteigerungen heimgesuchten Schuldnerländern makroökonomische Struktur- und Sparpolitiken aufzwangen. Sie forderten vor allem den Armutsgruppen ab, den ohnehin engen Gürtel noch enger zu schnallen. Der erzwungene Abbau von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Medikamente erschwerte das Überleben, die Einführung von Schulgebühren senkte die Einschulungsraten. Hier ging es um die basic needs des nackten Überlebens. Es waren damals neben den Nichtregierungsorganisatio nen (NGOs), die weltweit Kampagnen gegen diese Politik organisierten, auch UN-Organisationen wie das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), die eine»strukturanpassung mit menschlichem Gesicht«ohne allzu große soziale Grausamkeiten forderten. Die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- 18

20 wicklung (OECD), die nach der weltpolitischen Zeitenwende vom Ballast des Kalten Krieges befreit waren, konnten Berichte nicht mehr ignorieren, die eine Verschärfung des Armutsproblems und der in der»globalen Risikogesellschaft«(Ulrich Beck) auch auf sie zurück wirkenden armutsbedingten Folgeprobleme belegten. Sie erklärten bereits auf dem Kopenhagener Weltsozialgipfel von 1995 einen»krieg gegen die Armut«mit dem freilich illusionären Ziel ihrer weltweiten»ausrottung«. Gleichzeitig drängten sie die mächtigen Bretton Woods-Institutionen, in denen sie mit ihren überlegenen Kapitalanteilen das Sagen haben, zu Kursänderungen ihrer mit harten Konditionen ausgestatteten Kreditpolitik. Schon ein Jahr später formulierte die OECD in ihrem Strategiepapier»Shaping the 21 st Century«das Kernziel der MDGs, die Halbierung der statistisch errechneten Armutsquote (also des Anteils von Menschen mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 1 US-$ pro Tag). Zur Vorgeschichte der MDGs gehören die folgenden Erfahrungen und Weichenstellungen: Erstens die Erfahrung, dass die vielen Milliarden Dollar, die in den Süden flossen, das Anwachsen der Armut in einigen Weltregionen nicht aufhalten konnten und aus diesem Ver elendungswachstum auch dem reichen Norden Risiken erwachsen. Zweitens die Konsequenz, welche die OECD schon 1996 aus den Handlungsempfehlungen des Kopenhagener Weltsozialgipfels zog: nämlich die Willenserklärung zu einer Halbierung der Armutsquote. Drittens die Folgerungen, die die Bretton Woods-Institutionen auf ihrer gemeinsamen Jahrestagung vom Herbst 1999 aus dem Kurswechsel ihrer Anteilseigner zogen. Innovativ war vor allem ihr neuer Ansatz zum Schuldenmanagement, der in den Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs) verankert wurde und erstmals zivilgesellschaftliche Akteure beteiligte. 19

21 Viertens konnten die MDGs auf den Vereinbarungen aufbauen, die auf der Serie von Weltkonferenzen der 1990er Jahre im internationalen Konsens getroffen wurden. Diese Weltkonferenzen, auf denen die NGOs nicht mehr an Katzentische abgedrängt, sondern in die Verhandlungen einbezogen wurden, waren keine folgenlosen Rituale des internationalen Konferenztourismus, sondern in der Tat»Baustellen für Global Governance«(Fues/Hamm 2001). Weder das Kernziel Nr. 1, die Halbierung der Armutsquote, noch die weiteren Einzelziele im MDG-Zielkatalog können irgendeine Originalität beanspruchen. Man kann sie eher als einen»ultimative[n] Kraftakt der UN, um die Serie gescheiterter Entwicklungskonzepte mit einem pragmatischen Hauruck-Verfahren zu beenden«(wichterich 2005), sowie als einen Versuch dieser häufig kritisierten Weltorganisation deuten, durch eine spektakuläre Initiative ihre eigene Existenzberechtigung nachzuweisen. Auch deshalb engagieren sich Eveline Herfkens, die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Millennium Campaign, und ihre Kollegin Mandeep Bains in diesem Sammelband vehement für die MDGs. Make Poverty History: Mehr als alter Wein in neuen Schläuchen? Den Kritikern fallen viele Formulierungen ein, um das»mantra«der MDGs zu entmystifizieren. Sind sie wirklich nicht mehr als»viel Lärm um nichts«oder»alter Wein in neuen Schläuchen«? Es gibt mehrere Gründe, in ihnen doch etwas Neues und einen entwicklungspolitischen Befreiungsschlag zu entdecken, der aus den Orientierungs- und Legitimationsproblemen herausführen könnte, in welche die internationale Entwicklungspolitik nach der Verflüchtigung der geostrategischen Schubkraft, die ihr die Interessenlogik des Kalten Krieges verschafft hatte, geraten war. 20

22 Erstens: Es ist zwar richtig, dass alle Ziele und Forderungen, welche die MDGs in einem entwicklungspolitischen Achteck zusammenfassen, schon in diversen UN-Dokumenten und Absichtserklärungen von Weltkonferenzen auftauchten. Aber keiner dieser Forderungskataloge erhielt den Nachdruck, den die in New York versammelten Repräsentanten der Staatengemeinschaft der Millennium-Erklärung und den aus ihr abgeleiteten MDGs verliehen. Nach Ansicht von UN-Generalsekretär Kofi Annan haben die MDGs bereits das»antlitz der internationalen Entwicklungspolitik«verändert. Zweitens: Sechs der acht MDGs wurden erstmals und im Unterschied zu früheren ebenso ambitionierten, aber unverbindlichen Absichtserklärungen mit quantitativen und damit auch überprüfbaren Ziel- und Zeitvorgaben zu ihrer Verwirklichung gehärtet. Dies ist neu und setzt die entwicklungspolitischen Entscheidungsträger unter erheblichen Handlungsdruck. Drittens: Nie zuvor schienen sich alle Akteure über einen entwicklungspolitischen Zielkatalog so einig zu sein. Aber es stellte sich bald heraus, dass die Einigkeit über das Ziel keineswegs die Einigkeit über Mittel und Wege einschließt, wie dieses Ziel zu erreichen ist. So reaktivierten die Erfolge in China und Indien bei der Armutsbekämpfung die alte trickle down-streitfrage, ob die Armut am erfolgreichsten durch ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum bekämpft werden kann. Viertens: Nie zuvor wurden sowohl die Entwicklungs- als auch die Industrieländer so nachdrücklich angehalten, nationale Strategien zur Armutsbekämpfung zu erarbeiten. In Deutschland geschah dies bemerkenswert schnell durch das auch von der NGO-Szene gelobte»aktionsprogramm 2015«, das alle Ressorts in einen Verpflichtungskatalog einband, aber dem BMZ die Führungsrolle zuwies (vgl. den Beitrag von Brand). Fünftens: Eine wichtige Innovation enthalten nicht die MDGs selbst, sondern ein Instrument zu den im MDG 8 gefor- 21

23 derten Schuldenerlassen: nämlich das in den PRSPs verankerte Erfordernis der gesellschaftlichen Partizipation bei ihrer Gestaltung. Schuldenerlasse spielen für die Armutsbekämpfung eine wichtige Rolle, weil sie besonders die ärmsten und hoch verschuldeten Länder (HIPC) vom Druck befreien, erhebliche Anteile ihrer knappen Devisenerlöse für den Schuldendienst aufbringen zu müssen. Ebenso wichtig ist, dass nicht nur Bürokratien, sondern auch betroffene gesellschaftliche Gruppen mitentscheiden dürfen, für welche Zwecke die nach Schuldenerlassen verfügbaren Mittel verwendet werden sollen. Auf diese Weise wird möglich, was die zivilgesellschaftliche Entwicklungslobby schon lange gefordert hatte: Entschuldung für Entwicklung und für die Bekämpfung der Armut. Sechstens: Die Verkündung der MDGs förderte breite öffentliche Kampagnen und gab der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit einen kräftigen Schub. Selten zuvor beteiligten sich neben der buntscheckigen NGO-Gemeinde auch Ministerien, Bundesländer (wie NRW), Kommunen, Kirchen und Medien mit vielerlei Aktivitäten an einer Kampagne wie der von den Vereinten Nationen weltweit organisierten Millennium Campaign. VENRO, der Dachverband entwicklungspolitischer NGOs, organisierte und koordinierte zusammen mit Herbert Grönemeyer die nationale NGO-Kampagne Deine Stimme gegen Armut. Die Tatsache, dass mit Armin Laschet ein Landesminister und mit Eveline Herfkens eine UN-Repräsentantin Beiträge zu diesem Sammelband beisteuern, belegt dieses auf verschiedenen politischen Handlungsebenen verankerte Engagement für die MDGs. Die Unterstützung durch Popstars wie Bob Geldorf, Bono und Herbert Grönemeyer zur Mobilisierung der Massen wurde allerdings, wie der Beitrag von Michèle Roth zeigt, auch kritisch und gelegentlich gar höhnisch kommentiert. Unter anderem wurde den beteiligten Stars unterstellt, mehr für das eigene Image von Wohltätern der Menschheit als für die Sache zu werben. Welche Motive sie auch dazu bewogen haben mö- 22

24 gen, gegen die Armut in der Welt auf die Bühne zu gehen: Sie haben mehr Menschen erreicht als alle Informationskampagnen von UN-Organisationen, Ministerien und NGOs es alleine vermocht hätten. Angesichts des ernüchternden demoskopischen Nachweises, dass nach Umfragen von Euro barometer Ende 2004 nur 12 % der Europäer etwas mit den MDGs anzufangen wussten, ist der unerwünschte Nebeneffekt einer Personalityshow zu verschmerzen. Neu waren also nicht so sehr die Inhalte der MDGs, sondern das weltweite Echo, das sie auslösten. Es gab bisher in der internationalen Entwicklungspolitik keinen so großen Konsens und kein vergleichbares Momentum, feierliche Absichtserklärungen in rasche Taten umzusetzen. Diesem Zweck diente auch die Verdichtung der Millennium-Erklärung auf konkrete und mittels Indikatoren überprüfbare Ziele. Die MDGs mögen inhaltlich»alter Wein in neuen Schläuchen«gewesen sein, aber diese neuen Schläuche verliehen dem alten Inhalt hohe Aktualität und Dringlichkeit. Ansatz- und Schwerpunkte der Kritik Die internationale Diskussion über die MDGs hebt in der Regel die oben erwähnten positiven Aspekte hervor, reibt sich aber zunehmend auch an einigen Schwachstellen. Die Gewichtung von Lob und Kritik hängt dabei sowohl von subjektiven Wertentscheidungen als auch von entwicklungsstrategischen Überlegungen ab, die auf entwicklungstheoretische Debatten der vergangenen Jahrzehnte zurückgreifen. Die Leitfrage lautet: Bilden die MDGs den entwicklungspolitischen Königsweg für das beginnende 21. Jahrhundert oder erweisen sie sich nach einer nüchternen Analyse der sozio-ökonomischen und politischen Strukturen in den Zielländern und der internationalen Rahmenbedingungen eher als ein Irrweg? Dabei ist eine von Jutta Kranz-Plote in diesem Band betonte Einschränkung 23

25 wichtig: Die MDGs beschreiben»mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben«, stellen aber keine»umfassende Entwicklungsagenda«dar.»Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts«(willy Brandt) Das friedens- und entwicklungspolitische Credo von Willy Brandt, dem Friedensnobelpreisträger und Gründer der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), lautete: Ohne Frieden gibt es keine Entwicklung und ohne Entwicklung gibt es keinen Frieden. Dieses Credo liegt auch der Millennium-Erklärung zugrunde, wird aber im MDG-Zielkatalog gänzlich ausgeblendet. Seine Konstrukteure hätten bei der Friedens- und Konfliktforschung aussagefähige Indikatoren abrufen können, um den Schlüsselproblemen der Friedenssicherung und politischen Stabilisierung fragiler Staatsgebilde einen dem Problemdruck angemessenen Stellenwert zu geben. Welche elementare Bedeutung die Friedenssicherung für die Bekämpfung der Massenarmut hat, kann am Beispiel des an mineralischen Rohstoffen ungemein reichen, aber von Warlords und räuberischen Milizen terrorisierten sowie von externen Beutemachern ausgeplünderten Kongo ver deutlicht werden. Dieses potenziell reiche Land im Zentrum Afrikas könnte die Armut aus eigener Kraft überwinden könnte, wenn ihm mit internationaler Hilfe die Wiederherstellung einer funktionierenden Staatlichkeit und politische Stabilisierung gelingen würden; und wenn es außerdem die entäußerte Verfügungsgewalt über seinen Ressourcenreichtum zurück gewinnen könnte. Darüber hinaus ist dann allerdings good governance die bare Voraussetzung, dass dieser Reichtum auch der Bevölkerung zugute kommt. Ähnlich verhält es sich bei anderen fragilen oder schon kollabierten Staatsgebilden (failing states), zu denen in Afrika süd- 24

26 lich der Sahara ein Viertel aller Staaten gezählt wird (Debiel/ Werthes 2006). Sie sind allesamt beim Human Development Index und beim Poverty Index von UNDP oder beim neuen Bertelsmann Transformation Index an das Ende der Ranking-Tabellen zurückgefallen. Wie dramatisch die Lage in dieser Ländergruppe ist, belegte das britische Department for International Development (DFID) mit Zahlen: Die Müttersterblichkeit beispielsweise liegt hier dreimal so hoch wie in anderen armen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die MDGs in diesen Ländern umgesetzt werden können, schätzt das DFID auf unter 20 %. Es ist also nicht nachvollziehbar, warum sich die MDGs auch bei den Zielvorgaben und Indikatoren über das Kardinalproblem der Sicherheit ausschweigen. VENRO hat hierzu erste Anregungen entwickelt und schlägt unter anderem eine Beschränkung des Waffenhandels und die Reduzierung der nationalen Rüstungsausgaben als konkrete Ziele vor (VENRO 2006, 7). Allerdings kann die kontrollierte Lieferung von militärischen Ausrüstungsgütern sinnvoll und notwendig sein, um nationale Sicherheitskräfte in die Lage zu versetzen, das staatliche Gewaltmonopol und die innere Sicherheit zu bewahren. Keine Entwicklung ohne good governance, Demokratie und Menschenrechte Der UN-Generalsekretär räumte in seinem programmatischen Bericht zum Millennium+5-Gipfel unter dem Titel»In Larger Freedom«der Demokratie und den Menschenrechten einen ebenso hohen Stellenwert wie der Entwicklung und der Friedenssicherung ein. Dagegen hatte die diplomatische Rücksichtnahme der MDG-Konstrukteure auf die politischen Empfindlichkeiten vieler Entwicklungsländer abermals zur Folge, dass das Grundübel bad governance, vor allem in Gestalt der alle Lebensbereiche und politischen Entscheidungsebenen durchdringenden Korruption, verschwiegen wird. Uwe Holtz er- 25

27 kennt in seinem Beitrag im Zurückfallen der MDGs hinter die starken Bekenntnisse der Millennium-Erklärung und vieler anderer internationaler Konferenzbeschlüsse zu Demokratie und Menschenrechten die entscheidende Schwach- und Bruchstelle. Für ihn bildet eine auf der Achtung der Menschenrechte beruhende Demokratie die Voraussetzung dafür, dass die Armen zu ihren Rechten kommen können. Stephan Klingebiel verweist in seinem Beitrag auf empirische Nachweise, dass in Afrika good governance die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit positiv beeinflusst und in einer engen Wechselwirkung mit der Anfälligkeit für Gewaltkonflikte steht. Und was folgt aus dem Mangel an diesen politischen Voraussetzungen? Selbst wenn die reichen Länder aufbringen sollten, was ihnen Jeffrey Sachs in seinem Bericht zum Millennium-Projekt abverlangte, nämlich eine sofortige Verdoppelung und bis 2015 eine Verdreifachung des derzeitigen Volumens öffentlicher Entwicklungsgelder (Official Development Assistance, ODA), könnten diese mangels funktionierender Rechts- und Verwaltungsstrukturen nicht sinnvoll eingesetzt werden. Afrika galt deshalb schon als over-aided. Eine Erfolge versprechende Armutsbekämpfung setzt die Überwindung schlechter Regierungsführung, die Bekämpfung des vielerorts wuchernden Krebsgeschwürs der Korruption und die Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse voraus. Erst dann können externe Subsidien zur Verwirklichung der MDGs beitragen. Uwe Holtz stellt eine bemerkenswerte Korrelation her: Die Halbierung undemokratischer, schlecht regierter Staaten mit einem hohen Grad der Korruption könnte die von den MDGs angestrebte Halbierung der Armut eher bewirken als eine Verdoppelung der ODA. Deshalb plädiert er nachdrücklich für die Ergänzung des MDG-Zielkatalogs um ein neuntes MDG, das lautet:»diktaturen überwinden«. Allerdings ist angesichts der Stimmenverteilung in UN-Gremien die Realisierung dieser Forderung ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem sollte angemerkt werden, dass das emphatische Plädoyer für das univer- 26

28 selle Leitbild der parlamentarischen Demokratie auch Antworten auf die alte entwicklungs- und demokratietheoretische Streitfrage geben muss, unter welchen sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Bedingungen ein solches Modell überhaupt funktionieren kann. Die Entwicklungspolitik hatte immer ein Problem mit schlecht regierten und korrupten Regimen. Das Problem, das sich auch bei der Umsetzung der MDGs stellt, liegt darin, dass politische Sanktionen nicht die ohnehin malträtierte Bevölkerung treffen sollen. Dann bleibt nur die von Uwe Holtz aufgezeigte Konsequenz, dass die bi- und multilaterale Gebergemeinschaft mehr Energie in die politische Stabilisierung fragiler Staatswesen und in die Förderung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen investiert, um Voraussetzungen zu schaffen, dass die ODA nicht in Fässern ohne Böden verschwindet. Soziale Ungleichheit als verschwiegene Ursache von Armut Vor einigen Jahren rang sich die Weltbank, die politische Bewertungen zu scheuen pflegt, zu der mit Daten unterfütterten Aussage durch, dass in Lateinamerika schon eine gerechtere Besteuerung der oberen Einkommensgruppen genügend Mittel für eine wirksame Armutsbekämpfung aus eigener Kraft mobilisieren könnte. Auch ihre Bewunderung für das»ostasiatische Wunder«versah sie mit dem Hinweis, dass hier die Armut deshalb deutlich verringert werden konnte, weil das wirtschaftliche Wachstum für eine aktive Sozialpolitik genutzt wurde. Die internationalen Einkommensstatistiken belegen, dass der Anteil der 20 % reichsten Privathaushalte am nationalen Einkommen nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Afrika südlich der Sahara deutlich über dem Durchschnitt der Industrieländer liegt (Fues 2006). Es gibt deshalb nicht nur 27

29 das ethische Postulat der Gerechtigkeit, sondern auch entwicklungspolitische Gründe, warum der Weltentwicklungsbericht 2006 der Weltbank das Thema der Gleichheit (equity) in den Mittelpunkt stellte. Karin Küblböck wertet in ihrem Beitrag die MDGs zu einer»schmerztherapie«ab, die Krankheitsbeschwerden nur lindert, aber die Krankheit nicht heilt. Ihre Diagnose wird durch die Tatsache erhärtet, dass die MDGs die internen und internationalen Ausprägungen sozialer Ungleichheit und die Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Ressourcen völlig tabuisieren. Viele empirische Studien, auf die Küblböck hinweist, belegen, dass extreme Ungleichheit nicht nur ein Wachstumshindernis darstellt, weil sie die Kaufkraft von Bevölkerungsmehrheiten schmälert und große Teile der Bevölkerung von produktiven Tätigkeiten ausschließt, sondern auch die extreme Armut verfestigt. Die altbekannten Argumente der Wachstumstheoretiker, die im neoliberalen Washington-Konsensus wieder aufgefrischt wurden, waren seit den 1950er Jahren immer wieder Gegenstand heftiger wirtschafts- und entwicklungstheoretischer Kontroversen: Eine Umverteilung der Wachstums gewinne verringere die Spar- und Investitionsrate, weil die Armen jeden zusätzlichen Dollar konsumieren würden, oder gefährde gar die politische Stabilität, weil sich die Besitzer von Produktionsmitteln nicht widerstandslos schröpfen ließen als ob sich die Nichtbesitzer von Produktionsmitteln auf Dauer widerstandslos schröpfen lassen. Die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft lässt den Schluss zu, dass solche Argumente»theoretisch dünn, empirisch falsch und in der Praxis zynisch«sind (Berner 2005, 248). Hier stellt sich auch die Frage, ob die Fundamentalkritik von Ross Herbert an der MDG-Strategie und sein Plädoyer für eine Wachstumsstrategie für Afrika mehr überzeugen kann als die Vorschläge des Sachs-Berichts. Herbert wirft den MDGs übermäßige Vereinfachung und falsche Schwerpunktsetzung vor. 28

30 Sie würden die Aufmerksamkeit von Investitionen ablenken, die das Wachstum und den Arbeitsmarkt direkt ankurbeln. Er stellt deshalb einen Katalog von Millennium-Wachstumszielen auf. Sein Beitrag stellt ein provozierendes Kontrastprogramm zur MDG-Programmatik dar, das sich weitgehend mit den Forderungen des jüngsten UNCTAD-Berichts über die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) deckt. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) warnt ebenfalls davor, mehr Geld in ein falsches Entwicklungsmodell mit sozialpolitischem Fokus zu pumpen und fordert einen Paradigmenwechsel, der die Förderung produktiver Kapazitäten in den Mittelpunkt rückt (UNCTAD 2006, 283ff.). Konkret fordert sie eine Ergänzung des MDG-Zielkatalogs für die LDCs beispielsweise um eine Wachstumsrate von 7 % oder eine Investitionsquote von 25 % (jeweils pro Jahr, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) (UNCTAD 2006, 30). Nicht vergessen werden darf jedoch die Erkenntnis, dass Wachstum zwar notwendig ist, allein das Armutsproblem aber nicht lösen kann, weil es nur dann nach der trickle down- Annahme zu den Armutsgruppen durchsickert, wenn diese mittels einer aktiven Sozial- und Umverteilungspolitik an den Wachstumserfolgen beteiligt werden. So forderte Social Watch die Regierungen vor dem Millennium+5-Gipfel zu einer Politik der Reduzierung von Ungleichheiten auf, einschließlich einer»redistributiven Steuerpolitik«(Social Watch Deutschland 2005, 55). Ohne Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen keine Überwindung der Armut Die Kernthese des Beitrags von Franz Nuscheler lautet: Die Imperative der Nachhaltigkeit, welche die Millennium-Erklärung zu den vier prioritären Handlungsfeldern zählt, erhielten im MDG-Zielkatalog nicht den Stellenwert, den ihnen bereits 29

31 die Rio-Konferenz von 1992 gegeben hatte. Das Jahresgutachten 2005 des»wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen«(WBGU) über»armutsbekämpfung durch Umweltpolitik«liefert hierzu zahlreiche unterstützende Argumente. Viele Menschen sind inzwischen existenziell durch Umweltkrisen verschiedenen Ursprungs mehr bedroht als durch Kriege. So übersteigt die Zahl der Umweltflüchtlinge, die der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen entfliehen müssen, inzwischen die Zahl der Kriegsflüchtlinge und sie wird nach Prognosen internationaler Organisationen weiter dramatisch ansteigen. Arme Menschen leiden nicht nur besonders unter lokalen Umweltproblemen wie Wasserverschmutzung oder Bodendegradation, die ihre Lebensgrundlagen und ihre Gesundheit bedrohen, sondern auch unter den Folgen des Klimawandels. Sie haben nicht zuletzt gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit (Sauerborn 2006). Eine offensive Klimapolitik über das Kioto-Regelwerk hinaus ist deshalb für eine langfristig Erfolg versprechende Verwirklichung der MDGs wichtiger oder zumindest ebenso wichtig wie das Bohren von vielen Brunnen im Sahel, die bald versanden werden; die Umsetzung der»wüstenkonvention«ist für die langfristige Ernährungssicherung ebenso wichtig wie viele mehr oder weniger erfolgreiche Agrarprojekte. Es war konsequent, dass die britische NGO Christian Aid angesichts der apokalyptischen Folgen des Klimawandels forderte, dem MDG-Zielkatalog die Reduktion der CO 2 -Emissionen als neuntes MDG hinzuzufügen (Christian Aid 2006, 3; vgl. auch VENRO 2006, 8). Inzwischen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass eine globale nachhaltige Entwicklung eine Energiewende, vor allem durch eine stärkere Nutzung von erneuerbaren Energien voraussetzt (WBGU 2003). Diesen Zusammenhang ignoriert das MDG 7, das die environmental sustainability sichern soll. Es ignoriert auch das gravierende Problem der Energiearmut, also 30

32 den Tatbestand, dass etwa zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberer Energie in Form von Elektrizität haben. Berichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben gezeigt, dass jährlich rund Kinder und Erwachsene, unter ihnen vor allem Frauen, an der Vergiftung von Innenräumen durch das Verbrennen von Biomasse (Holz, Tierdung) sterben. Dass die Imperative der Nachhaltigkeit eher den Rang einer pflichtschuldigen Marginalie denn einen dem Problem angemessenen Stellenwert erhielten, liegt auch an der unterschiedlichen Interessenlage von Industrie- und Entwicklungsländern. Letztere halten den Umweltschutz noch immer für einen postmaterialistischen Luxus, der die eigene Entwicklung und Ressourcennutzung behindert; und sie können mit guten Gründen darauf verweisen, dass die OECD-Länder für den Klimawandel und für die Verschwendung knapper und nichterneuerbarer Ressourcen hauptverantwortlich sind. Auf diese Weise verflüchtigt sich der»geist von Rio«, der Umwelt und Entwicklung in einen unauflösbaren Zusammenhang gebracht hatte. Die Entproblematisierung des Bevölkerungswachstums Jeder der jährlich vom Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) vorgelegten Berichte belegt mit einer Fülle von Daten, dass die Geburtenraten zwar auch in den Entwicklungsländern deutlich sinken, aber immer noch dort am höchsten sind, wo die Statistiken die größte Armut ausweisen. In Afrika südlich der Sahara leben drei Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Dort wird die Bevölkerung von heute rund 750 Mio. bis zur Jahrhundertmitte auf geschätzte 1,7 Mrd. anwachsen, sich also mehr als verdoppeln falls die internationalen Programme zur Bildungs- und Gesundheitsförderung sowie zur Familienplanung nicht doch noch eine Trendumkehr bewirken. 31

33 Die Statistiken belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Verbesserung der Sozialindikatoren (Lebenserwartung bei Geburt, Kindersterblichkeit und Alphabetisierungsrate) und der Verringerung des Bevölkerungswachstums, gleichzeitig eine Korrelation zwischen der Entwicklung der Bildungs- und Gesundheitssysteme und dem Gebrauch von Verhütungsmitteln. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass mit steigendem Bildungsstand von Männern und Frauen die Kinderzahl sinkt und Familienplanung zu einer gesellschaftlichen Norm wird. Die entwicklungs- und bevölkerungspolitischen Erfolgsländer in Ost- und Südostasien, in Afrika auch der Inselstaat Mauritius, haben gezeigt, dass nur eine Kombination von sozialer Entwicklung und Familienplanung das Bevölkerungswachstum unter eine bedrohliche Marke drücken kann. Hohes Bevölkerungswachstum belastet die verknappenden Ressourcen von Lebensraum, Nahrung und Wasser sowie die Bildungs- und Gesundheitssysteme zusätzlich; eine Verringerung der Massenarmut ohne massive und gezielte Investitionen in die Familienplanung wird nicht möglich sein. Wir schließen uns zwar nicht der populären Dramatisierung der»bevölkerungsexplosion«an, die in Unkenntnis der vielfältigen Ursachen von Armut diese vor allem der»b-bombe«anlastet. Dennoch dürfen wir uns nicht der empirisch hinreichend belegten Einsicht verschließen, dass Armut das Bevölkerungswachstum anschiebt und dieses wiederum die Überwindung von Armut erschwert. Es ist deshalb schwer nachvollziehbar, dass die MDGs dieses entwicklungspolitische Schlüsselproblem nicht anpacken. Beim Indikator zur Empfängnisverhütung (Indikator 19 zum MDG 6) geht es allein um die Benutzung von Kondomen zur HIV-Prävention. Es fehlt der Rückgriff auf den»kairo-prozess«, der 1994 von der Weltbevölkerungskonferenz eingeleitet wurde. Das von dieser Konferenz verabschiedete Aktionsprogramm gab überzeigende Hinweise, was nationale Regierungen und internationale Entwicklungsagenturen zur»re- 32

34 produktiven Gesundheit«, zur wirksamen Eindämmung des Bevölkerungswachstums und damit auch zum Erreichen der MDGs tun müssten. Es enthält alle Kernelemente der MDGs 1 bis 6, stellt aber einen entwicklungs- und bevölkerungspolitischen Zusammenhang her, den der MDG-Zielkatalog vermissen lässt. Gender: eine Schmalspuragenda im MDG-Zielkatalog»Armut ist weiblich«diese oft zitierte Feststellung verweist auf die Tatsache, dass Frauen am häufigsten von Armut betroffen sind. Ohne aktive Beteiligung von Frauen wird deshalb keine Strategie der Armutsbekämpfung erfolgreich sein können. Dabei reicht es keinesfalls aus, wie Veronika Wittmann in ihrem Beitrag deutlich macht, die Stärkung der Frauen auf ein einzelnes MDG zu beschränken. Geschlechtergerechtigkeit muss vielmehr als übergreifendes, umfassendes Konzept als Querschnittsthema verstanden werden. Zwar kann es als Erfolg gewertet werden, dass die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und das Empowerment von Frauen Eingang in den MDG-Zielkatalog gefunden haben. Doch die Einschränkung dieses Ziels auf die Gleichstellung in der Schulbildung, auf dem formellen Arbeitsmarkt und in nationalen Parlamenten durch die Indikatoren zu MDG 3 haben in der Frauenbewegung zu Vorwürfen wie»schmalspuragenda«oder»täuschungsmanöver«geführt. Kritisiert wird unter anderem, dass überprüfbare Zielquoten, zum Beispiel ein 30 %-Anteil von Frauen in Parlamenten, gänzlich fehlen. Auch Empowerment-Indikatoren sind nicht zu finden. Birte Rodenberg (2005, 65) verweist beispielsweise auf diskriminierende Erbschafts- und Eigentumsrechte, die zur extrem schwachen»wirtschaftlichen Verfügungsmacht«von Frauen beitragen. Veronika Wittmann kritisiert, dass das Ziel des Empowerment zu einem»unwesentlichen Nebenelement«ver- 33

35 komme und die Rolle von Frauen als Hauptakteurinnen von Entwicklung vernachlässigt werde. Statt als Rechtssubjekte würden Frauen lediglich als Unterstützungsbedürftige und Zielgruppe von Investitionen wahrgenommen. Kritische Themen wie reproduktive und sexuelle Rechte sowie psychische und physische Gewalt gegen Frauen würden von den MDGs ebenso ausgeblendet wie die notwendigen Veränderungen von Hierarchien und Machtverhältnissen. Somit fallen die MDGs deutlich hinter das Aktionsprogramm der Weltfrauenkonferenz von Beijing und das Abkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) zurück. Social Watch forderte deshalb unter anderem»sinnvolle Ziele und Indikatoren«zur Messung des Fortschritts bei der Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit bei Entwicklungsstrategien. Zehn Prozent der Mittel sollten speziell zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und von Empowerment der Frauen aufgewendet werden. Auch im Kontext von MDG 8 müssten Maßnahmen zur Gleichberechtigung der Geschlechter etwa im Rahmen der PRSP-Prozesse identifiziert werden (Social Watch Deutschland 2005, 57). Rodenberg (2005, 63) kam nach einer Analyse der vorliegenden PRS-Papiere zu dem Ergebnis, dass bislang»die Lebensrealitäten armer Frauen und ihre geschlechtsspezifischen Interessen unberücksichtigt«bleiben. Mehr Geld allein kann das Armutsproblem nicht lösen Das MDG 8 fasst mit sieben Zielvorgaben die auf vielen Nord- Süd-Konferenzen erhobenen und in den Aktionsprogrammen der Weltkonferenzen konsensual verabschiedeten Forderungen des Südens an die OECD-Länder zusammen. Was die Zusagen wert sind, wurde besonders bei der Zielvorgabe 12 deutlich, welche die Entwicklung eines offenen, regelgestütz- 34

36 ten und nicht-diskriminierenden Finanz- und Handelssystems fordert. Das möglicherweise endgültige Scheitern der»doha- Runde«im Sommer 2006 bedeutet vor allem für die Entwicklungsländer ein handelspolitisches Fiasko, obwohl durchaus begründete und durch die Entwicklungsgeschichte der alten und neuen Industrieländer belegte Zweifel bestehen, ob der von der Welthandelsorganisation (WTO) vorangetriebene Freihandel wirklich die verheißenen Vorteile bringt (vgl. den Beitrag von Küblböck). Die öffentliche Debatte konzentriert sich vor allem auf die Verheißungen größerer Geldströme aus dem Norden in den Süden. Etwas versteckt in den Indikatoren zur»entwicklungspartnerschaft«verpflichten sich die OECD-Länder allerdings ohne konkrete Zeitvorgabe zur Steigerung ihrer ODA auf das berühmt-berüchtigte UN-Ziel von 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) und deren stärkere Ausrichtung auf die MDGs. Die OECD-Länder haben sich zu einem Stufenplan durchgerungen, der bis zum Jahr 2010 das»barcelona-ziel«von 0,51 % des BNE anvisiert und bis 2015 das»un-ziel«von 0,7 % in Reichweite rücken soll. Schon die mittelfristigen Haushaltsplanungen in mehreren OECD-Ländern nähren Zweifel, ob den Versprechen auch Taten folgen werden. Ob das umstrittene»un-ziel«, das manche schon für eine»schimäre«oder gar für eine»absurdität«halten, irgendwann oder sogar schon 2015 erreicht werden kann, ist allerdings nicht nur eine Frage des politischen Willens. Wenn Afrika schon jetzt als over-aided gilt, weil die milliardenschwere Afrika-Hilfe nicht die erhofften Erfolge erzielte, dann sind Zweifel berechtigt, ob ein big push den gordischen Knoten von Unterentwicklung und Armut lösen könnte. Der Beitrag von Stephan Klingebiel attestiert dem vom Sachs-Bericht propagierten Konzept mit überzeugenden Argumenten, keine Patentlösung für den Ausbruch aus der Armutsfalle zu offerieren. Die Finanzierungsfrage bildet also nicht den»strategischen Knackpunkt«bei der Umsetzung der MDGs, wie häufig zu hö- 35

37 ren ist, vor allem bei Stellungnahmen von Repräsentanten des Südens, aber auch von NGOs hierzulande. Es geht zunächst nicht um mehr Geld, sondern um einen zielgerichteten Einsatz des bereits verfügbaren Geldes und zwar sowohl auf Seiten der Gebergemeinschaft als auch auf Seiten der Zielländer. Schon jetzt stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Mittel tatsächlich vorwiegend in die so genannte»soziale Priorität«der Armutsbekämpfung investiert werden (und werden sollten). Richard Brand unterlegt in seinem Beitrag mit harten Fakten, dass die deutsche Entwicklungspolitik bei der Umsetzung der MDGs und des von der Bundesregierung beschlossenen»aktions programm 2015«kräftig nachbessern muss. Sein Beitrag fasst die kritischen Diskussionen in der NGO-Szene über die»wirklichkeit der Entwicklungshilfe«zusammen. Der Beitrag von Jutta Kranz-Plote, die im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) tagtäglich mit den Herausforderungen bei der operativen Umsetzung der MDGs konfrontiert ist, macht deutlich, dass es schwierig ist, das richtige Maß an Unterstützung zu finden und bei allen Maßnahmen die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu sichern. Ihr Beitrag erinnert nachdrücklich daran, das die Verdopplung oder gar Verdreifachung des ODA-Volumens allein noch nicht alle Prob leme der armen Welt lösen kann; dass sowohl die internatio nale Gebergemeinschaft als auch die Empfängerländer noch tragfähige Strukturen der»entwicklungspartnerschaft«aufbauen müssen. Natürlich muss einer Vertreterin des BMZ auch daran gelegen sein, das eigene»haus«in das richtige Licht zu rücken, indem sie bei der Umsetzung des MDG-Zielkataloges auf Schwierigkeiten im internationalen Umfeld und vor allem bei den Partnerländern im Süden hinweist. Aber ihre Lektion ist für alle heilsam, die nur die Ziele rezitieren, ohne über die komplizierten und häufig steinigen Wege zum Erreichen der Ziele nachzudenken. 36

38 Trotz der vielfältigen Ursachen von Armut und der operativen Umsetzungsprobleme hängt für die UN-Sonderbeauftragte für die Millennium Campaign, Eveline Herfkens, und ihre Mitarbeiterin Mandeep Bains der Erfolg des MDG-Projekts wesentlich davon ab, dass die Industrieländer ihre im MDG 8 allerdings ohne konkrete Zeitvorgaben eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Die Schärfe ihrer Kritik beruht auch auf der Erfahrung, dass in den ersten fünf Jahren nach dem New Yorker Millennium-Gipfel nicht geschah, was zur schrittweisen Verwirklichung der MDGs hätte geschehen müssen. Eveline Herfkens hält im Rahmen der Millennium Campaign in allen Hauptstädten flammende Reden und spricht damit den Entwicklungspolitikern aus dem Herzen, kann aber die Finanzminister nicht dazu bewegen, ihre Knauserigkeit bei der Aufstellung der Entwicklungshaushalte zu überwinden. Alle wohlfeilen Bekenntnisse zu den Vereinten Nationen und ihren Projekten sollen weder viel Geld kosten noch die Welthandelsordnung zum eigenen Nachteil verändern. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Angesichts der vielen berechtigten Kritikpunkte an den MDGs die sich, wie eingangs dargestellt, nicht gegen das Ziel der Armutsminderung, sondern gegen den vorgegebenen Pfad richten stellt sich die Frage, welche Ergebnisse die MDGs bislang vorweisen können. Auf der politischen Ebene sieht der frühere MDG-Beauftragte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, Klemens van de Sand, die wesentliche Bedeutung der MDGs darin,»dass sie einen deutlich spürbaren und belegbaren politischen Prozess angestoßen haben«(van de Sand 2006, 111). Mit Blick auf die konkreten Ergebnisse dieses Prozesses zieht Thomas Fues in seinem Beitrag jedoch eine zwiespältige Bilanz. Nachdem bereits fast die Hälfte der Zeitspanne bis 2015 abgelaufen ist, 37

39 lassen sich positive Trends bei der Grundbildung, beim Zugang zu sauberem Trinkwasser und bei der Senkung der Kindersterblichkeit feststellen. Kaum Fortschritte gibt es bei der Eindämmung von Infektionskrankheiten, beim Zugang zu Sanitäranlagen und beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die drohenden Umweltveränderungen könnten gar jeglichen sozialen Fortschritt zunichte machen. Insgesamt hat das Tempo der Entwicklungsfortschritte gegenüber den 1970er und 1980er Jahren abgenommen (van de Sand 2006, 114). Auch wenn sich bei einigen Zielen, allen voran beim Hauptziel der Halbierung der Armutsquote, Fortschritte feststellen lassen, sind diese oft gering oder sehr ungleich verteilt. Dies führt zu einem zunehmenden Gefälle sowohl innerhalb als auch zwischen Staaten und Regionen. Während Ostasien und Teile Südasiens»auf Kurs«sind, fällt Afrika südlich der Sahara weiter zurück. Inwieweit beide Entwicklungen ursächlich mit den MDGs zusammenhängen, bleibt indes unklar. Folgt man Ross Herbert, so führen möglicherweise gerade die MDGs dazu, Afrika dauerhaft von Almosen abhängig zu machen. Jutta Kranz-Plote verweist auf die Schwierigkeit, angesichts der Komplexität der Aufgabe und der Vielzahl der Akteure einen direkten Beitrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zur Erreichung der MDGs auszumachen. Fues kritisiert gerade den Beitrag der Industrieländer zur Erreichung der MDGs. Ihren»wohlklingenden Versprechungen«seien allenfalls»trippelschritte«in der Umsetzung gefolgt. Kritische Faktoren für ein Erreichen der MDGs in der noch verbleibenden Zeitspanne seien die Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel sowie eine MDG-förderliche Politik auf globaler Ebene, also good global governance. Doch fehle es am politischen Willen, die Strukturen der Weltwirtschaft zu verändern. Diesen Befund teilen Eveline Herfkens und Mandeep Bains, die deshalb dazu aufrufen, Druck auf die westlichen Regierungen zur Umsetzung ihrer Zusagen auszuüben. 38

40 Zusammenfassung: Königsweg oder Irrweg? Die MDGs können keinen entwicklungspolitischen Königsweg weisen, weil sie keine umfassende Entwicklungsagenda entwerfen, sondern»mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben«skizzieren wollen. Bei der Bewertung der MDGs ist es also wichtig, von ihrer prioritären Zielsetzung auszugehen. Es bleibt dabei die Frage, ob sie richtige Rezepte zur Armutsbekämpfung enthalten. Diese Frage kann nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantwortet werden. Weil die MDGs aus diplomatischer Rücksichtnahme Krieg und Staatsverfall, interne Entwicklungshindernisse von der Korruption bis zu ausbleibenden Landreformen, das Bevölkerungswachstum sowie soziale Ungleichheit als strukturelle Ursache von Armut tabuisieren und die Umwelt- und Genderproblematik vernachlässigen, bekämpfen sie in der Tat nur Symptome. Karin Küblböck kritisiert zu Recht die Entpolitisierung und»technisierung«der Armut und greift damit Argumente auf, die auch Kritiker aus dem Süden, zum Beispiel Samir Amin (2006), ein Klassiker der Dependenztheorie, gegen die MDGs vorbringen. Weil die formulierten Ziele politische Schlüsselprobleme erfolgreicher Armutsbekämpfung nicht anpacken von Krisenprävention über good governance, das politische Empowerment der Armutsgruppen, die Überwindung sozialer Ausgrenzung, breitenwirksame Wirtschaftsförderung, die Verpflichtung von Regierungen zur Eigenverantwortung und Fürsorge für ihre arme Bevölkerung bis hin zu weltwirtschaftlichen Strukturreformen laufen sie Gefahr, einen von der internationalen Entwicklungspolitik lange beschriebenen Irrweg fortzusetzen oder gar zu verstärken. Ohne verantwortliches Handeln der Regierenden, das die MDGs nicht mit allem Nachdruck anmahnen, kann mehr Geld sogar Fehlentwicklungen verstärken, die schon zur zwiespältigen Erfolgsgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit gehören. 39

41 Was bleibt zur Verteidigung des UN-Millennium-Projekts? Erstmals in der Geschichte der internationalen Entwicklungspolitik hat die an den MDGs orientierte Armutsbekämpfung eine von allen bi- und multilateralen Akteuren mitgetragene Priorität erhalten. Die MDGs mit ihren quantitativen Ziel- und Zeitvorgaben und ihrer»kampagnenfähigkeit«bieten der nationalen und internationalen Entwicklungspolitik die Chance, ihrer Rechtfertigungskrise zu entgehen. Sollten die MDGs allerdings auch nach den noch verbleibenden Jahren bis 2015 weit verfehlt werden, würde die Entwicklungszusammenarbeit ihren ohnehin geringen Kredit wohl endgültig verspielen. Eine erfolgreiche Armutsbekämpfung ist, abgesehen von Imperativen der Humanität und internationalen Solidarität, eine Bedingung für die Akzeptanz von Solidarleistungen, vor allem dann, wenn sie noch deutlich gesteigert werden sollen. Dies muss am Ende mit allem Nachdruck betont werden: Mehr Geld allein kann das weltweite Armutsproblem nicht lösen, aber ohne mehr Geld kann es auch nicht gelöst werden. Es wäre ein epochaler Erfolg der Staatengemeinschaft und der sie bedrängenden internationalen Zivilgesellschaft, wenn sie bis zum Jahr 2015 für wesentlich mehr Menschen in einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben schaffen würde. Sollte dieses Ziel verfehlt werden, würde den Staats- und Regierungschefs am Vorabend des Stichjahres 2015 wohl kaum etwas anderes einfallen als eine Fristverlängerung zur Verwirklichung der MDGs. Eine solche schlug die Weltbank in realistischer Vorausschau bereits vor. Dies ist kein optimistischer Ausblick. Nur entschlossenes politisches Handeln könnte diesen Pessimismus noch entkräften. 40

42 Literatur Amin, Samir, 2006: The Millennium Development Goals: A Critique from the South, in: Monthly Review 10/57 ( org/0306amin.htm, ). Berner, Erhard, 2005: Hilfe-lose Illusionen, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z), Nr. 6, S Christian Aid, 2006: The Climate of Poverty: Facts, Fears, and Hope. London et al. Debiel, Tobias/Sascha Werthes, 2006: Fragile Staaten und globale Friedenssicherung, in: Tobias Debiel/Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt. Frankfurt/M., i.e. Fues, Thomas, 2006: Weltsozialpolitik und Entwicklung, in: Tobias Debiel/ Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt. Frankfurt/M., i.e. Fues, Thomas/Brigitte Hamm (Hg.), 2001: Die Weltkonferenzen der 90er Jahre. Baustellen für Global Governance (Reihe EINE Welt der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bd. 12). Bonn. Martens, Jens, 2005: Das neue Mantra der Entwicklungspolitik, in: INKOTA-Brief 132 (Juni), S Rodenberg, Birte, 2005: Gender und Armutsbekämpfung: Sichern neuere Konzepte und Instrumente auch Frauenrechte?, in: ZTG Bulletin 29/30, S Sachs, Jeffrey, 2005: Investing in Development: a Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals (UN Millennium Project). New York. van de Sand, Klemens, 2006: Die Millenniums-Entwicklungsziele: Herausforderungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, in: Stephan Klasen et al., Globalisierung und Armut. Wie realistisch sind die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen? (Globale Solidarität, Bd. 13). Stuttgart, S Sauerborn, Rainer, 2006: Klimawandel und globale Gesundheitsrisiken, in: Tobias Debiel/Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt. Frankfurt/M., i.e. Social Watch Deutschland, 2005: Report Handeln statt Versprechen Soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. o.o. 41

43 UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development), 2006: The Least Developed Countries Report Developing Productive Capacities. New York/Genf. VENRO, 2006: Wort halten. Mehr deutsches Engagement für die Millenniums-Entwicklungsziele! Bonn/Berlin. WBGU, 2003: Welt im Wandel Energiewende zur Nachhaltigkeit. Berlin/ Heidelberg/New York. WBGU, 2005: Welt im Wandel Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik. Berlin/Heidelberg/New York. Wichterich, Christa, 2005: Ein entwicklungspolitischer Katechismus, in: iz3w Nr. 285, S ( s20.html ). 42

44 Erster Teil: Was wurde bislang erreicht?

45 THOMAS FUES Ist das Glas halb voll oder halb leer? Die Umsetzung der Millennium- Entwicklungsziele in den einzelnen Weltregionen Für eine breite Weltöffentlichkeit sind die von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen getragene Millennium-Erklärung aus dem Jahr 2000 und das daraus abgeleitete Zielbündel der Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) die entscheidenden Eckpunkte einer globalen Strategie zur Armutsreduzierung und globalen Nachhaltigkeit. Das MDG-Konzept wurde vom Millennium+5-Gipfel (September 2005) noch erweitert im Hinblick auf menschenwürdige Arbeit, Frauenrechte und reproduktive Gesundheitsversorgung (Fues/Loewe 2005). Daneben sind der Monterrey- Konsens der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung und das Umsetzungsprogramm des Johannesburg-Gipfels für nachhaltige Entwicklung, beide aus dem Jahr 2002, wichtige Elemente einer gerechteren Weltordnung eine Vision, die freilich in der Praxis erst noch verwirklicht werden muss. Fast die Hälfte der Frist zur Erreichung der MDGs bis 2015 ist bereits abgelaufen. Die Zwischenbilanz 2006 liefert ein zwiespältiges Bild. Die Polarisierung zwischen und innerhalb der Staaten schreitet voran; die an vielen Stellen erzielten Fortschritte sind global ungleich verteilt. Einzelne Weltregionen, beispielsweise Ostasien und Teile Südasiens, sind auf gutem Kurs. Als wettbewerbsfähige Akteure profitieren sie von der Ausweitung des Welthandels und der ausländischen Direktinvestitionen. Für andere Regionen, dies gilt insbesondere in Afrika südlich der Sahara, und ebenso für marginalisierte 44

46 Schichten in dynamischen Ökonomien haben sich die Aussichten von einzelnen Ausnahmefällen abgesehen eher verdüstert. Es müsste schon ein kleines Wunder geschehen, damit sie die Ziellinie rechtzeitig überschreiten. Allgemein zeigt sich ein positiver Trend bei den MDGs für Grundbildung, Trinkwasser, Impfschutz und Senkung der Kindersterblichkeit. Wenig Anlass zur Hoffnung bietet hingegen die Situation bei Infektionskrankheiten, Sanitäranlagen und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Beitrag der westlichen Industrieländer zur Erreichung der MDGs, denn es handelt sich ja um eine wechselseitige Verpflichtung, ist bisher alles andere als zufrieden stellend. Den wohlklingenden Versprechungen von mehr Entwicklungshilfe, wirksamer Entschuldung und Handelserleichterungen sind bisher allenfalls Trippelschritte in der praktischen Umsetzung gefolgt (Social Watch Deutschland 2005; Kaiser 2006). Vor allem fehlt es dem Norden am politischen Willen, die von ihm dominierten Strukturen der Weltwirtschaft und der Globalpolitik auf den Prüfstand zu stellen. Beunruhigend im Hinblick auf die künftigen Lebensbedingungen auf diesem Planeten ist auch das unbeirrbare Festhalten an umweltschädlichen Produktions- und Konsummustern. Es besteht die Gefahr, dass die drohenden Umweltveränderungen, zum Beispiel die bereits jetzt feststellbaren Folgen des Klimawandels, jeden sozialen Fortschritt untergraben und die Weltgesellschaft schon bald vor existenzielle Herausforderungen stellen werden (WBGU 2005). Im Folgenden wird der aktuelle Stand der MDGs in den Staaten des Südens und den osteuropäischen/zentralasiatischen Transformationsländern beschrieben. Daran knüpft sich die Frage, mit welchen Entwicklungsstrategien soziale Fortschritte erzielt werden können, wie die Industrieländer ihre Unterstützung ausbauen müssten und welcher institutionelle Rahmen für die internationalen Bemühungen angemessen ist. 45

47 Umsetzungsstand bei den MDGs MDG 1: Absolute Armut zurückdrängen Der Bevölkerungsanteil, der mit weniger als 1 US-$ auskommen muss und an chronischem Hunger leidet, soll halbiert werden. Für die Länder mit höherem Einkommen, beispielsweise in Lateinamerika, ist allerdings eher eine Messlatte von 2 US-$ passend. Global betrachtet liegt die Erreichung von MDG 1 (1 US-$ pro Tag) wegen der hohen Wachstumsraten in Ostund Südasien im Bereich des Möglichen. Die globale Armutsquote ist seit 1990 von rund 28 % auf derzeit 19 % gefallen. Für die eine Milliarde Menschen, die heute noch unter dieser extremen Form von Entbehrung leiden, bedeutet der positive Befund jedoch nichts. Die Fortschreibung aktueller Trends lässt eine weitere Absenkung auf weltweit 10 % bis 2015 erwarten, deutlich unter den angestrebten MDG-Wert von 14 %. Dann wären»nur«noch 600 Mio. Menschen betroffen. Auffälliges Ergebnis der volkswirtschaftlichen Dynamik in Ostasien ist das prognostizierte Verschwinden der absoluten Armut dort. Bereits heute wird die erst für 2015 angestrebte Messlatte deutlich überboten. Auch die Projektion für Süd asien spricht für eine erfolgreiche Armutsreduzierung. In Lateinamerika hingegen stagniert die Entwicklung; die Halbierung der Armutsquote könnte knapp verpasst werden. Besonders drastisch fällt die Zielverfehlung in Afrika südlich der Sahara aus. In der Region ist die Anzahl der absolut Armen seit 1990 um 140 Mio. gestiegen. Die Armutsrate verharrt bei über 40 % trotz der historisch überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten in jüngster Zeit. Eine entscheidende nichtmonetäre Dimension von Armut betrifft die chronische Mangelernährung. Nur 34 von 143 Ländern können auf diesem Gebiet die gewünschten Fortschritte vorweisen. Noch immer leiden 842 Mio. Menschen auf der Erde unter ständigem Hunger. Nur in Ostasien und Lateinamerika 46

48 ist die absolute Zahl der Hungrigen zurückgegangen. Besonders kritisch ist die Lage in Afrika südlich der Sahara. Dort nimmt die Mangelernährung zu auch bedingt durch die hohen HIV/AIDS-Infektionsraten. Erfolge bei der Bekämpfung des Hungers sind trotz eines niedrigen Durchschnittseinkommens und widriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen möglich, wenn Staat und Gesellschaft entsprechende Prioritäten setzen. Mit Unterstützung von ausländischen Gebern und einheimischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hat beispielsweise die Regierung von Bangladesch ein flächendeckendes Ernährungsprogramm für Mütter und Kinder als zentrales Element ihrer Armutsstrategie eingeführt. MDG 2: Universale Grundbildung durchsetzen Weltweit kommen derzeit 115 Mio. Kinder nicht in den Genuss einer schulischen Ausbildung. In nur 37 von 155 Entwicklungsländern ist der Grundschulabschluss für alle wie von MDG 2 gefordert derzeit Realität. In Afrika südlich der Sahara sind die Probleme am größten. Hier haben derzeit 40 % eines Jahrgangs überhaupt keinen Zugang zu Grundbildung; die Erreichung des MDGs in der vorgegebenen Frist ist mehr als unwahrscheinlich. Auch Südasien wird das Ziel wohl verfehlen. In den anderen Weltregionen hingegen stehen die Chancen gut. Im schulischen Bereich lässt sich die durch den MDG-Prozess ausgelöste Dynamik der internationalen Entwicklungszusammenarbeit gut dokumentieren wurde die Education for All Fast-Track Initiative (FTI) als erste globale Übereinkunft im Bildungsbereich zwischen Gebern und Entwicklungsländern ins Leben gerufen. Das Netzwerk verfolgt das Ziel, Staaten mit niedrigem Durchschnittseinkommen bei der flächendeckenden Einführung einer kostenfreien Grundbildung bis 2015 zu unterstützen. Auf Geberseite sind über 30 bilaterale, regionale und internationale Institutionen vertreten, die sich 47

49 zu einem hohen Maß an Harmonisierung verpflichtet haben. Auf Empfängerseite sind bislang 20 Länder beigetreten, deren bildungspolitische Anstrengungen breite Anerkennung gefunden haben. Ein herausstechendes Beispiel für schnelle bildungspolitische Reformen ist Niger, das bis vor kurzem eine der niedrigsten Einschulungsraten der Welt hatte: Hier wurden rund Lehrer/innen pro Jahr neu eingestellt. Von 1998 bis 2003 stieg deshalb die Einschulungsquote im Primarbereich um 60 %. MDG 3: Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen Das einzige MDG, dessen Frist bereits im Jahr 2005 abgelaufen ist, betrifft die Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen. Zwar konnte das angestrebte Ziel gleicher Einschulungsraten auf der Primar- und Sekundarstufe nicht erreicht werden, aber die Lage der Schülerinnen hat sich eindeutig verbessert. Bis 2015 wird in den meisten Ländern mit einer Angleichung gerechnet, zumindest im Bereich der Grundbildung. Auf höheren Ebenen ist die Lage nicht so günstig. Beispielsweise kommen in Afrika südlich der Sahara nur 68 Mädchen auf 100 Jungen im tertiären Bildungssektor. In Südasien ist die Quote mit 71 zu 100 nur wenig besser. Rasche Fortschritte sind bei entsprechendem politischen Willen möglich. In Bangladesch beispielsweise umfasst das staatliche Engagement für Gleichberechtigung im Bildungswesen massive Anreize für Mädchen durch Stipendien und Bereitstellung von Schulmaterialien. In Mauretanien wurde die Primareinschulungsrate für Mädchen enorm gesteigert, von 39 % (1990) auf 85 % (2001). Einer der Indikatoren von MDG 3 misst die politische Beteiligung von Frauen an ihrem Sitzanteil in nationalen Parlamenten. Das inoffizielle Ziel von 30 % wird nur in wenigen Fällen erreicht (Anfang 2005: 17 Länder). Weltweit lag zu dem Zeitpunkt der Anteil der weiblichen Parlamentssitze bei 15,9 %, eine leichte 48

50 Steigerung gegenüber dem Jahr 2000 (13,5 %). Aber auch hier gibt es Vorreiter. Ruanda steht an der Weltspitze, was die Vertretung von Frauen in politischen Führungsgremien angeht. Auf sie entfallen 49 % der Mandate der Nationalversammlung. Und in Lateinamerika ist der Anteil der weiblichen Sitze von 12 % in 1990 auf jetzt 20 % gestiegen. MDG 4: Überleben der Kinder sichern Derzeit sterben jährlich rund 11 Mio. Kinder, das sind Kinder pro Tag, bevor sie ein Lebensalter von fünf Jahren erreichen an vermeidbaren oder heilbaren Krankheiten. In den armen Ländern stirbt jedes zehnte Kind, während in den reichen Ländern statistisch nur eines von 143 dieses Schicksal ereilt. Die gute Nachricht ist, dass die Kindersterblichkeit in allen Weltregionen in den vergangenen Jahrzehnten spürbar gesunken ist (UNICEF 2005). Selbst Afrika südlich der Sahara, das bei allen anderen Armutsdimensionen extrem schlecht abschneidet, verzeichnet hier seit 1970 einen leichten Fortschritt (Rückgang der Sterbequote von 24 % auf 17 %). In Südasien nahm die Rate in den vergangenen 35 Jahren von über 20 % auf 9 % ab. 117 der 148 Entwicklungsländer, für die Daten erhältlich sind, schaffen es aber nicht, die Kindersterblichkeit im erforderlichen Tempo für die fristgerechte Erreichung der MDGs zu reduzieren. In 15 Ländern verschlechtern sich die Gesundheitsbedingungen für Kinder sogar, darunter befinden sich die Konfliktfälle Kambodscha, Zentralafrikanische Republik, Elfenbeinküste, Irak und die HIV/AIDS-betroffenen Länder Botswana, Kenia und Südafrika. Positiv bei der Senkung der Kindersterblichkeit wirken sich die Bemühungen um wirksamen Impfschutz unter Führung der Global Alliance on Vaccines and Immunizations aus. So hat es seit 2000 einen Rückgang der Masernfälle um 90 % in 19 Ländern Afrikas südlich der Sahara gegeben. 49

51 MDG 5: Gesundheitsversorgung für Mütter verbessern Jährlich müssen weltweit mehr als Frauen und Mädchen jedes Jahr bei einer Schwangerschaft oder Geburt ihr Leben lassen, weil die Gesundheitsversorgung defizitär ist oder völlig fehlt. Ein wichtiger Indikator für MDG 5 ist der Anteil an Geburten, die von medizinischem Fachpersonal begleitet werden. In diesem Bereich haben alle Entwicklungsregionen bis auf Afrika südlich der Sahara spürbare Fortschritte erzielt. Unter der Bezeichnung Partnership for Maternal, Newborn, and Child Health entstand 2005 durch die Fusion von drei bestehenden Initiativen ein übergreifendes Multiakteursnetzwerk. Seine mehr als 80 Mitglieder, zu denen Regierungen, staatliche und akademische Einrichtungen, Gesundheitsorganisationen und internationale Institutionen wie Weltbank und Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören, wollen politische Unterstützung und Finanzen mobilisieren, nationale Planungsprozesse unterstützen und die Geberkohärenz auf Länderebene verbessern. MDG 6: Schwere Krankheiten bekämpfen 2005 lebten 40,3 Mio. Menschen mit dem HIV-Erreger, davon 63 % in Afrika südlich der Sahara. Ein Hoffnung machender Trend ist die wachsende Zahl der HIV/AIDS-Kranken in Entwicklungsländern, die in den Genuss einer antiretroviraler Behandlung kommen: 1,65 Mio gegenüber weniger als im Jahr Dies entspricht einer Versorgungsquote von 24 %; mehr als 5 Mio. Erkrankte müssen weiter auf die lebensrettenden Medikamente warten (WHO 2006). In Argentinien, Brasilien, Chile und Kuba konnten mehrere hunderttausend Menschenleben gerettet werden, weil der nationale Versorgungsgrad auf über 80 % geklettert ist. Vorbildlich sind auch die vorbeugenden Anstrengungen in Simbabwe, wo es trotz widriger wirtschaftlicher und politischer Rahmen- 50

52 bedingungen gelungen ist, die Ausbreitung des Virus durch Kondome und Verhaltensänderungen zurückzudrängen. Für mindestens 1 Mio. Menschen jährlich ist Malaria die Todesursache, aber die Behandlungsmethoden werden besser und der Einsatz von imprägnierten Netzen breitet sich aus. Zum Beispiel hat das kombinierte Programm für Impf- und Malariaschutz in Togo zu einer Verbreitungsrate von 62 % für Bettnetze innerhalb weniger Jahre geführt, bei einer Ausgangsposition von 6 %. MDG 7: Ökologische Nachhaltigkeit sieht anders aus MDG 7 erfasst nur einen kleinen Ausschnitt der ökologischen Nachhaltigkeit. Hier müssten in erster Linie die nichtnachhaltigen Lebensstile und Konsummuster in den Industrieländern thematisiert werden. Es macht sich negativ bemerkbar, dass die auf dem Erdgipfel 1992 begonnene Suche nach aussagekräftigen Indikatorensystemen für nachhaltige Entwicklung wegen mannigfaltiger politischer Widerstände im Sand verlaufen ist (Fues 1998). Der bei MDG 7 angesiedelte Wassersektor spielt für die menschliche Gesundheit eine zentrale Rolle. Mehr als 1 Mrd. Menschen auf der Welt hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und mehr als 2,5 Mrd. leiden unter unzureichender Sanitärversorgung. In Afrika südlich der Sahara ist die Lage dramatisch: Nur 64 % haben Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur 37 % können Sanitäranlagen nutzen. Im Bereich der Infrastruktur äußert sich das Stadt-Land- Gefälle besonders deutlich. In den ärmsten Ländern genießen 83 % der städtischen Bewohner/innen sauberes Trinkwasser, aber nur 55 % auf dem Land. Vor allem in Afrika setzen sich zunehmend dezentrale, kleinteilige Lösungen für die Wasser-, Sanitär- und Elektrizitätsversorgung von armen und isolierten Bevölkerungsgruppen durch, die meist von Nachbarschaftsgruppen oder informellen Privatanbietern getragen werden. 51

53 In der tansanischen Hauptstadt Daressalam wurde beispielsweise das öffentliche Monopol zur Latrinensäuberung nach dem Ausbruch einer Seuche aufgehoben. Jetzt können die Verbraucher/innen zwischen lokalen Unternehmen wählen, die sich im Wettbewerb bewähren müssen. Entwaldung, die von einem weiteren Indikator für MDG 7 erfasst wird, findet weiterhin in einem beachtlichen Umfang statt. Pro Jahr beläuft sich der weltweite Verlust auf rund 13 Mio. Hektar. Die Waldbedeckung ist seit 1990 besonders auffällig in Südostasien zurückgegangen, von 56 % auf 47 % der gesamten Fläche. Ein Schlüsselindikator für MDG 7, der allerdings nur die relative, nicht die absolute ökologische Belastung misst, ist die gesamtwirtschaftliche Energieeffizienz. Extreme Verbesserungen sind hier in den Transformationsländern Mittel- und Osteuropas zu verzeichnen, in denen der Systemwechsel zu massivem Strukturwandel in Industrie und Ener gieversorgung geführt hat. Auch in Ostasien wurden hohe Steigerungsraten bei der Energieproduktivität erzielt. MDG 8: Globale Partnerschaft als ferne Vision Die Operationalisierung der globalen Partnerschaft durch MDG 8 umfasst wichtige Aspekte der Nord-Süd-Beziehungen. Da aber feste Zielvorgaben fehlen, handelt es sich hierbei eher um symbolische Appelle an die Industrieländer ohne jeden Verpflichtungscharakter. Die durchaus vorzeigbaren Fortschritte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und Entschuldung werden durch anhaltende Agrarsubventionen und Marktabschottung des Nordens konterkariert, eklatante Beispiele mangelnder Kohärenz. Die öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Aid, ODA) stieg zwar 2005 zum ersten Mal auf über 100 Mrd. US-$; die Steigerung ist jedoch vor allem dem Schuldenerlass für Nigeria und Irak zu verdanken. Im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde sollten die Agrar- 52

54 Exportsubventionen der Industrieländer bis 2013 abgebaut werden, aber es ist unklar, ob diese Zusagen nach dem vorläufigen Scheitern der Welthandelsgespräche Bestand haben werden. Kritische Faktoren für die Erreichung der MDGs Finanzierung der MDGs Die Erreichung der MDGs setzt die Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel voraus. Bei Niedrigeinkommensländern werden die öffentlichen Entwicklungsleistungen auf längere Sicht eine unverzichtbare Rolle spielen. Das Millenniumsprojekt der Vereinten Nationen hat die notwendigen jährlichen Entwicklungstransfers für die weltweite Umsetzung der MDGs auf 135 Mrd. US-$ für 2006 und auf 195 Mrd. US-$ für 2015 geschätzt (UN Millennium Project 2005). Umstritten ist allerdings, ob in den Partnerländern überhaupt die Voraussetzungen zur sinnvollen Verwendung der Mittel gegeben sind (Martens 2005). Kritische Stimmen warnen mit guten Argumenten vor einer Überforderung der einheimischen Institutionen und setzen stattdessen auf ein selektives Vorgehen, das die notwendigen und verkraftbaren Entwicklungsleistungen im Einzelfall festlegt. Da die sozialpolitischen MDGs eng mit dem allgemeinen Zugang zu sozialen Grunddiensten (Grundbildung, Basisgesundheitsdienste einschließlich der reproduktiven Gesundheitsversorgung, Trinkwasser und Sanitäranlagen) verbunden sind, sollten diese Kernbereiche der direkten Armutsbekämpfung einen angemessenen Stellenwert in den einheimischen Haushalten sowie in der Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Zu diesem Zweck könnte die so genannte 20 : 20-Initiative wiederbelebt werden, die anlässlich des Weltsozialgipfels 1995 verabschiedet wurde (UNDP et al. 1998). Damit wurde eine wechselseitige Verpflichtung zwischen Geberstaaten und Ent- 53

55 wicklungsländern begründet, mindestens 20 % Entwicklungsgelder einerseits und der nationalen Budgets andererseits für soziale Grunddienste zu reservieren (Fues 1996). Angaben zur öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit legen den Schluss nahe, dass bereits Verschiebungen in diesem Sinne stattfinden. Die Geberzusagen für Erziehung und Gesundheit haben sich seit 2000 deutlich erhöht wurden 11,4 Mrd. US-$ für Gesundheit und 9,5 Mrd. US-$ für Bildung über ausländische Hilfe zur Verfügung gestellt. Heute fließen 50 % der Bildungstransfers an arme Länder in den Primarschulbereich, gegenüber rund 33 % am Ende des vergangenen Jahrzehnts. Im Gegensatz dazu ist der Anteil für Basisgesundheitsdienste an der sektoralen Gesamtsumme rückläufig, von 28 % (1999) auf 15 % (2004). Inzwischen gibt es etwa 70 globale Partnerschaften im Gesundheitswesen, die 2004 mehr als 20 % der Gesamt-ODA für den Sektor aufgebracht haben. Die Pluralisierung der Akteure ist mit Skepsis zu betrachten ist, da sie die Kohärenz des Gesamtsystems schwächt und die Transaktionskosten erhöht. Noch wichtiger als die Geberleistungen sind die staatlichen Ausgaben für die sozialen Schlüsselsektoren in den Ländern selber. Statistische Angaben in diesem Feld sind jedoch spärlich gesät. Die für 2003, dem letzten verfügbaren Jahr, erhältlichen Daten decken nur 21 von 79 Mittel- und 27 von 57 Niedrigeinkommensländern ab. Diese Zahlen signalisieren einen bescheidenen Aufwärtstrend für Bildung, während die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens nicht zugenommen hat. Gesamtwirtschaftliche Strategien und MDGs Konsens besteht in der internationalen Debatte darüber, dass die direkte Armutsbekämpfung, etwa über eine Förderung der sozialen Grunddienste, durch entwicklungsfreundliche politische Rahmenbedingungen und durch armutsorientierte Wirt- 54

56 schaftspolitiken (pro-poor growth) flankiert werden muss. Good governance, also gute Regierungsführung, Partizipation und Anti-Korruptionsmaßnahmen, werden zunehmend als unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen MDG-Politik thematisiert (World Bank/IMF 2006). Konsequenterweise müssen dann aber auch die Industrieländer selbstkritisch reflektieren und sich von der Weltöffentlichkeit fragen lassen, inwieweit sie auf internationaler Ebene MDG-förderliche Politiken, also good global governance, praktizieren. Der Millennium+5-Gipfel hat alle Staaten dazu verpflichtet, bis 2006 nationale MDG-Strategien zu beschließen, die eng mit den bereits vorhandenen, häufig von Weltbank und IWF unterstützten Plänen zur Armutsreduzierung (Poverty Reduction Strategy Papers) verzahnt werden sollen. Eine zeitnahe Umsetzung dieser Vorgabe ist aber nicht in Sicht, da den Niedrigeinkommensländern aus dem UN-System dafür bislang keine nennenswerte Unterstützung angeboten wird. Wichtig für langfristige Erfolge im MDG-Prozess ist, das gerade bei Nichtregierungsorganisationen weit verbreitete Missverständnis auszuräumen, soziale Ziele seien vor allem durch sozialpolitische Maßnahmen zu erzielen. Der Bericht des Millenniumsprojekts weist zu Recht darauf hin, dass die Zielebenen nicht mit den Interventionsebenen identisch sind. Wer Grundbildung fördern will, darf sich beispielsweise nicht ausschließlich auf diesen Sektor konzentrieren. Insbesondere in Afrika südlich der Sahara sind Investitionen in die Infrastruktur (Transport, Energie, Wasser) zur MDG-Verwirklichung erforderlich; das Bildungswesen muss auch auf höheren Stufen ausgebaut werden (zum Beispiel im universitären Bereich). Eine MDGorientierte Entwicklungspolitik muss drei Stoßrichtungen gleichermaßen verfolgen (Messner/Wolff 2005): Erstens muss sie unmittelbare Armutsbekämpfung betreiben, um die Lebensverhältnisse der Armen spürbar zu verbessern (universeller Zugang zu Grundbildung und Gesundheit, besonders im Hinblick auf Mädchen). Gleichzeitig muss sie, zweitens, die pro- 55

57 duktiven Potenziale der Armen entfalten helfen, zum Beispiel durch Modernisierung der Landwirtschaft und Stärkung des informellen Sektors. Drittens muss die Wettbewerbsfähigkeit der dynamischen Wirtschaftssektoren gestärkt und deren Vernetzung mit den Wirtschaftssektoren der Armen vorangetrieben werden. Internationale Überprüfung der MDGs Eine für die MDGs zentrale Frage bezieht sich darauf, in welchem Rahmen die Harmonisierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und die Arbeitsteilung zwischen Gebern und Entwicklungsländern organisiert wird. Die west lichen Industrieländer setzen in dieser Hinsicht auf den OECD-Entwicklungsausschuss (Development Assistance Committee, DAC), wo sie unter sich tagen und nach Bedarf Partner aus der Entwicklungswelt hinzuladen. Die»neuen«Geber des Südens, zum Beispiel China, Indien, Brasilien und Südkorea, werden sich auf diese westlich dominierte Plattform nicht einlassen, aber sie sind durchaus offen für Kooperation. Auf der programmatischen Ebene hat sich beispielsweise China in seiner neuen Afrika-Strategie für die Unterstützung der MDGs ausgesprochen (GoC 2006). Die beste Chance für Erfahrungsaustausch und gemeinsame Strategiebildung mit Gebern außerhalb des DAC bietet sich unter dem Dach der Vereinten Nationen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die laufende Reform des UN-Wirtschaftsund Sozialrats (ECOSOC) neue Bedeutung. Dieses bisher weitgehend einflusslose Gremium soll nach dem Beschluss des Millennium+5-Gipfels eine größere Rolle in der Entwicklungspolitik einnehmen. Zur Überprüfung der Umsetzungserfolge bei den MDGs sollen jährliche Sitzungen auf Ministerebene stattfinden, zu denen auch Berichte der Geber und der internationalen Institutionen vorgelegt werden. Und alle zwei Jahre 56

58 wird ECOSOC eine hochrangige Entwicklungskonferenz einberufen, die einen Kooperationsrahmen für alle maßgeblichen Akteure bieten soll. In diesem Kontext ließe sich auch eine UN- Konditionalität etablieren, die sich an den universell gültigen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsnormen orientiert und nicht einseitig an Geberinteressen. Nach anfänglichem Zögern hat auch der DAC-Vorsitzende, Richard Manning (2006) die Chance erkannt, auf diesem Weg die weltweite Verständigung über gemeinsame Werte, Prinzipien und Verfahren in der Entwicklungszusammenarbeit voranzubringen. Fazit und Ausblick Wie stehen die Chancen zur termingerechten Erreichung der MDGs heute nicht nur global, sondern in jedem einzelnen Land? Viel Anlass für Optimismus gibt es wohl kaum, insbesondere im Hinblick auf Problemregionen wie Afrika südlich der Sahara und schwache Staaten, die unter Gewaltkonflikten und autoritären Systemen leiden. Die fehlende Kompromissbereitschaft der Industrieländer im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde und andere Erscheinungsformen mangelnder Kohärenz machen wenig Hoffnung auf weltwirtschaftliche Weichenstellungen, die für langfristige Erfolge bei den MDGs unerlässlich sind. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit kann der Norden weitreichenden Reformen nicht mehr lange ausweichen. Dabei geht es nicht nur um eine Ausweitung des Ressourcentransfers, etwa über innovative Instrumente wie die Flugticketabgabe, sondern auch um die Bereitschaft, laufende Kosten in den sozialen Schlüsselsektoren zu übernehmen (zum Beispiel für Lehr- und Gesundheitspersonal). Heute wird nur ein Drittel der Entwicklungsgelder an die Niedrigeinkommensländer in Form frei verfügbarer Zuschüsse geleistet; der Rest nutzt zuallererst der Geberseite, beispielsweise in Form von hoch dotierten Expertengehältern. Hoffnung machen die 57

59 zahlreicher werdenden Beispiele von Multiakteursnetzwerken, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich, in denen die Ressourcen von Staaten aus Nord und Süd, internationalen Organisationen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft gebündelt werden. Es muss bis 2015 gelingen, in allen Ländern handfeste Fortschritte bei Armutsreduzierung und ökologischer Nachhaltigkeit vorzuweisen. Sonst droht ein gravierender Rückschlag in der Weltöffentlichkeit, der die Legitimationsbasis der Entwicklungszusammenarbeit insgesamt untergraben könnte (Loewe 2005). Damit dies nicht geschieht, müssen alle Akteure ihre Interessen neu definieren (Fues 2006). Die MDGs sind nicht ausschließlich als ethisch-humanitäre Selbstverpflichtung zur weltweiten Durchsetzung von Menschenwürde und nachhaltiger Entwicklung zu verstehen. Neben diese wichtige Dimension einer neuen Universalethik tritt das aufgeklärte Eigeninteresse der reichen Gesellschaften an globaler Stabilität und Frieden. Die Bereitstellung solcher globalen öffentlichen Güter ist eine unverzichtbare Bedingung für eine gelingende Globalisierung. In einer immer stärker vernetzten Weltgesellschaft sind Wohlstand und Sicherheit in den privilegierten Ländern bedroht, solange Verelendung und soziale Desintegration zur Auflösung staatlicher Strukturen, Flüchtlingsbewegungen und Umweltzerstörungen führen. Auch die Eindämmung des internationalen Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität bleibt eine Illusion ohne Reduzierung der globalen Kluft zwischen Arm und Reich. 58

60 Literatur Fues, Thomas, 1996: Soziale Prioritäten in der Entwicklungszusammenarbeit. Die 20:20-Initiative im Umsetzungsprozess (Friedrich-Ebert- Stiftung) Bonn ( ). Fues, Thomas, 1998: Das Indikatorenprogramm der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung. Frankfurt/M. u.a. Fues, Thomas, 2006: Weltsozialpolitik und Entwicklung, in: Tobias Debiel/ Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt, hg. v. Stiftung Entwicklung und Frieden, Frankfurt/M., i. E. Fues, Thomas/Markus Loewe, 2005: Zwischen Frustration und Zuversicht: Die entwicklungspolitische Bilanz des Millennium+5-Gipfels (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik: Analysen und Stellungnahmen Nr. 7). Bonn. GoC (Government of China), 2006: China s African Policy (Ministry of Foreign Affairs). Beijing ( htm, ). Kaiser, Jürgen, 2006: Ein historischer Durchbruch bei der Entschuldung, in: VENRO (Hg.): Die Millenniumsziele in Reichweite: Eine Bewertung des entwicklungspolitischen Ertrags des Entscheidungsjahrs Bonn, S Loewe, Markus, 2005: Die Millennium Development Goals. Hintergrund, Bedeutung und Bewertung aus Sicht der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik: Discussion Paper 12). Bonn. Manning, Richard, 2006: Will»emerging donors«change the face of international co-operation? (Development Assistance Committee). Paris ( ). Martens, Jens, 2005: Der Bericht des UN Millenniumprojekts»Investing in Development«(Friedrich-Ebert-Stiftung: Dialogue on Globalization briefing papers). Berlin ( global/50048.pdf, ). Messner, Dirk/Peter Wolff, 2005: Die Millenniums-Entwicklungsziele. Über den Sachs-Bericht hinausdenken (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik: Analysen und Stellungnahmen Nr. 5) Bonn. Social Watch Deutschland, 2005: Handeln statt Versprechen. Soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Bonn. 59

61 UN (United Nations), 2006: The Millennium Development Goals Report New York ( Products/Progress2006/MDGReport2006.pdf, ). UNDP (United Nations Development Programme) et al., 1998: Implementing the 20/20 Initiative. New York ( publications/index_5597.html, ). UNDP, 2005: Bericht über die menschliche Entwicklung 2005, hg. v. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Berlin. UNICEF (United Nations Children s Fund), 2005: Zur Situation der Kinder der Welt 2006, Frankfurt/M. UN Millennium Project 2005: Investing in Development. A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals. Report to the UN Secretary-General. New York. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen), 2005: Keine Entwicklung ohne Umweltschutz. Empfehlungen zum Millennium+5-Gipfel (Politikpapier 4), Berlin ( ). WHO (World Health Organization), 2006: Progress in scaling up access to HIV treatment in low and middle-income countries. Genf ( ). World Bank, 2006: World Development Indicators Washington, D.C. World Bank/IMF (International Monetary Fund), 2006: Global Monitoring Report Millennium Development Goals. Strengthening mutual accountability, aid, trade, and governance. Washington, D.C. 60

62 RICHARD BRAND Mehr Worte als Taten? Der deutsche Beitrag zur Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele Die auf dem Millennium-Gipfel der Vereinten Nationen im September 2000 verabschiedete Millennium-Erklärung behandelt wesentliche Fragen der zukünftigen Gestaltung der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert. Als Handlungsorientierung für Entwicklung und Armutsbekämpfung wurden aus der Millennium-Erklärung acht Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) abgeleitet, die es bis 2015 zu erreichen gilt. Betont wird die gemeinsame Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern im Rahmen einer globalen Entwicklungspartnerschaft (MDG 8). Die MDGs haben sich nach schleppendem Beginn mittlerweile als zentraler Referenzrahmen der internationalen Zusammenarbeit etabliert. Dies gilt auch für die Debatte in Deutschland. Bundesregierung und staatliche Entwicklungsorganisationen haben die MDGs und die Millennium-Erklärung als verbindlichen Orientierungsrahmen integriert. Auch nichtstaatliche Organisationen (NGOs) orientieren ihre Projektunterstützungen daran und gestalten ihre Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit»MDGkompatibel«. Zivilgesellschaftliche Kampagnen wie Global Call to Action against Poverty und die UN-gestützte Millennium Campaign werben für mehr Engagement und Solidarität. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Politik der Bundesregierung: Wie hat sie auf die MDGs reagiert? Welche Maßnahmen wurden getroffen? Welche Änderungen sind notwendig? 61

63 Das Aktionsprogramm 2015 Die Bundesregierung reagierte relativ zügig und mit einem umfassenden konzeptionellen Ansatz auf die neuen entwicklungspolitischen Vorgaben. Am 4. April 2001 verabschiedete sie das»aktionsprogramm 2015 Der Beitrag der Bundesregierung zur Halbierung extremer Armut«. Als Zielsetzung formulierte Bundeskanzler Gerhard Schröder:»Dieses Programm bündelt alle Kräfte der Bundesregierung auch in dem Bestreben, die Zusammenarbeit mit den relevanten internationalen Organisationen und anderen Regierungen konsequent auf ihren Beitrag zur Minderung der weltweiten Armut auszurichten. Es unterstreicht den Willen Deutschlands, aktiv an der Halbierung der Armut mitzuwirken.«(bmz 2001, Vorwort). Das Aktionsprogramm 2015 zeigte den Gestaltungswillen der rot-grünen Regierung. Die Übertragung der Federführung an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) war eine Aufwertung der Entwicklungspolitik und der Ministerin in der Kabinettsrunde. Neu war, dass ein ressortübergreifender strategischer Rahmen für alle deutschen Beiträge zum Erreichen der MDGs geschaffen wurde, um die Verringerung der Armut als Kernaufgabe und Kernlegitimation der Entwicklungspolitik zu bestärken und um ein kohärentes Vorgehen in allen relevanten Politikbereichen, die Koordinierung mit anderen bilateralen und internationalen Akteuren und die Einbindung von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft zu fördern (van de Sand 2005). Das Aktionsprogramm identifiziert zehn vorrangige thematische Ansatzpunkte, die sich sowohl auf die Umsetzung der MDGs beziehen als auch Elemente aus der Millennium- Erklärung aufnehmen. Es stellt keine völlige Neuorientierung der Entwicklungspolitik dar, sondern kombiniert bestehende Zielsetzungen mit den neuen internationalen Vereinbarungen und soll strukturelle Änderungen unterstützen. Es geht damit 62

64 in seinem Anspruch über die Entwicklungspolitik hinaus und benennt Handlungsfelder auf der multilateralen Ebene (Global Governance, gleichberechtigte Partnerschaft), auf der Ebene der Partnerländer (strukturelle Reformen, Armutsbekämpfungsstrategien) und bei den Strukturen in Deutschland und Europa (Kohärenz aller Politikfelder, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit). Die zehn Ansatzpunkte des Aktionsprogramms Wirtschaftliche Dynamik und aktive Teilnahme der Armen erhöhen (insbesondere MDGs 1, 8) 2. Das Recht auf Nahrung verwirklichen und Agrarreformen durchführen (MDGs 1, 7, 8) 3. Faire Handelschancen für die Entwicklungsländer schaffen (MDG 8) 4. Verschuldung abbauen Entwicklung finanzieren (MDGs 1, 8) 5. Soziale Grunddienste gewährleisten Soziale Sicherung stärken (MDGs 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8) 6. Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen sichern Eine intakte Umwelt fördern (MDG 7, Millennium- Erklärung) 7. Menschenrechte verwirklichen Kernarbeitsnormen respektieren (Millennium-Erklärung) 8. Gleichberechtigung der Geschlechter fördern (MDG 3) 9. Beteiligung der Armen sichern Verantwortungsvolle Regierungsführung stärken (MDGs 1, 3, Millennium- Erklärung) 10. Konflikte friedlich austragen Menschliche Sicherheit und Abrüstung fördern (Millennium-Erklärung) Quelle: BMZ 2005c 63

65 Dem Aktionsprogramm liegt ein umfassendes Armutsverständnis zugrunde, da es auf die strukturellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen der Armut, die Notwendigkeit zur Stärkung der Selbsthilfepotenziale und die Partizipation der Armen als tragende Prinzipien der Armutsbekämpfung verweist. Es geht damit über den Armutsbegriff der MDGs hinaus, da nicht nur die Einkommensarmut (weniger als 1 US-$ pro Tag) als Indikator verwendet wird, sondern weitere Indikatoren wie geringe Chancen und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten am politischen und wirtschaftlichen Leben, besondere Gefährdung durch Risiken, Missachtung der Menschenwürde und Menschenrechte sowie fehlender Zugang zu Ressourcen Berücksichtigung finden. Das Aktionsprogramm wurde von der Zivilgesellschaft und den Kirchen prinzipiell begrüßt. Dies galt besonders für den Anspruch, die entwicklungspolitische Kohärenz zu stärken und künftig alle neuen Gesetze auf ihre Entwicklungsverträglichkeit und auf ihre Bedeutung für die Armutsminderung zu prüfen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lobte in ihrer Stellungnahme zu den MDGs die konzeptionelle Pionierarbeit des Aktionsprogramms hinsichtlich der Armutsbekämpfung, mahnte aber an, sein Handlungspotenzial auch auszuschöpfen (EKD 2005). Kritisch bemerkt wurde, dass trotz des Anspruchs, die Ursachen der Armut anzugehen, kaum Handlungsvorschläge für den Bereich nationaler und internationaler Strukturpolitik zu finden sind. Es wurde befürchtet, dass das Programm weniger ein Programm der gesamten Bundesregierung ist, sondern eher eines des Entwicklungsministeriums (EED 2002). Zur Koordination und Steuerung des Aktionsprogramms hat das federführende BMZ im Referat 300 einen Arbeitsstab 2015 gebildet. Anfang 2002 kam ein Sektorprogramm»Aktionsprogramm 2015«hinzu, welches von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) betreut wird. Der Arbeitsstab verfügte 2002 und 2003 über einen eigenen Sondertitel (Haus- 64

66 haltstitel ) in Höhe von 90 Mio. (40 Mio. Barmittel und 50 Mio. Verpflichtungsermächtigungen), der ab 2004 in die Haushaltsstruktur des BMZ (Einzelplan 23) überführt wurde. Aus dem Sondertitel wurden unter anderem die Zusammenarbeit in den vier Pilotländern Bolivien, Jemen, Mosambik und Vietnam aufgestockt und zusätzliche Vorhaben der staatlichen Durchführungsorganisationen, der kirchlichen Zentralstellen für Entwicklungszusammenarbeit (EZ), der politischen Stiftungen sowie von privaten Trägern finanziert. In allen Ministerien und im Kanzleramt wurden Kontaktpersonen für den Arbeitsstab benannt. Über Kohärenzgespräche mit anderen Ministerien und durch die Beteiligung an der Rahmenplanung des BMZ wirkt der Arbeitsstab an der Politikgestaltung mit. Im Jahr 2003 wurde zur Koordinierung aller MDG-Fragen in der deutschen EZ zusätzlich die Stelle eines MDG-Beauftragten direkt beim Staatssekretär im BMZ eingerichtet. In den staatlichen Durchführungsorganisationen (GTZ, KfW, InWent, DED) wurden ebenfalls MDG-Beauftragte benannt und eine Orientierung auf die MDGs in die Wege geleitet. Trotz der konzeptionellen Ausrichtung auf die MDGs, zahlreicher neuer Initiativen und institutioneller Änderungen blieb die Umsetzung des Programms hinter den Erwartungen zurück. Der Anspruch, Referenzrahmen für die gesamte Bundesregierung zu sein, wurde nur bedingt eingelöst. Schon bei den Koalitionsgesprächen 2002 ließen sich erweiterte Kompetenz- und Führungsansprüche für das BMZ gegenüber anderen Ministerien nicht vereinbaren. Die Folgen waren, dass die politische Wirkung als ressortübergreifendes Programm und als Programm der gesamten Bundesregierung de facto an Gewicht verlor, auch wenn die Ministerin die Bedeutung des Aktionsprogramms als Referenzrahmen weiterhin betonte. Indizien für den Bedeutungsverlust waren, dass Bundeskanzler Schröder sich wenig für das Programm einsetzte, der angekündigte Operationsplan nie vorgelegt und der Haushalts-Sonder- 65

67 titel später in die bestehenden Titel im Einzelplan 23 integriert wurde. Das Aktionsprogramm 2015 blieb weitgehend auf entwicklungspolitische Aktivitäten konzentriert und ist damit de facto ein Programm des BMZ. Zum 2. Zwischenbericht kommentierte der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), das Programm stelle noch immer eine bemerkenswerte Selbstverpflichtung der Bundesregierung dar, die Bekämpfung der Armut zu einer gesamtpolitischen Aufgabe zu machen, leider sei es aber bei dem programmatischen Anspruch geblieben, da die Umsetzungsschritte dem nicht gerecht würden (VENRO 2004). Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) mahnte an, dass im Hinblick auf die Bewertung der Zielerreichung der vom BMZ angekündigte Umsetzungsplan endlich vorgelegt werden sollte und bemängelte, dass trotz vieler Einzelmaßnahmen keine deutliche Umsteuerung in Richtung einer Überwindung der extremen Armut und einer Fokussierung auf die ärmsten Länder zu erkennen sei (GKKE 2004). Der Social Watch Report sieht die Ergebnisse der entwicklungspolitischen Kohärenz kritisch, da diese häufig den Interessen anderer Ministerien untergeordnet wurde (Heidel 2005). 1 Mit dem Regierungswechsel 2005 hat sich der Bedeutungsverlust des Aktionsprogramms weiter verstärkt. In den Koalitionsvereinbarungen wurde es nicht erwähnt. Obwohl es nach Aussage der Entwicklungsministerin weiter als ein Referenzrahmen neben anderen Vereinbarungen gelten soll, ist seine politische Bedeutung für die Regierungspolitik ungewiss. Der bisher ausgebliebene 3. Zwischenbericht, der nun im Frühjahr 1 Die GKKE legt seit 2002 jährlich einen Bericht zur Umsetzung des Aktionsprogramms 2015 vor ( Als Beitrag der Zivilgesellschaft zum Monitoring der Fortschritte bei der Armutsbekämpfung und der Gleichstellung der Geschlechter versteht sich der jährliche internationale Social Watch Report ( Ein darauf basierender deutscher Report wird seit 2001 vorgelegt ( 66

68 2007 vorgelegt werden soll, könnte in dieser Frage eine Klärung bringen. Armutsbekämpfung, MDG-Orientierung und Wirkungsmonitoring Die Bundesregierung versteht Armutsbekämpfung als eine überwölbende Zielsetzung, die durch direkte und indirekte Maßnahmen erreicht werden soll. Dazu gehören die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung (soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Förderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen) und politisch dimensionierte Maßnahmen (Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, friedliche Konfliktbeilegung). Dieser umfassende Ansatz entspricht dem internationalen entwicklungspolitischen Konsens. Die Frage ist, wie die Maßnahmen gewichtet werden, in welchem Zusammenhang sie stehen und wie sie zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen beitragen. Überarbeitung des BMZ-Leitfadens zur Armutsorientierung erforderlich Ein wichtiges Projekt ist die Überarbeitung des derzeit gültigen BMZ-Leitfadens zur Beurteilung der Armutsorientierung aus dem Jahr 1997 (BMZ 1997). Nach Veränderungen der inhaltlichen und institutionellen Rahmenbedingungen war dieser Schritt überfällig. Es gilt im BMZ-Leitfaden neue Grundsatzdokumente zu berücksichtigen, die Änderungen des OECD- Entwicklungsausschusses (Development Assistance Committee, DAC) bei den Leitlinien zur Armutsbekämpfung aufzunehmen, aber auch die stärkere Ausrichtung der EZ auf Wirkung und die Verschiebung vom Projektansatz in Richtung Budgethilfe und Programmfinanzierung zu reflektieren. Ein vom 67

69 BMZ in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, dass eine Aktualisierung nicht ausreicht, sondern ein neuer Leitfaden erstellt werden sollte; dieser liegt derzeit noch nicht vor. Die Notwendigkeit zur Überarbeitung illustriert eine Kontroverse zwischen dem BMZ und NGOs über die Armutsorientierung der deutschen EZ. Laut Leitfaden erhalten Vorhaben der unmittelbaren Armutsbekämpfung die Kennungen SHA (selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung) und SUA (sonstige unmittelbare Armutsbekämpfung). Die Kennung MSA (übergreifende Armutsbekämpfung auf Makro- und Sektorebene) gilt für Vorhaben, bei denen eine plausible Wirkungskette zwischen Vorhaben und Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen herzustellen ist. Die Kennung EPA (allgemeine entwicklungspolitische Ausrichtung) gilt für Vorhaben, die nicht unmittelbar armutsorientiert wirken, aber aus entwicklungspolitischen Gründen förderungswürdig sind. Der Anteil der armutsorientierten Vorhaben mit einer MSA-Kennung stieg von 27 % im Jahr 2002 auf 60 % im Jahr Während die GKKE dem BMZ»Etikettenschwindel«vorwarf (GKKE 2004), verwies das BMZ auf die indirekte armutsorientierte Wirkung von strukturbildenden Aktivitäten auf der Meso- und Makro ebene. Auch wenn die Argumentation des BMZ analytisch a priori nicht falsch ist, bleibt die Frage, warum der Anteil von plausiblen Wirkungsketten fast sprunghaft zugenommen haben soll. Es ist zu vermuten, dass für eine Vielzahl von mehr oder minder armutsorientierten Maßnahmen die MSA- Kennung als Auffangbecken diente. Sektorale und regionale MDG-Orientierung erhöhen Um den Beitrag der deutschen EZ zur Erfüllung der MDGs zu beurteilen, ist genauer zu betrachten, ob der im Aktionsprogramm 2015 formulierte politische Anspruch sich auch in einer stärkeren Mittelallokation zugunsten der MDG-Sektoren 68

70 niederschlägt und eine Fokussierung auf besonders arme Länder zu verzeichnen ist. In einer vergleichenden Untersuchung zur Entwicklungspolitik von Dänemark, Deutschland, Irland, Italien, Niederlande, der Tschechischen Republik und der Europäischen Union schneidet die Bundesrepublik hinsichtlich ihrer MDG-Orientierung mit 44 von 100 möglichen Punkten eher mittelmäßig ab (Alliance ). Kritisiert wird vor allem die geringe Mittelzuweisung für soziale Grunddienste. Im Jahr 2003 wurden nur 10,4 % der bilateralen EZ dafür verwandt, weniger als im Jahr 2000 mit 11,64 % (Alliance , 40). Deutschland ist damit weit von der Erfüllung der 20/20-Initiative entfernt, die beim Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen beschlossen wurde. Die Initiative sieht vor, dass sich Entwicklungs- und Industrieländer verpflichten, durchschnittlich 20 % des Staatshaushaltes bzw. 20 % der Mittel für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) für soziale Grunddienste zu verwenden, also zum Beispiel für Grundbildung, Basisgesundheit, reproduktive Gesundheit, Ernährungsprogramme, Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung. In der bilateralen Zusammenarbeit zeichnet sich seit einigen Jahren eine Verschiebung zu Gunsten der ärmeren Länder ab leitete das BMZ eine stärkere geographische Konzentration von zuvor 120 Kooperationsländern auf ca. 70 Länder ein. Damit verbunden war auch eine Reduzierung der bis dahin geltenden Präferenz für Länder der mittleren Einkommensgruppe, deren Anteil von über 50 % der bilateralen ODA im Jahr 2002 auf ca. 44 % im Jahr 2004 zurückging (OECD 2005, 34f.). Trotz dieser positiven Entwicklung ist die Bundesregierung vom Ziel der Vereinten Nationen, 0,15 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) zu verwenden, noch entfernt. Nach Berechnungen 2 Alliance 2015 ist ein Zusammenschluss von sechs europäischen NGOs, die regelmäßig einen 2015-Watch Report zur Umsetzung der MDGs vorlegen. 69

71 der OECD betrug der über bilaterale und multilaterale Stellen gehende ODA-Anteil an LDCs im Jahr % der gesamten deutschen ODA. Dies entspricht einem Anteil von 0,10 % am BNE (OECD 2005, 35 u. 94). Um den deutschen Beitrag zur Erreichung der MDG-Ziele zu stärken, ist daher eine substanzielle Erhöhung der BMZ- Mittel für soziale Grunddienste wie Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung sowie Ernährungssicherung zwingend erforderlich. Der Anteil der Mittelvergabe an die ärmsten Länder sollte stetig und dauerhaft erhöht werden (GKKE 2005, 42f.). Mehr Wirkung erzielen Durch die quantitativen und mit einem eindeutigen Zeithorizont versehenen MDGs wurde international die Debatte über Wirkungsorientierung und über eine stärkere Effektivität und Effizienz der EZ gefördert. Es gilt analytisch zu erfassen und zu belegen, ob und wie die Konzepte, Maßnahmen und Strategien zur Erfüllung der MDGs beitragen. Die seit langem bestehenden Systeme des Monitorings, der Evaluierung und Erfolgskontrolle auf der Projekt- und Programmebene müssen um eine aggregierte, MDG-orientierte Gesamtperspektive ergänzt werden. Um die politische und gesellschaftliche Unterstützung für eine Erhöhung der öffentlichen EZ zu erwirken, muss diese außerdem zeigen können, dass zusätzliche Gelder auch zusätzliche Wirkungen erzielen. Um Wirkungen besser belegen zu können, startete das BMZ diverse Initiativen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und den Durchführungsorganisationen und ist aktiv an den Diskussionen im OECD- Entwicklungsausschuss beteiligt. Auch wenn damit wichtige Erkenntnisse zur Ermittlung aggregierter Wirkungszusammenhänge geschaffen wurden, ist nach Aussage der Leiterin des BMZ-Evaluierungsreferates aufgrund der komplexen Zu- 70

72 sammenhänge und methodischen Schwierigkeiten nicht damit zu rechnen, dass demnächst mit Zahlen belegt werden kann, welche Beiträge die deutsche EZ zu einzelnen MDGs geleistet hat (Zintl 2006, vgl. auch den Beitrag von Kranz-Plote). Im März 2005 verabschiedete die OECD die Paris Declaration on Aid Effectiveness, in der die Bedeutung einer stärkeren Wirkungsorientierung bekräftigt wurde. Die MDG-Stabsstelle erstellte daraufhin ein Umsetzungspapier, in dem das Kohärenzgebot, das Partnerschaftsprinzip und die Orientierung auf Wirkungen als handlungsleitende Prinzipien bekräftigt und die nötigen Maßnahmen in einem Operationsplan 2005/2006 konkretisiert werden (BMZ 2005b). Ein öffentlicher Fortschrittsbericht zur Umsetzung des Operationsplans liegt noch nicht vor. Zur Verbesserung der Transparenz wäre es zu begrüßen, wenn das BMZ seine Anstrengungen in regelmäßigen Zwischenberichten dokumentieren würde. Spannende Fragen für die fachliche Debatte sind, inwiefern das geltende Effektivitäts- und Effizienz-Paradigma bestimmte technokratische Ansätze bevorzugt, die Pluralität von Ansätzen erschwert, die Unabhängigkeit der Arbeit von NGOs negativ beeinflusst und ob damit letztlich einer formierten Entwicklungspolitik Vorschub geleistet wird. Geringe Ressourcenmobilisierung zur Entwicklungsfinanzierung Für die Umsetzung der MDGs braucht es zusätzliche finanzielle Mittel. Die betroffenen Länder müssen neue inländische Ressourcen mobilisieren oder ihre Ausgaben stärker zur Förderung der MDG-relevanten Handlungsfelder verwenden. Gleichzeitig sind bei der Finanzierung der MDGs die wohlhabenderen Staaten gefordert. Das von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Millennium-Projekt unter der Leitung von Jeffrey Sachs hat die Kosten für die weltweite Umsetzung 71

73 der MDGs bis zum Jahr 2015 geschätzt und eine Erhöhung der jährlichen ODA auf 135 Mrd. US-$ bis 2010 und eine Steigerung auf 195 Mrd. US-$ bis 2015 gefordert. Der deutsche ODA-Anteil ist in den 1990er Jahren auf Werte unterhalb von 0,3 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) gesunken. Um einen adäquaten Beitrag zu leisten, muss die deutsche Entwicklungshilfe deutlich erhöht werden. Zögerliche Anhebung der ODA Die Antwort der Bundesregierung fiel zunächst enttäuschend aus. Der BMZ-Etat, der den größten Anteil der ODA umfasst, blieb zwar von den allgemeinen Haushaltskürzungen weitgehend verschont, wurde aber auch nicht nennenswert erhöht. Von 2001 bis 2004 verharrte der Anteil der ODA (Bund, Länder und Kommunen) zwischen 0,27 % und 0,28 % des BNE. Länder wie Norwegen, Schweden, Niederlande und Dänemark erreichen dagegen Anteile von über 0,8 % am BNE. Tabelle 1 Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands (in Mio. US-$ zu jeweiligen Preisen und Wechselkursen) Jahr ODA insgesamt Davon: Bilateral Multilateral ODA (in % des BNE) 0,27 0,27 0,27 0,28 0,28 0,35 Quelle: OECD 2005, Zahlen 2005 entnommen aus den DAC-Statistiken auf der OECD-Website 72

74 Erst im Vorfeld des Millennium+5-Gipfels im September 2005 kam es zu weiter gehenden politischen Initiativen. Durch den Beschluss des Europäischen Rates vom 16./17. Juni 2005 verpflichtete sich die Bundesregierung im Rahmen eines Stufenplanes, ihre ODA bis zum Jahr 2015 auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts aufzustocken. Der EU-Stufenplan bedeutet für Deutschland, dass bis zum Jahr ,51 % erreicht werden sollen. Die Mittel für EZ müssten dann auf 15,5 Mrd. US-$ erhöht werden. Dies entspricht im Vergleich zu 2004 einem Anstieg um 106 % in realer Rechnung (OECD 2005, 29). Der 13. Bericht 2004/2005 zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe erstellte auf der Basis von Schätzungen der Europäischen Kommission eine Projektion für einen möglichen 2015-Stufenplan Deutschlands. Der deutsche Beitrag müsste demnach zwischen 2006 und 2010 um jährlich 1,27 Mrd. wachsen und danach um jährlich 1 Mrd. bis 2015 (terre des hommes/welthungerhilfe 2005, 9f.) Der EU-Beschluss stellt eine wichtige politische Selbstverpflichtung dar und erhöht den Druck auf die einzelnen Staaten. Die Bundesregierung hatte sich für die Annahme des EU- Beschlusses eingesetzt. Im Koalitionsvertrag 2005 wird das Ziel bekräftigt. Um die politische Ernsthaftigkeit zu untermauern und um die Transparenz zu erhöhen, sollte die Bundesregierung umgehend einen eigenen Stufenplan verabschieden, der Umsetzungsstrategien, Finanzierungsquellen und Maßnahmen benennt. Sie würde damit mit anderen EU-Ländern gleichziehen, die solche Umsetzungspläne schon verabschiedet haben. Kritik an der Berechnung der ODA-Quoten Die Erhöhung der öffentlichen EZ wird seitens der internationalen Zivilgesellschaft nicht in Frage gestellt. Deutliche Kritik gibt es an der derzeit gültigen Berechnung der ODA-Quote. 73

75 Im April 2006 stellten europäische NGOs den Bericht»EU Aid: Genuine Leadership or Misleading Figures?«vor, in dem für einige EU-Mitglieder die absoluten und relativen Anteile von»aufgeblähter«hilfe (inflated aid) ermittelt wurden (Joint European NGO Report 2006). Ihrer Meinung nach sollten bei der Berechnung Schuldenerlasse, Ausgaben für Studienplatzkosten von Studierenden aus Entwicklungsländern und die Kosten für die Betreuung von Asylbewerbern und deren zwangsweise Rückführung ausgeklammert werden, da damit keine zusätzlichen Ressourcentransfers in die Entwicklungsländer realisiert werden. Für Deutschland ermittelte der Bericht für das Jahr 2005 einen Betrag von ca. 3,4 Mrd. an aufgeblähter Hilfe, das entspricht 43 % der offiziellen ODA. Die deutsche ODA-Quote würde sich von 0,35 % auf 0,2 % des BNE reduzieren, wenn dieser Betrag abgezogen wird (Joint European NGO Report 2006). Der Anstieg der deutschen ODA-Quote 2005 ist primär eine Folge der Schuldenerlasse für den Irak und Nigeria. Der Anteil der Schuldenerlasse wird für 2005 mit ca. 32 % der ODA angegeben. Da die Schulden von den Entwicklungsländern meist seit Jahren nicht mehr bedient werden, führt dies nicht zu einem zusätzlichen Ressourcentransfer. Dies gilt für die Mehrzahl der LDCs, die in der HIPC-Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (heavily indebted poor countries, HIPC) berücksichtigt wurden. Bei den Irak-Schulden kommt hinzu, dass damit ehemalige kommerzielle Handelsforderungen von Unternehmen, die über die Hermes-Kreditversicherung in öffentliche Forderungen verwandelt wurden, nachträglich zu EZ-Leistungen gemacht werden. Bei der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im März 2002 in Monterrey war die Bundesregierung in dieser Frage schon weiter, denn im unterzeichneten Abschlussdokument werden die Geberländer aufgefordert, auf die Anrechnung von Schuldenerlassen auf die ODA-Quote zu verzichten. Die NGOs fordern daher, dass die Bundesrepublik und andere 74

76 Staaten freiwillig auf die Anrechnung verzichten. Ein Vorschlag ist, die Leistungen aus Schuldenerlassen in einer eigenen Statistik zu dokumentieren. Die Aussagekraft der ODA- Zahlen würde erhöht, wenn Leistungen ohne Ressourcentransfer ausgeklammert werden und dadurch erlassbedingte Schwankungen entfallen. Das Festhalten der Bundesregierung an der gängigen Praxis deutet allerdings darauf hin, dass sie die Erreichung des EU-Stufenplans mittels Erhöhung der Haushaltsmittel oder durch die Einführung innovativer Finanzierungsinstrumente eher skeptisch beurteilt und Schuldenerlasse eine wichtige Funktion bei der Steigerung der ODA-Quote haben. Wenig Initiative bei innovativen Finanzierungsinstrumenten Seit der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2002 gibt es eine intensive Debatte zu innovativen Finanzierungsmechanismen, mit denen zusätzliche Mittel aufgebracht werden sollen, um die Finanzierungslücke zwischen ODA und MDG- Erfordernissen zu schließen. Im Zentrum stehen internationale Steuern und Umweltabgaben für globale Gemeinschaftsgüter, mit denen sowohl Finanzierungs- als auch Lenkungseffekte erzielt werden können. Dazu gehören beispielsweise die Abgabe auf Flugtickets, die Besteuerung von Flugbenzin, eine Devisenumsatzsteuer (Tobin-Steuer), die Nutzung von Kapitalmarktanleihen, eine Abgabe auf Waffengeschäfte und Abgaben auf den Kohlendioxidausstoß. Mittlerweile haben 18 Länder, darunter Chile, Frankreich, Großbritannien und Südkorea, eine Abgabe auf Flugtickets eingeführt. Großbritannien forciert einen Vorschlag, Entwicklungshilfe durch Anleihen am Kapitalmarkt (internationale Finanzfazilität) vorzufinanzieren. Obwohl sich die Bundesregierung bei der Monterrey-Konferenz durchaus offen für Innovationen zeigte und das BMZ auf einer Veranstaltung sogar eine Studie über die Machbarkeit 75

77 einer Devisenumsatzsteuer (Vorschlag von Wirtschaftsprofessor Paul Bernd Spahn) präsentierte, spielte sie in der Folgezeit international eine zögerliche und wenig aktive Rolle. Sie beteiligt sich lediglich an der Leading Group zur Weiterentwicklung von globalen Abgaben, die auf der Pariser Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im März 2006 gebildet wurde. Eine Entscheidung zur Einführung eines bestimmten innovativen Finanzierungsinstruments steht weiterhin aus. Die Beteiligung an der Internationalen Finanzfazilität lehnt die Bundesregierung ab, und sie beabsichtigt auch nicht, eine Wertpapierumsatzsteuer oder eine Devisentransaktionssteuer einzuführen (Deutscher Bundestag 2006). Als Fazit lässt sich konstatieren, dass die Bundesregierung seit Monterrey über allgemeine Absichtserklärungen nicht hinausgekommen ist. Gute Chancen zur Profilierung bieten sich durch die EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und den G8-Gipfel 2007 in Deutschland. In einem ersten Schritt sollte zumindest und umgehend eine Abgabe auf Flugtickets eingeführt werden. Globale Steuern zur Entwicklungsfinanzierung und zur Gestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind wichtige Zukunftsthemen. Die Bundesregierung sollte sich aktiv an dieser Debatte beteiligen und eigene Konzepte unterbreiten, statt nur mitzulaufen, abzuwarten und bestehende Vorschläge abzulehnen. Entwicklungspolitische Kohärenz 3 Die OECD hatte in ihrem Prüfbericht zu Deutschland 2001 im Bereich Kohärenz institutionelle und konzeptionelle Defizite konstatiert und Handlungsbedarf angemahnt. Mit dem Ak- 3 In einer allgemeinen Definition wird Kohärenz als das Zusammenwirken aller im jeweiligen Kontext relevanten Politiken zur Erreichung übergeordneter Entwicklungsziele beschrieben. 76

78 tionsprogramm 2015 formalisierte die Bundesregierung ihr Konzept für ein kohärentes entwicklungsorientiertes Vorgehen in allen Politikbereichen in Deutschland, in der EU und auf internationaler Ebene. Aufbauend auf einer Evaluierung der laufenden Kohärenzaktivitäten durch das DIE im Jahr 2003 erstellte das BMZ eine Kohärenzagenda mit 14 Zielen, die sich überwiegend auf die Verbesserung der Instrumentarien und der Verfahren beziehen. Im Bericht von 2005 würdigt der OECD-Entwicklungsausschuss, die Bundesregierung habe eine solidere Basis zur Förderung verstärkter Politikkohärenz geschaffen. Zugleich unterbreitet er weiterführende Vorschläge in den Bereichen Politik, analytische Kapazität und Monitoring-Mechanismen. Empfohlen wird unter anderem eine bessere Abstimmung der Kohärenzagenda mit dem Aktionsprogramm 2015, indem explizite Kohärenzziele für jeden Prioritätsbereich des Programms formuliert und Umsetzungsstrategien entwickelt werden. Nachholbedarf wird beim Kohärenz-Monitoring gesehen, da darüber noch nicht systematisch berichtet wird und noch keine Ergebnisindikatoren festgelegt wurden (OECD 2005). So behandelt der BMZ-Bericht»Der Beitrag Deutschlands zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele«das Thema lediglich auf einer Seite (BMZ 2005a). In allgemeinen Worten werden Mitbestimmungsmöglichkeiten des BMZ, die Ressortabstimmungen und befristete interministerielle Arbeitsgruppen erwähnt, ohne näher auf Ergebnisse, Strategien oder Konflikte einzugehen. Die Forderung nach entwicklungspolitischer Kohärenz wird von den Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen schon seit Jahren erhoben. Schon Anfang der 1990er Jahre wurde auf die negativen Auswirkungen subventionierter Rindfleischexporte der EU verwiesen, die mit Dumpingpreisen lokale Märkte in Westafrika zerstören, das Einkommen von Kleinbauern reduzieren und Entwicklungsprojekte konterkarieren. So schreibt»brot für die Welt«2000 in seiner Grundsatz- 77

79 erklärung»den Armen Gerechtigkeit«:»Entwicklungspolitik, internationale Menschenrechts-, Friedens- und Umweltpolitik müssen als globale Strukturpolitik einen zentralen Rang erhalten. Das Handeln der politisch Verantwortlichen muss kohärent dem Ziel der Gerechtigkeit verpflichtet sein.«(brot für die Welt 2000, 35). Zentrale Forderungen sind gerechte Welthandelsregeln und eine armutsorientierte Handels-, Agrar- und Wirtschaftspolitik, die im Einklang mit den im internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte definierten Menschenrechten steht und die internationalen Vereinbarungen und Kernprinzipien des Umweltschutzes respektiert (VENRO 2006). Die aktuelle Debatte um entwicklungspolitische Kohärenz beinhaltet eine Vielzahl weiterer Themen, zu denen zivilgesellschaftliche Organisationen und Netzwerke arbeiten und ihre Positionen und die ihrer Partner aus dem Süden in die Debatte einbringen. Bei allen Unterschieden kann das Eintreten für einen menschenrechtlichen Ansatz (rightsbased approach), der in diversen UN-Konventionen kodifiziert ist, als gemeinsamer Nenner der zivilgesellschaftlichen Positionen gelten. Die Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik für außenpolitische, wirtschaftliche oder andere Zielsetzungen wird abgelehnt. Schlussbemerkung Die Anstrengungen der deutschen staatlichen EZ zur Erfüllung der MDGs können bisher als ambivalent bezeichnet werden. Positiv ist zu vermerken, dass die Bundesregierung sich programmatisch frühzeitig auf die Erfüllung der MDGs bezogen, institutionelle Änderungen vorgenommen sowie Initiativen zur Verbesserung der Armutsorientierung und für ein besseres Wirkungsmonitoring gestartet hat. Enttäuschend ist, dass sie ihren Verpflichtungen zur deutlichen Erhöhung der Mittel für die Entwicklungsfinanzierung bisher kaum nachge- 78

80 kommen ist und dass bei der Allokation der Mittel noch erheblicher Nachholbedarf für eine stärkere MDG-Orientierung besteht. Auf politischer Ebene ist es notwendig, sich stärker für verbesserte internationale politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen einzusetzen, die den Entwicklungsländern und armen Bevölkerungsgruppen faire Partizipationsmöglichkeiten bieten und ökologisch nachhaltig sind. Die Umsetzung einer entwicklungspolitisch kohärenten Politik steht noch aus. Literatur Alliance 2015, 2005: 2015-Watch. The Millennium Development Goals. A comparative performance of six EU Member States and the EC aid programme. Den Haag. BMZ, 1997: Leitfaden zur Beurteilung der Armutsminderung von Vorhaben der Zusammenarbeit vom Bonn. BMZ, 2001: Armutsbekämpfung Eine globale Aufgabe, Aktionsprogramm Der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung der extremen Armut (BMZ-Materialien Nr. 106). Bonn. BMZ, 2004: Auf dem Weg zur Halbierung der Armut. 2. Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung des Aktionsprogramms 2015 (BMZ Spezial Nr. 88). Bonn. BMZ, 2005a: Der Beitrag Deutschlands zur Umsetzung der Millenniums- Entwicklungsziele (BMZ-Materialien Nr. 140). Bonn. BMZ, 2005b: Mehr Wirkung erzielen. Die Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf die Millenniums-Entwicklungsziele (BMZ-Spezial Nr. 130). Bonn. BMZ, 2005c: Zwölfter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung (BMZ-Materialien Nr. 131). Bonn. Brot für die Welt, 2000: Den Armen Gerechtigkeit. Herausforderungen und Handlungsfelder. Stuttgart. Deutscher Bundestag, 2006: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/1072, Berlin. EED (Evangelischer Entwicklungsdienst), 2002: dass du Recht schaffest den Armen. Plädoyer für eine kohärente Entwicklungspolitik (EED Dialog 2). Bonn. 79

81 EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), 2005 (Hg.): Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung. Die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen. Eine Stellungnahme der Kammer für nachhaltige Entwicklung der EKD zur Sondervollversammlung der Vereinten Nationen im September Hannover. GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung), 2004: Halbierung der extremen Armut. Dritter GKKE-Bericht (GKKE-Schriftenreihe Nr. 35). Berlin. GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung), 2005: Millenniumsziele auf dem Prüfstand, Vierter GKKE-Bericht zur Halbierung der extremen Armut (GKKE-Schriftenreihe Nr. 37). Berlin. Heidel, Klaus, 2005: Gemischte Bilanz. Zehn Jahre deutsche Entwicklungspolitik, in: Social Watch Deutschland Report 2005, S Joint European NGO Report, 2006: EU Aid: Genuine Leadership or Misleading Figures? Brüssel. OECD, 2005: DAC-Prüfbericht über die Entwicklungszusammenarbeit Deutschland. Paris van de Sand, Klemens, 2005: Armutsbekämpfung als entwicklungspolitische Kernaufgabe, in: Zeitschrift Entwicklungspolitik Nr. 12/13, S terre des hommes/welthungerhilfe, 2005: Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe, Dreizehnter Bericht 2004/2005. Bonn/Osnabrück. VENRO, 2004: In der Armutsbekämpfung der Bundesregierung klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander, Pressemitteilung 2/2004, 5. April. Bonn. VENRO, 2006: Wort halten. Mehr deutsches Engagement für die Millenniumsentwicklungsziele. VENRO-Positionspapier. Bonn. Zintl, Michaela, 2006: Von Wirkungen und Nebenwirkungen, in: EINS Entwicklungspolitik Nr. 9, S

82 JUTTA KRANZ-PLOTE 1 Chancen und Herausforderungen bei der operativen Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele Eine Innenperspektive Auf dem UN-Gipfeltreffen im September 2000 hat die Bundesregierung gemeinsam mit 188 anderen Staaten der Millennium- Erklärung zugestimmt. Damit hat sie sich verpflichtet, ihren Beitrag zur Erreichung der darin formulierten Entwicklungsziele einschließlich der später abgeleiteten acht Millennium Development Goals (MDGs) zu leisten. Für alle Unterzeichner der Millennium-Erklärung Entwicklungsländer wie Industrienationen stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar. Der mit der Millennium-Erklärung angestoßene Prozess beinhaltet aber auch große Chancen, die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) signifikant zu verbessern. Ein verbindlicher Referenzrahmen für die strategische Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Die acht MDGs definieren Ziele, die für jeden unmittelbar verständlich sind. Hierin liegt ihre besondere Überzeugungskraft und aus diesem Grund wurden sie so einfach und eindeutig formuliert. Es wäre aber fatal, wollte man daraus eine ebenso einfache Strategie für ihre Umsetzung ableiten. Dies würde dem Charakter der MDGs und ihrem qualitativen Mehrwert 1 Der Beitrag gibt den Standpunkt der Autorin wieder. 81

83 für die internationale Entwicklungszusammenarbeit nicht gerecht. Es kann daher nicht primär darum gehen, nun möglichst viele EZ-Mittel in die Bereiche zu lenken, die in den MDGs unmittelbar angesprochen sind, wie zum Beispiel die Grundbildung, die Verbesserung der Gesundheitsversorgung oder die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser. Schon in den vergangenen Jahrzehnten wurde in diese Sektoren viel investiert, ohne dass die Ergebnisse zufrieden stellend gewesen wären. Gerade die Enttäuschung über unzureichende Entwicklungsfortschritte war es ja, die zu den großen Weltkonferenzen der 1990er Jahre und schließlich zum Millenniumsgipfel führte. Die Gründe für die mangelnden Erfolge sind vielschichtig und können nicht nur in den unzureichenden Mitteln für die EZ gesehen werden. Eine nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung lässt sich weder erkaufen noch importieren. Es hängt vielmehr ganz wesentlich vom politischen Willen der Partnerund Geberländer ab, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Welch bedeutende Rolle entwicklungsförderliche Faktoren wie gute Regierungsführung und faire Handelschancen spielen, ist seit langem bekannt. Mit der Millenniums-Agenda besteht die Chance, hier einen entscheidenden Schritt weiterzukommen. Wenn die Millennium-Erklärung und die MDGs die Welt tatsächlich verändern sollen, dann muss ihr Potenzial zur Umsetzung struktureller Veränderungen genutzt werden. Genau das ist die Herausforderung, der sich alle Beteiligten, auch in der deutschen EZ, zu stellen haben. Um diese Chance zu nutzen, müssen die MDGs richtig verstanden werden. Die Millenniums-Entwicklungsziele beschreiben Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben: die Freiheit von Armut und ihre Auswirkungen in den Bereichen Bildung, Gleichberechtigung der Geschlechter, Gesundheit und Schutz natürlicher Ressourcen. Die MDGs stellen aber keine umfassende Entwicklungsagenda dar, denn sie enthalten nicht den Schutz der Bürger- und Menschenrechte sowie 82

84 Frieden und Sicherheit als Grundbedingungen menschlicher Entwicklung. Daher müssen die MDGs immer im Kontext der Millennium-Erklärung gesehen werden. Diese ist eine umfassende Agenda für die internationale Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts und entspricht dem systemischen Entwicklungsansatz, der sich insbesondere seit den 1980er und 1990er Jahren in der EZ herausgebildet hat. Die MDGs können nur verwirklicht werden, wenn es Fortschritte in allen Handlungsfeldern der Erklärung gibt. Aus diesem Grund sind für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nicht nur die MDGs, sondern alle Ziele der Millennium-Erklärung der verbindliche Referenzrahmen. Die Ziele der deutschen Entwicklungspolitik Armut mindern, Frieden sichern, Globalisierung gerecht gestalten und Umwelt schützen entsprechen dem systemischen Ansatz der Millennium-Erklärung, wobei Armutsbekämpfung die Kernaufgabe der Entwicklungspolitik ist. Zugrunde liegt dabei ein mehrdimensionales Armutsverständnis, wie es heute international gültig ist. Demnach bedeutet Armut nicht nur geringes Einkommen, sondern auch geringe Chancen und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten am politischen und wirtschaftlichen Leben, besondere Gefährdung durch Risiken, Missachtung der Menschenrechte sowie fehlender Zugang zu Ressourcen. Aus diesem Grund ist es zwar wichtig, dass sich die deutsche EZ in den Handlungsfeldern engagiert, die sich aus den MDGs ergeben und hierzu wichtige Beiträge leistet (BMZ 2005a) 2. Doch eine strukturell wirksame Unterstützung der Millenniums-Agenda erfordert mehr als das. 2 So werden beispielsweise die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Kampf gegen HIV/AIDS sowohl durch die Verankerung als Querschnittsthemen in der EZ als auch durch spezielle Fördermaßnahmen unterstützt. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Geber im Wassersektor und setzt sich sehr stark für Umweltbelange ein. Mit Blick auf MDG 8 engagiert sich die deutsche EZ unter anderem für die Umsetzung des ODA-Stufenplans der EU, die Entschuldungsinitiative sowie Handelsverbesserungen für Entwicklungsländer. 83

85 Die deutsche EZ im Kontext der internationalen Prozesse zur Umsetzung der Millennium-Agenda Als Folge des in New York angestoßenen Prozesses sind seit dem Jahr 2000 weitere internationale Vereinbarungen getroffen worden, die den programmatischen Rahmen für die deutsche Entwicklungspolitik bilden. Als wichtigste sind hier der Konsens der Entwicklungsfinanzierungskonferenz 2002 in Monterrey, der Aktionsplan des Weltnachhaltigkeitsgipfels 2002 in Johannesburg, die Erklärung von Rom zur Geberharmonisierung aus dem Jahr 2003, die im Frühjahr 2005 verfasste Paris- Erklärung zur Steigerung der Wirksamkeit der EZ und schließlich der Millennium+5-Gipfel im September 2005 in New York zu nennen. Die Bedeutung dieses Gipfels für die Arbeit der EZ muss im Kontext seiner Vor- und Nachbereitung gesehen werden. Der Stufenplan zur Erhöhung der Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) der EU, der vorsieht, dass alle Mitgliedstaaten gemeinsam bis ,7 % des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, sowie die Erweiterung der Entschuldungsinitiative von Gleneagles für sehr arme hoch verschuldete Länder, stehen hiermit in unmittelbarem Zusammenhang. Die deutsche EZ gestaltet diese internationalen Prozesse mit und hat sich den entsprechenden neuen Herausforderungen frühzeitig gestellt. Bereits im April 2001 verabschiedete die Bundesregierung als einer der ersten Geber mit dem Aktionsprogramm 2015 ihre Strategie zur Umsetzung der Millennium-Erklärung (BMZ 2001). Das Programm umfasst zehn Ansatzpunkte in den Bereichen Wirtschaft und Landwirtschaft, Handel, Verschuldung, Sozialsysteme, Umwelt- und Ressourcenschutz, Menschenrechte, Gleichberechtigung der Geschlechter, Partizipation, Abrüstung und Sicherheit. Es stellt aber keinen detaillierten Operationsplan dar. Ein solcher würde zwar den Erwartungen der entwicklungspolitischen Öffentlichkeit entgegenkommen, er kann aber nicht einsei- 84

86 tig von deutscher Seite verwirklicht werden. Die Umsetzung des Aktionsprogramms 2015 muss in einem kontinuierlichen Prozess zusammen mit den Partnerländern, bi- und multilateralen Gebern sowie nationalen und internationalen zivilgesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Akteuren erfolgen. Daher wird über den Fortschritt des Aktionsprogramms in regelmäßigen Statusberichten Rechenschaft abgelegt. Nach der Verabschiedung der Paris-Erklärung im März 2005 hat die deutsche EZ die darin formulierten sehr konkreten Handlungsvorgaben in einen verbindlichen Operationsplan für die deutsche EZ umgesetzt. Dieser wurde mit der Strategie zur Ausrichtung der Verfahren und Instrumente der deutschen EZ auf die MDGs verknüpft (BMZ 2005b) und wird durch eine Handreichung ergänzt, die die Umsetzung auf der operativen Ebene erleichtern sollen. Die oben genannten internationalen Vereinbarungen der vergangenen Jahre beinhalten mehrere handlungsleitende Prinzipien, die den qualitativen Mehrwert der neuen Agenda gegenüber der EZ früherer Jahre ausmachen: Partnerorientierung, Geberharmonisierung, Wirkungsorientierung und Politikkohärenz. Diese sind nicht unbedingt neu, sie haben aber im Kontext der Millenniums-Agenda eine wesentlich größere Verbindlichkeit erhalten. Eigenverantwortung der Entwicklungsländer und Partnerorientierung der Geber Mit den MDGs gibt es erstmals einen gemeinsamen, bindenden Bezugsrahmen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, der das Ziel der Armutsbekämpfung in den Fokus rückt und mit überprüfbaren Indikatoren konkretisiert. Dies impliziert eine klare Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Die Ziele 1 bis 7 müssen in erster Linie von den Partnern selber umgesetzt werden. Sie 85

87 müssen hierfür die entsprechenden nationalen Politiken und Strategien definieren sowie soweit wie möglich interne Ressourcen mobilisieren. Der Millennium+5-Gipfel im September 2005 hat diesen Kerngedanken noch einmal bestätigt und die Entwicklungsländer im Abschlussdokument entsprechend in die Pflicht genommen. Dies erfordert die Formulierung nationaler Entwicklungsstrategien durch die Partnerländer, die die globalen Entwicklungsziele im Länderkontext konkretisieren sowie die Identifizierung der erforderlichen Schritte. Denn so unterschiedlich wie die Ausgangssituation und die Problemlagen, so unterschiedlich sind die Wege zur Zielerreichung. Bei der Verbesserung der Gesundheitssituation von Müttern mögen fehlende Entbindungsstationen den entscheidenden Engpass darstellen. Es kann aber auch sein, dass der gesellschaftliche und rechtliche Status der Frauen das eigentliche Problem und der entscheidende Ansatzpunkt sind. Welche Prioritäten bei den nationalen Entwicklungszielen zu setzen sind und auf welchem Weg diese am besten erreicht werden, können letztlich nur die Partner und das heißt sowohl staatliche wie nichtstaatliche Akteure entscheiden. Die Geber müssen ihre Förderstrategien und die diesbezüglichen Maßnahmen aus den nationalen Strategien der Partner ableiten. Dabei erfordern unterschiedliche Ländertypen auch unterschiedliche Ansätze. Die größte Herausforderung stellt sich in Ländern mit schlechter Regierungsführung und in den so genannten fragilen Staaten. Sehr häufig ist die Armut hier besonders ausgeprägt und der Bedarf an Unterstützung am größten. Es fehlen aber zentrale Voraussetzungen für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit. Trotzdem darf sich die Gebergemeinschaft nicht völlig zurückziehen. Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), nimmt diese Herausforderung an und arbeitet im Kontext der hierzu laufenden internationalen Diskussion aktiv daran mit, Förderstrategien für diese Länder zu entwickeln. Die entwicklungs- 86

88 politischen Instrumente müssen dazu beitragen, fragile Staatlichkeit und schlechte Regierungsführung zu überwinden und Prozesse entwicklungsorientierter Transformation zu unterstützen. Aber auch mit den schon weit entwickelten Ländern darf die Zusammenarbeit nicht völlig eingestellt werden. Zum einen haben Staaten wie Indien, China oder Brasilien im eigenen Land noch erhebliche Entwicklungsprobleme zu lösen, zum anderen spielen sie sowohl in ihrer Region, aber auch zunehmend auf der globalen Ebene eine wichtige Rolle. Da diese»ankerländer«bedeutenden Einfluss auf die Weltwirtschaft, auf globale Umweltfragen wie den Klimawandel sowie auf die politische Entwicklung in ihren Nachbarländern nehmen, ist es wichtig, eine strategische Partnerschaft mit ihnen fortzusetzen. Die konsequente Partnerorientierung beschränkt sich aber nicht nur darauf, dass sich die Geber an den nationalen Politiken und Strategien der Entwicklungsländer ausrichten. Sie erfordert auch, die Institutionen und Verfahren der Partner zu nutzen und zu stärken und den Aufbau von Parallelstrukturen zu vermeiden. Die konsequenteste Form der Nutzung von Partnerstrukturen ist die Bereitstellung von Gebermitteln, die direkt in die nationalen Budgets einfließen. Diese Art der Finanzierung wird jedoch nur gewährt, wenn die Voraussetzungen für eine adäquate Verwendung und Kontrolle der Mittel gegeben sind. In vielen Entwicklungsländern sind die Strukturen derzeit noch schwach entwickelt und die nationalen Kapazitäten begrenzt, so dass sich die Geber hierauf nicht vollständig stützen können. Den nationalen Entwicklungsstrategien, insbesondere zur Armutsbekämpfung, fehlt es beispielsweise häufig an einer ausreichenden inhaltlichen Prioritätensetzung und einer angemessenen Einbeziehung von Parlamenten und Zivilgesellschaft in den Erstellungs- und Umsetzungsprozess. Die Geber sind daher gefordert, die Partner bei der Verbesserung der Stra- 87

89 tegien zu unterstützen. Die deutsche EZ hat zahlreiche Länder bei der Erstellung von Armutsbekämpfungsstrategien (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSP) unterstützt. Sie besitzt auf diesem Gebiet viel Erfahrung und ein großes Potenzial, dass zur Beratung der Partnerländer für unterschiedliche Zielgruppen und auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden kann. Dieses muss zukünftig noch konsequenter genutzt werden. Das Prinzip der Partnerorientierung erfordert von den Gebern oft einen schwierigen Balanceakt, um das richtige Maß an Unterstützung zu finden. Einerseits müssen die Entwicklungserfolge beschleunigt werden, wenn die MDGs bis 2015 noch erreicht werden sollen das erwartet auch die kritische Öffentlichkeit. Andererseits brauchen Reformprozesse Zeit, vor allem wenn sie wirklich aus der Eigenverantwortung der Partnerländer resultieren sollen. Eine Überforderung und Überförderung der Partnerstrukturen kann diese Prozesse leicht konterkarieren. Auch diese Erfahrung hat man in der EZ schon oft machen müssen. Hinzu kommt, dass damit einhergehende Veränderungen nicht immer gradlinig und konfliktfrei verlaufen. Bei der Millennium-Erklärung und den MDGs handelt es sich um eine hoch politische Agenda. Es geht nicht nur um die Bekämpfung von Einkommensarmut und Hunger sowie Verbesserungen in sozialen Bereichen. Es geht auch um Verteilungsfragen und den Zugang zu Ressourcen. Hier kommen zwangsläufig unterschiedliche Interessen ins Spiel, die es auszuhalten und auszuhandeln gilt. Dabei sollten Konflikte nicht grundsätzlich nur negativ gesehen werden, sondern als notwendiger Teil von Entwicklungsprozessen. Wichtig ist, wie mit ihnen umgegangen wird. Konfliktmanagement, Krisenprävention und die Förderung von Demokratisierungsprozessen sind daher zentrale Handlungsfelder im Kontext der MDG-Agenda, die auch im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit immer stärker an Bedeutung gewinnen. 88

90 Die Unterstützung der Partnerländer bei der Erreichung der MDGs ist somit eine sehr vielschichtige Aufgabe, deren Komplexität häufig nur schwer zu vermitteln ist. Zudem ist ein einzelner Geber wie die deutsche EZ nur ein Akteur unter vielen. Ob die deutsche Entwicklungspolitik einen angemessenen Beitrag zur Erreichung der MDGs leistet, kann daher nur im Kontext des Zusammenwirkens aller Geber beurteilt werden. Die deutsche EZ als Teil der internationalen Gebergemeinschaft Komplexe Herausforderungen sind nicht von einzelnen Akteuren zu lösen. Hier müssen alle Beteiligten Partnerland und Geber so effizient wie möglich zusammenwirken. Mit den MDGs hat daher auch das Prinzip der Geberharmonisierung eine neue Qualität und Verbindlichkeit erfahren. Um die Entwicklungsländer von der Vielzahl unterschiedlicher, komplizierter Verfahrensfragen zu entlasten und die Strukturen der Partnerländer zu stärken, fordert die Paris- Erklärung eine bessere Abstimmung zwischen den Geberorganisationen. Die Vorgehensweise bei der Planung und Umsetzung von Fördermaßnahmen soll harmonisiert werden. Darüber hinaus sollen sich alle Geber in eine sinnvolle, aus den Partnerstrategien abgeleitete Arbeitsteilung einfügen. Dieses Prinzip ist grundsätzlich richtig, stellt aber in der Praxis eine große Herausforderung dar, denn die erforderliche Abstimmung kostet viel Zeit. Erste Erfahrungen mit gemeinsamen Länderstrategien der Geber (so genannten Joint Assistance Strategies) zeigen, dass der Zeit- und Ressourcenaufwand hoch ist. Da aber auch mangelnde Kooperation zu hohen Transaktionskosten führt, gibt es zu einer stärkeren Geberharmonisierung letztlich keine Alternative. Zudem werden mit zunehmenden Erfahrungen und gemeinsamen Grundlagen auch die Abstimmungsprozesse leichter werden. 89

91 Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat das Thema Harmonisierung angesichts der sehr differenzierten Strukturen auf der Durchführungsebene eine besondere Relevanz. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Gebern verfügt Deutschland über eine sehr komplexe Organisationslandschaft. Die unterschiedlichen Instrumente wie Finanzielle Zusammenarbeit (FZ), die Technische Zusammenarbeit (TZ) und TZ im weiteren Sinne haben zwar alle ihre spezifischen Stärken. Damit sie optimal zusammenwirken und Synergien erzielen, ist aber ein hoher Abstimmungsaufwand erforderlich. In der Praxis funktioniert dieses Zusammenspiel nicht immer optimal. Darüber hinaus liegt es in der Natur von Institutionen, auch eigene Interessen zu verfolgen. Dies erschwert die übergeordnete entwicklungspolitische Steuerung. Die Bundesregierung hat daher im Koalitionsvertrag die stärkere Zusammenführung von TZ und FZ vereinbart und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Die Wirksamkeit der EZ als entscheidendes Qualitätsmerkmal Die Prinzipien der Partnerorientierung und Geberharmonisierung haben auch erhebliche Auswirkungen auf ein weiteres zentrales Element der Millenniums-Agenda: die Wirkungsorientierung der EZ. Diese hat mit der Formulierung messbarer und damit auch überprüfbarer Zielmarken für die Armutsbekämpfung einen zentralen Stellenwert erhalten. Oberstes Ziel aller Konferenzen und Beschlüsse, die im Kontext der Millenniumsziele stehen, ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der armen und benachteiligten Menschen. Das bedeutet, dass die Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit nicht an den investierten Mitteln, sondern an den damit tatsächlich erzielten Wirkungen gemessen werden müssen. Dies 90

92 ist vom Grundprinzip her unmittelbar einleuchtend, aber nicht leicht umzusetzen. Wirkungszusammenhänge sind komplex und das Ergebnis von Entwicklungsvorhaben ist immer das Resultat gemeinsamer Anstrengungen von Partnerland und Geberorganisationen. Je mehr die Prinzipien der Partnerorientierung und Geberko operation umgesetzt werden, desto weniger ist es sinnvoll und möglich, Erfolge einzelnen EZ-Organisationen zuzuschreiben. Auch die zunehmende Nutzung neuer Instrumente wie Budgetfinanzierung oder die Durchführung gemeinschaftlicher Programme durch mehrere Geber erschweren die Abgrenzung von Wirkungsbeiträgen. Zudem ändert sich der gesamte Fokus der Wirkungsbeurteilung. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Entwicklungserfolge der Partner und deren Informationsbedarf für eine angemessene Steuerung ihrer Programme sowie für die Rechenschaftslegung gegenüber ihren Parlamenten und der Zivilgesellschaft. Auch das Wirkungsmonitoring muss daher wie in der Paris-Erklärung gefordert in der Verantwortung der Entwicklungsländer selber liegen. Gleichzeitig besteht in den Geberländern befördert durch die MDGs als messbare Zielgrößen ein starkes Interesse von Parlamenten und Öffentlichkeit, den Wirkungsbeitrag ihres Landes zu erfahren. Die dafür erforderlichen Daten zu Entwicklungsfortschritten in den Partnerländern werden aber von nationalen Institutionen noch zu wenig erfasst und bereitgestellt, so dass Geberorganisationen dazu tendieren, für»ihre«fördermaßnahmen eigene Erhebungen durchzuführen. Hier besteht ein Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Ansprüchen, das von zwei Seiten gelöst werden muss: Einerseits müssen die nationalen Monitoring-Systeme zur Datenerfassung in den Partnerländern verbessert werden, damit sich die Geber hierauf hinsichtlich ihres Informationsbedarfs stützen können. Andererseits muss aber auch der Anspruch an den»wirkungsnachweis«auf ein realistisches Maß gebracht wer- 91

93 den. Auf diesem Gebiet werden gerade an die Entwicklungszusammenarbeit mit ihren sehr komplexen Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen Anforderungen gestellt, die in kaum einem anderen Politikfeld üblich sind und auch dort wenig umsetzbar wären. Einigkeit besteht in der internationalen Diskussion, dass eine exakte Quantifizierung und Zuordnung des Wirkungsbeitrags einzelner Geber zu nationalen Entwicklungszielen, wie beispielsweise der Armutsbekämpfung und den MDGs, weder sinnvoll noch möglich ist. Darüber hinaus besteht Konsens, dass die Ebene des einzelnen Vorhabens bei einer Wirkungsbeurteilung, die auch Bezug auf solche übergeordneten Entwicklungsziele nehmen soll, nicht ausreicht. Als unit of account muss daher wesentlich stärker die Länderebene in den Blick genommen werden. Hinzu kommt, dass viele Wirkungen, vor allem auf struktureller Ebene, erst mittel- bis langfristig eintreten. Die Überprüfung der tatsächlich erreichten und nicht nur der geplanten, erhofften und vermuteten Wirkungen bleibt noch immer sehr unzureichend. Ohne eine solche Verifizierung bleibt die Wirkungsorientierung aber letztlich bei der Formulierung guter Absichten stehen. Mit der Verschiebung der Referenzziele und der Referenzebenen (also weg vom einzelnen Projekt, hin zu einer aggregierteren Betrachtung) in der Wirkungsanalyse gehen methodische Fragestellungen einher, die auch international noch nicht befriedigend beantwortet sind. Das enthebt die deutsche EZ wie alle anderen Geber auch aber nicht der Verpflichtung, ihren Beitrag zur Erreichung der MDGs zu erfassen und hierüber zu berichten. Die Transparenz von Entwicklungsanstrengungen und -erfolgen ist ein zentrales Element der Millenniums-Agenda. Sie ist eine wichtige Voraussetzung, um den gesellschaftlichen Druck und den politischen Willen für die Erreichung der Ziele zu verstärken. Um die Entwicklungszusammenarbeit auf internationaler und nationaler Ebene in dem erforderlichen Maß auf eine 92

94 stärkere Wirksamkeit auszurichten, ist ein umfassender Ansatz notwendig. Dieses Prinzip des Managing for Development Results (MfDR) wurde auf der Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2002 in Monterrey erstmals formuliert, und es ist ein Kernelement der Paris-Erklärung. Damit ist es für Partnerwie Geberländer ein wesentliches und verbindliches Qualitätsmerkmal ihrer Arbeit geworden. MfDR umfasst alle Ebenen der Entwicklungszusammenarbeit (Land, Sektor und Vorhaben) sowie alle Phasen, also Planung, Implementierung und Evaluierung. Der Ansatz impliziert den Grundsatz der Partnerorientierung und Geberharmonisierung. Zielsetzung von MfDR ist es, das institutionelle Lernen zu verbessern, um die Wirksamkeit der EZ zu erhöhen. Es dient außerdem dazu, über diese Wirksamkeit Rechenschaft ablegen zu können. MfDR erfordert eine umfassende Ausrichtung der Verfahren und Instrumente auf Wirkungen sowie die Einrichtung einfacher, kosteneffizienter und nutzerfreundlicher Monitoring- und Berichtssysteme, die auf den diesbezüglichen Strukturen der Partnerländer aufbauen sollen. Diese grundsätzlichen Anforderungen setzen auch den Rahmen für eine Verstärkung der Wirkungsorientierung in der deutschen EZ, die aufgrund ihrer sehr diversifizierten Struktur vor besonderen Herausforderungen steht. Alle deutschen EZ- Organisationen haben zwar in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um ihre Arbeit wirkungsorientierter zu gestalten. Dabei sind sie allerdings immer noch sehr stark auf die Ebene einzelner Vorhaben fokussiert. Es können zurzeit kaum fundierte Aussagen darüber getroffen werden, welchen Wirkungsbeitrag die deutsche Entwicklungszusammenarbeit insgesamt zu den Entwicklungsfortschritten eines Partnerlandes in bestimmten Sektoren oder Schwerpunkten leistet. Dies erfordert, über die Wirkungsbeurteilung auf der Ebene einzelner Projekte hinauszukommen und die Verfahren und Instrumente der Wirkungsanalyse stärker zu harmonisieren. Dabei kommt den Schwerpunkten der deutschen EZ im 93

95 Partnerland eine zunehmende Bedeutung zu. Hier müssen die verschiedenen Instrumente der EZ zusammenwirken und Synergien entfalten. Gemeinsam mit den Durchführungsorganisationen arbeitet das BMZ daher daran, das Instrumentarium zur Wirkungsanalyse weiterzuentwickeln. Darüber hinaus müssen auch die Planungs- und Steuerungsinstrumente konsequent wirkungsorientiert gestaltet werden. Entsprechende Anpassungen der Länder- und Sektorkonzepte sowie der Schwerpunktstrategiepapiere sind in Arbeit. Um die Effizienz der deutschen EZ zu erhöhen, die Kräfte stärker zu bündeln und die eigenen komparativen Stärken besser zu nutzen, wird die bereits eingeleitete Länderkonzentration und inhaltliche Schwerpunktsetzung fortgesetzt. Eine an den internationalen Zielvorgaben ausgerichtete Wirkungsorientierung erfordert auch eine systematische Verankerung der MDGs in der deutschen Entwicklungspolitik. Das entscheidende Instrument sind hier die Zielvereinbarungen des BMZ, die seit 2004 die mittelfristige und die kurzfristige (Jahres-) Planung auf allen Ebenen des Ministeriums bestimmen. In diesen Zielvereinbarungen werden die MDGs je nach Aufgabenstellung der Arbeitseinheiten berücksichtigt und operationalisiert. Allerdings brauchen solche Anpassungen immer eine gewisse Zeit und müssen von denjenigen, die sie umzusetzen haben, auch absorbiert werden können. Es müssen möglichst viele der Betroffenen an den Prozessen beteiligt werden, um alle wesentlichen Aspekte zu berücksichtigen. Die Belange der Partner sind in diesem Kontext ebenfalls ein wichtiger Faktor. Auch in den Entwicklungsländern werden Veränderungen meist nicht von heute auf morgen umgesetzt. Die deutsche EZ kann nicht unabhängig von den Partnern agieren und muss sich auf deren Veränderungsprozesse einstellen. Hinzu kommt, dass gerade im Kontext der Millenniums-Agenda auf internationaler Ebene ein sehr dynamischer Prozess in Gang gesetzt wurde, der immer wieder neue konzeptionelle und 94

96 strategische Anpassungen erfordert. Work in progress ist daher kein Schlagwort oder Vorwand für ein mangelndes Reformtempo, sondern das tägliche Brot der Entwicklungszusammenarbeit, die sich in einem sehr komplexen Gefüge verschiedener Akteure und Anforderungen bewegt. Unterschiede zwischen Theorie und Praxis sind daher ein unvermeidlicher Bestandteil organisationeller Veränderungsprozesse, auch in der EZ. Politikkohärenz als Voraussetzung für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit Die Umsetzung der Millenniums-Agenda und der MDGs erfordert aber nicht nur Veränderungsprozesse innerhalb der deutschen EZ, sondern nimmt alle politischen Akteure in die Pflicht. Die MDGs sind eine Vorgabe für die Gesamtpolitik, sprich Armutsbekämpfung ist nicht mehr nur Aufgabe des für Entwicklungspolitik zuständigen Ministeriums. Die internationalen Entwicklungsziele sind nur durch ein kohärentes Zusammenwirken von Entwicklungspolitik mit Außen-, Sicherheits-, Finanz-, Handels-, Agrar- und Umweltpolitik erreichbar. Das Aktionsprogramm 2015 zur Armutsbekämpfung ist daher bewusst ressortübergreifend angelegt und dient als Instrument, entsprechend kohärentes und abgestimmtes Vorgehen aller Politikfelder einzufordern. Das Programm bekräftigt Armutsbekämpfung als Querschnittsaufgabe der gesamten Bundesregierung und als Kernaufgabe der deutschen Entwicklungspolitik. Das Aktionsprogramm strebt außerdem eine enge Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft an. Die MDGs sind nicht nur ein gemeinsamer Referenzrahmen für die Kooperation von Industrie- und Entwicklungsländern, sondern auch für staatliche Organisationen und zivilgesellschaftliche Gruppen. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Rollen und Mandate sind diese doch auf die gleichen Ziele verpflich- 95

97 tet. Nichtregierungsorganisationen sind kritische Beobachter der staatlichen EZ und wichtige Akteure bei der Umsetzung zentraler Forderungen der Entwicklungspolitik, die speziell mit MDG 8 eine stärkere Legitimation bekommen haben. Das Zustandekommen des ODA-Stufenplans der EU und die erweiterte Entschuldungsinitiative des G8-Gipfels von Gleneagles im Jahr 2005 sind sicherlich auch dem starken öffentlichen Druck zu verdanken. Die staatliche EZ unterstützt die entwicklungspolitische Arbeit zivilgesellgesellschaftlicher Organisationen und führt mit ihnen einen intensiven Dialog. Eine Herausforderung für die kommenden Jahre wird es sein, auch diesen Dialog den neuen Fragestellungen und Aufgaben anzupassen. Die durch die Millennium-Erklärung, die MDGs und die Paris-Erklärung formulierten Prinzipien wie Partnerorientierung, Geberharmonisierung, Wirkungsorientierung und Kohärenz sind grundlegende Qualitätskriterien der EZ insgesamt, gleich welchen Typs. Fazit Viele Aspekte der Millenniums-Agenda sind nicht völlig neu, sondern haben sich sukzessive aus den Erfahrungen früherer Jahre entwickelt. Eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis ist daher weder sinnvoll noch erforderlich. Es darf aber auch nicht zu einer reinen»umetikettierung«der Maßnahmen kommen. Es ist verlockend zu glauben, dass Partnerorientierung, Wirkungsorientierung, Kohärenz und Armutsbekämpfung bereits ausreichend in der EZ verankert sind, weil sich alles, was gemacht wird,»irgendwie«diesen Kategorien zuordnen lässt. Doch damit würde die Chance vertan, die EZ strategischer und wirksamer zu gestalten. In der EZ und nicht nur da gibt es selten einfache Lösungen. Die Herausforderungen, die mit den MDGs einherge- 96

98 hen, sind wesentlich komplexer, als dies auf den ersten Blick erscheint. Wer etwas verändert, betritt Neuland. Welche Erfahrungen mit neuen Ansätzen gemacht werden, kann erst nach einiger Zeit wirklich beurteilt werden. Das Verharren in alten Mustern ist jedoch keine Alternative. Bei allen Veränderungsprozessen muss immer berücksichtigt werden, dass Verfahrensaspekte keinen Selbstzweck haben. Die Umsetzung der Millenniums-Agenda ist nicht in erster Linie eine technische oder administrative Herausforderung. Was am Ende wirklich zählt, ist die Bekämpfung von Armut und die Verbesserung der Lebensbedingungen benachteiligter Menschen. Literatur BMZ, 2001: Armutsbekämpfung eine globale Aufgabe. Aktionsprogramm 2015, Bonn. BMZ, 2004: Auf dem Weg zur Halbierung der Armut: 2. Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung des Aktionsprogramms Bonn. BMZ, 2005a: Der Beitrag Deutschlands zur Umsetzung der Millenniums- Entwicklungsziele. Bonn. BMZ, 2005b: Mehr Wirkung erzielen. Die Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf die Millenniums-Entwicklungsziele. Die Umsetzung der Paris Declaration on Aid Effectiveness. Bonn. 97

99 MICHÈLE ROTH Armutsbekämpfung durch Massenmobilisierung? Die Kampagnen zu den Millennium-Entwicklungszielen Dass die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) nicht wie andere wohlgemeinte internationale Absichtserklärungen in der Versenkung verschwunden sind, sondern mehr und mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit gewinnen konnten, liegt neben dem Impuls durch die Jahrtausendwende, dem wachsenden Problemdruck und der Griffigkeit der formulierten Ziele auch an einer weltweit betriebenen, breit angelegten Mobilisierung für die MDGs. Frühere Kampagnen zu globalpolitischen Anliegen haben gezeigt, welche Wirkung die durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien erst möglich gewordene weltumspannende Aktivierung und Vernetzung von gleichgesinnten Kräften haben kann. Prominente Beispiele sind die internationale Kampagne für das Verbot von Landminen und die Koalition für einen Internationalen Strafgerichtshof. Im entwicklungspolitischen Bereich ist eine derart breitenwirksame Mobilisierung, wie sie zurzeit für die MDGs stattfindet, ein Novum. Als Vorläuferin kann allenfalls die Jubilee Bewegung angesehen werden, die weltweit über 50 Kampagnen und Bündnisse vereinte und einen weit reichenden Schuldenerlass für die armen Länder bis zum Jahr 2000 sowie ein»internationales Insolvenzrecht«forderte. Die deutsche Kampagne erlassjahr.de Entwicklung braucht Entschuldung, die bis heute fortgeführt wird, vereint über Organisationen. 98

100 Zwischen Kooperation und Konkurrenz: die MDG-Kampagnen Während die genannten Kampagnen das alleinige»dach«für ihr jeweiliges Anliegen bildeten, zeigt sich bei den MDGs eine bunte Kampagnenlandschaft mit mindestens drei Hauptsträngen, die unterschiedlich stark miteinander verwoben sind. Zunächst ist die»offizielle«kampagne der Vereinten Nationen, die Millennium Campaign, zu nennen. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben ihre Aktivitäten unter dem Slogan Global Call to Action Against Poverty gebündelt. Und schließlich werben private Initiativen prominenter Persönlichkeiten aus dem Showbusiness für die MDGs allen voran Bob Geldof mit seinen Live8-Konzerten. Werbung in eigener Sache: die Millennium Campaign der Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen lancierten ihre Millennium Campaign im Oktober 2002, gut ein Jahr nachdem Kofi Annan in seinem Bericht»Road map towards the implementation of the United Nations Millennium Declaration«(2001) alle acht MDGs mit ihren Zielvorgaben und Indikatoren erstmals aufgelistet hatte. 1 Die Kampagne ist beim UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) angesiedelt und wird aus einem Treuhandfonds finanziert. Das»Gesicht«der Kampagne ist die ehemalige niederländische Entwicklungsministerin Eveline Herfkens, die vom UN-Generalsekretär zur Sonderbeauftragten für die Millennium Campaign ernannt wurde. Ihre Arbeit wird durch ein kleines Sekretariat unterstützt. 1 Informationen zur Millennium Campaign der Vereinten Nationen finden sich unter Die deutsche Millennium Campaign präsentiert sich unter 99

101 Hauptziel der Kampagne ist es nach eigener Angabe, die Bürger dabei zu unterstützen, ihre Regierungen aufzufordern, über das Millennium-Versprechen Rechenschaft abzulegen. Dieses Ziel fußt auf der Annahme, dass das Know-how und die Mittel zur Umsetzung der MDGs vorhanden sind und es allein am Willen der politischen Elite mangelt, ihr Versprechen zu erfüllen. Als Partner, die die Kampagne unterstützen und mobilisieren will, werden zivilgesellschaftliche und religiöse Gruppen, Jugendliche und Kinder, Parlamentarier und lokale Behörden, Gewerkschaften und Medien, Prominente sowie die allgemeine Öffentlichkeit genannt. Mit einer Vielzahl von Anregungen und weltweiten Aktionen sollen sie zum Mitmachen animiert werden. So wurde beispielsweise ein»campaigning Toolkit«erstellt, das eine umfassende Anleitung zur Planung und Durchführung eigener Kampagnen bietet und Beispiele für gelungene Aktionen präsentiert. Auf dem Plan stehen auch Brief- und Postkartenaktionen und ein Weltrekordversuch, der am 15./16. Oktober 2006 dem Aufruf»STAND UP Against poverty«folgend erzielt werden soll. Um öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen, arbeitet die Kampagne mit Prominenten wie der Sängerin Shakira, dem Schauspieler Michael Douglas oder dem Nobelpreisträger Elie Wiesel zusammen, die in Video-Clips auch versendbar als elektronische Postkarte unter dem Motto»Only with your voice«die Zuschauer dazu aufrufen, ihre Regierungen an das Millennium-Versprechen zu erinnern. Neben der direkten Ansprache der Zielgruppen hat die Millennium Campaign nach eigenen Angaben ca. 60 nationale MDG- Kampagnen angestoßen. Zum überwiegenden Teil handelt es sich dabei allerdings um zivilgesellschaftliche Verbünde, die sich selber der Global Call to Action Against Poverty-Bewegung zurechnen. Entsprechend verwenden nur manche wie die deutsche oder die italienische Millennium Campaign 2 auf ihrer

102 Website die gleichen Logos, Werbeslogans und Textbausteine wie die UN-Kampagne. Andere sind lose oder gar nicht mit der UN-Kampagne verbunden. Neben der Beteiligung an globalen Aktionen führen die nationalen Kampagnen individuell lokale Aktivitäten durch und setzen eigene Schwerpunkte. In den Entwicklungsländern liegt der Fokus überwiegend auf der Überwachung nationaler Armutsreduzierungs-Strategien und nationaler Budgets, aber auch fairere internationale Handelsbedingungen sind ein zentrales Thema. In den Industrieländern bilden die im MDG 8 formulierten Forderungen nach Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, Schuldenerlassen und fairen Handelsbedingungen den Schwerpunkt. Die deutsche Millennium Campaign finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der UN-Kampagne sowie privaten Sponsoren und geleitet von Renée Ernst wurde 2005 lanciert. Sie zielt vor allem auf die Mobilisierung junger Menschen. Dazu wurden unter anderem spezielle»only with your voice«-clips mit der deutschen Band»Wir sind Helden«und dem Sänger»Gentleman«produziert, die auf MTV Deutschland ausgestrahlt werden. Auch mit einem bunten Strauss weiterer Aktivitäten macht die Kampagne auf die MDGs aufmerksam. So war sie mit Ausstellungen, Filmen, Konzerten und Gesprächen bei der Nacht der Museen 2006 in Frankfurt/Main präsent, erarbeitete in einem Workshop mit dem Titel»Young Artists united for the UN-Millennium Development Goals«ein Theaterstück zu den MDGs, führte in Bonn ein Radioprojekt mit Schülern durch, organisierte einen»beats&lyrics Contest«oder ernennt MDG-Schülerbeauftragte. Der vielleicht bekannteste Baustein der Kampagne sind die»un-millennium-gates«des italienischen Architekten Luca Cipelletti, die seit Juli 2005 durch die Fußgängerzonen deutscher Städte touren und»spielerisch die ernsten Inhalte der MDGs«vermitteln sollen. Jedes der acht Tore, gebildet aus einem mit einem Banner verbundenen Figurenpaar, illustriert ein MDG. 101

103 Neben zivilgesellschaftlichen Organisationen mobilisierte die UN-Kampagne auch andere Zielgruppen. So startete etwa die transnationale Vereinigung United Cities and Local Governments (UCLG) unter dem Motto»2015: No excuse! The world must be a better place«die Millennium Cities and Towns Campaign und verabschiedete eine»local Government Millennium Declaration«, die die Rolle lokaler Behörden bei der Umsetzung der MDGs betont und dazu aufruft, den MDGs höchste Priorität einzuräumen. 3 Die UN Millennium Campaign wirbt uneingeschränkt für die MDGs; zumindest auf internationaler Ebene ist augenscheinlich weder eine vertiefende Vermittelung der komplexen Entwicklungsproblematik beabsichtigt noch eine kritische Auseinandersetzung mit den Zielen gewünscht (vgl. den Beitrag von Herfkens/Bains). Stattdessen ist eine Tendenz erkennbar, die MDGs zu überhöhen, indem etwa auf der Website der UN- Kampagne damit geworben wird, dass die extreme Armut auf dem Planeten durch das Erreichen der MDGs bis 2015 beendet würde.»unser Versprechen ist einfach: Wir sind die erste Generation, die die extreme Armut in der Welt beseitigen kann, und wir weigern uns, diese Gelegenheit zu verpassen«, so der Werbeslogan, der zu vergessen scheint, dass bereits das vereinbarte Ziel der Halbierung der Armut nur noch noch mit massiv verstärkten Anstrengungen erreicht werden kann. Die deutsche Millennium Campaign argumentiert hier wesentlich differenzierter und verweist etwa darauf, dass die Halbierung der Armut auf globaler Ebene dank enormer Fortschritte in China und Indien zwar erreicht werden dürfte, dass es aber darum gehen müsse, Menschen auf der ganzen Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die UN-Kampagne arbeitet eng mit den Initiatoren des Global Call to Action Against Poverty zusammen. Beide Kampagnen haben sich auf das weiße Band (als Arm- oder Stirnband oder

104 als Band um bekannte Gebäude etc.) als Symbol für den Kampf gegen die Armut verständigt. Gemeinsame Aktionstage, so genannte»white Band Days«, bilden in unregelmäßigen Abständen einen Höhepunkt der Aktivitäten (siehe unten). Vom eigenen Erfolg überrascht: der Global Call to Action Against Poverty Über 900 zivilgesellschaftliche Organisationen und Zusammenschlüsse aus über 80 Ländern, die zusammen mehr als 150 Mio. Menschen repräsentieren, haben sich bis dato dem Global Call to Action Against Poverty (GCAP) mit dem langfristigen Ziel, der Armut ganz ein Ende zu setzen, angeschlossen. Die nach einem ersten Planungstreffen in Johannesburg im September 2004 auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre (Januar 2005) lancierte Allianz sollte ursprünglich lediglich einer gemeinsamen Mobilisierung rund um die entwicklungspolitischen Großereignisse des Jahres 2005 dienen. Nach eigener Aussage entwickelte sich der GCAP jedoch binnen Jahresfrist zur größten globalen Anti-Armuts-Bewegung, die es jemals gegeben hat. An den drei»white Band Days«hätten sich insgesamt über 36 Mio. Menschen beteiligt. Überrascht von diesem Erfolg wurde auf einem Planungstreffen in Beirut beschlossen, den Aufruf zu erneuern und die gemeinsamen Aktivitäten bis ins Jahr 2007 weiterzuführen (GCAP 2006). Über die generelle Unterstützung der MDGs hinaus haben sich die unter dem Dach des GCAP vereinten, sehr heterogenen Organisationen auf vier zentrale Forderungen verständigt: gute Regierungsführung und die Durchsetzung der Menschenrechte, gerechter Welthandel, umfassende Schuldenerlasse für arme Länder sowie eine deutliche Steigerung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit und zwar quantitativ wie qualitativ. 103

105 Auch diese Kampagne ist dezentral und subsidiär organisiert, das heißt alle beteiligten Organisationen und nationalen Kampagnen führen ihre eigenen Aktivitäten durch, verbunden durch das gemeinsame Symbol des weißen Bandes und weltweite Aktionstage. Koordiniert wird der GCAP durch ein Global Action Forum, das allen interessierten Organisationen offen steht und regelmäßigen Austausch über eine -Liste pflegt, sowie eine kleinere International Facilitation Group (ab 2006 International Facilitation Team), die aus regionalen Repräsentanten und Vertretern der wichtigsten international aktiven Organisationen zusammengesetzt ist. Höhepunkte im ersten Kampagnenjahr waren die drei»white Band Days«rund um die drei entwicklungspolitischen Großereignisse des Jahres. Auffälligstes Merkmal des ersten»white Band Day«am 1. Juli 2005 war die Anbringung riesiger weißer Bänder an weltberühmten Gebäuden wie dem Brandenburger Tor, der Harbour Bridge in Sydney oder den Trocadero-Gebäuden vor dem Pariser Eiffelturm. Es folgte eine Aktionswoche, die mit einem Demonstrationsmarsch in Edinburgh parallel zum G8-Gipfel unter dem Motto»Long Walk to Justice«endete. Der zweite»white Band Day«am 10. September sollte dazu dienen, die zum Millennium+5-Gipfel reisenden Regierungschefs»aufzuwecken«und an ihr Millennium-Versprechen zu erinnern. In Deutschland bekam Bundeskanzler Gerhard Schröder am 9. September Unterschriften überreicht, die die deutsche Kampagne bis dahin gesammelt hatte. Vor dem Reichstag wurde ein 800 Meter langes weißes Band ausgelegt. Die Forderung nach fairen Handelsbedingungen stand schließlich im Mittelpunkt des dritten»white Band Day«, der am 10. Dezember stattfand, wenige Tage vor der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong. In Deutschland bekamen politische Entscheidungsträger an diesem Tag Besuch vom Nikolaus, der handelspolitische Forderungen überbrachte. 104

106 Für 2006 ist ein»mobilisierungsmonat«geplant, der am 16. September mit den Jahrestagungen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank beginnen und am 17. Oktober, dem Internationalen Tag der Ausrottung der Armut, mit einem weltweiten»white Band Day«enden soll. Höhepunkte der Aktionen 2007 werden der G8-Gipfel in Deutschland und die»halbzeit«der MDGs sein (gedacht wird an das eingängige Datum 07/07/07). Das deutsche GCAP-Aktionsbündnis Deine Stimme gegen Armut wird getragen und finanziert vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) und von Herbert Grönemeyer und Freunden. Die deutschen NGOs haben sich damit wie andere nationale GCAP-Kampagnen, die im angelsächsischen Raum und darüber hinaus mit dem inzwischen weltbekannten Slogan»Make Poverty History«auftreten für die Zusammenarbeit mit Prominenten entschieden, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Allerdings mussten die deutschen NGOs erst»zum Jagen getragen«werden. Meinungsunterschiede über die MDGs, über das geeignete Verhältnis zwischen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Skepsis über die eigenen Fähigkeiten zur Massenmobilisierung hatten zunächst überwogen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Herbert Grönemeyer kam erst auf Druck britischer NGOs sowie des U2-Sängers Bono zustande. Über die Beweggründe der britischen Partner lässt sich freilich spekulieren:»inwieweit es sich dabei um genuin zivilgesellschaftliche Initiativen gehandelt hat oder auch um solche, die von der britischen Regierung (mit)beeinflusst worden waren, um den wegen des Irak-Desasters bedrängten Premierminister Tony Blair zu entlasten und günstige Voraussetzungen für einen erfolgreichen G8-Gipfel unter britischer Präsidentschaft zu schaffen, bleibt Spekulation.«(Hermle 2006, 37). Am 31. März 2005 trat Deine Stimme gegen Armut erstmals mit einer Pressekonferenz in die Öffentlichkeit, bei der gemeinsam 105

107 mit Herbert Grönemeyer ein Werbespot mit prominenten Unterstützern präsentiert wurde. Alle drei Sekunden schnippt ein ganz in weiß gekleideter Prominenter von Claudia Schiffer über Anne Will, Xavier Naidoo, Bono bis zu Grönemeyer selbst mit den Fingern, um darauf aufmerksam zu machen, dass alle drei Sekunden ein Kind an den Folgen extremer Armut stirbt. Als letztes Bild erscheint ein ärmlich gekleideter, schwarzer Junge. 4 Der Spot wurde in den folgenden Monaten im deutschen Privatfernsehen, in Kinos und auch an anderen Orten zum Beispiel in Mediamarkt-Filialen ausgestrahlt. Ein weiterer Spot mit Fußballstars wurde vor Spielen der Bundesliga in Fußballstadien gezeigt. Nach einer allerdings nicht repräsentativen Befragung durch Studierende der Universität Münster hat sich jeder Vierte nach Betrachten des Spots mit anderen darüber unterhalten (Bonse et al. 2006, 372). Deine Stimme gegen Armut richtete sich auch wiederholt mit ganzseitigen Anzeigen in Nachrichtenmagazinen und Zeitungen an die Regierenden und erinnerte sie an ihre Versprechen. Die Aktion präsentierte sich auf Popkonzerten, bei der Musikmesse Popkomm oder beim Weltjugendtag. Auch die Fußball-WM im Sommer 2006 wurde für vielfältige Aktionen genutzt. Auf der Fanmeile in Berlin war Deine Stimme gegen Armut mit einer Torwand präsent, deren acht Tore die acht MDGs symbolisierten. Eine besondere Herausforderung für die deutsche Kampagne stellt der G8-Gipfel 2007 dar, der unter deutschem Vorsitz in Heiligendamm stattfinden wird. Erklärtes Ziel ist es dazu beizutragen, mit dem Gipfel ein»historisches Zeichen für die Armutsbekämpfung«zu setzen. Die in einem VENRO- Positionspapier (siehe unten) formulierten Teilthemen sollen 4 Aus feministischer Perspektive wurde der Spot als Ausdruck»weiße[r], westlicher[r] und männliche[r] Überlegenheitsphantasien«kritisiert:»Armut so lautet die Botschaft dieses Werbefilms ist ein schwarzes Loch; Armut, das ist der sprichwörtliche schwarze Kontinent, der die Befehlsgewalt des weißen Subjekts herausfordert und seine Definitionsmacht bestätigt.«(mathes 2005, 174). 106

108 sich auf der G8-Tagesordnung wiederfinden. Um diese Ziele zu erreichen, wurde eine intensivere Zusammenarbeit mit Herbert Grönemeyer vereinbart, die ab September 2006 in einem gemeinsamen Aktions-Büro in Berlin ihren Ausdruck finden wird. Im Vorfeld des Gipfels sollen unter anderem 1 Mio. Unterschriften gesammelt, eine konzertierte Briefaktion der Kampagnenpartner aller G8-Staaten an die deutsche Bundesregierung organisiert und eine Veranstaltungsreihe zur Diskussion von G8-Themen durchgeführt werden. Auch ist ein neuer Kampagnen-Spot in Planung. Als mögliche Aktionen während des Gipfels sind eine von Grönemeyer organisierte Kulturveranstaltung, ein Alternativgipfel in Rostock, eine internationale Großdemonstration und Blockadeaktionen im Gespräch. Inhaltlich konzentriert sich die deutsche Kampagne auf die im MDG 8 nicht mit quantifizierten Zielvorgaben versehenen, an die Industrieländer gerichteten Forderungen nach mehr und besserer Entwicklungszusammenarbeit, Entschuldung und fairen Handelsregeln. Dabei belässt es die Aktion nicht bei den zwar medial wirksamen, aber einfachen Schlagwörtern. In einem im Juni 2005 erstmals präsentierten und 2006 aktualisierten Positionspapier formulierte VENRO erst elf, später zwölf gemeinsame Forderungen der NGOs, die zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit den MDGs darstellen. So dürften die MDGs nicht als Ersatz für den umfassenderen Ansatz einer ökologisch tragfähigen und sozial gerechten Entwicklung verstanden werden (VENRO 2006, 1). Die NGOs fordern von der Bundesregierung unter anderem einen an den Menschenrechten orientierten Ansatz der Armutsbekämpfung, die Demokratisierung internationaler Organisationen, verstärkte Krisenprävention als wichtiges Mittel der Armutsbekämpfung, ein wirksames Vorgehen gegen Steueroasen und internationale Steuerkonkurrenz sowie mehr Engagement beim Klimaschutz. Das Papier war 2005 Gegenstand von Gesprächen mit dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler, mit Abgeordneten, Parteien und Vertretern von Ministerien. 107

109 Show oder Politik? Privatinitiativen prominenter Persönlichkeiten Neben der UN- und der NGO-Kampagne versuchen prominente Einzelpersonen, die Massen für Armutsbekämpfung zu mobilisieren. Die derzeit bekanntesten Protagonisten solcher Privatinitiativen sind die Popstars Bob Geldof und Bono von U2. Geldof hatte bereits 1984 das Projekt Band Aid ins Leben gerufen, um mit einer Vielzahl auf einer Single vereinten Popgrößen für die Opfer einer damaligen Hungersnot in Äthiopien Geld zu sammeln organisierte er zum gleichen Zweck das Benefiz-Konzert Live Aid, das bis dato größte Rockkonzert der Geschichte, das parallel in London und Philadelphia stattfand. Auch die am 2. Juli 2005 im Vorlauf des G8-Gipfels von Geldof zusammen mit Bono veranstalteten weltumspannenden Live8-Konzerte sind in dieser Tradition zu sehen. Allerdings wurde dieses Mal ausdrücklich kein Geld gesammelt:»wir wollen nicht euer Geld, wir wollen eure Stimme«, so das von Geldof ausgegebene Motto. Insgesamt wurden über 30 Mio.»Stimmen«überwiegend per SMS gesammelt und von den Veranstaltern den Regierungschefs der G8 übergeben. Damit sollten diese zu einem Schuldenerlass für die armen Länder gedrängt werden. Nahezu zeitgleich fanden Konzerte in allen G8-Mitgliedstaaten sowie in Südafrika statt; letzteres allerdings erst aufgrund von Protesten, es handele sich um eine reine»nord«-veranstaltung. Austragungsorte der Konzerte waren Barrie (bei Toronto), Berlin, Johannesburg, London, Moskau, Paris, Philadelphia, Rom und Tokio sowie als kurzfristig hinzugefügte Sonderaktion unter dem Motto»Africa Calling«in Cornwall (mit afrikanischen Künstlern). Ein Zusatzkonzert fand am 6. Juli parallel zum G8-Gipfel in Edinburgh statt. 150 Bands boten 50 Stunden lang Musik. 140 Fernseh- und 400 Rundfunkstationen übertrugen die Konzerte. Die Veranstalter schätzten, dass 1,7 Mio. Menschen die kostenlosen Einzelkonzerte live miter- 108

110 lebten, mehr als 5 Mio. Zuschauer sich in die Liveübertragung im Internet einklickten und angeblich 2 3 Mrd. Menschen die Konzerte per Fernseh- oder Radioübertragung verfolgten. Das wäre fast die Hälfte der Menschheit! Weniger erfolgreich war die ebenfalls von Geldof geplante Aktion Sail8. 5 In einem Massentransport hätten G8-Demonstranten am 3. Juli 2005 mit Booten von Frankreich nach Edinburgh gebracht werden sollen. Auch aufgrund schlechten Wetters nahmen jedoch nur vier Boote mit weniger als 100 Personen teil, worauf Geldof den Empfang der Demonstranten absagte. Doch das Live8-Projekt soll weitergeführt werden. Über das Internet 6 ruft Geldof dazu auf, weiterzumachen und die G8- Staaten zu zwingen, die in Gleneagles gegebenen Versprechen einzulösen. Er fordert zudem weitere Schuldenerlasse für insgesamt 38 Länder, freien Marktzugang für afrikanische Produkte, die Abschaffung von Subventionen, die afrikanischen Produzenten schaden, und den Verzicht auf jeglichen Liberalisierungszwang für Entwicklungsländer. Vertiefende inhaltliche Erläuterungen sind auf der Website nicht zu finden. Für sein Engagement, mit dem er eine enorm große Zahl Menschen erreicht hat, wurde Bob Geldof inzwischen vom norwegischen Parlamentsabgeordneten Jan Simonsen für den Friedensnobelpreis nominiert. Dennoch ist seine Aktion, die nicht mit den anderen MDG-Kampagnen abgestimmt ist, höchst umstritten, und ihr Erfolg, was den Kampf gegen Armut betrifft, zweifelhaft (zur Kritik an Live8 siehe unten). Versuche einer Wirkungsanalyse Für eine Erfolgsanalyse der MDG-Kampagnen ergeben sich zwei wesentliche Bereiche: erstens das erzeugte allgemeine In

111 teresse und die öffentliche Mobilisierung für die MDGs und zweitens die tatsächlich erreichten Politikergebnisse. In beiden Fällen kann über den Einfluss der MDG-Kampagnen nur spekuliert werden. Auch liegen bislang keine Umfragezahlen vor, die über den Bekanntheitsgrad der MDGs nach dem Kampagnenjahr 2005 Auskunft geben würden. Im Jahr 2004 hatten nur 12 % aller EU-Bürger schon einmal von den MDGs gehört. In Schweden konnten immerhin 27 % mit dem Begriff etwas anfangen, in Italien 19 % und in Österreich 18 %. Diese etwas höheren Werte in den beiden Ländern wurden von den Verantwortlichen der Umfrage auf die MDG-Kampagne der schwedischen Regierung bzw. auf die NGO-Kampagnen in Italien (dort unter anderem schon 2004 mit den Millennium Gates) und Österreich zurückgeführt. Kampagnen der dänischen und niederländischen Regierung hatten allerdings keinen positiven»ausschlag«bewirkt (European Commission 2005, 4f.). Die Kampagnen-Initiatoren selber bewerten die bislang erzielten Ergebnisse zumeist zurückhaltend. So vermutet der GCAP, man habe im Jahr 2005 wohl zu einigen Politikerfolgen»beigetragen«. Explizit genannt werden der Stufenplan der EU zur Erhöhung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA), die Erneuerung des G8- Versprechens zur ODA-Verdoppelung, der Schuldenerlass für 18 stark verschuldete ärmste Länder und Nigeria sowie das Versprechen der G8, arme Länder nicht länger zur Liberalisierung ihrer Wirtschaft zu zwingen.»wir erkennen, dass dieser politische Wille durch globale Massenaktionen enormen Ausmaßes und einen Wandel in der öffentlichen Meinung bezüglich Armut erzeugt worden ist«, so die Beirut Declaration (GCAP 2006, Abs. 9). Weniger bescheiden geben sich die Live8-Organisatoren, die auf ihrer Website propagieren, die Beschlüsse von Gleneagles seien durch die Live8-Zuhörer erzwungen worden. Dies ist schon deshalb abwegig, weil die Ergebnisse im Wesentlichen bereits vor dem Gipfel feststanden. 110

112 Übereinstimmend werden die erzielten Resultate als insgesamt unzureichend gewertet. Die Erfolge seien in ihrer Bedeutung erst noch auszuloten, so VENRO, manches sei»eher symbolischer Natur, mit Fußangeln oder Handikaps versehen ( ). Auch auf der Grundlage der 2005 erreichten Fortschritte ist die Verwirklichung der MDGs bis zum Jahr 2015 nicht sehr viel wahrscheinlicher geworden.«(hermle 2006, 40). Auch deshalb werden sowohl die globale wie auch die deutsche GCAP-Kampagne über den zunächst vorgesehenen Zeitraum hinaus bis 2007 fortgesetzt. Eine zentrale Rolle bei dieser Entscheidung spielte auch, dass die Initiatoren des Global Call to Action Against Poverty wie der deutschen Aktion Deine Stimme gegen Armut von ihrem eigenen Mobilisierungserfolg überrascht worden sind. Nach Reinhard Hermle, bis 2005 VENRO-Vorsitzender, hat die Aktion»neue Maßstäbe der Kampagnenfähigkeit deutscher Nichtregierungsorganisationen«gesetzt:»Insbesondere Spot und Zeitungsanzeigen verhalfen der Aktion in relativ kurzer Zeit zu einer unerwartet großen Resonanz in der Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit in der politischen Klasse.«(Hermle 2006, 35 u. 37). In wenigen Monaten kamen im Rahmen einer Sammelaktion Unterschriften zusammen; die Website der Kampagne verzeichnete bis Ende ,8 Mio. Seitenaufrufe; weiße Armbänder wurden verkauft. Bei einer internen VENRO-Mitgliederbefragung gaben 88 % aller Befragten (knapp die Hälfte waren selber an Aktionen beteiligt) an, die Kampagne habe das Medieninteresse an den MDGs erhöht, 60 % machten einen verstärkten Handlungsdruck auf Politiker aus, allerdings glaubten nur 43 %, dass neue Zielgruppen für entwicklungspolitische Themen gewonnen worden seien. Gut die Hälfte vermutete zudem, dass die Aktionen»politisch etwas bewirkt«haben. 82 % der Befragten stuften die Kampagne insgesamt als»sehr erfolgreich«oder»erfolgreich«ein, 90 % plädierten für eine Fortsetzung bis

113 »Cui bono außer Bono?«Zur Kritik an den Kampagnen Die Kritik an den Millennium-Kampagnen bezieht sich zum überwiegenden Teil auf die Mitwirkung von Größen des Showbusiness. Sie richtet sich mehrheitlich an die Adresse von Bob Geldof und Bono sowie ihren Mitstreitern bei den Live8-Konzerten. Viele der vorgebrachten Argumente sind kaum von der Hand zu weisen. 7 Die Rede ist von Inhaltsleere, von Unkenntnis der Materie oder sogar»kolonialherrenattitüde«. Live8 sei genauso politisch wie die Love Parade, das eigentliche Thema gehe in einem»gigantischen Aufmerksamkeitsspektakel«unter, nie habe Armut soviel Spaß gemacht. Das Schlimme sei allerdings, dass die Veranstalter es mit dem politischen Anspruch ernst meinten. Sie erzeugten die Botschaft, dass acht Regierungschefs allein über»wohl und Wehe«der Welt bestimmen könnten. Das vermittelte Weltbild und die angebotenen Lösungen werden als»unterkomplex«oder gar gefährlich zurückgewiesen so dass die»schlichte Folgenlosigkeit«solcher Events geradezu als beruhigend gewertet werden müsse. Auf die Gefahr, die durch solche Großereignisse erzeugte Erwartungen mit sich bringen können, wies Stefan Kornelius in seinem Zeitungskommentar hin:»das gute Gewissen mag als Wochenendbefriedigung für die Instant-Gesellschaft ausreichen gute Entwicklungspolitik aber kann an überzüchteten Erwartungen auch scheitern.«8 Wohlgesinnte Stimmen gestehen Geldof & Co. immerhin zu, ihre Prominenz dazu genutzt zu haben, über die vergangenen Jahrzehnte ein öffentliches In- 7 Einen Eindruck vermitteln die Artikel»Hilfe für Afrika? Nix Gutes von Bono«in der Süddeutschen Zeitung vom ;»Cui bono außer Bono?«in der TAZ vom ;»Stimmen gegen Armut«in Telepolis (Online-Magazin) vom Kommentar von Stephan Kornelius»Live8. Denn das Gute liegt so nah«, in der Süddeutschen Zeitung vom

114 teresse für Afrika und seine Probleme zu erzeugen, das es ohne sie nicht gegeben hätte. 9 Den prominenten Philanthropen wird vorgehalten, durch ihre gut gemeinte, aber unüberlegte Hilfe mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Moeletsi Mbeki, der Bruder des südafrikanischen Präsidenten, warf Bob Geldof in einem offenen Brief vor, er kuriere nur Symptome und verschärfe damit die eigentliche Krankheit, nämlich den schockierenden Mangel an Rechenschaft der Regierenden in Afrika. 10 Andere vermuten hinter dem Engagement vor allem Eigenwerbung und Imagepflege. Die TAZ titelte süffisant:»cui bono außer Bono?«Die Konzertserie war ohne wirkliche Absprache mit dem Global Call to Action Against Poverty geplant worden, was bei den NGOs zu Verärgerung führte. Denn der Live8-Event zog tage lang die mediale Aufmerksamkeit auf sich, wodurch die Aktionen zum ersten»white Band Day«am Vortag des Konzertes fast völlig untergingen. Reinhard Hermle warf Bob Geldof vor, sich zu stark mit Tony Blair verbündet zu haben:»in dieser Situation konnte er offensichtlich nicht anders, als ein drittklassiges Ergebnis als grandiosen Erfolg darzustellen, um nicht einräumen zu müssen, dass auch sein gewaltiger Einsatz, der fraglos anzuerkennen ist, nicht die erhofften Resultate zeitigte.«(hermle 2006, 39). Dass die Beteiligung Prominenter auch anders und mehr im Sinne der Sache möglich ist, zeigt die deutsche Aktion Deine Stimme gegen Armut. Zwar berichten sowohl VENRO als auch Herbert Grönemeyer von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit, da zwei offensichtlich sehr verschiedene Welten aufeinander prallten und eine gemeinsame Sprache erst gefunden 9 Vgl. den Artikel»Pennen für den Frieden. Geschichte der engagierten Pop- Musik«, in der Süddeutschen Zeitung vom Vgl. den Artikel»Südafrikaner kritisiert Geldofs weiches Herz «, in N24. de vom

115 werden musste. In einem ZEIT-Interview sagte Grönemeyer dazu:»wir hätten vieles lieber härter formuliert, aber mit den entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen war das nicht so einfach. In deren Dachverband VENRO wurde alles erst mal abgeklopft bei Ausschüssen und Vorständen.«11 Dennoch wurde eine Arbeitsgrundlage gefunden, die zur Einbindung des Sängers in die NGO-Kampagne führte und somit Prominenz mit langjährigem entwicklungspolitischen Fachverstand verband. Grönemeyer verhehlte in dem erwähnten Interview auch nicht seine Missbilligung der engen Zusammenarbeit von Bono und Bob Geldof mit Tony Blair. Er wolle der Regierung lieber von außen Druck machen und sei auch kein Fan der Live8-Konzerte:»Wenn Sänger singen, dann haben die Politiker sie da, wo sie hingehören. Man macht Musik, jeder kriegt seine Streicheleinheiten, und das Thema ist abgefrühstückt.«grönemeyer plädierte deshalb für Anzeigen oder sonstige Aktionen als Kampagneninstrumente. Wohl auch aufgrund solcher Äußerungen beurteilen 70 % der VENRO-Mitglieder die Unterstützung durch Prominente mittlerweile als gut, 22 % als mittel und nur 3 % als schlecht. Fazit Als vorläufiges Fazit lassen sich drei Erkenntnisse aus den diskutierten MDG-Kampagnen ziehen: Erstens ist die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch breit angelegte Kampagnen auch unter Zuhilfenahme von Prominenten so lange grundsätzlich positiv zu bewerten, wie die notwendigen Vereinfachungen nicht zu falschen Behauptungen führen oder unrealis- 11»Haben die Live-8-Konzerte was gebracht?«interview mit Herbert Gröne meyer in der ZEIT vom

116 tische Erwartungen erzeugen. Diese Gefahr besteht besonders dann, wenn prominente Showgrößen ohne den notwendigen Sachverstand auf eigene Faust aktiv werden. Aber auch die Aussagen der UN-Millennium Campaign, die Armut auf dieser Welt ließe sich mit etwas politischem Willen bis 2015 beseitigen, das Know-how dazu sei vorhanden, gehen in diese Richtung. Zweitens sind plakative Vereinfachungen so lange akzeptabel, wie sie dazu dienen, die Massen zu mobilisieren und auf breiter Basis Menschen neu für die Thematik zu interessieren. Ist das Interesse jedoch geweckt, zeigt sich die Seriosität einer Kampagne darin, dass sie es auch schafft, sowohl komplexere Zusammenhänge zu vermitteln etwa über ausführliche Informatio nen auf der Kampagnen-Website mit Hinweisen auf weiterführende Links und Literatur, als auch zu kritischem Denken anzuregen und selbst unabhängige Positionen und Forderungen zu formulieren. Dies ist der Aktion Deine Stimme gegen Armut recht vorbildlich gelungen. Schließlich reicht es nicht aus, kurzfristig öffentliches Interesse zu erzeugen und dabei möglicherweise Politikern gar dazu zu dienen, durch Scheingefechte von eigenen Misserfolgen abzulenken. Nur wenn dauerhaft mehr Menschen für entwicklungspolitische Anliegen gewonnen werden können, besteht eine Chance, den gewünschten und erforderlichen Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu erzeugen, damit diese entwicklungsförderliche Entscheidungen treffen, auch wenn diese schmerzhaft sind, namentlich bei der Neugestaltung der Handelsbeziehungen. Insofern ist noch nicht entschieden, ob die MDG-Kampagnen in längerfristiger Perspektive als Erfolg gewertet werden können. 115

117 Literatur Annan, Kofi, 2001: Road Map Towards the Implementation of the United Nations Millennium Declaration. Report of the Secretary-General, 6. September New York. Bonse, Sebastian/Christine Drath/Sonja Ramm/Julia Völker, 2006: Mit Schnipsen gegen die Armut?, in: Ulrike Röttger (Hg.), PR-Kampagnen. Über die Inszenierung von Öffentlichkeit, Wiesbaden, 3. überarb. u. erw. Aufl., S European Commission, 2005: Attitudes towards Development Aid (Special Eurobarometer 222). Brüssel. GCAP (Global Call to Action Against Poverty), 2006: Renewing the Call: The Beirut Platform from the Global Call to Action Against Poverty (Beirut Declaration), 15. März (editor.whiteband.org/lib/docs/en_ beirut_platform.doc, ). Hermle, Reinhard, 2006: Deine Stimme gegen Armut Rekonstruktion und Analyse der Aktion deutscher NRO, in: VENRO (Hg.), Die Millenniumsziele in Reichweite? Eine Bewertung des entwicklungspolitischen Ertrags des Entscheidungsjahrs Bonn/Berlin 2006, S Mathes, Bettina, 2005: Das andere Geschlecht der Armut, in: ZTG Bulletin 29/30, S VENRO, 2006: Wort halten. Mehr deutsches Engagement für die Millenniums-Entwicklungsziele. Bonn/Berlin. 116

118 Zweiter Teil: Nur kurieren an Symptomen?

119 UWE HOLTZ Die Zahl undemokratischer Länder halbieren! Armutsbekämpfung durch Demokratie, Menschenrechte und good governance Die Millennium-Erklärung von 2000, die aus ihr abgeleiteten Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) und der UN-Weltgipfel von 2005 haben der politischen Gestaltung der Globalisierung Leitplanken geliefert, eine inhaltliche Fokussierung der Entwicklungsanstrengungen bewirkt, der internationalen Entwicklungspolitik eine neue Dynamik verliehen und den Druck auf die verschiedenen Akteure verstärkt. Die MDGs bieten Orientierung für staatliche und nichtstaatliche, nationale und internationale Akteure und Richtgrößen zur Bewertung von Entwicklungsanstrengungen und -erfolgen. Sie tragen dazu bei, die internationale Gemeinschaft auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene zu mobilisieren, und dienen als Handlungsanleitung. Die MDGs: Fortschritt, aber fehlende politische Dimension Die Verständigung auf die acht MDGs ist zweifelsohne ein großer Schritt in Richtung auf einen»globalen Gemeinwillen«(volonté générale mondiale), der das»globalwohl«repräsentiert und auf der Gemeinsamkeit der Interessen zwischen Industrieund Entwicklungsländern beruht, von der schon 1980 Willy 118

120 Brandt und seine Nord-Süd-Kommission in dem Bericht»Das Überleben sichern«sprachen. Die MDGs mit ihren Zielvorgaben und Indikatoren benennen angestrebte Ergebnisse von Entwicklungsprozessen, ohne jedoch die dahin führenden Wege und Instrumente, die von Land zu Land verschieden sein können, aufzuzeigen. Sie formulieren wichtige Ziele für eine menschenzentrierte Entwicklung; sie stellen aber keine umfassende Vision für eine bessere Welt dar, weil dafür unerlässliche Elemente wie Demokratie und Frieden fehlen. Dies ist ein Paradoxon, weil die Staats- und Regierungschefs in der Millennium-Erklärung einerseits Menschenrechte, Demokratie und good governance wie auch Frieden, Sicherheit und Abrüstung als grundlegende Ziele, denen sie besondere Bedeutung beimessen, bezeichnen, andererseits diese Ziele aber keine direkte Berücksichtigung bei den acht MDGs finden. Eine von Wolfram Hilz und mir veranstaltete Ringvorlesung über die MDGs an der Universität Bonn im Wintersemester 2005/06 führte zu folgenden Erkenntnissen (Holtz 2006): 1. Die Millennium-Entwicklungsziele sind eng miteinander verbunden: Die Bekämpfung von Armut und Hunger (MDG 1) erfordert auch den Einsatz für den Umweltschutz und gegen die Bodenerosion (7); HIV/AIDS-Bekämpfung (6) ist unmöglich ohne mehr Bildung (2) und die Stärkung von Macht und Einfluss der Frauen (3). 2. Die acht MDGs sind immer im Zusammenhang mit der Millennium-Erklärung zu sehen, wodurch einige Defizite bei den MDGs (wie die weitgehende Abwesenheit konkreter politischer Forderungen nach Demokratisierung)»kompensiert«werden. 3. Nationale und regionale Parlamente haben eine wichtige und noch stärkere Rolle bei der Verwirklichung der MDGs wie auch bei der Reform der Vereinten Nationen zu spielen. 119

121 Entwicklungsfragen sind auch Machtfragen, wie an den Beispielen eines faireren Welthandels, des Abbaus der Agrarsubventionen, der Öffnung der Märkte, der Entschuldung oder einer Kontrolle bei den modernen Informationsund Kommunikationstechnologien verdeutlicht werden kann. Die Verwirklichung der MDGs trägt maßgeblich zur menschlichen Sicherheit bei und steht für die nicht-militärische Dimension von Sicherheit. Bildung, Wissenschaft und Technologie sind von zentraler Bedeutung für Entwicklung und die MDGs. Höhere entwicklungspolitische Leistungen und eine bessere Entwicklungszusammenarbeit sind nötig, aber die Rolle der Entwicklungspolitik im gesamten Entwicklungsprozess darf nicht überschätzt werden. Geld allein verhindert nicht die stillen Tsunamis, wie das tausendfache, alltägliche Sterben von Kindern. Dauerhafte Erfolge sind ohne ein entwicklungsförderliches Umfeld, für das sich auch zivilgesellschaftliche Organisationen immer mehr einsetzen, nur schwerlich zu erreichen. Das Entwicklungsparadigma einer menschenwürdigen und nachhaltigen Entwicklung setzt sich offensichtlich immer mehr in der internationalen Entwicklungsdebatte durch und löst zumindest partiell die Washington Consensus-Philosophie ab. In vielen Ländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, bestehen noch erhebliche Defizite bei der Umsetzung der MDGs. Eine Reihe von Ländern kann bei einigen MDGs manche Erfolge aufweisen, so in Lateinamerika, Südostasien oder Nordafrika. Die Erfolgsbeispiele zeigen, wie viel in kurzer Zeit erreicht werden kann, wenn interne Reformen in den Entwicklungsländern selbst und externe Unterstützung durch Entschuldung, Handelsförderung und Entwicklungszusammenarbeit mobilisiert werden. 120

122 10. Entwicklungs- und Industrieländer wie auch die EU müssen ihre Anstrengungen massiv verstärken und für ein national wie international günstigeres Umfeld sorgen, wenn die Welt als Ganzes die acht MDGs und die grundlegenden Ziele der Millennium-Erklärung noch während der nächsten zehn Jahre erreichen soll. Die politische Dimension ist die oft klein geschriebene Dimension einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung. Auch der von Jeffrey Sachs, dem Direktor des UN-Millennium- Projekts, Anfang 2005 vorgelegte Bericht»In die Entwicklung investieren: Ein praktischer Plan zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele«vernachlässigt in seinen Empfehlungen die politischen Rahmenbedingungen. Sachs setzt wie in seinem Buch»Das Ende der Armut«(2005a) vor allem auf mehr Geld (»die gegenwärtige öffentliche Entwicklungshilfe muss verdoppelt werden«) und den gut koordinierten und differenzierten Einsatz dieser Mittel bei der Armutsbekämpfung. Aber was nützt mehr Geld, mehr staatliche»entwicklungshilfe«, wenn in den Entwicklungs- und Transformationsländern Diktatoren, Kleptokraten und korrupte Cliquen herrschen? Diesen Fehler begehen erfreulicherweise weder die EU (Europäische Union 2005) noch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ 2001). Die Erkenntnis, dass Willkür, Despotismus und die Diskriminierung der Frauen wichtige Hemmschuhe für Entwicklung sind, findet eine immer größere Anerkennung (Landes 2004). Die Weltbank erkannte schon 1989 an, dass Afrikas Malaise wirtschaftliche und politische Wurzeln hat (World Bank 1989). Zur volonté générale mondiale müssen auch der Wille und die Verpflichtung gehören, die Zahl der undemokratischen Regime zu reduzieren. Wer eine solche Forderung erhebt, sollte zunächst darlegen, was er unter Entwicklung und Demokratie versteht. 121

123 Was bedeuten Entwicklung und Demokratie? Auch wenn es keine allgemein gültige Definition von Entwicklung gibt, dürfte die Erkenntnis weitgehend akzeptiert sein, dass Entwicklung ein mehrdimensionaler, komplizierter, langwieriger, sozioökonomischer Prozess ist, der auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen abzielt, die Freiheit von Mangel und Furcht anstrebt, Frieden und Sicherheit garantiert und spätestens seit Rio 1992 einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung verpflichtet ist. Langfristig gibt es eine solche Entwicklung nicht ohne Demokratie, Menschenrechte, Gleichstellung der Geschlechter und good governance (gutes Regierungs- und Verwaltungshandeln). Entwicklung umfasst zumindest folgende Dimensionen: Politik (Demokratie, Menschenrechte und good governance), Wirtschaft (Produktivitätssteigerungen, Arbeitsplätze schaffendes und Armut beseitigendes Wirtschaftswachstum, Unternehmen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen), Soziales (soziale Gerechtigkeit, soziale Grunddienste), Umwelt (ökologische Nachhaltigkeit) und Kultur (kulturbewusste Entwicklung, die kulturelle Entfaltung ermöglicht und für den Wandel offen ist). Entwicklung braucht»gute«nationale, regionale und internationale Rahmenbedingungen. Entwicklung bedeutet immer, etwas von dem, was an Fähigkeiten und Potenzial jedem Menschen und Volk Eigen ist, zur Entfaltung, zur Ent-Wicklung zu bringen. Insofern kommt Hilfe von außen vor allem eine Hebammenfunktion zu auch bei der Förderung von Demokratie und good governance, wobei gilt: je größer die interne»nachfrage«, desto höher die Erfolgsquote. Wenn schon der Entwicklungsprozess ein langwieriger und schwieriger Prozess ist, dann trifft dies auch auf die Demokratisierung zu. Demokratie und good governance lassen sich nicht mit Hauruck-Interventionen und imperialen Attitüden in fremde Länder exportieren; sie von außen behutsam und mit Augenmaß zu fördern, ist aber auch ein Gebot der Solidarität. 122

124 Entwicklung ist also auch»ein Prozess, der es den Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entfalten, Selbstvertrauen zu gewinnen und ein erfülltes und menschenwürdiges Leben zu führen«so die Definition des unter Leitung von Julius Nyerere erstellten Berichts der»südkommission«von 1990 (SEF 1991, 34). Von daher gewinnt die seit einiger Zeit erhobene Forderung nach ownership Relevanz. Ownership, oft nicht vollständig mit Eigenverantwortung übersetzt, besagt in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ), dass nicht nur die Verantwortung der Partner im Entwicklungsland für die EZ-Vorhaben gestärkt und ihre Partizipation gesichert werden, sondern ihnen auch die Vorhaben»gehören«sollen (Eigentümerschaft). Natürlich steht diese Eigentümerschaft in einem Spannungsverhältnis zu den Einwirkungen von außen seien es die internationalen Rahmenbedingungen oder die Erwartungen der Entwicklungspolitik an die Entwicklungsländer. Der ownership-vorbehalt darf jedoch»kein Feigenblatt für Barbareien«in den Entwicklungsländern sein (Nuscheler 2005, 429). Demokratie kennt verschiedene Ausformungen. Reduziert man sie auf das Wesentliche, dann lassen sich drei Kernelemente in einer Art Demokratie-Dreieck festhalten: Freie, faire und regelmäßige Wahlen mit der Möglichkeit, einen Regierungswechsel herbeizuführen (was eine freie Presse und das Recht auf Opposition voraussetzt); Gewaltenteilung und die Bindung der Gewalten an die verfassungsmäßige Ordnung sowie an Gesetz und Recht (rule of law Herrschaft des Rechts und Rechtssicherheit); Achtung und Verwirklichung der unveräußerlichen Menschenrechte und der politischen, bürgerlichen Freiheiten sowie die Wahrung von Minderheitenrechten. Schlüsselinstitution bzw. Herz der Demokratie ist das Parlament, das gemäß dem»parlamentarischen Hexagon«idealiter über folgende sechs Aufgaben und Kompetenzen verfügt: Gesetzgebung, Budgetrecht inklusive der Entscheidung über Steuern und Ausgaben, Wahlfunktion /Herrschaftsbestellung, 123

125 Kontrolle der Regierung und Verwaltung, Mitwirkung an der Außenpolitik, Forum der Nation/Repräsentation (Holtz 2003, 18f.). Dabei bewegen sich, machtpolitisch gesprochen, die Parlamente auf einem Kontinuum zwischen schwachen»abnick«- und starken»gestaltungs«-legislativen, wobei sogar ein und dasselbe Parlament zu verschiedenen Themen unterschiedliche Positionen auf diesem Kontinuum einnehmen kann. Die»dritte Welle der Demokratisierung«1974 galten unter den 150 Staaten der Erde ca. 40 als Demokratien. Vor allem in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat es einen bemerkenswerten Siegeszug der Demokratie gegeben. Samuel Huntingtons These einer»dritten Welle der Demokratisierung«scheint sich zu bestätigen. So konstatierte der UNDP- Bericht über die menschliche Entwicklung 2002, die Welt sei demokratischer als je zuvor. Doch von den 140 Ländern, die Wahlen mit konkurrierenden Parteien abgehalten hätten, seien nur 80 (mit 55 % der Weltbevölkerung) wirklich demokratisch, und in 106 Ländern würden wichtige bürgerliche und politische Freiheiten nach wie vor eingeschränkt (UNDP 2002, 2). Heute werden etwa drei Fünftel der über 190 Staaten mit dem Etikett»demokratisch«versehen. Zwei Fünftel aller Staaten zählen immer noch zu den undemokratisch regierten Ländern. Was die Demokratien angeht, so gehört eine beträchtliche Anzahl unter ihnen zur Kategorie der defekten, ungefestigten, illiberalen Demokratien, weil in ihnen individuelle Rechte und Freiheiten nicht gesichert sind, die Unabhängigkeit der Gerichte nicht gegeben ist, Rechtsstaatlichkeit nur auf dem Papier steht und Parlamente weitgehend entmachtet sind. Nach der nicht unumstrittenen Klassifizierung von Freedom House (2005) werden derzeit 24 % der Länder als nicht frei, 30 % als teilweise frei und 46 % als frei eingestuft. Laut Bertelsmann-Transformationsindex (BTI) werden 62 % der Weltbevöl- 124

126 kerung inzwischen demokratisch regiert; weltweit gibt es aber immer noch 48 autoritäre/autokratische Staaten in allen Regionen der Welt, die ein großes Beharrungsvermögen aufweisen, und vornehmlich in diesen Ländern sind bad governance und bad performance anzutreffen (Bertelsmann Stiftung 2005, 7). Offensichtlich gibt es gleichzeitig Fortschritte auf dem Wege zur Demokratie und Rückschritte in Richtung auf autokratische Herrschaftsverhältnisse. In der Globalisierung kann man nicht nur einen welthistorischen Megatrend erkennen, der sehr viele Wirtschafts- und Lebensbereiche umfasst, sondern auch ein globales Zivilisationsprojekt, das zur Zivilisierung und Demokratisierung unseres Globus beizutragen vermag; denn neben der Marktwirtschaft wurde auch die Demokratie zu einem universell anerkannten Ordnungskonzept. Allerdings sind auch kritische Stimmen vernehmbar, die in der»ungezügelten Globalisierung«(Ralf Dahrendorf) eine systemische Gefährdung von Demokratie und Menschenrechten erkennen und gar ein autoritäres Jahrhundert als Folge einer»schleichenden Erosion der Demokratie«(Karl Kaiser) vorhersehen. Demokratie in der Millennium-Erklärung, aber nicht in den MDGs Drei Hypothesen seien im Folgenden untermauert: 1. Armut umfasst verschiedene Dimensionen von Mangel: an Einkommen und Nahrung, aber auch an Einfluss und Wahlmöglichkeiten. 2. Demokratie, Menschenrechte und good governance sind Werte an sich. 3. Demokratie, Menschenrechte und good governance sind für die Realisierung der MDGs von großer Bedeutung. Gemäß MDG 1 und den beiden ersten Zielvorgaben sollen die extreme Armut und der Hunger beseitigt und der Anteil jener 125

127 Menschen, deren Einkommen weniger als 1 US-$ pro Tag beträgt und die hungern, bis 2015 halbiert werden. Aber Armut ist mehrdimensional und bezieht sich keineswegs nur auf das Einkommen und eine unzureichende Ernährung; sie schließt Machtlosigkeit, Ausgrenzung, Unsicherheit und Aussichtslosigkeit mit ein. Der Mensch lebt nicht von Brot, Reis oder Kassava allein er will ebenso frei sein von Furcht und Unterdrückung und die Freiheit zur Mitwirkung an der res publica haben. Ein wichtiges Element der Armutsbekämpfung besteht in der Unterstützung der Selbstorganisation der Armen; denn der Aufbau von Gegenmacht von unten trägt mit dazu bei, nach oben Druck zu erzeugen, damit die Regierungen und Parlamente das tun, wofür sie da sind, nämlich nachhaltige und menschenwürdige Politik zu machen. Deshalb ist es enttäuschend, dass bei den acht MDGs und den daraus abgeleiteten 18 Zielvorgaben und 48 Indikatoren weitgehend auf (demokratie-)politische Forderungen verzichtet wird. Offensichtlich war dies auch politisch so gewollt. Bei lediglich einem Ziel ist eine relevante Forderung auszumachen: MDG 3 spricht von der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung von Macht und Einfluss der Frauen. Den Begriff Demokratie sucht man vergeblich. Dies ist umso unverständlicher, als die Millennium-Erklärung ein klares Bekenntnis zur Demokratie ablegt. Mit ihrem Bekenntnis zum Recht von Männern und Frauen auf ein Leben in Würde und Freiheit, zu Demokratie und demokratischer Staatsführung, zu den verschiedenen Arten von Menschenrechten und Grundfreiheiten sowie zu good governance und zur Förderung junger Demokratien bietet sie den demokratischen Unterbau für die MDGs. Auf dem Millennium+5-Gipfel bekräftigten die 154 Staatsund Regierungschefs die Millennium-Erklärung von 2000 und erklärten explizit, eine friedlichere, wohlhabendere und demokratischere Welt schaffen zu wollen (Abschlussdokument, Abs. 16). Zudem erkannten sie an, dass gutes Regierungs- und 126

128 Verwaltungshandeln, stabile demokratische Institutionen, eine solide Wirtschaftspolitik wie auch die Herrschaft des Rechts auf nationaler und internationaler Ebene die Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung, dauerhaftes Wirtschaftswachstum, Armutsbeseitigung und die Schaffung von Arbeitsplätzen bildeten. Die Millennium-Erklärung und das Weltgipfel-Abschlussdokument sind eine wichtige, wenn auch nicht die alleinige Grundlage für die Forderung an staatliche und nichtstaatliche, nationale und internationale Akteure, alles ihnen Mögliche zu tun, um zur»halbierung«der Zahl schlecht regierter, undemokratischer Länder bis zum Jahre 2015 beizutragen. 1 Demokratie, Menschenrechte und good governance als Voraussetzung und Ziel für die Realisierung der MDGs Die Demokratie ist weltweit als politischer Ordnungsrahmen anerkannt. In der 1997 angenommenen Allgemeinen Demokratie-Erklärung der Inter-Parlamentarischen Union (IPU) wird die Demokratie als Ideal, als Regierungsform und als ein universell anerkanntes Konzept bezeichnet, das auf gemeinsamen Werten beruht (IPU 1998, IIIff). Zwischen Demokratie und Entwicklung besteht kein automatischer Zusammenhang. Auf der einen Seite fördert Demokratie Entwicklung, auf der anderen Seite ist das bloße Vorhandensein von demokratischen Strukturen noch kein Garant für Fortschritt. Erst durch die zusätzliche Bildung von rechenschaftspflichtigen, funktionierenden Institutionen, die ihr Handeln nach dem Prinzip des guten Regierungs- und Verwaltungshandelns ausrichten, kann Demokratie zu einem Er- 1 Von»Halbierung«wird hier in Analogie zur Halbierung von Armut und Hunger gesprochen. 127

129 folgskriterium für Entwicklung werden. Freie Wahlen allein führen nicht automatisch zu mehr Entwicklung und Sicherheit; sie können in gespaltenen Gesellschaften Nationalismus, ethnische Konflikte und sogar gewalttätige Konflikte schüren. Dennoch:»Wenn Politik und politische Institutionen die menschliche Entwicklung fördern und die Freiheit und Würde aller Menschen sichern soll, muss die Demokratie ausgeweitet und vertieft werden.«(undp 2002, 2). Auch viele Nichtregierungsorganisationen setzen sich verstärkt mit den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Entwicklung auseinander, weil sie erkennen, dass»die Reichweite von Einzelprojekten und Programmen so wichtig diese sind begrenzt ist und ihre Wirkung oft durch schlechte Regierungsführung, Korruption, Kriege und Konflikte, externe wirtschaftliche Schocks oder die internationale Politik beeinträchtigt oder konterkariert wird«. (Hermle 2006, 39). Diese Erfahrung stützt die These des Bertelsmann Transformation Indexes, dass die erfolgreiche Bekämpfung der Armut sowie ein umfassender und zukunftsfester Wandel zu Demokratie und Marktwirtschaft nur mit strategisch denkenden und eigenverantwortlichen Reformern, Akteuren und»antreibern«(agents, drivers of change) bei den Regierenden, den übrigen Eliten und der Zivilgesellschaft gelingen können. Dabei dürfen die Besonderheiten von Gesellschaften, die durch informelle Strukturen geprägt sind, nicht außer Acht gelassen werden. Menschenrechte sind dem Menschen und seinem Handeln inne wohnende Werte. Sie machen die Essenz dessen aus, was Entwicklung eigentlich ist. Sie sind die Kompassnadel für Entwicklung und im Übrigen auch für eine humane Globalisierung. Wer Menschenrechte unterdrückt, behindert Entwicklung. Was good governance betrifft, so spiegelt sich dabei eine Erfahrung wider, die seit Ende der 1980er Jahre die internationale Zusammenarbeit in wachsendem Maße prägt: Fortschritte 128

130 auf dem Wege zu einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung sind nicht nur eine Frage wirtschaftlicher Erfolge. Auch»schwache«Regierungen, willkürliche Rechts- und Justizsysteme, schlecht funktionierende Verwaltungen und Korruption sind Ursachen für Armut und maldevelopment. Das Ende des Kalten Krieges öffnete den Raum für eine breite internationale Diskussion über die Bedeutung von politischen Rahmenbedingungen und effizienten Staats- und Verwaltungsstrukturen. Seitdem setzte sich die Erkenntnis durch, dass entwicklungspolitische Zusammenarbeit nur bei guten politischen Rahmenbedingungen in den Partnerländern langfristig positive Wirkungen zeitigen kann. Das für mehr als hundert Staaten völkerrechtlich verbindliche, 2003 in Kraft gesetzte Partnerschaftsabkommen von Cotonou zwischen den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten sowie den Mitgliedstaaten der EU hat good governance als fundamentales Element der Kooperation verankert, wobei darunter die»verantwortungsvolle Staatsführung, die transparente und verantwortungsbewusste Verwaltung der menschlichen, natürlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen und ihr Einsatz für eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung«verstanden wird (BMZ 2002, 28). Auf der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung in Monterrey im März 2002 wurde ein Richtung weisender Rahmen für eine globale Entwicklungspartnerschaft mit dem Ziel festgelegt, die Armut zu bekämpfen, dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu erzielen und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die Partnerschaft zwischen reichen und armen Ländern soll auf guter Regierungs- und Verwaltungsführung, erweitertem Handel, Entwicklungszusammenarbeit sowie Schuldenerleichterung aufbauen. Der in Monterrey erzielte Konsens bezeichnet explizit good governance durch Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Achtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess, eine marktwirtschaftlich orien- 129

131 tierte Wirtschaftspolitik und makroökonomische Stabilität als Kernelement entwicklungsförderlicher Rahmenbedingungen, zu denen auch die allgemeine Verpflichtung auf eine gerechte und demokratische Gesellschaft gehört (UN 2002). Good governance ist inzwischen zu einem wichtigen Förderkriterium für die EZ geworden. In Deutschland kommt dies zusammen mit dem Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten in den 1991 formulierten fünf Kriterien für die EZ zum Ausdruck: Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, marktwirtschaftlich und sozial orientierte Wirtschaftsordnung, Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns (BMZ 1995, 48). Good governance ist sowohl Voraussetzung als auch eigenständiges Ziel von Entwicklung. Für das BMZ (2006, 1f.) geht es dabei»um einen Staat, der sich an der Gewährleistung der Menschenrechte sowie an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientiert, der transparent und leistungsfähig arbeitet, eine nachhaltige, armutsorientierte Sozial- und Wirtschaftspolitik verfolgt und sich in der internationalen Staatengemeinschaft kooperativ verhält. ( ) In der Realität können nur wenige Länder durchgängig in die Kategorien Bad oder Good Governance eingeordnet werden. In den meisten Ländern findet man eine Vielzahl von abgestuften Situationen und z.t. widersprüchlichen Entwicklungen vor. Regierung und öffentliche Verwaltung sind keine monolithischen Blöcke.«Die Bundesregierung betrachtet Frieden und Sicherheit, Demokratie, gute Regierungsführung und die Verwirklichung der Menschenrechte als Voraussetzungen für die Erreichung der MDGs in einem Land (Kortmann 2006, 22). Und der Deutsche Bundestag vertritt in seiner Entschließung»Auf dem Weg zur Erreichung der Millennium Development Goals«vom 30. September 2004 die Auffassung, die MDGs seien nur realisierbar, wenn alle Kapitel der Millennium-Erklärung hinreichend be- 130

132 achtet und die auf der Grundlage von Konventionen bestehenden Verpflichtungen umgesetzt würden. Die EU hält in ihrem entwicklungspolitischen Europäischen Konsens vom Herbst 2005 fest, ein besonderer Vorrang gelte den Menschenrechten und der Demokratisierung, der Unterstützung für notwendige Reformen zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption, der Unterstützung der Dezentralisierung sowie der Stärkung der Rolle der Parlamente. Um diese Stärkung bemühen sich vor allem auch die deutschen politischen Stiftungen. Zu ihr gehören: 2 (Mehrparteien-)Parlamente und ihre Gremien mit ihren verschiedenen Funktionen aufzuwerten (vgl. das»parlamentarische Hexagon«); Abgeordnete zu qualifizieren (capacity building) und so zur Professionalisierung ihrer Arbeit beizutragen; die Gemeinwohlorientierung parlamentarischen Handelns zu betonen, zum Beispiel durch entsprechende Verhaltenskodizes; die Rechenschaftspflicht und Transparenz parlamentarischer Verfahren zu fördern, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit des Parlaments zu entwickeln; die Gesetzgebung und das politische Handeln an das Leitbild einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung zu binden, an rechtsstaatliche international anerkannte Grundsätze sowie internationale und regionale Menschenrechtsabkommen; zur Kooperation nationaler Parlamente untereinander wie im Rahmen der IPU anzuhalten; parlamentarische Netzwerke zu fördern, etwa das Parlamentarische Netzwerk der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung. 2 Vgl. auch die Anhörung des Bundestags-Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) zum Thema»Regierungsführung als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit«am

133 Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten Parlamente und andere Akteure in Staat und Wirtschaft in Koalitionen für good governance ergänzen, aber nicht ersetzen. Plädoyer für eine Ergänzung des MDG-Zielkatalogs Die bisherigen Ausführungen laufen darauf hinaus, dass die acht MDGs durch ein weiteres Ziel ergänzt werden sollten: Diktaturen zu überwinden und Demokratien zu stärken. Damit würden die Vereinten Nationen der politischen Orientierung des Entwicklungsparadigmas einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung, der Millennium-Erklärung und dem Weltgipfel 2005 folgen, der nicht nur die Demokratie als universellen Wert bekräftigte, sondern auch die Gründung eines neuen UN-Demokratiefonds guthieß. Zwei Zielvorgaben sind diesem neuen Oberziel beizugeben (vgl. Tabelle 1): 1) Bis 2015 ist die Zahl der undemokratischen, menschenrechtsverletzenden Regime zu halbieren; 2) die Grundsätze einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung sind in einzelstaatliche Politiken und Programme umzusetzen (sie umfassen die Verpflichtung auf Demokratie, Menschenrechte und good governance). Sechs Indikatoren sollen der Erreichung der beiden Zielvorgaben und der Fortschrittsüberwachung dienen: 1. Die Zahl der Länder, die als unfrei gelten (freie Wahlen, konstitutioneller Liberalismus, Gewaltenteilung). Dieser Indikator lässt sich an Hand des Freedom House-Indexes überprüfen, der die Länder der Welt bei der Bewertung der politischen und bürgerlichen Freiheiten in frei, teilweise frei und unfrei einteilt ( oder durch das World Democracy Audit Overall Ranking, das 150 Länder der Welt einem Demokratierang zuordnet ( audit.org). 132

134 Tabelle 1 Neues Millennium-Entwicklungsziel: Diktaturen überwinden ein neues Ziel Diktaturen überwinden und Demokratien stärken zwei Zielvorgaben 1. Bis 2015 die Zahl der undemokratischen, menschenrechtsverletzenden Regime halbieren 2. Die Grundsätze einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und Programme umsetzen sechs Indikatoren 1. Zahl der Länder, die als unfrei gelten 2. Parlamente mit echten Befugnissen und einer Frauenquote von 30 % 3. Zeichnung und Ratifikation internationaler Menschenrechtsabkommen 4. Politische Gestaltungsleistung auf dem Weg zur Demokratie 5. Korruption 6. ODA-Quote für Demokratie und good governance fördernde, Parlamente stärkende und menschenrechtsorientierte Programme 2. Parlamente mit echten Befugnissen gemäß dem»parlamentarischen Hexagon«und einer Frauenquote von 30 % in allen Parlamenten 3 von der lokalen bis zur kontinentalen Ebene. 4 Die Interparlamentarische Union ( 3 Das Panafrikanische Parlament hat für alle Mitgliedstaaten Maßnahmen gefordert, die sicherstellen, dass mindestens 30 % aller gewählten Positionen Frauen zukommen. 4 Insofern wird der alte dem MDG 3 zugeordnete Indikator 12 (Anteil der Frauen in nationalen Parlamenten) erweitert. 133

135 org) liefert Daten sowohl über Rolle und Struktur von 188 nationalen Parlamenten ( als auch über Frauenquoten. Mit Stand vom Mai 2006 nahmen Frauen weltweit 16,8 % aller Parlamentssitze ein ( Hinsichtlich der»echten Befugnisse«von Parlamenten fehlt jedoch bislang eine»indexierte«globale Aufbereitung der Daten. 3. Zeichnung und Ratifikation der relevanten internationalen Menschenrechtsabkommen. Das mit Unterstützung der Ford Foundation gegründete entsprechende Internet-Portal ( ist dazu eine wertvolle Informationsquelle. 4. Die politische Transformations- und Gestaltungsleistung auf dem Weg zur (marktwirtschaftlichen) Demokratie. Sie wird in dem alle zwei Jahre erscheinenden Bertelsmann Transformation Index (BTI) für 119 Entwicklungs- und Transformationsländer am besten dokumentiert (www. bertelsmann-transformation-index.de). Sie würde auch dadurch unterstrichen und glaubwürdiger, wenn auf Afrika bezogen möglichst alle Länder den NEPAD-African Peer Review Mechanism akzeptierten ( 5. Korruption. Der wichtigste Index, der Korruptionswahrnehmungsindex, wird von Transparency International jährlich neu erstellt ( 6. Die ODA-Quote 5 für Demokratie und good governance fördernde, die Parlamente stärkende und menschenrechtsorientierte Programme. Erste Daten bietet die vom Entwicklungsausschuss (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) neu eingeführte übersektorale Kennung Participatory development/good governance ( 5 Anteil der öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA). 134

136 Schlussfolgerungen Schlussfolgerungen und Orientierungen für das politische Handeln sind: Diktaturen sind nicht akzeptabel, weil sie grundlegenden menschlichen Werten widersprechen. Langfristig gibt es keine nachhaltige und menschenwürdige Entwicklung ohne demokratische Freiheiten und ohne Respektierung, Schutz und Förderung der Menschenrechte. Vornehmste Aufgabe der Entwicklungspolitik ist es, zu einer demokratieorientierten und menschenrechtsbasierten Entwicklung beizutragen. Die dauerhafte Erreichung der meisten MDGs wird durch diktatorisch regierte Staaten, durch bad governance und Missachtung der Freiheitsrechte der Menschen behindert, wenn nicht sogar verhindert. Die Erreichung der MDGs muss mit der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und good governance verbunden werden. Dabei lehrt die Erfahrung, dass beim Verfolgen dieser Ziele Erfolge nicht kurzfristig zu erreichen sind, Rückschritte immer wieder vorkommen und bei der Ko operation mit Regierungen oft Kompromisse eingegangen werden müssen, weil deren Reformorientierung nicht realistisch eingeschätzt werden kann (vgl. Messner/Scholz 2005, 36). Bei konfligierenden Interessen (etwa Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen oder Transfers umweltfreundlicher Technologien in das kommunistische China) muss gegenüber Diktatoren und bad performers dennoch eine klare Sprache gesprochen und gegebenenfalls auch zu Sanktionen gegriffen werden. Dazu kann auch der Stopp der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gehören; die Unterstützung der Not leidenden Bevölkerung, von Reformkräften oder Organisationen der Zivilgesellschaft sollte gleichwohl aufrechterhalten werden. 135

137 Literatur Bertelsmann Stiftung (Hg.), 2005: Bertelsmann Transformation Index Politische Gestaltung im internationalen Vergleich. Gütersloh (www. bertelsmann-transformation-index.de/fileadmin/pdf/bti_2006_ Broschuere_D_gesamt.pdf, ). BMZ (Hg.), 1995: Zehnter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, in: Deutscher Bundestag, Drucksache 13/3342, BMZ (Hg.), 2001: Armutsbekämpfung eine globale Aufgabe. Aktionsprogramm Der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut. Bonn. BMZ (Hg.), 2002: Das Abkommen von Cotonou Neue Wege in der AKP- EG-Partnerschaft (Materialien, Nichtregierungsorganisationen 118). Bonn. BMZ, 2006: Schriftliche Stellungnahme des BMZ zur AwZ-Anhörung zum Thema»Regierungsführung als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit«am , Bundestags-Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Drs. 16 (19) 77. Europäische Union, 2005: Der Europäische Konsens über die Entwicklungspolitik (Gemeinsame Erklärung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission zur Entwicklungspolitik der Europäischen Union). Brüssel ( oj_24_02_2006_de.pdf, ). Freedom House, 2005: Freedom in the World Selected Data from Freedom House s Annual Global Survey of Political Rights and Civil Liberties, in: Hermle, Reinhard, 2006: Die Rolle der NRO bei der Armutsbekämpfung, in: Kommunikation Global/Communicate Worldwide, hg. v. Inter Press Service Europe, Jg. 7/74, S ( ). Holtz, Uwe, 2003: The Previous Four Round Tables of Members of Parliament on the United Nations Convention to Combat Desertification. Bonn ( ). 136

138 Holtz, Uwe, 2006: Editorial, in: Kommunikation Global/Communicate Worldwide, hg. v. Inter Press Service Europe, Jg. 7/74, S (www. komglobal.info/download/2006/pdf/ausgabe_74.pdf, ). IPU (Hg.), 1998: Democracy: Its Principles and Achievement. Genf (www. ipu.org/cnl-e/161-dem.htm, ). Landes, David, 2004: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, 2. Aufl. Berlin. Kortmann, Karin, 2006: Anstehende Aufgaben für die deutsche und europäische Ebene bei der Umsetzung der MEZ, in: Kommunikation Global/Communicate Worldwide, hg. v. Inter Press Service Europe, Jg. 7/74, S ( ). Messner, Dirk/Imme Scholz (Hg.), 2005: Zukunftsfragen der Entwicklungspolitik. Baden-Baden Nuscheler, Franz, 2005: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik 5., völlig neu bearb. Aufl., Bonn. Sachs, Jeffrey D., 2005a: Das Ende der Armut. Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt. München. Sachs, Jeffrey D., 2005b: Investing in Development. A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals (UN Millennium Project). London/Sterling, Va. SEF (Stiftung Entwicklung und Frieden) (Hg.), 1991: Die Herausforderung des Südens. Bericht der Südkommission. Bonn. UN, 2002: Bericht der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung. Monterrey (Mexiko), März 2002, A/CONF. 198/11 ( ). UNDP, 2002: Bericht über die menschliche Entwicklung. Stärkung der Demokratie in einer fragmentierten Welt. Bonn. World Bank, 1989: Sub-Saharan Africa. From Crisis to Sustainable Growth. Washington D.C. 137

139 KARIN KÜBLBÖCK Schmerztherapie statt Ursachenbekämpfung? Eine strukturelle Kritik an den Millennium-Entwicklungszielen Die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) bilden heute eine der wesentlichen Grundlagen für Entwicklungszusammenarbeit. Sie werden sowohl von offizieller Seite als auch von zahlreichen Akteuren der Zivilgesellschaft als Rahmen für entwicklungspolitische Strategien anerkannt. Das Ausmaß der Weltarmut als»größtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit«(Pogge 2004) wird damit wieder stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Dieser Artikel stellt die Frage, ob die MDGs etwas zur Beseitigung der strukturellen Ursachen von Armut beitragen werden; er kommt zum Schluss, dass die Chance hierfür gering ist, da die Strategien zur Erreichung der MDGs die wesentlichen Ursachen von Armut ausblenden. Die Ausführungen beziehen sich hauptsächlich auf Ziel 1, die Halbierung der absoluten Armut, da dieses das zentrale Ziel darstellt, an dem man die Erfüllung des Gesamtprojektes im Jahr 2015 messen wird. Entstehung der Ziele Der UN-Millenniumgipfel in New York im Jahr 2000 bildete den Höhepunkt der in den 1990er Jahren organisierten acht großen Weltkonferenzen, die sich mit den zentralen Problemen der Welt befassten, darunter der»erdgipfel«in Rio 1992, der Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995, die Weltfrauenkon- 138

140 ferenz in Beijing 1995 und der Welternährungsgipfel in Rom Die wesentlichen Inhalte der in diesem Jahrzehnt formulierten Deklarationen wurden auf dem New Yorker Gipfel zur Millennium-Erklärung zusammengeführt. Armutsbeseitigung, Friedenserhaltung und Umweltschutz wurden als die vordringlichsten Aufgaben der internationalen Gemeinschaft im neuen Jahrhundert bestätigt. Die Vereinten Nationen (UN), der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank sowie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einigten sich in der Folge auf der Grundlage des Kapitels»Entwicklung und Armutsbeseitigung«der Millenium-Erklärung auf die MDGs, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. Damit wurde erstmals auf internationaler Ebene ein gemeinsamer und überprüfbarer Zielkatalog mit konkreten Zeitvorgaben geschaffen. Die MDGs können als ein Versuch gesehen werden, die entwicklungspolitische Resignation der 1990er Jahre zu überwinden und eine neue Dynamik für konzertierte Aktionen zu erzeugen. Die Rechnung scheint aufzugehen: Nicht nur die Vereinten Nationen in ihrer Millennium Campaign, sondern auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure machten die MDGs weltweit zum Gegenstand von Aufrufen und Aktionen (vgl. den Beitrag von Roth). Das Ausmaß der Armut und die dringende Steigerung der Mittel für Entwicklungsfinanzierung rücken durch die Mobilisierung rund um die MDGs wieder vermehrt ins öffentliche Bewusstsein. Die gesteigerten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, die seit Beginn des neuen Jahrtausends zu verzeichnen sind, sind sicherlich auch auf den durch die MDGs wachsenden internationalen Druck zurückzuführen. Von großen Veränderungen zu sprechen wäre bis jetzt dennoch übertrieben: Nach einem Jahrzehnt sinkender Mittel für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) der Mitglieder des Entwicklungsausschusses (DAC) der OECD erreichten diese mit 0,33 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) im Jahr 2005 wieder das Niveau 139

141 vom Beginn der 1990er Jahre. Zurückzuführen sind die Erhöhungen im Jahr 2005 jedoch hauptsächlich auf Schuldenerlasse für den Irak und Nigeria sowie auf die Tsunami-Hilfe also nicht auf unmittelbare Strategien zur MDG-Erreichung. Für die beiden Folgejahre prognostiziert die OECD wieder einen ODA-Rückgang (OECD 2006). Fortschritt oder Rückschritt? Der sowohl zeitlich als auch quantitativ überprüfbare Zielkatalog kann im Vergleich zu vorherigen Willensäußerungen der internationalen Gemeinschaft als klarer Fortschritt bezeichnet werden. Kommentatoren verweisen jedoch auf Rückschritte auf anderen Ebenen: So sei im Kontrast zur UN-Tradition die Formulierung ohne den üblichen Diskussionsprozess in den verschiedenen Gremien erfolgt. Eine Errungenschaft der Konferenzen der 1990er Jahre war zudem die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Vorbereitungsprozesse. Eine solche Beteiligung gab es im Vorfeld der Formulierung der Millennium-Erklärung nicht (Amin 2006). Insbesondere feministische Organisationen kritisieren den Rückschritt bei Zielen, die die Geschlechtergerechtigkeit betreffen. So kommen sexuelle und reproduktive Rechte nicht vor, und kein Indikator betrifft die Einkommensverteilung zwischen Männern und Frauen (Antrobus 2004; vgl. den Beitrag von Wittmann). Ein aufschlussreiches Beispiel dafür, dass der Teufel oft im (statistischen) Detail steckt, ist die Formulierung des ersten Zieles: War in der Abschlussdeklaration des Welternährungsgipfels von Rom (1996) noch das Ziel der Halbierung der aktuellen Anzahl der an Hunger leidenden Menschen bis zum Jahr 2015 enthalten, ist in der Millennium-Erklärung nur noch vom Anteil der Bevölkerung die Rede. Statt der Angabe»aktuell«(sprich: 2000) haben die MDGs das Jahr 1990 als Referenzjahr. Da die Gesamtbevölkerung im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 140

142 2015 beträchtlich steigen wird, ist der tolerierbare Anteil der Armen wesentlich höher, als die Hälfte der 1996 in absoluter Armut lebenden Personen. Außerdem war weltweit gesehen die Armut zwischen 1990 und 2000 durch die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und Indiens bereits zurückgegangen: Diese zehn Jahre werden nun schon in die angestrebte Reduktion eingerechnet. Durch diese beiden Änderungen wird die tolerierbare Zahl der absolut Armen im Vergleich zur Rom- Deklaration von 550 auf 880 Mio. erhöht und die zu reduzierende Anzahl der absolut armen Menschen um mehr als 60 % gesenkt (Pogge 2003; Reddy/Pogge 2005; Wade 2003a). Auch die Verwendung der 1 US-$ pro Tag-Grenze bezogen auf die Kaufkraft eines Dollars in den USA im Jahr 1999 (vor 1999 war das Referenzjahr 1985) als Definition für absolute Armut wird weithin als willkürlich und viel zu niedrig eingeschätzt (Pogge 2004; Woodward/Sims 2006; Wade 2003a; Socialwatch 2005). Allein die Änderung des Bezugsjahres von 1985 auf 1999 hat in 77 von 92 untersuchten Ländern die Armutsgrenze signifikant gesenkt und somit auch die Anzahl der Menschen, die darunter lagen (Pogge 2003). Da das Bezugsjahr der MDGs das Jahr 1990 ist, hat diese Änderung der Statistik wesentliche Auswirkungen. Auf ihrer Basis verkündete der damalige Weltbankpräsident Wolfensohn im Jahr 2001 eine Reduktion der Armen um 200 Mio. zwischen 1980 und Kalkuliert man stattdessen mit der (immer noch niedrigen) Grenze von 2 US-$ pro Tag, ist die Anzahl der Armen zwischen 1980 und 2001 um 12 % gestiegen. Statt die zu niedrige Grenze von 1 US-$ pro Tag zu verwenden, wäre es deshalb aussagekräftiger, höhere Grenzen zu verwenden und nationale Armutsindikatoren mit einzubeziehen, die eher die reale Lebenssituation widerspiegeln. Die beschriebenen Details der statistischen»anpassung«werfen die Frage auf, wie sehr die»erreichung«der MDGs vorrangig der politischen Legitimation des derzeitigen Weltwirtschaftssystems zu dienen hat. Denn die Tatsache, dass in 141

143 einer Welt mit Nahrungsmittelüberproduktion, hohem technologischen Fortschritt und Produktivitätszuwächsen die Hälfte der Bevölkerung ihre dringendsten Grundbedürfnisse nicht erfüllen kann, stellt eben dieses Weltwirtschaftssystem zunehmend in Frage und ist eine Hauptursache für soziale und politische Instabilität. Quick fixes für Armut? Wie stark dieser Legitimationsbedarf ist, zeigt auch der Abschlussbericht des UN-Millenniumprojektes (UN Millennium Project 2005), der von Jeffrey Sachs koordiniert wurde, sowie die Publikation The End of Poverty desselben Autors (Sachs 2005). Sachs wird nicht müde, über einen big push also eine drastische Erhöhung der Finanzmittel das Ende der big problems (Easterly 2006) bewirken zu wollen.»das Ende der Armut ist in Reichweite innerhalb unserer Generation aber nur, wenn wir die vor uns liegende Gelegenheit ergreifen.«1 (Sachs 2005, 25). Die Basis für die big push-theorie ist die Idee der»armutsfalle«, beruhend auf den Annahmen fehlenden Sparvolumens der Armen, hohen Bevölkerungswachstums und steigender Ertragsraten bei geringer Kapitalausstattung. 2 Der Bericht erinnert damit stark an die modernisierungstheoretischen Ansätze der 1950er und 1960er Jahre (Martens 2005; Easterly 2006). 3 Eine signifikante Erhöhung der ODA soll laut Jeffrey Sachs den Kapitalstock in den Entwicklungsländern erhöhen und eine Entwicklungsdynamik in Gang setzen. Des Weiteren schlägt Sachs eine Reihe von quick win-initiativen vor, wie bei- 1 Übersetzung durch die Redaktion. 2 Nach Annahme der neoklassischen Theorie sind gerade bei geringem Kapitalbestand aufgrund der großen Produktivitätssteigerungen, die durch Investitionen erreicht werden, die Erträge aus diesen Investitionen höher. 3 Ein Referenzwerk ist zum Beispiel»Stages of Economic Growth«von Walt Whitman Rostow (1960). 142

144 spielsweise die Verteilung von Moskitonetzen an alle Kinder in Malariagebieten oder die Abschaffung des Schulgelds in Grundschulen. Diese Vorschläge sind zweifellos wichtig und sollten umgesetzt werden strukturelle Ursachen von Armut bleiben dabei jedoch ausgeblendet. Armut als technisches Problem Entpolitisierung der Armutsdebatte Zahlreiche Untersuchungen in den vergangenen Jahrzehnten konnten keinen kausalen Zusammenhang zwischen höheren ODA-Mitteln und steigendem Wachstum feststellen (einen Überblick über diverse Studien gibt Easterly 2003). Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung hat Afrika in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Mittel erhalten, die Wachstumsraten waren jedoch die niedrigsten weltweit. Daraus ist zu schließen, dass ein höherer Mittelzufluss allein für den big push nicht ausreicht. Fehlendes Wachstum und hohe Armutsraten sind auf viele komplexe wirtschaftliche, politische und soziale Faktoren zurückzuführen. Dabei sind sowohl interne als auch externe Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Armut ist kein technisches Problem, wie es der Sachs- Report nahe legt. Die Formulierung und Umsetzung von Armutsminderungsstrategien ist mehr als eine Frage von fehlenden Mitteln sie ist vor allem eine politische Angelegenheit. Es geht um Macht und Einfluss, um die Fragen, wie einflussreiche Gruppen (einschließlich Geberorganisationen) einer Veränderung gegenüberstehen, welche Interessen die Regierung vertritt, welche Akteure durch bestimmte Maßnahmen gewinnen bzw. verlieren, etc. Die Darstellung der Armutsproblematik als technische statt gesellschaftspolitische Frage trägt wesentlich zu einer Entpolitisierung der Debatte um Armutsminderung bei und zeugt damit paradoxerweise gleichzeitig von ihrem hoch politischen Charakter: Die Gewinner des derzeitigen 143

145 Weltwirtschaftssystems die reichsten Staaten und ihre Transnationalen Unternehmen haben genügend Einfluss, um der Formulierung von Forderungen nach strukturellen Veränderungen vorzubeugen. Armut getrennt von Reichtum? Ein wesentliches Merkmal der weltweiten Entwicklung der vergangenen 20 Jahre ist der enorme Anstieg der Ungleichheit sowohl zwischen als auch innerhalb einzelner Länder dieser Anstieg betrifft zwei Drittel der Länder mit verfügbaren Daten (WIDER 2004a). Rund 70 % der globalen Einkommensungleichheit ist auf Einkommensunterschiede zwischen Ländern zurückzuführen (UN/DESA 2006). Das Pro-Kopf-Einkommen der reichsten Länder ist mit fast US-$ 94-mal höher als das Pro-Kopf-Einkommen der 48 ärmsten Länder (298 US-$), wobei das Pro-Kopf-Einkommen der reichsten Länder in den 1990er Jahren um US-$ gestiegen, in den ärmsten Ländern in der gleichen Zeit um 30 US-$ gesunken ist (UNDP 2003). Doch auch innerhalb einzelner Länder ist die Verteilungsungleichheit frappierend, insbesondere in Lateinamerika und Afrika (Fues 2006). Das UNDP weist seit Jahren auf das groteske Ausmaß dieser Situation hin: So hätten etwa die zehn reichsten Personen der Welt 2002 mit einer 5 %-igen Rendite auf ihr Vermögen das gesamte Einkommen der 37 Mio. Einwohner in Tansania in diesem Jahr erwirtschaftet (WIDER 2004b). Diese beunruhigende Entwicklung wird nach einer Zeit, in der das Thema aus der akademischen und politischen Debatte weitgehend ausgeklammert war durch zunehmende Forschungsanstrengungen dokumentiert. 4 4 Einen Überblick über verschiedene Forschungsstränge geben Kanbur/ Lustig (1999). 144

146 Die lange Ausblendung des Themas ist auch darauf zurückzuführen, dass ungleiche Verteilung lange Zeit als wachstumsförderlich angesehen wurde, 5 da dadurch die Investitionsbereitschaft steige (wohlhabende Schichten investieren eher als Arme, die ihr Einkommen für Konsum aufwenden) und in Folge auch das Einkommen der ärmeren Schichten (trickle down-ansatz). Zudem vergrößere sich der Anreiz für Menschen am unteren Ende der Einkommensskala zu mehr Leistung, um ein höheres Einkommen zu erlangen. Oder, um es mit Margaret Thatcher zu sagen:»es ist unsere Aufgabe, Ungleichheit zu glorifizieren, und dafür zu sorgen, dass sich Talente und Fähigkeiten zu unser aller Nutzen Luft machen und ihren Ausdruck finden.«(zit. n. Wade 2004, 582). Mittlerweile hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass Ungleichverteilung nicht nur ein moralisches, sondern auch ein ökonomisches Problem darstellt. Empirische Untersuchungen kommen zunehmend zu dem Ergebnis, dass ein hohes Ausmaß an Einkommensungleichheit Wachstum bremst (Stewart 2000). 6 Ein Grund hierfür ist, dass bei einem hohen Ausmaß an Ungleichheit große Teile der Bevölkerung vom Zugang zu produktiven Tätigkeiten ausgeschlossen sind (UNDP 2002), unter anderem durch fehlende Bildungs- und Kreditmöglichkeiten. Wenn Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft sehr ungleich verteilt sind, schmälert dies aber nicht nur das Wachstumspotenzial, sondern das erreichte Wachstum trägt auch viel weniger zur Armutsminderung bei als in egalitäreren Gesellschaften (WIDER 2004a). In internationale Politikformulierungen hält diese Erkenntnis bisher jedoch keinen Einzug. Auch in den MDGs finden Verteilungsindikatoren trotz der ökonomischen Sinnhaftigkeit 5 Sehr einflussreich waren in diesem Zusammenhang die Thesen des Ökonomen Simon Kuznets (1955). 6 Auch die Weltbank kommt mittlerweile zu diesem Schluss, auch wenn sie Ungleichheit auf Chancenungleichheit beschränkt (Weltbank 2005). 145

147 keinen Platz. Neben der personellen Einkommensverteilung wäre ein genauerer Blick auf die Verteilung zwischen den Produktionsfaktoren lohnenswert. Durch die gestiegene Mobilität des Produktionsfaktors Kapital im Vergleich zum Faktor Arbeit ist die Verhandlungsmacht des ersteren massiv verstärkt worden (UNDP 2002), real sichtbar in weltweit sinkenden Unternehmenssteuern trotz steigender Gewinne sowie sinkenden Reallöhnen auch im Falle von Produktivitätssteigerungen (zum Beispiel in Mexiko und der Türkei) (Onaran 2005). Für die Integration von Verteilungszielen in die MDGs gäbe es eine Reihe von Möglichkeiten: Sinnvoll wäre etwa die Berücksichtung des Gini-Koeffizienten 7 als traditionelles Maß der Einkommensverteilung innerhalb eines Landes. Kaushik Basu (2004) schlägt als weitere Messgröße das Einkommenswachstum der ärmsten 20 % der Bevölkerung vor. Um die Einkommensverteilung zwischen den Produktionsfaktoren zu berücksichtigen, könnte die Entwicklung der Lohn- und Gewinnquote sowie der Reallöhne bzw. der Lohnstückkosten in die Zielformulierungen miteinbezogen werden. Ausblendung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen Auf den Weltkonferenzen der 1990er Jahre wurde eine Vielfalt von Themen behandelt, die in der Folge auch Eingang in die Millennium-Erklärung fanden. Auffallend dabei ist, dass das Thema Weltwirtschaft systematisch ausgespart wurde. Dagegen wurde noch in den 1970er Jahren im Rahmen der UN-Kon- 7 Der Gini-Koeffizient ist ein statistisches Maß für Verteilungsgleichheit. Der Wert kann beliebige Größen zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der Gini-Koeffizient an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit. Der Gini-Koeffizient alleine ist allerdings auch nur bedingt aussagekräftig und sollte mit anderen Indikatoren kombiniert werden (siehe zum Beispiel umverteilung.de/verteilung.htm). 146

148 ferenzen die Debatte über eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung und deren notwendige Neugestaltung mit einiger Intensität geführt (vgl. die Resolution der UN-Generalversammlung zur Herstellung einer neuen Weltwirtschaftsordnung aus dem Jahr 1974). Die Gründung der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sowie die Formierung der G77 im Jahr 1964 waren Ausdruck dieser politischen Konjunktur, in der viele ehemalige Kolonien und nun autonome Staaten Selbstbewusstsein gewannen und auf eine neue weltwirtschaftliche Arbeitsteilung drängten. Für die Entwicklungsländer ging es in diesen Debatten unter anderem um die Anerkennung des Anspruchs, über ihre natürlichen Ressourcen selbst zu bestimmen und ausländische Unternehmungen zu regulieren; die Zusage der Industrieländer für einen Technologietransfer zu günstigen Konditionen; Vereinbarungen zur Stabilisierung der Exporterlöse, unter anderem durch den Abschluss von Rohstoffpreisabkommen; ein größeres Mitspracherecht in IWF und Weltbank (UN 1974; Brock 2001). Die Aktualität dieser Forderungen ist heute um nichts geringer als vor 30 Jahren. Die ökonomische Situation der am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, LDCs) ist zumeist noch von fehlender Diversifizierung der Wirtschaft, hoher Arbeitslosigkeit und der Abhängigkeit von wenigen Exportprodukten gekennzeichnet. Dennoch sind die strukturellen Fragen der internationalen Arbeitsteilung aus der internationalen Debatte verschwunden und bei der»zweiten Generation«der Weltkonferenzen vernachlässigt worden. Die Abkehr von der Debatte über die ungerechte Weltwirtschaftsordnung erfolgte in den 1980er Jahren durch einen ideologischen und politischen Umschwung. Dieser ist auf zahlreiche Faktoren zurückzuführen, die in der Literatur ausrei- 147

149 chend dokumentiert sind (Schui/Blankenburg 2002; Harvey 2005; Onaran 2005). Als Hebel für eine Politikänderung von Seiten der Industrieländer wurde insbesondere die Verschuldungskrise Anfang der 1980er Jahre genutzt. Sie schwächte die internationale Verhandlungsposition der Entwicklungsländer und stellte einen Wendepunkt in der Nord-Süd-Auseinandersetzung dar. Die UNCTAD büßte ihre Rolle als Forum für Verhandlungen über die Gestaltung der Weltwirtschaft ein (Brock 2001). An ihre Stelle traten IWF und Weltbank, die allein durch die ungleiche Stimmverteilung von den großen Industrieländern zur Durchsetzung ihrer Interessen genutzt werden konnten. Die von der G77 initiierte Debatte über eine gerechtere Weltwirtschaft wurde abgelöst durch die von IWF und Weltbank verordnete Anpassung an die Anforderungen des Weltmarktes. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Länder beschleunigte zusätzlich noch die ideologische und diskursive Fixierung auf Marktöffnung und Weltmarktorientierung als einzig praktikablem Entwicklungsmodell. Während in den 1960er und 1970er Jahren die endogenen Ursachen fehlender Entwicklung zu wenig Berücksichtigung fanden, drehte sich die Debatte in der Folge einseitig um Eigenverantwortung. Gute Regierungsführung und Weltmarktintegration wurden zu zentralen Faktoren für Entwicklung stilisiert. So wird man auch im Zusammenhang mit den MDGs nicht müde, die Selbstverantwortung der Entwicklungsländer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Auch der erwähnte Abschlussbericht des Millenniumprojekts Investing in Development, ein»praktischer Plan, um die Millenniumsziele zu erreichen«(un Millennium Project 2005), sieht die Hauptverantwortung für das bisherige Verfehlen der MDGs im Versagen der Regierungen und mangelndem Problembewusstsein der Entwicklungsländer. Unerwähnt bleibt, dass der eigenverantwortliche Handlungsspielraum der ärmsten Länder durch ein enges Korsett an wirtschaftspolitischen Vorgaben geschnürt von den Inter- 148

150 nationalen Finanzinstitutionen, der Welthandelsorganisation (WTO) und durch bilaterale Handels- und Investitionsabkommen erheblich eingeschränkt ist. So werden Entschuldung und neue Kredite der internationalen Finanzinstitutionen an wirtschaftspolitische Reformen wie etwa die Privatisierung von Infrastruktur und die Liberalisierung des Außenhandels und des Finanzmarkts geknüpft. Auch die WTO-Verträge verhindern durch die festgeschriebene Öffnung der Güter- und Dienstleistungsmärkte in vielen Fällen eine auf den Binnenmarkt ausgerichtete Wirtschaftspolitik (Wade 2003b). Die stark wachsende Anzahl bilateraler Investitionsabkommen in den vergangenen Jahren führte in vielen Fällen zu einer Bevorzugung internationaler gegenüber heimischen Investoren (Bellak/Küblböck 2004). Dieses enge wirtschaftspolitische Korsett wird trotz zahlreicher empirischer Ergebnisse und Erfahrungen (vgl. Kasten»Entwicklungserfahrungen«) als Ursache für mangelnde Entwicklungsfortschritte beständig ignoriert. Während also einerseits die Interdependenzen in einer globalisierten Weltwirtschaft vielfältig thematisiert werden, werden diese im aktuell dominanten Entwicklungsdiskurs ausgeblendet. Beschränkte Partnerschaft Die in Ziel 8 (Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung) formulierten Versprechen der Industrieländer in Bezug auf ODA-Steigerung, Entschuldung, Marktzugang und Technologietransfer sind im Hinblick auf die internationalen Rahmenbedingungen zwar wichtig, werden jedoch selbst wenn sie erfüllt werden kaum dazu beitragen, die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen. Höhere Finanzmittel werden ohne begleitende Industriepolitik nicht zu höherem Wachstum führen. Die mehr als notwendige Entschuldung wird an die Durchführung von ökonomisch nachteiligen Konditionalitäten geknüpft, wie zum Beispiel die Liberalisierung des Agrarsek- 149

151 tors (Gaynor 2005). Von der versprochenen Marktöffnung werden insbesondere die ärmsten Entwicklungsländer aufgrund der mangelnden Konkurrenzfähigkeit ihrer Produkte nicht profitieren können. Entwicklungserfahrungen Ein Blick auf die Entwicklung der heute reichen Länder zeigt, dass kein einziges Land die heute propagierten Rezepte selbst befolgt hat (Chang 2002; Reinert 2006). Die beiden Länder, die den meisten Protektionismus betrieben, um ihre Wirtschaft zu entwickeln, sind Großbritannien und die USA selbst. Von 1830 bis 1945 hielten die USA ihre Zolltarife auf einem Niveau, das zu den höchsten der Welt gehörte. Erst nachdem die unbestrittene Vorherrschaft gesichert war, wurden die Handelsbeziehungen liberalisiert. Wie die Auseinandersetzungen in der WTO um die Agrarsubventionen zeigten, werden bis heute nicht konkurrenzfähige Sektoren geschützt bzw. unterstützt. Auch kannte beispielsweise die Schweiz bis zum Jahr 1907 kein Patentrecht. Die Niederlande schafften 1869 ihr Patentrecht mit der Begründung wieder ab, Patente seien auf politischem Wege geschaffene Monopole und daher mit den Grundsätzen des freien Marktes unvereinbar (Chang 2002). Diese geschichtliche Evidenz wird bei den aktuellen WTO-Verhandlungen geflissentlich ignoriert. Auch die südostasiatischen Tigerstaaten, die immer wieder als Vorbild für Entwicklung durch Freihandel für Länder des Südens herhalten müssen, sind einen anderen Weg gegangen. Bevor Märkte geöffnet wurden, wurde die nationale Industrie durch staatliche Maßnahmen geschützt und aufgebaut; der Export unverarbeiteter Produkte war nie ein Entwicklungsziel. Die Finanzmärkte waren bis in die 1990er Jahre strikt staatlich kontrolliert. Diese Strategien wurden auch deshalb von den westlichen Industrieländern gedul- 150

152 det und sogar massiv subventioniert, da es galt, die Gefahr des Kommunismus zu bekämpfen. Auch China und Indien haben eine eigenständige Entwicklungsstrategie verfolgt und sich keineswegs an die Vorgaben der internationalen Finanzinstitutionen gehalten. Den ärmsten afrikanischen Ländern steht diese Möglichkeit aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit jedoch nicht offen. Schlussfolgerungen Mit den öffentlichkeitswirksamen MDGs ist es gelungen, Armutsminderung wieder auf die internationale politische Agenda zu rücken. Die Erfolge, die durch die entstandene Dynamik in etlichen Ländern bei verschiedenen Teilzielen erreicht werden, sind positiv zu bewerten. Gleichzeitig reflektieren die Ziele den aktuell dominanten Entwicklungsdiskurs, in dem Armut als ein technisches Problem dargestellt wird, das unabhängig von nationalen und internationalen Rahmenbedingungen gelöst werden kann. Statt struktureller Veränderungen in den Nord-Süd-Wirtschaftsbeziehungen und in den ärmsten Ländern geht es um die Linderung der Schmerzen ihrer ökonomischen Misere (Reinert 2006). Millennium-Entwicklungsziele, die diesen Namen verdienen, müssten alternative weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen anstreben. Wichtig dafür wäre eine internationale Politikkoordinierung (Pollin 2002; Onaran 2005; Wade 2003b), die Regulierung der Finanzmärkte, internationale Steuerstandards, Standards für Arbeitsmärkte, verbindliche Regeln für Transnationale Unternehmen und für entwicklungsfördernde Investitionen (Bellak/Küblböck 2004). Dadurch erst könnten Freiräume für die Formulierung von lokalen Entwicklungsstrategien sowie für verteilungspolitische Maßnahmen geschaffen werden. Die Einführung dieses politischen Rahmens wäre möglich Voraussetzung dafür ist die Herstellung eines 151

153 politischen Willens. Dafür wird ein gesteigerter sozialer Druck und Mobilisierung durch eine starke Zivilgesellschaft nötig sein, deren Ambitionen weit über die Erfüllung der aktuellen MDGs hinausgehen. Literatur Amin, Samir, 2006: The Millennium Development Goals: A Critique from the South, in: Monthly Review 10/57 ( org/0306amin.htm, ). Antrobus, Peggy, 2004: MDGs The Most Distracting Gimmik, in: Women s International Coalition for Economic Justice (WICEJ) (Hg.), Seeking Accountability on Women s Human Rights. New York, S Basu, Kaushik, 2004: Globalization, Poverty and Inequality What is the Relationship? What Can Be Done?, in: WIDER Angle 2/2004, S Bellak, Christian/Karin Küblböck, 2004: Bilaterale Investitionsschutzabkommen, Direktinvestitionen und die Interessen der Entwicklungsländer, in: ÖFSE (Hg.), 2004, Wirtschaft und Entwicklung. Wien, S Brock, Lothar, 2001: Die Vereinten Nationen als Referenzrahmen für Weltordnungspolitik, Vortrag bei der Internationalen Konferenz der Willy Brandt-Stiftung, November ( brock/mat/vnreferenzrahmenwp.pdf, ) Chang, Ha-Joon, 2002: Kicking Away the Ladder Development Strategy in Historical Perspective. London. Easterly, William, 2003: Can Foreign Aid Buy Growth? in: Journal of Economic Perspectives, Jg. 17/3, S ( ). Easterly, William, 2006: The Big Push Déjà Vu, in: Journal of Economic Literature, Jg. 44/1 ( File/The_Big_Push_Deja_Vu.pdf, ). Fues, Thomas, 2006: Weltsozialpolitik und Entwicklung, in: Tobias Debiel/ Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt, hg. v. Stiftung Entwicklung und Frieden. Frankfurt/M., i. E. 152

154 Gaynor, Ciara, 2005: Structural Injustice and the MDGs: A Critical Analysis of the Zambian Experience, in: Trócaire Development Review, S Harvey, David, 2005: A Brief History of Neoliberalism. London. Kanbur, Ravi/Nora Lustig, 1999: Why is Inequality Back on the Agenda? ( ). Kuznets, Simon, 1955: Economic Growth and Income Inequality, in: American Economic Review Jg. 45/1, S Martens, Jens, 2005: Moskitonetze gegen Armut, in: Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung, 2/2005. OECD (Organization for Economic Cooperation and Development), 2006: Aid Flows Top USD 100 Billion in 2005 ( document/40/0,2340,en_2649_201185_ _1_1_1_1,00.html, ). Onaran, Özlem, 2005: Life after Crisis for Labor and Capital in the Era of Neoliberal Globalization (Wirtschaftsuniversität Wien, Working Paper Nr. 43) ( geewp43.pdf, ). Pogge, Thomas, 2003: The First UN Millennium Development Goal: A Cause for Celebration? (Oslo Lecture in Moral Philosophy, September 11, 2003) ( bureau/stat/download/papers/povdr.pdf, ). Pogge, Thomas, 2004: Eine Frage des Willens, in: Frankfurter Rundschau vom Pollin, Robert, 2002: Globalization and the Transition to Egalitarian Development (PERI Working Paper Nr. 42) ( pdfs/wp42.pdf, ) Reddy, Sanjay G./Thomas Pogge, 2005: How Not to Count the Poor (Columbia University) ( ). Reinert, Erik S., 2006: Development and Social Goals: Balancing Aid and Development to Prevent Welfare Colonialism (DESA Working Paper Nr. 14) ( pdf, ). Rostow, Walt Whitman, 1960: The Stages of Economic Growth: A Non- Communist Manifesto. Cambridge. Sachs, Jeffrey, 2005: The End of Poverty. New York. Schui, Herbert/Stephanie Blankenburg, 2002: Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis. Hamburg. 153

155 Socialwatch, 2005: Poverty and Globalization ( org/en/informestematicos/92.html, ). Stewart, Frances, 2000: Income Distribution and Development (Working Paper Nr. 37, QEH Working Paper Series) ( uk/pdf/qehwp/qehwps37.pdf, ). UN (United Nations), 1974: Resolutions Adopted by the General Assembly During Its Sixth Special Session ( UNDOC/GEN/NR0/751/89/IMG/NR pdf?OpenElement, ). UN Millennium Project, 2005: Investing in Development: A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals, New York ( ). UN/DESA, 2006: Diverging Growth and Development, World Economic and Social Survey. New York. UNDP (United Nations Development Programme), 2002: The Role of Economic Policies in Poverty Reduction (Policy Note). New York. UNDP, 2003: Human Development Report. New York. Wade, Robert Hunter, 2003a: Poverty and Income Distribution: What is the Evidence?, in: Ann Pettifor (Hg.), The Real World Economic Outlook, London, S Wade, Robert Hunter, 2003b: What Strategies are Viable for Developing Countries Today? The World Trade Organization and the Shrinking of»development Space«(Working Paper Nr. 31, LSE) ( crisisstates.com/download/wp/wp31rw.pdf, ). Wade, Robert Hunter, 2004: Is Globalization Reducing Poverty and Inequality? in: World Development, Jg. 32/4, S Weltbank, 2005: Equity and Development, World Development Report. Washington D.C. WIDER (World Institute for Development Economics Research), 2004a: WIDER Angle 1/2004. WIDER, 2004b: WIDER Angle 2/2004. Woodward, David/Andrew Simms, 2006: Growth Isn t Working. The Unbalanced Distribution of Benefits and Costs from Economic Growth (New Economics Foundation). London. 154

156 FRANZ NUSCHELER Sinnentleerung des Prinzips Nachhaltigkeit Die Millennium-Entwicklungsziele haben eine ökologische Lücke Die internationale Entwicklungspolitik konzentriert sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts auf drei miteinander verflochtene Megaprojekte: erstens die MDG-Agenda zur Reduzierung extremer Armut; zweitens eine auf der Erfahrung, dass es ohne Frieden und Rechtssicherheit keine Entwicklung geben kann, aufbauende Sicherheitsagenda zur Konfliktprävention, zum Konfliktmanagement und zur politischen Stabilisierung fragiler Staaten, die zum Sicherheitsproblem ganzer Regionen werden; drittens die Rio-Agenda, die auf der Erkenntnis beruht, dass es enge Wechselwirkungen zwischen Umweltkrisen und Armut gibt und die Stabilisierung des Weltklimas zu den vorrangig schutzbedürftigen globalen öffentlichen Gütern (global public goods) zählt. Diese Erkenntnis erforderte eine stärkere Verzahnung von Entwicklungs- und Umweltpolitik, die schon im Begriff der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) angelegt ist. Der UN-Generalsekretär Kofi Annan betonte in seinem Grundsatzbericht»In größerer Freiheit«, den er dem im September 2005 veranstalteten Millennium+5-Gipfel vorlegte, die Interdependenz dieser drei Megaprojekte, für deren Realisierung er eine besondere Verantwortung der Vereinten Nationen beanspruchte. 155

157 Das Umweltproblem ist ein Kernproblem internationaler Entwicklung Die entwicklungspolitische Diskussion über die MDGs übersieht häufig einen elementaren Zusammenhang: Die MDGs 1 6 können nicht erreicht werden, wenn das siebente MDG, nämlich der Schutz der Umwelt und die nachhaltige Nutzung der knapper werdenden natürlichen Ressourcen, vernachlässigt wird. Inzwischen wurde auch eine sicherheitspolitische Dimension des globalen Klimawandels erkannt. In einem öffentlich gewordenen Bericht des Pentagon wurden seine Auswirkungen auf die westliche Sicherheit zum Missfallen der Pentagon-Führung sogar als bedrohlicher eingeschätzt als der internationale Terrorismus. Der Bestseller-Autor Jared Diamond (2005) machte in einem voluminösen Buch über den»kollaps«nicht Kriege, sondern den Klimawandel, Umweltschäden und die Zerstörung der natürlichen Ressourcen für den Untergang ganzer Völker verantwortlich. Dieser Prophet der Umwelt-Apokalypse mag biblische Horrorszenarien ausmalen, kann sich aber dabei auf wissenschaftlich fundierte Prognosen stützen. Umwelt- und Entwicklungsforscher haben die Gefährdung der menschlichen Sicherheit (human security) durch Umweltkrisen erkannt. Viele Menschen und besonders Frauen und Kinder sind inzwischen existenziell durch Umweltkrisen mehr betroffen als durch Kriege. Die»Feminisierung der Armut«hat neben Strukturen der Geschlechterungleichheit (vgl. den Beitrag von Wittmann) auch ökologische Ursachen. Die Zahl der Umweltflüchtlinge, die der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu entfliehen versuchen, übersteigt inzwischen die Zahl der Kriegsflüchtlinge. Prognosen des UN-Umweltprogramms (UNEP) sehen in der Umweltflucht den künftig stärksten push- Faktor von internationalen Migrationsströmen. Die United Nations University prognostiziert schon für das Jahr 2010 rund 50 Mio. Umweltflüchtlinge (UNU-EHS 2005). Ob Umwelt-, 156

158 Wirtschafts- oder Kriegsflüchtlinge: Alle werden in den potenziellen Zielländern zunehmend als Sicherheitsproblem perzipiert. Das Umweltproblem ist also kein Randproblem, sondern ein Kernproblem internationaler Entwicklung und der internationalen Politik. Analyse der Problemlage, die dem MDG 7 zugrunde liegt Die Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) von 1992, die bereits Entwicklung mit dem Schutz der Umwelt in einen unauflösbaren Zusammenhang gebracht hatte, rückte den Tatbestand der ökologischen Gefährdung des Planeten und der Zerstörung von natürlichen Lebensgrundlagen ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von internationalen Expertengruppen, die in die von UNCED verabschiedete Agenda 21 eingeflossen waren, wurden durch die Berichte des International Panel on Climate Change (IPCC), die GEO-Berichte des UN-Umweltprogramms (UNEP) und durch das Millennium Ecosystem Assessment aktualisiert und dramatisiert. Diese Erkenntnisse lagen auch dem Jahresgutachten 2004 des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) mit dem richtungweisenden Titel»Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik«zugrunde (WBGU 2005). Im Hinblick auf die Untergewichtung der Umweltpolitik im MDG-Zielkatalog ist der Hinweis wichtig, dass dieses Gutachten der Umweltpolitik eine strategische Schlüsselrolle bei der Armutsbekämpfung zuwies. Seine Handlungsempfehlungen, die wesentlich konkreter als die Zielvorgaben und Indikatoren des MDG 7 sind, beruhten auf einer Analyse des systemischen Zusammenhangs von Armutsdimensionen und Umweltveränderungen, den die MDGs ebenfalls nicht erkennen lassen. 157

159 Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig und können selbst von ökologischen Dinosauriern kaum noch bestritten werden: Die Eingriffe des Menschen in das Ökosystem gefährden bereits heute in vielen Teilen der Erde die natürlichen Lebensgrundlagen, vor allem der Armutsgruppen und hier wiederum der Frauen. Sie sind gegenüber Umweltkrisen (Wassermangel, Bodendegradation) besonders verwundbar und existentiellen Risiken (Ernteverlusten, Hunger, Krankheiten) besonders ausgesetzt; sie leiden besonders unter Naturkatastrophen, deren Häufigkeit und Intensität nach Berichten von internationalen Organisationen und Versicherungsunternehmen zunimmt (Scholz 2006); sie verfügen auch über geringere Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeiten (coping capacities). Deshalb unterscheidet die natur- und sozialwissenschaftliche Vulnerabilitätsforschung die soziale Vulnerabilität von der geophysikalischen Vulnerabilität, die auf die Exposition einer Region oder Bevölkerungsgruppe gegenüber Naturkatastrophen abhebt. Allerdings können auch aus Naturkatastrophen etwa bei Erdbeben oder bei der Tsunami-Katastrophe soziale Katastrophen oder so genannte class-quakes entstehen. Für die geo- oder biophysikalische Vulnerabilität legte das International Panel on Climate Change (IPCC) umfassende Analysen und Prognosen vor. Es untersuchte vor allem Folgen des globalen Klimawandels, die in der Zunahme von Wetterextremen, Veränderungen der Wasserkreisläufe und im Ansteigen des Meeresspiegels liegen und unterschiedliche Auswirkungen auf einzelne Regionen und Länder haben (Dietz 2006). Das UNDP (2004) veröffentlichte unter dem Titel»Disaster Risk«einen umfassenden Vulnerabilitätsbericht, der die besondere Verwundbarkeit von Armutsgruppen und indigenen Volksgruppen, zu denen immerhin 350 Mio. Menschen gezählt werden, durch Umweltkrisen belegte. Der Heidelberger Public Health-Experte Rainer Sauerborn (2006) veranschaulichte die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheitssysteme der Welt (vgl. Abbildung 1). 158

160 Klimawandel Abbildung 1: Wie der Klimawandel die Gesundheit beeinflusst Folgen des Klimawandels Abmilderung (Mitigation) Anpassung Auswirkungen auf Gesundheit Folgen von: Wetterextreme Hitzewellen Mikrobiologische Veränderungen Veränderungen der Hydrologie/ Agrarsysteme Wetterextremen regionale Wetterveränderungen Temperaturanstiege Temperaturanstiegen Luftverschmutzung Wasser- und Nahrungsmittelmangel Ansteigen des Meeresspiegels Sozioökonomische und demographische Krisen Übertragung durch Vektoren (Infektionskrankheiten) Mentale Krankheiten Quelle: Sauerborn

161 Allerdings hatten weder die internationale Entwicklungspolitik noch die internationale Umweltpolitik die Integration und Kohärenz der beiden Politikbereiche, wie sie die Rio-Konferenz gefordert und in ihrer Agenda 21 ausgearbeitet hatte, hinreichend in Strategien und Programme umgesetzt. Die Weltbank lieferte in ihrem Weltentwicklungsbericht 2003 zwar eine überzeugende Vision von nachhaltiger Entwicklung, konnte aber selbst nicht verschweigen, dass diese medienwirksame Rhetorik wenig Einfluss auf ihre operativen Abteilungen hat, die über Programme und Projekte entscheiden. Statt gemeinsamer»globaler Verantwortung«ein Feilschen um Positionsvorteile Die Millennium-Erklärung von 2000 betonte geradezu emphatisch die»globale Verantwortung«staatlicher und privater Akteure für das Überleben der Menschheit in einer gesunden Umwelt. Philosophen und Ethiker beschwören eine planetarische Verantwortungsethik, aber die internationale Politik, auch die internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik, orientieren sich nicht an einem wie auch immer definierbaren Weltgemeinwohl, sondern an je eigenen Interessen der Akteure und Akteursgruppen. Auch das aufgeklärte Eigeninteresse tut sich schwer, dem in vielen UN-Dokumenten angemahnten Imperativ kollektiven Handelns Folge zu leisten. Warum die Imperative der Nachhaltigkeit im Ranking der MDGs eher den Stellenwert einer pflichtschuldigen Marginalie denn eines dem Problem angemessenen Stellenwerts erhielten, liegt auch an der unterschiedlichen Interessenlage von Industrie- und Entwicklungsländern. Letztere halten den Umweltschutz noch immer für einen postmaterialistischen Luxus der reichen Länder und können mit guten Gründen darauf verweisen, dass die OECD-Länder für den Klimawandel und für die Verschwendung knapper Ressourcen hauptverantwortlich 160

162 sind und dass sie deshalb nach dem in der Rio-Erklärung bekräftigten Prinzip der Verantwortung mehr für die Abmilderung der negativen Auswirkungen des Klimawandels auf andere Weltregionen und künftige Generationen tun müssten. Während in Rio, damals unter dem Druck der OECD- Länder, der Umweltschutz im Vordergrund stand, gaben die Entwicklungsländer auf dem Johannesburger Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung (WSSD) den sozialpolitischen Zielen und Forderungen der ersten sechs MDGs Priorität. Damit konnten sich auch die Schwellenländer arrangieren, die zwar nicht zur Zielgruppe der MDGs gehören, aber ihren stark wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauch hinter sozialpolitischen Forderungen verstecken konnten. Den vielen anderen Entwicklungsländern gelang es mit ihrem numerischen Stimmenübergewicht bei UN-Konferenzen, das im MDG 7 postulierte Prinzip der Nachhaltigkeit durch Forderungen nach einer besseren Wasserversorgung und Abwasserentsorgung aufzuweichen. Sie gewannen auf internationalen Umwelt- und Entwicklungskonferenzen mehr Einfluss als auf Handelskonferenzen, weil die OECD-Länder beim Versuch, internationale Regelwerke zu schaffen, auf ihre Kooperation angewiesen sind (Biermann 1998). Bei der Bewertung des MDG-Zielkatalogs müssen also diese unterschiedlichen Interessenlagen und Verhandlungspositionen im diplomatischen Poker um Problemlösungen berücksichtigt werden. Die Millennium-Erklärung als Referenzdokument Die Millennium-Erklärung zählt den»schutz der gemeinsamen Umwelt«zu den vier prioritären Handlungsfeldern der internationalen Entwicklungspolitik und bekennt sich ausdrücklich zu den von der Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) formulierten Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development). Sie verengt aber in den nachfol- 161

163 genden Absichtserklärungen und Handlungsempfehlungen den diffusen Begriff der Nachhaltigkeit auf den Umweltschutz, der in der Agenda 21 nur einen, obgleich prioritären Eckpunkt in der Dreifaltigkeit von wirtschaftlicher Dynamik, sozialer Gerechtigkeit sowie dem Schutz der Umwelt und schonender Ressourcennutzung bildet. Unzählige Publikatio nen, Konferenzberichte, Erklärungen von Regierungen und nationalen Nachhaltigkeitsräten und zuletzt die Abschlussdokumente des Johannesburger Weltgipfels über nachhaltige Entwicklung (WSSD) von 2002 haben diese Mehrdimensionalität von sustainable development hervorgehoben. Dagegen beschränkt die Millennium-Erklärung die»ersten Schritte«einer»neuen Ethik«des Naturschutzes (conservation) und der Fürsorge (stewardship) auf die folgenden umweltpolitischen Schwerpunkte: die Inkraftsetzung des Kioto-Protokolls zur Reduzierung der für den globalen Klimawandel hauptverantwortlichen CO 2 -Emissionen eine Forderung, die sich allerdings die USA als größter CO 2 -Emittend nicht zu Eigen machten und die bei Emissionen von klimaschädigenden Gasen aufholenden»asiatischen Elefanten«China und Indien noch nicht verpflichtete; die nachhaltige Nutzung von Wäldern; die Umsetzung der Konventionen über die Biodiversität und die Bekämpfung der Desertifikation (»Wüstenkonvention«) in Ländern, die besonders unter Dürren und der Degradation von agrikulturell nutzbaren Böden leiden; die Beendigung der Wasserverschwendung durch ein besseres Wassermanagement auf regionaler, nationaler und lokaler Ebene sowie die Förderung eines für alle erschwinglichen und gerecht verteilten Wasserangebots; die Verstärkung der internationalen Kooperation zur Verringerung natürlicher und vom Menschen gemachter Katastrophen und zur Abmilderung ihrer Auswirkungen auf die Menschen; 162

164 Sicherung des freien Zugangs zu Informationen über die menschliche Genom-Sequenz. Wichtiger als diese Einzelforderungen ist die hohe Gewichtung des»schutzes der gemeinsamen Umwelt«im Quartett der vier prioritären entwicklungspolitischen Handlungsfelder. Deshalb ist es wichtig, den MDG-Zielkatalog im Kontext der Erklärung zu interpretieren, die mehr Substanz als das quantifizierte MDG 7 enthält. Sie lässt auch erahnen, warum im Jahr 2004 der Friedensnobelpreis an die kenianische Menschenrechtsund Umweltaktivistin Wangari Maathai vergeben wurde: weil Frauen bei der Ernährungssicherung, bei der Versorgung mit Trinkwasser und Brennholz im Besonderen von lokalen Umweltkrisen betroffen sind und sich deshalb umso stärker für den Naturschutz engagieren. Der diffuse Inhalt des MDG 7: Verflüchtigung des Leitbildes der globalen nachhaltigen Entwicklung Die in der Erklärung erhobenen Forderungen tauchen nur teilweise im MDG 7 wieder auf und werden durch einige Zielvorgaben ergänzt, die nicht gerade zur Präzisierung des Kernziels beitragen, das lautet: Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit (environmental sustainability). Die Zielvorgabe 9 fordert ganz allgemein die Integration von Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung in Länderprogramme, ohne diese Prinzipien zu präzisieren, sowie ein Zurückdrehen des Verlusts von natürlichen Ressourcen. Die Zielvorgaben zehn und elf fordern die Halbierung der Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu elementaren sanitären Einrichtungen haben sowie eine Verbesserung der Lebensbedingungen von wenigstens 100 Mio. Slumbewohnern. Als das eigentlich Neue der MDGs in der Geschichte der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik wurde häufig hervorgehoben, dass die Verwirklichung der Ziele an konkreten Ziel- und 163

165 Zeitvorgaben orientiert und mit Hilfe von Indikatoren überprüfbar gemacht wurde. Deshalb ist es aufschlussreich, welche Zielvorgaben und Indikatoren zur Operationalisierung und Konkretisierung des Oberziels ausgewählt wurden. Bei der Auswahl von Indikatoren geht es auch darum, für welche Messversuche einigermaßen zuverlässige Daten vorliegen. Für das MDG 7 sammelt das UN Department of Economic and Social Affairs alle verfügbaren Daten. Die UN Statistics Division baute eine umfassende Millennium Indicators Database auf. Als messbare Indikatoren für den»schutz der gemeinsamen Umwelt«dienen der Anteil von Waldflächen und von Schutzflächen zur Bewahrung der Biodiversität und genetischen Ressourcen an der Gesamtfläche eines Landes sowie die Pro-Kopf- Emissionen von Kohlendioxid. Dies sind aussagefähige Indikatoren, obgleich das Messbare nicht immer das Wichtigste erfasst. Weil die Produktion und der Verbrauch von Energie die Hauptquelle von Treibhausgasen und damit die Hauptursache der Erderwärmung mit ihren multiplen Auswirkungen (Häufung von Wetterextremen, Ansteigen des Meeresspiegels, Überflutung von tief liegenden Inseln und Siedlungsgebieten) bildet, wurde das Bruttoinlandsprodukt pro Einheit des Energieverbrauchs als Maßstab für die Energieeffizienz hinzugefügt. Hinter solchen statistischen Operationen steht der Sachverstand von Statistikabteilungen der internationalen Organisationen, hier des oben erwähnten UN Department of Economic and Social Affairs. Diese UN-Behörde fügte einen wichtigen Indikator hinzu, der unter den MDG-Indikatoren nicht auftaucht: nämlich die Belastungen durch die häusliche Luftverschmutzung, die durch das Verbrennen von Biomasse (Holz, Dung etc.) zum Kochen und Heizen entstehen. Nach Schätzungen der WHO fallen dieser Vergiftung von Innenräumen jährlich Kinder und Erwachsene, vorwiegend Frauen, zum Opfer. Eigentlich hätte dieser Tatbestand von den MDGs erfasst werden müssen, wird dort aber nicht aufgegriffen. Es gibt also 164

166 nicht nur eine Energieverschwendung, die für eine nicht-nachhaltige Produktions- und Lebensweise steht, sondern auch eine Energiearmut bzw. einen Mangel an sauberer Energie, der die Entwicklung behindert, das tägliche Leben erschwert und die Gesundheit gefährden kann. Es kommt nicht zusammen, was zusammen gehört Man kann darüber streiten, ob die Indikatoren zum MDG 7 hinreichend Fort- oder Rückschritte beim Umweltschutz messen können. Eine Vermehrung und Verfeinerung von Indikatoren hätte kaum einen größeren Erkenntnisgewinn gebracht. Unverständlich ist dagegen, warum die zehnte Zielvorgabe, nämlich die Halbierung des Anteils von Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser, unter dem MDG 7 und nicht unter dem zentralen MDG 1 auftaucht, das den Dreh- und Angelpunkt des MDG-Zielkatalogs bildet. Hier fordert die zweite Zielvorgabe die Halbierung des Anteils von Menschen, die unter Hunger leiden. Hunger und der mangelnde Zugang zu Trinkwasser, der eine Vielzahl von Syndromen verursacht, welche die MDGs 4 bis 6 aufzählen, sind elementare und zusammenhängende Manifestationen von Armut. Der Zugang zu Trinkwasser und zu elementaren sanitären Anlagen ist eine unverzichtbare Komponente der Gesundheitsfürsorge und des Kampfes gegen Armut. Wasser ist die Grundlage allen Lebens und deshalb gilt der Zugang zu ihm als Menschenrecht. Das nachhaltige Wassermanagement kann zwar dem im MDG 7 geforderten Ressourcenschutz zugeordnet werden, aber in dessen Systematik, die den Umweltschutz im MDG-Zielkatalog verankern soll, ist die zehnte Zielvorgabe ein Fremdkörper. 165

167 Es kommt zusammen, was nicht zusammen gehört Noch kritikwürdiger ist die elfte Zielvorgabe, das wohlgemerkt unter dem Oberziel der environmental sustainability die Verbesserung der Lebensbedingungen von 100 Mio. Slumbewohnern bis zum Jahr 2020 fordert. Schon jetzt hausen nach Schätzungen von UN Habitat über 900 Mio. Menschen in Slums und bis zum Stichjahr 2020 wird diese Zahl im Gefolge der rasanten Urbanisierung in vielen Entwicklungsländern auf 1,4 Mrd. anwachsen. Die Indikatoren weisen darauf hin, dass die Slumbewohner unter völlig unzureichenden sanitären Anlagen, deren Fehlen Slums in stinkende Kloaken verwandeln, und unter ungesicherten Besitz- und Nutzungsrechten leiden. Aber dies gilt nicht nur für die Minderheit von 100 Mio. Es ist nicht zu erkennen, warum dieses sozialpolitische Ziel im Kontext des MDG 7 auftaucht, auch wenn die häufig im Dreck und Gestank versinkenden Slums ein gravierendes Umweltproblem darstellen, vor allem dann, wenn die Umwelt im umfassenden Sinne als livelihood verstanden wird. Das MDG 7 verengt einerseits den Begriff der Nachhaltigkeit auf den Umweltschutz und überfrachtet es andererseits mit sozialpolitischen Forderungen, die nicht zu seinen konstitutiven Begriffsinhalten zählen. Die Zielvorgaben zehn und elf sowie die dazu gehörenden Indikatoren vermitteln den Eindruck, dass Nachhaltigkeit für die Konstrukteure des MDG- Zielkatalogs als eine Allerweltsformel ohne spezifische Konturen herhalten musste. Eine Nachhaltigkeitspolitik ist auch im engeren Sinne der Umweltpolitik für die nachhaltige Bekämpfung der Armut so wichtig, dass sie nicht zum konturlosen Konglomerat von sozialpolitischen Forderungen, für die andere Ober- und Teilziele zur Verfügung standen, hätte abgewertet werden dürfen. Auf diese Weise verflüchtigte sich im MDG-Zielkatalog das Leitbild der globalen nachhaltigen Entwicklung. 166

168 Vorschläge zur Verkoppelung von Umwelt- und Entwicklungspolitik Es war eine Kernthese des WBGU-Gutachtens»Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik«, dass die MDGs 1 6 nicht erreicht werden können, wenn der Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen vernachlässigt wird. Deshalb gehören Umwelt- und Entwicklungspolitik untrennbar zusammen, müssen zusammen gedacht und in kohärente Strategien umgesetzt werden. Nur eine integrative und kohärente Verknüpfung der beiden institutionell noch immer getrennten Politikbereiche kann dem in Rio entworfenen Leitbild einer nachhaltigen, das heißt wirtschaftlich zukunftsfähigen, aber zugleich umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung gerecht werden. Das vom WBGU konstruierte»rio-rad«(vgl. Abb. 2) verdeutlicht die teilweise schon funktionierenden, aber der Verstärkung bedürftigen Kopplungen zwischen globaler Umwelt- und Entwicklungspolitik und die Wechselwirkungen zwischen den beiden Politikbereichen. Weil der MDG-Zielkatalog das Resultat diplomatischer Verhandlungen war, die auf einen größtmöglichen Konsens abzielten und deshalb strittige Punkte ausklammerten, drückt er sich auch darum, institutionelle Konsequenzen aus dem Imperativ der Nachhaltigkeit zu ziehen. Dazu gehört die von vielen europäischen Regierungen geforderte Aufwertung des personell unterbesetzten und mit einem schwachen Handlungsmandat ausgestatteten UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer dem Problemdruck eher angemessen UN-Sonderorganisation. Weil die Umwelt- und Entwicklungspolitik auf allen Politikebenen noch von verschiedenen Organisationen und nicht nur in Deutschland auch von verschiedenen und häufig miteinander konkurrierenden Ressorts behandelt werden, muss über ihre institutionelle Verzahnung nachgedacht werden, die über eine statuarische Aufwertung des UNEP hinausgeht. Umwelt- und Entwicklungsfragen sind Zukunftsfragen der 167

169 Abbildung 2: Das Rio-Rad des WBGU Förderung nachhaltigen Wirtschaftswachstums Reduktion von Vulnerabilität Abbau großer Disparitäten Bekämpfung absoluter Armut Nachhaltige Investitionen, z.b. Energie GLOBALE ENTWICKLUNGS- POLITIK Good governance Schuldenerlass Steigerung der Funktionsfähigkeit von Märkten Katalysator: Entwicklungszusammenarbeit Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster Entschädigungszahlungen Katalysator: Transfer emissionsarmer Technologien Krisen- und Konfliktprävention GLOBALE UMWELT- POLITIK Finanzierungs- und Lenkungsinstrumente Schutz natürlicher Kohlenstoffspeicher und -senken: Waldprotokoll Bewahrung ökologischer Integrität und Vielfalt Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen: Starkes Post-Kioto- Regime Quelle: WBGU

170 Menschheit, deren Bewältigung für die Bewahrung der global common goods oder für die Vermeidung von global common bads unverzichtbar ist. Sie sollten deshalb im UN-System ebenso hoch verankert werden wie Sicherheitsfragen. Der UN-Sicherheitsrat kümmert sich jedoch nicht um Probleme, die für die Mehrheit der Menschheit von existenzieller Bedeutung sind, und der eigentlich zuständige UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) ist ein handlungsunfähiges Diskussionsforum, das viele Resolu tionen produziert, aber keine relevanten Entscheidungen treffen kann. Für die Bearbeitung von Entwicklungsfragen wurde ein Wildwuchs von UN-Organisationen geschaffen, die mit mehr oder weniger Effizienz spezielle Problemfelder bearbeiten, dabei aber schwerwiegende Koordinations- und Kohärenzprobleme schaffen. Der WBGU (2005) entwarf deshalb die Vision eines Global Council for Development and Environment, der den moribunden ECOSOC ablösen und im UN-System institutionell zusammenführen sollte, was die Rio-Konferenz von 1992 unter dem Konferenztitel»Environment and Development«bereits programmatisch angedacht hatte. Diese Vision stößt zwar bei Industrie- und Entwicklungsländern noch auf viele Widerstände, zumal es im UN-System noch viele andere Baustellen gibt. Visionen können jedoch langfristigen Überlegungen zu Problemlösungen eine Orientierung geben. Und die ökologische Gefährdung des Planeten ist ebenso ein Menschheitsproblem ersten Ranges wie das Armuts- und Sicherheitsproblem. Sie bilden zusammen die eingangs erwähnte Triade der Megaprojekte. Fazit: Wider den Ungeist der ökologischen Bedenkenlosigkeit Auf dem im September 2005 im New Yorker UN-Hauptquartier veranstalteten Millennium+5-Gipfel konnte sich der US-Präsident George W. Bush nur ein sehr halbherziges Bekenntnis zu 169

171 den MDGs abringen. Sein UN-Botschafter versuchte sogar, den respect for nature aus dem Resolutionsentwurf zum Abschluss des Gipfels zu streichen. Zwar sperrt sich die mit Ölinteressen verbandelte US-Regierung inzwischen nicht mehr gegen die Einsicht, dass der globale Klimawandel von menschlichen Produktions- und Lebensweisen verursacht wird und eine globale Bedrohung für alle Gesellschaften darstellt, aber der Imperativ der Nachhaltigkeit wird nur in Sonntagsreden rezitiert. Auch der Rio+10 genannte Johannesburger Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung von 2002 reanimierte nicht den»geist von Rio«, sondern konzentrierte sich unter dem Druck der Entwicklungsländer auf sozialpolitische Forderungen, vor allem auf die Versorgung mit Trinkwasser und die Entsorgung von Abwässern. Allenfalls das starke Plädoyer für die Förderung erneuerbarer Energien zur Verringerung der Energie armut und zugleich der weltweiten CO 2 -Emissionen hatte einen starken umweltpolitischen Bezug. Das MDG 7 trug nicht dazu bei, der Umweltpolitik einen höheren Stellenwert in der internationalen Entwicklungspolitik zu verschaffen und ihren unverzichtbaren Beitrag zur Armutsbekämpfung zu verdeutlichen. Weil eine zielgerichtete Politik der Nachhaltigkeit auf allen politischen Handlungsebenen die Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der Armut ist, ist die Untergewichtung der ökologischen Nachhaltigkeit im Prioritätenkatalog der MDGs inkonsequent und fällt hinter den Erkenntnisstand der Rio-Konferenz zurück, die vor nun 14 Jahren stattfand. Die relativ positive Bilanz zur Verwirklichung der sozialpolitischen MDGs (vgl. den Beitrag von Fues) gilt nicht für das MDG 7, obwohl das UN Department of Economic and Social Affairs auch hier bei einzelnen Indikatoren unter anderem bei der Erweiterung von Schutzflächen zur Bewahrung der biologischen Diversität Fortschritte entdeckte. Es ist deshalb dringend geboten, den von den MDGs verdrängten»geist von Rio«zu reanimieren, um dem Ungeist der ökologischen Bedenkenlosigkeit, wie ihn China in seiner 170

172 Wachstumsmanie pflegt, zu begegnen. China erzielt zwar große Erfolge bei der Armutsbekämpfung, die die weltweite Armutsquote deutlich senkte, ist aber dabei, durch die selbstzerstörerische ökologische Rücksichtslosigkeit die eigene Zukunftsfähigkeit zu verspielen. Die Kosten der Umweltverschmutzung verzehren bereits ein rundes Zehntel des chinesischen Bruttosozialprodukts (Scholz 2006). Weil die Schwellenländer bzw.»ankerländer«(nach der Sprachregelung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik), allen voran China und Indien, beim Ressourcenverbrauch und bei CO 2 -Emissionen zu den OECD-Ländern aufschließen und die meisten von ihnen bald überholen werden, müssen sie stärker als bisher in die globale Umweltpolitik einbezogen werden. Der Beitrag Chinas und Indiens zu den weltweiten CO 2 -Emissionen könnte im Jahr 2030 schon bei etwa 50 % liegen, wenn nicht die Abkoppelung des Wirtschaftswachstums von CO 2 -Emissionen gelingen sollte. Die ökologische Wende, die eine Energiewende voraussetzt (WBGU 2003), erfordert allerdings nicht nur viel politische Weitsicht und Energie, sondern wird auch viel Geld kosten. Nach Schätzungen des WBGU müssten allein die OECD- Länder jährlich rund 1 % ihres Bruttosozialprodukts investieren, um die voranschreitende Zerstörung des globalen Ökosystems durch eine globale Umwelt- und Entwicklungspolitik aufzuhalten. Was sie bisher in diese Zukunftssicherung zu investieren bereit waren, wurde im Sachs-Report sehr kritisch kommentiert. Weil auch auf die Entwicklungs- und Schwellenländer große umweltpolitische Herausforderungen zukommen, ist es offensichtlich, dass neue Finanzierungsinstrumente wie die Tobin-Steuer oder eine globale CO 2 -Steuer geschaffen werden müssen. Ein weiteres Abwarten und Hinauszögern würde den ökologischen point of no return vorziehen, der auch die Armutsbekämpfung in die Sackgasse führen würde. 171

173 Literatur Biermann, Frank, 1998: Weltumweltpolitik zwischen Nord und Süd. Baden-Baden. Diamond, Jared, 2005: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt/M. Dietz, Kristina, 2006: Vulnerabilität und Anpassung gegenüber Klimawandel aus sozial-ökologischer Perspektive (Diskussionspapier 01/06 des Projekts»Global Governance und Klimawandel«). Berlin. IPCC, 2001: Climate Change 2001: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Cambridge. Sauerborn, Rainer, 2006: Klimawandel und globale Gesundheitsrisiken, in: Tobias Debiel, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt, hg. v. Stiftung Entwicklung und Frieden. Frankfurt/M., i. E. Scholz, Imme, 2006: Globale Umweltkrisen und»asiatische Elefanten«, in: Tobias Debiel/Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hg.), Globale Trends Frieden Entwicklung Umwelt, hg. v. Stiftung Entwicklung und Frieden. Frankfurt/M., i. E. UNDP, 2004: Reducing Disaster Risk. A Challenge for Development. New York. UNU-EHS, 2005: As Ranks of»environmental Refugees«Swell Worldwide, Calls Grow for Better Definition, Recognition, Support, Presseerklärung, 12. Oktober ( 130?menu=44, ). WBGU, 2003: Welt im Wandel Energiewende zur Nachhaltigkeit. Berlin. WBGU, 2005: Welt im Wandel Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik. Berlin. Weltbank, 2000: World Development Report 2000/2001: Attacking Poverty. Washington, D.C. Weltbank, 2003: World Development Report 2003: Sustainable Development in a Dynamic World. Washington, D.C. 172

174 VERONIKA WITTMANN Gender und die Millennium-Entwicklungsziele Empowerment ohne Veränderung der Machtstrukturen? Die Verabschiedung der Millennium-Erklärung im Jahr 2000 durch die Staats- und Regierungschefs aller UN-Mitgliedstaaten sowie die von ihr abgeleiteten Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) bedeuteten eine Zäsur in der entwicklungspolitischen Debatte und Praxis. Ob sie auch im Hinblick auf Gender-Gerechtigkeit eine solche darstellen, wird jedoch von vielen bezweifelt. Die feministische Kritik an den MDGs Unter dem Gender-Blickwinkel sticht insbesondere das MDG 3 hervor, das die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern thema tisiert, wobei der Fokus auf die Bildung, den formellen Arbeitsmarkt und die Gesetzgebung gerichtet ist. Feministen und Feministinnen erkennen es zwar als Erfolg der internationalen Frauenbewegung an, dass die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und das Empowerment von Frauen als eigenes Ziel und an prominenter Stelle innerhalb der MDGs positioniert wurde. Sowohl von zahlreichen zu gender-spezifischen Themen arbeitenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als auch von Seiten bekannter Frauenrechtler und Frauenrechtlerinnen wie etwa Peggy Antrobus vom internationalen Frauennetzwerk Development Alternatives for Women of a New Era (DAWN) und von feministischen Journalisten und 173

175 Journalistinnen gab es jedoch auch heftige Kritik an den MDGs. Sie bezeichnen sie als»( ) dürres Gerüst zielgerichteter Handlungsanweisungen an die Regierungen«, eine»schmalspuragenda, die Frauen auf die stereotypen Rollen als (Schul-)Mädchen im Zusammenhang mit Bildung, Schwangere und Mütter im Zusammenhang mit Kinder- und Müttersterblichkeit reduziert«(wichterich 2005, 23); die MDGs seien ein»täuschungsmanöver«(neuhold 2005, 6) oder sogar ein»schwindel«(antrobus 2004, 14). Zahlreiche kritische Bewertungen weisen darauf hin, dass politisch kontrovers diskutierte Themen wie die reproduktiven und sexuellen Rechte von Frauen sich nicht im Zielkatalog finden und das Massenproblem psychischer und physischer Gewalt gegen Frauen gänzlich ausgeblendet wird. Der Gender-Begriff Die Gender-Forschung unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht»Sex«und dem soziokulturellen Geschlecht»Gender«. Die analytische Unterscheidung dient dazu, sozio-historisch entstandene weibliche und männliche Geschlechtsidentitäten sichtbar zu machen, wobei im alltäglichen doing gender die Geschlechterdifferenz dadurch erzeugt wird, dass die Menschen sich kontinuierlich zu Frauen und Männern machen bzw. machen lassen. Gender drückt auch aus, dass die Zuweisung von Menschen zum weiblichen oder männlichen Geschlecht, welche zugleich eine hierarchische ist, als auch die inhaltliche Festlegung von Weiblichkeit und Männlichkeit durch gesellschaftliche Machtmechanismen entstehen. Gender zielt somit auf die soziale Konstruktion von Rollen und Attributen ab, die als geschlechtsspezifisch normiert werden. Sowohl Geschlecht als auch ethnische Zugehörigkeit waren und sind in vielen Gesellschaften Indikatoren von sozialer Ungleichheit. Es existieren daher historisch und ethnographisch unterschiedliche Konfigurationen von Geschlechterverhältnissen. 174

176 Frauen werden bei den MDGs primär als Zielgruppe für Investitionen in die sozio-ökonomische Infrastruktur betrachtet. Problematisch ist hierbei, dass ihre Rolle als Hauptakteurinnen von Entwicklung dies ist spätestens seit der UN-Weltfrauendekade ( ), in der drei Weltfrauenkonferenzen stattfanden, bekannt nicht zum Tragen kommt und das im Ziel 3 angeführte Empowerment zu einem unwesentlichen Nebenelement mutiert. Eine Vielzahl an Entwicklungsorganisationen richtete in den vergangenen Jahrzehnten eigene Abteilungen zur Förderung von Frauen ein. Frauen wurden durch diese Vorgehensweise zu einer speziellen Zielgruppe im Rahmen der Entwicklungspolitik; finanzielle Unterstützung erhielten oft Entwicklungsorganisationen, die mit ihren Projekten diese Zielgruppe adressierten. Empowerment beschäftigt sich nicht nur mit bestehenden Machtstrukturen und -verhältnissen zwischen den Geschlechtern, sondern auch mit jenen, die aufgrund von Ethnizität und Schichtzugehörigkeit bestehen. In einer Publikation von DAWN wird Empowerment als die Strategie für eine»strukturelle Transformation der ökonomischen, politischen und kulturellen Herrschaftsformen auf internationaler, nationaler, lokaler und der Ebene des Haushalts«bezeichnet (Neuhold 1994, 18f.). Eine nachhaltige Verbesserung der Situation von Frauen ist nur dann zu erreichen, wenn damit zugleich eine Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse auf sämtlichen Ebenen einhergeht. Gerade diese Veränderbarkeit von Hierarchien und Machtverhältnissen ist für die Analyse von Entwicklungsgesellschaften wichtig, wird aber vom MDG-Zielkatalog ausgeblendet. Bei den MDGs werden Frauen im Kontrast zu den Beschlüssen der vierten UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing nicht primär als Rechtssubjekte angesprochen, sondern als Unterstützungsbedürftige und Zielgruppe von Investitionen. Die für die MDGs zentrale Grundbedürfnisstrategie, steht im Widerspruch zur Wahrnehmung von Frauen als 175

177 jener Hälfte der Menschheit, die einen Anspruch darauf hat, dass geschlechtsspezifische Diskriminierungen ob auf politischer, ökonomischer, rechtlicher oder sozialer Ebene beendet werden. Im Unterschied zu der von der Grundbedürfnisstrategie den Frauen zugewiesenen Rolle begründet der Gender and Development (GAD)-Ansatz eine Sichtweise, die Frauen nicht als passive Rezipientinnen von Entwicklung, sondern deren aktive Agentinnen sieht. Eine feministische Kritik muss darüber hinaus die MDGs auch als»alten Wein in neuen Schläuchen«qualifizieren, denn die meisten der Ziele finden sich bereits in entwicklungspolitischen Erklärungen der 1970er Jahre, als die»dekade der Grundbedürfnisstrategie«mit dem Anspruch eingeleitet wurde, extreme Armut und Hunger zu beseitigen. Inhaltlich sind die MDGs also keine neuen Forderungen. Auch die Erkenntnis, dass das weibliche Geschlecht»Hauptbetroffene«von Armut ist, stellt keine Neuigkeit dar. Nicht die Ziele waren das Originelle an den MDGs, sondern dass sich erstmals alle Mitgliedstaaten der UN zur»globalen Verantwortung«bekannt und sich dazu verpflichtet haben, die Zielsetzungen zu verwirklichen.»die Millenniums-Entwicklungsziele sind die am breitesten unterstützten, umfassendsten und konkretesten Vorgaben zur Verringerung der Armut, die die Welt je aufgestellt hat«, heißt es in dem im Januar 2005 präsentierten Bericht des UN-Millenniumprojektes Investing in Development unter der Leitung des US-Ökonomen Jeffrey Sachs (2005, 2). In der internationalen Entwicklungspolitik gab es bisher kein vergleichbares Momentum, Absichtserklärungen auch Taten folgen zu lassen. Die Einigkeit unter den verschiedenen Akteuren von den UN-Organisationen, über den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, die Triade Europa, Nordamerika und Japan, die Länder des Südens, die staatlichen Entwicklungsorganisationen bis hin zu den NGOs war bei keinem anderen entwicklungspolitischen Zielkatalog so groß wie bei den MDGs. Viele der Ziele und 176

178 Forderungen, welche die MDGs zusammenfassen, wurden bereits in Beschlüssen von Weltkonferenzen der 1990er Jahre wie auch in zahlreichen Strategiepapieren formuliert. In Bezug auf die Gender-Gerechtigkeit fallen sie jedoch einige Schritte zurück. Hier war das Aktionsprogramm der Weltfrauenkonferenz von Beijing wesentlich konkreter und weit reichender (Fues/Hamm 2001). Gender in der Millennium-Erklärung: ein rudimentärer Bereich Betrachtet man die Millennium-Erklärung im Hinblick auf ihre gender-spezifischen Komponenten und geschlechterblinden Flecken, ergibt sich folgendes Bild: Sie beginnt mit der Feststellung, dass die zentrale Herausforderung der Gegenwart darin liege, die Globalisierung zu einer positiven Kraft für alle Menschen zu machen. Diese eröffne zwar große Chancen, ihre Vorteile wie auch ihre Kosten seien jedoch sehr ungleich verteilt. Einleitend wird festgehalten, dass die internationalen Beziehungen von den Werten und Grundsätzen der»freiheit«,»gleichheit«,»solidarität«,»toleranz«,»achtung vor der Natur«und einer»gemeinsam getragenen Verantwortung«geprägt sein sollten. Frauen werden explizit in den Punkten»Freiheit«und»Gleichheit«erwähnt. Der Grundsatz der»gleichheit«beinhaltet die Forderung nach Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie nach Chancengleichheit im Entwicklungsprozess. Bei den anderen vier Grundwerten werden frauenspezifische Themen und Gender-Gerechtigkeit nicht angesprochen. Frauen finden auch keine eigene Erwähnung im zweiten Teil der Erklärung zu»frieden, Sicherheit und Abrüstung«. Die Feststellung, dass Bürgerkriege und Kriege zwischen Staaten im vergangenen Jahrzehnt über fünf Millionen Menschenleben gefordert haben, übergeht die Tatsa- 177

179 che, dass Frauen weltweit am stärksten von kriegerischen Auseinandersetzungen und Migration betroffen sind. Der dritte Abschnitt»Entwicklung und Armutsbeseitigung«behandelt viele der Bereiche, die in den MDGs aufgegriffen wurden: In der Auflistung der Themen finden sich gender-spezifische Punkte bei der Grundbildung für alle Mädchen und Jungen, bei der Senkung der Müttersterblichkeit um drei Viertel sowie bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Bei den Aspekten Armut, Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser und lebenswichtigen Medikamenten, Verbesserung der Lebensbedingungen von Slumbewohnern und Slumbewohnerinnen, Aufbau von Partnerschaften mit dem Privatsektor und den Organisationen der Zivilgesellschaft sowie der Nutzung der neuen Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, nimmt die Millennium-Erklärung keine geschlechtsspezifischen Unterscheidungen vor. Keine explizite Erwähnung finden Frauen auch im vierten Abschnitt zum»schutz unserer gemeinsamen Umwelt«, in dem es hauptsächlich um die Sicherheit der nachfolgenden Generationen vor der Gefahr einer irreversibel verschmutzten Natur geht. Einen gender-sensitiven Teil enthält jedoch Teil fünf der Erklärung zu»menschenrechten, Demokratie und Good Governance«, in dem die Umsetzung des Abkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) wie auch die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gefordert wird (VN 2000, Abs. 25). Dieser Aspekt wird in den MDGs nicht angesprochen. Auch Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wird ausgeklammert. Während die Millennium-Erklärung noch Maßnahmen zum Schutz von Migranten und Migrantinnen, gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sowie zur Förderung der Toleranz in allen Gesellschaften forderte (VN 2000, Abs. 25), fehlen diese in den MDGs vollständig (Nazombe/Barton 2004, 40). Der im sechsten Punkt angemahnte»schutz der Schwächeren«wird zwar auf Zivilper- 178

180 sonen in komplexen Notsituationen bezogen, Frauen bleiben aber als besonders verwundbare Gruppe unerwähnt. Die Entmystifizierung der MDGs durch den Gender-Blick Auf den ersten Blick sind die MDGs nicht mehr als quantifizierte internationale Vorgaben, die an einen konkreten Zeitrahmen gebunden sind, um die extreme Armut in ihren verschiedenen Dimensionen (Hunger, Einkommensarmut, Krankheit etc.) zu reduzieren und die Gleichstellung der Geschlechter, die Bildung, die ökologische Nachhaltigkeit und die globale Zusammenarbeit zu fördern. Betrachtet man sie aus einer gender-sensitiven Perspektive, so ergibt sich jedoch ein anderes Bild. In den drei wichtigen MDGs 4, 5 und 6 kommen Frauen lediglich als Mütter bzw. als von Krankheit Betroffene vor. Für das MDG 2 sollen geschlechterdifferenzierte Datenerhebungen vorgenommen werden. Die MDGs 1, 7 und 8 enthalten keinerlei Hinweise auf Gender-Themen und Geschlechterverhältnisse. Die Thematik von Gender und Empowerment von Frauen wird zwar im Ziel 3»Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen«angesprochen, hier jedoch auf die Bereiche Bildung, formelle Arbeit und Politik verengt. Aus feministischer Sicht kommt hinzu, dass die mehrheitlich quantitativen acht Entwicklungsziele, 18 Zielvorgaben und 48 Indikatoren nichts über die Qualität von Entwicklung auszusagen vermögen, weil sie lediglich nach deren Mess- und Überprüfbarkeit fragen. Ein einfaches Beispiel zeigt, dass in gender-spezifischer Hinsicht eine quantitative Verbesserung nicht zwangsläufig zu einer qualitativen beiträgt: Die Einschulungsrate von Mädchen sagt etwas über ihre Möglichkeiten aus, eine Schule besuchen und abzuschließen. Aber geschlechtergerechte Unterrichtsmethoden und -inhalte sind ebenso 179

181 wichtig. Selbst wenn ein Mädchen seine Grundschuljahre absolviert hat und damit MDG 2 erreicht wird kann sie in dieser Zeit geschlechterstereotypen Darstellungen bei den Lehrinhalten ausgesetzt gewesen sein. Da quantitative Zielvorgaben allein nicht ausreichen, um Geschlechterungleichheiten zu reduzieren, fordern Feministen und Feministinnen die Hinzufügung von qualitativen Messmethoden bei der Überprüfung der MDGs (UNDP 2003, 24f.). Die»Feminisierung der Armut«hat viele Ursachen und Dimensionen, die weder im Ziel 1 erwähnt, noch in den anderen sieben MDGs ausreichend erfasst werden. Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass die Gender-Thematik kein Querschnittsthema darstellt. Mit Ausnahme von Ziel 3, das sich explizit auf Frauen und deren Empowerment bezieht, kommen Frauen nicht als besonders benachteiligte Gruppe vor. Ein derartig geschlechterblindes Vorgehen geht nicht nur an der Realität vorbei, sondern zeugt auch von einem geringen Problembewusstsein. Eine wichtige Innovation enthalten hingegen die Strategiepapiere zur Armutsminderung (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSP), die ein Instrument zur Umsetzung der MDGs sind. Ihr Ziel ist unter anderem die gesellschaftliche Partizipation bei der Verwendung der bei Schuldenerlassen frei werdenden Mittel. Partizipation ist ein Wert an sich; sie ist dann am wirkungsvollsten, wenn sich auch Frauen als hauptsächlich von Armut betroffene Gruppen beteiligen können. So stellte der UN-Generalsekretär Kofi Annan (2005, 15) fest:»ermächtigte Frauen können zu den wirksamsten Antriebskräften der Entwicklung gehören.«für Christa Wichterich (2005, 21) sind die MDGs jedoch einem anderen Ansatz verpflichtet:»die Dynamik, die die MDGs in Gang setzen, ist ( ) Top- Down und entspricht nicht einem Empowerment der Machtlosen. Insofern stellen die MDGs einen Gegenentwurf zu den entwicklungspolitischen Ansätzen von Partizipation und Selbsthilfe dar.«180

182 Das den MDGs zugrunde liegenden Verständnis von Entwicklung beruht auf dem»recht auf Entwicklung«und betont zugleich wirtschaftspolitische Werte wie Freihandel und Marktöffnung. Diese haben jedoch selten zur Verringerung von Geschlechterungleichheiten beigetragen.»armutsbekämpfung steht ganz im Zeichen neoliberaler Globalisierungspolitik, der unterstellte Entwicklungsbegriff ist das bisherige lineare, nach westlichen Wertmaßstäben ausgerichtete Modell.«(Neuhold 2005, 9). Der Verdacht, dass die MDGs lediglich Symptome der Armut kurieren, wird durch das Faktum erhärtet, dass sie soziale Ungleichheit und damit die strukturellen Ursachen von Armut gänzlich tabuisieren. Armut kann nicht losgelöst von sozialer Ungleichheit, die geschlechtsspezifische Charakteristika aufweist, betrachtet werden. Hinzu kommt, dass Armut mit ungerecht verteilten Ressourcen und Machtpositionen zwischen den Geschlechtern unmittelbar in Zusammenhang steht. Diesen Punkt vernachlässigen jedoch die MDGs. Caroline Moser (1999, 144) hat in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Practical Gender Needs und Strategic Gender Needs entwickelt. Erstere betreffen alltägliche Bedürfnisse wie den Zugang zur Gesundheits- und Wasserversorgung, zu Arbeit etc. Strategic Gender Needs beinhalten den Zugang zu Macht und Kontrolle über diese Ressourcen und fordern damit die Umgestaltung bestehender Geschlechterverhältnisse. Diese Bedürfnisse werden bei den MDGs jedoch gravierend unterbelichtet. Die entwicklungspolitischen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass Gender-Gerechtigkeit die Voraussetzung für eine nachhaltige Reduzierung von Armut ist. Aus diesem Grund ist die defizitäre Erwähnung der Geschlechterfrage im Prioritätenkatalog der MDGs nicht nur inkonsequent, sie geht auch an den Realitäten vorbei. Entwicklungspolitik und die Gleichstellung der Geschlechter sind untrennbar miteinander verbunden; sie müssen nicht nur zusam- 181

183 men gedacht, sondern auch in handlungsorientierte Strategien umgesetzt werden. Eine zielgerichtete Politik der Armutsbekämpfung stellt für eine nationale und internationale Entwicklungspolitik, die an Legitimation und Glaubwürdigkeit gewinnen möchte, sicherlich die Probe aufs Exempel dar. Von hoher Relevanz ist dabei, dass die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich bei den Armutsgruppen in Entwicklungsländern und dies sind mehrheitlich Frauen ankommen. Hierzu bedarf es jedoch der Anerkennung der simplen Tatsache, dass Armut ein weibliches Gesicht hat. Die MDGs haben der Reduzierung von Armut eine Priorität verschafft, die sie bisher in der Entwicklungspolitik nicht hatte. Die MDGs erlangten nicht nur beträchtliche internationale Aufmerksamkeit, sondern hatten auch zur Folge, dass zahlreiche andere entwicklungspolitische Zielsetzungen derzeit hintangestellt werden. So stehen für die Umsetzung der Aktionsplattform von Beijing nur noch geringe Finanzmittel zur Verfügung. Dies bedeutet einen Rückschlag für die internationale feministische Bewegung. Fort- und Rückschritte bei der Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit Bei unerschütterlichen Optimisten und Optimistinnen mögen die MDGs die Zuversicht geweckt haben, dass die acht Ziele im anvisierten Zeithorizont tatsächlich erreicht werden können, dass es also bis 2015 trotz einer wachsenden Weltbevölkerung eine Halbierung der in extremer Armut lebenden Menschen geben wird. Doch die Zahl der Skeptiker und Skeptikerinnen wächst, auch und gerade nach der ernüchternden Zwischenbilanz auf dem UN-Gipfel im September Insbesondere jene Zwischenziele, die geschlechtsspezifische Ungleichheiten reduzieren sollten, blieben zum großen Teil unerfüllt. 182

184 2006 stehen wichtige Weichenstellungen an. Quick Impact- Initiativen (Sachs 2005, 66), die noch 2006 verwirklicht werden sollen, wurden für die Bereiche beschlossen, in denen sich mit ausreichender Ressourcenausstattung schnell Erfolge erzielen lassen. Unter ihnen finden sich auch gender-spezifische Bereiche, etwa die Durchsetzung von Rechten für Frauen, Kampagnen zur Verringerung von Gewalt gegen Frauen sowie ihr Empowerment, insbesondere auf kommunalpolitischer Ebene. Der Sachs-Bericht geht davon aus, das die MDGs bis zum Jahr 2015 noch erreichbar sind, wenn bereits 2006 die Ausgaben für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) verdoppelt werden und verstärkte Anstrengungen sofort beginnen. Er zählt mehrere im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 erzielte Fortschritte bei den MDGs auf, die allerdings in den Weltregionen sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. den Beitrag von Fues). Die Geschlechtergleichheit ist eines der unerreichten Ziele. Betrachtet man die vier Indikatoren von MDG 3 (UNDESA 2004, 3), so ergibt sich ein tristes Bild. In den zehn Weltregionen Nordafrika, Afrika südlich der Sahara, Ostasien, Südostasien, Südasien, Westasien, Ozeanien, Lateinamerika und Karibik, in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Europa sowie in GUS-Asien wurde nur insgesamt elfmal eine der vier Vorgaben erreicht die Umsetzungsquote liegt damit lediglich bei einem Viertel. Gender-Gerechtigkeit bei der Bildung Beim Verhältnis von Mädchen zu Jungen in Primarschulen wurde die Zielvorgabe der Beseitigung der Ungleichheit nur in Ostasien und GUS-Europa erreicht, alle anderen Weltregionen befinden sich auf dem Weg der Zielerreichung oder weisen schleppende Fortschritte auf. Die Geschlechterdiskriminierung ist vor allem in Süd- und Westasien erheblich, wo 2001/02 183

185 Tabelle 1 Abschlussrate bei der Primarschulbildung nach Geschlechtern in den Weltregionen Prozentsatz der Schüler und Schülerinnen in Abschlussklassen der Primarschulbildung 1998/ /02 Gesamt Jungen Mädchen Gesamt Jungen Mädchen Industrieländer 100,0 100,3 99,6 98,8 GUS, Asien 96,3 97,0 95,6 97,9 98,7 97,0 GUS, Europa Entwicklungsregionen Lateinamerika & Karibik Nordafrika Afrika südlich der Sahara 93,1 93,9 94,0 93,8 80,7 84,0 77,2 83,0 85,9 79,8 89,0 86,6 91,5 98,0 97,2 98,9 85,5 89,0 81,8 85,5 87,1 83,9 49,4 54,4 44,4 52,8 57,0 48,6 Ostasien 104, , , ,2 104,1 104,2 Südasien 71,8 78,9 64,3 75,4 81,5 68,9 Süd-Ostasien Westasien Ozeanien Am wenigsten entwickelte Länder Binnenländer Kleine Inselstaaten 87,9 88,8 87,0 92,7 92,8 92,6 77,2 82,9 71,1 76,3 81,1 71,3 62,7 63,4 61,9 63,3 64,5 62,0 48,5 53,4 43,5 50,1 54,0 46,1 53,7 59,1 48,1 57,4 63,4 51,3 73,5 73,2 73,8 78,4 77,8 78,9 1. Daten beziehen sich auf 1999/2000. Quelle: United Nations Statistics Division: World and regional trends. Millennium Indicators Database ( ); basierend auf Daten der UNESCO. 184

186 der Anteil der Jungen um 12 bzw. 10 Prozentpunkte höher als jener der Mädchen war. Eine große Kluft gibt es auch in Afrika südlich der Sahara, wo der Anteil der Jungen den der Mädchen um 7 Prozentpunkte überstieg. In Nordafrika stieg die Rate von 82 auf 93 Mädchen pro 100 Jungen, und in Südasien erhöhte sie sich von 76 auf 85. In einigen Ländern beträgt der Anteil von Schülerinnen in den Grundschulen jedoch lediglich 75 % oder weniger (UN Statistic Division 2005a). Die Vorgabe der gleichen Einschulungsquote in Sekundarschulen weist Nordafrika, Südostasien und GUS-Europa als jene Weltregionen aus, in denen das Ziel erfolgreich umgesetzt wurde. Eine einzige Region Lateinamerika und die Karibik befindet sich auf dem Weg der Zielerreichung, während es in Afrika südlich der Sahara, Süd- und Westasien sowie Ozeanien nur sehr schleppende Fortschritte gab (UNDESA 2004, 3). Geschlechterparität bei der Alphabetisierungsrate Laut Statistiken der UNESCO für sind zwei Drittel der weltweit 800 Mio. Analphabeten Frauen. Von den 137 Mio. jugendlichen Analphabeten sind 85 Mio. Frauen, also 63 % (UNESCO 2004). Die größte Kluft weist die Region Südasien auf, wo die Alphabetisierungsrate bei Frauen um 19 Prozentpunkte geringer ist als bei Männern. In Ländern wie Benin, Tschad und Liberia beträgt die Differenz über 30 Prozentpunkte (UN Statistic Division 2005b). Gleichwohl gab es bei der Angleichung der Alphabetisierung von jungen Frauen und Männern die größten Fortschritte. Ostasien, Südostasien, Lateinamerika und die Karibik, GUS-Europa und GUS-Asien erreichten die gesetzten Vorgaben. Nur sehr schleppend geht die auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bezogene Alphabetisierung in Nordafrika, Afrika südlich der Sahara, Süd- und Westasien sowie Ozeanien voran (UNDESA 2004, 3). 185

187 Tabelle 2 Geschlechterdisparitäten bei der Alphabetisierungsrate (15 24 Jährige) 1990 und 2000/ /04 Alphabetisierungsrate Alphabetisierungsrate Region Frauen Männer Frauen Männer Industrieländer 99,6 99,7 99,7 99,7 GUS, Asien 97,7 97,7 98,8 98,8 Entwicklungsregionen 75,8 85,8 80,7 89,0 Nordafrika 55,8 76,3 72,5 84,1 Afrika südlich der Sahara 59,8 74,9 69,3 79,0 Lateinamerika/Karibik 92,7 92,7 95,9 95,2 Ostasien 93,3 97,6 98,6 99,2 Südasien 51,0 71,1 62,8 81,6 Süd-Ostasien 93,1 95,5 95,1 96,4 Westasien 71,5 88,2 80,3 90,7 Ozeanien 68,0 78,5 78,1 84,4 Quelle: United Nations Statistics Division: World and regional trends, Millennium Indicators Database ( ); basierend auf Daten der UNESCO. Gender-Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt In der formellen Wirtschaft gibt es noch immer sehr große Gender-Disparitäten. Trotz geringer Fortschritte haben Frauen in Süd- und Westasien sowie in Nordafrika weiterhin nur einen Anteil von etwa 20 % der bezahlten Arbeitsplätze außerhalb des Agrarsektors. In Lateinamerika und der Karibik liegt ihr Anteil bei 40 % (UNSTATS 2005). Die informelle Wirtschaft ist für Frauen nach wie vor der wichtigste Bereich, in dem sie Beschäftigung finden. Ihr prozentualer Anteil in diesem Sektor ist im Allgemeinen höher als der von Männern. Dieser Unter- 186

188 schied ist besonders ausgeprägt in Afrika südlich der Sahara, wo 84 % der Frauen im informellen Sektor arbeiten, verglichen mit 63 % der Männer. In Nordafrika und im Mittleren Osten kehrt sich dieses Muster jedoch um; dort ist die Beschäftigung im informellen Sektor für Männer wichtiger als für Frauen (UNSTATS 2005). Frauen repräsentieren auch die Mehrheit der Working Poor: Von 550 Mio. weltweit sind etwa 330 Mio. Frauen; das entspricht 60 % (ILO 2004, 2). Gender-Gerechtigkeit in nationalen Parlamenten Geschlechter-Parität gibt es weltweit in keinem Nationalparlament. Mit Stand von 1. Januar 2005 haben nur 17 Länder das vom UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) 1990 gesetzte Ziel von 30 % oder mehr Frauenanteil bei den Abgeordnetensitzen in Nationalparlamenten erreicht. Frauen sind in den Parlamenten von Mikronesien, Kuwait und Nauru überhaupt nicht vertreten. Dagegen wurden bei den ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg in Ruanda 2003 mit 48,8 % überwältigend viele Frauen gewählt (UN Statistic Division 2005b). In keinem anderen nationalen Parlament ist der Frauenanteil so hoch. Ostasien und GUS-Asien weisen sogar rückläufige Tendenzen auf; in Nordafrika, Afrika südlich der Sahara, Südostasien, Ozeanien sowie in Lateinamerika und der Karibik gibt es sehr schleppende Fortschritte. In Westasien ist der Frauenanteil unverändert gering, und GUS-Europa hat erst in jüngster Zeit Forschritte gemacht (UNDESA 2004, 3). 187

189 Tabelle 3 Länder mit einem Anteil von 30 % an weiblichen Abgeordneten in nationalen Parlamenten (Stand: ) Prozentsatz der Parlamentssitze von Frauen Zahl der Parlamentssitze von Frauen Absolute Zahl an Parlamentssitzen Ruanda 48, Schweden 45, Norwegen 38, Dänemark 38, Finnland 37, Niederlande 36, Kuba 36, Spanien 36, Costa Rica 35, Mosambik 34, Belgien 34, Österreich 33, Argentinien 33, Deutschland 32, Südafrika 32, Guyana 30, Island 30, Quelle: United Nations Statistics Division: World and regional trends. Millennium Indicators Database ( ); basierend auf Daten der Inter-Parliamentary Union. 188

190 Ausblick auf 2015: Ohne Empowerment von Frauen wird kein MDG-Ziel erreicht werden In den 1990er Jahren gelang es den UN erstmals, den vielfältigen Herausforderungen der Entwicklung einen normativen Rahmen zu geben und gemeinsame Entwicklungsprioritäten zu setzen. Diese bildeten das Fundament für die MDGs, die weltweit akzeptierte Richtwerte für Entwicklung sind. Das den MDGs zugrunde liegende Verständnis von Entwicklung basiert auf der Grundbedürfnisstrategie, das tragende Konzept ist jenes der geschlechterblinden Reduzierung von Armut. Der Ansatz»Integration der Frauen in die Entwicklung«zielt auf die Einbeziehung von Frauen in einen nicht weiter hinterfragten Entwicklungsprozess ab.»integration in Entwicklung«bedeutet jedoch nicht zugleich die Aufhebung von (anderen) Diskriminierungsverhältnissen. Dieser Umstand, der nach den Resultaten der UN-Frauendekade von Gender-Aktivisten und -Aktivistinnen artikuliert wurde, wird auch bei der Analyse der MDGs sichtbar. Insbesondere die Tatsache, dass die Ziele eher mit dem trickle down als mit dem bottom up-ansatz arbeiten, erschwert Gender Empowerment-Aktivitäten. Wissenschaft und Frauenbewegungen kritisieren deshalb den Ansatz»Integration der Frauen in die Entwicklung«nachdrücklich. Es gehe nicht darum, Frauen in eine (vorgezeichnete) Entwicklung zu integrieren, sondern darum, die Macht von Frauen zusammen mit anderen benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen in ökonomischen, politischen und kulturellen Entscheidungsprozessen zu stärken. Es geht also um eine Neudefinition von Entwicklung, die die Veränderbarkeit von Machtverhältnissen in den Blick nimmt, kurz: um Empowerment. Auch die Ursachen geschlechtsspezifischer Ungleichheit bleiben ausgeklammert. Die Welt erscheint mehr oder weniger als eine weitgehend geschlechterneutrale Tabula rasa. Fragen nach der Entstehung und Ausbreitung patriarchaler Herrschaft 189

191 verweilen in der historischen Dunkelkammer. Unerwähnt bleiben auch diejenigen, die in Zeiten des Neoliberalismus von sexistischer Diskriminierung und von ungleich gestalteten Geschlechterverhältnissen von der Ausbeutung der Frauen in den Weltmarktfabriken bis hin zum interkontinentalen Frauenhandel profitieren. Der Sachs-Bericht (2005, 45f.) spricht die in den MDGs systematisch vernachlässigten Bereiche an. Einer der wichtigsten ist die Gleichstellung der Geschlechter, im ökonomischen Jargon: Investitionen in die Überwindung weit verbreiteter geschlechtsspezifischer Benachteiligungen durch einen gleichberechtigten Zugang zu Wirtschaftsgütern, Grund und Boden, Wohnraum, Steigerung der Grundschulabschlussquote, ein besserer Zugang zu weiterführender Bildung, Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt, Freiheit von Gewalt und verstärkte Vertretung von Frauen auf allen politischen Ebenen. Unabdingbar ist auch die Mitwirkung der verschiedenen Frauenorganisationen, die die Bedürfnisse der Menschen (vor allem auch der Armen) kennen und damit eine effektive Umsetzung der MDGs gewährleisten können. Die MDGs bilden mittlerweile den Dreh- und Angelpunkt der internationalen Entwicklungspolitik. Das Erreichen der Ziele wird von sektorübergreifenden gender-bezogenen Maßnahmen abhängen. Eine Grundvoraussetzung ist dabei, dass jede Frau über die Mittel für ein menschenwürdiges Leben verfügt. Zu diesen gehört der Zugang zu ökonomischen, politischen und sozialen Ressourcen, Machtpositionen und Rechten. Gegenwärtig setzen sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von UN-Organisationen und nationalen Entwicklungsagenturen sowie zivilgesellschaftliche Netzwerke dafür ein, die MDGs nach dem Motto»ein bisschen Gender ziert jedes MDG- Ziel«geschlechtergerechter zu gestalten. Eine wichtige Forderung ist hierbei, die MDGs mit der Aktionsplattform von Beijing und der Frauenrechtskonvention CEDAW zu verbinden. In ei- 190

192 ner Welt, in der Armut ein weibliches Gesicht hat, wird es keine Reduzierung von Armut geben können, ohne dass Geschlechterungleichheiten sichtbar gemacht, beim Namen genannt und verändert werden. In gender-politischer Hinsicht dürfen die MDGs kein Ersatz für die Aktionsplattform von Beijing und CEDAW sein. Die Zwischenberichte der UN deuten nicht darauf hin, dass die MDGs in ihren gender-spezifischen Punkten erreicht werden. Die Worte des uruguayischen Journalisten Eduardo Galeano (1973, 197)»Entwicklung ist eine Reise mit mehr Schiffbrüchigen als Seefahrern«werden aller Voraussicht nach im Hinblick auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auch 2015 noch ihre Gültigkeit haben. Zur Erreichung der geschlechterbezogenen MDGs sind enorme Anstrengungen der von Hunger und Elend betroffenen Länder sowie grundlegende Reformen auf internationaler Ebene in den Bereichen Politik, Bildung, Gesetzgebung und Ökonomie erforderlich. Es geht um gemeinsame Anstrengungen sowohl von Seiten der politisch Verantwortlichen als auch um eine unermüdliche Lobbyarbeit von Feministen und Feministinnen, um die Welt bis 2015 geschlechtergerechter zu gestalten. Literatur Annan, Kofi, 2005: In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte für alle, Vereinte Nationen, Generalversammlung A/59/2005, Bericht des Generalsekretärs vom New York. Antrobus, Peggy, 2004: MDGs The Most Distracting Gimmick, in: Carol Barton/Laurie Prendergast (Hg.), Seeking Accountability on Women s Human Rights: Women Debate the Millennium Development Goals. Mumbai, S

193 Fues, Thomas/Brigitte Hamm (Hg.) 2001: Die Weltkonferenzen der 90er Jahre: Baustellen für Global Governance (Reihe EINE Welt der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bd. 12). Bonn. Galeano, Eduardo, 1973: Die offenen Adern Lateinamerikas. Wuppertal. ILO (International Labour Organization), 2004: Global Employment Trends, Januar. Genf. Moser, Caroline, 1999, zitiert nach Commission on Gender Equality/Parliamentary Women s Group/Gender Equity Unit/Gender Advocacy Programme/School of Public and Development Management/Women s Net: Redefining Politics. Johannesburg. Nazombe, Elmira/Carol Barton, 2004: Racial Justice The Forgotten Goal, in: Carol Barton/Laurie Prendergast (Hg.), Seeking Accountability on Women s Human Rights: Women Debate the Millennium Development Goals. Mumbai, S. 40. Neuhold, Brita, 1994: Women on their way to empowerment. Wien. Neuhold, Brita, 2005: Frauenrechte und Armutsbekämpfung, in: Frauensolidarität, 2/2005, S Sachs, Jeffrey, 2005: Investing in Development: a Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals (UN Millennium Project). New York. UNDP, 2003: Millennium Development Goals. National Reports. A Look through a Gender Lens, in: monographs/undp_mdgr_genderlens.pdf, UNDESA, 2004 in: Jeffrey Sachs, 2005: In die Entwicklung investieren: Ein praktischer Plan zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele Überblick (VN-Millenniumsprojekt). New York, S. 3. UNESCO, 2004 in: URL_ID=35964&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html, UNSTATS, 2005: Progress towards the Millennium Development Goals, , Summary, in: UN Statistic Division, 2005a in: UN Statistic Division, 2005b in: /goal_3.pdf, VN, 2000: Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen, Generalversammlungsresolution 55/2 vom New York. Wichterich, Christa, 2005: Ein entwicklungspolitischer Katechismus, in: iz3w Nr. 285, S

194 Dritter Teil: Herausforderungen

195 STEPHAN KLINGEBIEL Mit einem big push aus der Armutsfalle? Der Sachs-Bericht ist kein Patentrezept Vor dem Hintergrund ungenügender bzw. ausbleibender Entwicklungserfolge, die sich derzeit in der (Nicht-)Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) widerspiegeln, findet eine intensive Debatte über die Strategien der Entwicklungspolitik vor allem im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent statt. Die Gründe für die gestiegene internationale Aufmerksamkeit für Afrika südlich der Sahara sind vielschichtig und erstrecken sich von geostrategischen Interessen über Fragen der internationalen Energieversorgung bis hin zu einer größeren Beachtung der afrikanischen Konflikte und der afrikanischen Sicherheitsarchitektur (Klingebiel 2005). Afrika im Mittelpunkt der Debatte über eine neue Entwicklungspolitik Das gestiegene entwicklungspolitische Interesse an Afrika südlich der Sahara hängt zu einem erheblichen Teil mit den entwicklungspolitischen»großereignissen«im Jahr 2005 zusammen. Die wichtigsten waren zum einen der G8-Gipfel in Gleneagles mit der im Vorfeld von der britischen Regierung eingesetzten Commission for Africa (CFA), die einen vielbeachteten Bericht herausgegeben hat, und zum anderen der Millennium+5-Gipfel, der im September 2005 eine Zwischenbilanz zur Umsetzung der MDGs zog. Grundlage dafür war ein umfassender Bericht unter der Leitung von Jeffrey Sachs (UN 194

196 Millennium Project), der zu Beginn des Jahres 2005 veröffentlicht worden war. In den Debatten rund um diese Großereignisse sind verschiedene Kontroversen zutage getreten: Erstens stellt sich die Frage nach Erklärungsansätzen für die bestehenden Entwicklungsdefizite. Hier kommt es zunehmend zu einer Polarisierung zwischen Ansätzen, die in den bestehenden governance-problemen und solchen, die in»armutsfallen«und klassischen Strukturdefiziten (hohe Transportkosten etc.) die zentralen Ursachen und dementsprechend die relevanten Handlungsfelder sehen. Zweitens hat die massive Aufstockung der Mittel für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) die sich 2004 auf knapp 26 Mrd. US-$ für Afrika südlich der Sahara beliefen einen prominenten Platz in den Schlussfolgerungen wichtiger Analysen erhalten. Gerade der Umfang der ODA für Afrika südlich der Sahara wird von vielen nicht zuletzt von Jeffrey Sachs und der Commission for Africa als völlig unzureichend erachtet. Den Plädoyers für eine höhere ODA stehen allerdings Argumente gegenüber, die auf mögliche Fehlanreize (abnehmende Notwendigkeit, eigene Ressourcen aufzubringen etc.), negative Begleitwirkungen und die technisch-administrative Absorptionsfähigkeit hinweisen. Drittens betrifft die Debatte grundsätzliche Fragen einer ODA-Reform mit dem Ziel, ihre Qualität und Wirksamkeit zu steigern. Hier bildet der im Februar 2005 erreichte Konsens von Gebern und Partnervertretern in Form der Paris Declaration on Aid Effectiveness einen internationalen Meilenstein. Die Erklärung übt einen echten Handlungsdruck aus, weil sie quantifizierte Ziele enthält. Weitere Vorschläge etwa im Hinblick auf eine Ausweitung der Programmfinanzierung und eine Reform der Technischen Zusammenarbeit werden diskutiert. 195

197 Die Ereignisse des Jahres 2005 markierten einen Höhepunkt in der internationalen Debatte. Verschiedene Hinweise sprechen dafür, dass diese Aufmerksamkeit auch künftig erhalten bleiben kann. Die britische Regierung, die schon 2005 (politisch nicht ganz uneigennützig) eine entscheidende treibende Kraft für die Afrika-Aufmerksamkeit war, will sich weiterhin mit der Region profilieren. Ein Jahr nach dem G8-Gipfel in Gleneagles initiierte der britische Premierminister Tony Blair ein Africa Progress Panel, das jährlich für die G8, die UN und das so genannte Africa Partnership Forum einen Bericht über Umsetzungsfortschritte seit 2005 erstellen will. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sich bereit erklärt, das Panel zu leiten. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist es enorm wichtig, die bislang einmalige Dynamik für das Thema zu nutzen. Die laufende Debatte bietet die Chance einer Ausweitung der externen Unterstützung für den Kontinent. Anderseits sollte die politische Schubkraft für das Thema nicht zu einer Einengung auf vereinfachende, möglicherweise sogar falsche Erklärungsansätze und Handlungsoptionen führen, die mit Konzepten wie der»armutsfalle«, dem big push oder der Verdoppelung der ODA verbunden sein könnten. Risiken bestehen auch darin, dass der potenzielle Einfluss externer Akteure überbewertet und die mögliche Geschwindigkeit, mit der Erfolge erreicht werden können, überschätzt werden. Es könnte eine langfristige Frustration aufgrund von überzogenen Erwartungen drohen. Damit die kontroversen Debatten nicht in einen unfruchtbaren»schulenstreit«münden, ist es sinnvoll, vorrangig auf Länderebene die zentralen Problemursachen zu benennen: Sind es bestimmte Politiken der Länder, die verhindern, dass sich die gewünschten Wirkungen entfalten? Oder sind konkrete Finanzierungsengpässe das Kernproblem? In der Summe wird es wichtig bleiben, dass einerseits die afrikanischen Partner die zentralen governance-defizite (kleptokratische Systeme, gewaltsame Konflikte, mangelhafte Rechtstaatlichkeit etc.) 196

198 verstärkt bearbeiten, andererseits aber auch die Geber ihre Verpflichtungen zur ODA-Erhöhung einhalten und zugleich Maßnahmen zur Steigerung der ODA-Effektivität verstärken. Die»Armutsfalle«: Ein Erklärungsansatz für Afrika südlich der Sahara? Afrika südlich der Sahara hinkt den sozialen und ökonomischen Entwicklungen aller anderen Entwicklungsregionen deutlich hinterher. Im Hinblick auf die Erreichung der MDGs ist der Kontinent off track; das heißt, er kann bislang die gesteckten Ziele nicht erreichen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei nur 46 Jahren (2003). Rund die Hälfte aller Menschen lebt in absoluter Armut, wobei die Zahl der Armen von 313 Mio. (2001) bis 2015 auf voraussichtlich 340 Mio. ansteigen wird. Allerdings weisen einzelne Länder und Regionen vom Durchschnitt stark abweichende oder sogar widersprüchliche Entwicklungen auf. Ökonomische Besonderheiten zeigen das wirtschaftlich leistungsfähige Südafrika, relativ erfolgreiche kleinere Länder (wie Mauritius und die Seychellen) sowie die Erdöl- (Angola, Äquatorialguinea, Nigeria, Tschad etc.) und Bergbauökonomien (Botswana und andere). Afrika südlich der Sahara befindet sich derzeit in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs. Nachdem die Region etwa zwei Jahrzehnte lang das geringste Wachstum aller Entwicklungsregionen aufwies, ist in den vergangenen fünf Jahren ein vergleichsweise günstiges Pro-Kopf-Wachstum erreicht worden. Der World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds geht für das Jahr 2005 von einem realen Wachstum in Höhe von 5,3 % aus, was einem Wachstum pro Kopf von rund 3,4 % entspricht (IMF 2006). Darüber hinaus seien die weiteren wirtschaftlichen Aussichten vergleichsweise günstig. Allerdings ist zu beachten, dass die derzeitige und zu erwar- 197

199 tende wirtschaftliche Erholung überdurchschnittlich stark auf die afrikanischen Erdölökonomien zurückgeht, das Wachstum in den meisten Fällen von einer geringen wirtschaftlichen Leistungskraft startet und trotz der positiven Entwicklungen nicht damit zu rechnen ist, dass die Wachstumsraten ausreichen, die MDGs zu erfüllen. In der Debatte darüber, wie sich die Entwicklungsdefizite der Region erklären lassen und welche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind, bilden sich zunehmend zwei»lager«heraus: 1. Die von Jeffrey Sachs identifizierte»armutsfalle«(poverty trap) eine inhaltlich auch von der Commission for Africa (CFA) geteilte Diagnose (Kielwein 2005) geht von der Kombination einer geringen Sparrate mit einem hohen Bevölkerungswachstum aus, was zu einer Stagnation bei der Kapitalakkumulation führt, wodurch wiederum das Wirtschaftswachstum nicht eine sich selbsttragende Dynamik erreicht. Sachs sieht vorrangig fünf strukturelle Gründe, warum Afrika südlich der Sahara die verwundbarste Weltregion ist: (1) Hohe Transportkosten und kleine Märkte, (2) geringe landwirtschaftliche Produktivität (fehlende»grüne Revolution«), (3) hohe Belastungen durch Krankheiten (HIV/AIDS, Malaria etc.), (4)»Geschichte ungünstiger Geopolitik«(unter anderem durch europäische und arabische Sklaverei, Belastungen aufgrund des Kalten Krieges etc.) und (5) langsame Verbreitung von ausländischen Technologien (zur Krankheitsprävention, Steigerung der Agrarproduktivität etc.). Der Armutsfallen-Ansatz geht von der Notwendigkeit einer breit angelegten Gegenstrategie eines big push aus. Bildlich gesprochen: ein Feuerwehrmann reicht nicht aus, um einen Großbrand unter Kontrolle zu bringen. Dieser big push sei nicht mit den eigenen Ressourcen des Kontinents möglich. Erforderlich sei daher ein massives Aufstocken der ODA für die Region. 198

200 2. Die Kritik am big push-konzept und an der Forderung nach einer ODA-Verdoppelung setzte rasch ein. Sie verweist auf die lange Tradition des big push-ansatzes und einer außenfinanzierten Strategie (Asche 2006). Beides habe sich nicht als sinnvoll erwiesen. Insbesondere aus einer governance- Perspektive werden Gegenargumente vorgebracht. Demnach sind es vor allem Schwächen im Regierungshandeln der betroffenen Länder, die dazu führen, dass Fortschritte nicht stattfinden. Nicht fehlende finanzielle Ressourcen, sondern falsche Politiken verhinderten Entwicklungserfolge. Dies treffe unter anderem für Länder mit bewaffneten Konflikte oder grundlegenden governance-problemen zu (etwa Simbabwe). Außerdem verfügt eine Reihe von Ländern über beträchtliche Einkommen (etwa aufgrund von Erdöl), die allerdings nicht in allen Fällen sinnvoll verwendet würden. Sowohl die Argumente der big push- als auch der governance- Befürworter werden in aller Regel nicht ohne Berücksichtigung der jeweils anderen Debatten vorgebracht. So bezieht der CFA-Bericht vergleichsweise intensiv governance-fragen ein und umgekehrt wird ein ausreichendes wirtschaftliches Wachstum von den meisten governance-vertretern als eine notwendige (wenn auch nicht hinreichende Bedingung) für Entwicklungserfolge anerkannt. Allerdings sind die inhaltlichen Differenzen von prinzipiellem Charakter: Zum einen findet in den Debatten vielfach eine Verengung des governance-begriffes auf Aspekte der administrativen governance (effizientes und transparentes Verwaltungssystem etc.) statt, während der Stellenwert der politischen governance (Respektierung demokratischer Prinzipien, Einhaltung politischer Menschenrechte etc.) vernachlässigt wird (Kielwein 2005). Zum anderen sind die angenommenen Wirkungsketten grundsätzlich unterschiedlich. So argumentiert Sachs, dass viele Teile Afrikas südlich der Sahara»besser regiert«würden als dies die Einkommenssituation vermuten 199

201 lasse. Diesem Argument wird allerdings von einigen Teilnehmern der Debatte ausdrücklich widersprochen. Empirische Auswertungen zeigen demnach, dass die unterstellte positive Wirkung eines höheren Einkommens auf die governance- Qualität unzulässig ist (vielmehr in umgekehrter Richtung wirkt) und die governance-qualität in der Region im Durchschnitt keinesfalls im Hinblick auf die Einkommenshöhe»relativ gut«ist (Kraay 2005, 12). Wie viel Hilfe hilft Afrika südlich der Sahara? Im Jahr 2004 stellte die internationale Gebergemeinschaft nach Angaben des Entwicklungsausschusses (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) insgesamt 79,5 Mrd. US-$ ODA zur Verfügung; auf Afrika südlich der Sahara entfielen hiervon 25,5 Mrd. US-$. Dies entspricht einem Anteil von 32 %, wobei der Anteil Afrikas südlich der Sahara eine zunehmende Tendenz aufweist (OECD 2006, 212ff.). Die wichtigsten bi- bzw. multilateralen Geber in der Region waren 2003/2004 in dieser Reihenfolge: die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die Niederlande bzw. die International Development Association (IDA) der Weltbank und die EU-Kommission. Einige Geber stellen den größten Teil ihrer ODA für Afrika südlich der Sahara zur Verfügung, was sich etwa bei Frankreich mit den kolonialen Beziehungen erklären lässt, zum Teil aber auch einem armutsbasierten Ansatz folgt. Der ganz überwiegende Teil der bilateralen und etwa 40 % der multilateralen ODA wird als nicht-rückzahlbarer Zuschuss (grant) bereitgestellt. Die ODA-Abhängigkeit der Region ist sehr hoch. Diese Abhängigkeit belegen verschiedene Indikatoren: ODA ist die wichtigste externe Finanzierungsquelle für Afrika südlich der Sahara. Die Finanzzuflüsse setzen sich zu 55 % aus ODA, zu 25 % aus ausländischen Direktinvesti- 200

202 tionen (die sich auf sehr wenige Länder und Sektoren konzentrieren) und zu rund 15 % aus Überweisungen von Arbeitsmigranten in die Region (sowie 5 % sonstigen privaten Zuflüssen) zusammen. Das Verhältnis der ODA zum Bruttonationaleinkommen (BNE) ist mit 6,24 % hoch (1,16% für alle Entwicklungsländer). Für eine Reihe von Ländern liegt dieser Anteil sogar deutlich über 20 % (Mosambik 60,3 %; Sierra Leone 47,0 %; Guinea-Bissau 30,5 %). Der ODA-Anteil an den öffentlichen Budgets ist nochmals höher und beträgt teilweise deutlich mehr als 50 %. Rechnerisch entfällt ein Pro-Kopf-Betrag von 34,5 US-$ (2003) auf Afrika südlich der Sahara (im Durchschnitt für alle Entwicklungsländer: 14,2 US-$). Die derzeitige internationale Diskussion geht überwiegend davon aus, dass das ODA-Niveau für Afrika südlich der Sahara völlig unzureichend ist. Im Hinblick auf die Erreichung der MDGs wird mehrheitlich eine massive Erhöhung für notwendig erachtet. Der CFA-Bericht errechnet einen zusätzlichen jährlichen Bedarf von 25 Mrd. US-$ bis 2010 und weiteren jährlichen 25 Mrd. US-$ bis Der Sachs-Bericht geht von einem ODA-Bedarf (für alle Regionen) in Höhe von 135 Mrd. US-$ bis zum Jahr 2006 und von 195 Mrd. US-$ bis zum Jahr 2015 aus. Grundsätzlich sind die Argumente der Befürworter einer ODA-Aufstockung plausibel. Allerdings gilt es, auch die möglichen Risiken einer solchen Strategie zu beachten. Probleme, die mit einer hohen ODA-Abhängigkeit bzw. einer massiven ODA-Erhöhung verbunden sind, können vielfältig sein (Kraay 2005; Bräutigam/Knack 2004; Faust/Leiderer 2006; Asche 2006; Kielwein 2005): Ein höherer Ressourcenzufluss von außen kann nationale Mobilisierungsbemühungen schwächen. Es kann gegebenenfalls leichter sein, ODA einzuwerben, als eigene Finanzierungssysteme aufzubauen und zu unterhalten. 201

203 Mangelnde finanzielle Ressourcen müssen nicht das Kernproblem eines Landes oder in einem Bereich sein. Erfolgreiche Politiken und die Funktionsfähigkeit von Institutionen hängen nicht von den zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen ab. Der relative Nutzen von ODA nimmt ab, wenn das Verhältnis von ODA zum BNE ein bestimmtes Verhältnis erreicht. Dieser Grenznutzen wird bei etwa % des BNE gesehen. Der Sinn solcher Grenzwerte ist allerdings umstritten. In Ländern mit schlechter governance können massiv höhere ODA-Zuflüsse dysfunktional wirken (Stützung neopatrimonialer Strukturen etc.), vergleichbar etwa mit möglichen negativen Konsequenzen durch hohe Erdöl- oder Diamanteneinnahmen. Untersuchungen (unter anderem des Internationalen Währungsfonds) zeigen höhere Schwankungen und eine geringere Verlässlichkeit von ODA im Vergleich zu anderen Ressourcenzuflüssen. ODA kann daher tendenziell die Budgetmanagementfähigkeiten der Partnerländer und ihre Planungsbemühungen untergraben. Massive Finanzzuflüsse können die Exportkonkurrenzfähigkeit mindern, indem sie zu einer Wechselkursaufwertung beitragen (dutch disease). Mit höheren ODA-Zuflüssen sind also auch Risiken verbunden. Diese sprechen nicht prinzipiell gegen eine Aufstockung, wohl aber für eine ausreichende Beachtung der politischen, institutionellen und technischen Absorptionsfähigkeit. Wie wichtig ist Governance in Afrika südlich der Sahara? Untersuchungen zeigen, dass good governance die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Wachstum) positiv beeinflusst und in einem engen konstruktiven Wechselverhältnis zur Anfälligkeit 202

204 für Gewaltkonflikte steht. Die Bemühungen um Transparenz der governance performance haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Neben Instrumenten wie dem Country Policy and Institutional Assessment (CPIA) der Weltbank hat die UN- Wirtschaftskommission für Afrika (UNECA) 2004 einen ersten empirischen Governance Report vorgelegt. Der Bericht kommt ähnlich wie andere zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt Fortschritte erkennbar sind (etwa im Hinblick auf demokratische Transition, politische Inklusion, Rechenschaftsstrukturen und öffentliches Budgetmanagement), aber weiterhin unbefriedigende Bereiche (etwa bei demokratischen governance- Strukturen, administrativen Kapazitäten, der Unabhängigkeit der Justiz) existieren. Eine besondere Rolle hat der so genannte African Peer Review Mechanism im Rahmen von NEPAD (New Partnership for Africa s Development), zu dem sich bislang 26 afrikanische Länder verpflichtet haben und dessen erste Ergebnisse seit Anfang 2006 vorliegen. Wirksamere Entwicklungspolitik Alle relevanten Dokumente, die eine Steigerung der ODA- Zuflüsse nach Afrika südlich der Sahara empfehlen, betonen gleichzeitig die Notwendigkeit, ihre Qualität und Wirksamkeit zu verbessern. Mit der Paris Declaration haben die Geber einen Konsens in dieser Diskussion erarbeitet. Verschiedene Empfehlungen, etwa von Jeffrey Sachs und der CFA, gehen über diesen Konsens hinaus. Es erweist sich zunehmend eine Doppelstrategie als notwendig: Länder mit schwierigen Rahmenbedingungen insbesondere aufgrund von bewaffneten Konflikten oder besonders schlechter governance (auto- und kleptokratische Regime) sind dabei von solchen Fällen zu unterscheiden, die glaubwürdige Bemühungen vor allem zur Erreichung der MDGs unterneh- 203

205 men. Allerdings sind die meisten Länder weder ausschließlich und eindeutig als»negative«oder»positive«fälle einzuordnen; es zeigen sich eine Vielzahl von abgestuften Situationen und vielfach sogar widersprüchliche Entwicklungen innerhalb eines Landes (gute Armutspolitik bei gleichzeitigen politischen Legitimitätsdefiziten etc.). In Systemen mit schwierigen Rahmenbedingungen können solche entwicklungspolitischen Ansätze im Vordergrund stehen, die eine direkte Bereitstellung von sozialen Grunddienstleistungen verfolgen oder über nationale zivilgesellschaftliche Akteure (Kirchen etc.) Maßnahmen fördern sowie gleichzeitig Anreize zur Verbesserung der governance-qualität etablieren. Unter günstigen Voraussetzungen ist es dagegen zunehmend wichtig, die Eigenanstrengungen der Partner direkt zu unterstützen und damit ein neues Grundverhältnis der Geberund Partnerseite zu etablieren. In diesen Fällen können Programmfinanzierungen eine wichtige Rolle spielen. Die bereits existierenden Strukturen der Partner für Planung (beispielsweise Budgetplanungsprozesse), Umsetzung (zum Beispiel Ausschreibungsverfahren) und Monitoring (Evaluierungen etc.) sollten der Weg sein, über den ODA eingesetzt wird. Parallel strukturen und projektbezogenes Vorgehen sind vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, weil die damit verbundenen Transaktionskosten hoch sind und die Partnerseite in ihrer Fähigkeit geschwächt wird, die Vielzahl der Akteure und unterschiedlichen Ansätze sinnvoll zu koordinieren. Empfehlungen beziehen sich hier unter anderem auf die Notwendigkeit zum pooling der Mittel verschiedener Geber, zum Abbau der Personalentsendung aus den Geberländern sowie zur Nutzung von Mitteln der Technischen Zusammenarbeit für direkte Anreize der lokalen Lohnstrukturen (salary enhancement programmes). Entwicklungspolitik ist mit Blick auf viele Länder Afrikas südlich der Sahara das wichtigste Gestaltungselement für externe Akteure. ODA ist in den meisten Ländern der Region ein zentraler Hebel. Sie kann eine wichtige Rolle bei der Überwin- 204

206 dung der Entwicklungsdefizite und bei der Annäherung an die MDGs spielen. Insofern ist die Debatte über erhöhte Ressourcenzuflüsse in die Länder der Region wichtig und grundsätzlich richtig. ODA kann einen wichtigen Beitrag leisten, um leistungsfähige Länder (capable states) in Subsahara-Afrika zu unterstützen. Die zentrale Frage besteht darin, wie durch ODA Anreize für good governance geschaffen und für bad governance vermieden werden. Ressourcenzuflüsse allein stellen nicht sicher, dass Entwicklungsdefizite in einem Land besser gelöst werden können. Vielmehr besteht die Gefahr falscher Anreize. Die derzeitige Debatte geht dagegen von der Annahme besserer governance durch Ressourcenzuflüsse aus. Diese Argumentationskette ist irreführend, weil sie die entscheidende Bedeutung des Einflusses von governance einzugrenzen versucht. Höhere Leistungen sind damit nicht prinzipiell in Frage gestellt, sondern die Betonung liegt auf dem»richtigen«und ggf. schrittweisen Einsatz von mehr ODA. Ein höherer Anteil von Afrika südlich der Sahara an der gesamten ODA mindestens 50 % wurde von der G8-Gruppe im Jahr 2002 empfohlen ist eine durchaus sinnvolle Vorgabe. Vor diesem Hintergrund hat die Debatte über eine wirksamere ODA eine große Berechtigung. In den Ländern, die über verantwortliche governance- Strukturen verfügen, deren eigene Politiken gefördert werden können, geht es darum, die jeweiligen Strukturen zu nutzen und nicht durch eine Vielzahl unterschiedlicher Geber mit eigenen Ansätzen und Apparaten zu überfordern. Zukünftig wird es noch wichtiger werden, für Länder mit schlechter governance und fragilen Strukturen sinnvolle andere Ansätze für ODA zu finden (Klingebiel 2006). Dies gilt zum einen, weil diese etwa ein Drittel der Länder der Region ausmachen. Zum anderen sind die Folgen eines Disengagements für die Länder selbst und für die jeweilige Region kritisch. Hier sind andere Ansätze und Instrumente erforderlich, etwa die Nutzung von zivilgesellschaftlichen Akteuren oder die Schaf- 205

207 fung direkter Dienstleistungen für Zielgruppen, um eine wirksame Entwicklungspolitik zu betreiben. Literatur Asche, Helmut, 2006: Durch einen Big Push aus der Armutsfalle? Eine Bewertung der neuen Afrika-Debatte (DIE Discussion Paper 5/2006). Bonn. Bräutigam, Deborah/Stephen Knack, 2004: Foreign Aid, Institutions, and Governance in Sub-saharan Africa, in: Economic Development and Cultural Change, Jg. 52/2, S Faust, Jörg/Stefan Leiderer, 2006: Paradoxe Effekte. Befunde zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit im statistischen Ländervergleich, in: Eins Entwicklungspolitik, Nr. 9/2006, S IMF (International Monetary Fund), 2006: Regional Economic Outlook, Sub-Saharan Africa. Washington, D.C. Kielwein, Nina, 2005: Eine Bewertung der Empfehlungen des Berichts Our Common Interest der Commission for Africa im Lichte der aktuellen afrikapolitischen Debatte (DIE). Bonn. Klingebiel, Stephan, 2005: Regional Security in Africa and the Role of External Support, in: The European Journal of Development Research, Jg. 17/3, S Klingebiel, Stephan, 2006: Regierungsführung als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Berlin. Kraay, Aart, 2005: Aid, Growth, and Poverty, Presentation for IMF Seminar on Foreign Aid and Macroeconomic Management. Maputo. OECD, 2006: Development Co-operation Report Paris. Sachs, Jeffery et al., 2004: Ending Africa s Poverty Trap (Brookings Papers on Economic Activity, Nr. 1/2004). Washington D.C. UN Millennium Project, 2005: Investing in Development. A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals. Report to the UN Secretary General, New York. World Bank, 2005: Capacity Building in Africa. Washington, D.C. 206

208 ROSS HERBERT Wachstumsziele statt Entwicklungsziele Afrika braucht eine andere Reformagenda Mit Begeisterung haben die Vereinten Nationen, Geberländer und -organisationen, Wissenschaftler, Politiker und Journalisten die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) als wichtiges Instrument im weltweiten Kampf gegen die Armut begrüßt. Doch eine grundlegende Frage wurde weder gestellt noch beantwortet: Wird die Verfolgung der MDGs Entwicklung unterstützen oder ihr schaden, insbesondere in Afrika? Die Begründung für die Festsetzung von Zielen zur Verringerung von Armut scheint ebenso einfach wie einleuchtend. Die Welt hat eine Vorliebe für große Versprechungen um sie dann nicht zu erfüllen. Und ein Großteil der öffentlichen Entwicklungsgelder nützt den Vertragspartnern aus der entwickelten Welt, fließt in verschwenderische, nicht nachhaltige Projekte oder wird von den Empfängerregierungen veruntreut. Im Ergebnis hat insbesondere Afrika für die mehr als eine Billion US-$, die es seit der Unabhängigkeit an Hilfe und Krediten verbraucht hat, wenig vorzuweisen. Die Festsetzung von Zielen und die Bewertung von Ländern nach ihrer Zielerreichung ist eine Möglichkeit, um die Entwicklungsindustrie dazu zu bringen, sich auf tatsächliche Ergebnisse und nicht nur auf Versprechungen und die Höhe vergebener Gelder zu konzentrieren. Mit diesem Gedanken haben der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, UN-Organisationen und die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) die MDGs als einen Wegweiser für Entwicklungsausgaben und als Messgröße ihrer Wirksamkeit begrüßt. 207

209 Die positive Konnotation der MDGs in der entwicklungspolitischen Rhetorik ist als Reaktion auf die als herzlos und ineffizient empfundenen Strukturanpassungsprogramme des IWF der 1990er Jahre zu verstehen. Um das bedenkenlose deficit spending und kleptokratische Gebaren der 1970er und 1980er Jahre zu beenden, hatte der IWF fiskalische Disziplin verordnet und verlangt, die staatlichen Ausgaben drastisch zu kürzen, die Inflation nicht durch ungehemmtes Geldmengenwachstum anzuheizen, staatliche Betriebe zu privatisieren und die Märkte zu liberalisieren. Auch wenn sie notwendig waren, hat die abrupte Art der Umsetzung der IWF-Reformen bekanntermaßen einen Rückschlag für die Armen bewirkt. Der IWF und andere Geber begannen daraufhin, die Verringerung von Armut als das Hauptziel zu verkünden. Die MDGs waren der Kulminationspunkt eines Richtungswandels im Denken weg von der Korrektur makroökonomischer Größen hin zur Linderung der Auswirkungen von Armut. Zweifellos haben die MDGs zu einer konstruktiven globalen Debatte darüber beigetragen, wie die Entwicklungszusammenarbeit effektiver gemacht werden kann. Die Ära des Kalten Krieges, als Loyalitäten im Kampf zwischen Ost und West häufig trotz offensichtlicher Verschwendung und Korruption über die Vergabe von Entwicklungsgeldern entschieden, ist vorüber. Dennoch haben die MDGs negative Auswirkungen auf die Entwicklungsanstrengungen. Die MDGs können Afrikas wirkliche Probleme nicht lösen Das übergeordnete Problem ist, dass die MDGs eine Art politische Tarnung bieten, die die Aufmerksamkeit von der wichtigeren Frage ablenkt, warum Entwicklungsorganisationen keine langfristigen Ergebnisse erzielen. Um die Diskussion und Verfolgung der MDGs ist eine regelrechte Industrie ent- 208

210 standen. Websites und Bücher widmen sich ihnen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind für sie verantwortlich, Statistiker messen sie. Eine Google-Suche ergab Internetseiten zu diesem Thema. All dies verbindet sich zu einem Nebelvorhang, hinter dem die realen Fragen von Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklung verschwinden. Auf politischer Ebene erleichtern es die MDGs Politikern und Entwicklungsorganisationen, den harten Fragen auszuweichen. Anstatt zu diskutieren, warum die Organisationen schlecht konzipierte Projekte auswählen, oder die Anreize für Mitarbeiter zu überdenken, die zu unangemessenen Projektentscheidungen führen, bläst die Hilfsindustrie ihre Arbeit mit immer neuer Armutsbekämpfungsrhetorik auf. Doch leider konzentrieren sich die MDGs eher auf Symptome als auf Ursachen; sie halten Regierungen an, Erfolge über die sichtbaren Zeichen von Armut niedrige Einkommen, Hunger, Krankheit zu messen. Die MDGs haben enorme Entwicklungsanstrengungen ausgelöst. Aber numerische Ziele führen stets zu unbeabsichtigten Verhaltensweisen. Wenn beispielsweise ein Händler auf der Grundlage der Anzahl seiner Verkaufsabschlüsse unabhängig von deren Wert bezahlt wird, wird er mehr kleine als große Abschlüsse anstreben und so möglicherweise höhere Gesamterlöse verfehlen. Wird er nur für seinen Gesamterlös entlohnt, wird er kleine Kunden vielleicht als Zeitverschwendung ignorieren. Abhängig von der Branche können sich beide Anreizsysteme als verheerend erweisen. Genauso ist es mit der Armut. In schlecht verwalteten Ländern, deren Bürokratien über Generationen hinweg ihre Leistung niemals bewerten lassen mussten, erscheint eine solche Messung zunächst als gute Idee. Doch die MDGs vereinfachen übermäßig. Gelingt es beispielsweise Ländern, Mädchen in die Schule zu bringen, heißt das, dass sie die Gleichheit der Geschlechter und die Stärkung von Frauen erfolgreich gefördert haben? Solch eine Vereinfachung 209

211 kann dazu führen, dass voreilig Erfolge verkündet werden, es kann aber auch die Fehlleitung von Ressourcen bedeuten. Im Fall von Bildung erscheint beispielsweise das Ziel allgemeiner Grundschulbildung politisch attraktiv, doch führt es zwangsläufig zu Entwicklung? Könnte Afrika nicht mehr Wachstum erreichen, wenn einige der Finanzmittel für die Grundschulbildung in technische Schulen umgeleitet würden, um jene Maurer, Zimmerleute und Elektriker hervorzubringen, die auf dem Kontinent chronisch knapp sind? In einer Welt unbegrenzter Ressourcen ist mehr Bildung besser als weniger. Sind die Ressourcen aber begrenzt, ist es nötig, die Primärbildung gegen die sekundäre, berufliche und tertiäre Bildung auszubalancieren. Durch die Fokussierung auf die Bruttoschülerzahl vernachlässigt Afrika ein noch wichtigeres Problem: Seine Schulen weisen bei der Wissensvermittlung an die Schüler eine ärmliche Bilanz auf. Viele Faktoren tragen hierzu bei, unter anderem unqualifizierte Lehrer, schlechte Lehreraus- und -fortbildung, niedrige Gehälter, unfähige Verwaltungen, Versorgungsmangel, schlechte Bücher und Lehrmittel, Unterricht in nicht vertrauten Kolonialsprachen sowie Lehrmethoden, die auf Auswendiglernen beruhen. Das Beispiel Sambia veranschaulicht das Problem falscher Schwerpunktsetzung. In der Kolonialzeit wurde an den Eliteschulen für die Kinder von Kolonialbeamten in Englisch unterrichtet, während so genannte Eingeborenenschulen sich der einheimischen Sprachen bedienten. Als Ausdruck politischer Symbolik verfügte Sambias erste Regierung, dass alle Kinder in Englisch unterrichtet werden sollten. Niemand wies darauf hin, dass es zu wenig Lehrer gab und auf dem Lande nur sehr wenige Familien Englisch sprachen. Dreißig Jahre vergingen, bevor systematische Bemühungen unternommen wurden, die Alphabetisierung zu messen. Dann wurde ermittelt, dass drei Viertel der Grundschulabsolventen funktionale An alphabeten waren, weil sie den Unterricht in einer Fremdsprache nur über sich hatten ergehen lassen. 210

212 Um die Angemessenheit der MDGs zu ermitteln, muss man zuerst fragen, welches genau die Entwicklungsprobleme sind, die Afrika aufhalten. Ist der Kontinent weniger konkurrenzfähig, weil ihm Geld fehlt, oder fehlt ihm Geld, weil es an Produkten mangelt, die die Leute kaufen wollen, sowie an den Technologien, die es bräuchte, um mehr aus den natürlichen Ressourcen zu machen? Unterentwicklung führt zu Müttersterblichkeit, Tod durch vermeidbare Kinderkrankheiten und andere Leiden, doch die Heilung dieser Symptome würde Afrika nicht zwangsläufig das Know-how geben, um als entwickelter Kontinent dazustehen. Die MDGs werden Afrika nicht entwickeln, weil sie nicht auf Wachstum und Produktivität gerichtet sind. Ohne Wachstum wird Afrika der Armut niemals entkommen. Stattdessen wird es einer ewigen Eindämmung der schlimmsten Auswirkungen von Armut durch Almosen entgegensehen. Das ist kein Rezept für erfolgreiche Eigenständigkeit. Selbst wenn man annimmt, dass alle MDGs bis zum Zieljahr 2015 erreicht werden, ist es möglich und sogar wahrscheinlich, dass Afrika dann wirtschaftlich weiter zurückliegt als heute. Selbst wenn Afrika die MDGs übertreffen und sich seinen Konflikten, Ordnungs- und Bildungsproblemen zuwenden würde, ist anzunehmen, dass sich die übrige Welt in weit schnellerem Tempo entwickeln und Afrika auf den wenigen Märkten, die der Kontinent hat, ausstechen würde. China hat die nötige Kapazität, niedrige Löhne und eine solide Infrastruktur, um Afrikas bescheidene verarbeitende Industrie auszulöschen. Und die konkurrenzfähigen tropischen Landwirtschaftsproduzenten in Lateinamerika und Südostasien könnten Afrika die Märkte für Kaffee, Tee, Kakao, Sisal und Gemüse wegnehmen, auf denen Afrika einen halbwegs festen Stand hat. Die MDGs haben sich des entwicklungspolitischen Denkens bemächtigt, weil die marktorientierten Strukturreformen des IWF kein schnelles Wachstum auslösten und in vielen Fällen die Arbeitslosigkeit erhöhten. Viele Politiker und Analyti- 211

213 ker folgerten fälschlich, Afrika sei ein Sonderfall und die Konzentration auf Wachstum könne hier nicht wie überall sonst auf der Welt funktionieren. Die Ära der strukturellen Anpassung erwies die Wachstumsstrategien aber nicht als falsch. Vielmehr zeigte sie, dass strukturelle Anpassung notwendig, aber nicht hinreichend ist. Sie konzentrierte sich auf die Wiederherstellung finanzwirtschaftlicher Gesundheit, doch es hätte zusätzlicher Reformen bedurft, um Verschwendung, Bürokratie, schlechte Infrastruktur, bad governance und unzureichende Fertigkeiten anzugehen, die Afrikas Wirtschaft lähmen. Die Ausrichtung der afrikanischen Entwicklungs- und Regierungsaktivitäten auf die simplifizierenden MDGs wird mit hohen Opportunitätskosten einhergehen. Der Kontinent wird das nächste Jahrzehnt und alle verfügbaren Ressourcen aufwenden und dennoch nicht mit den Gesundheits-, Hungerund Bildungssymptomen der Armut fertig werden. Die MDGs werden die Aufmerksamkeit von Investitionen ablenken, die das Wachstum und den Arbeitsmarkt direkt ankurbeln und somit in Zukunft mehr Ressourcen für Sozialprogramme schaffen könnten. Kernpunkte für afrikanische Millennium-Wachstumsziele Wie aber könnten stärker wachstumsorientierte Ziele aussehen? Um die Debatte anzufachen, folgt hier ein erster Entwurf eines solchen Sets afrikanischer Millennium-Wachstumsziele. 1. Stärkung der gewerblichen Infrastruktur: Verdoppelung der Zahl schlaglochfreier und dem A- Standard entsprechender Straßen. Investoren führen immer wieder die schlechte Qualität und die hohen Kosten des afrikanischen Transportwesens als ein Haupthin- 212

214 dernis für die Konkurrenzfähigkeit auf dem Kontinent und auf den Exportmärkten an. Investitionen in neue Elektrizitätswerke und die Verteilungsinfrastruktur, um innerhalb von fünf Jahren die Lastverteilung zu gewährleisten und alle Stromausfälle zu beseitigen. Firmen im Allgemeinen und verarbeitende Betriebe im Besonderen verweisen auf die häufigen Energieausfälle in afrikanischen Ländern als ein wirtschaftliches Hindernis. Eine Untersuchung in Uganda ergab, dass 25 % des Investitionskapitals in den Kauf privater Generatoren floss, weil die staatlichen Versorger zu unzuverlässig waren. Verdoppelung der Hafenkapazitäten und des Tempos bei der Zollabfertigung bis Afrikanische Häfen sind chronisch langsam, ineffizient und haben eine unberechenbare Zollabfertigung. Eine Erhöhung der Effizienz würde den Umschlag erhöhen, die Transportkosten senken, die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte steigern und die Kapitalkosten für die im Transit befindlichen Güter senken. 2. Investitionen in die ländliche Wirtschaft: Verdoppelung der operativen Ausgaben und der Reallöhne in landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen. Viele Jahre lang hat Afrika die Investitionen in landwirtschaftliche Forschung und die Aus- und Weiterbildung von Bauern gekürzt. Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel aller Afrikaner in ländlichen Gebieten leben, können Investitionen in Forschung und Entwicklung von neuen landwirtschaftlichen Verfahren die Nahrungsmittelsicherheit direkt unterstützen, ländliche Einkommen steigern und die Exporte erhöhen. Verdoppelung der Kapazitäten für die Lagerung von Getreide. Afrika leidet unter chronischer Nahrungsmittelunsicherheit; wechselweise verderben Rekordernten 213

215 214 oder es werden hohe Ausgaben für Nahrungsmittel- Notlieferungen in Dürrezeiten notwendig. Investitionen in gut organisierte Nahrungsmittellager- und -sicherheitssysteme könnten die Preise stabilisieren und bäuerliche Investitionen ermutigen, da die Preise für Bauern voraussehbarer würden. Verlässlichere Einkommen erlauben es den Bauern, stärker in produktive Landwirtschaftstechnologien zu investieren. Subventionierung des Verkaufs kleiner Bewässerungsanlagen auf kommerzieller Basis. Indien, Bangladesch, Malawi und andere Länder haben dramatische Erhöhungen der Produktivität und Wohlfahrt von Kleinbauern durch den kommerziellen Verkauf subventionierter Kleinbewässerungsanlagen erreicht. Sie ermöglichen auch in trockenen Jahren die Produktion, erlauben Mehrfachernten und höhere Ernteerträge. Steuerliche Anreize für Exporteure und verarbeitende Industrie mithilfe von contract farming. Viele kommerzielle Agrarerzeugnisse müssen vor dem Export zentral weiterverarbeitet werden. Während Regierungen sich damit abmühen, landwirtschaftliche Aus- und Weiterbildung, Vorleistungen und Kredite bereitzustellen, bieten kommerzielle Verarbeitungsbetriebe eine effizient arbeitende zentrale Anlaufstelle, die Kleinbauern beim Einstieg in die kommerzielle Landwirtschaft hilft. Diese Firmen bilden Bauern aus, sorgen für das richtige Maß an Vorleistungen und bieten Kredite sowie Marktzugang zu vereinbarten Preisen. Diese Kombination hat große Zuwächse bei den ländlichen Einkommen gebracht. Contract farming sollte durch steuerliche Anreize und infrastrukturelle Unterstützung gefördert werden. Erfolgreiche Beispiele gibt es in der Tabak-, Kaffee- und Teeindustrie. South African Breweries bedient sich in Uganda eines solchen Modells für die Produktion des für sein Bier benötigten Getreides. Zu anderen erfolg-

216 reichen Firmen gehören Clark Cotton in Sambia, die Blue Skies-Fruchtexporteure in Ghana und verschiedene Verarbeitungsbetriebe in Kenia und Südafrika. Investitionen in Molkereibetriebe, Kühllager und Vermarktung, um den Wert von Afrikas großen Viehbeständen zu erschließen. Afrika verfügt über ein erhebliches heimisches Wissen beim Management von Viehbeständen und großen Herden, realisiert bei Milchprodukten aber nur sehr wenig von ihrem Wert. Investitionen in Molkereigenossenschaften könnten die ländlichen Einkommen und die Nahrungsmittelsicherheit verbessern. Schaffung oder Ausweitung von Forschungs- und Zertifizierungseinrichtungen, um Bauern zu unterstützen, die geforderten Standards bei Agrarexporten (Pflanzengesundheit, Qualität und Verpackung) zu erfüllen. Afrikas Klima bietet das Potenzial für erheblich größere Agrar-, Vieh- und Fischexporte, doch fehlt Kleinbauern die Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass ihre Produkte den Standards der Importländer entsprechen. Investitionen in genossenschaftliche nationale oder regionale Prüfzentren und von ihren Mitgliedern getragene Vermarktungsorganisationen könnten Kleinbauern helfen, sich über lukrative ausländische Märkte zu informieren und Zugang zu ihnen zu erhalten. Während sich staatliche Vermarktungs- und Prüfmonopole als schwerfällig und unflexibel gezeigt haben, können Bauernorganisationen und Genossenschaften mit staatlicher Unterstützung bei Prüf- und Forschungszentren das ungenutzte Potenzial afrikanischer Bauern durchaus erschließen. Verdoppelung der Investitionen in ländliche Zubringerwege. Kleinbauern können den Wert ihrer Erzeugnisse nur realisieren, wenn sie diese auf den Markt bringen können. Investitionen in ländliche Zubringerwege 215

217 216 können den Marktzugang erweitern und die ländliche Entwicklung vorantreiben. 3. Investitionen in Ausbildung und Forschung: Die MDG- Konzentration auf Grundschulbildung wird wenig dabei helfen, Afrika wettbewerbsfähig zu machen. Afrika kann nur zum Rest der Welt aufschließen und die Konkurrenzfähigkeit seiner Produkte erhöhen, wenn es in technische Fähigkeiten investiert. Ein konzertiertes Programm zur Ermittlung und Korrektur des Mangels an Fertigkeiten wird das Wachstum fördern. Verdreifachung des jährlichen Ausstoßes an qualifizierten und angelernten Arbeitskräften. Afrikanische Firmen berichten von einem großen Mangel an technischen Arbeitskräften, darunter Elektriker, Zimmerleute, Maurer, Installateure und Mechaniker, die sie für den Auf- und Ausbau ihrer Unternehmen bräuchten. Direktinvestitionen in technische Schulen sowie steuerliche Anreize zur Ausbildung für Unternehmen können die Zahl dieser wertvollen Arbeitskräfte steigern. Verdreifachung der Zahl von Universitätsabsolventen in Buchhaltungswesen und Projektmanagement. Das UN-Millennium-Projekt und die Commission for Africa stellten, neben anderen, einen erheblichen Kapazitätsmangel beim Finanz- und Projektmanagement und im Buchhaltungswesen fest. Dies vermindert Afrikas Fähigkeit, Entwicklungsgelder nutzbar zu machen, und ist ein Hindernis für das Wachstum von Unternehmen. Verabschiedung von Gesetzen zur gemeinsamen Nutzung von Patenten und Lizenzen, damit Hochschulen mit der Privatwirtschaft in der industriellen und landwirtschaftlichen Forschung zusammenarbeiten können. Der Erfolg der elektronischen, chemischen, pharmazeutischen, landwirtschaftlichen und anderer Industrien in den USA, Europa, Brasilien und Asien basierte

218 auf enger Zusammenarbeit zwischen Universitäten und der Industrie. Sie wurden durch Gesetze dazu gebracht, die die gemeinsame Verwendung von Lizenzen und Patenten sowie Joint Ventures zulassen. Afrika sollte dasselbe tun. Halbierung der Studiengebühren für technische, natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer. Afrika bringt zu viele Absolventen in den Geistes- und Sozialwissenschaften hervor, während an technischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten Mangel herrscht. Anreize und differenzierende Studiengebühren könnten mehr Studenten dazu bringen, für die wirtschaftliche Entwicklung wichtige Studienfächer zu wählen. Steigerung der Investitionen in den Mathematik- und naturwissenschaftlichen Unterricht auf Sekundarschulebene. Der Mangel an naturwissenschaftlichen Universitätsabsolventen ist die Folge von mangelndem und mangelhaftem Unterricht in den Sekundarschulen. Höhere Investitionen in Mathematik und Naturwissenschaften auf Sekundarschulebene werden sich für Afrika auszahlen. 4. Erhöhung von Krediten und Ersparnissen: Schätzungsweise 40 % von Afrikas Einnahmen werden im Ausland investiert, während es afrikanischen Firmen an Krediten mangelt. Afrika kann das Wachstum durch Strategien zur Förderung von Ersparnissen steigern, aus denen Kredite für produktive Investitionen vergeben werden können. Zinssenkung auf 15 % oder weniger innerhalb von fünf Jahren. Überall auf der Welt senken Regierungen Zinsen, um Investitionen und Wachstum zu steigern. Doch die afrikanischen Zinsen sind aufgrund von hohen Inflationsraten, deficit spending und dem Versuch, den Außenwert der Währungen zu verteidigen, unerschwinglich hoch. Ein konzertiertes Programm zur Be- 217

219 218 schränkung von Defiziten, Begrenzung von Inflation und Zinssenkungen würde das Kreditvolumen für die industrielle Expansion erhöhen. Stärkung der Bankenaufsicht, um faule Kredite abzuschreiben, politische Kreditvergabe zu vermeiden und das Kreditvolumen für produktive Investitionen zu erhöhen. Afrikanische Banken sind schwach, schlecht reguliert und oft wegen uneinbringlicher Forderungen an politisch mächtige Schuldner vom Zusammenbruch bedroht. Eine bessere Aufsicht würde die Abschreibung fauler Kredite erleichtern und eine gesunde Kreditvergabepraxis gewährleisten. Schaffung eines computergestützten Erfassungssystems und Registrierung säumiger Schuldner. Banken scheuen die Kreditvergabe, weil faule Kredite schwer einzutreiben und Problemschuldner kaum auffindbar sind. Helfen kann eine computergestützte Erfassung und ein Register säumiger Schuldner. Beides kann Kreditverluste verringern und Banken zur verstärkten Darlehensvergabe veranlassen. Investition nationaler Pensionsgelder in Afrika statt in der entwickelten Welt. Afrikanische Pensionsfonds investieren Milliarden US-$, die auf dem Kontinent produktiv investiert werden könnten, außerhalb Afrikas. Einer Schätzung zufolge verfügen die Pensionsfonds für Staatsangestellte in 14 afrikanischen Ländern über einen Gesamtwert von 127 Mrd. US-$. 5. Erhöhung der Inlandseinnahmen: Afrika leidet chronischen Mangel an Mitteln für die Entwicklungsfinanzierung, könnte aber viel mehr unternehmen, um Mittel für Wachstum zu mobilisieren. Besteuerung von Luxusgütern einschließlich teurer Autos und Konsumelektronik zur Finanzierung zusätzlicher Investitionen. Werden Luxusautos, Heimki-

220 nosysteme und importierte Nahrung sowie alkoholische Getränke für Gourmets wirklich gebraucht? Die Erhebung hoher Steuern auf solche Waren würde die Einnahmen erhöhen und helfen, Mittel für produktivere Ausgaben bereitzustellen. Halbierung der Regierungsausgaben für die Nutzung von Mobiltelefonen, für Fahrzeuge und internationale Reisen. Regierungen verschwenden ungeheure Summen für Luxus. Hier kann gespart werden. Die politische Reformagenda 1. Förderung von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit: Die mangelnde Bereitschaft der Banken, Kredite zu vergeben und das Zögern ausländischer Firmen, zu investieren ist auch auf das Versagen afrikanischer Gerichte zurückzuführen, gerechte und schnelle Urteile zu fällen. Investi tionen in die Kompetenz und Effizienz der Gerichte könnten auch das Vertrauen der Bürger in das Gemeinwesen verbessern, denn derzeit sind sie vielerorts mit Bestechungsforderungen konfrontiert, wenn sie bei der Polizei oder bei Gericht um Hilfe nachsuchen. Verdopplung der Kapazität der Gerichte und Drittelung der Zeit und Kosten für Urteile in Wirtschaftssachen. 2. Abbau von Bürokratie: Die jährliche Übersicht der Weltbank zu den Auswirkungen von Regulierung auf Unternehmen weist Afrika als den schwierigsten Kontinent für unternehmerische Aktivitäten aus. Im Durchschnitt dauert es 433 Tage und erfordert 35,4 Vorgänge, um in Afrika südlich der Sahara einen Vertrag durchzusetzen. 1 Ein Un- 1 Für die Zahlen vgl. World Bank Doing Business 2005 Online Database: ( ). 219

221 ternehmen zu eröffnen erfordert durchschnittlich 10,84 Vorgänge und dauert 62 Tage, wobei die Kosten das Dreifache des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens betragen. 2 Verringerung der für die Unternehmenseröffnung nötigen Anzahl von Schritten und des Zeitaufwandes um zwei Drittel. Verringerung der notwendigen Schritte und des Zeitaufwandes, um Grundstücke für Wirtschaftsaktivitäten zu erwerben, um zwei Drittel. Umwandlung des Grundbesitzes vom gewohnheitsrechtlichen in freie Rechtstitel bis Herstellung gleicher Bedingungen für alle wirtschaftlichen Akteure durch Korruptionsbekämpfung: Korruption wird regelmäßig als wichtiges Investitionshindernis in Afrika angeführt. Sie verhindert effiziente unternehmerische Aktivitäten, verzerrt und verzögert Regierungsentscheidungen und lenkt Geld aus der produktiven Nutzung in private Taschen um. Verdopplung der finanziellen und personellen Ausstattung von Anti-Korruptions-Behörden, der Rechungshöfe, Ausschreibungsgremien und Rechnungsprüfungsabteilungen. 2 In China, Afrikas wahrscheinlich größtem Konkurrenten bei Investitionen und verarbeiteten Produkten, erfordert es nur 13 Vorgänge und 48 Tage, um ein Unternehmen zu eröffnen, sowie 25 Vorgänge und 241 Tage, um einen Vertrag durchzusetzen. Der Durchschnitt für die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt bei 6,5 Vorgängen und 19,5 Tagen für eine Unternehmenseröffnung sowie 19,5 Vorgängen und 225,7 Tagen, einen Vertrag durchzusetzen. In Ost asien braucht man 8,88 Vorgänge und 34,5 Tage, um ein Unternehmen zu eröffnen, sowie 26,38 Verfahren und 265,5 Tage, um einen Vertrag durchzusetzen. (Zu Ostasien zählen hier China, Hongkong, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand, Taiwan und Vietnam.) 220

222 Einführung von Ausschreibungsgesetzen, die zu Transparenz verpflichten. Verabschiedung von Gesetzen, die Interessenkonflikte für Staatsangestellte klar benennen und Angehörigen von Politikern und Staatsdienern die Teilnahme an staatlichen Ausschreibungen verbieten. Verabschiedung von Gesetzen, die die vollständige Offenlegung der Privatvermögen von Parlamentariern, Ministern, Präsidenten, Richtern und Angehörigen des höheren öffentlichen Dienstes vorschreiben. Die Informationen müssen für die Allgemeinheit und die Medien zugänglich sein. Verpflichtung aller Unternehmen, alle direkten oder über Mittelsmänner vorgenommene Zahlungen an Regierungsbeamte offen zu legen. Verabschiedung von Gesetzen, die Bürgern und Medien den zeitnahen Zugang zu allen Ausschreibungsdokumenten ermöglichen. Abschaffung von Zulassungsvoraussetzungen für Journalisten und Medieneinrichtungen und Entkriminalisierung von»ehrverletzungen«. Zulassung unabhängiger kommerzieller Radio- und Fernsehanstalten im gesamten Staatsgebiet. Afrika braucht eine andere Reformagenda Die MDGs sind nicht nur zu einem globalen Leistungsmaß, sondern zunehmend auch zu einem Wegweiser für Entwicklungsprogramme geworden. Die Ziele werden als politisches Mantra verwendet, das verhindert, die Fokussierung der Entwicklungszusammenarbeit zu überprüfen. Afrika hat mehr Bedürfnisse als es finanzielle Mittel hat auch angesichts der jüngsten Versprechungen, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu verdoppeln. Wenn alle neuen Gelder auf die 221

223 MDGs umgelenkt würden, könnte der Kontinent die schlimmsten Aspekte seiner Armut mildern schlechte Gesundheitsversorgung, unzureichende Bildung und weit verbreiteten Hunger. Ein solcher Ansatz wird aber nichts dazu beitragen, etwas an den tiefer liegenden Ursachen der afrikanischen Armut zu ändern: Der Kontinent ist arm, weil seine Industrien nicht wettbewerbsfähig und die Kosten zu hoch sind. Steigende Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit stellen eine seltene Gelegenheit für Afrika dar, in Dinge zu investieren, die seine produktive Kapazität und Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Statt sich auf Gesundheitsversorgung, Bildung und Hunger zu konzentrieren, muss Afrika eine alternative Strategie verfolgen, die auf die Förderung von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit abzielt. Dieses Alternativrezept sollte sich auf konkrete Verbesserungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konzentrieren, die den Zugang für Investoren erleichtern, die Kosten senken, grundlegende, von der Wirtschaft benötigte öffentliche Dienstleistungen verbessern, die Korruption bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit stärken können. Afrika sollte nicht seine Sozialprogramme kürzen, aber darf für sie nicht Maßnahmen hintanstellen, die es zu einem besseren Wirtschaftsstandort mit mehr Arbeitsplätzen machen. Übersetzung: Henning Boekle 222

224 EVELINE HERFKENS, MANDEEP BAINS Damit die Millennium-Entwicklungsziele nicht nur eine Vision bleiben Herausforderungen für den Norden Als sich im September 2000 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt bei den Vereinten Nationen trafen, herrschte Aufbruchstimmung. Die 189 politischen Führer betrachteten es als dringend,»unsere Mitmenschen Männer, Frauen und Kinder aus den erbärmlichen und entmenschlichenden Lebensbedingungen der extremen Armut zu befreien«. 1 Dringlich war und ist dieses Anliegen tatsächlich: 1,1 Mrd. Menschen leiden unter derart extremer Armut, dass sie gezwungen sind, mit weniger als 1 US-$ am Tag zu überleben. Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, um ein aktives Leben führen zu können, und mehr als 100 Mio. Kinder gehen nicht zur Schule. Und obwohl das Recht auf Leben und Sicherheit zu den grundlegenden Menschenrechten gehört, wird dieses Recht durch bewaffnete Konflikte in der ganzen Welt systematisch verletzt. Vor diesem Hintergrund unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs die Millennium-Erklärung, mit der sie sich verpflichteten, gemeinsam gegen Armut und Hunger, die Ungleichheit der Geschlechter, Umweltverschmutzung und HIV/ AIDS zu kämpfen. Sie versprachen auch, den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sauberem Trinkwasser deutlich zu verbessern, und dies alles bis zum Jahr Mit 1 Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen, Resolution der Generalversammlung, UN/DOC/A/RES/55/2. New York 8. September

225 der Erklärung gaben sie den Bürgern der Welt ein feierliches Versprechen, das sich insbesondere in den acht Millennium- Entwicklungszielen (Millennium Development Goals, MDGs) manifestierte. Mit der Einigung auf die MDGs zeigten die politischen Führer ein enormes Maß an visionärer Kraft: sie entwickelten die Vision, unsere Welt wahrhaftig zu verändern, und dies innerhalb einer Generation. Doch Visionen sind ohne ihre Verwirklichung nur Illusionen. Wo stehen wir also bei der Verwirklichung? Fortschritte bei der Umsetzung der MDGs Nach sechs Jahren der 15-jährigen Umsetzungsperiode kann man nur von einem langsamen und ungleichmäßigen Fortschritt sprechen. Wenn es weitergeht wie bisher werden wir auf globaler Ebene nur einige der Ziele erreichen. Und selbst wenn es Erfolge auf globaler Ebene geben sollte, werden die ärmsten Länder und die verwundbarsten Bevölkerungsteile zurückbleiben. Ein Beispiel hierfür ist das medienwirksame Ziel, den Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als 1 US-$ am Tag leben muss, bis 2015 zu halbieren. Wir sind auf gutem Wege, dieses Ziel auf globaler Ebene zu erreichen. Obwohl dies eine bedeutende Leistung darstellt und nicht unterschätzt werden sollte, wird dieses Ziel hauptsächlich durch Entwicklungen in den bevölkerungsreichen Ländern Indien und China erreicht werden. Viele Länder vor allem in Afrika südlich der Sahara sind vom erforderlichen Fortschritt weit entfernt. Das Bild erscheint noch weniger rosig, wenn wir die anderen Ziele betrachten. Keine Region ist auf dem Weg, alle Ziele zu erreichen, und weder Südasien noch Afrika südlich der Sahara sind dabei, auch nur eines der auf menschliche Entwicklung gerichteten Ziele zu erfüllen, also der Ziele 2 bis

226 Dennoch sollten wir nicht die Hoffnung verlieren. Auch wenn das Gesamtbild keineswegs befriedigend ist, gibt es einige ermutigende Zeichen. Beispielsweise können Mosambik und eine Reihe anderer afrikanischen Länder südlich der Sahara das Armutsziel erreichen, auch wenn es die Region als Ganzes verfehlen wird. Zehn afrikanische Länder südlich der Sahara einschließlich Ruanda, Uganda, Mali, Mosambik und Tansania sind auf dem Wege, das Ziel allgemeiner Grundschulbildung bis 2015 zu erreichen. Hinzu kommen in Ostasien und Lateinamerika eine Zunahme der Impfraten bei Kindern und eine steigende Zahl der Geburten, die von ausgebildetem Personal begleitet werden. Dies wird bei der Erreichung der auf Kinder- und Müttersterblichkeit gerichteten Ziele helfen. Und schließlich haben einige hauptbetroffene Länder die HIV- Infektionsrate erfolgreich verringert, obwohl sich HIV/AIDS weltweit weiterhin ausbreitet. Diese Erfolge zeigen, dass selbst die ärmsten Länder die Ziele erreichen können. Das Geheimnis hinter diesen Erfolgen ist, dass sowohl die Empfänger- als auch die Geberregierungen ihren Teil dazu beitrugen: Die Regierungen der Entwicklungsländer trafen die richtigen Entscheidungen, indem sie der Entwicklung und den Bedürfnissen der Armen Priorität einräumten, während die Geber mehr und qualitativ bessere Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sowie Schuldenerlasse gewährten. Trotz dieser positiven Anzeichen dürfen wir nicht verkennen, dass das gegenwärtige Fortschrittstempo keinesfalls ausreicht, um alle MDGs bis 2015 zu erreichen. Keine noch so große Zahl positiver Beispiele darf verdecken, dass das der Welt gegebene Versprechen nach gegenwärtigem Stand aller Voraussicht nach gebrochen werden wird. Aber wir sollten daraus nicht schließen, dass die MDGs selbst das Problem sind. Natürlich sind die Ziele nicht perfekt. Und es gibt auch sicher mehr, was Entwicklung ausmacht, als die acht MDGs. Trotzdem haben sie gegenüber vorangegangenen internationalen Entwicklungszielen zahlreiche Vorteile. 225

227 Mit den MDGs entstand zum ersten Mal eine gemeinsame Vision der Entwicklungsgemeinschaft, die über nahezu vier Jahrzehnte von Meinungsverschiedenheiten geprägt war. Während der 1990er Jahre entwickelte sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung über die entwicklungspolitischen Erfordernisse. Auch wenn wir noch keine Antworten auf alle Probleme der Welt besitzen, so haben wir doch ein ausreichendes Einvernehmen darüber, was getan werden muss, um direkt und massiv auf das Leben der Ärmsten einwirken zu können. Die Ziele sind ergebnisorientiert, quantifiziert und zeitgebunden. Fortschritt lässt sich dadurch direkt verfolgen. Erstmals benannten die Länder Ziele, über deren Erreichung sie Rechenschaft ablegen müssen. Anders als in der Vergangenheit sind die Ziele messbar und können kontrolliert werden. Dadurch wurden die MDGs zu den zentralen Parametern für die Messung von Fortschritt bei den globalen Entwicklungsanstrengungen. Die MDGs sind aber nicht nur wichtige Parameter auf globaler Ebene, sondern auch Richtgrößen für politische Strategien und Planungen in den Entwicklungsländern. Die Ziele und ihre Indikatoren können an die jeweilige nationale, regionale und lokale Situation und dortige Prioritäten angepasst werden. In manchen Fällen wurde bestimmten Zielen gegenüber anderen Priorität gegeben, in anderen haben Länder oder Regionen Ziele hinzugefügt oder Zielvorstellungen erweitert. Auch sind die MDGs sehr umfassend; sie schließen eine große Zahl verschiedener Aspekte der Armut ein, wie sie von den verwundbarsten Bevölkerungsteilen in den Entwicklungsländern erfahren werden. Die umfassende Natur der Ziele ermöglicht wichtige Synergien. Wenn wir etwa in Sambia, wo Schulen wegen an AIDS erkrankten Lehrern geschlossen wurden, Fortschritte beim AIDS-Ziel machen, wird dies auch dabei helfen, die Bildungsziele zu verwirklichen. Noch wichtiger ist, dass die MDGs auf einem menschenrechtlichen Ansatz basieren. Dieser Ansatz erinnert daran, dass 226

228 es bei Entwicklung um Freiheit geht: Freiheit von Elend und Leiden, von Hunger, von Analphabetismus, von Krankheit, von schlechten Wohnverhältnissen und von Unsicherheit. Er verweist auch darauf, dass es bei Entwicklungsanstrengungen nicht um Mildtätigkeit geht, sondern um Rechte und gerechtfertigte Ansprüche traditionelle Menschenrechte, aber auch soziale und wirtschaftliche Rechte auf der Grundlage der Anerkennung struktureller Ursachen von Armut. Doch die Ziele tragen im Kern nicht nur die Rechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger armer Länder, sondern reflektieren auch das, wonach sie streben. Und das sind Bestrebungen, auf die sich Menschen überall auf der Welt beziehen können wie etwa Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Bildung. So konnten die Ziele zu einer gemeinsamen Forderung für verschiedene Gruppen werden. Die Einfachheit, Klarheit und Messbarkeit der MDGs hatte einen katalytischen Effekt auf die globalen Entwicklungsanstrengungen. Die Einzigartigkeit der Ziele liegt aber vor allem darin, dass sie insbesondere durch das achte Ziel ausdrücklich anerkennen, dass die Ausrottung der Armut die gemeinsame Verantwortung sowohl der reichen als auch der armen Welt ist und dass die Ziele nur durch eine globale Partnerschaft für Entwicklung erreicht werden können. Die Anerkennung gemeinsamer Verantwortung reifte aus der Einsicht, dass unsere Nationen voneinander abhängig sind sei es durch unsere gemeinsame Umwelt, durch Migrationsströme oder durch die Ausbreitung von Krankheiten oder Konflikten. Diese globalen Interdependenzen machen Armut und Ungleichheit zu unseren gemeinsamen Feinden. Heute bezeichnen wir sie als Globalisierung; Willy Brandt sprach schon in den 1970er und 1980er Jahren von diesen Interdependenzen und unterstrich, dass zunehmend offene Volkswirtschaften einer regelbasierten Global Governance bedürfen. Auch wenn wir von einer umfassenden und fairen Weltordnung noch weit entfernt sind, geben uns die MDGs die 227

229 Möglichkeit, eine inklusivere Weltgemeinschaft zu errichten, die auf eine sicherere und bessere Welt hinarbeitet. Denn die Ziele stellen eine Vereinbarung für Entwicklung zwischen reichen und armen Ländern und einen brauchbaren Handlungsrahmen dar. Der von den Zielen skizzierte Rahmen weist armen und reichen Ländern eine klare Arbeitsteilung zu. Die Entwicklungsländer sie haben die Hauptarbeit zu verrichten müssen die politischen Bedingungen schaffen, damit die ersten sieben Ziele erreicht werden können. Darüber hinaus haben sie sich verpflichtet, ihr Regierungshandeln, dessen Transparenz und Verantwortlichkeit zu verbessern. Damit erhöht sich die Chance, dass die Regierungen die eingegangenen Verpflichtungen auch umsetzen, und es wird die Fähigkeit der Zivilgesellschaft und der Parlamente gestärkt, Fortschritte zu kontrollieren. Die reichen Länder haben sich dagegen verpflichtet, globale Bedingungen zu schaffen, die den Entwicklungsländern die Erfüllung ihrer Aufgaben erleichtern. Obwohl Entwicklung mehr beinhaltet als die MDGs, bieten sie doch einen auf Arbeitsteilung gründenden globalen Handlungsrahmen für Entwicklungsfragen. Das ist neu. Selbst wenn sie nicht perfekt sind, bleibt uns keine Zeit für weitere Reflektionen. Wir müssen uns schnell ihrer entschlossenen Umsetzung zuwenden. Gegenwärtig fehlt es an schnellem Handeln seitens der Regierungen und es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür. Wir verfügen über die Technologie, das Wissen und die Ressourcen, die für die Umsetzung der Ziele nötig sind. Warum also liegen wir zurück? Es fehlt an der Aufbruchstimmung, wie man sie im September 2000 in New York spürte. Es fehlt an der Entschlossenheit, diese Ziele in den Mittelpunkt lokaler, nationaler und internationaler Politiken zu stellen. Es fehlt der politische Wille, nach dieser Vision zu handeln. Wir müssen die Aufbruchstimmung 228

230 wiederherstellen, und wir müssen Regierungen zum Handeln bringen. Reiche und prosperierende Länder etwa in Europa liegen genauso weit zurück wie die ärmsten Länder, und dafür gibt es keine Entschuldigung. Die Versprechen der reichen Länder sind im achten MDG enthalten. Diese verpflichten sie zu mehr und qualitativ besserer EZ, zum Schuldenerlass für die ärmsten Länder und zur Schaffung eines Welthandelssystems, das es Produzenten in den Entwicklungsländern erlaubt, sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das achte MDG ist genauso erreichbar, wie die übrigen Ziele: Es bedarf hierzu des Politikwandels und der politischen Entschlossenheit auf höchster Ebene. Bürger müssen Druck auf ihre Regierungen ausüben, damit diese ihre Versprechen halten. Es kommt darauf an, dass normale Bürger zu sagen beginnen:»wir müssen unsere Zusagen mit Blick auf die Hilfeleistungen halten und unsere schädlichen Handelspolitiken ändern, um die MDGs zu erreichen.«politischer Wille kann nur entstehen, wenn Politiker politischen Druck seitens der Bürger verspüren die Angst, Wahlen zu verlieren, ist ein machtvoller Ansporn. Mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit Im Jahr 2005 beschlossen die Mitgliedsländer der EU-15, bis 2015 endlich gemeinsam ihr 35-jähriges Versprechen umzusetzen, 0,7 % ihres Bruttoinlandseinkommens als Mittel für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) zur Verfügung zu stellen. Obwohl 1970 nahezu alle reichen Länder dieses Versprechen gegeben hatten, wird es gegenwärtig gerade von fünf Ländern allesamt in Europa erfüllt (und übererfüllt). Für die übrigen gilt, dass sie nun einen Zeitplan für die Umsetzung des Versprechens aufstellen und zügig mehr ODA-Ressourcen bereitstellen müssen. Eine Erhö- 229

231 hung der ODA-Budgets bedarf nicht nur der Überwindung finanzieller Hürden, sondern auch erheblicher Anstrengungen bei Verwaltung und Management. Dies kann nicht über Nacht, sollte aber sobald wie möglich geschehen. Deutschland ist ein Beispiel für ein Land, das endlich für die Umsetzung seines 0,7 %-Versprechens tätig werden muss entsprach Deutschlands ODA lediglich 0,35 % seines Nationaleinkommens, doch ergab sich dieser relativ hohe Wert aus den Schuldenerlassen von lag Deutschlands ODA bei nur 0,28 %; zieht man die Schuldenerlasse ab, so nahm die ODA von 2004 auf 2005 um nahezu 10 % ab! Dies bedeutet, dass das tatsächliche ODA-Niveau nach wie vor weit von der 0,7 %-Zielmarke entfernt ist. Und nicht nur das: Anders als andere Länder hat die deutsche Bundesregierung nicht einmal einen eigenen Zeitplan für die ODA-Erhöhungen bekannt gegeben obwohl Kanzlerin Angela Merkel ihr Bekenntnis zum 0,7 %-Ziel im schweizerischen Davos im Januar 2006 erneuert hat. Kanzlerin Merkel betonte, dass 2006 ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Zielmarke von 0,7 % sei. Für dieses Jahr haben Deutschland und alle anderen Staaten der EU-15 beim EU-Gipfel 2002 in Barcelona vereinbart, mindestens 0,33 % ihres Inlandseinkommens für ODA aufzuwenden. Für die Umsetzung der Mittelzusagen sind neue Finanzierungsquellen vonnöten. Mittlerweile gibt es darüber in Euro pa zahlreiche Diskussionen. Doch solche Diskussionen sind Zeitvergeudung, solange die Regierungen nicht das tun, was sie aus eigener Kraft zu tun versprochen haben. Das Gerede von innovativen Finanzierungsmechanismen ist eher geeignet, einen Nebelvorhang aufzuziehen, hinter dem sich die Regierungen untätig verstecken können. Innovative Finanzierungsquellen, die von einem einzelnen Land umgesetzt werden können, sind letztlich wenig mehr als eine Zweckbindung bestehender Steuereinnahmen. Es ist nicht klar, ob sie signifikante zusätzliche Mittel aufbringen können. 230

232 Und indem spezielle Gruppen von Steuerzahlern Passagiere oder andere herausgegriffen werden, mindern diese Mechanismen die Zahl der Bürger, die eine höhere ODA befürwortet. Internationale Arrangements über neue Finanzierungsquellen, die tatsächlich erhebliche Mittel aufbringen, werden nur in langwierigen, möglicherweise Jahre andauernden Verhandlungen vereinbart werden können. Doch dafür haben wir keine Zeit, wenn wir die MDGs erreichen wollen. Qualitativ bessere Entwicklungszusammenarbeit Auch wenn die Quantität der ODA wichtig ist und wir die moralische Verpflichtung haben, dass unsere Regierungen Versprechen halten, die sie vor Jahrzehnten gegeben haben, ist die Qualität der EZ genauso wichtig, möglicherweise sogar noch wichtiger. Dies wurde von Premierminister Tony Blairs Commission for Africa hervorgehoben, der auch neun Mitglieder aus Afrika angehörten. 2 Ohne Verbesserungen der EZ-Qualität kann die Armut nicht beseitiget werden. Zusammen mit anderen großen Geberländern hat Deutschland zugesagt, die Erklärung von Rom zur Geberharmonisierung von 2003 sowie die Erklärung von Paris zur Steigerung der Wirksamkeit der EZ von 2005 umzusetzen. Die Erklärung von Paris die umfangreichste ihrer Art basiert auf fünf Prinzipien. Um die Art der Veränderungen zu bennen, die die Geberländer in ihrer EZ vornehmen müssen, seien hier einige erwähnt. Ownership über Entwicklungspolitiken sollte erstens in den Händen der Entwicklungsländer liegen. Die Geberländer dürfen nicht ihre eigene Entwicklungsprioritäten setzen, sie müssen sich EZ-Methoden bedienen, die auf lokale ownership 2»Our Common Interest: Report of the Commission for Africa«. London, März

233 abzielen. Die Geberländer müssen zweitens ihre Unterstützung in höchstmöglichem Maße in die Strategien, Institutionen und Verfahren der Empfängerregierung integrieren. Die Regierungen der Entwicklungsländer müssen für die Entwicklung ihrer Länder verantwortlich gemacht werden schließlich sind es nicht die Geber, die die Länder entwickeln, sondern die Länder selbst. Deshalb müssen die Entwicklungsländer eine wirksame Kontrolle über und Verantwortung für Ressourcen ausüben und die Umsetzung ihrer Entwicklungspolitiken und -programme selbst organisieren. Dies ist von besonderer Bedeutung für das Erreichen der MDGs, schließlich geht es bei vielen Zielen um die dauerhafte Sicherstellung öffentlicher Dienstleistungen, sei es Gesundheitsversorgung, Bildung oder Trinkwasser. Das dritte Prinzip, das der Erklärung von Paris zugrunde liegt, ist Harmonisierung auf Seiten der Geberländer. Es gibt viele Wege, auf denen die Geberländer mehr und besser zusammenarbeiten können, so dass das Management der EZ für das Empfängerland weniger belastend ist. Zu oft führen die Geberländer Kleinprojekte durch oft viele gleichzeitig in einem Bereich, ohne sich miteinander zu koordinieren. Sie alle wollen Monitoring-Berichte, Evaluierungen, Rechnungsprüfungen sowie ihr Projekt mehrmals im Jahr besuchen, wobei sie oft genau dieselben Fragen stellen wie andere. Kurz: unzählige Geberanforderungen absorbieren erhebliche administrative Kapazität, die für die Erreichung der MDGs besser eingesetzt wäre. Deshalb ruft die Erklärung von Paris und die ihr vorausgehende von Rom die Geber dazu auf, ihren Partnern in den Entwicklungsländern weniger Lasten aufzubürden, etwa indem sie sich gemeinsamer Arrangements bei der Planung, Finanzierung und Umsetzung der EZ bedienen. Obwohl die Geberländer die Erklärungen von Paris und Rom unterzeichnet haben, sind sie bei der Erfüllung ihrer Zusagen zögerlich. Die neue deutsche Bundesregierung hat ihr Versprechen bekräftigt, die Effektivität ihrer EZ zu erhöhen. 232

234 Zusätzlich hat Deutschland in den vergangenen Jahren eine Reihe von Pilotvorhaben durchgeführt, in denen einige für Deutschland neue EZ-Modalitäten getestet werden (vgl. den Beitrag von Kranz-Plote). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat angeregt, die deutsche Regierung solle auf diesen Erfahrungen aufbauen und die neuen Verfahren in das Management der EZ integrieren. 3 Dies sollte von einer stärkeren Zusammenarbeit und einer besseren Arbeitsteilung mit anderen Gebern begleitet werden. Die neue Bundesregierung bekennt sich auch zur stärkeren Integration von Deutschlands Technischer und Finanzieller Zusammenarbeit (TZ/FZ). Die deutsche EZ war lange Zeit entlang dieser Unterscheidung institutionell aufgeteilt, jede Organisation mit getrennten Finanzierungsinstrumenten, -bedingungen und Berichtspflichten. Für die Regierungen der Entwicklungsländer bedeutet dies hohe Verwaltungskosten. Während es bei der Modernisierung und Integration dieser Organisationen Fortschritte gibt, vermutet die OECD, dass die Möglichkeiten für weitere Effektivitätsgewinne innerhalb der existierenden Struktur beschränkt sind und rät der Bundesregierung deshalb, eine grundlegendere Umstrukturierung in Betracht zu ziehen. Außerdem erleichtern die deutschen EZ-Mechanismen nicht gerade die ownership. Zum einen sind deutsche EZ- Organisationen vor Ort nur eingeschränkt präsent. Zum anderen zeigt sich Deutschland bei der Übergabe des finanziellen Managements an die Empfängerregierungen oder an von den Geberländern verwaltete Fonds zögerlich. Deutschland muss die Aktivitäten seiner Durchführungsorganisationen vor Ort integrieren sowie die Beschäftigung lokaler und regionaler Kräfte verstärken, insbesondere bei der Technischen Zusammenarbeit. 3 OECD, DAC Peer Review of German Aid. Paris

235 Der Sündenfall der EZ heißt Lieferbindung. Man mag zunächst denken, dass sowohl das Empfänger- als auch das Geberland auf seine Kosten kommen, wenn die EZ-Mittel dazu verwendet werden, Güter und Dienstleistungen aus dem Geberland zu beziehen. Doch das ist grundfalsch! Nur das Geberland ist der Gewinner. Die Erfahrung zeigt, dass das Empfängerland in der Regel Güter kaufen muss, die teurer sind, als wenn sie regional gekauft würden, und es muss obendrein noch Transportkosten zahlen (die sehr hoch sein können). Und die gekauften Güter entsprechen durchaus nicht immer den Bedürfnissen des Empfängerlandes oft sind sie technologisch nicht angepasst und verursachen hohe oder gar nicht aufzubringende Instandhaltungskosten. Dies alles kann den Wert der gewährten Mittel erheblich verringern. Und schließlich gibt es häufig zusätzlichen Verwaltungsaufwand für das Empfängerland. Die OECD hat festgestellt, dass Lieferbindung das Potenzial für Korruption erhöht. Dennoch wird sie in der EZ weiterhin praktiziert. Deutschland ist eines dieser Länder. Obwohl es in den vergangenen Jahren den Umfang seiner gebundenen Mittel erheblich reduziert hat, hat Deutschland die Lieferbindung noch nicht vollständig aufgegeben. Andere Länder etwa Großbritannien haben den Schritt zur vollständigen Aufhebung bereits getan. Eines der Kernprobleme ist der hohe Anteil deutscher EZ, die als Technische Zusammenarbeit geleistet wird und traditionell an deutsche Experten gebunden ist. Schuldenerlasse Das achte MDG verpflichtet die reichen Länder zu mehr und umfassenderen Schuldenerlassen. Entscheidend ist, dass sie zusätzlich zu bereits gegebenen ODA-Zusagen gewährt werden. Gegenwärtig werden Schuldenerlasse gemäß der offiziellen ODA-Definition der OECD in die ODA eingerechnet. 234

236 Dies ermöglicht es Ländern, ihre ODA-Quote in die Höhe zu treiben und so ihre Zusagen einzuhalten, ohne neue Ressourcen für den Kampf gegen Armut zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig können sie sich ihrer Schuldenerlasse rühmen. In den vergangenen Jahren war dies wiederholt der Fall, so 2005 beim großen Schuldenerlass zugunsten Nigerias. Deutschlands ODA-Zahlen für 2005 zeigen deutlich, wie Schuldenerlasse dazu benutzt werden können, Hilfszahlen in die Höhe zu treiben. Laut OECD entfielen im Jahr 2005 mehr als 3 der insgesamt 10 Mrd. US-$ deutscher ODA auf Schuldenerlasse. Gerechtere Handelsregeln Das vielleicht wichtigste Versprechen, das die reichen Länder unter dem achten MDG gegeben haben, ist das Welthandelssystem für die armen Länder und deren Produzenten gerechter zu machen. Doch die Handelspolitiken reicher Länder verweigern armen Ländern und Menschen weiterhin einen gerechten Anteil am globalen Reichtum und weichen so der Millennium-Erklärung aus. Mehr als EZ hat Handel das Potenzial, den Anteil der ärmsten Länder und Menschen an der globalen Wohlfahrt zu erhöhen. Die Beschränkung dieses Potenzials durch ungerechte Handelspolitiken widerspricht dem Bekenntnis zu den MDGs. Mehr noch, sie ist ungerecht und verlogen. Gegenwärtig befindet sich der Welthandel in einer Schieflage zugunsten der reichen Länder, und die Europäische Union trägt dafür ebenso Verantwortung wie alle anderen. Die größten Probleme mit dem EU-Handelsregime liegen im Agrarsektor, und gerade dieser Bereich ist für die Verringerung von Armut am wichtigsten. Denn nahezu 70 % der Armen in der Welt leben nach wie vor in ländlichen Gebieten und sind für ihren 235

237 Lebensunterhalt direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig. Ende Juli 2006 scheiterten die Gespräche über ein neues Handelsabkommen bei der Welthandelsorganisation (WTO). Die Verhandlungsrunde wurde»doha-entwicklungsrunde«genannt, weil sie die Ungleichgewichte im globalen Handelssystem angehen sollte, das sich momentan in einer starken Schieflage zu Gunsten der reichen Länder auf Kosten der armen befindet. Die Gespräche scheiterten, weil die Verhandlungspartner in der gegebenen Zeit ihre Differenzen in Schlüsselfragen nicht überwinden konnten. Die Zeit drängte, weil es für die aktuelle Verhandlungsrunde eine feste Deadline gibt: ein endgültiges Handelsabkommen muss vom US-Kongress ratifiziert werden, bevor die Trade Promotion Authority (eine Art Handelsvollmacht) von US-Präsident George W. Bush im Juli 2007 ausläuft. Nach diesem Datum wird es dem US-Kongress möglich sein, detaillierte Änderungen als Bedingung für eine Ratifizierung des verhandelten Abkommens zu verlangen; dies könnte das Aus für jedes verhandelte Dokument bedeuten. Während wir dies schreiben im August 2006 versuchen einige Parteien, das Abkommen zu retten. Zwar ist alles möglich auch frühere Handelsabkommen wurden erst fünf vor zwölf geschlossen, doch wir sind sehr skeptisch, dass diese Zeilen zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung überholt sein werden. Sie könnten sogar noch relevant sein, wenn ein neues Handelabkommen abgeschlossen wird. Unsere Skepsis speist sich aus Erfahrung. Seit vielen Jahren verspricht die EU eine bessere»kohärenz«zwischen ihren (löblichen) Entwicklungszielen und anderen EU-Politiken, insbesondere Handel und Landwirtschaft. Kohärenz ist seit dem Maastricht-Vertrag von 1991 sogar eine vertragliche Zusage trotzdem ist nichts geschehen. Um die von der europäischen Handels- und Landwirtschaftspolitik verursachten Probleme zu beheben, bedarf es erheblicher Anstrengungen. Zunächst muss die EU sämtliche 236

238 Subventionen für Agrarexporte abschaffen. Diese Subventionen entschädigen die europäischen Bauern für die niedrigen Preise, die sie auf dem Weltmarkt für Agrarprodukte erhalten, die sie in Europa nicht verkaufen können. Die Preise sind vor allem deshalb so niedrig, weil die EU ihre Überproduktion auf dem Weltmarkt zu Dumpingpreisen verkauft! Schlimmer noch, zur Überproduktion wird überhaupt erst durch andere Subventionen ermutigt. Wir bezahlen die EU-Bauern dafür, zu viel zu produzieren, die Produkte auf dem Weltmarkt billig zu verkaufen und den Preis für alle zu drücken und so die eigentlich konkurrenzfähigen armen Bauern in den Entwicklungsländern um ihren Lebensunterhalt zu bringen. Und dann bezahlen wir die Bauern ein zweites Mal, um sie für die niedrigen Preise zu entschädigen, die wir überhaupt erst geschaffen haben! Bei den WTO-Verhandlungen hat die EU versprochen, alle Subventionen für Agrarexporte bis 2013 abzuschaffen. Dies ist kein großes Zugeständnis, denn aufgrund des EU-Budgetabkommens entfallen die meisten dieser Subventionen zu diesem Termin ohnehin. Die EU muss auch ihre handelsverzerrenden internen Agrarsubventionen kürzen, also die Subventionen, die zu Überproduktion ermutigen. Als Handelsblock mit den höchsten internen Subventionen fördern gerade die EU-Subventionen jene Art von Großproduktion, die der Umwelt schadet und das Argument, unsere Agrarpolitik bewahre unsere Landschaft, ad absurdum führt. Zusätzlich sollte die EU ihre Agrarmärkte durch die Senkung von Zöllen auf landwirtschaftliche Produkte für Exporteure aus den Entwicklungsländern öffnen. Das Zögern der EU war einer der Gründe, warum die Agrarverhandlungen und die Verhandlungen in anderen Bereichen ins Stocken gerieten. Die Angebote der EU, die Zölle zu senken, sind völlig unzureichend. Wir brauchen drastische Senkungen der hohen, nach dem WTO-Abkommen zulässigen Zoll-Höchstsätze. Andernfalls wird die EU in der Lage sein, genau dieselben Zölle 237

239 zu erheben wie zuvor, denn gegenwärtig liegen sie (trotz ihrer Höhe) in vielen Fällen weit unterhalb der zulässigen Höchstgrenzen! Darüber hinaus versucht die EU, einen großen Teil landwirtschaftlicher Produkte von jeder Kürzung auszunehmen und argumentiert, es handle sich um»sensible«güter. Dies würde es der EU ermöglichen, weiterhin gerade jene Exporte zu verhindern, mit denen die Entwicklungsländer konkurrenzfähig sind. Weiterhin muss die EU auch ihre nichtlandwirtschaftlichen Märkte für alle Länder mit geringem Einkommen öffnen. Gegenwärtig werden Exporte sogar im Rahmen der Everything but Arms-Initiative, gemäß der die ärmsten Länder nahezu alles in die EU zollfrei exportieren können durch komplizierte und übermäßig strikte Regeln behindert. Diese Regeln betreffen auch den Bereich der Nahrungsmittelsicherheit, in dem die EU weit über internationale Standards hinausgeht. Offensichtlich setzen die notwendigen Veränderungen der EU-Politik einen starken politischen Willen voraus, doch es ist nur schwer zu verstehen, weshalb er nicht aufgebracht wird. Denn von der gegenwärtigen Landwirtschaftspolitik profitieren nur eine Hand voll großindustrieller Betriebe, wohingegen die eingeforderten Veränderungen immerhin für jede europäische Durchschnittsfamilie eine Steuererleichterung von rund 100 monatlich bedeuten würden. Zusammengefasst: Die EU muss ihre Märkte für Exporte aus den Entwicklungsländern ohne Einschränkungen öffnen, ohne dafür Zugeständnisse von den armen Ländern zu fordern. Der vorige Handelskommissar der EU, Pascal Lamy, versprach den am wenigsten entwickelten Ländern und Afrika»gratis«Handelsöffnungen. Doch dieses Versprechen materialisiert sich nicht. Die EU stellt weiterhin aggressive Forderungen an die Entwicklungsländer und hält sie an, die Bereiche Dienstleistungen und verarbeitendes Gewerbe im Gegenzug für die lange überfälligen Änderungen beim landwirtschaftlichen Handelsregime zu öffnen. 238

240 Auch wenn die EU-Handelspolitik von der Europäischen Kommission initiiert und umgesetzt wird, ihre Richtung wird von den Mitgliedstaaten bestimmt. Und hier hat Deutschland eine Schlüsselrolle. Deutschlands eigene Politik und Haltung ist richtig, und Deutschland gehört auch nicht zu jenen Ländern, die von der gegenwärtigen Landwirtschaftspolitik profitieren. Dennoch gelingt es Deutschland nicht, eine Änderung der Landwirtschaftspolitik gegenüber jenen Ländern durchzusetzen, die am gegenwärtigen Modell festhalten wollen. Deutschland sollte sich mit anderen gleichgesinnten Mitgliedstaaten zusammentun und sich auch hinter den Kulissen engagieren, um andere etwa Frankreich davon zu überzeugen, dass die gegenwärtige EU-Landwirtschaftspolitik unhaltbar und schädlich ist. Wir plädieren nicht dafür, dass die EU die Unterstützung ihrer Bauern oder ihrer Landwirtschaft einstellt, sondern dass sie die Art und Weise ändert, in der sie dies tut. Sie muss sich künftig Mechanismen bedienen, die die Lebensbedingungen armer Produzenten in den Entwicklungsländern nicht verschlechtern. Wie oben skizziert gibt es eine lange Liste von Aufgaben, die die Regierungen in Europa, insbesondere die deutsche Bundesregierung, sofort anpacken sollten, um die Umsetzung der MDGs in den ärmsten Ländern zu erleichtern. Deutschland hat 2007 zwei wichtige Möglichkeiten, diese Agenda zu befördern und sein Engagement in Entwicklungsfragen unter Beweis zu stellen: Deutschland übernimmt die Präsidentschaft der G8 und die der Europäischen Union. Eine starke Führungsrolle Deutschlands in Entwicklungsfragen ist gefordert! Fazit Wir brauchen keine weiteren Diskussionen und Analysen darüber, ob die MDGs den idealen Weg für die Entwicklungspolitik darstellen. Wir müssen dringend zum Handeln kommen. 239

241 Wir haben zwar nicht die Antwort auf alle Probleme der Welt, aber ausreichende Analysen und Einvernehmen darüber, was getan werden muss, um die Lebensbedingungen der Ärmsten zu verbessern. Die MDGs bieten einen idealen Rahmen für koordiniertes Handeln, um die globale Ungleichheit zu überwinden. Wir brauchen politische Entschlossenheit. Dafür muss energischer Druck der Bürger erzeugt werden, der entwicklungspolitisches Handeln für die Regierungen zu einer politischen Notwendigkeit macht. Ein erster Schritt ist die Unterrichtung der Bürger. Aber nur wenn die Bürger aktiv werden etwa durch die Teilnahme an Demonstrationen oder durch Briefe an ihre Abgeordneten, werden sich Politiker überzeugen lassen, dass den Wählern Entwicklungsfragen am Herzen liegen. Die Angst nicht wiedergewählt zu werden, ist eine wichtige Motivation. Wir brauchen einen Politikwandel darauf müssen sich die gesellschaftlichen Entwicklungsgruppen in Europa konzentrieren. Wir sind die erste Generation, die über die Ressourcen verfügt, die Armut zu beseitigen. Die fehlende Schlüsselzutat hierfür ist der politische Wille, die MDGs und den Kampf gegen die Armut zum Herzstück politischer Prioritäten zu machen. Wir müssen den politischen Druck für Wandel erzeugen. Übersetzung: Henning Boekle 240

242 Anhang

243 Die Millennium-Entwicklungsziele mit Zielvorgaben und Indikatoren Die Millennium-Entwicklungsziele Ziele und Zielvorgaben Indikatoren Ziel 1: Beseitigung der extremen Armut und des Hungers Zielvorgabe 1 Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, deren Einkommen weniger als 1 US-$ pro Tag beträgt Zielvorgabe 2 Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger leiden 1. Anteil der Bevölkerung mit weniger als 1 US-$ pro Tag 2. Armutslückenverhältnis (poverty ratio gap, Armutsvorkommen x Armutstiefe) 3. Anteil des ärmsten Fünftels am nationalen Konsum 4. Verbreitung von Untergewicht bei Kindern unter fünf Jahren 5. Anteil der Bevölkerung unter dem Mindestniveau des Nahrungsenergieverbrauchs Ziel 2: Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung Zielvorgabe 3 Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie Mädchen, eine Grundschulbildung vollständig abschließen können 6. Nettoeinschulungsquote im Primarschulbereich 7. Anteil der Erstklässler, die das fünfte Schuljahr erreichen 8. Alphabetisierungsquote bei den 15- bis 24-Jährigen 242

244 Ziel 3: Gleichstellung der Geschlechter und Empowerment der Frauen Zielvorgabe 4 Das Geschlechtergefälle in der Grund- und Sekundarschulbildung beseitigen, vorzugsweise bis 2005 und auf allen Bildungsebenen bis spätestens Verhältnis Mädchen/Jungen in der Primar-, Sekundar- und Tertiärausbildung 10. Verhältnis weibliche/männliche Alphabeten (15- bis 24-Jährige) 11. Anteil der Frauen an den nichtselbständig Erwerbstätigen im Nicht-Agrarsektor 12. Sitzanteil der Frauen in nationalen Parlamenten Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit Zielvorgabe 5 Zwischen 1990 und 2015 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel senken 13. Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren 14. Säuglingssterblichkeitsrate 15. Anteil der Einjährigen, die gegen Masern geimpft wurden Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit von Müttern Zielvorgabe 6 Zwischen 1990 und 2015 die Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel senken 16. Müttersterblichkeitsrate 17. Anteil der von medizinischem Fachpersonal begleiteten Geburten 243

245 Ziel 6: Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten Zielvorgabe 7 Bis 2015 die Ausbreitung von HIV/Aids zum Stillstand bringen und eine Trendumkehr bewirken Zielvorgabe 8 Bis 2015 die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum Stillstand bringen und eine Trendumkehr bewirken 18. Verbreitung von HIV bei Schwangeren (15- bis 24-Jährige) 19. Anteil der Kondombenutzung bei der Empfängnisverhütung a. Kondombenutzung beim letzten risikoreichen Geschlechtsverkehr b. Prozentsatz der 15- bis 24- Jährigen mit umfassenden korrekten Kenntnissen über HIV/Aids c. Empfängnisverhütungsrate 20. Schulbesuchsquote von Waisen im Verhältnis zu Nichtwaisen (10- bis 14-Jährige) 21. Malariaverbreitung und Sterblichkeitsraten im Zusammenhang mit Malaria 22. Anteil der Bevölkerung in malariagefährdeten Gebieten, der wirksame Malariaverhütungsund -bekämpfungsmaßnahmen ergreift a. Anteil der Kinder unter 5 Jahren, die unter Moskitonetzen schlafen 23. Tuberkuloseverbreitung und Sterblichkeitsraten im Zusammenhang mit Tuberkulose 24. Anteil der diagnostizierten und mit Hilfe der direkt überwachten Kurzzeittherapie DOTS (Directly Observed Treatment Short Course) geheilten Tuberkulosefälle 244

246 Ziel 7: Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit Zielvorgabe 9 Die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und Programme überführen und dem Verlust von Umweltressourcen Einhalt gebieten Zielvorgabe 10 Bis 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die keinen dauerhaften Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser und zu elementaren sanitären Einrichtungen haben Zielvorgabe 11 Bis 2020 die Lebensbedingungen von mindestens 100 Mio. Slumbewohnern deutlich verbessern 25. Anteil der Flächen mit Waldbedeckung 26. Verhältnis der geschützten Flächen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt zur Gesamtfläche 27. Energieverbrauch (Kilogramm Erdöläquivalent) pro US-$ Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten 28. CO 2 -Ausstoß pro Kopf und Verbrauch von ozonabbauenden FCKW 29. Anteil der feste Brennstoffe nutzenden Bevölkerung 30. Anteil der städtischen und ländlichen Bevölkerung mit dauerhaftem Zugang zu einer verbesserten Wasserquelle 31. Anteil der städtischen und ländlichen Bevölkerung mit Zugang zu Sanitärversorgung 32. Anteil der Haushalte mit sicheren Nutzungs- und Besitzrechten 245

247 Ziel 8: Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft Zielvorgabe 12 Ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nichtdiskriminierendes Handels- und Finanzsystem weiterentwickeln; dies umfasst die Verpflichtung zu guter Regierungsund Verwaltungsführung (good governance), Entwicklung und Armutsreduzierung auf nationaler und internationaler Ebene Zielvorgabe 13 Den besonderen Bedürfnissen der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) Rechnung tragen; dies umfasst einen zollund quotenfreien Zugang für die Exportgüter der LDCs, erweiterte Schuldenerleichterung für die hochverschuldeten armen Länder (HIPCs), die Streichung von bilateralen Schulden sowie die Gewährung großzügiger öffentlicher Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) für Länder, die sich zur Armutsbekämpfung verpflichten Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) 33. Netto-ODA, insgesamt und für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), als prozentualer Anteil am Bruttonationaleinkommen (BNE) der Geber, die dem OECD-Entwicklungsausschuss (DAC) angehören 34. Anteil der gesamten bilateralen, sektoral aufschlüsselbaren ODA der DAC-Geber für die soziale Grundversorgung (Grundbildung, Basisgesundheitsversorgung, Ernährung, sauberes Wasser und Sanitärversorgung) 35. Anteil der ungebundenen bilateralen ODA der DAC-Geber 36. Von Binnenländern empfangene ODA als Anteil an ihrem BNE 37. Von kleinen Inselentwicklungsländern empfangene ODA als Anteil an ihrem BNE Marktzugang 38. Anteil der zollfreien Gesamtimporte der entwickelten Länder (nach Wert und unter Ausschluss von Waffen) aus den Entwicklungsländern und den LDCs 39. Von den entwickelten Ländern erhobene Durchschnittszölle für Agrarprodukte, Textilien und Kleidung aus den Entwicklungsländern 246

248 Zielvorgabe 14 Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Inselentwicklungsländer Rechnung tragen (durch das Aktionsprogramm für nachhaltige Entwicklung der kleinen Inselstaaten unter den Entwicklungsländern und auf der Grundlage der Ergebnisse der 22. Sondertagung der Generalversammlung) Zielvorgabe 15 Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer durch Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene umfassend angehen und so die Schulden langfristig tragbar gestalten Zielvorgabe 16 In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Schaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeitsplätze für junge Menschen erarbeiten und umsetzen 40. Geschätzte Agrarsubventionen in den OECD-Ländern als prozentualer Anteil an ihrem BIP 41. Anteil der ODA, die für den Aufbau von Handelskapazität gewährt wird Schuldentragfähigkeit 42. Gesamtzahl der Länder, die den Entscheidungs- und Erfüllungszeitpunkt im Rahmen der HIPC- Schuldeninitiative erreicht haben (kumulativ) 43. Schuldenerleichterung im Rahmen der HIPC-Schuldeninitiative 44. Schuldendienst als Prozentwert der Güter- und Dienstleistungsexporte 45. Arbeitslosenquote bei den 15- bis 24-Jährigen nach Geschlecht und insgesamt 247

249 Zielvorgabe 17 In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen unentbehrliche Arzneimittel zu erschwinglichen Preisen in den Entwicklungsländern verfügbar machen Zielvorgabe 18 In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor dafür sorgen, dass die Vorteile neuer Technologien, insbesondere der Informationsund Kommunikationstechnologien, genutzt werden können 46. Anteil der Bevölkerung mit dauerhaftem Zugang zu erschwinglichen unentbehrlichen Arzneimitteln 47. Telefonanschlüsse (Fest- und Mobilnetz) je 100 Personen 48. Genutzte Personalcomputer und Internetnutzer jeweils je 100 Personen Quelle: United Nations Statistic Division: Millennium Development Goals Indicators, Effective 8 September 2003 ( Host.aspx?Content=Indicators/OfficialList.htm, ). Die deutsche Übersetzung ist weitgehend übernommen aus: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 2005: Millenniums-Entwicklungsziele. Herausforderungen zu Beginn des dritten Jahrtausends. Bonn, S. 4 5 ( beihefter_mdg.pdf, ). 248

250 Autorinnen, Autoren und Herausgeber MANDEEP BAINS Politikberaterin bei der Millennium Campaign der Vereinten Nationen in New York. Zuvor unter anderem Management von Hilfsprogrammen sowie wirtschaftspolitische Beratung von Entwicklungsländern im Auftrag der Europäischen Kommission und des britischen Department for International Development (DFID). RICHARD BRAND Entwicklungspolitischer Referent mit Schwerpunkt Millennium- Entwicklungsziele und Armutsbekämpfung auf einer gemeinsamen Stelle von Brot für die Welt und des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), Bonn. THOMAS FUES Dr., Dipl.-Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn; aktueller Forschungsschwerpunkt: Vereinte Nationen und Global Governance aus entwicklungspolitischer Perspektive. ROSS HERBERT Wissenschaftlicher Mitarbeiter zu Afrika und Manager des NEPAD- und Governance-Projektes am South African Institute of International Affairs (SAIIA), Johannesburg; aktuelle Forschungsschwerpunkte: NEPAD, Afrikanische Union, Wirksamkeit von Entwicklungshilfe, Korruption und Konditionalität. 249

251 EVELINE HERFKENS Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Millennium Campaign, New York. Zuvor unter anderem niederländische Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Botschafterin der Niederlande bei den Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation in Genf sowie Exekutivdirektorin der Weltbank. UWE HOLTZ Prof. Dr., Hochschullehrer am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn und Senior Fellow am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung; freiberuflicher Development Consultant. Von Vorsitzender des entwicklungspolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages. STEPHAN KLINGEBIEL Dr., Leiter der Abteilung»Governance, Staatlichkeit, Sicherheit«am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn; aktuelle Forschungsschwerpunkte: bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere mit Afrika südlich der Sahara; Krisenprävention. JUTTA KRANZ-PLOTE Referentin im Referat 310»Armutsbekämpfung; Aktionsprogramm 2015; Sektorale und thematische Grundsätze«des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Bonn. Zuvor von Oktober 2004 bis Juni 2006 Referentin in der MDG-Stabsstelle des BMZ. KARIN KÜBLBÖCK Wissenschaftliche Referentin für Internationale Entwicklungspolitik und Weltwirtschaft bei der Österreichischen Forschungs- 250

252 stiftung für Entwicklungshilfe (ÖFSE) und Lektorin am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. FRANZ NUSCHELER Prof. em., Dr., Stv. Vorstandsvorsitzender der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) und Senior Fellow am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Duisburg. Von Professor für Internationale und Vergleichende Politik an der Universität Duisburg-Essen und von Direktor des INEF. MICHÈLE ROTH Dr., Geschäftsführerin der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), Bonn, und Mitglied im Vorstand des Global Policy Forum Europe. VERONIKA WITTMANN Dr., Universitätsassistentin am Institut für Soziologie /Abteilung für Politik- und Entwicklungsforschung an der Johannes Kepler Universität Linz. 251

253

254 Jochen Hippler (Hg.) Nation-Building Ein Schlüsselkonzept für friedliche Konfliktbearbeitung? Reihe EINE WELT Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bd Seiten Broschur Euro 12,70 ISBN Die Eroberungen Afghanistans und des Irak verbunden mit dem Versuch, dort neue Staaten zu etablieren, haben den Begriff»Nation-Building«(Nationenbildung) so populär werden lassen, dass er heute selbst von Ministern und dem Bundeskanzler verwendet wird. In einer Zeit, die von ökonomisch-politischer Globalisierung, zahlreichen ethnischen Konflikten und drohenden oder akuten staatlichen Zusammenbrüchen gekennzeichnet ist, gewinnt die Frage der Bildung neuer Nationalstaaten eine herausragende Bedeutung. Dieses Buch erweitert und systematisiert, das Verständnis von Prozessen der Nationenbildung. Fallstudien aus Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten und dem Balkan illustrieren wie viele Aspekte dieses Themas hat. Als Ausblick entwickeln Praktiker und Wissenschaftler konkrete Strategien, wie Nation-Building-Prozesse durch kluge und behutsame politische Strategien externer Akteure unterstützt werden können. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. Dreizehnmorgenweg Bonn

255

256 Franz Nuscheler Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik 656 Seiten Broschur Euro 16,80 ISBN Was ist Unterentwicklung? Wird sie durch Entwicklungshilfe verstärkt? Kann die Verelendung der Dritten Welt aufgehalten werden oder bleibt am Ende nur Resignation? Welche Folgen haben die Terroranschläge vom 11. September für die Nord- Süd-Beziehungen? Was bedeutet»nachhaltige Entwicklung«,»Feminisierung der Armut«oder»globale Strukturpolitik«? Ist die Globalisierung für die Dritte Welt Heilsversprechen oder Teufelswerk? Antworten gibt Franz Nuscheler in seinem völlig neu bearbeiteten»lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik«. Er verbindet nüchterne Analyse mit engagierter Kritik und bringt die Unmenge von Zahlen, Begriffen und Theorien in eine ordnende Zusammenschau. Eine gut verständliche Einführung in die Entwicklungspolitik auch für interessierte Laien. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. Dreizehnmorgenweg Bonn

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